wie positioniert sich China zum Ukraine-Konflikt? Zwar gehen derzeit mehrere Tendenzen durcheinander, widersprüchliche Meldungen jagen sich. Doch bei näherem Hinsehen folgt China durchaus einem erklärbaren Konzept. Sicher ist: Xi Jinping geht es allein um den Aufstieg Chinas. Russland ist da allenfalls ein nützlicher Unruhestifter, der die Entschlossenheit der westlichen Allianz austestet und sich zugleich in Abhängigkeit vom verbliebenen Partner im Osten begibt.
Deshalb wartet Peking mit seiner Positionierung derzeit noch ab, in welche Richtung der Konflikt läuft. Hat Putin Erfolg, ist China dabei. Läuft es schlecht für Russland, wird sich China schnell von dem Projekt verabschieden. Dieser Schritt befindet sich bereits in Vorbereitung: Am Sonntag hat Peking vorsichtig begonnen, sich von Russlands Vorgehen zu distanzieren. Die Wortwahl lässt aber kurzfristig noch alle Möglichkeiten offen, wie unsere Analyse zeigt.
Langfristig plant Xi dann jedoch, möglichst viel für China aus der Situation herauszuholen. Eine der führenden deutschen Expertinnen für Chinas Außenpolitik ordnet das Geschehen für uns in den großen Zusammenhang ein. Was sich vor unseren Augen abspielt, ist nicht nur ein Krieg um die demokratische Ukraine, sondern prägt die künftige Weltordnung, sagt Janka Oertel im Gespräch mit Michael Radunski. Oertel leitet das Asienprogramm des European Council on Foreign Relations, hat aber auch schon bei den Vereinten Nationen gearbeitet.
Die Maßstäbe, nach denen wir Chinas Interessen bewerten, stimmen nicht mehr, warnt Oertel. Wir müssen uns von der Gewissheit verabschieden, dass es der Führung in erster Linie um Wachstum und Wohlstand geht. Sie habe sich entschieden, kurzfristigen wirtschaftlichen Schaden in Kauf zu nehmen, um langfristige politische Ziele zu erreichen.
Auf der Positivseite signalisiert der Aufbau einer geschlossenen Front europäischer Länder am Wochenende auch Richtung Peking: Der Westen ist nicht ganz so uneins, wie er lange gewirkt hat. Auf der Negativseite sollten wir beginnen, uns auf eine Welt einzustellen, in der China und Russland eng zusammenarbeiten, so Oertel.
Eine weitere Lehre aus den Ereignissen betrifft Taiwan. Oertel rät dazu, Autokraten genau zuzuhören, wenn sie ihre Pläne darlegen. Wir sollten sie probeweise beim Wort nehmen, statt immer nur strategisches Kalkül zu unterstellen. Putin hat schließlich schon vor Jahren gesagt, dass er die Ukraine für keinen legitimen Staat hält. Und Xi Jinping hat wiederholt von einer bevorstehenden Vereinigung mit Taiwan gesprochen. All das weckt in Taipeh derzeit wahnsinnige Sorgen.
Unser Gastbeitrag stammt heute von einer Urenkelin von Nikita Chruschtschow, dem starken Mann der Sowjetunion in den 50er-Jahren. Nina Chruschtschowa ist Politologin – und überführt Wladimir Putin eines folgenschweren Irrtums. Putin glaube, sich in China durch den Vertrag zum Olympia-Auftakt einen Verbündeten gesichert zu haben. Tatsächlich spiele China die Russen gegen den Westen aus, glaubt Chruschtschowa. Die Strategen in Peking sehen Russland als korrupt und rückständig und wollen es zu einem Vasallenstaat machen. Indem Putin alle Brücken nach Europa abbricht, manövriert er sein Land in Abhängigkeit von dem großen Nachbarn im Osten. China könne also enorm gestärkt aus den Ereignissen hervorgehen, so Chruschtschowa.
Auch die Auswirkungen des Kriegs auf die Rohstoffmärkte spielen Peking in die Hände. In der Ukraine – und im nun geächteten Russland – befinden sich Vorkommen von Metalle und Gasen, die für die Herstellung von Chips und Elektronik gebraucht werden. Der Krieg könnte also auch hier die Lieferketten-Krise verstärken und die Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von China erhöhen. Die Rohstoffe sind so wichtig für die Hightech-Industrie, dass sie sogar in Putins Kalkül zum Überfall auf die Ukraine hineingespielt haben könnten, analysiert Frank Sieren.
Frau Oertel, China behauptet, seine Politik sei konsistent, klar und eindeutig. Im Russland-Ukraine-Konflikt wirkt es aber, als laviere Peking und vermeide es, klar Stellung zu beziehen. Einerseits will man die Territorialität und Souveränität von Staaten schützen, andererseits will man Russlands Verhalten nicht verurteilen. Im UN-Sicherheitsrat hat China sich enthalten. Was sind die Gründe?
Dafür muss man zurück zu Putins Besuch in Peking kurz vor den Olympischen Spielen. Schon damals hat sich Xi Jinping für die Seite Putins entschieden, wohl wissend, was passieren kann. Das ist das, was mich am meisten irritiert. Und auch beunruhigt.
Sie glauben, Xi hat schon damals eine russische Invasion in die Ukraine abgesegnet?
Auf jeden Fall lag das damals schon auf dem Tisch. Es scheint mir merkwürdig zu glauben, dass nach allem was bekannt ist, Xi nicht verstanden haben soll, welche Ausmaße der Konflikt annehmen könnte. Und in dieser Situation hat sich Xi entschieden, zusammen mit Putin ein Statement abzugeben, in dem sich China erstmals gegen die Expansion der Nato stellt.
Aber China hat doch durchaus eigene Interessen in der Ukraine, die sich so gar nicht mit einem russischen Einmarsch verbinden lassen.
Ja. Und es gibt viele Stimmen in China, aus Thinktanks oder dem Forschungsbereich, die sagen, das sei nicht im Interesse Chinas. Aber Xi geht es offenbar um mehr. Es scheint, als habe er festgelegt, dass es ein übergeordnetes chinesisches Interesse gibt. Da geht es um eine neue Weltordnung, und hier müssen kurzfristige politische und ökonomische Ziele einfach zurückstehen. Das beunruhigt mich, denn damit bekommt der Ukraine-Konflikt eine globale Dimension, plötzlich geht es um die zukünftige Weltordnung.
Was können wir aus Chinas Worten herauslesen?
Sich zu weigern, das, was passiert, als Invasion zu bezeichnen zum Beispiel, oder dass man Verständnis habe für Russlands “legitime Sicherheitsinteressen”. Das sind sehr wichtige und weitreichende Formulierungen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass man noch überlegt, wie es weitergehen soll. Peking muss abschätzen, wie reagieren die Amerikaner, was macht die Nato, wohin bewegt sich die EU oder auch die afrikanischen Staaten. Deutlich wird die schwierige Abwägung zwischen gegenläufigen Interessen. Man kann eben nicht für staatliche Souveränität sein und gleichzeitig den Einmarsch Russlands nicht verurteilen.
Was will China dann?
Man will ein Narrativ schaffen, das sagt, die Aggression geht im Prinzip von den USA aus und dass es sich daher um eine Verteidigungshandlung Russlands handelt. Das scheint wichtiger zu sein als die jahrelangen Prinzipien der eigenen Außenpolitik, nämlich territoriale Souveränität und Integrität der Ukraine.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Putin und Xi? Sind das wirklich so enge Freunde, wie sie selbst behaupten?
Das ist wirklich schwer zu sagen. Wer weiß schon, was in den beiden vorgeht. Es scheint, als hätten sie einen ganz eigenen Blick auf die Welt. Ihre gemeinsame Abneigung gegen den Westen sollte man sicher nicht unterschätzen. Sie stützen sich darin gegenseitig und trauen sich dadurch neue Schritte. Das ist beunruhigend.
Welche neuen Schritte geht China?
In den letzten zwei Jahren haben wir gesehen, wie wenig Wert China darauflegt, mit Europa ein gutes Verhältnis zu haben oder auf europäische Interessen einzugehen, um sich Europa wohlwollend zu halten. Dafür hätte es genug Möglichkeiten gegeben. Aber die hat man bewusst oder sehr stümperhaft zerstört.
Woran denken Sie?
In der Pandemie hätte man nur ein bisschen kooperativ sein müssen in der Zusammenarbeit mit der WHO oder anschließend nicht eine derart aggressive Diplomatie verfolgen können. Die Europäer waren doch sehr offen für China. Zudem war Donald Trump im Amt. China hätte diesen Zeitpunkt strategisch nutzen können, um sich sehr gut mit den Europäern zu stellen. Zudem hat Peking ja auch große wirtschaftliche Interessen in Europa, wie auch große wirtschaftliche Abhängigkeiten.
Aber?
Aber der Unmut über Chinas Verhalten in und mit Europa wächst stetig, und Peking geht trotzdem unerbittlich gegen Litauen vor – und man denkt wieder, das kann doch eigentlich nicht im Interesse Chinas sein, die ganze EU gegen sich aufzubringen. Aber, und ich glaube, das ist der entscheidende Punkt: Vielleicht sind die Maßstäbe, wonach wir bewerten, was in Chinas Interesse ist, nicht mehr die richtigen. Das passiert auch jetzt. Wir sagen, China hat doch wirtschaftliche Interessen in der Ukraine und mit den westlichen Staaten. Alles richtig. Aber Chinas Führung hat offenbar entschieden, kurzfristigen wirtschaftlichen Schaden in Kauf zu nehmen, um langfristige politische Ziele zu verfolgen. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Kalkulation ändert, wenn die Kosten weiter steigen.
In der Vergangenheit hat es immer geklappt: Peking sucht sich eine vermeintliche Schwachstelle, in Europa bleibt es bei Solidaritätsbekundungen, sonst passiert nichts – und Peking kommt damit durch. Zugleich wird die Mär von der vermeintlichen Einheit im Westen bitter entlarvt.
Ja, und selbst bei Litauen scheint das zumindest kurzfristig auch wieder funktioniert zu haben. Aber langfristige Folgen sind absehbar. Europa bringt Maßnahmen voran und die Stimmung hat sich verändert. Ich bin mir nicht sicher, ob die Abschätzung in Peking gerade korrekt ist. Wenn die Europäer tatsächlich enger zusammenrücken, könnte es ungemütlich werden für Peking.
Und sie glauben tatsächlich, dass das dieses Mal passieren wird?
Ich weiß es nicht, aber die relative Geschlossenheit des Westens und die Härte der Maßnahmen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sendet hoffentlich ein wichtiges Signal nach Peking. China ist nicht Russland, die Einigkeit wäre schwieriger herzustellen, aber ignorieren kann man die derzeitigen Reaktionen in Peking nicht.
Auch wenn es rein pragmatisch ist, das Verhältnis zwischen China und Russland ist so gut wie vielleicht noch nie. Ein Problem für Europa und den Westen?
Ich würde mir wünschen, dass wir in Europa schleunigst anfangen darüber nachzudenken, was es bedeutet, wenn China und Russland immer enger zusammenarbeiten, was das für eine Welt wäre. Das Signal, das beide senden wollen: Wir sind nicht isoliert.
Welche Auswirkungen hat das russische Vorgehen und Chinas Stillschweigen auf die Zukunft von Taiwan?
In Taiwan macht man sich wahnsinnige Sorgen. Man beobachtet sehr genau, wie die Reaktion des Westens aussieht, ob man die Ukraine verteidigen wird oder nicht. Das ist ein klares Signal für Taiwan. Die Ukraine steht der Nato sehr nahe, aber sie ist kein Nato-Bündnispartner. In dieser Situation fängt man in Taiwan an zu überlegen, in welcher Art von Bündnis man zu den USA steht, wer einem zur Hilfe eilen würde im Ernstfall. Die strategische Bedeutung Taiwans ist für die USA eine andere als die der Ukraine, aber Taiwan muss sorgenvoll auf die Eskalation in der Ukraine blicken. Es fällt schwer, keine Parallelen zu ziehen. Denn auch China versucht, das für sich zu nutzen. Da wird jetzt schon der Grundstein gelegt für ein Narrativ, das sehr besorgniserregend ist.
Was kann Europa denn tun? Die Fregatte Bayern wieder losschicken, um Taiwan zu retten?
Nein, das allein hilft sicher wenig. Aber es geht ganz prinzipiell darum, in der Region Präsenz, Flagge zu zeigen. Das erwartet man in der Region. Ansonsten ist es vor allem eine diplomatische Frage, welche Signale sendet man, wie kann man die Kosten für eine chinesische Aktion so hoch wie möglich halten und das auch deutlich und glaubwürdig signalisieren.
Überschätzen Sie an dieser Stelle vielleicht Europa?
Nein. Aber man kann das natürlich nur machen, wenn man auch entsprechende Druckmittel hat. Deshalb muss man die Taiwanfrage einbinden in unser Gesamtverhältnis zu China. Man muss wettbewerbsfähig bleiben und darf nicht zu sehr in Abhängigkeiten geraten.
Wo könnte Europa ansetzen? Was würde China beeindrucken?
Technologie-Exporte und die Handelsbeziehung im Allgemeinen. Es geht hierbei grundsätzlich um die Frage, ob wir als außenpolitischer Akteur ernst genommen werden.
Ich fürchte, da macht man sich in Berlin und Brüssel etwas vor. Oder?
Ja. Wenn man das chinesische Verhalten anschaut, wird klar: Derzeit nimmt man uns in Peking nicht vollständig ernst. Entscheidend hierbei ist die Einigkeit zwischen den europäischen Staaten. Solange wir geschlossen auftreten, sowohl in Wirtschaftsfragen wie auch in Fragen kollektiver diplomatischer Haltung, ist Europa ein starker und glaubwürdiger Akteur. Sobald das aber nicht der Fall ist, haben wir ein Problem.
Xi Jinping hat schon mehrmals und sehr deutlich gesagt, dass die Taiwanfrage weit oben auf seiner Agenda steht.
Nur leider wird das in Europa nicht ernst genug genommen. Das wäre schon der erste Schritt, politisch ernst zu nehmen, was gesagt wird. Ein Putin, der sagt, im Zweifelsfall marschiere ich in die Ukraine auch militärisch ein. Das müssen wir als Lektion mitnehmen. Wenn Xi Jinping signalisiert, dass auch er bereit ist, die Taiwanfrage im Notfall militärisch zu lösen, dann sollte man das ernst nehmen. Das heißt noch lange nicht, dass es auch passiert, aber vorbereitet zu sein wäre sinnvoll.
Ich will nicht nur schwarzmalen, aber: in Xinjiang sind UN-Angaben zufolge eine Million Uiguren inhaftiert – nichts passiert. Zu Hongkongs Autonomie hatte man Verträge abgeschlossen – nichts passiert. Im Südchinesischen Meer liegt gar ein internationaler Schiedsspruch vor – und auch das ist China egal.
Ich kann natürlich nicht sagen, dass wir in der Taiwanfrage nun auf jeden Fall endlich geschlossen auftreten werden und damit China zumindest zum Nachdenken bringen. Ich kann nur hoffen, dass wir uns als Europa stärker positionieren in Konflikten, die maßgeblich nicht nur unsere eigenen Interessen betreffen, sondern auch Demokratien in Asien und damit die globale Ordnung.
Dann nehme ich mal Chinas Haltung ein, um das Problem zu verdeutlichen, vor dem wir in unserer eigenen Argumentation stehen: Was ist das Problem, ihr im Westen sagt doch auch, dass es nur ein China gibt. Wenn wir in Taiwan einmarschieren, ist das doch keine Veränderung des Status quo. Es gibt nur ein China.
Das Argument des Status quo kann man nicht mehr halten. Der Status quo hat sich signifikant verändert in den letzten mehr als siebzig Jahren, diese Status-quo-Argumentation funktioniert so nicht mehr. Deshalb müssen wir uns auch fragen, ob unser derzeitiger politischer Ansatz tatsächlich noch zeitgemäß ist oder ob wir es inzwischen mit zwei sehr unterschiedlichen Chinas zu tun haben und wir dann auch hier klarer Position beziehen müssen.
Die chinesische Regierung bezieht in der Bewertung des Ukraine-Kriegs zwar weiterhin keine klare Stellung. Doch am Sonntag nahmen in der Mischung chinesischer Äußerungen die kritischen Töne gegenüber Russland zu. “Die derzeitige Situation stellt etwas dar, das China nicht sehen will”, sagte Außenminister Wang Yi in Telefongesprächen mit europäischen Kollegen. “Die Sicherheit der einfachen Bürger und ihrer Besitztümer sollte gewahrt sein, und humanitäre Krisen sollten vermieden werden.”
Zuvor hatte Staatschef Xi Jinping den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Telefonat zu Verhandlungen mit der Ukraine aufgefordert. China hat sich zudem im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der Stimme enthalten, als es um die Verurteilung des Angriffs ging. Russland musste sein Veto einlegen, um die Resolution zu verhindern.
Die Inhalte der Gespräche Wangs mit den Europäern waren aber weiterhin mehrdeutig. In der Version der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua von seiner Unterredung mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock stand ein anderer Aspekt im Vordergrund als in der Wahrnehmung der EU-Seite: China lehne Sanktionen als politisches Mittel grundsätzlich ab, “insbesondere einseitige Sanktionen, die nicht vom internationalen Recht gedeckt sind”. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werde China sich für “Lösungen ohne autoritäre Gewaltanwendung und Sanktionen” einsetzen.
In Anbetracht des unprovozierten Angriffskriegs gegen die Ukraine klingen diese Worte zunächst so, als folge Wang der Darstellung Russlands von der Notwehr gegen Nazis und einen aggressiven Westen. Er erklärte die russischen Handlungen auch mit einer zu schnellen Ausdehnung der NATO. Doch zugleich akzeptierte Wang die Rolle des Atlantik-Bündnisses als entscheidende Kraft in Westeuropa: “China unterstützt die Nato, die Europäische Union und Russland darin, im Dialog einen ausbalancierten europäischen Sicherheitsmechanismus zu entwickeln.” Er deutete an, dass China hier vermitteln könne.
China ist weiterhin die beste Chance Russlands, die immer schärferen Sanktionen des Westens und Japans zu unterlaufen. Am Wochenende hatten diese sich dazu durchgerungen, Russland von internationalen Zahlungsströmen und vom Flugverkehr abzuschneiden. Das isoliert das Land effektiv. Solche Sanktionen werden den Lebensstandard der russischen Bevölkerung merklich nach unten ziehen.
China könnte als Handelspartner zwar zum Teil einspringen (China.Table berichtete). Aber bisher gibt es keine Signale Chinas, die sich dahin interpretieren lassen, dass Peking ihm im großen Stil mit Wirtschaftshilfe beispringt. Experten nehmen daher derzeit nicht an, dass China sich durch eine enge Allianz mit Russland ebenfalls in eine Außenseiterrolle ziehen lassen wird. “Russland ist ein Verbündeter, doch es würde die Abkopplung vom Westen beschleunigen, wenn China sich offen auf seine Seite schlüge”, sagt Ökonom Mark Williams von Capital Economics in London. China werde Russland eher verdeckt unterstützen, ohne die Sanktionen offen zu unterlaufen. Die Bedeutung des Handels mit USA, EU und Japan übertrifft die Bedeutung des Russland-Handels für China bei weitem.
Die US-Regierung teilt diese Einschätzung. “Alles deutet darauf hin, dass China nicht zur Hilfe eilt”, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen hochrangigen Beamten in Washington. China sorge sich offenbar vor einem Image-Schaden, wenn es sich offen hinter Russland stelle. Eine gewisse Bestätigung dafür ergab sich Ende vergangener Woche aus dem Verhalten der großen Staatsbanken. Diese beschränkten mit Verweis auf die unklare Marktsituation ihre Außenhandelskredite für russische Rohstofffirmen.
Zugleich gibt es erste Anzeichen für unauffällige Hilfe aus Ebene des Privatsektors, der in China ebenfalls Anweisungen des Staates erhält. Die Fahrdienst-App Didi wollte sich eigentlich aus dem russischen Markt zurückziehen. Am Sonntag machte sie jedoch einen Rückzieher und kündigte an, nun doch in Russland zu bleiben. Die Kehrtwende war Anlass für Spekulationen, dass die Hand Pekings hier eine Rolle spielt. Didi hatte den geplanten Rückzug ursprünglich mit den “veränderten Marktbedingungen” infolge der Sanktionen des Westens begründet.
Die Ukraine verfügt über enorme Bodenschätze von Eisenerz, Titan, Lithium, Grafit, Nickel bis hin zu Seltenen Erden. Auch riesige Schiefergas-Vorkommen sollen noch unerschlossen in der Erde schlummern. Daneben ist die Ukraine ein wichtiger Lieferant von Gasen wie Neon, Argon, Krypton und Xenon, die für die Chip-Industrie ebenfalls von großer Bedeutung sind. Im Wettbewerb der Nationen zu Beginn des 21. Jahrhunderts spielt der Zugang zu solchen Hightech-Rohstoffen eine immer wichtigere Rolle.
Der Krieg in der Ukraine kann also auch die Lieferprobleme für Chips und Elektronik verschärfen. Der taiwanische Chiphersteller TSMC ist bereits im Krisenmodus und nimmt Kontakt mit alternativen Anbietern auf, um höhere Lieferungen zu vereinbaren. Doch parallel versuchen auch Japan und Südkorea, sich die wenigen verfügbaren Bestände zu sichern. Edelgase werden in lithografischen Lasern verwendet, die im Herstellungsprozess von Halbleitern zum Einsatz kommen. Sie dienen dazu, sie Schaltungen in Siliziumplatten zu ätzen.
Die Ukraine ist einer der größten Exporteure solch hochreiner Edelgase. Der Markt für Neon ist relativ klein. Er umfasst nur mehrere hundert Millionen Dollar, beziehungsweise rund 600 Millionen Liter. Laut einem Bericht des US-Marktforschungsunternehmens Techcet produziert Russland Neon als Nebenprodukt der Stahlherstellung, das dann von einem spezialisierten ukrainischen Unternehmen veredelt wird.
Laut dem auf die Halbleiter-Branche spezialisierten US-Analysten Stacy Rasgon wird für die Chipherstellung etwa 75 Prozent des weltweiten Neon-Angebots verbraucht. Die Krim-Krise 2014 hatte bereits zu einer Versiebenfachung der Neon-Preise geführt. Die USA decken ihren Bedarf an den Gasen laut Techcet zu mehr als 90 Prozent aus Russland und der Ukraine. Selbst die Chip-Macht Südkorea importiert rund ein Viertel ihres Neons, fast ein Drittel des Kryptons, und ein Sechstel des benötigten Xenons aus der Ukraine. Nun wird immer wahrscheinlicher, dass Moskau die Vorräte selbst ausplündert, sollte die Ukraine ihre Selbstständigkeit verlieren.
Die Edelgase sind dabei nur ein Beispiel von vielen. Die EU hat ihre Liste der nunmehr 30 kritischen Rohstoffe zuletzt im September vergangenen Jahres aktualisiert. “21 dieser kritischen Rohstoffe können in der Ukraine gefunden werden, die außerdem 117 von 120 weltweit genutzten Mineralien abbaut. Wir sprechen hier über Lithium, Kobalt, Mangan, seltene Erden – sie alle sind in der Ukraine zu finden,” erklärte Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Europäischen Kommission, im vergangenen Juli.
Besonders ärgerlich für die asiatischen Länder: Ausgerechnet China wäre eine wichtige Alternativquelle, um den Bedarf bei weiteren Engpässen zu decken. Dazu müsste China seine Produktion allerdings steigern. Das wird nicht passieren, ohne Preissteigerungen. Damit wird China, der stärkste Spieler im Markt, noch mächtiger. Schon jetzt kann China als weltgrößter Produzent von Seltenen Erden die weltweiten Preise und das Angebot stark beeinflussen, und mit Exportquoten sogar bestimmen.
Anders als die EU, die das Thema verschlafen hat, erklärte die chinesische Regierung bereits 1990 Seltene Erden zu einem “strategisch wichtigen” Sektor. Mit Produktions- und Exportquoten sowie Abbauverboten für Ausländer in China hat Peking seinen Anteil an der globalen Produktion seitdem stetig vergrößert. Und Peking hat sich im Unterschied zum Westen sehr früh mit viel Kapital an Bergbauprojekten in anderen Ländern beteiligt, vor allem in Afrika, aber eben auch in Ukraine. Auch dort bieten chinesische Unternehmen wie die Shenzhen Chengxin Lithium Group bei den Nutzungsrechten vorne mit.
Erst Ende November vergangenen Jahres hat das Unternehmen aus Shenzhen ein Gebot abgegeben, um sich nun auch stärker in der europäischen Lithiumindustrie zu verankern, neben Investitionen in Indonesien, Argentinien und Simbabwe. Chengxin stellt Chemikalien für E-Auto-Batterien her. Es hat sich um die wichtigen ukrainischen Vorkommen beworben. Diese liegen in Shevchenkivske und in Dobra. Shevchenkisvke liegt in der umkämpften Region Donezk. Dobra befindet sich in der Zentralukraine. Das chinesische Engagement in diesen Gebieten gefällt weder der EU, noch den Russen, noch den USA.
Die Kontrolle über die Vorkommen würde Moskaus technologische Position in der Welt stärken und die Abhängigkeit vom Westen und vor allem von China verringern. In der EU, die was Seltene Erden betrifft fast blank ist, hatte man die gleiche Idee. Das in Australien gelistete Unternehmen European Lithium, das sich ansonsten um den Abbau von Lithiumvorkommen im österreichischen Wolfsberg kümmert, hatte Ende vergangenen Jahres den Kauf eines ukrainischen Unternehmens angekündigt. European wollte Petro Consulting unter der Voraussetzung erwerben, dass sie innerhalb eines Jahres die Rechte an den beiden Vorkommen bekommen. Das australisch-europäische Unterfangen hatte gute Chancen, weil so die Vorkommen Europa und nicht etwa China dienen.
Das ist nun Makulatur. Und China hat 2021 seine Position noch stärker ausbauen können, als der Weltmarkt gewachsen ist. Laut vorläufigen Daten der U.S. Geological Survey (USGS) stieg der Abbau von Seltenen Erden im vergangenen auf rund 280.000 Tonnen, ein Plus von 17 Prozent gegenüber den 240.000 Tonnen des Vorjahres. Die Volksrepublik war dabei der größte Produzent mit einem Volumen von 168.000 Tonnen – 20 Prozent mehr als im Vorjahr mit 140.000 Tonnen. Schon jetzt kommen 98 Prozent der Seltenen Erden der EU aus China. Schon lange fürchtet man in Brüssel, dass China sein Quasi-Monopol in Zukunft noch mehr ausnutzen wird, um politischen Druck auszuüben. Diese Befürchtung herrscht aber nicht nur in Brüssel, sondern auch in Moskau.
Im vergangenen September erst hatte die EU-Kommission die Europäische Allianz für Seltene Erden ins Leben gerufen. Im Juli 2021 wurde die Ukraine offiziell eingeladen, der EU-Industrieallianz für Batterien und Rohstoffe beizutreten. Ziel sei die Entwicklung einer kompletten Wertschöpfungskette für Gewinnung, Veredelung und auch Recycling von Mineralien aus der Ukraine zur Versorgung des EU-Marktes für Elektroautos und Digitalgeräte. Das hat Moskau nicht gefallen.
Selbstverständlich ist dies weder Rechtfertigung noch Hauptgrund für den menschenverachtenden Angriffskrieg Putins. Die Rohstoffe könnten aber unter den vielen Faktoren, die Putin zu dieser in den vergangenen Jahrzehnten beispiellosen Aggression verleitet haben, eine Rolle gespielt haben. Und so wie es derzeit aussieht, verfügen nun zunächst einmal weder die Chinesen noch die Europäer über die ukrainischen Ressourcen, sondern Wladimir Putin.
Die chinesische Botschaft in Kiew berichtet von Problemen bei der Evakuierung aus der Ukraine. Zwar bemüht sich China, die eigenen Staatsbürger in Sicherheit zu bringen und hat dafür schon Flugzeuge organisiert. In der Praxis sind die Fluchtwege jedoch derzeit versperrt, sagt Botschaft Fan Xianrong auf Sozialmedien. Die Sicherheitslage habe sich dramatisch verschlechtert, sodass eine Ausreise derzeit nicht möglich sei. Mit “Raketen in der Luft” und “Explosionen am Boden” sei ein geregelter Flugverkehr nicht möglich. “Für die folgenden Tage erwarten wir eine weitere Verschlechterung der Situation”, so Fan. “Es tobt ein heftiger Kampf zwischen den Konfliktparteien und es wird viele unvorhersehbare Entwicklungen geben.”
Fan warnte auch vor “unkontrollierten Reaktionen” der Ukrainer auf Chinesen. Alle Beteiligten sollten daher einen kühlen Kopf bewahren. Es sei besonders wichtig, die Ausgangssperren einzuhalten. Zudem soll niemand Handy-Videos von Not oder Leid betroffener Personen aufnehmen, weil das als respektlos verstanden werden könne. Auch wenn die Evakuierungsaktion sich noch hinziehe, werde er seine Landsleute nicht im Stich lassen, versprach der Botschafter.
In der Ukraine halten sich nach Botschaftsangaben rund 6.000 chinesische Staatsbürger auf. Die meisten davon sind Studenten und Geschäftsleute. China hatte seine Bürger – anders als Deutschland oder die USA – nicht schon vor Ausbruch der Kampfhandlungen zur Rückkehr in die Heimat aufgefordert. Die Botschaft in Kiew hatte den Chinesen vor Ort stattdessen anfangs geraten, ihre Autos und Wohnungen mit chinesischen Flaggen zu markieren. Das ist offenbar angesichts der Xi-Putin-Allianz nicht bei allen Einheimischen gut angekommen. In seinem neuen Video riet Fan ihnen nun dazu, sich bedeckt zu halten. fin
Tesla reagiert auf die wachsende Nachfrage und plant eine Erweiterung der Produktion für Automobilteile in Shanghai. Das geht aus einem Dokument hervor, das der US-amerikanische Hersteller bei der Shanghaier Stadtverwaltung eingereicht hat, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Neben Werkshallen sollen Mitarbeiter hinzukommen. Schon im November hatte Tesla angekündigt, bis zu 1,2 Milliarden Yuan (170 Millionen Euro) in das Werk in Shanghai zu investieren. Das könnte etwa 4.000 neue Arbeitsplätze bedeuten. Genaue Zahlen waren in dem Dokument zur geplanten Erweiterung allerdings geschwärzt und auf Nachfrage bei Tesla nicht erhältlich.
Das Werk in Shanghai ist seit 2019 in Betrieb. Es ist bisher auf eine jährliche Produktion von 500.000 Fahrzeugen der Reihen Model 3 und Model Y ausgelegt. Im vergangenen Jahr verließen 470.000 China-Teslas das Werk. Von diesen Fahrzeugen wurden 160.000 exportiert. Ein Großteil landet auf dem heimischen Markt. Die chinesische Produktion von Tesla machte 2021 damit knapp die Hälfte der Gesamtproduktion aus. In China dominieren einheimische Automarken wie BYD und Wuling. Tesla ist der einzige ausländische Hersteller in den Top 10 der meistverkauften E-Auto-Marken. jul
Chinas gefürchtete Zentrale Disziplinarkommission hat mehr als zwei Dutzend Finanzbehörden, staatliche Banken und Versicherer scharf zurechtgewiesen. Sie werden den Zielen der kommunistischen Führung nicht gerecht, kritisierte die Anti-Korruptionsbehörde in einem Statement. So pauschale Kritik ist selbst in China ungewöhnlich und verdeutlicht die Sorge der Regierung über Risiken für den Finanzsektor.
Die 25 Institutionen wurden seit Oktober überwacht. Betroffen sind unter anderem Chinas Zentralbank, die Börsen in Shanghai und Shenzhen und große Finanzkonzerne, wie die China Investment Corp. Auch die Bankenregulierungsbehörde CBIRC wurde zurechtgewiesen. Sie reagiere nicht ausreichend auf Korruptionsfälle, solle die Kapitalüberwachung stärken und “Wildwuchs” verhindern.
Korruptionsbekämpfung spielt eine wichtige Rolle in Xi Jinpings Politik. Zuletzt hatten vor allem große Technologiefirmen und Immobilienunternehmen im Fokus gestanden. Bei der letzten großen Überprüfung des Finanzsektors im Jahr 2015 hatten mehr als 20 Offizielle ihre Posten verloren.
Die betroffenen Institutionen reagierten einsichtig auf die Kritik. Yi Gang, der Präsident der chinesischen Zentralbank, teilte mit, er werde Fehler korrigieren und die Finanzregulierungen verbessern. Guo Shuqing, der Vorsitzende der Bankenregulierungsbehörde, ließ mitteilen, dass seine Behörde dem Feedback der Disziplinarkommission zustimme und die Probleme beheben werde. jul
Der russische Präsident Wladimir Putin scheint zu glauben, dass er durch Unterzeichnung eines scheinbaren Bündnisvertrages mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping am 4. Februar in Peking so etwas erreicht hat wie US-Präsident Richard Nixon bei seinem historischen Besuch in China 1972. Doch genau wie die Sowjetunion der große Verlierer der chinesisch-amerikanischen Annäherung des Jahres 1972 war, dürfte sich Russland als der große Verlierer der Übereinkunft zwischen Putin und Xi erweisen.
Nixons Besuch bei Mao Zedong war ein entscheidender Moment in der Geschichte des Kalten Krieges, der größere Auswirkungen auf dessen Verlauf hatte als selbst die Kubakrise. Die Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion waren damals viel stärker von Verbitterung gekennzeichnet, als dem größten Teil der Welt, einschließlich der meisten Amerikaner, je bewusst war.
Die deutliche Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden kommunistischen Giganten begann mit Nikita Chruschtschows 1956 in einer nicht-öffentlichen Sitzung des 20. Kongresses der Kommunistischen Partei gehaltenen “Geheimrede“, in der er sich von Stalin distanzierte. Diese Rede und Chruschtschows umfassendere Destalinisierungs-Kampange verärgerten Mao, der sie als revisionistisch verurteilte, da er vermutlich fürchtete, dass ihm eines Tages eine ähnliche Ächtung zuteilwerden könnte.
Die ideologischen und politischen Meinungsunterschiede führten zu einem Zusammenbruch der politischen Beziehungen, der im chinesisch-sowjetischen Zerwürfnis von 1960 gipfelte. Neun Jahre später lieferten sich sowjetische und chinesische Streitkräfte sieben Monate lang erbitterte Gefechte entlang des Ussuri in der Nähe zur Mandschurei. Ein umfassenderer Krieg konnte gerade noch abgewendet werden.
Als sich Nixon nach China aufmachte, war es sein Ziel, diese Feindseligkeit zwischen den beiden kommunistischen Mächten auszunutzen. Doch weder er selbst noch sein nationaler Sicherheitsberater Henry Kissinger hätten vorhersagen können, wie erfolgreich er sein würde. Leonid Breschnews trägem, schwerfälligem Kreml erschien es, als hätte China im Kalten Krieg die Seiten gewechselt.
Angesichts des Bismarck’schen Alptraums eines Zwei-Fronten-Krieges gegen die NATO im Westen und ein verbittertes China im Osten erwärmte sich Breschnew rasch für Kissingers Vorstellung einer Entspannung zwischen den USA und der UdSSR. Er ging sogar so weit, die Helsinki-Verträge zu unterzeichnen, die den Westen in die Lage versetzten, den sowjetischen Totalitarismus auf der Basis der Menschenrechte infrage zu stellen.
Kissinger verdient, nebenbei gesagt, weniger Anerkennung für diese Erfolge, als er wiederholt beansprucht hat; Nixon hatte sich bereits für eine Öffnung gegenüber China ausgesprochen, bevor er 1969 sein Amt als Präsident antrat. Putin jedenfalls glaubt womöglich, dass er Amerikas diplomatischen Coup wiederholt hat. Er scheint zu denken, dass er sich durch Vertiefung der Beziehungen zu China einen wertvollen Verbündeten in seinem Kampf gegen den Westen verschafft hat.
Jedoch hat sich Chinas Entfremdung von den USA schon seit fast einem Jahrzehnt zunehmend verschärft – ein Trend, den der ehemalige US-Präsident Donald Trump beschleunigt hat und für dessen Abmilderung Präsident Joe Biden bisher kaum etwas getan hat. Angesichts dieser wachsenden Gegnerschaft zum Westen ist es China, das Russland auf seine Seite bekommen wollte und nicht umgekehrt – und auch nicht als gleichberechtigten Partner.
Natürlich unterstützt China trotz seines häufig wiederholten Mantras, wonach nationale Souveränität und territoriale Integrität sakrosankt seien, jetzt faktisch Putins Militäraufmarsch entlang der Grenze zur Ukraine: Es hat den Westen gedrängt, Russlands “Sicherheitsbedürfnis” ernst zu nehmen, und hat seine Ablehnung einer NATO-Erweiterung bekräftigt. Doch dürfte das nicht bedeuten, dass China Russland bei einer Auseinandersetzung mit den USA und der NATO unterstützen wird.
Stattdessen hat Xi getan, was notwendig war, um Russland in eine vassallenartige Abhängigkeit von China zu bringen. Und Putin ist ihm in dem Glauben, dass eine Partnerschaft mit Xi ihm in seiner Konfrontation mit dem Westen helfen würde, direkt in die Falle getappt.
Was könnte für China besser sein als eine russische Wirtschaft, die komplett vom Westen abgeschnitten ist? All das Erdgas, das nicht westwärts in Richtung Europa fließt, könnte gen Osten ins energiehungrige China fließen. Alle sibirischen Rohstoffvorkommen, für deren Erschließung Russland westliches Kapital und Know-how brauchte, würden ausschließlich China zur Verfügung stehen, und gleiches gilt für wichtige neue Infrastrukturprojekte in Russland.
Wer noch Zweifel an der Hemmungslosigkeit hat, mit der Xi Russlands Isolation ausnutzen wird, braucht sich nur das Vorgehen von Xis Amtsvorgängern Hu Jintao und Jiang Zemin ansehen. Zunächst erschienen die Beziehungen freundlich. Putin unterzeichnete 2001 einen Freundschaftsvertrag mit China. Und China stellte angesichts der finanziellen Isolation Russlands Ende 2004 einen Kredit von sechs Milliarden Dollar bereit, damit Russlands staatseigene Ölgesellschaft Rosneft den Kauf der größten Produktionseinheit der Yukos Oil Company finanzieren konnte (einem Unternehmen, das Putins Regierung 2006 erfolgreich in den Bankrott trieb).
Im Jahr 2005 jedoch nutzte China in einem nach Ansicht vieler direkt an den Yukos-Kredit geknüpften Schritt seinen Einfluss auf Russland, um den Kreml zur Rückgabe von rund 337 Quadratmetern strittiger Gebiete zu zwingen. Putin scheint zu ignorieren, dass Chinas Führung und Bevölkerung Russland als korruptes Land betrachten, das im 19. Jahrhundert mehr chinesische Gebiete gestohlen hat als jedes andere Land. Erst vor zwei Jahren wurde ich selbst Zeugin ihrer Verachtung, als ich eine Fähre über den Amur von Blagoweschtschensk in Russland in die chinesische Kleinstadt Heihe nahm. Die örtlichen chinesischen Händler verspotteten die Russen offen, während sie ihnen billige Handys und minderwertige Pelzimitate verkauften.
China wird weder den eigenen Wohlstand riskieren, indem es die USA in Verteidigung Russlands offen herausfordert, noch die russische Wirtschaft stützen, indem es dort in einem Maße investiert, wie es zum Ausgleich der Sanktionen erforderlich ist, die der Westen wegen des Einmarschs Putins in der Ukraine verhängt hat. Stattdessen wird China das bloße Minimum tun, um Russland in die Lage zu versetzen, seine Konfrontation mit dem Westen aufrechtzuerhalten, und so die Aufmerksamkeit des Westens von der von China selbst ausgehenden strategischen Herausforderung abzulenken. Diese minimale chinesische Unterstützung mag gerade so ausreichen, um Putin im Kreml zu halten – das Einzige, was für ihn zählt. Doch wird der Kremlherrscher dabei über eine russische Volkswirtschaft regieren, die langsam ausblutet.
Nina L. Chruschtschowa ist Professorin für internationale Angelegenheiten an der New School und (gemeinsam mit Jeffrey Tayler) Verfasserin des jüngst erschienen Buches: In Putin’s Footsteps: Searching for the Soul of an Empire Across Russia’s Eleven Time Zones (St. Martin’s Press, 2019). Übersetzung: Jan Doolan.
Copyright: Project Syndicate, 2022.
www.project-syndicate.org
Xin Fang wird neuer COO des Luftfahrzeug-Herstellers EHang in Guangzhou. Das seit 2019 börsennotierte Start-up hat mit der Passagierdrohne EHang 184 und dem Zweisitzer EHang 216 zwei der bislang ausgereiftesten Elektro-Flugtaxi-Modelle entwickelt.
Steve Barnikol ist nach vier Jahren bei Volkswagen Financial Services in Peking zurück nach Deutschland gewechselt. In Braunschweig ist Barnikol seit Beginn des Jahres Head of Product Management E-Mobility, MEB & Agency, ebenfalls für Volkswagen Financial Services.
Cholerischer Chef, klüngelnde Kollegen, mieses Monatsgehalt? Zeit, den Futtertrog zu wechseln! Ursprünglich sprach man auf Chinesisch bei Pferden von 跳槽 tiàocáo (wörtl. “zu einem anderen Trog springen”), nämlich dann, wenn treulose Huftiere einfach zu einem anderen Besitzer überliefen, wo es saftigeres Futter gab. Mittlerweile ist die Metapher ein allgemein gebräuchliches Synonym für den Wechsel der Arbeitsstelle (weil anderswo schmackhaftere Konditionen locken). Besonders nach dem chinesischen Jahreswechsel setzen chinesische Angestellte gerne zum Sprung an. Dann ist der Frühlingsfestbonus (ein Pendant zu unserem Weihnachtsgeld) als Gehaltssahnehäubchen bereits abgesahnt. Ein guter Zeitpunkt also, sich nach grüneren Weiden umzusehen.
Kein Wunder, dass Pendlern rund um die Chunjie-Zeit an Bus- und U-Bahnhaltestellen in Chinas Metropolen großflächige Werbebotschaften von diversen Jobportalen entgegenkreischen. Zu den Zugpferden der Branche gehören dabei “Boss Direktbewerbung” (Boss 直聘 Boss zhípìn – Slogan: “Wenn du eine Arbeit suchst, sprich direkt mit dem Boss” 找工作,直接和老板谈 Zhǎo gōngzuò, zhíjiē hé lǎobǎn tán), “Smart Connection” (智联招聘 zhìlián zhāopìn) und die “Jobjäger” (猎聘 lièpìn).
Übrigens wirft man in China beim Jobwechsel nicht das sprichwörtliche Handtuch, sondern “legt die Tragestange nieder” (撂挑子 liào tiāozi). Zum Beispiel, wenn man sich als “Arbeitsköter” (上班狗 shàngbāngǒu) oder “Überstundenhund” (加班狗 jiābāngǒu) ausgebeutet fühlt – so die sarkastische Selbstbezeichnung überarbeiteter chinesischer Büroangestellter. Wer Glück hat, muss nicht selbst suchen, sondern wird von einem Headhunter (猎头 liètóu) “angebaggert”. Und das heißt tatsächlich so: Am “Fundament einer Mauer graben” (挖墙脚 wā qiángjiǎo) oder auch kurz “jemanden an- bzw. abgraben” (挖人 wā rén) sind chinesische Ausdrücke dafür, Personal von der Konkurrenz abzuwerben.
Wer dagegen am Arbeitsplatz nur “Fische tätschelt” (Sie erinnern sich vielleicht: das war das Synonym für “eine ruhige Kugel am Arbeitsplatz schieben”), läuft Gefahr, zu gebratenem Tintenfisch verfeuert zu werden. 炒鱿鱼 chǎo yóuyú (“Tintenfisch braten”) bedeutet nämlich (je nach Kontext) “gefeuert werden” oder “den Job hinschmeißen”. Seine Ursprünge soll der Ausdruck in einer Zeit finden, wo man noch mit eigenem Bettzeug am Arbeitsplatz anrückte, da man praktischerweise auch vor Ort logierte. Wer also seine Sachen wieder packte – sprich “das Bettzeug zusammenrollte” (卷铺盖 juǎn pūgài) – ging oder wurde gegangen. Deshalb wurde “das Bettzeug zusammenrollen” zu einem geflügelten Wort. Das wiederum soll den einen oder anderen an die sich beim Braten zusammenrollenden Ärmchen von Tintenfisch erinnert haben. Und so wurde diese noch indirektere Beschreibung allmählich zu einem Euphemismus für das unerfreuliche Ereignis des Jobverlusts.
Wer sich letztlich weder verbraten lassen noch den Futtertrog wechseln will, dem bleibt als letzte Option vielleicht nur noch das Tätscheln der Pferdepopos in der Chefetage. 拍马屁 pāi mǎpì (“auf den Pferdehintern klopfen”) heißt auf Deutsch “jemandem in den Hintern kriechen” (sprachlich auch nicht viel besser). Es zeigt sich also einmal wieder, dass das (Arbeits-)Leben kein Ponyhof ist. Machen Sie trotzdem das Beste daraus.
Verena Menzel betreibt in Peking die Sprachschule New Chinese.
wie positioniert sich China zum Ukraine-Konflikt? Zwar gehen derzeit mehrere Tendenzen durcheinander, widersprüchliche Meldungen jagen sich. Doch bei näherem Hinsehen folgt China durchaus einem erklärbaren Konzept. Sicher ist: Xi Jinping geht es allein um den Aufstieg Chinas. Russland ist da allenfalls ein nützlicher Unruhestifter, der die Entschlossenheit der westlichen Allianz austestet und sich zugleich in Abhängigkeit vom verbliebenen Partner im Osten begibt.
Deshalb wartet Peking mit seiner Positionierung derzeit noch ab, in welche Richtung der Konflikt läuft. Hat Putin Erfolg, ist China dabei. Läuft es schlecht für Russland, wird sich China schnell von dem Projekt verabschieden. Dieser Schritt befindet sich bereits in Vorbereitung: Am Sonntag hat Peking vorsichtig begonnen, sich von Russlands Vorgehen zu distanzieren. Die Wortwahl lässt aber kurzfristig noch alle Möglichkeiten offen, wie unsere Analyse zeigt.
Langfristig plant Xi dann jedoch, möglichst viel für China aus der Situation herauszuholen. Eine der führenden deutschen Expertinnen für Chinas Außenpolitik ordnet das Geschehen für uns in den großen Zusammenhang ein. Was sich vor unseren Augen abspielt, ist nicht nur ein Krieg um die demokratische Ukraine, sondern prägt die künftige Weltordnung, sagt Janka Oertel im Gespräch mit Michael Radunski. Oertel leitet das Asienprogramm des European Council on Foreign Relations, hat aber auch schon bei den Vereinten Nationen gearbeitet.
Die Maßstäbe, nach denen wir Chinas Interessen bewerten, stimmen nicht mehr, warnt Oertel. Wir müssen uns von der Gewissheit verabschieden, dass es der Führung in erster Linie um Wachstum und Wohlstand geht. Sie habe sich entschieden, kurzfristigen wirtschaftlichen Schaden in Kauf zu nehmen, um langfristige politische Ziele zu erreichen.
Auf der Positivseite signalisiert der Aufbau einer geschlossenen Front europäischer Länder am Wochenende auch Richtung Peking: Der Westen ist nicht ganz so uneins, wie er lange gewirkt hat. Auf der Negativseite sollten wir beginnen, uns auf eine Welt einzustellen, in der China und Russland eng zusammenarbeiten, so Oertel.
Eine weitere Lehre aus den Ereignissen betrifft Taiwan. Oertel rät dazu, Autokraten genau zuzuhören, wenn sie ihre Pläne darlegen. Wir sollten sie probeweise beim Wort nehmen, statt immer nur strategisches Kalkül zu unterstellen. Putin hat schließlich schon vor Jahren gesagt, dass er die Ukraine für keinen legitimen Staat hält. Und Xi Jinping hat wiederholt von einer bevorstehenden Vereinigung mit Taiwan gesprochen. All das weckt in Taipeh derzeit wahnsinnige Sorgen.
Unser Gastbeitrag stammt heute von einer Urenkelin von Nikita Chruschtschow, dem starken Mann der Sowjetunion in den 50er-Jahren. Nina Chruschtschowa ist Politologin – und überführt Wladimir Putin eines folgenschweren Irrtums. Putin glaube, sich in China durch den Vertrag zum Olympia-Auftakt einen Verbündeten gesichert zu haben. Tatsächlich spiele China die Russen gegen den Westen aus, glaubt Chruschtschowa. Die Strategen in Peking sehen Russland als korrupt und rückständig und wollen es zu einem Vasallenstaat machen. Indem Putin alle Brücken nach Europa abbricht, manövriert er sein Land in Abhängigkeit von dem großen Nachbarn im Osten. China könne also enorm gestärkt aus den Ereignissen hervorgehen, so Chruschtschowa.
Auch die Auswirkungen des Kriegs auf die Rohstoffmärkte spielen Peking in die Hände. In der Ukraine – und im nun geächteten Russland – befinden sich Vorkommen von Metalle und Gasen, die für die Herstellung von Chips und Elektronik gebraucht werden. Der Krieg könnte also auch hier die Lieferketten-Krise verstärken und die Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von China erhöhen. Die Rohstoffe sind so wichtig für die Hightech-Industrie, dass sie sogar in Putins Kalkül zum Überfall auf die Ukraine hineingespielt haben könnten, analysiert Frank Sieren.
Frau Oertel, China behauptet, seine Politik sei konsistent, klar und eindeutig. Im Russland-Ukraine-Konflikt wirkt es aber, als laviere Peking und vermeide es, klar Stellung zu beziehen. Einerseits will man die Territorialität und Souveränität von Staaten schützen, andererseits will man Russlands Verhalten nicht verurteilen. Im UN-Sicherheitsrat hat China sich enthalten. Was sind die Gründe?
Dafür muss man zurück zu Putins Besuch in Peking kurz vor den Olympischen Spielen. Schon damals hat sich Xi Jinping für die Seite Putins entschieden, wohl wissend, was passieren kann. Das ist das, was mich am meisten irritiert. Und auch beunruhigt.
Sie glauben, Xi hat schon damals eine russische Invasion in die Ukraine abgesegnet?
Auf jeden Fall lag das damals schon auf dem Tisch. Es scheint mir merkwürdig zu glauben, dass nach allem was bekannt ist, Xi nicht verstanden haben soll, welche Ausmaße der Konflikt annehmen könnte. Und in dieser Situation hat sich Xi entschieden, zusammen mit Putin ein Statement abzugeben, in dem sich China erstmals gegen die Expansion der Nato stellt.
Aber China hat doch durchaus eigene Interessen in der Ukraine, die sich so gar nicht mit einem russischen Einmarsch verbinden lassen.
Ja. Und es gibt viele Stimmen in China, aus Thinktanks oder dem Forschungsbereich, die sagen, das sei nicht im Interesse Chinas. Aber Xi geht es offenbar um mehr. Es scheint, als habe er festgelegt, dass es ein übergeordnetes chinesisches Interesse gibt. Da geht es um eine neue Weltordnung, und hier müssen kurzfristige politische und ökonomische Ziele einfach zurückstehen. Das beunruhigt mich, denn damit bekommt der Ukraine-Konflikt eine globale Dimension, plötzlich geht es um die zukünftige Weltordnung.
Was können wir aus Chinas Worten herauslesen?
Sich zu weigern, das, was passiert, als Invasion zu bezeichnen zum Beispiel, oder dass man Verständnis habe für Russlands “legitime Sicherheitsinteressen”. Das sind sehr wichtige und weitreichende Formulierungen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass man noch überlegt, wie es weitergehen soll. Peking muss abschätzen, wie reagieren die Amerikaner, was macht die Nato, wohin bewegt sich die EU oder auch die afrikanischen Staaten. Deutlich wird die schwierige Abwägung zwischen gegenläufigen Interessen. Man kann eben nicht für staatliche Souveränität sein und gleichzeitig den Einmarsch Russlands nicht verurteilen.
Was will China dann?
Man will ein Narrativ schaffen, das sagt, die Aggression geht im Prinzip von den USA aus und dass es sich daher um eine Verteidigungshandlung Russlands handelt. Das scheint wichtiger zu sein als die jahrelangen Prinzipien der eigenen Außenpolitik, nämlich territoriale Souveränität und Integrität der Ukraine.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Putin und Xi? Sind das wirklich so enge Freunde, wie sie selbst behaupten?
Das ist wirklich schwer zu sagen. Wer weiß schon, was in den beiden vorgeht. Es scheint, als hätten sie einen ganz eigenen Blick auf die Welt. Ihre gemeinsame Abneigung gegen den Westen sollte man sicher nicht unterschätzen. Sie stützen sich darin gegenseitig und trauen sich dadurch neue Schritte. Das ist beunruhigend.
Welche neuen Schritte geht China?
In den letzten zwei Jahren haben wir gesehen, wie wenig Wert China darauflegt, mit Europa ein gutes Verhältnis zu haben oder auf europäische Interessen einzugehen, um sich Europa wohlwollend zu halten. Dafür hätte es genug Möglichkeiten gegeben. Aber die hat man bewusst oder sehr stümperhaft zerstört.
Woran denken Sie?
In der Pandemie hätte man nur ein bisschen kooperativ sein müssen in der Zusammenarbeit mit der WHO oder anschließend nicht eine derart aggressive Diplomatie verfolgen können. Die Europäer waren doch sehr offen für China. Zudem war Donald Trump im Amt. China hätte diesen Zeitpunkt strategisch nutzen können, um sich sehr gut mit den Europäern zu stellen. Zudem hat Peking ja auch große wirtschaftliche Interessen in Europa, wie auch große wirtschaftliche Abhängigkeiten.
Aber?
Aber der Unmut über Chinas Verhalten in und mit Europa wächst stetig, und Peking geht trotzdem unerbittlich gegen Litauen vor – und man denkt wieder, das kann doch eigentlich nicht im Interesse Chinas sein, die ganze EU gegen sich aufzubringen. Aber, und ich glaube, das ist der entscheidende Punkt: Vielleicht sind die Maßstäbe, wonach wir bewerten, was in Chinas Interesse ist, nicht mehr die richtigen. Das passiert auch jetzt. Wir sagen, China hat doch wirtschaftliche Interessen in der Ukraine und mit den westlichen Staaten. Alles richtig. Aber Chinas Führung hat offenbar entschieden, kurzfristigen wirtschaftlichen Schaden in Kauf zu nehmen, um langfristige politische Ziele zu verfolgen. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Kalkulation ändert, wenn die Kosten weiter steigen.
In der Vergangenheit hat es immer geklappt: Peking sucht sich eine vermeintliche Schwachstelle, in Europa bleibt es bei Solidaritätsbekundungen, sonst passiert nichts – und Peking kommt damit durch. Zugleich wird die Mär von der vermeintlichen Einheit im Westen bitter entlarvt.
Ja, und selbst bei Litauen scheint das zumindest kurzfristig auch wieder funktioniert zu haben. Aber langfristige Folgen sind absehbar. Europa bringt Maßnahmen voran und die Stimmung hat sich verändert. Ich bin mir nicht sicher, ob die Abschätzung in Peking gerade korrekt ist. Wenn die Europäer tatsächlich enger zusammenrücken, könnte es ungemütlich werden für Peking.
Und sie glauben tatsächlich, dass das dieses Mal passieren wird?
Ich weiß es nicht, aber die relative Geschlossenheit des Westens und die Härte der Maßnahmen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sendet hoffentlich ein wichtiges Signal nach Peking. China ist nicht Russland, die Einigkeit wäre schwieriger herzustellen, aber ignorieren kann man die derzeitigen Reaktionen in Peking nicht.
Auch wenn es rein pragmatisch ist, das Verhältnis zwischen China und Russland ist so gut wie vielleicht noch nie. Ein Problem für Europa und den Westen?
Ich würde mir wünschen, dass wir in Europa schleunigst anfangen darüber nachzudenken, was es bedeutet, wenn China und Russland immer enger zusammenarbeiten, was das für eine Welt wäre. Das Signal, das beide senden wollen: Wir sind nicht isoliert.
Welche Auswirkungen hat das russische Vorgehen und Chinas Stillschweigen auf die Zukunft von Taiwan?
In Taiwan macht man sich wahnsinnige Sorgen. Man beobachtet sehr genau, wie die Reaktion des Westens aussieht, ob man die Ukraine verteidigen wird oder nicht. Das ist ein klares Signal für Taiwan. Die Ukraine steht der Nato sehr nahe, aber sie ist kein Nato-Bündnispartner. In dieser Situation fängt man in Taiwan an zu überlegen, in welcher Art von Bündnis man zu den USA steht, wer einem zur Hilfe eilen würde im Ernstfall. Die strategische Bedeutung Taiwans ist für die USA eine andere als die der Ukraine, aber Taiwan muss sorgenvoll auf die Eskalation in der Ukraine blicken. Es fällt schwer, keine Parallelen zu ziehen. Denn auch China versucht, das für sich zu nutzen. Da wird jetzt schon der Grundstein gelegt für ein Narrativ, das sehr besorgniserregend ist.
Was kann Europa denn tun? Die Fregatte Bayern wieder losschicken, um Taiwan zu retten?
Nein, das allein hilft sicher wenig. Aber es geht ganz prinzipiell darum, in der Region Präsenz, Flagge zu zeigen. Das erwartet man in der Region. Ansonsten ist es vor allem eine diplomatische Frage, welche Signale sendet man, wie kann man die Kosten für eine chinesische Aktion so hoch wie möglich halten und das auch deutlich und glaubwürdig signalisieren.
Überschätzen Sie an dieser Stelle vielleicht Europa?
Nein. Aber man kann das natürlich nur machen, wenn man auch entsprechende Druckmittel hat. Deshalb muss man die Taiwanfrage einbinden in unser Gesamtverhältnis zu China. Man muss wettbewerbsfähig bleiben und darf nicht zu sehr in Abhängigkeiten geraten.
Wo könnte Europa ansetzen? Was würde China beeindrucken?
Technologie-Exporte und die Handelsbeziehung im Allgemeinen. Es geht hierbei grundsätzlich um die Frage, ob wir als außenpolitischer Akteur ernst genommen werden.
Ich fürchte, da macht man sich in Berlin und Brüssel etwas vor. Oder?
Ja. Wenn man das chinesische Verhalten anschaut, wird klar: Derzeit nimmt man uns in Peking nicht vollständig ernst. Entscheidend hierbei ist die Einigkeit zwischen den europäischen Staaten. Solange wir geschlossen auftreten, sowohl in Wirtschaftsfragen wie auch in Fragen kollektiver diplomatischer Haltung, ist Europa ein starker und glaubwürdiger Akteur. Sobald das aber nicht der Fall ist, haben wir ein Problem.
Xi Jinping hat schon mehrmals und sehr deutlich gesagt, dass die Taiwanfrage weit oben auf seiner Agenda steht.
Nur leider wird das in Europa nicht ernst genug genommen. Das wäre schon der erste Schritt, politisch ernst zu nehmen, was gesagt wird. Ein Putin, der sagt, im Zweifelsfall marschiere ich in die Ukraine auch militärisch ein. Das müssen wir als Lektion mitnehmen. Wenn Xi Jinping signalisiert, dass auch er bereit ist, die Taiwanfrage im Notfall militärisch zu lösen, dann sollte man das ernst nehmen. Das heißt noch lange nicht, dass es auch passiert, aber vorbereitet zu sein wäre sinnvoll.
Ich will nicht nur schwarzmalen, aber: in Xinjiang sind UN-Angaben zufolge eine Million Uiguren inhaftiert – nichts passiert. Zu Hongkongs Autonomie hatte man Verträge abgeschlossen – nichts passiert. Im Südchinesischen Meer liegt gar ein internationaler Schiedsspruch vor – und auch das ist China egal.
Ich kann natürlich nicht sagen, dass wir in der Taiwanfrage nun auf jeden Fall endlich geschlossen auftreten werden und damit China zumindest zum Nachdenken bringen. Ich kann nur hoffen, dass wir uns als Europa stärker positionieren in Konflikten, die maßgeblich nicht nur unsere eigenen Interessen betreffen, sondern auch Demokratien in Asien und damit die globale Ordnung.
Dann nehme ich mal Chinas Haltung ein, um das Problem zu verdeutlichen, vor dem wir in unserer eigenen Argumentation stehen: Was ist das Problem, ihr im Westen sagt doch auch, dass es nur ein China gibt. Wenn wir in Taiwan einmarschieren, ist das doch keine Veränderung des Status quo. Es gibt nur ein China.
Das Argument des Status quo kann man nicht mehr halten. Der Status quo hat sich signifikant verändert in den letzten mehr als siebzig Jahren, diese Status-quo-Argumentation funktioniert so nicht mehr. Deshalb müssen wir uns auch fragen, ob unser derzeitiger politischer Ansatz tatsächlich noch zeitgemäß ist oder ob wir es inzwischen mit zwei sehr unterschiedlichen Chinas zu tun haben und wir dann auch hier klarer Position beziehen müssen.
Die chinesische Regierung bezieht in der Bewertung des Ukraine-Kriegs zwar weiterhin keine klare Stellung. Doch am Sonntag nahmen in der Mischung chinesischer Äußerungen die kritischen Töne gegenüber Russland zu. “Die derzeitige Situation stellt etwas dar, das China nicht sehen will”, sagte Außenminister Wang Yi in Telefongesprächen mit europäischen Kollegen. “Die Sicherheit der einfachen Bürger und ihrer Besitztümer sollte gewahrt sein, und humanitäre Krisen sollten vermieden werden.”
Zuvor hatte Staatschef Xi Jinping den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Telefonat zu Verhandlungen mit der Ukraine aufgefordert. China hat sich zudem im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der Stimme enthalten, als es um die Verurteilung des Angriffs ging. Russland musste sein Veto einlegen, um die Resolution zu verhindern.
Die Inhalte der Gespräche Wangs mit den Europäern waren aber weiterhin mehrdeutig. In der Version der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua von seiner Unterredung mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock stand ein anderer Aspekt im Vordergrund als in der Wahrnehmung der EU-Seite: China lehne Sanktionen als politisches Mittel grundsätzlich ab, “insbesondere einseitige Sanktionen, die nicht vom internationalen Recht gedeckt sind”. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werde China sich für “Lösungen ohne autoritäre Gewaltanwendung und Sanktionen” einsetzen.
In Anbetracht des unprovozierten Angriffskriegs gegen die Ukraine klingen diese Worte zunächst so, als folge Wang der Darstellung Russlands von der Notwehr gegen Nazis und einen aggressiven Westen. Er erklärte die russischen Handlungen auch mit einer zu schnellen Ausdehnung der NATO. Doch zugleich akzeptierte Wang die Rolle des Atlantik-Bündnisses als entscheidende Kraft in Westeuropa: “China unterstützt die Nato, die Europäische Union und Russland darin, im Dialog einen ausbalancierten europäischen Sicherheitsmechanismus zu entwickeln.” Er deutete an, dass China hier vermitteln könne.
China ist weiterhin die beste Chance Russlands, die immer schärferen Sanktionen des Westens und Japans zu unterlaufen. Am Wochenende hatten diese sich dazu durchgerungen, Russland von internationalen Zahlungsströmen und vom Flugverkehr abzuschneiden. Das isoliert das Land effektiv. Solche Sanktionen werden den Lebensstandard der russischen Bevölkerung merklich nach unten ziehen.
China könnte als Handelspartner zwar zum Teil einspringen (China.Table berichtete). Aber bisher gibt es keine Signale Chinas, die sich dahin interpretieren lassen, dass Peking ihm im großen Stil mit Wirtschaftshilfe beispringt. Experten nehmen daher derzeit nicht an, dass China sich durch eine enge Allianz mit Russland ebenfalls in eine Außenseiterrolle ziehen lassen wird. “Russland ist ein Verbündeter, doch es würde die Abkopplung vom Westen beschleunigen, wenn China sich offen auf seine Seite schlüge”, sagt Ökonom Mark Williams von Capital Economics in London. China werde Russland eher verdeckt unterstützen, ohne die Sanktionen offen zu unterlaufen. Die Bedeutung des Handels mit USA, EU und Japan übertrifft die Bedeutung des Russland-Handels für China bei weitem.
Die US-Regierung teilt diese Einschätzung. “Alles deutet darauf hin, dass China nicht zur Hilfe eilt”, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen hochrangigen Beamten in Washington. China sorge sich offenbar vor einem Image-Schaden, wenn es sich offen hinter Russland stelle. Eine gewisse Bestätigung dafür ergab sich Ende vergangener Woche aus dem Verhalten der großen Staatsbanken. Diese beschränkten mit Verweis auf die unklare Marktsituation ihre Außenhandelskredite für russische Rohstofffirmen.
Zugleich gibt es erste Anzeichen für unauffällige Hilfe aus Ebene des Privatsektors, der in China ebenfalls Anweisungen des Staates erhält. Die Fahrdienst-App Didi wollte sich eigentlich aus dem russischen Markt zurückziehen. Am Sonntag machte sie jedoch einen Rückzieher und kündigte an, nun doch in Russland zu bleiben. Die Kehrtwende war Anlass für Spekulationen, dass die Hand Pekings hier eine Rolle spielt. Didi hatte den geplanten Rückzug ursprünglich mit den “veränderten Marktbedingungen” infolge der Sanktionen des Westens begründet.
Die Ukraine verfügt über enorme Bodenschätze von Eisenerz, Titan, Lithium, Grafit, Nickel bis hin zu Seltenen Erden. Auch riesige Schiefergas-Vorkommen sollen noch unerschlossen in der Erde schlummern. Daneben ist die Ukraine ein wichtiger Lieferant von Gasen wie Neon, Argon, Krypton und Xenon, die für die Chip-Industrie ebenfalls von großer Bedeutung sind. Im Wettbewerb der Nationen zu Beginn des 21. Jahrhunderts spielt der Zugang zu solchen Hightech-Rohstoffen eine immer wichtigere Rolle.
Der Krieg in der Ukraine kann also auch die Lieferprobleme für Chips und Elektronik verschärfen. Der taiwanische Chiphersteller TSMC ist bereits im Krisenmodus und nimmt Kontakt mit alternativen Anbietern auf, um höhere Lieferungen zu vereinbaren. Doch parallel versuchen auch Japan und Südkorea, sich die wenigen verfügbaren Bestände zu sichern. Edelgase werden in lithografischen Lasern verwendet, die im Herstellungsprozess von Halbleitern zum Einsatz kommen. Sie dienen dazu, sie Schaltungen in Siliziumplatten zu ätzen.
Die Ukraine ist einer der größten Exporteure solch hochreiner Edelgase. Der Markt für Neon ist relativ klein. Er umfasst nur mehrere hundert Millionen Dollar, beziehungsweise rund 600 Millionen Liter. Laut einem Bericht des US-Marktforschungsunternehmens Techcet produziert Russland Neon als Nebenprodukt der Stahlherstellung, das dann von einem spezialisierten ukrainischen Unternehmen veredelt wird.
Laut dem auf die Halbleiter-Branche spezialisierten US-Analysten Stacy Rasgon wird für die Chipherstellung etwa 75 Prozent des weltweiten Neon-Angebots verbraucht. Die Krim-Krise 2014 hatte bereits zu einer Versiebenfachung der Neon-Preise geführt. Die USA decken ihren Bedarf an den Gasen laut Techcet zu mehr als 90 Prozent aus Russland und der Ukraine. Selbst die Chip-Macht Südkorea importiert rund ein Viertel ihres Neons, fast ein Drittel des Kryptons, und ein Sechstel des benötigten Xenons aus der Ukraine. Nun wird immer wahrscheinlicher, dass Moskau die Vorräte selbst ausplündert, sollte die Ukraine ihre Selbstständigkeit verlieren.
Die Edelgase sind dabei nur ein Beispiel von vielen. Die EU hat ihre Liste der nunmehr 30 kritischen Rohstoffe zuletzt im September vergangenen Jahres aktualisiert. “21 dieser kritischen Rohstoffe können in der Ukraine gefunden werden, die außerdem 117 von 120 weltweit genutzten Mineralien abbaut. Wir sprechen hier über Lithium, Kobalt, Mangan, seltene Erden – sie alle sind in der Ukraine zu finden,” erklärte Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Europäischen Kommission, im vergangenen Juli.
Besonders ärgerlich für die asiatischen Länder: Ausgerechnet China wäre eine wichtige Alternativquelle, um den Bedarf bei weiteren Engpässen zu decken. Dazu müsste China seine Produktion allerdings steigern. Das wird nicht passieren, ohne Preissteigerungen. Damit wird China, der stärkste Spieler im Markt, noch mächtiger. Schon jetzt kann China als weltgrößter Produzent von Seltenen Erden die weltweiten Preise und das Angebot stark beeinflussen, und mit Exportquoten sogar bestimmen.
Anders als die EU, die das Thema verschlafen hat, erklärte die chinesische Regierung bereits 1990 Seltene Erden zu einem “strategisch wichtigen” Sektor. Mit Produktions- und Exportquoten sowie Abbauverboten für Ausländer in China hat Peking seinen Anteil an der globalen Produktion seitdem stetig vergrößert. Und Peking hat sich im Unterschied zum Westen sehr früh mit viel Kapital an Bergbauprojekten in anderen Ländern beteiligt, vor allem in Afrika, aber eben auch in Ukraine. Auch dort bieten chinesische Unternehmen wie die Shenzhen Chengxin Lithium Group bei den Nutzungsrechten vorne mit.
Erst Ende November vergangenen Jahres hat das Unternehmen aus Shenzhen ein Gebot abgegeben, um sich nun auch stärker in der europäischen Lithiumindustrie zu verankern, neben Investitionen in Indonesien, Argentinien und Simbabwe. Chengxin stellt Chemikalien für E-Auto-Batterien her. Es hat sich um die wichtigen ukrainischen Vorkommen beworben. Diese liegen in Shevchenkivske und in Dobra. Shevchenkisvke liegt in der umkämpften Region Donezk. Dobra befindet sich in der Zentralukraine. Das chinesische Engagement in diesen Gebieten gefällt weder der EU, noch den Russen, noch den USA.
Die Kontrolle über die Vorkommen würde Moskaus technologische Position in der Welt stärken und die Abhängigkeit vom Westen und vor allem von China verringern. In der EU, die was Seltene Erden betrifft fast blank ist, hatte man die gleiche Idee. Das in Australien gelistete Unternehmen European Lithium, das sich ansonsten um den Abbau von Lithiumvorkommen im österreichischen Wolfsberg kümmert, hatte Ende vergangenen Jahres den Kauf eines ukrainischen Unternehmens angekündigt. European wollte Petro Consulting unter der Voraussetzung erwerben, dass sie innerhalb eines Jahres die Rechte an den beiden Vorkommen bekommen. Das australisch-europäische Unterfangen hatte gute Chancen, weil so die Vorkommen Europa und nicht etwa China dienen.
Das ist nun Makulatur. Und China hat 2021 seine Position noch stärker ausbauen können, als der Weltmarkt gewachsen ist. Laut vorläufigen Daten der U.S. Geological Survey (USGS) stieg der Abbau von Seltenen Erden im vergangenen auf rund 280.000 Tonnen, ein Plus von 17 Prozent gegenüber den 240.000 Tonnen des Vorjahres. Die Volksrepublik war dabei der größte Produzent mit einem Volumen von 168.000 Tonnen – 20 Prozent mehr als im Vorjahr mit 140.000 Tonnen. Schon jetzt kommen 98 Prozent der Seltenen Erden der EU aus China. Schon lange fürchtet man in Brüssel, dass China sein Quasi-Monopol in Zukunft noch mehr ausnutzen wird, um politischen Druck auszuüben. Diese Befürchtung herrscht aber nicht nur in Brüssel, sondern auch in Moskau.
Im vergangenen September erst hatte die EU-Kommission die Europäische Allianz für Seltene Erden ins Leben gerufen. Im Juli 2021 wurde die Ukraine offiziell eingeladen, der EU-Industrieallianz für Batterien und Rohstoffe beizutreten. Ziel sei die Entwicklung einer kompletten Wertschöpfungskette für Gewinnung, Veredelung und auch Recycling von Mineralien aus der Ukraine zur Versorgung des EU-Marktes für Elektroautos und Digitalgeräte. Das hat Moskau nicht gefallen.
Selbstverständlich ist dies weder Rechtfertigung noch Hauptgrund für den menschenverachtenden Angriffskrieg Putins. Die Rohstoffe könnten aber unter den vielen Faktoren, die Putin zu dieser in den vergangenen Jahrzehnten beispiellosen Aggression verleitet haben, eine Rolle gespielt haben. Und so wie es derzeit aussieht, verfügen nun zunächst einmal weder die Chinesen noch die Europäer über die ukrainischen Ressourcen, sondern Wladimir Putin.
Die chinesische Botschaft in Kiew berichtet von Problemen bei der Evakuierung aus der Ukraine. Zwar bemüht sich China, die eigenen Staatsbürger in Sicherheit zu bringen und hat dafür schon Flugzeuge organisiert. In der Praxis sind die Fluchtwege jedoch derzeit versperrt, sagt Botschaft Fan Xianrong auf Sozialmedien. Die Sicherheitslage habe sich dramatisch verschlechtert, sodass eine Ausreise derzeit nicht möglich sei. Mit “Raketen in der Luft” und “Explosionen am Boden” sei ein geregelter Flugverkehr nicht möglich. “Für die folgenden Tage erwarten wir eine weitere Verschlechterung der Situation”, so Fan. “Es tobt ein heftiger Kampf zwischen den Konfliktparteien und es wird viele unvorhersehbare Entwicklungen geben.”
Fan warnte auch vor “unkontrollierten Reaktionen” der Ukrainer auf Chinesen. Alle Beteiligten sollten daher einen kühlen Kopf bewahren. Es sei besonders wichtig, die Ausgangssperren einzuhalten. Zudem soll niemand Handy-Videos von Not oder Leid betroffener Personen aufnehmen, weil das als respektlos verstanden werden könne. Auch wenn die Evakuierungsaktion sich noch hinziehe, werde er seine Landsleute nicht im Stich lassen, versprach der Botschafter.
In der Ukraine halten sich nach Botschaftsangaben rund 6.000 chinesische Staatsbürger auf. Die meisten davon sind Studenten und Geschäftsleute. China hatte seine Bürger – anders als Deutschland oder die USA – nicht schon vor Ausbruch der Kampfhandlungen zur Rückkehr in die Heimat aufgefordert. Die Botschaft in Kiew hatte den Chinesen vor Ort stattdessen anfangs geraten, ihre Autos und Wohnungen mit chinesischen Flaggen zu markieren. Das ist offenbar angesichts der Xi-Putin-Allianz nicht bei allen Einheimischen gut angekommen. In seinem neuen Video riet Fan ihnen nun dazu, sich bedeckt zu halten. fin
Tesla reagiert auf die wachsende Nachfrage und plant eine Erweiterung der Produktion für Automobilteile in Shanghai. Das geht aus einem Dokument hervor, das der US-amerikanische Hersteller bei der Shanghaier Stadtverwaltung eingereicht hat, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Neben Werkshallen sollen Mitarbeiter hinzukommen. Schon im November hatte Tesla angekündigt, bis zu 1,2 Milliarden Yuan (170 Millionen Euro) in das Werk in Shanghai zu investieren. Das könnte etwa 4.000 neue Arbeitsplätze bedeuten. Genaue Zahlen waren in dem Dokument zur geplanten Erweiterung allerdings geschwärzt und auf Nachfrage bei Tesla nicht erhältlich.
Das Werk in Shanghai ist seit 2019 in Betrieb. Es ist bisher auf eine jährliche Produktion von 500.000 Fahrzeugen der Reihen Model 3 und Model Y ausgelegt. Im vergangenen Jahr verließen 470.000 China-Teslas das Werk. Von diesen Fahrzeugen wurden 160.000 exportiert. Ein Großteil landet auf dem heimischen Markt. Die chinesische Produktion von Tesla machte 2021 damit knapp die Hälfte der Gesamtproduktion aus. In China dominieren einheimische Automarken wie BYD und Wuling. Tesla ist der einzige ausländische Hersteller in den Top 10 der meistverkauften E-Auto-Marken. jul
Chinas gefürchtete Zentrale Disziplinarkommission hat mehr als zwei Dutzend Finanzbehörden, staatliche Banken und Versicherer scharf zurechtgewiesen. Sie werden den Zielen der kommunistischen Führung nicht gerecht, kritisierte die Anti-Korruptionsbehörde in einem Statement. So pauschale Kritik ist selbst in China ungewöhnlich und verdeutlicht die Sorge der Regierung über Risiken für den Finanzsektor.
Die 25 Institutionen wurden seit Oktober überwacht. Betroffen sind unter anderem Chinas Zentralbank, die Börsen in Shanghai und Shenzhen und große Finanzkonzerne, wie die China Investment Corp. Auch die Bankenregulierungsbehörde CBIRC wurde zurechtgewiesen. Sie reagiere nicht ausreichend auf Korruptionsfälle, solle die Kapitalüberwachung stärken und “Wildwuchs” verhindern.
Korruptionsbekämpfung spielt eine wichtige Rolle in Xi Jinpings Politik. Zuletzt hatten vor allem große Technologiefirmen und Immobilienunternehmen im Fokus gestanden. Bei der letzten großen Überprüfung des Finanzsektors im Jahr 2015 hatten mehr als 20 Offizielle ihre Posten verloren.
Die betroffenen Institutionen reagierten einsichtig auf die Kritik. Yi Gang, der Präsident der chinesischen Zentralbank, teilte mit, er werde Fehler korrigieren und die Finanzregulierungen verbessern. Guo Shuqing, der Vorsitzende der Bankenregulierungsbehörde, ließ mitteilen, dass seine Behörde dem Feedback der Disziplinarkommission zustimme und die Probleme beheben werde. jul
Der russische Präsident Wladimir Putin scheint zu glauben, dass er durch Unterzeichnung eines scheinbaren Bündnisvertrages mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping am 4. Februar in Peking so etwas erreicht hat wie US-Präsident Richard Nixon bei seinem historischen Besuch in China 1972. Doch genau wie die Sowjetunion der große Verlierer der chinesisch-amerikanischen Annäherung des Jahres 1972 war, dürfte sich Russland als der große Verlierer der Übereinkunft zwischen Putin und Xi erweisen.
Nixons Besuch bei Mao Zedong war ein entscheidender Moment in der Geschichte des Kalten Krieges, der größere Auswirkungen auf dessen Verlauf hatte als selbst die Kubakrise. Die Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion waren damals viel stärker von Verbitterung gekennzeichnet, als dem größten Teil der Welt, einschließlich der meisten Amerikaner, je bewusst war.
Die deutliche Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden kommunistischen Giganten begann mit Nikita Chruschtschows 1956 in einer nicht-öffentlichen Sitzung des 20. Kongresses der Kommunistischen Partei gehaltenen “Geheimrede“, in der er sich von Stalin distanzierte. Diese Rede und Chruschtschows umfassendere Destalinisierungs-Kampange verärgerten Mao, der sie als revisionistisch verurteilte, da er vermutlich fürchtete, dass ihm eines Tages eine ähnliche Ächtung zuteilwerden könnte.
Die ideologischen und politischen Meinungsunterschiede führten zu einem Zusammenbruch der politischen Beziehungen, der im chinesisch-sowjetischen Zerwürfnis von 1960 gipfelte. Neun Jahre später lieferten sich sowjetische und chinesische Streitkräfte sieben Monate lang erbitterte Gefechte entlang des Ussuri in der Nähe zur Mandschurei. Ein umfassenderer Krieg konnte gerade noch abgewendet werden.
Als sich Nixon nach China aufmachte, war es sein Ziel, diese Feindseligkeit zwischen den beiden kommunistischen Mächten auszunutzen. Doch weder er selbst noch sein nationaler Sicherheitsberater Henry Kissinger hätten vorhersagen können, wie erfolgreich er sein würde. Leonid Breschnews trägem, schwerfälligem Kreml erschien es, als hätte China im Kalten Krieg die Seiten gewechselt.
Angesichts des Bismarck’schen Alptraums eines Zwei-Fronten-Krieges gegen die NATO im Westen und ein verbittertes China im Osten erwärmte sich Breschnew rasch für Kissingers Vorstellung einer Entspannung zwischen den USA und der UdSSR. Er ging sogar so weit, die Helsinki-Verträge zu unterzeichnen, die den Westen in die Lage versetzten, den sowjetischen Totalitarismus auf der Basis der Menschenrechte infrage zu stellen.
Kissinger verdient, nebenbei gesagt, weniger Anerkennung für diese Erfolge, als er wiederholt beansprucht hat; Nixon hatte sich bereits für eine Öffnung gegenüber China ausgesprochen, bevor er 1969 sein Amt als Präsident antrat. Putin jedenfalls glaubt womöglich, dass er Amerikas diplomatischen Coup wiederholt hat. Er scheint zu denken, dass er sich durch Vertiefung der Beziehungen zu China einen wertvollen Verbündeten in seinem Kampf gegen den Westen verschafft hat.
Jedoch hat sich Chinas Entfremdung von den USA schon seit fast einem Jahrzehnt zunehmend verschärft – ein Trend, den der ehemalige US-Präsident Donald Trump beschleunigt hat und für dessen Abmilderung Präsident Joe Biden bisher kaum etwas getan hat. Angesichts dieser wachsenden Gegnerschaft zum Westen ist es China, das Russland auf seine Seite bekommen wollte und nicht umgekehrt – und auch nicht als gleichberechtigten Partner.
Natürlich unterstützt China trotz seines häufig wiederholten Mantras, wonach nationale Souveränität und territoriale Integrität sakrosankt seien, jetzt faktisch Putins Militäraufmarsch entlang der Grenze zur Ukraine: Es hat den Westen gedrängt, Russlands “Sicherheitsbedürfnis” ernst zu nehmen, und hat seine Ablehnung einer NATO-Erweiterung bekräftigt. Doch dürfte das nicht bedeuten, dass China Russland bei einer Auseinandersetzung mit den USA und der NATO unterstützen wird.
Stattdessen hat Xi getan, was notwendig war, um Russland in eine vassallenartige Abhängigkeit von China zu bringen. Und Putin ist ihm in dem Glauben, dass eine Partnerschaft mit Xi ihm in seiner Konfrontation mit dem Westen helfen würde, direkt in die Falle getappt.
Was könnte für China besser sein als eine russische Wirtschaft, die komplett vom Westen abgeschnitten ist? All das Erdgas, das nicht westwärts in Richtung Europa fließt, könnte gen Osten ins energiehungrige China fließen. Alle sibirischen Rohstoffvorkommen, für deren Erschließung Russland westliches Kapital und Know-how brauchte, würden ausschließlich China zur Verfügung stehen, und gleiches gilt für wichtige neue Infrastrukturprojekte in Russland.
Wer noch Zweifel an der Hemmungslosigkeit hat, mit der Xi Russlands Isolation ausnutzen wird, braucht sich nur das Vorgehen von Xis Amtsvorgängern Hu Jintao und Jiang Zemin ansehen. Zunächst erschienen die Beziehungen freundlich. Putin unterzeichnete 2001 einen Freundschaftsvertrag mit China. Und China stellte angesichts der finanziellen Isolation Russlands Ende 2004 einen Kredit von sechs Milliarden Dollar bereit, damit Russlands staatseigene Ölgesellschaft Rosneft den Kauf der größten Produktionseinheit der Yukos Oil Company finanzieren konnte (einem Unternehmen, das Putins Regierung 2006 erfolgreich in den Bankrott trieb).
Im Jahr 2005 jedoch nutzte China in einem nach Ansicht vieler direkt an den Yukos-Kredit geknüpften Schritt seinen Einfluss auf Russland, um den Kreml zur Rückgabe von rund 337 Quadratmetern strittiger Gebiete zu zwingen. Putin scheint zu ignorieren, dass Chinas Führung und Bevölkerung Russland als korruptes Land betrachten, das im 19. Jahrhundert mehr chinesische Gebiete gestohlen hat als jedes andere Land. Erst vor zwei Jahren wurde ich selbst Zeugin ihrer Verachtung, als ich eine Fähre über den Amur von Blagoweschtschensk in Russland in die chinesische Kleinstadt Heihe nahm. Die örtlichen chinesischen Händler verspotteten die Russen offen, während sie ihnen billige Handys und minderwertige Pelzimitate verkauften.
China wird weder den eigenen Wohlstand riskieren, indem es die USA in Verteidigung Russlands offen herausfordert, noch die russische Wirtschaft stützen, indem es dort in einem Maße investiert, wie es zum Ausgleich der Sanktionen erforderlich ist, die der Westen wegen des Einmarschs Putins in der Ukraine verhängt hat. Stattdessen wird China das bloße Minimum tun, um Russland in die Lage zu versetzen, seine Konfrontation mit dem Westen aufrechtzuerhalten, und so die Aufmerksamkeit des Westens von der von China selbst ausgehenden strategischen Herausforderung abzulenken. Diese minimale chinesische Unterstützung mag gerade so ausreichen, um Putin im Kreml zu halten – das Einzige, was für ihn zählt. Doch wird der Kremlherrscher dabei über eine russische Volkswirtschaft regieren, die langsam ausblutet.
Nina L. Chruschtschowa ist Professorin für internationale Angelegenheiten an der New School und (gemeinsam mit Jeffrey Tayler) Verfasserin des jüngst erschienen Buches: In Putin’s Footsteps: Searching for the Soul of an Empire Across Russia’s Eleven Time Zones (St. Martin’s Press, 2019). Übersetzung: Jan Doolan.
Copyright: Project Syndicate, 2022.
www.project-syndicate.org
Xin Fang wird neuer COO des Luftfahrzeug-Herstellers EHang in Guangzhou. Das seit 2019 börsennotierte Start-up hat mit der Passagierdrohne EHang 184 und dem Zweisitzer EHang 216 zwei der bislang ausgereiftesten Elektro-Flugtaxi-Modelle entwickelt.
Steve Barnikol ist nach vier Jahren bei Volkswagen Financial Services in Peking zurück nach Deutschland gewechselt. In Braunschweig ist Barnikol seit Beginn des Jahres Head of Product Management E-Mobility, MEB & Agency, ebenfalls für Volkswagen Financial Services.
Cholerischer Chef, klüngelnde Kollegen, mieses Monatsgehalt? Zeit, den Futtertrog zu wechseln! Ursprünglich sprach man auf Chinesisch bei Pferden von 跳槽 tiàocáo (wörtl. “zu einem anderen Trog springen”), nämlich dann, wenn treulose Huftiere einfach zu einem anderen Besitzer überliefen, wo es saftigeres Futter gab. Mittlerweile ist die Metapher ein allgemein gebräuchliches Synonym für den Wechsel der Arbeitsstelle (weil anderswo schmackhaftere Konditionen locken). Besonders nach dem chinesischen Jahreswechsel setzen chinesische Angestellte gerne zum Sprung an. Dann ist der Frühlingsfestbonus (ein Pendant zu unserem Weihnachtsgeld) als Gehaltssahnehäubchen bereits abgesahnt. Ein guter Zeitpunkt also, sich nach grüneren Weiden umzusehen.
Kein Wunder, dass Pendlern rund um die Chunjie-Zeit an Bus- und U-Bahnhaltestellen in Chinas Metropolen großflächige Werbebotschaften von diversen Jobportalen entgegenkreischen. Zu den Zugpferden der Branche gehören dabei “Boss Direktbewerbung” (Boss 直聘 Boss zhípìn – Slogan: “Wenn du eine Arbeit suchst, sprich direkt mit dem Boss” 找工作,直接和老板谈 Zhǎo gōngzuò, zhíjiē hé lǎobǎn tán), “Smart Connection” (智联招聘 zhìlián zhāopìn) und die “Jobjäger” (猎聘 lièpìn).
Übrigens wirft man in China beim Jobwechsel nicht das sprichwörtliche Handtuch, sondern “legt die Tragestange nieder” (撂挑子 liào tiāozi). Zum Beispiel, wenn man sich als “Arbeitsköter” (上班狗 shàngbāngǒu) oder “Überstundenhund” (加班狗 jiābāngǒu) ausgebeutet fühlt – so die sarkastische Selbstbezeichnung überarbeiteter chinesischer Büroangestellter. Wer Glück hat, muss nicht selbst suchen, sondern wird von einem Headhunter (猎头 liètóu) “angebaggert”. Und das heißt tatsächlich so: Am “Fundament einer Mauer graben” (挖墙脚 wā qiángjiǎo) oder auch kurz “jemanden an- bzw. abgraben” (挖人 wā rén) sind chinesische Ausdrücke dafür, Personal von der Konkurrenz abzuwerben.
Wer dagegen am Arbeitsplatz nur “Fische tätschelt” (Sie erinnern sich vielleicht: das war das Synonym für “eine ruhige Kugel am Arbeitsplatz schieben”), läuft Gefahr, zu gebratenem Tintenfisch verfeuert zu werden. 炒鱿鱼 chǎo yóuyú (“Tintenfisch braten”) bedeutet nämlich (je nach Kontext) “gefeuert werden” oder “den Job hinschmeißen”. Seine Ursprünge soll der Ausdruck in einer Zeit finden, wo man noch mit eigenem Bettzeug am Arbeitsplatz anrückte, da man praktischerweise auch vor Ort logierte. Wer also seine Sachen wieder packte – sprich “das Bettzeug zusammenrollte” (卷铺盖 juǎn pūgài) – ging oder wurde gegangen. Deshalb wurde “das Bettzeug zusammenrollen” zu einem geflügelten Wort. Das wiederum soll den einen oder anderen an die sich beim Braten zusammenrollenden Ärmchen von Tintenfisch erinnert haben. Und so wurde diese noch indirektere Beschreibung allmählich zu einem Euphemismus für das unerfreuliche Ereignis des Jobverlusts.
Wer sich letztlich weder verbraten lassen noch den Futtertrog wechseln will, dem bleibt als letzte Option vielleicht nur noch das Tätscheln der Pferdepopos in der Chefetage. 拍马屁 pāi mǎpì (“auf den Pferdehintern klopfen”) heißt auf Deutsch “jemandem in den Hintern kriechen” (sprachlich auch nicht viel besser). Es zeigt sich also einmal wieder, dass das (Arbeits-)Leben kein Ponyhof ist. Machen Sie trotzdem das Beste daraus.
Verena Menzel betreibt in Peking die Sprachschule New Chinese.