Table.Briefing: China

Hacker + Bildung + Taiwan + EVP + Adrian Zenz + Investitionsklima + Nils Schmid

  • Hafnium-Cyberangriff wird Staatsaffäre
  • Bildungsniveau gefährdet Wachstum in China
  • Taiwans erfolgreiches Pandemie-Management
  • Kampf um die Ananas: Taiwan kontert Chinas Importstopp
  • EVP legt Positionspapier zu China vor
  • China begrüßt Klage gegen deutschen Forscher Zenz
  • US-Firmen: Verbessertes Investitionsklima
  • Nils Schmid: Kein Decoupling von China
Liebe Leserin, lieber Leser,

2021 ist das Jahr der Bundestagswahl. Wie hält es die SPD mit China? Nils Schmid, Obmann der SPD im Auswärtigen Ausschuss, legt heute im Standpunkt die chinapolitische Ausrichtung der Partei dar. Er diagnostiziert eine “wechselseitige Abhängigkeit”, die Kooperation erforderlich macht. Doch als Partner müsse man auch ehrlich über Fehler diskutieren und Kritik üben dürfen.

Fast 40 Jahre hat Scott Rozelle Chinas Bildungssystem erforscht. 2008 erhielt der Entwicklungsökonom den Freundschaftspreis der Volksrepublik – die höchste Auszeichnung des Landes für ausländische Experten. In seinem neuen Buch “Invisible China” zeigt Rozelle: Das geringe Bildungsniveau im Land könnte China in ein paar Jahren auf die Füße fallen. Das Bildungssystem bereitet die Menschen nicht darauf vor, in einer hoch entwickelten Wirtschaft bestehen zu können. Vor allem im ländlichen Raum mangelt es an guten Schulen. Und zu viele Kinder leiden an Gesundheitsproblemen, die ihren Bildungsweg zusätzlich einschränken.

Ob und welche Lehren Deutschland aus der Pandemiebekämpfung anderer Länder ziehen kann, wird heiß debattiert. Felix Lee hat das in weiten Teilen vorbildliche Vorgehen der taiwanischen Regierung untersucht. Sein Fazit: Ein guter Mix aus Quarantäne-Bestimmungen, einem ausgeklügelten Kontakt-Nachverfolgungssystem, der frühen Bereitschaft zum Maskentragen und einem gut ausgestatteten Gesundheitssystem hat Taiwan vor einer großen Infektionswelle bewahrt.

Über Handelsboykotte versucht Peking seine Nachbarn politisch unter Druck zu setzen. Nach australischem Wein trifft es nun Ananas aus Taiwan. Marcel Grzanna analysiert die Folgen dieser Boykotte und zeigt, wie sich die Inselrepublik zur Wehr setzt.

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Presseschau

U.S and China Engage, Tentatively, on Climate Change WSJ
By the Numbers: China Lays Out Ambitious Five-Year Targets BLOOMBERG
China Backs Lawsuits Suing German Researcher Zenz for Xinjiang ABuse Claims BLOOMBERG
Microsoft attack blamed on China goes global, with 60,000 victims SEATTLE TIMES
When Stocks Crash, China Turns to Its ‘National Team’ WASHINGTON POST
China breaching every act in genocide convention, says legal report on Uighurs THE GUARDIAN
Biden inaction allows Trump’s ‘decoupling’ to continue GLOBAL TIMES
China summons British ambassador over her ‘inappropriate’ article SCMP
‘Uncomfortable signal to China’: Japan’s Suga raises Hong Kong, South China Sea, Xinjiang in phone call with India’s Modi SCMP
Chinas 5-Jahres-Plan setzt auf Quantencomputer und Raumfahrt HEISE
Hackerangriff auf Microsoft: Bricht bald der Cyberkrieg los? FAZ
Geplante Kooperation: Russland und China wollen Mondstation aufbauen SPIEGEL
Corona-Pandemie: China stellt digitalen Reise-Impfpass vor TAGESSCHAU
China sieht “latentes Sicherheitsrisiko” durch deutsches Kinderbuch WELT PAY
Systemrivalität mit China: EU-Kommissionsvizin Vestager will Tech-Allianz mit den USA handelsblatt.com PAY

Analyse

Hafnium-Cyberangriff wird Staatsaffäre

In einem Punkt äußerte sich Microsoft ganz eindeutig: “Die Gruppe hat unseren Erkenntnissen nach Verbindungen zu staatlichen Akteuren und arbeitet von China aus.” Auch am Montag und Dienstag nutzen die Angreifer weiterhin Sicherheitslücken in Zehntausenden von Servern, auf denen die Software des Unternehmens läuft – auch in Deutschland. Microsoft nennt die Gruppe “Hafnium”, doch das ist nur ein Codename der Ermittler, nicht die Selbstbezeichnung der Hacker.

Der Angriff eskaliert nun zur Staatsaffäre, denn die Regierung Biden nimmt ihn persönlich. Schließlich arbeiten US-Behörden ebenfalls mit Exchange. Die Sprecherin des Präsidenten nannte die Aktivitäten eine “aktive Bedrohung”, kündigte den Einsatz von Sonderermittlern an und wies darauf hin, dass der Geheimdienst CIA eingeschaltet ist. Die USA berufen sich in solchen Fällen regelmäßig auf eine Vereinbarung des damaligen Präsidenten Barack Obama mit Xi Jinping. Beide Länder haben 2015 einen digitalen Waffenstillstand vereinbart. Umso größer ist der Ärger über fortgesetzte Angriffe.

Microsoft und das US-Heimatschutzministerium lieferten allerdings keine direkten Belege dafür, dass hinter den Angriffen tatsächlich der chinesische Staat steht. Tatsächlich haben mehrere Hacker-Gruppen aus verschiedenen Ländern versucht, die Sicherheitslücke auszunutzen, die schon vor Monaten aufgefallen war. Der freie Journalist Brian Krebs, der zuerst über den Fall berichtet hat, spricht eindeutig von “aggressiven chinesischen Gruppen”, lässt aber offen, ob dahinter staatliche Dienste stehen.

Deutsche Behörden warnen per Post

Eine Sicherheitslücke, die Hackern den Zugriff auf Exchange-Server ermöglicht – für Behörden, Banken und Unternehmen mit Fokus auf geistigem Eigentum ist das ein Albtraum, aber auch für Privatleute kann das gefährlich werden. Wer Zugriff auf die E-Mail hat, besitzt den Schlüssel zur ganzen Organisation. Damit lassen sich auch tiefergehende Angriffe vorbereiten. Schließlich liegen vertrauliche Infos aus der E-Mail ebenso offen wie die Beziehungen der Mitarbeiter untereinander. Es war nie einfacher, eine Mail vom Chef zu fälschen.

Die deutschen Behörden schicken ihre Warnungen vor der Bedrohung daher auf dem Postweg. Sie rechnen damit, dass Angreifer, die den Exchange-Server einer Organisation gekapert haben, entsprechende Infos nicht mehr durchlassen. Microsoft hat die Lücke zwar theoretisch per Update geschlossen. Doch wenn die Administratorinnen und Administratoren nicht die aktuellste Version aufgespielt haben, nützt das nichts. Die Hacker können die Mails des Unternehmens mitlesen.

China gehört zu den häufigsten Ursprungsländern für Angriffe auf die IT von Unternehmen und Behörden. In vielen Fällen stecken Einzelpersonen oder unabhängige Gruppen dahinter. In anderen Fällen deutet viel darauf hin, dass Regierungsstellen hinter den Angriffen stecken. Auch die EU-Arzneibehörde EMA war betroffen: Die Angreifer interessierten sich vor allem für Daten rund um Corona-Impfstoffe. Und auch Großkonzerne wie VW und Siemens sind immer wieder betroffen. Das Problem ist zudem nicht neu – und wird den westlichen Akteuren noch länger erhalten bleiben.

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Bildungsniveau gefährdet Wachstum in China

Der ehemalige Industrieminister Chinas Miao Wei wies kürzlich darauf hin, dass der Mangel an Talenten im Innovations- und High-Tech-Bereich die Entwicklung des Industriesektors erheblich behindert. Das mag stimmen, ist aber nur Teil eines viel größeren Problems. Der Fokus auf den High-Tech-Sektor versperrt den Blick auf eine viel größere Herausforderung: Chinas “Humankapital” ist nicht ausreichend, um zu einem Land mit hohen Einkommen zu werden – so jedenfalls die Analyse des Entwicklungsökonomen Scott Rozelle, der fast 40 Jahre in China geforscht hat.

Der Professor der Stanford Universität schreibt in seinem Buch “Invisible China: How the Urban-Rural Divide Threatens China’s Rise”, China brauche zwar auch hoch ausgebildete Ingenieure, IT-Experten und KI-Forscher. Doch neben diesen Top-Talenten sei eine breite Bevölkerungsschicht, die “komplexe, nicht routinemäßige Aufgaben” erledigen könne mindestens genauso wichtig.

Chinas Aufstieg erfordert bessere Ausbildung

Laut Rozelles Analysen sei Chinas Bildungsniveau zu gering. Nur 30 Prozent der Chinesen verfügten über eine höhere Schulbildung (entsprechend der US-Highschool), 12,5 Prozent über einen Universitätsabschluss. Von allen Ländern mit mittlerem Einkommen verfüge China über das geringste Bildungsniveau und liege unter dem anderer Länder wie Südafrika, Thailand oder Mexiko. Die Erfahrungen derjenigen Länder, die sich zu Hocheinkommensländern entwickelt haben, zeigen laut Rozelle: In all diesen Ländern hatten mehr als 50 Prozent der Bevölkerung einen höheren Bildungsabschluss. Mit Chinas derzeitiger Quote von 30 Prozent der Bevölkerung mit höherer Schulbildung “könnte das Land in großen Schwierigkeiten stecken”, schreibt Rozelle.

In den letzten Dekaden basierte das chinesische Wachstum vor allem auf ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern, deren geringe Löhne ein massiver Wettbewerbsvorteil war. Sie brauchten keine anspruchsvolle Ausbildung, um auf den riesigen Baustellen, in den Fabriken oder den Minen Chinas zu arbeiten. Und immer, wenn die Löhne zu steigen drohten, kamen Millionen Arbeiter aus dem ländlichen Raum in die Städte – das Arbeitskräftepotenzial schien endlos.

Doch Chinas Arbeiterschaft erreichte 2010 ihren Höchststand. Schon seit 2005 steigt die Lohnrate auch ungelernter Arbeiter um circa zehn Prozent jährlich. Die steigenden Löhne führen dazu, dass jährlich zehntausende Fabriken schließen und jeden Monat zehntausende Arbeiter ihren Job verlieren, so Rozelle.

Fachkräftemangel

Das Problem dabei: Die große Mehrheit dieser Arbeiter sei nicht nur zu schlecht ausgebildet, um in den innovativen High-Tech-Branchen Arbeit zu finden. Es mangelt ihnen laut Rozelle auch an den Basisfähigkeiten, um zu Spezialisten im Dienstleistungssektor, Technikern in einer Chipfabrik zu werden oder Bürotätigkeiten zu übernehmen – Tätigkeiten, die in einem Land mit hohem Einkommen wichtig sind. Der Ökonom nennt dabei das Beispiel einer Smartphone-Fabrik: Es brauche 12 bis 15 Minuten, um die Arbeitsschritte zur Herstellung von Smartphones zu lernen, um aber zu Mechanikern, Buchhaltern oder Elektrikern zu werden, bedarf es viel mehr Fähigkeiten – beispielsweise kritisches Denken, mathematische Fähigkeiten sowie Computer- und Sprachkenntnisse. Zur Vermittlung dieser Fähigkeiten brauche es keinen Universitätsabschluss. Vielmehr sei der bildungspolitische “Mittelbau”, die weiterführenden Schulen entscheidend.

Bei der Vermittlung dieser Fähigkeiten habe das chinesische Bildungssystem bisher versagt, so Rozelle. Auch um sich kurzfristig anzupassen, sei die bisherige Arbeiterschaft zu schlecht ausgebildet. 200 bis 300 Millionen Menschen könnten in Zukunft strukturell “nicht beschäftigungsfähig” sein, so seine Schätzungen. Ihnen bliebe einzig der informelle Sektor als Einkommensmöglichkeit.

Die Folgen des großen Stadt-Land-Gefälles

Den Ursprung des geringen Bildungsniveaus hat Rozelle im ländlichen Raum Chinas verortet. In den letzten 40 Jahren haben der Stanford-Ökonom und seine unterschiedlichen Forschungsteams tausende Schulen im ländlichen China besucht und Millionen Schülerinnen und Schüler während der Feldforschung befragt. Das Ergebnis: Die urbane Arbeiterschaft sei viel besser ausgebildet als die ländliche. Das könnte in Zukunft zu einem massiven Problem werden, da heute mehr als 70 Prozent aller Kinder in China einen ländlichen Hukou-Status (Haushaltsregistrierungssystem) haben.

Chinas künftige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leben also zum Großteil auf dem Land, “wo die Bildungsergebnisse immer noch weit hinter denen in der Stadt hinterherhinken”, so Rozelle. Seinen Forschungen zufolge verlassen vier Millionen Kinder im ländlichen Jahr pro Jahr das Bildungswesen ohne Abschluss einer weiterführenden Schule. Kinder mit ländlichem Hukou-Status, die mit ihren Wanderarbeiter-Eltern in den Städten wohnen, sind vom besseren urbanen Bildungswesen größtenteils ausgeschlossen.

Zwar hat China seit 2002 auch massiv in berufsbildende Schulen investiert und ländliche Schüler nehmen das Angebot sehr stark an. Doch Rozelle und seine Forschungsteams haben massive Mängel bei diesen Schulen gefunden. In einigen Regionen würden bis zu 20 Prozent der Schulen nur auf dem Papier existieren, um staatliche Beihilfen zu kassieren.

Feldforschung in hunderten berufsbildenden Schulen zeigt: Die Schüler lernen kaum die für höhere Arbeitsstellen notwendigen Fähigkeiten. Ein Beispiel: 91 Prozent der Schüler haben im Laufe eines Jahres Mathematikunterricht keine Verbesserungen vorweisen können. Und auch die begleitenden Praktika in Unternehmen hätten in der Regel kaum brauchbare Lernerfahrungen zur Folge – viele Schüler würden ihre Praktika schlicht in Fabriken am Förderband oder in Aushilfsjobs absolvieren. Im Durchschnitt verlässt jeder Dritte Schüler das System der berufsbildenden Schulen vorzeitig.

Gesundheitsprobleme schränken Lernfähigkeit ein

Doch die Bildungsmisere im ländlichen Raum beginnt laut Rozelle häufig schon in viel jüngeren Jahren. Untersuchungen in Zentral- und Westchina zeigten, dass 25-30 Prozent der Grundschüler an Eisenmangel litten. 30 Prozent der ländlichen Schüler hätten Sehprobleme, aber keine Brillen. Und in den Provinzen Sichuan, Fujian, Hunan, Guizhou und Yunnan wiesen 40 Prozent der Schüler parasitäre Darmwürmer auf. Alle diese Gesundheitsprobleme schränken die Lern- und Konzentrationsfähigkeit ein, so Rozelle. Ländliche Grundschüler lägen in Mathematik in der vierten Klasse bereits mehr als zwei Klassenstufen hinter gleichaltrigen städtischen Kindern, hat eine Studie für Zentralchina herausgefunden.

Zu spätes Gegensteuern

Rozelle, der 2008 mit dem Freundschaftspreis der Volksrepublik China, der höchsten Auszeichnung für ausländische Experten, geehrt wurde, lobt Chinas Bemühungen der letzten Jahre. 2006 wurde eine Schulpflicht für die ersten neun Schuljahre eingeführt und das Schulgeld wurde gestrichen. 2015 verließen schon 80 Prozent aller Schüler die Schule mit einem weiterführenden Abschluss. Und zwischen den späten 1990er Jahren und 2005 vervierfachte sich die Anzahl chinesischer Universitäten. Doch selbst diese Anstrengungen könnten zu wenig sein, warnt Rozelle.

Denn in den 1970er, 80er und 90er Jahren investierte Peking viel zu wenig in das Bildungssystem. 65 Prozent der heutigen Arbeiterschaft sind unter dem schlechten Bildungssystem der Ära Mao und Deng zur Schule gegangen. Laut Rozelle dauere es etwa 45 Jahre, um die Bildung und Ausbildung der gesamten Arbeiterschaft eines Landes auf ein Level zu heben, dass für ein Hocheinkommensland nötig ist. China habe damit zu spät gestartet und sei einfach zu schnell gewachsen.

Und so könnte es durchaus zutreffen, dass China noch 30 oder mehr Jahre warten muss, bis es zu einer “industriellen Großmacht” wird, wie auch der ehemalige Industrieminister Miao Wei – allerdings mit anderem Fokus – kürzlich prognostizierte, denn die Bildungsmängel werden sich so schnell nicht beheben lassen.

Scott Rozelle, mit Natalie Hell, Invisible China: How the Urban-Rural Divide Threatens China’s Rise, University of Chicago Press, 6. Oktober 2020, 231 Seiten, 27,20 Euro

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Taiwans erfolgreiches Pandemie-Management

Deutschland und die meisten Länder Europas kämpfen trotz Hunderttausender Impfungen am Tag weiter mit der Pandemie. Taiwan hat mit seiner Impfkampagne noch nicht einmal begonnen. Abgesehen von einer Maskenpflicht läuft das Leben in dem Inselstaat dennoch weitgehend normal. Geschäfte und Restaurants sind ohne Einschränkungen geöffnet, die berühmten Nachtmärkte der Hauptstadt Taipeh sind voll. Auch Großveranstaltungen können stattfinden. Lockdowns hat es in Taiwan seit Beginn der Pandemie nicht einmal gegeben.

Kaum ein anderes Land hat es geschafft, die Zahlen über das gesamte Pandemiejahr hinweg so niedrig zu halten wie der Inselstaat im Ostchinesischen Meer. Seit Ausbruch der Corona-Krise vor über einem Jahr hat es in Deutschland über 2,5 Millionen Infektionsfälle gegeben, die Zahl der Todesfälle liegt aktuell bei über 72.000. Taiwan mit seinen 23 Millionen Einwohnern hingegen zählt seit Beginn der Pandemie offiziell nur 942 Infizierte, lediglich neun von ihnen starben mit oder an Covid-19. Während Deutschland etwa 26.000 Fälle pro eine Million Einwohner zählt, sind es in Taiwan 38.  “Taiwans hervorragende Bilanz in der Pandemiebekämpfung ist zu einem gefragten Modell für Diskussionen weltweit geworden”, stellt die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in ihrem aktuellen Länderbericht fest

In dem Bericht wird vor allem die “stringente Nachverfolgung von Infektionsketten” gelobt. Neben einer “effektiven Koordination zwischen verschiedenen Behörden auf nationaler und lokaler Ebene” habe Taiwan vor allem auf eine ausgeklügelte Datenpolitik zurückgreifen können, schreibt David Merkle, Autor des Berichts. Lediglich der internationale Flugverkehr blieb zeitweise eingeschränkt. Selbst Restaurants, Cafés und Fitnessstudios mussten nicht einen Tag schließen. 

Dem Land gelang es dadurch, die Krise auch wirtschaftlich relativ unbeschadet zu überstehen. Für das Gesamtjahr 2020 verzeichnete Taiwan ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent, erstmals seit mehr als 30 Jahren mehr als die Volksrepublik. In den meisten westlichen Staaten hingegen schrumpften die Volkswirtschaften. 

Vorbild für andere Demokratien

Die Bevölkerung habe eine hohe Bereitschaft gezeigt, bei Einreise, im Corona-Verdachtsfall und während der Quarantäne den Schutz persönlicher Daten zugunsten gesellschaftlicher Sicherheit hintenan zu stellen, schreibt Merkle. Das sei eine wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche Pandemie-Management gewesen. Zugleich sei die taiwanische Regierung bei allen Schritten äußerst transparent vorgegangen und habe die Bevölkerung über die Maßnahmen gut informiert. Die Pandemiebekämpfung Made in Taiwan taugt ihm zufolge daher als “Vorbild für demokratische Gesellschaften weltweit”

Asien-Kenner kritisieren schon seit geraumer Zeit, dass in Deutschland beim Pandemie-Management zu wenig auf die Länder Ostasiens geschaut wird. Und wenn, dann werde meist auf die Volksrepublik China verwiesen – als abschreckendes Beispiel. Der autoritären Führung in Peking ist es zwar ebenfalls gelungen, die Pandemie rasch unter Kontrolle zu bringen. Der Preis dafür jedoch waren massive Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte. Die Menschen in der Zehnmillionen-Metropole Wuhan etwa durften über Wochen nicht einmal ihre Wohnung verlassen. Bei Zuwiderhandlungen drohten ihnen harte Strafen. Bis hin zur Anwendung von körperlicher Gewalt kam es zuweilen. Als Vorbild für freie Gesellschaften taugt China daher nicht. 

Testet Taiwan zu wenig?

Taiwan hingegen habe zwar ebenfalls rasch gehandelt, heißt es in dem Länderbericht der KAS. Doch weniger streng. Neben dem Mix aus Quarantäne-Bestimmungen und einem gut ausgestatteten Gesundheitssystem sei es dem nationalen Seuchenkontrollzentrum (Central Epidemic Command Center) gelungen Massenausbrüche zu verhindern. Auch die Kommunikation hat gestimmt. Jeden Tag um 14 Uhr informiert die Seuchenbekämpfungsbehörde CDC über die Pandemie, und meist tut das der Gesundheitsminister Chen Shih-chung persönlich. Die Menschen hielten sich sehr viel konsequenter als in anderen Ländern an Regeln, wie das Tragen von Schutzmasken. Transparenz und das Erklären von Maßnahmen haben in Taiwan offenbar gefruchtet.

In Taiwan selbst gibt es zwar auch Kritik an der Regierung, allen voran von der oppositionellen Kuomintang. Sie monieren, dass in Taiwan zu wenig auf das Corona-Virus getestet wird. In der Tat hat Taiwan seit Beginn der Pandemie pro eine Million Einwohner etwa 3.500 Tests durchgeführt, in Deutschland waren es 30 Mal so viel. Taiwans Medien berichteten zudem von auffallend vielen Taiwanern, die, sobald sie ins Ausland reisten, positiv getestet wurden. Für Politiker der Kuomintang war das ein Hinweis, dass es auch in Taiwan einer sehr viel höhere Dunkelziffer an Infizierten gibt, die bloß keine Symptome gezeigt haben. Doch Fakt ist, dass es zu keinem Zeitpunkt zu einer Überlastung des Gesundheitssystems gekommen ist. Das verweist darauf, dass die Dunkelziffer zumindest nicht exorbitant hoch lag. 

Auch bei der Impfpolitik hagelt es Kritik von der Opposition. Aufgrund später Bestellungen von Impfstoffen konnte die Impfkampagne noch gar nicht beginnen. Zu Verzögerungen beigetragen hat auch, dass Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen sich weigerte, den begehrten Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech anzunehmen, wenn die Lieferungen über die Volksrepublik laufen. Stattdessen will Tsai den Impfstoff auf direktem Weg aus Deutschland beziehen. 

An der Regierung Tsai prallt diese Kritik der Opposition aber ab. Die Infektionszahlen sind so niedrig – Eile ist offenbar nicht geboten.

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Kampf um die Ananas: Taiwan kontert Chinas Importstopp

Ein chinesisches Importverbot hat eine Welle internationaler Solidarität für Ananas aus Taiwan ausgelöst. Große Bestellungen aus Japan und Australien sind in den vergangenen Tagen auf der Insel eingegangen, um den wirtschaftlichen Schaden für taiwanische Landwirte und die verarbeitende Industrie abzufedern. Inoffizielle diplomatische Vertreter aus den USA und Kanada warben über soziale Medien für den Verzehr der Südfrüchte aus dem Land, das Peking als untrennbaren Teil der Volksrepublik China betrachtet.

Ende Februar hatte der chinesische Zoll kurzfristig und offenbar ohne Ankündigung den Importstopp ab 1. März bekannt gegeben. Die Behörde begründete die Entscheidung damit, dass Schädlinge in den Früchten gefunden worden seien. In Taiwan werteten hochrangige Politiker die Maßnahme dagegen als “unakzeptable” und “unfaire Handelspraktik”, die politischen Druck auf die Regierung in Taipeh erzeugen solle.

Staatspräsidentin Tsai Ing-wen sprach von einer “Mitteilung wie ein Hinterhalt”, die “offensichtlich keine normale Handelsentscheidung” gewesen sei. Wirtschaftsminister Wang Mei-hua erkannte in dem unilateral getroffenen Verbot eine Verletzung internationaler Handelsregeln, weil die Menge der befallenen Früchte nach taiwanischen Angaben minimal gewesen sei. China ist der größte Abnehmer von Ananas aus Taiwan. Mehr als 90 Prozent aller taiwanischen Exporte gingen 2020 in die Volksrepublik.

#FreedomPineapple löst Welle der Solidarität aus

Taiwans Außenminister Joseph Wu rief die internationale Gemeinschaft über Twitter zur Unterstützung auf. Bei einem Online-Briefing der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), die sich aus mehr als 200 Parlamentariern aus 19 Ländern zusammensetzt und auch deutsche Mitglieder hat, initiierte Wu unter dem Hashtag #FreedomPineapple eine Solidaritätskampagne, um den Verkauf der Früchte im Ausland anzukurbeln. Dazu postierte Wu eine Ananas auf seinem Schreibtisch.

Der Hashtag war nicht zufällig gewählt, sondern folgte einer Aktion namens #FreedomWine, die Ende vergangenen Jahres ebenfalls bei einem IPAC-Treffen angeschoben worden war. Damals reagierten die Parlamentarier auf chinesische Importzölle auf australischen Wein in Höhe von rund 200 Prozent. Die Zölle wurden außerhalb Chinas als eine Abstrafung der australischen Regierung aufgenommen, nachdem Canberra unter anderem lautstark eine unabhängige Aufklärung der weltweiten Verbreitung des Coronavirus aus Wuhan gefordert hatte. Damals prosteten zahlreiche Politiker aus aller Welt in sozialen Medien mit einem Glas australischem Wein der Online-Gemeinschaft zu. Auch Taiwans Außenministerium beteiligte sich mit einem Tweet. Präsidenten Tsai betonte die Bereitschaft ihrer Regierung, Australien nach Kräften zu unterstützen.

Japan und Australien bestellen Tausende Tonnen zusätzlich

Jetzt folgte die Revanche. Australien verdoppelt seine Importquote kurzerhand auf 6.000 Tonnen Ananas aus Taiwan. Auch Japan steigerte kurzfristig seine Bestellungen auf ein Rekordhoch von 6.200 Tonnen und begründete dies mit der schnellen und unbürokratischen Hilfe Taiwans nach der Tsunami- und Atom-Katastrophe vor zehn Jahren in Fukushima. Vertreter des kanadischen Handelsbüros in Taiwan, die von der kanadischen Presse als de-facto-Diplomaten bezeichnet werden, schafften es mit einer Ananas-Pizza-Party auf die Titelseite des Wirtschaftsressorts der Tageszeitung National Post. Auf ihrer Facebook-Seite hatten die Repräsentanten ein entsprechendes Bild süffisant kommentiert: “Wir im kanadischen Büro mögen Ananas-Pizza, besonders Ananas aus Taiwan.” Auch Diplomaten des American Institute in Taiwan, dass als US-Repräsentanz auf der Insel gilt, ließen sich mit der Frucht ablichten.

Das Resultat der Ananas-Offensive ist bemerkenswert. Nicht nur, dass Japan und Australien ihre Importe erhöhten, auch Taiwans Bevölkerung sorgte für eine erhebliche Erleichterung bei den Bauern. Binnen vier Tagen nach Chinas Ankündigung waren bei taiwanischen Landwirten Vorbestellungen von 41.687 Tonnen von Unternehmen, Online-Plattformen oder Konsumenten eingegangen. Das waren einige Hundert Tonnen mehr Volumen als im vergangenen Jahr aus Taiwan nach China importiert wurden. In den sozialen Medien posten Nutzer seit Tagen Bilder von Ananas und dazu Vorschläge, wie man sie in die tägliche Ernährung schmackhaft einbauen kann, manchmal auch in Kombination mit australischem Wein. Auch ausländische YouTuber, die in Taiwan leben, luden zahlreiche Videos hoch, in denen sie häufig mit einer Prise Humor den Importstopp des großen Nachbarn verurteilen und auf die Schippe nehmen.

Was Peking noch weniger schmecken dürfte als Ananas aus Taiwan und Wein aus Australien ist die Tatsache, dass sich verschiedene Handelspartner grenzübergreifend nun bereits mehrfach miteinander verbunden und Gegenwehr organisiert haben. Allerdings dürften ähnliche Solidaritätsaktionen bei anderen Produkten, die nicht für den Verzehr bestimmt sind, weniger effektiv sein. China hat unter anderem die australischen Kohleförderer mit Importrestriktionen belegt. Zwar gibt es einen Hashtag #FreedomCoal in sozialen Medien. Das Echo darauf ist bislang jedoch sehr überschaubar.

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News

EVP legt China-Positionspapier vor

Die größte Fraktion im Europaparlament, die konservative EVP, hat ein umfassendes Positionspapier zu China verabschiedet. Darin fordert die politische Gruppe, zu der auch CDU und CSU gehören, “strikte Reziprozität” was Marktzugang und Möglichkeiten für europäische Unternehmen in China betrifft. Die EVP-Fraktion befürworte die Zusammenarbeit mit der Volksrepublik, heißt es in dem Papier. Gleichzeitig müsse die EU aber in der Lage sein, ihre Kerninteressen verteidigen zu können. Barrieren beim Marktzugang dürften nicht einseitig sein, notfalls müsse die Europäische Union reagieren: Entsprechende Maßnahmen sollten dann “die Beschränkungen widerspiegeln, denen europäische Unternehmen in China ausgesetzt sind.”

Würden europäische Firmen beispielsweise bei Ausschreibungen in China ausgeschlossen, dürften auch chinesische Unternehmen in Europa nicht zum Zuge kommen, sagte die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler China.Table. Das Positionspapier, das eine Reihe an politischen Empfehlungen in Richtung der EU-Kommission enthält, sei vor dem Hintergrund verschiedener Entwicklungen wie dem Abschluss des Investitionsabkommens CAI, Menschenrechtsverletzungen und Pekings Vorgehen in Hongkong entstanden, so Niebler. Auch der Praktik des erzwungenen Technologietransfers müsse ein Riegel vorgeschoben und ausländische Direktinvestitionen in allen EU-Mitgliedsstaaten effektiver geprüft werden.

Die Fraktion begrüße das CAI generell, wird in dem Papier festgehalten. Entscheidende Punkte im Nachhaltigkeitskapitel, dazu gehören unter anderem auch Arbeitnehmerrechte und die Umsetzung von Kernvorgaben der Internationalen Organisation für Arbeit, werde die Fraktion “sorgfältig prüfen”. “Wir werden auch die Menschenrechtssituation in China berücksichtigen, wenn wir gebeten werden, das Investitionsabkommen zu billigen”, hieß es in dem Papier. Das Europaparlament muss dem Abkommen noch zustimmen.

Die politische Gruppe erklärte zudem, den Beginn von Verhandlungen für ein Investitionsabkommen mit Taiwan zu unterstützen. Dazu solle die EU-Kommission eine Folgenabschätzung durchführen. Die Fraktion sprach sich dafür aus, dass Taiwan zu Treffen und Aktivitäten der Weltgesundheitsorganisation WHO eingeladen werden sollte.

Die EVP fordert außerdem ein EU-weites Regulierungssystem, um zu verhindern, dass Medienorganisationen von China finanziert werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten zudem Journalisten unterstützen, die “Chinas Zensur, Propaganda, Belästigung der Presse und Menschenrechtsverletzungen untersuchen”. ari

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China begrüßt Klagen gegen deutschen Forscher Zenz

Eine Reihe von Unternehmen und Privatpersonen in der Region Xinjiang wollen gerichtlich gegen den deutschen Staatsbürger und Ethnologen Adrian Zenz vorgehen. Die Kläger fordern von Zenz Entschuldigungen wegen Rufschädigung und finanzielle Entschädigungen, wie zuerst Tianshannet, ein lokales staatliches Nachrichtenportal aus Xinjiang berichtete. Um welche Unternehmen es sich dabei handelt, geht aus dem Bericht nicht hervor.

Zenz hatte zuletzt an einem Bericht mitgearbeitet, der zu dem Ergebnis kommt, dass etwa eine halbe Million Menschen aus den ethnischen Minderheiten in Xinjiang zur Zwangsarbeit auf Baumwollplantagen gezwungen würde. Er hatte die Studie im Dezember für das in Washington ansässige Center for Global Policy verfasst. Hochrangige chinesische Politiker bezichtigten ihn der Lüge.

Zhao Lijian, ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums begrüßte die Klage gegen Zenz. Zenz sagte, die Klage zeige, dass seine Forschungen Einfluss haben. Er glaube, dass die Klage nur symbolisch sei, so Zenz gegenüber Reuters.

Laut Experten sei die Klage gegen Zenz der erste bekannte Fall eines ausländischen Forschers, der in China mit einer Zivilklage wegen Menschenrechtsforschung konfrontiert wird. Sie komme zu einer Zeit, in der Peking immer häufiger mit aggressiver Propaganda gegen Anschuldigungen zu Menschenrechtsverletzungen aus dem Ausland reagiere. Die US-Regierung und das niederländische Parlament hatten Pekings Vorgehen in Xinjiang kürzlich als “Völkermord” eingestuft.

Am Dienstag erst hatte die US-Denkfabrik Newlines Institute for Strategy and Policy in Washington DC ein Bericht veröffentlicht und behauptet, dass die chinesische Regierung “die staatliche Verantwortung für einen andauernden Völkermord an den Uiguren trägt, der gegen die UN-Völkermordkonvention verstößt.”

Zenz ist Senior Fellow in China Studies bei der in Washington ansässigen Victims of Communism Memorial Foundation. niw

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US-Firmen: Verbessertes Investitionsklima

Laut einer Umfrage der amerikanischen Handelskammer in China berichtet die Hälfte der US-amerikanischen Firmen, dass sich die Investitionsbedingungen in China verbessert hätten. Nur zwölf Prozent der 345 befragten US-Unternehmen gaben an, die Bedingungen hätten sich verschlechtert. Das ist der niedrigste Wert seitdem diese Frage Teil der Erhebung ist (2012), so die South China Morning Post.

Trotz dieser positiven Bewertung wolle nur etwas mehr als jedes dritte Unternehmen seine Investitionen in China erhöhen. Ebenfalls ein Drittel aller befragten Unternehmen sagten, sie wollen ihre Investitionen kürzen oder stabil halten. Die Umfrage zeige, dass Unternehmen im Dienstleistungssektor ihre Investitionen am ehesten steigern werden. Investitionen im Technologiesektor werden der Umfrage zufolge auf einem ähnlichen Niveau verbleiben wie im Vorjahr.

Fast die Hälfte aller befragten Unternehmen gaben an, dass der “Handelskrieg“, den der damalige US-Präsident Trump 2018 anfing, sich nicht negativ auf ihre Tätigkeit in China auswirke. Nur zwei Prozent der Firmen gaben an, eine Rückverlagerung ihrer Produktion oder ihres Betriebs in die USA in Betracht zögen. nib

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Standpunkt

Kein Decoupling von China

Von Nils Schmid
Nils Schmid ist der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag

Der Corona-Impfstoff – die große Hoffnung in den kleinen Fläschchen – ist unsere wirkungsvollste Waffe bei der Bekämpfung der Pandemie. Die Verteilung des knappen Gutes ist folglich nicht nur in Deutschland ein Politikum, sondern weltweit. Die Fotos von Regierungsvertretern, die sich bei der Ankunft von Impfstoffen Made in China ablichten ließen, gingen deshalb in Windeseile um die Welt. Es sind Bilder, die die Geschichte vom vermeintlichen Erfolg der chinesischen Führung erzählen sollen, von einem China, das das Coronavirus im eigenen Land besiegte und nun der Welt Impfstoffe als “globales öffentliches Gut” (Xi Jinping) zur Verfügung stellen will, während der Westen noch daheim mit dem Virus zu kämpfen hat.

So unvollständig und verzerrend dieses Narrativ auch sein mag, so zeigt seine Wirkmächtigkeit doch erneut: China ist für uns nicht nur ein Partner und ökonomischer Wettbewerber, sondern auch ein systemischer Rivale. Gerade in den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass dies die Möglichkeiten der Kooperation und des fairen Wettbewerbs einschränkt.

Mehr Impf-Multilateralismus

Um die grenzenlosen Herausforderungen unserer Zeit – vom Klimawandel bis zu Pandemien – bewältigen zu können, müssen wir zusammenarbeiten, schon aus reinem Eigeninteresse. Die rasche Ausbreitung der Virusmutanten führt uns unsere wechselseitige Abhängigkeit vor Augen. Denn in unserer durchglobalisierten Welt ist niemand sicher, solange das Virus noch in einigen Weltregionen weiterwütet und die dadurch entstehenden Mutationen uns gefährden. Statt Impfnationalismus und bilateraler Impfdiplomatie brauchen wir deshalb mehr Impfmultilateralismus, denn nur so können wir eine rasche und gerechte Verteilung der Vakzine erreichen. Sowohl China als auch der Westen müssen deshalb die Unterstützung für das globale Impfprogramm Covax weiter ausbauen.

Zu einer Partnerschaft gehört auch ein ehrlicher Umgang mit Fehlern. Nur so können wir aus der Krise von heute die richtigen Lehren für die Pandemien von morgen ziehen. Zu Recht gab es Kritik an der Bundesregierung für den Export-Stopp von Atemmasken im Frühling 2020 wie auch aktuell an der Impfstoffbeschaffung der EU. Ebenso klar muss Kritik an den Schwächen des Corona-Managements in China möglich sein – vor allem an der unverantwortlichen Intransparenz rund um den Ausbruch in Wuhan. Erkenntnisse über den Virusausbruch müssen in unsere Überlegungen mit einfließen, wie wir die multilaterale Gesundheitsarchitektur resilienter gegenüber zukünftigen Krisen machen können. Dafür brauchen wir auch die Kooperation mit China, das nicht zum ersten Mal Ursprungsort einer Pandemie ist.

Beziehungen in Asien ausbauen

Die Covid-19-Pandemie und die Maßnahmen dagegen lösten einen dramatischen Einbruch der Weltwirtschaft aus und führten uns vor Augen, wie weit unsere Verflechtung mit China vorangeschritten ist. Aufgrund von asymmetrischen Abhängigkeiten in systemrelevanten Bereichen sind wir aber auch verwundbar, wie die Lieferengpässe bei medizinischen Gütern zu Beginn der Pandemie zeigten. Forderungen nach einem Decoupling von China werden wir allerdings weiterhin eine klare Absage erteilen, denn davon würde niemand profitieren, erst recht nicht unsere Exportwirtschaft. Vielmehr braucht es eine partielle Neuverkopplung, die einseitige Abhängigkeiten abbaut, indem wir etwa unsere Beziehungen in Asien weiter diversifizieren, wie in den Indopazifik-Richtlinien der Bundesregierung vorgesehen. Auch Interdependenzen sind nicht per se etwas Schlechtes, denn wechselseitige Abhängigkeiten fördern die Zusammenarbeit. Angesichts der ökonomischen Erfolge Chinas sollten wir aber gleiche Wettbewerbsbedingungen und strengere Reziprozität in unseren Handelsbeziehungen einfordern, gerade auch beim EU-China-Investitionsabkommen.

Die Corona-Krise wirkt wie ein Katalysator im Systemkonflikt mit China. Die chinesische Wirtschaft brummt schon wieder und wird – wie bereits nach der Wirtschaftskrise nach 2008 – zum Motor der weltweiten Erholung. Die Erfolge heizen die Debatte über Vor- und Nachteile des westlichen Systems eines demokratischen Rechtsstaats mit sozialer Marktwirtschaft gegenüber der chinesischen Überwachungs-Diktatur mit gelenkter Staatswirtschaft an. Der illusionslose Blick auf die Entwicklung Chinas zeigt zudem, dass sich in absehbarer Zeit die Hoffnungen auf eine politische Liberalisierung im Land und die Einbindung in eine liberale Weltordnung nicht erfüllen werden. Im Gegenteil: die chinesische Führung tritt immer repressiver nach innen und aggressiver nach außen auf, wie die massiven Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren in Xinjiang, der weitreichende Eingriff in die Autonomie Hongkongs und die militärischen Drohgebärden gegenüber Taiwan zeigen.

Europa braucht eine China-Politik

Für uns ist klar, dass wir nur gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern erfolgreich unsere Werte und Interessen gegenüber China verteidigen können. Wir müssen deshalb verhindern, dass China durch eine Bilateralisierung der Beziehungen einen Keil zwischen uns treibt. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame robuste China-Politik. Die feste Verankerung in der westlichen Sicherheits- und Wertegemeinschaft ist dabei unser Fundament für einen politischen Dialog mit Peking auf Augenhöhe. Deutschland und die EU sollten deshalb die Gelegenheit ergreifen, dass wir mit Joe Biden wieder einen überzeugten Demokraten an unserer Seite haben, und mit ihm unsere China-Politik eng abstimmen.

Demokratie-Stärkung statt China-Containment

Dank der Corona-Impfstoffe gibt es in der Krise Licht am Ende des Tunnels. Ein ähnlich wirkungsvolles Mittel fehlt uns leider bei der Eindämmung autokratischer Tendenzen in der Welt. Entscheidend ist aber auch hier die Resilienz unseres eigenen Systems – die Gesundheit unserer Demokratie. Statt China-Containment braucht es also zuvorderst Demokratie-Stärkung – zuhause und weltweit. Deshalb sollten wir den “Gipfel für Demokratie”, den Präsident Biden angekündigt hat, tatkräftig unterstützen – damit die Fackel der Demokratie bald wieder hell erleuchtet.

Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

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Dessert

Großer Spaß! In Hefei lernen Kinder einer Grundschule auf spielerische Weise Müll zu trennen.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Hafnium-Cyberangriff wird Staatsaffäre
    • Bildungsniveau gefährdet Wachstum in China
    • Taiwans erfolgreiches Pandemie-Management
    • Kampf um die Ananas: Taiwan kontert Chinas Importstopp
    • EVP legt Positionspapier zu China vor
    • China begrüßt Klage gegen deutschen Forscher Zenz
    • US-Firmen: Verbessertes Investitionsklima
    • Nils Schmid: Kein Decoupling von China
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    2021 ist das Jahr der Bundestagswahl. Wie hält es die SPD mit China? Nils Schmid, Obmann der SPD im Auswärtigen Ausschuss, legt heute im Standpunkt die chinapolitische Ausrichtung der Partei dar. Er diagnostiziert eine “wechselseitige Abhängigkeit”, die Kooperation erforderlich macht. Doch als Partner müsse man auch ehrlich über Fehler diskutieren und Kritik üben dürfen.

    Fast 40 Jahre hat Scott Rozelle Chinas Bildungssystem erforscht. 2008 erhielt der Entwicklungsökonom den Freundschaftspreis der Volksrepublik – die höchste Auszeichnung des Landes für ausländische Experten. In seinem neuen Buch “Invisible China” zeigt Rozelle: Das geringe Bildungsniveau im Land könnte China in ein paar Jahren auf die Füße fallen. Das Bildungssystem bereitet die Menschen nicht darauf vor, in einer hoch entwickelten Wirtschaft bestehen zu können. Vor allem im ländlichen Raum mangelt es an guten Schulen. Und zu viele Kinder leiden an Gesundheitsproblemen, die ihren Bildungsweg zusätzlich einschränken.

    Ob und welche Lehren Deutschland aus der Pandemiebekämpfung anderer Länder ziehen kann, wird heiß debattiert. Felix Lee hat das in weiten Teilen vorbildliche Vorgehen der taiwanischen Regierung untersucht. Sein Fazit: Ein guter Mix aus Quarantäne-Bestimmungen, einem ausgeklügelten Kontakt-Nachverfolgungssystem, der frühen Bereitschaft zum Maskentragen und einem gut ausgestatteten Gesundheitssystem hat Taiwan vor einer großen Infektionswelle bewahrt.

    Über Handelsboykotte versucht Peking seine Nachbarn politisch unter Druck zu setzen. Nach australischem Wein trifft es nun Ananas aus Taiwan. Marcel Grzanna analysiert die Folgen dieser Boykotte und zeigt, wie sich die Inselrepublik zur Wehr setzt.

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Presseschau

    U.S and China Engage, Tentatively, on Climate Change WSJ
    By the Numbers: China Lays Out Ambitious Five-Year Targets BLOOMBERG
    China Backs Lawsuits Suing German Researcher Zenz for Xinjiang ABuse Claims BLOOMBERG
    Microsoft attack blamed on China goes global, with 60,000 victims SEATTLE TIMES
    When Stocks Crash, China Turns to Its ‘National Team’ WASHINGTON POST
    China breaching every act in genocide convention, says legal report on Uighurs THE GUARDIAN
    Biden inaction allows Trump’s ‘decoupling’ to continue GLOBAL TIMES
    China summons British ambassador over her ‘inappropriate’ article SCMP
    ‘Uncomfortable signal to China’: Japan’s Suga raises Hong Kong, South China Sea, Xinjiang in phone call with India’s Modi SCMP
    Chinas 5-Jahres-Plan setzt auf Quantencomputer und Raumfahrt HEISE
    Hackerangriff auf Microsoft: Bricht bald der Cyberkrieg los? FAZ
    Geplante Kooperation: Russland und China wollen Mondstation aufbauen SPIEGEL
    Corona-Pandemie: China stellt digitalen Reise-Impfpass vor TAGESSCHAU
    China sieht “latentes Sicherheitsrisiko” durch deutsches Kinderbuch WELT PAY
    Systemrivalität mit China: EU-Kommissionsvizin Vestager will Tech-Allianz mit den USA handelsblatt.com PAY

    Analyse

    Hafnium-Cyberangriff wird Staatsaffäre

    In einem Punkt äußerte sich Microsoft ganz eindeutig: “Die Gruppe hat unseren Erkenntnissen nach Verbindungen zu staatlichen Akteuren und arbeitet von China aus.” Auch am Montag und Dienstag nutzen die Angreifer weiterhin Sicherheitslücken in Zehntausenden von Servern, auf denen die Software des Unternehmens läuft – auch in Deutschland. Microsoft nennt die Gruppe “Hafnium”, doch das ist nur ein Codename der Ermittler, nicht die Selbstbezeichnung der Hacker.

    Der Angriff eskaliert nun zur Staatsaffäre, denn die Regierung Biden nimmt ihn persönlich. Schließlich arbeiten US-Behörden ebenfalls mit Exchange. Die Sprecherin des Präsidenten nannte die Aktivitäten eine “aktive Bedrohung”, kündigte den Einsatz von Sonderermittlern an und wies darauf hin, dass der Geheimdienst CIA eingeschaltet ist. Die USA berufen sich in solchen Fällen regelmäßig auf eine Vereinbarung des damaligen Präsidenten Barack Obama mit Xi Jinping. Beide Länder haben 2015 einen digitalen Waffenstillstand vereinbart. Umso größer ist der Ärger über fortgesetzte Angriffe.

    Microsoft und das US-Heimatschutzministerium lieferten allerdings keine direkten Belege dafür, dass hinter den Angriffen tatsächlich der chinesische Staat steht. Tatsächlich haben mehrere Hacker-Gruppen aus verschiedenen Ländern versucht, die Sicherheitslücke auszunutzen, die schon vor Monaten aufgefallen war. Der freie Journalist Brian Krebs, der zuerst über den Fall berichtet hat, spricht eindeutig von “aggressiven chinesischen Gruppen”, lässt aber offen, ob dahinter staatliche Dienste stehen.

    Deutsche Behörden warnen per Post

    Eine Sicherheitslücke, die Hackern den Zugriff auf Exchange-Server ermöglicht – für Behörden, Banken und Unternehmen mit Fokus auf geistigem Eigentum ist das ein Albtraum, aber auch für Privatleute kann das gefährlich werden. Wer Zugriff auf die E-Mail hat, besitzt den Schlüssel zur ganzen Organisation. Damit lassen sich auch tiefergehende Angriffe vorbereiten. Schließlich liegen vertrauliche Infos aus der E-Mail ebenso offen wie die Beziehungen der Mitarbeiter untereinander. Es war nie einfacher, eine Mail vom Chef zu fälschen.

    Die deutschen Behörden schicken ihre Warnungen vor der Bedrohung daher auf dem Postweg. Sie rechnen damit, dass Angreifer, die den Exchange-Server einer Organisation gekapert haben, entsprechende Infos nicht mehr durchlassen. Microsoft hat die Lücke zwar theoretisch per Update geschlossen. Doch wenn die Administratorinnen und Administratoren nicht die aktuellste Version aufgespielt haben, nützt das nichts. Die Hacker können die Mails des Unternehmens mitlesen.

    China gehört zu den häufigsten Ursprungsländern für Angriffe auf die IT von Unternehmen und Behörden. In vielen Fällen stecken Einzelpersonen oder unabhängige Gruppen dahinter. In anderen Fällen deutet viel darauf hin, dass Regierungsstellen hinter den Angriffen stecken. Auch die EU-Arzneibehörde EMA war betroffen: Die Angreifer interessierten sich vor allem für Daten rund um Corona-Impfstoffe. Und auch Großkonzerne wie VW und Siemens sind immer wieder betroffen. Das Problem ist zudem nicht neu – und wird den westlichen Akteuren noch länger erhalten bleiben.

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    Bildungsniveau gefährdet Wachstum in China

    Der ehemalige Industrieminister Chinas Miao Wei wies kürzlich darauf hin, dass der Mangel an Talenten im Innovations- und High-Tech-Bereich die Entwicklung des Industriesektors erheblich behindert. Das mag stimmen, ist aber nur Teil eines viel größeren Problems. Der Fokus auf den High-Tech-Sektor versperrt den Blick auf eine viel größere Herausforderung: Chinas “Humankapital” ist nicht ausreichend, um zu einem Land mit hohen Einkommen zu werden – so jedenfalls die Analyse des Entwicklungsökonomen Scott Rozelle, der fast 40 Jahre in China geforscht hat.

    Der Professor der Stanford Universität schreibt in seinem Buch “Invisible China: How the Urban-Rural Divide Threatens China’s Rise”, China brauche zwar auch hoch ausgebildete Ingenieure, IT-Experten und KI-Forscher. Doch neben diesen Top-Talenten sei eine breite Bevölkerungsschicht, die “komplexe, nicht routinemäßige Aufgaben” erledigen könne mindestens genauso wichtig.

    Chinas Aufstieg erfordert bessere Ausbildung

    Laut Rozelles Analysen sei Chinas Bildungsniveau zu gering. Nur 30 Prozent der Chinesen verfügten über eine höhere Schulbildung (entsprechend der US-Highschool), 12,5 Prozent über einen Universitätsabschluss. Von allen Ländern mit mittlerem Einkommen verfüge China über das geringste Bildungsniveau und liege unter dem anderer Länder wie Südafrika, Thailand oder Mexiko. Die Erfahrungen derjenigen Länder, die sich zu Hocheinkommensländern entwickelt haben, zeigen laut Rozelle: In all diesen Ländern hatten mehr als 50 Prozent der Bevölkerung einen höheren Bildungsabschluss. Mit Chinas derzeitiger Quote von 30 Prozent der Bevölkerung mit höherer Schulbildung “könnte das Land in großen Schwierigkeiten stecken”, schreibt Rozelle.

    In den letzten Dekaden basierte das chinesische Wachstum vor allem auf ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern, deren geringe Löhne ein massiver Wettbewerbsvorteil war. Sie brauchten keine anspruchsvolle Ausbildung, um auf den riesigen Baustellen, in den Fabriken oder den Minen Chinas zu arbeiten. Und immer, wenn die Löhne zu steigen drohten, kamen Millionen Arbeiter aus dem ländlichen Raum in die Städte – das Arbeitskräftepotenzial schien endlos.

    Doch Chinas Arbeiterschaft erreichte 2010 ihren Höchststand. Schon seit 2005 steigt die Lohnrate auch ungelernter Arbeiter um circa zehn Prozent jährlich. Die steigenden Löhne führen dazu, dass jährlich zehntausende Fabriken schließen und jeden Monat zehntausende Arbeiter ihren Job verlieren, so Rozelle.

    Fachkräftemangel

    Das Problem dabei: Die große Mehrheit dieser Arbeiter sei nicht nur zu schlecht ausgebildet, um in den innovativen High-Tech-Branchen Arbeit zu finden. Es mangelt ihnen laut Rozelle auch an den Basisfähigkeiten, um zu Spezialisten im Dienstleistungssektor, Technikern in einer Chipfabrik zu werden oder Bürotätigkeiten zu übernehmen – Tätigkeiten, die in einem Land mit hohem Einkommen wichtig sind. Der Ökonom nennt dabei das Beispiel einer Smartphone-Fabrik: Es brauche 12 bis 15 Minuten, um die Arbeitsschritte zur Herstellung von Smartphones zu lernen, um aber zu Mechanikern, Buchhaltern oder Elektrikern zu werden, bedarf es viel mehr Fähigkeiten – beispielsweise kritisches Denken, mathematische Fähigkeiten sowie Computer- und Sprachkenntnisse. Zur Vermittlung dieser Fähigkeiten brauche es keinen Universitätsabschluss. Vielmehr sei der bildungspolitische “Mittelbau”, die weiterführenden Schulen entscheidend.

    Bei der Vermittlung dieser Fähigkeiten habe das chinesische Bildungssystem bisher versagt, so Rozelle. Auch um sich kurzfristig anzupassen, sei die bisherige Arbeiterschaft zu schlecht ausgebildet. 200 bis 300 Millionen Menschen könnten in Zukunft strukturell “nicht beschäftigungsfähig” sein, so seine Schätzungen. Ihnen bliebe einzig der informelle Sektor als Einkommensmöglichkeit.

    Die Folgen des großen Stadt-Land-Gefälles

    Den Ursprung des geringen Bildungsniveaus hat Rozelle im ländlichen Raum Chinas verortet. In den letzten 40 Jahren haben der Stanford-Ökonom und seine unterschiedlichen Forschungsteams tausende Schulen im ländlichen China besucht und Millionen Schülerinnen und Schüler während der Feldforschung befragt. Das Ergebnis: Die urbane Arbeiterschaft sei viel besser ausgebildet als die ländliche. Das könnte in Zukunft zu einem massiven Problem werden, da heute mehr als 70 Prozent aller Kinder in China einen ländlichen Hukou-Status (Haushaltsregistrierungssystem) haben.

    Chinas künftige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leben also zum Großteil auf dem Land, “wo die Bildungsergebnisse immer noch weit hinter denen in der Stadt hinterherhinken”, so Rozelle. Seinen Forschungen zufolge verlassen vier Millionen Kinder im ländlichen Jahr pro Jahr das Bildungswesen ohne Abschluss einer weiterführenden Schule. Kinder mit ländlichem Hukou-Status, die mit ihren Wanderarbeiter-Eltern in den Städten wohnen, sind vom besseren urbanen Bildungswesen größtenteils ausgeschlossen.

    Zwar hat China seit 2002 auch massiv in berufsbildende Schulen investiert und ländliche Schüler nehmen das Angebot sehr stark an. Doch Rozelle und seine Forschungsteams haben massive Mängel bei diesen Schulen gefunden. In einigen Regionen würden bis zu 20 Prozent der Schulen nur auf dem Papier existieren, um staatliche Beihilfen zu kassieren.

    Feldforschung in hunderten berufsbildenden Schulen zeigt: Die Schüler lernen kaum die für höhere Arbeitsstellen notwendigen Fähigkeiten. Ein Beispiel: 91 Prozent der Schüler haben im Laufe eines Jahres Mathematikunterricht keine Verbesserungen vorweisen können. Und auch die begleitenden Praktika in Unternehmen hätten in der Regel kaum brauchbare Lernerfahrungen zur Folge – viele Schüler würden ihre Praktika schlicht in Fabriken am Förderband oder in Aushilfsjobs absolvieren. Im Durchschnitt verlässt jeder Dritte Schüler das System der berufsbildenden Schulen vorzeitig.

    Gesundheitsprobleme schränken Lernfähigkeit ein

    Doch die Bildungsmisere im ländlichen Raum beginnt laut Rozelle häufig schon in viel jüngeren Jahren. Untersuchungen in Zentral- und Westchina zeigten, dass 25-30 Prozent der Grundschüler an Eisenmangel litten. 30 Prozent der ländlichen Schüler hätten Sehprobleme, aber keine Brillen. Und in den Provinzen Sichuan, Fujian, Hunan, Guizhou und Yunnan wiesen 40 Prozent der Schüler parasitäre Darmwürmer auf. Alle diese Gesundheitsprobleme schränken die Lern- und Konzentrationsfähigkeit ein, so Rozelle. Ländliche Grundschüler lägen in Mathematik in der vierten Klasse bereits mehr als zwei Klassenstufen hinter gleichaltrigen städtischen Kindern, hat eine Studie für Zentralchina herausgefunden.

    Zu spätes Gegensteuern

    Rozelle, der 2008 mit dem Freundschaftspreis der Volksrepublik China, der höchsten Auszeichnung für ausländische Experten, geehrt wurde, lobt Chinas Bemühungen der letzten Jahre. 2006 wurde eine Schulpflicht für die ersten neun Schuljahre eingeführt und das Schulgeld wurde gestrichen. 2015 verließen schon 80 Prozent aller Schüler die Schule mit einem weiterführenden Abschluss. Und zwischen den späten 1990er Jahren und 2005 vervierfachte sich die Anzahl chinesischer Universitäten. Doch selbst diese Anstrengungen könnten zu wenig sein, warnt Rozelle.

    Denn in den 1970er, 80er und 90er Jahren investierte Peking viel zu wenig in das Bildungssystem. 65 Prozent der heutigen Arbeiterschaft sind unter dem schlechten Bildungssystem der Ära Mao und Deng zur Schule gegangen. Laut Rozelle dauere es etwa 45 Jahre, um die Bildung und Ausbildung der gesamten Arbeiterschaft eines Landes auf ein Level zu heben, dass für ein Hocheinkommensland nötig ist. China habe damit zu spät gestartet und sei einfach zu schnell gewachsen.

    Und so könnte es durchaus zutreffen, dass China noch 30 oder mehr Jahre warten muss, bis es zu einer “industriellen Großmacht” wird, wie auch der ehemalige Industrieminister Miao Wei – allerdings mit anderem Fokus – kürzlich prognostizierte, denn die Bildungsmängel werden sich so schnell nicht beheben lassen.

    Scott Rozelle, mit Natalie Hell, Invisible China: How the Urban-Rural Divide Threatens China’s Rise, University of Chicago Press, 6. Oktober 2020, 231 Seiten, 27,20 Euro

    • Bildung
    • Gesellschaft

    Taiwans erfolgreiches Pandemie-Management

    Deutschland und die meisten Länder Europas kämpfen trotz Hunderttausender Impfungen am Tag weiter mit der Pandemie. Taiwan hat mit seiner Impfkampagne noch nicht einmal begonnen. Abgesehen von einer Maskenpflicht läuft das Leben in dem Inselstaat dennoch weitgehend normal. Geschäfte und Restaurants sind ohne Einschränkungen geöffnet, die berühmten Nachtmärkte der Hauptstadt Taipeh sind voll. Auch Großveranstaltungen können stattfinden. Lockdowns hat es in Taiwan seit Beginn der Pandemie nicht einmal gegeben.

    Kaum ein anderes Land hat es geschafft, die Zahlen über das gesamte Pandemiejahr hinweg so niedrig zu halten wie der Inselstaat im Ostchinesischen Meer. Seit Ausbruch der Corona-Krise vor über einem Jahr hat es in Deutschland über 2,5 Millionen Infektionsfälle gegeben, die Zahl der Todesfälle liegt aktuell bei über 72.000. Taiwan mit seinen 23 Millionen Einwohnern hingegen zählt seit Beginn der Pandemie offiziell nur 942 Infizierte, lediglich neun von ihnen starben mit oder an Covid-19. Während Deutschland etwa 26.000 Fälle pro eine Million Einwohner zählt, sind es in Taiwan 38.  “Taiwans hervorragende Bilanz in der Pandemiebekämpfung ist zu einem gefragten Modell für Diskussionen weltweit geworden”, stellt die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in ihrem aktuellen Länderbericht fest

    In dem Bericht wird vor allem die “stringente Nachverfolgung von Infektionsketten” gelobt. Neben einer “effektiven Koordination zwischen verschiedenen Behörden auf nationaler und lokaler Ebene” habe Taiwan vor allem auf eine ausgeklügelte Datenpolitik zurückgreifen können, schreibt David Merkle, Autor des Berichts. Lediglich der internationale Flugverkehr blieb zeitweise eingeschränkt. Selbst Restaurants, Cafés und Fitnessstudios mussten nicht einen Tag schließen. 

    Dem Land gelang es dadurch, die Krise auch wirtschaftlich relativ unbeschadet zu überstehen. Für das Gesamtjahr 2020 verzeichnete Taiwan ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent, erstmals seit mehr als 30 Jahren mehr als die Volksrepublik. In den meisten westlichen Staaten hingegen schrumpften die Volkswirtschaften. 

    Vorbild für andere Demokratien

    Die Bevölkerung habe eine hohe Bereitschaft gezeigt, bei Einreise, im Corona-Verdachtsfall und während der Quarantäne den Schutz persönlicher Daten zugunsten gesellschaftlicher Sicherheit hintenan zu stellen, schreibt Merkle. Das sei eine wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche Pandemie-Management gewesen. Zugleich sei die taiwanische Regierung bei allen Schritten äußerst transparent vorgegangen und habe die Bevölkerung über die Maßnahmen gut informiert. Die Pandemiebekämpfung Made in Taiwan taugt ihm zufolge daher als “Vorbild für demokratische Gesellschaften weltweit”

    Asien-Kenner kritisieren schon seit geraumer Zeit, dass in Deutschland beim Pandemie-Management zu wenig auf die Länder Ostasiens geschaut wird. Und wenn, dann werde meist auf die Volksrepublik China verwiesen – als abschreckendes Beispiel. Der autoritären Führung in Peking ist es zwar ebenfalls gelungen, die Pandemie rasch unter Kontrolle zu bringen. Der Preis dafür jedoch waren massive Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte. Die Menschen in der Zehnmillionen-Metropole Wuhan etwa durften über Wochen nicht einmal ihre Wohnung verlassen. Bei Zuwiderhandlungen drohten ihnen harte Strafen. Bis hin zur Anwendung von körperlicher Gewalt kam es zuweilen. Als Vorbild für freie Gesellschaften taugt China daher nicht. 

    Testet Taiwan zu wenig?

    Taiwan hingegen habe zwar ebenfalls rasch gehandelt, heißt es in dem Länderbericht der KAS. Doch weniger streng. Neben dem Mix aus Quarantäne-Bestimmungen und einem gut ausgestatteten Gesundheitssystem sei es dem nationalen Seuchenkontrollzentrum (Central Epidemic Command Center) gelungen Massenausbrüche zu verhindern. Auch die Kommunikation hat gestimmt. Jeden Tag um 14 Uhr informiert die Seuchenbekämpfungsbehörde CDC über die Pandemie, und meist tut das der Gesundheitsminister Chen Shih-chung persönlich. Die Menschen hielten sich sehr viel konsequenter als in anderen Ländern an Regeln, wie das Tragen von Schutzmasken. Transparenz und das Erklären von Maßnahmen haben in Taiwan offenbar gefruchtet.

    In Taiwan selbst gibt es zwar auch Kritik an der Regierung, allen voran von der oppositionellen Kuomintang. Sie monieren, dass in Taiwan zu wenig auf das Corona-Virus getestet wird. In der Tat hat Taiwan seit Beginn der Pandemie pro eine Million Einwohner etwa 3.500 Tests durchgeführt, in Deutschland waren es 30 Mal so viel. Taiwans Medien berichteten zudem von auffallend vielen Taiwanern, die, sobald sie ins Ausland reisten, positiv getestet wurden. Für Politiker der Kuomintang war das ein Hinweis, dass es auch in Taiwan einer sehr viel höhere Dunkelziffer an Infizierten gibt, die bloß keine Symptome gezeigt haben. Doch Fakt ist, dass es zu keinem Zeitpunkt zu einer Überlastung des Gesundheitssystems gekommen ist. Das verweist darauf, dass die Dunkelziffer zumindest nicht exorbitant hoch lag. 

    Auch bei der Impfpolitik hagelt es Kritik von der Opposition. Aufgrund später Bestellungen von Impfstoffen konnte die Impfkampagne noch gar nicht beginnen. Zu Verzögerungen beigetragen hat auch, dass Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen sich weigerte, den begehrten Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech anzunehmen, wenn die Lieferungen über die Volksrepublik laufen. Stattdessen will Tsai den Impfstoff auf direktem Weg aus Deutschland beziehen. 

    An der Regierung Tsai prallt diese Kritik der Opposition aber ab. Die Infektionszahlen sind so niedrig – Eile ist offenbar nicht geboten.

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    • Taiwan

    Kampf um die Ananas: Taiwan kontert Chinas Importstopp

    Ein chinesisches Importverbot hat eine Welle internationaler Solidarität für Ananas aus Taiwan ausgelöst. Große Bestellungen aus Japan und Australien sind in den vergangenen Tagen auf der Insel eingegangen, um den wirtschaftlichen Schaden für taiwanische Landwirte und die verarbeitende Industrie abzufedern. Inoffizielle diplomatische Vertreter aus den USA und Kanada warben über soziale Medien für den Verzehr der Südfrüchte aus dem Land, das Peking als untrennbaren Teil der Volksrepublik China betrachtet.

    Ende Februar hatte der chinesische Zoll kurzfristig und offenbar ohne Ankündigung den Importstopp ab 1. März bekannt gegeben. Die Behörde begründete die Entscheidung damit, dass Schädlinge in den Früchten gefunden worden seien. In Taiwan werteten hochrangige Politiker die Maßnahme dagegen als “unakzeptable” und “unfaire Handelspraktik”, die politischen Druck auf die Regierung in Taipeh erzeugen solle.

    Staatspräsidentin Tsai Ing-wen sprach von einer “Mitteilung wie ein Hinterhalt”, die “offensichtlich keine normale Handelsentscheidung” gewesen sei. Wirtschaftsminister Wang Mei-hua erkannte in dem unilateral getroffenen Verbot eine Verletzung internationaler Handelsregeln, weil die Menge der befallenen Früchte nach taiwanischen Angaben minimal gewesen sei. China ist der größte Abnehmer von Ananas aus Taiwan. Mehr als 90 Prozent aller taiwanischen Exporte gingen 2020 in die Volksrepublik.

    #FreedomPineapple löst Welle der Solidarität aus

    Taiwans Außenminister Joseph Wu rief die internationale Gemeinschaft über Twitter zur Unterstützung auf. Bei einem Online-Briefing der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), die sich aus mehr als 200 Parlamentariern aus 19 Ländern zusammensetzt und auch deutsche Mitglieder hat, initiierte Wu unter dem Hashtag #FreedomPineapple eine Solidaritätskampagne, um den Verkauf der Früchte im Ausland anzukurbeln. Dazu postierte Wu eine Ananas auf seinem Schreibtisch.

    Der Hashtag war nicht zufällig gewählt, sondern folgte einer Aktion namens #FreedomWine, die Ende vergangenen Jahres ebenfalls bei einem IPAC-Treffen angeschoben worden war. Damals reagierten die Parlamentarier auf chinesische Importzölle auf australischen Wein in Höhe von rund 200 Prozent. Die Zölle wurden außerhalb Chinas als eine Abstrafung der australischen Regierung aufgenommen, nachdem Canberra unter anderem lautstark eine unabhängige Aufklärung der weltweiten Verbreitung des Coronavirus aus Wuhan gefordert hatte. Damals prosteten zahlreiche Politiker aus aller Welt in sozialen Medien mit einem Glas australischem Wein der Online-Gemeinschaft zu. Auch Taiwans Außenministerium beteiligte sich mit einem Tweet. Präsidenten Tsai betonte die Bereitschaft ihrer Regierung, Australien nach Kräften zu unterstützen.

    Japan und Australien bestellen Tausende Tonnen zusätzlich

    Jetzt folgte die Revanche. Australien verdoppelt seine Importquote kurzerhand auf 6.000 Tonnen Ananas aus Taiwan. Auch Japan steigerte kurzfristig seine Bestellungen auf ein Rekordhoch von 6.200 Tonnen und begründete dies mit der schnellen und unbürokratischen Hilfe Taiwans nach der Tsunami- und Atom-Katastrophe vor zehn Jahren in Fukushima. Vertreter des kanadischen Handelsbüros in Taiwan, die von der kanadischen Presse als de-facto-Diplomaten bezeichnet werden, schafften es mit einer Ananas-Pizza-Party auf die Titelseite des Wirtschaftsressorts der Tageszeitung National Post. Auf ihrer Facebook-Seite hatten die Repräsentanten ein entsprechendes Bild süffisant kommentiert: “Wir im kanadischen Büro mögen Ananas-Pizza, besonders Ananas aus Taiwan.” Auch Diplomaten des American Institute in Taiwan, dass als US-Repräsentanz auf der Insel gilt, ließen sich mit der Frucht ablichten.

    Das Resultat der Ananas-Offensive ist bemerkenswert. Nicht nur, dass Japan und Australien ihre Importe erhöhten, auch Taiwans Bevölkerung sorgte für eine erhebliche Erleichterung bei den Bauern. Binnen vier Tagen nach Chinas Ankündigung waren bei taiwanischen Landwirten Vorbestellungen von 41.687 Tonnen von Unternehmen, Online-Plattformen oder Konsumenten eingegangen. Das waren einige Hundert Tonnen mehr Volumen als im vergangenen Jahr aus Taiwan nach China importiert wurden. In den sozialen Medien posten Nutzer seit Tagen Bilder von Ananas und dazu Vorschläge, wie man sie in die tägliche Ernährung schmackhaft einbauen kann, manchmal auch in Kombination mit australischem Wein. Auch ausländische YouTuber, die in Taiwan leben, luden zahlreiche Videos hoch, in denen sie häufig mit einer Prise Humor den Importstopp des großen Nachbarn verurteilen und auf die Schippe nehmen.

    Was Peking noch weniger schmecken dürfte als Ananas aus Taiwan und Wein aus Australien ist die Tatsache, dass sich verschiedene Handelspartner grenzübergreifend nun bereits mehrfach miteinander verbunden und Gegenwehr organisiert haben. Allerdings dürften ähnliche Solidaritätsaktionen bei anderen Produkten, die nicht für den Verzehr bestimmt sind, weniger effektiv sein. China hat unter anderem die australischen Kohleförderer mit Importrestriktionen belegt. Zwar gibt es einen Hashtag #FreedomCoal in sozialen Medien. Das Echo darauf ist bislang jedoch sehr überschaubar.

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    EVP legt China-Positionspapier vor

    Die größte Fraktion im Europaparlament, die konservative EVP, hat ein umfassendes Positionspapier zu China verabschiedet. Darin fordert die politische Gruppe, zu der auch CDU und CSU gehören, “strikte Reziprozität” was Marktzugang und Möglichkeiten für europäische Unternehmen in China betrifft. Die EVP-Fraktion befürworte die Zusammenarbeit mit der Volksrepublik, heißt es in dem Papier. Gleichzeitig müsse die EU aber in der Lage sein, ihre Kerninteressen verteidigen zu können. Barrieren beim Marktzugang dürften nicht einseitig sein, notfalls müsse die Europäische Union reagieren: Entsprechende Maßnahmen sollten dann “die Beschränkungen widerspiegeln, denen europäische Unternehmen in China ausgesetzt sind.”

    Würden europäische Firmen beispielsweise bei Ausschreibungen in China ausgeschlossen, dürften auch chinesische Unternehmen in Europa nicht zum Zuge kommen, sagte die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler China.Table. Das Positionspapier, das eine Reihe an politischen Empfehlungen in Richtung der EU-Kommission enthält, sei vor dem Hintergrund verschiedener Entwicklungen wie dem Abschluss des Investitionsabkommens CAI, Menschenrechtsverletzungen und Pekings Vorgehen in Hongkong entstanden, so Niebler. Auch der Praktik des erzwungenen Technologietransfers müsse ein Riegel vorgeschoben und ausländische Direktinvestitionen in allen EU-Mitgliedsstaaten effektiver geprüft werden.

    Die Fraktion begrüße das CAI generell, wird in dem Papier festgehalten. Entscheidende Punkte im Nachhaltigkeitskapitel, dazu gehören unter anderem auch Arbeitnehmerrechte und die Umsetzung von Kernvorgaben der Internationalen Organisation für Arbeit, werde die Fraktion “sorgfältig prüfen”. “Wir werden auch die Menschenrechtssituation in China berücksichtigen, wenn wir gebeten werden, das Investitionsabkommen zu billigen”, hieß es in dem Papier. Das Europaparlament muss dem Abkommen noch zustimmen.

    Die politische Gruppe erklärte zudem, den Beginn von Verhandlungen für ein Investitionsabkommen mit Taiwan zu unterstützen. Dazu solle die EU-Kommission eine Folgenabschätzung durchführen. Die Fraktion sprach sich dafür aus, dass Taiwan zu Treffen und Aktivitäten der Weltgesundheitsorganisation WHO eingeladen werden sollte.

    Die EVP fordert außerdem ein EU-weites Regulierungssystem, um zu verhindern, dass Medienorganisationen von China finanziert werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten zudem Journalisten unterstützen, die “Chinas Zensur, Propaganda, Belästigung der Presse und Menschenrechtsverletzungen untersuchen”. ari

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    China begrüßt Klagen gegen deutschen Forscher Zenz

    Eine Reihe von Unternehmen und Privatpersonen in der Region Xinjiang wollen gerichtlich gegen den deutschen Staatsbürger und Ethnologen Adrian Zenz vorgehen. Die Kläger fordern von Zenz Entschuldigungen wegen Rufschädigung und finanzielle Entschädigungen, wie zuerst Tianshannet, ein lokales staatliches Nachrichtenportal aus Xinjiang berichtete. Um welche Unternehmen es sich dabei handelt, geht aus dem Bericht nicht hervor.

    Zenz hatte zuletzt an einem Bericht mitgearbeitet, der zu dem Ergebnis kommt, dass etwa eine halbe Million Menschen aus den ethnischen Minderheiten in Xinjiang zur Zwangsarbeit auf Baumwollplantagen gezwungen würde. Er hatte die Studie im Dezember für das in Washington ansässige Center for Global Policy verfasst. Hochrangige chinesische Politiker bezichtigten ihn der Lüge.

    Zhao Lijian, ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums begrüßte die Klage gegen Zenz. Zenz sagte, die Klage zeige, dass seine Forschungen Einfluss haben. Er glaube, dass die Klage nur symbolisch sei, so Zenz gegenüber Reuters.

    Laut Experten sei die Klage gegen Zenz der erste bekannte Fall eines ausländischen Forschers, der in China mit einer Zivilklage wegen Menschenrechtsforschung konfrontiert wird. Sie komme zu einer Zeit, in der Peking immer häufiger mit aggressiver Propaganda gegen Anschuldigungen zu Menschenrechtsverletzungen aus dem Ausland reagiere. Die US-Regierung und das niederländische Parlament hatten Pekings Vorgehen in Xinjiang kürzlich als “Völkermord” eingestuft.

    Am Dienstag erst hatte die US-Denkfabrik Newlines Institute for Strategy and Policy in Washington DC ein Bericht veröffentlicht und behauptet, dass die chinesische Regierung “die staatliche Verantwortung für einen andauernden Völkermord an den Uiguren trägt, der gegen die UN-Völkermordkonvention verstößt.”

    Zenz ist Senior Fellow in China Studies bei der in Washington ansässigen Victims of Communism Memorial Foundation. niw

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    US-Firmen: Verbessertes Investitionsklima

    Laut einer Umfrage der amerikanischen Handelskammer in China berichtet die Hälfte der US-amerikanischen Firmen, dass sich die Investitionsbedingungen in China verbessert hätten. Nur zwölf Prozent der 345 befragten US-Unternehmen gaben an, die Bedingungen hätten sich verschlechtert. Das ist der niedrigste Wert seitdem diese Frage Teil der Erhebung ist (2012), so die South China Morning Post.

    Trotz dieser positiven Bewertung wolle nur etwas mehr als jedes dritte Unternehmen seine Investitionen in China erhöhen. Ebenfalls ein Drittel aller befragten Unternehmen sagten, sie wollen ihre Investitionen kürzen oder stabil halten. Die Umfrage zeige, dass Unternehmen im Dienstleistungssektor ihre Investitionen am ehesten steigern werden. Investitionen im Technologiesektor werden der Umfrage zufolge auf einem ähnlichen Niveau verbleiben wie im Vorjahr.

    Fast die Hälfte aller befragten Unternehmen gaben an, dass der “Handelskrieg“, den der damalige US-Präsident Trump 2018 anfing, sich nicht negativ auf ihre Tätigkeit in China auswirke. Nur zwei Prozent der Firmen gaben an, eine Rückverlagerung ihrer Produktion oder ihres Betriebs in die USA in Betracht zögen. nib

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    Standpunkt

    Kein Decoupling von China

    Von Nils Schmid
    Nils Schmid ist der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag

    Der Corona-Impfstoff – die große Hoffnung in den kleinen Fläschchen – ist unsere wirkungsvollste Waffe bei der Bekämpfung der Pandemie. Die Verteilung des knappen Gutes ist folglich nicht nur in Deutschland ein Politikum, sondern weltweit. Die Fotos von Regierungsvertretern, die sich bei der Ankunft von Impfstoffen Made in China ablichten ließen, gingen deshalb in Windeseile um die Welt. Es sind Bilder, die die Geschichte vom vermeintlichen Erfolg der chinesischen Führung erzählen sollen, von einem China, das das Coronavirus im eigenen Land besiegte und nun der Welt Impfstoffe als “globales öffentliches Gut” (Xi Jinping) zur Verfügung stellen will, während der Westen noch daheim mit dem Virus zu kämpfen hat.

    So unvollständig und verzerrend dieses Narrativ auch sein mag, so zeigt seine Wirkmächtigkeit doch erneut: China ist für uns nicht nur ein Partner und ökonomischer Wettbewerber, sondern auch ein systemischer Rivale. Gerade in den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass dies die Möglichkeiten der Kooperation und des fairen Wettbewerbs einschränkt.

    Mehr Impf-Multilateralismus

    Um die grenzenlosen Herausforderungen unserer Zeit – vom Klimawandel bis zu Pandemien – bewältigen zu können, müssen wir zusammenarbeiten, schon aus reinem Eigeninteresse. Die rasche Ausbreitung der Virusmutanten führt uns unsere wechselseitige Abhängigkeit vor Augen. Denn in unserer durchglobalisierten Welt ist niemand sicher, solange das Virus noch in einigen Weltregionen weiterwütet und die dadurch entstehenden Mutationen uns gefährden. Statt Impfnationalismus und bilateraler Impfdiplomatie brauchen wir deshalb mehr Impfmultilateralismus, denn nur so können wir eine rasche und gerechte Verteilung der Vakzine erreichen. Sowohl China als auch der Westen müssen deshalb die Unterstützung für das globale Impfprogramm Covax weiter ausbauen.

    Zu einer Partnerschaft gehört auch ein ehrlicher Umgang mit Fehlern. Nur so können wir aus der Krise von heute die richtigen Lehren für die Pandemien von morgen ziehen. Zu Recht gab es Kritik an der Bundesregierung für den Export-Stopp von Atemmasken im Frühling 2020 wie auch aktuell an der Impfstoffbeschaffung der EU. Ebenso klar muss Kritik an den Schwächen des Corona-Managements in China möglich sein – vor allem an der unverantwortlichen Intransparenz rund um den Ausbruch in Wuhan. Erkenntnisse über den Virusausbruch müssen in unsere Überlegungen mit einfließen, wie wir die multilaterale Gesundheitsarchitektur resilienter gegenüber zukünftigen Krisen machen können. Dafür brauchen wir auch die Kooperation mit China, das nicht zum ersten Mal Ursprungsort einer Pandemie ist.

    Beziehungen in Asien ausbauen

    Die Covid-19-Pandemie und die Maßnahmen dagegen lösten einen dramatischen Einbruch der Weltwirtschaft aus und führten uns vor Augen, wie weit unsere Verflechtung mit China vorangeschritten ist. Aufgrund von asymmetrischen Abhängigkeiten in systemrelevanten Bereichen sind wir aber auch verwundbar, wie die Lieferengpässe bei medizinischen Gütern zu Beginn der Pandemie zeigten. Forderungen nach einem Decoupling von China werden wir allerdings weiterhin eine klare Absage erteilen, denn davon würde niemand profitieren, erst recht nicht unsere Exportwirtschaft. Vielmehr braucht es eine partielle Neuverkopplung, die einseitige Abhängigkeiten abbaut, indem wir etwa unsere Beziehungen in Asien weiter diversifizieren, wie in den Indopazifik-Richtlinien der Bundesregierung vorgesehen. Auch Interdependenzen sind nicht per se etwas Schlechtes, denn wechselseitige Abhängigkeiten fördern die Zusammenarbeit. Angesichts der ökonomischen Erfolge Chinas sollten wir aber gleiche Wettbewerbsbedingungen und strengere Reziprozität in unseren Handelsbeziehungen einfordern, gerade auch beim EU-China-Investitionsabkommen.

    Die Corona-Krise wirkt wie ein Katalysator im Systemkonflikt mit China. Die chinesische Wirtschaft brummt schon wieder und wird – wie bereits nach der Wirtschaftskrise nach 2008 – zum Motor der weltweiten Erholung. Die Erfolge heizen die Debatte über Vor- und Nachteile des westlichen Systems eines demokratischen Rechtsstaats mit sozialer Marktwirtschaft gegenüber der chinesischen Überwachungs-Diktatur mit gelenkter Staatswirtschaft an. Der illusionslose Blick auf die Entwicklung Chinas zeigt zudem, dass sich in absehbarer Zeit die Hoffnungen auf eine politische Liberalisierung im Land und die Einbindung in eine liberale Weltordnung nicht erfüllen werden. Im Gegenteil: die chinesische Führung tritt immer repressiver nach innen und aggressiver nach außen auf, wie die massiven Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren in Xinjiang, der weitreichende Eingriff in die Autonomie Hongkongs und die militärischen Drohgebärden gegenüber Taiwan zeigen.

    Europa braucht eine China-Politik

    Für uns ist klar, dass wir nur gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern erfolgreich unsere Werte und Interessen gegenüber China verteidigen können. Wir müssen deshalb verhindern, dass China durch eine Bilateralisierung der Beziehungen einen Keil zwischen uns treibt. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame robuste China-Politik. Die feste Verankerung in der westlichen Sicherheits- und Wertegemeinschaft ist dabei unser Fundament für einen politischen Dialog mit Peking auf Augenhöhe. Deutschland und die EU sollten deshalb die Gelegenheit ergreifen, dass wir mit Joe Biden wieder einen überzeugten Demokraten an unserer Seite haben, und mit ihm unsere China-Politik eng abstimmen.

    Demokratie-Stärkung statt China-Containment

    Dank der Corona-Impfstoffe gibt es in der Krise Licht am Ende des Tunnels. Ein ähnlich wirkungsvolles Mittel fehlt uns leider bei der Eindämmung autokratischer Tendenzen in der Welt. Entscheidend ist aber auch hier die Resilienz unseres eigenen Systems – die Gesundheit unserer Demokratie. Statt China-Containment braucht es also zuvorderst Demokratie-Stärkung – zuhause und weltweit. Deshalb sollten wir den “Gipfel für Demokratie”, den Präsident Biden angekündigt hat, tatkräftig unterstützen – damit die Fackel der Demokratie bald wieder hell erleuchtet.

    Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

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