Table.Briefing: China

Annalena Baerbock im Interview + Hybride Kriegsführung + Brics-Gipfel

Liebe Leserin, lieber Leser,

Außenministerin Annalena Baerbock sendet heute im Interview mit Table.Media ein deutliches Signal an China: Die grüne Außenministerin will mit der EU versuchen, vor allem die kleinen Inselstaaten davon zu überzeugen, dass ihre Interessen bei den Europäern oft besser aufgehoben sind als bei China.

Das wird nicht einfach: Dafür müsste der Globale Norden seine Versprechen etwa bei den Finanzen einhalten. So sieht es Baerbock im Gespräch mit Bernhard Pötter von Climate-Table. Im Südpazifik wollte Baerbock mit der Eröffnung einer Botschaft auf Fidschi dabei helfen, solche neuen Allianzen zu schmieden.

Bekanntlich kam sie nie dort an; das Interview ist kurz nach Baerbocks inzwischen legendären Pannen-Flug entstanden. Es geht darin also auch um den außenpolitischen Schaden der Absage ihres Besuchs in einer Schlüsselregion. Sie ärgere sich, dass die Reise nicht geklappt hat, sagt die Ministerin in dem Gespräch. Aber, so Baerbock: Die Mission ist nur aufgeschoben.

Eine weite Reise hatten auch die Regierungschefs Japans und Südkoreas hinter sich, als sie am Wochenende in Camp David mit dem US-Präsidenten zusammentrafen. Sie vereinbarten eine engere Zusammenarbeit zur Eingrenzung Chinas.

Damit zeigen Chinas Nachbarn, dass sie etwas verstanden haben, das in Europa noch nicht so angekommen ist: Chinas hybrider Krieg gegen Taiwan hat längst begonnen, wie Felix Lee analysiert. Wie zur Bestätigung schickte die Volksbefreiungsarmee am Wochenende wieder viele Kampfflugzeuge in Richtung der Insel.

Auch beim großen Gipfel der Brics-Staaten kommende Woche in Johannesburg geht es um die immer dominantere Rolle Chinas in der Welt. Wichtigstes Thema des Treffens dürfte eine mögliche Erweiterung des Brics-Bündnisses sein, schreibt Jörn Petring. China ist dafür, Brasilien und Indien tendenziell dagegen.

Einig sind sich die Brics-Länder – die heute schon an der realen Kaufkraft gemessen stärker als die G7 sind – in ihrem Ziel einer “veränderten globalen Ordnung”, wie die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor im Vorfeld sagte.

Eine spannende Lektüre wünscht

Ihre
Carolyn Braun
Bild von Carolyn  Braun

Interview

“Wir müssen die alten Blöcke aufbrechen”

Außenministerin Annalena Baerbock mit Table-Journalist Bernhard Pötter (links) im Regierungsflieger.

Frau Baerbock, wir führen dieses Interview kurz nach Ihrer unplanmäßigen Rückkehr, eigentlich sollten Sie gerade in Neuseeland sein. Welcher Schaden ist der deutschen Außen- und Klimapolitik dadurch entstanden, dass Sie Ihre Reise nach Ozeanien abbrechen mussten?

Das schmerzt richtig. Seit 2011 war kein deutscher Außenminister mehr in Australien. Und auf den kleinen pazifischen Inselstaaten waren wir bislang gar nicht mit einer deutschen Botschaft vertreten. Da bringt es dann wenig, unsere Freundschaft in Sonntagsreden zu erklären. Freundschaft zeigt sich in der Diplomatie eben auch dadurch, dass man eine sehr lange Reise von über 20.000 Kilometern antritt. Um den Menschen und den Regierungen dort deutlich zu machen: Für uns hat eure Region im 21. Jahrhundert eine große Bedeutung. Sicherheits- und klimapolitisch. Das können wir von Berlin aus an einem regnerischen Donnerstagnachmittag eben nicht so gut wie vor Ort in Neuseeland, Australien oder Fidschi. Deshalb eröffnen wir als Teil unserer Klimaaußenpolitik-Strategie, aber auch als Teil unserer China- und Indopazifik-Politik, endlich eine Botschaft in Fidschi – unsere erste in einem kleinen pazifischen Inselstaat überhaupt.

Wann werden Sie die Reise nachholen?

Dass ich die Reise abbrechen musste, ist auch deswegen so misslich, weil man 20.000 Kilometer nicht so einfach für einen Abstecher fliegen kann. Wir suchen jetzt nach freien Tagen am Stück in meinem unglaublich vollen Kalender, um die Reise definitiv nachzuholen. Manches kann man aber auch nicht nachholen. Die Botschaft kann ich nun nur virtuell mit eröffnen. Das ist natürlich nicht das Gleiche wie mit der Regierung Fidschis zusammen wie eigentlich geplant.

Sie wollten im Indopazifik ja auch zeigen, wie Klima-, Außen- und Geopolitik zusammengehen sollen. Wie haben wir uns das vorzustellen?

Geopolitik ist Klimapolitik, und Klimapolitik ist Geopolitik. Das ist Fachleuten seit Jahren bekannt, das hat man schon bei der Klimakonferenz 2015 in Paris gesehen. Warum war es so unglaublich schwierig, überhaupt ein globales Klimaabkommen zu verhandeln? Weil dahinter natürlich große geopolitische Fragen stehen – Technologieführerschaft bei erneuerbaren Energien, alte Reichtümer der fossilen Industrie, wer zahlt für Klimaschäden. Also alles enorme Machtfragen von Finanzpolitik, Einfluss und globaler Gerechtigkeit. Wenn ein kleiner Inselstaat zum x-ten Mal von einem Wirbelsturm getroffen wird, dann kann er irgendwann den Aufbau seiner Schulen, seiner Krankenhäuser nicht mehr bezahlen. Wenn wir bei Fragen, wer diesen Staaten dann unter die Arme greift, nicht da sind, dann bietet natürlich gerne China Hilfe an. Oftmals aber nicht ohne Gegenleistung. Das muss gar nicht so sehr ein Knebelkreditvertrag sein. Sondern im Zweifel auch das Abstimmungsverhalten bei der nächsten internationalen Konferenz.

Das heißt: Klima-Außenpolitik hat einen neuen Stellenwert?

Es zeigt sich immer mehr, dass die Klimakrise die Sicherheitsgefahr dieses Jahrhunderts ist und damit Klimapolitik auch Sicherheitspolitik ist. Wir haben ja auch im Ahrtal vor zwei Jahren erlebt, dass die Klima- und Sicherheitskrise auch vor unserem eigenen Land nicht Halt macht. Daher spielt die Klimapolitik auch in unserer Nationalen Sicherheitsstrategie eine große Rolle. Und wir haben ein neues Kapitel in der deutschen Außenpolitik aufgeschlagen, indem ich die Klimaaußenpolitik ins Auswärtige Amt geholt habe. Ohne dies wären Gespräche mit einer Vielzahl von Ländern definitiv schwerer. So spüren, sehen, hören gerade die Länder, die am meisten unter der Klimakrise leiden, in unseren Gesprächen, an unseren Botschaften, dass wir ihre vor allem klimabedingten Sicherheitssorgen endlich wirklich ernst nehmen.

Wie zeigt sich das konkret, etwa in Fidschi?

Die neue Botschaft in Fidschi ist unsere Klimabrücke in einen Hotspot der Geopolitik, der unglaublich weit weg, uns aber gerade geopolitisch so nah verbunden ist. Fidschi wirbt mit uns für stärkere CO2-Minderungsziele auf den Klimakonferenzen. Fidschi ist das Zuhause des Pacific Islands Forum, zu dem neben Australien und Neuseeland auch ein gutes Dutzend kleine pazifische Inselstaaten gehören. Diese teilen auch unsere Werte in anderen internationalen Fragen. Sie alle haben in der Generalversammlung der UNO gegen den russischen Angriffskrieg gestimmt. Das heißt, die Klimapolitik öffnet gerade auch Türen für geostrategische Fragen. Aber wenn wir nicht klimapolitisch präsent sind, schließen sich diese Türen auch. Die Stimme jedes einzelnen Inselstaates zählt bei den Vereinten Nationen gleich viel wie die Stimme eines großen Industrielandes. Und trotzdem fragen sich diese Länder: Wenn wir so eng kooperieren, warum war dann noch keiner hier? Ich war letztes Jahr im Pazifikstaat Palau als erste deutsche Außenministerin seit 120 Jahren. Das war ein “Game Changer” für unser Ansehen in der Region. Und auch die Menschen in Deutschland sahen plötzlich über die Fernsehbilder, wie tatsächlich durch den Meeresspiegelanstieg ein Haus droht, ins Meer zu rutschen. Wir bringen auch etwas ganz Konkretes mit in die Pazifik-Region. Zum Beispiel unser Angebot beim Ausbau der erneuerbaren Energien für die Pazifikinseln, die zum Teil noch von Dieselgeneratoren abhängig sind. Oder auch unsere Unterstützung bei wichtigen politischen Fragen wie der finanziellen Bewältigung von Verlusten und Schäden durch die Klimakrise.

Entwicklungsländer stehen nicht automatisch auf der Seite der EU

Sie erhoffen sich dadurch also bessere Verhandlungsergebnisse, etwa bei den UN-Klimakonferenzen?

Wir arbeiten etwa mit den Marshallinseln, Vanuatu und auch Fidschi schon sehr eng im Klimabereich zusammen. Natürlich wollen diese Inselstaaten nichts Sehnlicheres als dass wir die globalen CO2-Emissionen endlich gegen null bekommen. Da werben wir auf Klimakonferenzen oft gemeinsam für. Aber wenn es dann gerade zwischen alten Industriestaaten und aufstrebenden globalen Kräften wie China, aber auch den Golfstaaten zum Schwur kommt, dann stehen die Inselstaaten nicht automatisch auf der Seite der EU, auch wenn wir klimapolitisch eigentlich ambitionierter sind.

Bisher sind diese Länder aber Teil der informellen “G77”-Gruppe, der Schwellen- und Entwicklungsländer mit China. Wollen Sie strategisch diese Länder bei Fragen der Klimapolitik auf Ihre Seite ziehen?

Genau diese alten Blöcke müssen wir aufbrechen. Denn die Klimakrise ist längst keine Blockfrage mehr. Wir kriegen die Klimakrise nur als Welt gemeinsam in den Griff oder gar nicht. Daher ist es so wichtig, dass diejenigen, die klimapolitisch wirklich etwas erreichen wollen, sich zusammentun. Egal ob Nord oder Süd. Schwellenland, kleiner Inselstaat oder europäische Industrienation. Und die Länder des Indopazifiks, wo viele der besonders vulnerablen Staaten liegen, spielen dabei eine wichtige Rolle. Daher gehört zu unserer China-Strategie eben nicht nur die Frage, wie wir unsere Beziehungen zu China in diesen geo- und klimapolitisch so heißen Zeiten neu justieren, sondern gerade auch, wie wir unsere Zusammenarbeit im Indopazifik ausbauen. 

Wie soll das aussehen? 

Das betrifft nicht nur die kleinen Inselstaaten, sondern auch die sehr großen Länder dort. Angela Merkel war als Bundeskanzlerin 2014 das letzte Mal in Australien, allerdings im Rahmen der G20. Die australischen Zeitungen haben sehr genau darüber berichtet, dass sie in ihrer Amtszeit über zehnmal in China war. Das sind große, starke, gefestigte Demokratien wie Australien und Neuseeland, die ebenso spüren, dass unser Augenmerk bisher nicht so stark bei ihnen war. Aber eben auch kleine Inselstaaten, die die Charta der Vereinten Nationen und die regelbasierte Ordnung aus vollem Herzen so wie wir unterstützen. Alle diese pazifischen Inselstaaten haben sich gegen den russischen Angriffskrieg gestellt, weil sie als kleine Länder wissen: Ihre Lebensversicherung ist das internationale Recht. Wir müssen also nicht nur danke sagen, sondern klarmachen: Wir sehen auch eure Sicherheitssorgen, wie zum Beispiel die Klimakrise, aber eben auch den Einfluss Chinas. Mit den Salomonen hat China ein geheimes Sicherheitsabkommen geschlossen. Das erfüllt die Australier mit großer Sorge, die bisher eng mit den Salomonen zusammengearbeitet haben.

Bisher haben aber auch diese kleinen Staaten bei den Klimaverhandlungen immer mit China und gegen die EU gestimmt, wenn es hart auf hart kam.

Das stimmt zum Teil. Keiner dieser Staaten will von einem einzigen Land abhängig sein. Wir versuchen daher, den Inselstaaten konkrete Alternativen zu bieten, denn es geht nicht darum, dass sie sich auf die eine oder andere Seite schlagen. Auch deshalb sind wir dort so willkommen. Diese Reise, diese neue Botschaft – all das ist Teil des Programms. Dafür braucht man Vertrauen über Jahre und Jahrzehnte. Vertrauen bedeutet in der Diplomatie, dass man sich kennt, dass man sich gegenseitig besucht. Für mich war ein Schlüsselerlebnis die COP27 in Ägypten im letzten Jahr: Bis zuletzt waren wir uns mit den kleinen Inselstaaten einig, dass wir mehr beim Klimaschutz machen müssen und das gemeinsam mit einem neuen Instrument für Schäden und Verluste verzahnen. Aber bei der entscheidenden Abstimmung haben sie sich in der Gruppe der G77 einsortiert, die da gebremst hat. Denn im Hintergrund machen Länder wie China massiven Druck auf eine Reihe dieser Staaten und sagen: Wenn ihr Euch jetzt bei der Klimapolitik gegen uns stellt, dann stellen wir uns im Zweifel bei anderen Fragen gegen Euch. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir vertrauensvolle Beziehungen zu den kleinen Inselstaaten haben und diese weiter ausbauen. Genau das ist Ziel meiner Klimaaußenpolitik.

De-Risking bedeutet auch Zusammenarbeit

Teil Ihrer China-Strategie ist ja das “Derisking” – also weniger strategische Abhängigkeit. Aber bei der Klimapolitik sind alle abhängig von China. Wie funktioniert “De-Risking”, wenn Sie einerseits Konfrontation und andererseits Kooperation brauchen?

Sie kennen den Dreiklang aus der China-Strategie: Wir sind Wettbewerber, Systemrivale, aber eben auch Partner mit China. Wir wollen mit China zusammenarbeiten. Aber wir wollen faire Zusammenarbeit. Und wenn das nicht möglich ist, müssen wir uns schützen. Etwa wenn China zum eigenen Wettbewerbsvorteil unfair an Technologie-Know-How herankommen möchte. Also: Zusammenarbeit mit China überall dort, wo möglich, insbesondere im Klimabereich. Und “De-Risking”, also strategische Souveränität Europas, wo nötig, weil ansonsten unsere Sicherheitsinteressen gefährdet sind.

Aber was passiert, wenn sich das überschneidet: Wenn also chinesische Solaranlagen möglicherweise mit Zwangsarbeit hergestellt werden?

Zwangsarbeit ist natürlich ein absolutes No-Go. Unser neues Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verbietet deutschen Unternehmen, in ihrer Wertschöpfungskette Produkte aus Zwangsarbeit zu nutzen. Und ich streite dafür, dass solche Produkte nicht auf den europäischen Markt dürfen. Es wäre ja auch eine absolute Marktverzerrung für europäische Firmen, die sich natürlich an die internationalen Kernarbeitsnormen halten. Dennoch haben wir natürlich unglaubliche Abhängigkeiten von China, gerade auch im Bereich von Solartechnik. Wir können als Europäer die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien selber gar nicht erreichen, wenn wir hier nicht miteinander kooperieren. Zugleich müssen wir eben verhindern, dass wir da von China ähnlich abhängig werden, wie wir es von Russland bei der Gasversorgung waren, wo der Rohstoff als Waffe eingesetzt wurde. Deshalb nehmen wir ja sehr viel Geld in die Hand, um in Europa und in Deutschland zum Beispiel eine Produktion für Mikrochips und Batterien aufzubauen.

Chinas Stärke ist ja zum Teil auch die Schwäche des Westens: Gerade bei der Klimafinanzierung wird den Industriestaaten zurecht vorgeworfen, dass sie ihre Versprechen nicht einhalten – die nicht erreichten 100 Milliarden Dollar bis 2020 sind das schlechte Beispiel. Wie soll denn da dieses Vertrauen der ärmeren Staaten in den Globalen Norden wachsen?

Wenn wir unsere eigenen Versprechen zur Klimafinanzierung nicht erfüllen, machen wir es Ländern wie China natürlich sehr einfach, denen es nicht nur um Klimapolitik, sondern auch um systemische Abhängigkeiten geht. Das Versprechen der jährlichen 100 Milliarden Dollar bei der Klimafinanzierung zu halten, ist deswegen in unserem ureigenen Interesse. Und auch bei der Bewältigung von Verlusten und Schäden durch die Klimakrise voranzukommen, um denen zu helfen, die zu der Krise am wenigsten beigetragen haben. Deswegen hat der “Loss and Damage”-Fonds für mich solche Priorität. Deutschland jedenfalls steht zu seinen finanziellen Zusagen. Wir dürfen aber auch bei der Klimafinanzierung nicht naiv sein. Die klassischen Industriestaaten waren über Jahrzehnte für die Masse der globalen Emissionen verantwortlich. Wir haben unseren wirtschaftlichen Erfolg darauf aufgebaut. Deshalb müssen wir auch die nötige Anpassung, die Bewältigung von Schäden und Verluste finanziell unterstützen. Mit dem Umschwenken auf Erneuerbare haben wir ja zum Glück einen neuen Kurs eingeschlagen. Aber andere betreiben den Kohleausstieg eben nicht so intensiv wie wir. China ist mittlerweile der größte Emittent und hauptverantwortlich für gegenwärtige und kommende Schäden. Das müssen wir auch gegenüber kleineren Staaten deutlich machen: Wenn ihr wollt, dass euch geholfen wird, dann stehen wir zu unserem Wort – aber ihr müsst auch Länder wie China oder die Golfstaaten mit in die Verantwortung nehmen.

Sie fordern, dass China und andere reiche Länder, die keine klassischen Industrieländer sind, sich an der Finanzierung des “Loss and Damage”-Fonds beteiligen, der auf der nächsten COP umgesetzt werden soll?

Ja, darüber habe ich auch auf meiner China-Reise gesprochen. Aber auch mit den Golfstaaten oder Ländern wie Korea. Auch wenn es alles andere als einfach ist. Das Thema “Loss and Damage” ist die Büchse der Pandora der Klimapolitik. Viele hatten Angst, sie zu öffnen. Die bisherige Haltung von Europa und den USA war ja, darüber sollten wir gar nicht reden. Ich habe das immer für falsch gehalten. Denn als Außenministerin habe ich von Tag eins gespürt: Wir verspielen durch diese Weigerung das Vertrauen von wahnsinnig vielen Ländern auf der Welt, und das sind nicht nur die Inselstaaten, das sind auch viele Staaten in Afrika. Deshalb habe ich vor einem Jahr beim Petersberger Klimadialog gesagt, wir wollen dieses Thema angehen. Das hat mir auch gerade bei Partnern und Freunden nicht nur Applaus eingebracht, aber das war ein Türöffner für ganz viele Länder auf dieser Welt, die uns Industriestaaten sonst eher skeptisch gegenüberstehen. Die gemerkt haben: Die Deutschen meinen es wirklich ernst mit ihrer Verantwortung in der Klimapolitik.

Ist das noch so? Welchen Ruf hat denn Deutschland bei Ihren Gesprächspartnern in der Welt der Klimapolitik? Wir waren mal “Home of the Energiewende”, aber inzwischen sind andere schneller und entschlossener.

Nachdem Deutschland die Energiewende ja sozusagen erfunden hat, hat der gute Ruf in den Jahren danach massiv Schaden genommen. Weil es ja eine Phase der Großen Koalition gab, in der sie dem Ausbau der Erneuerbaren jegliche Steine in den Weg gelegt haben und auch vom Kohleausstieg nichts wissen wollten. Das hat uns leider auch die Solarindustrie gekostet, die nach China abgewandert ist. Und dann hatten wir diese riesige Abhängigkeit vom russischen Gas. Für die damalige Bundesregierung galt eine Gaspipeline ja stets als rein wirtschaftliches Projekt und weder geopolitisch noch klimapolitisch als problematisch. All das hat natürlich an unserem bisherigen guten deutschen Ruf als Klimavorreiter genagt und deswegen war es uns als neuer Bundesregierung so wichtig, deutlich zu machen: Klimapolitik hat jetzt Priorität. Klimaschutz ist keine reine Umweltfrage, sondern Klimaschutz ist Industriepolitik, Klimaschutz ist Sicherheitspolitik, Klimaschutz ist Gesundheitsschutz und damit eine Querschnittsaufgabe einer jeden modernen Regierung.

Auch Ihre Ampelregierung bekommt vom Expertenrat bescheinigt, dass die Anstrengungen nicht ausreichen. Wie zufrieden sind Sie denn mit der Klima-Innenpolitik?

Wenn man über Jahre, um nicht zu sagen ein Jahrzehnt, Klima- und Energiepolitik verschlafen hat, dann geht der Wandel in einem Industriestaat nicht über Nacht. Und verschlafen ist schon eine Beschönigung, wenn ich an Teile der Union denke, die bewusst die ganzen ersten Erfolge der erneuerbaren Energien kaputt machen wollten. Wir haben daher als Ampel die Grundsatzentscheidung getroffen, bis zur Mitte der 2040er-Jahre als Land klimaneutral zu sein und auch Infrastrukturinvestitionen darauf auszurichten. Und auch unser Zwischenziel ist klar definiert: bis 2030 mindestens 80 Prozent Erneuerbare, damit müssen wir die verlorenen Jahre zumindest zum Teil wiedergutmachen. Entsprechend haben wir im Koalitionsvertrag den Kohleausstieg vorgezogen und seit dem russischen Angriff auf die Ukraine noch einmal beschleunigt. Die reaktivierten Kohlereserven sind längst wieder durch Erneuerbare ersetzt. Und nach der Energiewende im Strombereich – im Mai hatten wir übrigens bereits 66,2 Prozent erneuerbar produzierten Strom – gehen wir jetzt endlich auch den Wärmebereich an.

Es braucht Fortschritte bei “Loss and Damage”

Im Dezember bei der COP28 in Dubai könnte ein Kompromiss ja sein: Ein globales Ziel für Erneuerbare, mehr Energieeffizienz, eine Reduktion beim Methan und dafür das Versprechen, die 100 Milliarden Klimafinanzen zu schaffen – und einen fossilen Ausstieg zu organisieren mit viel CCS-Technologie, was die Ölländer wünschen. Wäre das ein Erfolg?

Wir brauchen bei der Weltklimakonferenz in Dubai eine Kurskorrektur. Denn wir sind nicht auf dem Pfad, um 1,5-Grad in Reichweite zu halten. Und zugleich wissen wir, solche Konferenzen sind kein “Wünsch Dir was”. Gerade die Einigkeit bei der weiteren, so dringenden CO₂-Reduktion wird schwer. Erst recht, weil einige CCS – also die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff – als Wunderwaffe für alles sehen. Ich habe daher beim Petersberger Klimadialog dieses Jahres ein neues globales Ziel, nämlich eine Verdreifachung der globalen Kapazität der Erneuerbaren vorgeschlagen. Das müsste begleitet werden von einer Verdopplung der Energieeffizienz, dem Ausstieg aus unverminderten fossilen Energieträgern, Unterstützungsangeboten für Entwicklungsländer. Und wir brauchen internationale Finanzinstitutionen, die in der Lage sind, Investitionen in diese globale Transformation zu unterstützen. Unsere Solidarität mit den besonders vulnerablen Staaten, insbesondere den Inselstaaten, braucht Fortschritte beim “Loss-and-Damage”-Fonds. Wir müssen genau sehen, wie weit wir zu diesem Idealziel kommen und welche Weichen dahin zu stellen sind. Denn die gesamte Welt, auch gerade die Golfstaaten, haben verstanden: technologisch sind die Erneuerbaren die Zukunft. Deshalb fahren Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Katar oder Saudi-Arabien alle zweigleisig. Die machen natürlich weiter ihr Geschäft mit Öl und Gas, bauen parallel aber die modernsten Solarkraftwerke der Welt und setzen auf den Export von grünem Wasserstoff. Und sie schieben die Verantwortung für die Unterstützung der vulnerablen Entwicklungsländer uns zu.

Gerade bei Petersberg ist auch der Unterschied deutlich geworden: Als der COP-Präsident al Jaber sagte, er wolle einen Ausstieg aus den Emissionen, nicht aus den Brennstoffen – also möglichst viel CCS. Und Sie sagten, man brauche einen fossilen Ausstieg, also Schluss mit den ganzen fossilen Brennstoffen. Wird dann die EU auf den CCS-Kurs der Ölstaaten einschwenken, wie sie es schon angedeutet hat?

Genau das ist ein gutes Beispiel, welche Weichen eben schwerer zu stellen sind. Wir sind da mit den Golfstaaten noch nicht einig. Aber dann darf man nicht die Flinte ins Korn werfen. Sondern wir müssen in die Details der Klimaaußenpolitik gehen: Was ist deren Interesse? Solange es geht, noch Geld aus fossilen Energien zu machen. Wie kann man das vielleicht so gestalten, dass es für das Klima nicht schädlich ist? Es gibt Bereiche, wo wir ohne CCS- und CCU-Technologien nicht auskommen können. Das ist ziemlich unstrittig. Aber wir müssen sehr genau definieren, wofür CCS und CCU gebraucht wird und wie es langfristig sicher eingesetzt werden kann. Es kann kein Ersatz sein für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren, die zur Verfügung stehen, günstig sind, und die etwa beim Strom ohne Probleme zu hundert Prozent die fossilen Energieträger ersetzen können.

Aber wo finden Sie denn dafür Verbündete? Das ist die deutsche Position, aber schon nicht mehr die EU-Position. Und auch die USA sind da nicht an Bord. Mit wem wollen Sie das durchsetzen?

In der EU ist die Positionierung ja noch nicht abgeschlossen. Und Diplomatie heißt gerade auch für seine Position zu werben, Allianzen zu schmieden. Und es ist auch nicht so, dass wir keine Verbündeten hätten. Insbesondere die Staaten, die eben keine großen Einnahmen aus dem Ölgeschäft oder große Industrien haben, aber bereits unter den Klimaauswirkungen leiden und die genau wissen: Jedes Zehntelgrad Erderwärmung entscheidet über das Schicksal ihres Landes. Das sind in Summe sehr viele Länder und zwar in allen Ecken der Welt. Und gerade deswegen müssen wir unsere Beziehungen in diese Ecken weiter ausbauen. Wie im Indopazifik. Womit wir wieder bei der Reise wären. Ob wir bei der nächsten und den folgenden Klimakonferenzen vorankommen, hängt entscheidend davon ab, ob alle wie immer in ihre alten Machtblöcke des letzten Jahrhunderts zurückfallen wie “G77” und “Industriestaaten”. So kommen wir nicht weiter. Wir brauchen neue Klima-Allianzen. Zwischen Industriestaaten und den von der Klimakrise so heftig Betroffenen. Das wird entscheidend für die Klimapolitik der nächsten Jahre.

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Analyse

Der hybride Krieg gegen Taiwan hat begonnen

Taiwans Vize-Präsident William Lai wird bei seinem Zwischenstopp in New York begeistert von Anhängern empfangen. Das allein ärgert schon Peking – die Luftwaffe schickt Flugzeuge.


Das Säbelrasseln im Indopazifik wird lauter. Der Regierung in Taiwan zufolge drangen am Wochenende Kampfflugzeuge 42 Mal in die taiwanische Luftverteidigungszone ein. Mehr als die Hälfte der Militärjets habe die Mittellinie der Straße von Taiwan überquert. Die Mittellinie gilt als inoffizielle Grenze zwischen Taiwan und der Volksrepublik in der viel befahrenen Meeresstraße. Auch acht chinesische Schiffe nahmen an den Übungen teil.

Die Militärführung in Peking bestätigte, dass Luft- und Seestreitkräfte der Volksrepublik am Samstag die Einkreisung der Insel erprobt hätten. “Dies ist eine ernste Warnung an Taiwans Separatisten, die sich zur Provokation mit externen Kräften zusammentun”, sagte ein Militärsprecher. Die Übungen wurden von scharfer Kritik chinesischer Staatsmedien an einem Zwischenstopp des taiwanischen Politikers William Lai in den USA begleitet.

Luftwaffeneinsatz aus Zorn auf Lai

William Lai will im Januar bei den anstehenden Wahlen für die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen will. Derzeit gilt er als Favorit. Peking ist er ein Dorn im Auge, hat er sich doch einst für eine Unabhängigkeit Taiwans ausgesprochen. Das hat er zwar inzwischen zurückgenommen, ist aber noch frisch im Gedächtnis.

DDP-Politiker Lai war zur Amtseinführung des Präsidenten nach Paraguay gereist und war auf dem Hinflug in New York zwischengelandet, beim Rückflug in San Francisco. Peking wirft Lai vor, sich dort politisch betätigt zu haben. Paraguay ist eins der wenigen Länder, das noch diplomatische Beziehungen zu Taiwan pflegen.

Taiwan verurteilte das “irrationale und provokative Verhalten” Chinas. Auch die US-Regierung kritisiert die Militärübungen aufs Schärfste und fordert China auf, “seinen militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Druck auf Taiwan einzustellen und stattdessen in einen sinnvollen Dialog mit Taiwan einzutreten”.

Ignoranz gegenüber dem hybriden Krieg

In Washington wird schon wahrgenommen, dass Peking versucht, mit Militärmanövern die “roten Linien” stetig und beharrlich zu verschieben. Im politischen Betrieb in Berlin diskutieren Politiker allenfalls über mögliche Konsequenzen, sollte China Taiwan direkt militärisch angreifen. Dass Peking schon jetzt den hybriden Krieg gegen Taiwan begonnen hat und die ganze Region destabilisiert, scheinen die Regierungen in Europa nicht so recht wahrhaben zu wollen.

In der hybriden Kriegsführung werden militärische und nicht-militärische Mittel geschickt gemischt, um den Gegner unter Druck zu setzen. Die Aktionen der Armee bleiben dabei unter der Schwelle, ab der sie von der Weltöffentlichkeit als Krieg im eigentlichen Sinne wahrgenommen werden. Ein Beispiel war die Aneignung der Krim durch Russland 2014. Dort waren Soldaten ohne Hoheitszeichen im Einsatz. Die internationale Reaktion blieb schwach und damit wirkungslos.

Die Ergebnisse von Camp David

Für Misstrauen in Peking dürfte auch der Gipfel in Camp David gesorgt haben, der ebenfalls im Zeichen der hybriden Kriegsführung stand. US-Präsident Joe Biden hat sich mit Japans Regierungschef Fumio Kishida und Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol auf seinen Landsitz getroffen. Dabei ging es auch um eine engere militärische Zusammenarbeit der drei Staaten in Ostasien. Die Kooperation im Verteidigungsbereich solle auf ein “noch nie da gewesenes Niveau” gebracht werden, kündigte Biden an und pries eine neue “Ära der Partnerschaft” zwischen den Ländern. 

Obwohl Biden zu Beginn des Treffens noch versicherte, dass es nicht primär um China gehen soll, tauchte China im Abschlussdokument dennoch prominent auf. Die drei Regierungschefs warfen China “gefährliches und aggressives Verhalten” vor. Man wende sich “entschieden gegen alle einseitigen Versuche, den Status quo in den Gewässern des Indopazifiks zu verändern”. 

Japan, USA und Australien planen Manöver

Die drei Regierungschefs vereinbarten eine Konsultationspflicht in Sicherheitskrisen und die Einrichtung einer Hotline zum schnellen Austausch. Auch ein Frühwarnsystem für mögliche Probleme bei Lieferketten soll es geben. Außerdem ist nun ein jährlicher Dreiergipfel mit den USA, Japan und Südkorea geplant. “Von diesem Moment an wird Camp David als ein historischer Ort in Erinnerung bleiben”, sagte Yoon mit Blick auf die Ergebnisse des Gipfels.

Japans Premier Kishida sagte, es sei eine große Ehre, mit dem Gipfel eine neue Seite in das Geschichtsbuch über Camp David zu schreiben. Die gemeinsame Allianz ist allein deshalb ein Erfolg für Biden, weil die beiden Länder historisch bedingt eigentlich ein eher frostiges Verhältnis haben. Zuletzt hatten sich Seoul und Tokio aber nicht zuletzt angesichts der zunehmenden Bedrohung durch China angenähert.

Die USA, Japan und Australien haben nach Angaben der Nachrichtenagentur AP bereits für kommende Woche ein gemeinsames Marinemanöver im Südchinesischen Meer angekündigt. An der Übung westlich der Philippinen sollten der US-Flugzeugträger “USS America” sowie die Hubschrauberträger “JS Izumo” und “HMAS Canbarra” aus Japan und Australien teilnehmen, sagten Vertreter der philippinischen Sicherheitskräfte am Sonntag der Nachrichtenagentur AP. Anschließend sollten sich die Kommandeure mit ihren philippinischen Kollegen treffen.

Biden will mit Xi sprechen

Zugleich stellte Biden noch in diesem Jahr ein Gespräch mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in Aussicht. “Ich erwarte und hoffe, dass wir im Herbst an unsere Gespräche auf Bali anknüpfen werden. Das ist meine Erwartung.” Zuletzt hatten sich Biden und Xi auf der indonesischen Insel Bali am Rande des Gipfels der G20-Gruppe der großen Industrie- und Schwellenländer im vergangenen November persönlich getroffen. Eine neue Möglichkeit für ein bilaterales Gespräch der beiden böte sich beim G20-Gipfel in Neu-Delhi in Indien im September. 

Auch der russische Einmarsch in die Ukraine kam bei dem Gipfel in Camp David zur Sprache. Biden betonte, wie groß die Auswirkungen dieses Kriegs über Europa hinaus sind. Das hätten auch die Partner in Asien verstanden, sagte Biden. “Wenn wir stillhalten würden, welches Signal würde das an China in Bezug auf Taiwan senden?”

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Brics-Staaten streiten um Aufnahme neuer Mitglieder

Die Vorbereitungen in Johannesburg für den Brics-Gipfel laufen auf Hochtouren. Südafrika ist in diesem Jahr der Gastgeber.

Vor ihrem großen Gipfel von Dienstag bis Donnerstag in Johannesburg hatten die Brics-Staaten eine schwierige Entscheidung zu treffen. Gegen Wladimir Putin liegt ein internationaler Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor. Bei seiner Ankunft in Südafrika hätte er sofort verhaftet werden müssen. 

Der russische Präsident bleibt nun in Moskau und wird per Video zugeschaltet. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, Brasiliens Präsident Lula da Silva und sein indischer Amtskollege Modi werden persönlich nach Südafrika reisen und dort von Präsident Cyril Ramaphosa empfangen. 

Zwischen den Brics-Mitgliedern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika herrschten unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit Putin. Dem Vernehmen nach gab es zwischenzeitlich sogar Überlegungen, den Gipfel nach China oder in ein anderes Land ohne Auslieferungsabkommen zu verlegen. So hätte Putin persönlich teilnehmen können. Doch davon wurde schließlich Abstand genommen.

Signal gegen den Westen

Dennoch wollen die Brics-Staaten mit ihrem Treffen ein starkes Signal an den Westen senden: Ziel sei eine “veränderte globale Ordnung”, sagte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor im Vorfeld des Treffens. Mehr als 30 Staaten haben ihre Teilnahme am Brics-Gipfel zugesagt. Eingeladen sind 67 hochrangige Politiker aus Afrika und dem globalen Süden sowie 20 internationale Vertreter, darunter die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union und die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften Afrikas. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im Juni Interesse an einer Teilnahme bekundet. Für ihn gab es aber keine Einladung. Ehemalige Kolonialmächte scheinen nicht erwünscht.

Wichtigstes Thema des Treffens dürfte die Erweiterung des Brics-Bündnisses sein. Schon heute sind die Brics-Staaten gemessen an der realen Kaufkraft größer als die G7-Staaten. Diese wirtschaftliche Macht soll in noch mehr geopolitischen Einfluss umgemünzt werden. Der Westen, darin sind sich die Brics-Staaten weitgehend einig, hat zu viel Gewicht, wenn es darum geht, die Regeln auf der internationalen Bühne zu bestimmen.

Uneinigkeit herrscht jedoch über die Art und Weise und das Tempo der Erweiterung. Rund 40 Staaten sind an einer Mitgliedschaft im Brics-Club interessiert, darunter Saudi-Arabien, Argentinien und Ägypten.

China drückt aufs Tempo

Vor allem China ist der Meinung, dass die Aufnahme weiterer Mitglieder so schnell wie möglich erfolgen sollte. Man unterstütze Fortschritte bei der Erweiterung und heiße “gleichgesinnte Partner willkommen, sich der Brics-Familie frühzeitig anzuschließen”, erklärte das Pekinger Außenministerium im Vorfeld des Treffens. Auch Russland hofft auf eine baldige Erweiterung. Moskau könnte damit einmal mehr zeigen, dass es trotz des Krieges in der Ukraine international keineswegs isoliert ist.

Brasilien und Indien sind dagegen zurückhaltender. Sie befürchten, dass die Aufnahme zu vieler neuer Mitglieder die Brics-Gruppe verwässern und damit ineffektiv machen könnte. Vor allem Indien befürchtet, seinen eigenen Einfluss zu verlieren, wenn die Brics-Gruppe zu viele neue Mitglieder aufnimmt, die eng mit Chinas Agenda verbunden sind. Schließlich hat Indien einen anhaltenden Grenzkonflikt mit China und eine Rivalität mit Peking um regionalen Einfluss. 

Es wird daher erwartet, dass in Johannesburg zunächst ein Mechanismus für die Aufnahme neuer Mitglieder ausgehandelt wird. Auch dürfte es unter bisherigen Brics-Staaten Uneinigkeit darüber geben, welche Staaten zuerst aufgenommen werden sollen. Ein demokratisches Land wie Argentinien oder eher eine Autokratie wie Saudi-Arabien?

Der Westen kann mit Brics zusammenarbeiten

So oder so wird man im Westen genau hinschauen, was die Brics-Staaten in Johannesburg beschließen. “Brics ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist, und die Welt sollte bereit sein, mit ihr zu interagieren”, schreibt die Denkfabrik Atlantic Council in ihrer Einschätzung des bevorstehenden Gipfels. 

Wie sich die G7 und der Westen gegenüber den Brics positionieren sollten, hänge davon ab, in welche Richtung sich das Bündnis entwickle. “Wenn die Brics-Gruppe der indischen Agenda folgt und konkrete Ideen zur Reform des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems vorlegt, sollten die G7 konstruktiv mitarbeiten und diese Ideen ernsthaft diskutieren – und die Forderungen nach Veränderungen nicht einfach abtun”, heißt es beim Antlatic Council. 

Sollte sich die Brics-Gruppe jedoch als ein von China dominiertes Forum erweisen, das antiamerikanische und antiwestliche Rhetorik und Initiativen fördert, wird die G7 dieser Kritik voraussichtlich entgegentreten. Am effektivsten könnten sie das, indem sie Wege zur Verbesserung des derzeitigen Wirtschafts- und Finanzsystems vorschlagen, um die Defizite bei der Erfüllung der Entwicklungsbedürfnisse der Länder des globalen Südens zu beheben.

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Huawei erhält Forschungsgelder von der EU

Die EU unterstützt das chinesische Unternehmen Huawei mit Fördergeldern. Einheiten des Unternehmens mit Sitz in Europa seien an 13 Finanzhilfevereinbarungen beteiligt, darunter eine mit Sitz in Großbritannien. Das teilte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager am Freitag als Antwort auf eine Parlamentsanfrage mit. Huawei-Einrichtungen mit Sitz in China seien nicht beteiligt.

Dass Huawei von Forschungsprogrammen der EU profitiert, ist vor dem Hintergrund erstaunlich, dass die Kommission Huawei inzwischen als riskanten Anbieter betrachtet und das Unternehmen von ihren eigenen Netzen ausgeschlossen hat. Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte die Mitgliedstaaten aufgefordert, dasselbe mithilfe der 5G-Toolbox zu tun. Allerdings weist die Kommission in ihrer Antwort daraufhin, dass alle Finanzhilfen aus Aufforderungen im Rahmen der Arbeitsprogramme von Horizont Europa 2021 bis 2022 stammten – also bevor die EU-Kommission die Entscheidung traf, Huawei zu verbannen.

Kommission schätzt die Lage heute anders ein

Fragesteller ist der niederländische Abgeordnete Bart Groothuis, der Mitglied im Industrieausschuss sowie im Sonderausschuss zu Einflussnahme aus dem Ausland des Europäischen Parlaments ist. Er bezog sich bei seiner Anfrage auf einen Bericht der Financial Times, wonach Huawei an elf Horizont-Europa-Projekten beteiligt war, die sich mit sensiblen Kommunikationssystemen befassen. 

Die Verordnung schreibe vor, dass alle Beschränkungen im Voraus in den Arbeitsprogrammen von Horizont Europa festgelegt werden müssen, schreibt die EU-Kommission. Die Themen, an denen Huawei beteiligt ist, seien zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Arbeitsprogramme jedoch nicht als Gefahr eingestuft worden, sodass die Einschränkungen nicht zur Anwendung kamen. 

Inzwischen vertrete die EU-Kommission jedoch die Auffassung, dass Huawei und ZTE tatsächlich ein wesentlich höheres Risiko darstellten als andere 5G-Anbieter. Daher beabsichtige sie, dies in allen einschlägigen EU-Förderprogrammen und -Instrumenten – einschließlich Horizont Europa – zu berücksichtigen. vis

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Evergrande beantragt Insolvenz in den USA

Chinas Immobilienkrise zieht immer weitere Kreise: Der einstige Marktführers Evergrande hat Gläubigerschutz in den USA beantragt. Dabei handelt es sich um einen erwarteten Zwischenschritt bei der Abarbeitung eines Insolvenzplans vom März, aber gleichzeitig auch um ein seltenes Eingeständnis der Zahlungsunfähigkeit durch den chinesischen Hausbaukonzern. Seit seinem Kollaps vor zwei Jahren hat das Unternehmen in China keinen Insolvenzantrag gestellt. Nun sind die Grenzen der Realitätsverweigerung erreicht.

Amerikanische Investoren hatten Evergrande im Laufe der Jahre 19 Milliarden US-Dollar geliehen. Diese Kredite erfolgten in Form vom Anleihen, die nach und nach zurückzuzahlen wären. Das kann Evergrande nicht, weil es nach dem Platzen der chinesischen Immobilienblase kein Geld mehr hat. Evergrande hat seit seiner Gründung 1996 immer höhere Kredite aufgenommen, um immer mehr Immobilien zu bauen und immer teurer zu verkaufen. Als Corona den Kreislauf unterbrochen hat, hatte das Unternehmen keine flüssigen Mittel mehr.

Die internationalen Gläubiger werden wohl genau wie die in China vergeblich auf Rückzahlungen warten. Der Insolvenzantrag nach Kapitel 15 des US-Handelsrechts ist eigens dafür gedacht, Pleitefälle mit internationaler Beteiligung geregelt abzuwickeln. Der Hauptsitz von Evergrande befindet sich formal auf den Kaimaninseln. fin

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VW verkauft auch im Juli weniger

Der Volkswagen-Konzern hat auch im Juli in China weniger Autos verkauft als ein Jahr zuvor. Der Absatz auf dem für den Autobauer normalerweise wichtigsten Markt brach um 10,2 Prozent auf 260.400 Fahrzeuge ein, wie das Unternehmen am Freitag in Wolfsburg mitteilte.

VW erklärte den Rückgang mit den Steueranreizen, mit denen die Regierung in Peking im vergangenen Jahr die Autokonjunktur nach den Covid-Lockdowns angekurbelt hatte. Auch der Gesamtmarkt in China sei im Juli geschrumpft. In den ersten sieben Monaten des Jahres hinkten die Verkaufszahlen von Volkswagen in China um 2,7 Prozent hinter dem Vorjahr her.

Der Autobauer Mercedes-Benz hat indes weiter Ärger mit möglicherweise fehlerhaften Kraftstoffpumpen. Nach einem größeren Rückruf in den USA ruft der Konzern nun auch in China 231.249 Autos in die Werkstätten, wie die chinesische Aufsichtsbehörde SAMR (State Administration for Market Regulation) in Peking mitteilte. rtr

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EU-Bericht: Demokratie in Hongkong und Macau weiter geschwächt

Die EU-Kommission hat in ihrem Jahresbericht über die Lage in Hongkong weiter zunehmende Einschränkungen demokratischer Grundsätze und Freiheiten angeprangert. Im vergangenen Jahr seien Hongkongs Autonomie und die demokratischen Grundsätze und Grundfreiheiten weiter geschwächt worden, hieß es in dem Bericht der EU-Kommission von Ursula von der Leyen und des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Die Entwicklungen weckten Zweifel an Chinas Bekenntnis zum Grundsatz “Ein Land, zwei Systeme”. Rund zehn Prozent der EU-Bürger hätten Hongkong wegen der strikten Covid-Regeln verlassen, heißt es in dem Bericht.

Als ein Beispiel werden Festnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit im Rahmen des Nationalen Sicherheitsgesetzes genannt. Demnach waren davon bis Ende 2022 mehr als 230 Personen betroffen. Gegen 145 Personen und fünf Unternehmen sei Anklage erhoben worden. Alle im Rahmen des Sicherheitsgesetzes angeklagten Menschen seien auch verurteilt worden. Zudem werde die Pressefreiheit immer weiter eingeschränkt. In der von Reporter ohne Grenzen erstellten Rangliste der Pressefreiheit für das Jahr 2022 sei Hongkong um 68 Plätze auf Rang 148 von 180 Ländern abgefallen. Ähnliche Entwicklungen sieht die EU auch in Macau, über dessen Lage ebenfalls ein Bericht veröffentlicht wurde.

In dem Bericht wird auch die Festnahme eines EU-Bürgers kritisiert. Dieser befindet sich Medienberichten zufolge immer noch in Haft. Der Fall betrifft Joseph John, einen portugiesischen Staatsbürger mit dem chinesischen Namen Kin Chung Wong, der im November 2022 wegen angeblicher “Veröffentlichung aufrührerischer Artikel im Internet, die Peking und die lokalen Behörden verunglimpfen” festgenommen wurde.

Der Exodus: Einwohner fliehen Hongkong

Die Abwanderung der Einwohner Hongkongs hat sich wegen der zunehmenden Unfreiheit in diesem Jahr beschleunigt: Bis Mitte August haben nach Angaben der Stiftung Comittee for Freedom in Hongkong 291.000 weitere Einwohner die ehemalige britische Kronkolonie und heutige chinesische Sonderverwaltungszone verlassen. Das ist der höchste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Januar 2020.

Seit Anfang 2021 sind fast eine halbe Million Menschen abgewandert, ein Großteil im Zuge des Nationalen Sicherheitsgesetzes, das 2020 eingeführt wurde und grundlegende Menschenrechte unterdrückt. ari/flee

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Presseschau

Konflikt zwischen China und Taiwan: China startet Militärübungen vor Taiwan TAGESSCHAU
Taiwans Vizepräsident Lai: “Kein Teil der Volksrepublik China” MERKUR
USA fordern China zum Dialog mit Taiwan auf FAZ
Das Verhältnis von Südkorea und Japan zu China bleibt kompliziert SUEDDEUTSCHE
Das Aufrüsten in Asien ist mehr als ein Ritual DER STANDARD
Jährlicher Bericht: EU klagt über Chinas Repressionen in Hongkong TAGESSCHAU
Strategisches Abkommen zwischen China und Georgien? Ein Wink Richtung Brüssel BERLINER-ZEITUNG
U.S., China Try to Draw Nations to Their Side as Divisions Harden WSJ
China is too big for a Soviet Union-style collapse, but it’s on shaky ground THE GUARDIAN
Auch mit Blick auf China: Habeck will deutsche Wirtschaft stärker schützen N-TV
US-Filmerfolg in China: Ist “Barbie” der Zensur durchgerutscht? TAGESSCHAU
Schwache Konjunktur: China will Investoren beruhigen ORF
Chinas Immobilienkrise weitet sich aus: Ist das eine Gefahr für Deutschland oder sogar eine Chance auf sinkende Baupreise? BUSINESS INSIDER
China’s property headaches to take a toll on heavyweight miners SMH
China verspricht Kommunen Hilfe zur Lösung von Schuldenproblemen HANDELSBLATT
China setzt auf russisches Öl und australische Kohle VOL
China eyes robot manufacturing as way to fuel economic growth SCMP
For single women in China, owning a home is a new form of resistance BUSINESS TIMES
Angebot mit Haken: Taiwans Single-Frauen setzen auf “Egg Freezing” N-TV
Chinese firm launches WonderJourney satellite with AI-powered “brain” SCMP
TV-Reportage: Punk und Kunst in China SR

Standpunkt

Chinas gefährliche Geheimnisse

Brahma Chellaney ist Professor für strategische Studien am Center for Policy Research mit Sitz in Neu-Dehli.
Von Brahma Chellaney

Es ist bekannt, dass China dank einer Verzehnfachung seiner Militärausgaben seit 1995 über die weltgrößte Marine und Küstenwache verfügt und dass es diese nutzt, um seinen streitlustigen Revisionismus voranzutreiben. Doch gibt es noch zahlreiche weniger bekannte – tatsächlich hochgradig undurchsichtige – politische Strategien, Projekte und Aktivitäten, die den chinesischen Expansionismus stützen und die ganze Welt in Gefahr bringen.

China hat eine lange Tradition, seinen strategischen Fußabdruck durch verstohlene Manöver auszuweiten, die es in schamloser Weise bestreitet. So richtete es zum Beispiel 2017 seinen ersten ausländischen Militärstützpunkt in Djibouti ein – einem winzigen Land am Horn von Afrika, das rein zufällig stark bei China verschuldet ist -, aber bestritt öffentlich alle derartigen Pläne.

Derzeit ist China dabei, eine Marinebasis in Kambodscha zu errichten, das China ein Fünftel seiner Küstenlinie und einige Inseln verpachtet hat. Der fast fertige Pier der von China finanzierten Marinebasis Ream ähnelt in Größe und Design verdächtig einem Pier des chinesischen Stützpunkts in Djibouti. China gibt zu, in den Stützpunkt zu investieren, aber behauptet, dass nur die Marine Kambodschas Zugang dazu haben wird.

Realistisch betrachtet jedoch dürfte Chinas Marine die Einrichtung zumindest für militärlogistische Zwecke nutzen. Dies würde seine Stellung im Südchinesischen Meer weiter stärken, wo es bereits sieben künstliche Inseln zu vorgelagerten Militärstützpunkten ausgebaut hat, und ihm die faktische Kontrolle über diesen wichtigen Korridor zwischen Pazifik und Indischem Ozean verschaffen.

Geopolitische Interessen beim Bau von Staudämmen

China verfolgt zudem einen hochgradig heimlichtuerischen Ansatz in Bezug auf seine enormen Staudamm-Projekte an internationalen Flüssen, die aus dem von China annektierten tibetischen Hochland in andere Länder fließen. Während die Welt weiß, dass der nationale Volkskongress – eine reine Absegnungsveranstaltung – 2021 den Bau des weltgrößten Staudamms in der Nähe von Chinas hochgradig militarisierter Grenze zu Indien genehmigt hat, gab es seitdem keine öffentlichen Informationen über das Projekt.

Der Damm soll angeblich dreimal so viel Strom produzieren wie die Drei-Schluchten-Talsperre – das gegenwärtig größte Wasserkraftwerk der Welt. China hat eine neue Eisenbahnlinie und eine neue Autobahn für den Transport von schwerem Gerät, Werkstoffen und Arbeitskräften zu dem abgelegenen Projektstandort errichtet. Mehr dazu werden wir erst erfahren, wenn der Bau so weit fortgeschritten ist, dass sich der Damm nicht länger vor kommerziell verfügbaren Satellitenbildern verbergen lässt. Zu diesem Zeitpunkt jedoch wird China vollendete Tatsachen geschaffen haben.

Dieselbe Strategie hat China genutzt, um elf gigantische Staudämme am Mekong zu errichten. Damit hat es nicht nur geopolitischen Einfluss auf seine Nachbarn gewonnen, sondern auch enorme ökologische Verheerungen angerichtet. China ist inzwischen das Land mit den weltweit meisten Staudämmen. Es hat mehr große Dämme in Betrieb als die übrige Welt zusammen und ist dabei, mindestens acht weitere Dämme allein am Mekong zu bauen oder zu planen.

Schuldenfalle und Heimlichtuerei

Undurchsichtigkeit ist zudem ein bestimmendes Merkmal der großangelegten Kreditvergaben, die China zum weltgrößten staatlichen Kreditgeber gegenüber den Entwicklungsländern gemacht haben. Fast jeder im letzten Jahrzehnt ausgereichte chinesische Kredit enthält eine weitreichende Vertraulichkeitsklausel, die das Gläubigerland zwingt, die Kreditbedingungen geheim zu halten. Viele afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Länder stecken inzwischen in einer Schuldenfalle, die sie hochgradig anfällig für chinesischen Druck macht, eine Chinas wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen dienende Politik zu verfolgen. Laut einer Studie bieten die Kreditverträge China “breiten Spielraum, Kredite zu kündigen oder ihre beschleunigte Rückzahlung zu verlangen, falls es mit der Politik des Gläubigerlandes nicht einverstanden ist”.

Doch kann es keinen besseren Beleg für die globalen Kosten von Chinas Heimlichtuerei geben als die Covid-19-Pandemie. Hätte die chinesische Regierung schnell auf Anzeichen für das Auftreten eines tödlichen neuen Coronavirus in Wuhan reagiert, die Öffentlichkeit gewarnt und Kontrollmaßnahmen umgesetzt, hätte sich der Schaden in Grenzen halten lassen.

Stattdessen unternahm die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) eilige Schritte, um Informationen über den Krankheitsausbruch zu unterdrücken und zu diskreditieren, und bereitete damit den Weg für eine verheerende weltweite Pandemie, die fast sieben Millionen Menschen das Leben kostete und zahllose Leben und Lebensgrundlagen zerstörte. Bis heute hindern Chinas Verschleierungsmaßnahmen Wissenschaftler an der Ergründung der wahren Ursprünge von Covid-19, das – nicht zu vergessen – erstmals am Standort des wichtigsten chinesischen Forschungszentrums für Superviren auftrat.

Chinas ständigen Regelverstöße

Chinas Bereitschaft zum Verstoß gegen internationale Gesetze, Regeln und Normen verschärft das Undurchsichtigkeitsproblem. Die chinesische Regierung hat wiederholt gegen ihre internationalen Zusagen verstoßen, unter anderem gegen Versprechen, die Autonomie Hongkongs zu wahren und Anlagen im Südchinesischen Meer nicht zu militarisieren. Es war Chinas verstohlener Verstoß gegen seine Zusage, den Status quo seiner umstrittenen Grenze zu Indien im Himalaja nicht einseitig zu ändern, der eine dreijährige (und weiter andauernde) militärische Konfrontation zwischen beiden Ländern auslöste.

Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass China seine Regelverstöße, schuldengestützten Zwangsmaßnahmen oder sonstigen bösartigen Aktivitäten auf absehbare Zeit aufgeben wird. Der chinesische Präsident Xi Jinping – der die Kontrolle der KPCh über Informationen verschärft hat und sogar den Zugriff externer Analysten auf Wirtschaftsdaten unterbunden hat – ist nun auf bestem Wege, lebenslang an der Macht zu bleiben, und weiterhin eifrig bestrebt, die internationale Ordnung zugunsten Chinas umzugestalten.

Expansion per Salamitaktik

Bedenklich ist, dass Xis Risikobereitschaft zu wachsen scheint. Dies spiegelt unter anderem Zeitdruck wider: Xi scheint zu glauben, dass China nur ein enges Zeitfenster bleibt, um eine globale Vormachtstellung zu erreichen, bevor ungünstige demografische, wirtschaftliche und geopolitische Trends durchschlagen. Jedoch wurde Xi auch durch das völlige Versagen der internationalen Gemeinschaft ermutigt, echte Konsequenzen gegenüber China für dessen Fehlverhalten durchzusetzen.

Während Russland eine großmaßstäbliche Invasion der Ukraine einleitete, zieht China eine durch Heimlichkeit und Täuschung ermöglichte Politik der kleinen Schritte vor, um seine revisionistische Agenda voranzutreiben. Dies, im Verbund mit seinem enormen wirtschaftlichen Gewicht, schützt es vor einer entschlossenen Reaktion des Westens. Chinas Expansionismus per Salamitaktik dürfte sich daher, sofern Xi keinen bedeutenden strategischen Schnitzer begeht, weiter fortsetzen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan.

Brahma Chellaney ist Professor für strategische Studien am Center for Policy Research mit Sitz in Neu-Dehli, Fellow der Robert Bosch Academy in Berlin und Verfasser von Water, Peace, and War: Confronting the Global Water Crisis (Rowman & Littlefield, 2013).

Copyright: Project Syndicate, 2023.

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  • Volksbefreiungsarmee

Personalien

Raphael Oen ist nach vier Jahren als Head of Law, Patents and Compliance für Bayer in China nach Deutschland zurückgekehrt. Seit Beginn des Monats ist er Head of Law Pharma Global Commercial, ebenfalls bei Bayer, in Berlin.

Chun Yin Mak wird neuer China-Chef der japanischen Werbeagentur Dentsu mit Büro in Shanghai. Er löst Deric Wong ab, der nach zweieinhalb Jahren aus persönlichen Gründen zurücktritt. Mak kommt von IBM China und war zuvor bei Accenture.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Das sind keine Elche, die hier im Feuchtgebiet von Yancheng in der Provinz Jiangsu grasen – auch wenn die US-Bezeichnung “elk” das vermuten lässt. In Nordamerika werden die uns in Europa bekannten Elche aber “moose” genannt. Hier handelt es sich um eine ostasiatische Hirschart, eine Unterart des Wapiti. Diese Bezeichnung Wapiti (“weißes Hinterteil”) stammt wiederum von den Shawnee-Indianern. Auf Chinesisch heißen sie Milu 麋鹿, was übersetzt dann doch … Elch heißt.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Außenministerin Annalena Baerbock sendet heute im Interview mit Table.Media ein deutliches Signal an China: Die grüne Außenministerin will mit der EU versuchen, vor allem die kleinen Inselstaaten davon zu überzeugen, dass ihre Interessen bei den Europäern oft besser aufgehoben sind als bei China.

    Das wird nicht einfach: Dafür müsste der Globale Norden seine Versprechen etwa bei den Finanzen einhalten. So sieht es Baerbock im Gespräch mit Bernhard Pötter von Climate-Table. Im Südpazifik wollte Baerbock mit der Eröffnung einer Botschaft auf Fidschi dabei helfen, solche neuen Allianzen zu schmieden.

    Bekanntlich kam sie nie dort an; das Interview ist kurz nach Baerbocks inzwischen legendären Pannen-Flug entstanden. Es geht darin also auch um den außenpolitischen Schaden der Absage ihres Besuchs in einer Schlüsselregion. Sie ärgere sich, dass die Reise nicht geklappt hat, sagt die Ministerin in dem Gespräch. Aber, so Baerbock: Die Mission ist nur aufgeschoben.

    Eine weite Reise hatten auch die Regierungschefs Japans und Südkoreas hinter sich, als sie am Wochenende in Camp David mit dem US-Präsidenten zusammentrafen. Sie vereinbarten eine engere Zusammenarbeit zur Eingrenzung Chinas.

    Damit zeigen Chinas Nachbarn, dass sie etwas verstanden haben, das in Europa noch nicht so angekommen ist: Chinas hybrider Krieg gegen Taiwan hat längst begonnen, wie Felix Lee analysiert. Wie zur Bestätigung schickte die Volksbefreiungsarmee am Wochenende wieder viele Kampfflugzeuge in Richtung der Insel.

    Auch beim großen Gipfel der Brics-Staaten kommende Woche in Johannesburg geht es um die immer dominantere Rolle Chinas in der Welt. Wichtigstes Thema des Treffens dürfte eine mögliche Erweiterung des Brics-Bündnisses sein, schreibt Jörn Petring. China ist dafür, Brasilien und Indien tendenziell dagegen.

    Einig sind sich die Brics-Länder – die heute schon an der realen Kaufkraft gemessen stärker als die G7 sind – in ihrem Ziel einer “veränderten globalen Ordnung”, wie die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor im Vorfeld sagte.

    Eine spannende Lektüre wünscht

    Ihre
    Carolyn Braun
    Bild von Carolyn  Braun

    Interview

    “Wir müssen die alten Blöcke aufbrechen”

    Außenministerin Annalena Baerbock mit Table-Journalist Bernhard Pötter (links) im Regierungsflieger.

    Frau Baerbock, wir führen dieses Interview kurz nach Ihrer unplanmäßigen Rückkehr, eigentlich sollten Sie gerade in Neuseeland sein. Welcher Schaden ist der deutschen Außen- und Klimapolitik dadurch entstanden, dass Sie Ihre Reise nach Ozeanien abbrechen mussten?

    Das schmerzt richtig. Seit 2011 war kein deutscher Außenminister mehr in Australien. Und auf den kleinen pazifischen Inselstaaten waren wir bislang gar nicht mit einer deutschen Botschaft vertreten. Da bringt es dann wenig, unsere Freundschaft in Sonntagsreden zu erklären. Freundschaft zeigt sich in der Diplomatie eben auch dadurch, dass man eine sehr lange Reise von über 20.000 Kilometern antritt. Um den Menschen und den Regierungen dort deutlich zu machen: Für uns hat eure Region im 21. Jahrhundert eine große Bedeutung. Sicherheits- und klimapolitisch. Das können wir von Berlin aus an einem regnerischen Donnerstagnachmittag eben nicht so gut wie vor Ort in Neuseeland, Australien oder Fidschi. Deshalb eröffnen wir als Teil unserer Klimaaußenpolitik-Strategie, aber auch als Teil unserer China- und Indopazifik-Politik, endlich eine Botschaft in Fidschi – unsere erste in einem kleinen pazifischen Inselstaat überhaupt.

    Wann werden Sie die Reise nachholen?

    Dass ich die Reise abbrechen musste, ist auch deswegen so misslich, weil man 20.000 Kilometer nicht so einfach für einen Abstecher fliegen kann. Wir suchen jetzt nach freien Tagen am Stück in meinem unglaublich vollen Kalender, um die Reise definitiv nachzuholen. Manches kann man aber auch nicht nachholen. Die Botschaft kann ich nun nur virtuell mit eröffnen. Das ist natürlich nicht das Gleiche wie mit der Regierung Fidschis zusammen wie eigentlich geplant.

    Sie wollten im Indopazifik ja auch zeigen, wie Klima-, Außen- und Geopolitik zusammengehen sollen. Wie haben wir uns das vorzustellen?

    Geopolitik ist Klimapolitik, und Klimapolitik ist Geopolitik. Das ist Fachleuten seit Jahren bekannt, das hat man schon bei der Klimakonferenz 2015 in Paris gesehen. Warum war es so unglaublich schwierig, überhaupt ein globales Klimaabkommen zu verhandeln? Weil dahinter natürlich große geopolitische Fragen stehen – Technologieführerschaft bei erneuerbaren Energien, alte Reichtümer der fossilen Industrie, wer zahlt für Klimaschäden. Also alles enorme Machtfragen von Finanzpolitik, Einfluss und globaler Gerechtigkeit. Wenn ein kleiner Inselstaat zum x-ten Mal von einem Wirbelsturm getroffen wird, dann kann er irgendwann den Aufbau seiner Schulen, seiner Krankenhäuser nicht mehr bezahlen. Wenn wir bei Fragen, wer diesen Staaten dann unter die Arme greift, nicht da sind, dann bietet natürlich gerne China Hilfe an. Oftmals aber nicht ohne Gegenleistung. Das muss gar nicht so sehr ein Knebelkreditvertrag sein. Sondern im Zweifel auch das Abstimmungsverhalten bei der nächsten internationalen Konferenz.

    Das heißt: Klima-Außenpolitik hat einen neuen Stellenwert?

    Es zeigt sich immer mehr, dass die Klimakrise die Sicherheitsgefahr dieses Jahrhunderts ist und damit Klimapolitik auch Sicherheitspolitik ist. Wir haben ja auch im Ahrtal vor zwei Jahren erlebt, dass die Klima- und Sicherheitskrise auch vor unserem eigenen Land nicht Halt macht. Daher spielt die Klimapolitik auch in unserer Nationalen Sicherheitsstrategie eine große Rolle. Und wir haben ein neues Kapitel in der deutschen Außenpolitik aufgeschlagen, indem ich die Klimaaußenpolitik ins Auswärtige Amt geholt habe. Ohne dies wären Gespräche mit einer Vielzahl von Ländern definitiv schwerer. So spüren, sehen, hören gerade die Länder, die am meisten unter der Klimakrise leiden, in unseren Gesprächen, an unseren Botschaften, dass wir ihre vor allem klimabedingten Sicherheitssorgen endlich wirklich ernst nehmen.

    Wie zeigt sich das konkret, etwa in Fidschi?

    Die neue Botschaft in Fidschi ist unsere Klimabrücke in einen Hotspot der Geopolitik, der unglaublich weit weg, uns aber gerade geopolitisch so nah verbunden ist. Fidschi wirbt mit uns für stärkere CO2-Minderungsziele auf den Klimakonferenzen. Fidschi ist das Zuhause des Pacific Islands Forum, zu dem neben Australien und Neuseeland auch ein gutes Dutzend kleine pazifische Inselstaaten gehören. Diese teilen auch unsere Werte in anderen internationalen Fragen. Sie alle haben in der Generalversammlung der UNO gegen den russischen Angriffskrieg gestimmt. Das heißt, die Klimapolitik öffnet gerade auch Türen für geostrategische Fragen. Aber wenn wir nicht klimapolitisch präsent sind, schließen sich diese Türen auch. Die Stimme jedes einzelnen Inselstaates zählt bei den Vereinten Nationen gleich viel wie die Stimme eines großen Industrielandes. Und trotzdem fragen sich diese Länder: Wenn wir so eng kooperieren, warum war dann noch keiner hier? Ich war letztes Jahr im Pazifikstaat Palau als erste deutsche Außenministerin seit 120 Jahren. Das war ein “Game Changer” für unser Ansehen in der Region. Und auch die Menschen in Deutschland sahen plötzlich über die Fernsehbilder, wie tatsächlich durch den Meeresspiegelanstieg ein Haus droht, ins Meer zu rutschen. Wir bringen auch etwas ganz Konkretes mit in die Pazifik-Region. Zum Beispiel unser Angebot beim Ausbau der erneuerbaren Energien für die Pazifikinseln, die zum Teil noch von Dieselgeneratoren abhängig sind. Oder auch unsere Unterstützung bei wichtigen politischen Fragen wie der finanziellen Bewältigung von Verlusten und Schäden durch die Klimakrise.

    Entwicklungsländer stehen nicht automatisch auf der Seite der EU

    Sie erhoffen sich dadurch also bessere Verhandlungsergebnisse, etwa bei den UN-Klimakonferenzen?

    Wir arbeiten etwa mit den Marshallinseln, Vanuatu und auch Fidschi schon sehr eng im Klimabereich zusammen. Natürlich wollen diese Inselstaaten nichts Sehnlicheres als dass wir die globalen CO2-Emissionen endlich gegen null bekommen. Da werben wir auf Klimakonferenzen oft gemeinsam für. Aber wenn es dann gerade zwischen alten Industriestaaten und aufstrebenden globalen Kräften wie China, aber auch den Golfstaaten zum Schwur kommt, dann stehen die Inselstaaten nicht automatisch auf der Seite der EU, auch wenn wir klimapolitisch eigentlich ambitionierter sind.

    Bisher sind diese Länder aber Teil der informellen “G77”-Gruppe, der Schwellen- und Entwicklungsländer mit China. Wollen Sie strategisch diese Länder bei Fragen der Klimapolitik auf Ihre Seite ziehen?

    Genau diese alten Blöcke müssen wir aufbrechen. Denn die Klimakrise ist längst keine Blockfrage mehr. Wir kriegen die Klimakrise nur als Welt gemeinsam in den Griff oder gar nicht. Daher ist es so wichtig, dass diejenigen, die klimapolitisch wirklich etwas erreichen wollen, sich zusammentun. Egal ob Nord oder Süd. Schwellenland, kleiner Inselstaat oder europäische Industrienation. Und die Länder des Indopazifiks, wo viele der besonders vulnerablen Staaten liegen, spielen dabei eine wichtige Rolle. Daher gehört zu unserer China-Strategie eben nicht nur die Frage, wie wir unsere Beziehungen zu China in diesen geo- und klimapolitisch so heißen Zeiten neu justieren, sondern gerade auch, wie wir unsere Zusammenarbeit im Indopazifik ausbauen. 

    Wie soll das aussehen? 

    Das betrifft nicht nur die kleinen Inselstaaten, sondern auch die sehr großen Länder dort. Angela Merkel war als Bundeskanzlerin 2014 das letzte Mal in Australien, allerdings im Rahmen der G20. Die australischen Zeitungen haben sehr genau darüber berichtet, dass sie in ihrer Amtszeit über zehnmal in China war. Das sind große, starke, gefestigte Demokratien wie Australien und Neuseeland, die ebenso spüren, dass unser Augenmerk bisher nicht so stark bei ihnen war. Aber eben auch kleine Inselstaaten, die die Charta der Vereinten Nationen und die regelbasierte Ordnung aus vollem Herzen so wie wir unterstützen. Alle diese pazifischen Inselstaaten haben sich gegen den russischen Angriffskrieg gestellt, weil sie als kleine Länder wissen: Ihre Lebensversicherung ist das internationale Recht. Wir müssen also nicht nur danke sagen, sondern klarmachen: Wir sehen auch eure Sicherheitssorgen, wie zum Beispiel die Klimakrise, aber eben auch den Einfluss Chinas. Mit den Salomonen hat China ein geheimes Sicherheitsabkommen geschlossen. Das erfüllt die Australier mit großer Sorge, die bisher eng mit den Salomonen zusammengearbeitet haben.

    Bisher haben aber auch diese kleinen Staaten bei den Klimaverhandlungen immer mit China und gegen die EU gestimmt, wenn es hart auf hart kam.

    Das stimmt zum Teil. Keiner dieser Staaten will von einem einzigen Land abhängig sein. Wir versuchen daher, den Inselstaaten konkrete Alternativen zu bieten, denn es geht nicht darum, dass sie sich auf die eine oder andere Seite schlagen. Auch deshalb sind wir dort so willkommen. Diese Reise, diese neue Botschaft – all das ist Teil des Programms. Dafür braucht man Vertrauen über Jahre und Jahrzehnte. Vertrauen bedeutet in der Diplomatie, dass man sich kennt, dass man sich gegenseitig besucht. Für mich war ein Schlüsselerlebnis die COP27 in Ägypten im letzten Jahr: Bis zuletzt waren wir uns mit den kleinen Inselstaaten einig, dass wir mehr beim Klimaschutz machen müssen und das gemeinsam mit einem neuen Instrument für Schäden und Verluste verzahnen. Aber bei der entscheidenden Abstimmung haben sie sich in der Gruppe der G77 einsortiert, die da gebremst hat. Denn im Hintergrund machen Länder wie China massiven Druck auf eine Reihe dieser Staaten und sagen: Wenn ihr Euch jetzt bei der Klimapolitik gegen uns stellt, dann stellen wir uns im Zweifel bei anderen Fragen gegen Euch. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir vertrauensvolle Beziehungen zu den kleinen Inselstaaten haben und diese weiter ausbauen. Genau das ist Ziel meiner Klimaaußenpolitik.

    De-Risking bedeutet auch Zusammenarbeit

    Teil Ihrer China-Strategie ist ja das “Derisking” – also weniger strategische Abhängigkeit. Aber bei der Klimapolitik sind alle abhängig von China. Wie funktioniert “De-Risking”, wenn Sie einerseits Konfrontation und andererseits Kooperation brauchen?

    Sie kennen den Dreiklang aus der China-Strategie: Wir sind Wettbewerber, Systemrivale, aber eben auch Partner mit China. Wir wollen mit China zusammenarbeiten. Aber wir wollen faire Zusammenarbeit. Und wenn das nicht möglich ist, müssen wir uns schützen. Etwa wenn China zum eigenen Wettbewerbsvorteil unfair an Technologie-Know-How herankommen möchte. Also: Zusammenarbeit mit China überall dort, wo möglich, insbesondere im Klimabereich. Und “De-Risking”, also strategische Souveränität Europas, wo nötig, weil ansonsten unsere Sicherheitsinteressen gefährdet sind.

    Aber was passiert, wenn sich das überschneidet: Wenn also chinesische Solaranlagen möglicherweise mit Zwangsarbeit hergestellt werden?

    Zwangsarbeit ist natürlich ein absolutes No-Go. Unser neues Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verbietet deutschen Unternehmen, in ihrer Wertschöpfungskette Produkte aus Zwangsarbeit zu nutzen. Und ich streite dafür, dass solche Produkte nicht auf den europäischen Markt dürfen. Es wäre ja auch eine absolute Marktverzerrung für europäische Firmen, die sich natürlich an die internationalen Kernarbeitsnormen halten. Dennoch haben wir natürlich unglaubliche Abhängigkeiten von China, gerade auch im Bereich von Solartechnik. Wir können als Europäer die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien selber gar nicht erreichen, wenn wir hier nicht miteinander kooperieren. Zugleich müssen wir eben verhindern, dass wir da von China ähnlich abhängig werden, wie wir es von Russland bei der Gasversorgung waren, wo der Rohstoff als Waffe eingesetzt wurde. Deshalb nehmen wir ja sehr viel Geld in die Hand, um in Europa und in Deutschland zum Beispiel eine Produktion für Mikrochips und Batterien aufzubauen.

    Chinas Stärke ist ja zum Teil auch die Schwäche des Westens: Gerade bei der Klimafinanzierung wird den Industriestaaten zurecht vorgeworfen, dass sie ihre Versprechen nicht einhalten – die nicht erreichten 100 Milliarden Dollar bis 2020 sind das schlechte Beispiel. Wie soll denn da dieses Vertrauen der ärmeren Staaten in den Globalen Norden wachsen?

    Wenn wir unsere eigenen Versprechen zur Klimafinanzierung nicht erfüllen, machen wir es Ländern wie China natürlich sehr einfach, denen es nicht nur um Klimapolitik, sondern auch um systemische Abhängigkeiten geht. Das Versprechen der jährlichen 100 Milliarden Dollar bei der Klimafinanzierung zu halten, ist deswegen in unserem ureigenen Interesse. Und auch bei der Bewältigung von Verlusten und Schäden durch die Klimakrise voranzukommen, um denen zu helfen, die zu der Krise am wenigsten beigetragen haben. Deswegen hat der “Loss and Damage”-Fonds für mich solche Priorität. Deutschland jedenfalls steht zu seinen finanziellen Zusagen. Wir dürfen aber auch bei der Klimafinanzierung nicht naiv sein. Die klassischen Industriestaaten waren über Jahrzehnte für die Masse der globalen Emissionen verantwortlich. Wir haben unseren wirtschaftlichen Erfolg darauf aufgebaut. Deshalb müssen wir auch die nötige Anpassung, die Bewältigung von Schäden und Verluste finanziell unterstützen. Mit dem Umschwenken auf Erneuerbare haben wir ja zum Glück einen neuen Kurs eingeschlagen. Aber andere betreiben den Kohleausstieg eben nicht so intensiv wie wir. China ist mittlerweile der größte Emittent und hauptverantwortlich für gegenwärtige und kommende Schäden. Das müssen wir auch gegenüber kleineren Staaten deutlich machen: Wenn ihr wollt, dass euch geholfen wird, dann stehen wir zu unserem Wort – aber ihr müsst auch Länder wie China oder die Golfstaaten mit in die Verantwortung nehmen.

    Sie fordern, dass China und andere reiche Länder, die keine klassischen Industrieländer sind, sich an der Finanzierung des “Loss and Damage”-Fonds beteiligen, der auf der nächsten COP umgesetzt werden soll?

    Ja, darüber habe ich auch auf meiner China-Reise gesprochen. Aber auch mit den Golfstaaten oder Ländern wie Korea. Auch wenn es alles andere als einfach ist. Das Thema “Loss and Damage” ist die Büchse der Pandora der Klimapolitik. Viele hatten Angst, sie zu öffnen. Die bisherige Haltung von Europa und den USA war ja, darüber sollten wir gar nicht reden. Ich habe das immer für falsch gehalten. Denn als Außenministerin habe ich von Tag eins gespürt: Wir verspielen durch diese Weigerung das Vertrauen von wahnsinnig vielen Ländern auf der Welt, und das sind nicht nur die Inselstaaten, das sind auch viele Staaten in Afrika. Deshalb habe ich vor einem Jahr beim Petersberger Klimadialog gesagt, wir wollen dieses Thema angehen. Das hat mir auch gerade bei Partnern und Freunden nicht nur Applaus eingebracht, aber das war ein Türöffner für ganz viele Länder auf dieser Welt, die uns Industriestaaten sonst eher skeptisch gegenüberstehen. Die gemerkt haben: Die Deutschen meinen es wirklich ernst mit ihrer Verantwortung in der Klimapolitik.

    Ist das noch so? Welchen Ruf hat denn Deutschland bei Ihren Gesprächspartnern in der Welt der Klimapolitik? Wir waren mal “Home of the Energiewende”, aber inzwischen sind andere schneller und entschlossener.

    Nachdem Deutschland die Energiewende ja sozusagen erfunden hat, hat der gute Ruf in den Jahren danach massiv Schaden genommen. Weil es ja eine Phase der Großen Koalition gab, in der sie dem Ausbau der Erneuerbaren jegliche Steine in den Weg gelegt haben und auch vom Kohleausstieg nichts wissen wollten. Das hat uns leider auch die Solarindustrie gekostet, die nach China abgewandert ist. Und dann hatten wir diese riesige Abhängigkeit vom russischen Gas. Für die damalige Bundesregierung galt eine Gaspipeline ja stets als rein wirtschaftliches Projekt und weder geopolitisch noch klimapolitisch als problematisch. All das hat natürlich an unserem bisherigen guten deutschen Ruf als Klimavorreiter genagt und deswegen war es uns als neuer Bundesregierung so wichtig, deutlich zu machen: Klimapolitik hat jetzt Priorität. Klimaschutz ist keine reine Umweltfrage, sondern Klimaschutz ist Industriepolitik, Klimaschutz ist Sicherheitspolitik, Klimaschutz ist Gesundheitsschutz und damit eine Querschnittsaufgabe einer jeden modernen Regierung.

    Auch Ihre Ampelregierung bekommt vom Expertenrat bescheinigt, dass die Anstrengungen nicht ausreichen. Wie zufrieden sind Sie denn mit der Klima-Innenpolitik?

    Wenn man über Jahre, um nicht zu sagen ein Jahrzehnt, Klima- und Energiepolitik verschlafen hat, dann geht der Wandel in einem Industriestaat nicht über Nacht. Und verschlafen ist schon eine Beschönigung, wenn ich an Teile der Union denke, die bewusst die ganzen ersten Erfolge der erneuerbaren Energien kaputt machen wollten. Wir haben daher als Ampel die Grundsatzentscheidung getroffen, bis zur Mitte der 2040er-Jahre als Land klimaneutral zu sein und auch Infrastrukturinvestitionen darauf auszurichten. Und auch unser Zwischenziel ist klar definiert: bis 2030 mindestens 80 Prozent Erneuerbare, damit müssen wir die verlorenen Jahre zumindest zum Teil wiedergutmachen. Entsprechend haben wir im Koalitionsvertrag den Kohleausstieg vorgezogen und seit dem russischen Angriff auf die Ukraine noch einmal beschleunigt. Die reaktivierten Kohlereserven sind längst wieder durch Erneuerbare ersetzt. Und nach der Energiewende im Strombereich – im Mai hatten wir übrigens bereits 66,2 Prozent erneuerbar produzierten Strom – gehen wir jetzt endlich auch den Wärmebereich an.

    Es braucht Fortschritte bei “Loss and Damage”

    Im Dezember bei der COP28 in Dubai könnte ein Kompromiss ja sein: Ein globales Ziel für Erneuerbare, mehr Energieeffizienz, eine Reduktion beim Methan und dafür das Versprechen, die 100 Milliarden Klimafinanzen zu schaffen – und einen fossilen Ausstieg zu organisieren mit viel CCS-Technologie, was die Ölländer wünschen. Wäre das ein Erfolg?

    Wir brauchen bei der Weltklimakonferenz in Dubai eine Kurskorrektur. Denn wir sind nicht auf dem Pfad, um 1,5-Grad in Reichweite zu halten. Und zugleich wissen wir, solche Konferenzen sind kein “Wünsch Dir was”. Gerade die Einigkeit bei der weiteren, so dringenden CO₂-Reduktion wird schwer. Erst recht, weil einige CCS – also die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff – als Wunderwaffe für alles sehen. Ich habe daher beim Petersberger Klimadialog dieses Jahres ein neues globales Ziel, nämlich eine Verdreifachung der globalen Kapazität der Erneuerbaren vorgeschlagen. Das müsste begleitet werden von einer Verdopplung der Energieeffizienz, dem Ausstieg aus unverminderten fossilen Energieträgern, Unterstützungsangeboten für Entwicklungsländer. Und wir brauchen internationale Finanzinstitutionen, die in der Lage sind, Investitionen in diese globale Transformation zu unterstützen. Unsere Solidarität mit den besonders vulnerablen Staaten, insbesondere den Inselstaaten, braucht Fortschritte beim “Loss-and-Damage”-Fonds. Wir müssen genau sehen, wie weit wir zu diesem Idealziel kommen und welche Weichen dahin zu stellen sind. Denn die gesamte Welt, auch gerade die Golfstaaten, haben verstanden: technologisch sind die Erneuerbaren die Zukunft. Deshalb fahren Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Katar oder Saudi-Arabien alle zweigleisig. Die machen natürlich weiter ihr Geschäft mit Öl und Gas, bauen parallel aber die modernsten Solarkraftwerke der Welt und setzen auf den Export von grünem Wasserstoff. Und sie schieben die Verantwortung für die Unterstützung der vulnerablen Entwicklungsländer uns zu.

    Gerade bei Petersberg ist auch der Unterschied deutlich geworden: Als der COP-Präsident al Jaber sagte, er wolle einen Ausstieg aus den Emissionen, nicht aus den Brennstoffen – also möglichst viel CCS. Und Sie sagten, man brauche einen fossilen Ausstieg, also Schluss mit den ganzen fossilen Brennstoffen. Wird dann die EU auf den CCS-Kurs der Ölstaaten einschwenken, wie sie es schon angedeutet hat?

    Genau das ist ein gutes Beispiel, welche Weichen eben schwerer zu stellen sind. Wir sind da mit den Golfstaaten noch nicht einig. Aber dann darf man nicht die Flinte ins Korn werfen. Sondern wir müssen in die Details der Klimaaußenpolitik gehen: Was ist deren Interesse? Solange es geht, noch Geld aus fossilen Energien zu machen. Wie kann man das vielleicht so gestalten, dass es für das Klima nicht schädlich ist? Es gibt Bereiche, wo wir ohne CCS- und CCU-Technologien nicht auskommen können. Das ist ziemlich unstrittig. Aber wir müssen sehr genau definieren, wofür CCS und CCU gebraucht wird und wie es langfristig sicher eingesetzt werden kann. Es kann kein Ersatz sein für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren, die zur Verfügung stehen, günstig sind, und die etwa beim Strom ohne Probleme zu hundert Prozent die fossilen Energieträger ersetzen können.

    Aber wo finden Sie denn dafür Verbündete? Das ist die deutsche Position, aber schon nicht mehr die EU-Position. Und auch die USA sind da nicht an Bord. Mit wem wollen Sie das durchsetzen?

    In der EU ist die Positionierung ja noch nicht abgeschlossen. Und Diplomatie heißt gerade auch für seine Position zu werben, Allianzen zu schmieden. Und es ist auch nicht so, dass wir keine Verbündeten hätten. Insbesondere die Staaten, die eben keine großen Einnahmen aus dem Ölgeschäft oder große Industrien haben, aber bereits unter den Klimaauswirkungen leiden und die genau wissen: Jedes Zehntelgrad Erderwärmung entscheidet über das Schicksal ihres Landes. Das sind in Summe sehr viele Länder und zwar in allen Ecken der Welt. Und gerade deswegen müssen wir unsere Beziehungen in diese Ecken weiter ausbauen. Wie im Indopazifik. Womit wir wieder bei der Reise wären. Ob wir bei der nächsten und den folgenden Klimakonferenzen vorankommen, hängt entscheidend davon ab, ob alle wie immer in ihre alten Machtblöcke des letzten Jahrhunderts zurückfallen wie “G77” und “Industriestaaten”. So kommen wir nicht weiter. Wir brauchen neue Klima-Allianzen. Zwischen Industriestaaten und den von der Klimakrise so heftig Betroffenen. Das wird entscheidend für die Klimapolitik der nächsten Jahre.

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    Analyse

    Der hybride Krieg gegen Taiwan hat begonnen

    Taiwans Vize-Präsident William Lai wird bei seinem Zwischenstopp in New York begeistert von Anhängern empfangen. Das allein ärgert schon Peking – die Luftwaffe schickt Flugzeuge.


    Das Säbelrasseln im Indopazifik wird lauter. Der Regierung in Taiwan zufolge drangen am Wochenende Kampfflugzeuge 42 Mal in die taiwanische Luftverteidigungszone ein. Mehr als die Hälfte der Militärjets habe die Mittellinie der Straße von Taiwan überquert. Die Mittellinie gilt als inoffizielle Grenze zwischen Taiwan und der Volksrepublik in der viel befahrenen Meeresstraße. Auch acht chinesische Schiffe nahmen an den Übungen teil.

    Die Militärführung in Peking bestätigte, dass Luft- und Seestreitkräfte der Volksrepublik am Samstag die Einkreisung der Insel erprobt hätten. “Dies ist eine ernste Warnung an Taiwans Separatisten, die sich zur Provokation mit externen Kräften zusammentun”, sagte ein Militärsprecher. Die Übungen wurden von scharfer Kritik chinesischer Staatsmedien an einem Zwischenstopp des taiwanischen Politikers William Lai in den USA begleitet.

    Luftwaffeneinsatz aus Zorn auf Lai

    William Lai will im Januar bei den anstehenden Wahlen für die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen will. Derzeit gilt er als Favorit. Peking ist er ein Dorn im Auge, hat er sich doch einst für eine Unabhängigkeit Taiwans ausgesprochen. Das hat er zwar inzwischen zurückgenommen, ist aber noch frisch im Gedächtnis.

    DDP-Politiker Lai war zur Amtseinführung des Präsidenten nach Paraguay gereist und war auf dem Hinflug in New York zwischengelandet, beim Rückflug in San Francisco. Peking wirft Lai vor, sich dort politisch betätigt zu haben. Paraguay ist eins der wenigen Länder, das noch diplomatische Beziehungen zu Taiwan pflegen.

    Taiwan verurteilte das “irrationale und provokative Verhalten” Chinas. Auch die US-Regierung kritisiert die Militärübungen aufs Schärfste und fordert China auf, “seinen militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Druck auf Taiwan einzustellen und stattdessen in einen sinnvollen Dialog mit Taiwan einzutreten”.

    Ignoranz gegenüber dem hybriden Krieg

    In Washington wird schon wahrgenommen, dass Peking versucht, mit Militärmanövern die “roten Linien” stetig und beharrlich zu verschieben. Im politischen Betrieb in Berlin diskutieren Politiker allenfalls über mögliche Konsequenzen, sollte China Taiwan direkt militärisch angreifen. Dass Peking schon jetzt den hybriden Krieg gegen Taiwan begonnen hat und die ganze Region destabilisiert, scheinen die Regierungen in Europa nicht so recht wahrhaben zu wollen.

    In der hybriden Kriegsführung werden militärische und nicht-militärische Mittel geschickt gemischt, um den Gegner unter Druck zu setzen. Die Aktionen der Armee bleiben dabei unter der Schwelle, ab der sie von der Weltöffentlichkeit als Krieg im eigentlichen Sinne wahrgenommen werden. Ein Beispiel war die Aneignung der Krim durch Russland 2014. Dort waren Soldaten ohne Hoheitszeichen im Einsatz. Die internationale Reaktion blieb schwach und damit wirkungslos.

    Die Ergebnisse von Camp David

    Für Misstrauen in Peking dürfte auch der Gipfel in Camp David gesorgt haben, der ebenfalls im Zeichen der hybriden Kriegsführung stand. US-Präsident Joe Biden hat sich mit Japans Regierungschef Fumio Kishida und Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol auf seinen Landsitz getroffen. Dabei ging es auch um eine engere militärische Zusammenarbeit der drei Staaten in Ostasien. Die Kooperation im Verteidigungsbereich solle auf ein “noch nie da gewesenes Niveau” gebracht werden, kündigte Biden an und pries eine neue “Ära der Partnerschaft” zwischen den Ländern. 

    Obwohl Biden zu Beginn des Treffens noch versicherte, dass es nicht primär um China gehen soll, tauchte China im Abschlussdokument dennoch prominent auf. Die drei Regierungschefs warfen China “gefährliches und aggressives Verhalten” vor. Man wende sich “entschieden gegen alle einseitigen Versuche, den Status quo in den Gewässern des Indopazifiks zu verändern”. 

    Japan, USA und Australien planen Manöver

    Die drei Regierungschefs vereinbarten eine Konsultationspflicht in Sicherheitskrisen und die Einrichtung einer Hotline zum schnellen Austausch. Auch ein Frühwarnsystem für mögliche Probleme bei Lieferketten soll es geben. Außerdem ist nun ein jährlicher Dreiergipfel mit den USA, Japan und Südkorea geplant. “Von diesem Moment an wird Camp David als ein historischer Ort in Erinnerung bleiben”, sagte Yoon mit Blick auf die Ergebnisse des Gipfels.

    Japans Premier Kishida sagte, es sei eine große Ehre, mit dem Gipfel eine neue Seite in das Geschichtsbuch über Camp David zu schreiben. Die gemeinsame Allianz ist allein deshalb ein Erfolg für Biden, weil die beiden Länder historisch bedingt eigentlich ein eher frostiges Verhältnis haben. Zuletzt hatten sich Seoul und Tokio aber nicht zuletzt angesichts der zunehmenden Bedrohung durch China angenähert.

    Die USA, Japan und Australien haben nach Angaben der Nachrichtenagentur AP bereits für kommende Woche ein gemeinsames Marinemanöver im Südchinesischen Meer angekündigt. An der Übung westlich der Philippinen sollten der US-Flugzeugträger “USS America” sowie die Hubschrauberträger “JS Izumo” und “HMAS Canbarra” aus Japan und Australien teilnehmen, sagten Vertreter der philippinischen Sicherheitskräfte am Sonntag der Nachrichtenagentur AP. Anschließend sollten sich die Kommandeure mit ihren philippinischen Kollegen treffen.

    Biden will mit Xi sprechen

    Zugleich stellte Biden noch in diesem Jahr ein Gespräch mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in Aussicht. “Ich erwarte und hoffe, dass wir im Herbst an unsere Gespräche auf Bali anknüpfen werden. Das ist meine Erwartung.” Zuletzt hatten sich Biden und Xi auf der indonesischen Insel Bali am Rande des Gipfels der G20-Gruppe der großen Industrie- und Schwellenländer im vergangenen November persönlich getroffen. Eine neue Möglichkeit für ein bilaterales Gespräch der beiden böte sich beim G20-Gipfel in Neu-Delhi in Indien im September. 

    Auch der russische Einmarsch in die Ukraine kam bei dem Gipfel in Camp David zur Sprache. Biden betonte, wie groß die Auswirkungen dieses Kriegs über Europa hinaus sind. Das hätten auch die Partner in Asien verstanden, sagte Biden. “Wenn wir stillhalten würden, welches Signal würde das an China in Bezug auf Taiwan senden?”

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    Brics-Staaten streiten um Aufnahme neuer Mitglieder

    Die Vorbereitungen in Johannesburg für den Brics-Gipfel laufen auf Hochtouren. Südafrika ist in diesem Jahr der Gastgeber.

    Vor ihrem großen Gipfel von Dienstag bis Donnerstag in Johannesburg hatten die Brics-Staaten eine schwierige Entscheidung zu treffen. Gegen Wladimir Putin liegt ein internationaler Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor. Bei seiner Ankunft in Südafrika hätte er sofort verhaftet werden müssen. 

    Der russische Präsident bleibt nun in Moskau und wird per Video zugeschaltet. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, Brasiliens Präsident Lula da Silva und sein indischer Amtskollege Modi werden persönlich nach Südafrika reisen und dort von Präsident Cyril Ramaphosa empfangen. 

    Zwischen den Brics-Mitgliedern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika herrschten unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit Putin. Dem Vernehmen nach gab es zwischenzeitlich sogar Überlegungen, den Gipfel nach China oder in ein anderes Land ohne Auslieferungsabkommen zu verlegen. So hätte Putin persönlich teilnehmen können. Doch davon wurde schließlich Abstand genommen.

    Signal gegen den Westen

    Dennoch wollen die Brics-Staaten mit ihrem Treffen ein starkes Signal an den Westen senden: Ziel sei eine “veränderte globale Ordnung”, sagte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor im Vorfeld des Treffens. Mehr als 30 Staaten haben ihre Teilnahme am Brics-Gipfel zugesagt. Eingeladen sind 67 hochrangige Politiker aus Afrika und dem globalen Süden sowie 20 internationale Vertreter, darunter die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union und die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften Afrikas. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im Juni Interesse an einer Teilnahme bekundet. Für ihn gab es aber keine Einladung. Ehemalige Kolonialmächte scheinen nicht erwünscht.

    Wichtigstes Thema des Treffens dürfte die Erweiterung des Brics-Bündnisses sein. Schon heute sind die Brics-Staaten gemessen an der realen Kaufkraft größer als die G7-Staaten. Diese wirtschaftliche Macht soll in noch mehr geopolitischen Einfluss umgemünzt werden. Der Westen, darin sind sich die Brics-Staaten weitgehend einig, hat zu viel Gewicht, wenn es darum geht, die Regeln auf der internationalen Bühne zu bestimmen.

    Uneinigkeit herrscht jedoch über die Art und Weise und das Tempo der Erweiterung. Rund 40 Staaten sind an einer Mitgliedschaft im Brics-Club interessiert, darunter Saudi-Arabien, Argentinien und Ägypten.

    China drückt aufs Tempo

    Vor allem China ist der Meinung, dass die Aufnahme weiterer Mitglieder so schnell wie möglich erfolgen sollte. Man unterstütze Fortschritte bei der Erweiterung und heiße “gleichgesinnte Partner willkommen, sich der Brics-Familie frühzeitig anzuschließen”, erklärte das Pekinger Außenministerium im Vorfeld des Treffens. Auch Russland hofft auf eine baldige Erweiterung. Moskau könnte damit einmal mehr zeigen, dass es trotz des Krieges in der Ukraine international keineswegs isoliert ist.

    Brasilien und Indien sind dagegen zurückhaltender. Sie befürchten, dass die Aufnahme zu vieler neuer Mitglieder die Brics-Gruppe verwässern und damit ineffektiv machen könnte. Vor allem Indien befürchtet, seinen eigenen Einfluss zu verlieren, wenn die Brics-Gruppe zu viele neue Mitglieder aufnimmt, die eng mit Chinas Agenda verbunden sind. Schließlich hat Indien einen anhaltenden Grenzkonflikt mit China und eine Rivalität mit Peking um regionalen Einfluss. 

    Es wird daher erwartet, dass in Johannesburg zunächst ein Mechanismus für die Aufnahme neuer Mitglieder ausgehandelt wird. Auch dürfte es unter bisherigen Brics-Staaten Uneinigkeit darüber geben, welche Staaten zuerst aufgenommen werden sollen. Ein demokratisches Land wie Argentinien oder eher eine Autokratie wie Saudi-Arabien?

    Der Westen kann mit Brics zusammenarbeiten

    So oder so wird man im Westen genau hinschauen, was die Brics-Staaten in Johannesburg beschließen. “Brics ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist, und die Welt sollte bereit sein, mit ihr zu interagieren”, schreibt die Denkfabrik Atlantic Council in ihrer Einschätzung des bevorstehenden Gipfels. 

    Wie sich die G7 und der Westen gegenüber den Brics positionieren sollten, hänge davon ab, in welche Richtung sich das Bündnis entwickle. “Wenn die Brics-Gruppe der indischen Agenda folgt und konkrete Ideen zur Reform des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems vorlegt, sollten die G7 konstruktiv mitarbeiten und diese Ideen ernsthaft diskutieren – und die Forderungen nach Veränderungen nicht einfach abtun”, heißt es beim Antlatic Council. 

    Sollte sich die Brics-Gruppe jedoch als ein von China dominiertes Forum erweisen, das antiamerikanische und antiwestliche Rhetorik und Initiativen fördert, wird die G7 dieser Kritik voraussichtlich entgegentreten. Am effektivsten könnten sie das, indem sie Wege zur Verbesserung des derzeitigen Wirtschafts- und Finanzsystems vorschlagen, um die Defizite bei der Erfüllung der Entwicklungsbedürfnisse der Länder des globalen Südens zu beheben.

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    News

    Huawei erhält Forschungsgelder von der EU

    Die EU unterstützt das chinesische Unternehmen Huawei mit Fördergeldern. Einheiten des Unternehmens mit Sitz in Europa seien an 13 Finanzhilfevereinbarungen beteiligt, darunter eine mit Sitz in Großbritannien. Das teilte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager am Freitag als Antwort auf eine Parlamentsanfrage mit. Huawei-Einrichtungen mit Sitz in China seien nicht beteiligt.

    Dass Huawei von Forschungsprogrammen der EU profitiert, ist vor dem Hintergrund erstaunlich, dass die Kommission Huawei inzwischen als riskanten Anbieter betrachtet und das Unternehmen von ihren eigenen Netzen ausgeschlossen hat. Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte die Mitgliedstaaten aufgefordert, dasselbe mithilfe der 5G-Toolbox zu tun. Allerdings weist die Kommission in ihrer Antwort daraufhin, dass alle Finanzhilfen aus Aufforderungen im Rahmen der Arbeitsprogramme von Horizont Europa 2021 bis 2022 stammten – also bevor die EU-Kommission die Entscheidung traf, Huawei zu verbannen.

    Kommission schätzt die Lage heute anders ein

    Fragesteller ist der niederländische Abgeordnete Bart Groothuis, der Mitglied im Industrieausschuss sowie im Sonderausschuss zu Einflussnahme aus dem Ausland des Europäischen Parlaments ist. Er bezog sich bei seiner Anfrage auf einen Bericht der Financial Times, wonach Huawei an elf Horizont-Europa-Projekten beteiligt war, die sich mit sensiblen Kommunikationssystemen befassen. 

    Die Verordnung schreibe vor, dass alle Beschränkungen im Voraus in den Arbeitsprogrammen von Horizont Europa festgelegt werden müssen, schreibt die EU-Kommission. Die Themen, an denen Huawei beteiligt ist, seien zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Arbeitsprogramme jedoch nicht als Gefahr eingestuft worden, sodass die Einschränkungen nicht zur Anwendung kamen. 

    Inzwischen vertrete die EU-Kommission jedoch die Auffassung, dass Huawei und ZTE tatsächlich ein wesentlich höheres Risiko darstellten als andere 5G-Anbieter. Daher beabsichtige sie, dies in allen einschlägigen EU-Förderprogrammen und -Instrumenten – einschließlich Horizont Europa – zu berücksichtigen. vis

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    Evergrande beantragt Insolvenz in den USA

    Chinas Immobilienkrise zieht immer weitere Kreise: Der einstige Marktführers Evergrande hat Gläubigerschutz in den USA beantragt. Dabei handelt es sich um einen erwarteten Zwischenschritt bei der Abarbeitung eines Insolvenzplans vom März, aber gleichzeitig auch um ein seltenes Eingeständnis der Zahlungsunfähigkeit durch den chinesischen Hausbaukonzern. Seit seinem Kollaps vor zwei Jahren hat das Unternehmen in China keinen Insolvenzantrag gestellt. Nun sind die Grenzen der Realitätsverweigerung erreicht.

    Amerikanische Investoren hatten Evergrande im Laufe der Jahre 19 Milliarden US-Dollar geliehen. Diese Kredite erfolgten in Form vom Anleihen, die nach und nach zurückzuzahlen wären. Das kann Evergrande nicht, weil es nach dem Platzen der chinesischen Immobilienblase kein Geld mehr hat. Evergrande hat seit seiner Gründung 1996 immer höhere Kredite aufgenommen, um immer mehr Immobilien zu bauen und immer teurer zu verkaufen. Als Corona den Kreislauf unterbrochen hat, hatte das Unternehmen keine flüssigen Mittel mehr.

    Die internationalen Gläubiger werden wohl genau wie die in China vergeblich auf Rückzahlungen warten. Der Insolvenzantrag nach Kapitel 15 des US-Handelsrechts ist eigens dafür gedacht, Pleitefälle mit internationaler Beteiligung geregelt abzuwickeln. Der Hauptsitz von Evergrande befindet sich formal auf den Kaimaninseln. fin

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    VW verkauft auch im Juli weniger

    Der Volkswagen-Konzern hat auch im Juli in China weniger Autos verkauft als ein Jahr zuvor. Der Absatz auf dem für den Autobauer normalerweise wichtigsten Markt brach um 10,2 Prozent auf 260.400 Fahrzeuge ein, wie das Unternehmen am Freitag in Wolfsburg mitteilte.

    VW erklärte den Rückgang mit den Steueranreizen, mit denen die Regierung in Peking im vergangenen Jahr die Autokonjunktur nach den Covid-Lockdowns angekurbelt hatte. Auch der Gesamtmarkt in China sei im Juli geschrumpft. In den ersten sieben Monaten des Jahres hinkten die Verkaufszahlen von Volkswagen in China um 2,7 Prozent hinter dem Vorjahr her.

    Der Autobauer Mercedes-Benz hat indes weiter Ärger mit möglicherweise fehlerhaften Kraftstoffpumpen. Nach einem größeren Rückruf in den USA ruft der Konzern nun auch in China 231.249 Autos in die Werkstätten, wie die chinesische Aufsichtsbehörde SAMR (State Administration for Market Regulation) in Peking mitteilte. rtr

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    EU-Bericht: Demokratie in Hongkong und Macau weiter geschwächt

    Die EU-Kommission hat in ihrem Jahresbericht über die Lage in Hongkong weiter zunehmende Einschränkungen demokratischer Grundsätze und Freiheiten angeprangert. Im vergangenen Jahr seien Hongkongs Autonomie und die demokratischen Grundsätze und Grundfreiheiten weiter geschwächt worden, hieß es in dem Bericht der EU-Kommission von Ursula von der Leyen und des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Die Entwicklungen weckten Zweifel an Chinas Bekenntnis zum Grundsatz “Ein Land, zwei Systeme”. Rund zehn Prozent der EU-Bürger hätten Hongkong wegen der strikten Covid-Regeln verlassen, heißt es in dem Bericht.

    Als ein Beispiel werden Festnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit im Rahmen des Nationalen Sicherheitsgesetzes genannt. Demnach waren davon bis Ende 2022 mehr als 230 Personen betroffen. Gegen 145 Personen und fünf Unternehmen sei Anklage erhoben worden. Alle im Rahmen des Sicherheitsgesetzes angeklagten Menschen seien auch verurteilt worden. Zudem werde die Pressefreiheit immer weiter eingeschränkt. In der von Reporter ohne Grenzen erstellten Rangliste der Pressefreiheit für das Jahr 2022 sei Hongkong um 68 Plätze auf Rang 148 von 180 Ländern abgefallen. Ähnliche Entwicklungen sieht die EU auch in Macau, über dessen Lage ebenfalls ein Bericht veröffentlicht wurde.

    In dem Bericht wird auch die Festnahme eines EU-Bürgers kritisiert. Dieser befindet sich Medienberichten zufolge immer noch in Haft. Der Fall betrifft Joseph John, einen portugiesischen Staatsbürger mit dem chinesischen Namen Kin Chung Wong, der im November 2022 wegen angeblicher “Veröffentlichung aufrührerischer Artikel im Internet, die Peking und die lokalen Behörden verunglimpfen” festgenommen wurde.

    Der Exodus: Einwohner fliehen Hongkong

    Die Abwanderung der Einwohner Hongkongs hat sich wegen der zunehmenden Unfreiheit in diesem Jahr beschleunigt: Bis Mitte August haben nach Angaben der Stiftung Comittee for Freedom in Hongkong 291.000 weitere Einwohner die ehemalige britische Kronkolonie und heutige chinesische Sonderverwaltungszone verlassen. Das ist der höchste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Januar 2020.

    Seit Anfang 2021 sind fast eine halbe Million Menschen abgewandert, ein Großteil im Zuge des Nationalen Sicherheitsgesetzes, das 2020 eingeführt wurde und grundlegende Menschenrechte unterdrückt. ari/flee

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    Presseschau

    Konflikt zwischen China und Taiwan: China startet Militärübungen vor Taiwan TAGESSCHAU
    Taiwans Vizepräsident Lai: “Kein Teil der Volksrepublik China” MERKUR
    USA fordern China zum Dialog mit Taiwan auf FAZ
    Das Verhältnis von Südkorea und Japan zu China bleibt kompliziert SUEDDEUTSCHE
    Das Aufrüsten in Asien ist mehr als ein Ritual DER STANDARD
    Jährlicher Bericht: EU klagt über Chinas Repressionen in Hongkong TAGESSCHAU
    Strategisches Abkommen zwischen China und Georgien? Ein Wink Richtung Brüssel BERLINER-ZEITUNG
    U.S., China Try to Draw Nations to Their Side as Divisions Harden WSJ
    China is too big for a Soviet Union-style collapse, but it’s on shaky ground THE GUARDIAN
    Auch mit Blick auf China: Habeck will deutsche Wirtschaft stärker schützen N-TV
    US-Filmerfolg in China: Ist “Barbie” der Zensur durchgerutscht? TAGESSCHAU
    Schwache Konjunktur: China will Investoren beruhigen ORF
    Chinas Immobilienkrise weitet sich aus: Ist das eine Gefahr für Deutschland oder sogar eine Chance auf sinkende Baupreise? BUSINESS INSIDER
    China’s property headaches to take a toll on heavyweight miners SMH
    China verspricht Kommunen Hilfe zur Lösung von Schuldenproblemen HANDELSBLATT
    China setzt auf russisches Öl und australische Kohle VOL
    China eyes robot manufacturing as way to fuel economic growth SCMP
    For single women in China, owning a home is a new form of resistance BUSINESS TIMES
    Angebot mit Haken: Taiwans Single-Frauen setzen auf “Egg Freezing” N-TV
    Chinese firm launches WonderJourney satellite with AI-powered “brain” SCMP
    TV-Reportage: Punk und Kunst in China SR

    Standpunkt

    Chinas gefährliche Geheimnisse

    Brahma Chellaney ist Professor für strategische Studien am Center for Policy Research mit Sitz in Neu-Dehli.
    Von Brahma Chellaney

    Es ist bekannt, dass China dank einer Verzehnfachung seiner Militärausgaben seit 1995 über die weltgrößte Marine und Küstenwache verfügt und dass es diese nutzt, um seinen streitlustigen Revisionismus voranzutreiben. Doch gibt es noch zahlreiche weniger bekannte – tatsächlich hochgradig undurchsichtige – politische Strategien, Projekte und Aktivitäten, die den chinesischen Expansionismus stützen und die ganze Welt in Gefahr bringen.

    China hat eine lange Tradition, seinen strategischen Fußabdruck durch verstohlene Manöver auszuweiten, die es in schamloser Weise bestreitet. So richtete es zum Beispiel 2017 seinen ersten ausländischen Militärstützpunkt in Djibouti ein – einem winzigen Land am Horn von Afrika, das rein zufällig stark bei China verschuldet ist -, aber bestritt öffentlich alle derartigen Pläne.

    Derzeit ist China dabei, eine Marinebasis in Kambodscha zu errichten, das China ein Fünftel seiner Küstenlinie und einige Inseln verpachtet hat. Der fast fertige Pier der von China finanzierten Marinebasis Ream ähnelt in Größe und Design verdächtig einem Pier des chinesischen Stützpunkts in Djibouti. China gibt zu, in den Stützpunkt zu investieren, aber behauptet, dass nur die Marine Kambodschas Zugang dazu haben wird.

    Realistisch betrachtet jedoch dürfte Chinas Marine die Einrichtung zumindest für militärlogistische Zwecke nutzen. Dies würde seine Stellung im Südchinesischen Meer weiter stärken, wo es bereits sieben künstliche Inseln zu vorgelagerten Militärstützpunkten ausgebaut hat, und ihm die faktische Kontrolle über diesen wichtigen Korridor zwischen Pazifik und Indischem Ozean verschaffen.

    Geopolitische Interessen beim Bau von Staudämmen

    China verfolgt zudem einen hochgradig heimlichtuerischen Ansatz in Bezug auf seine enormen Staudamm-Projekte an internationalen Flüssen, die aus dem von China annektierten tibetischen Hochland in andere Länder fließen. Während die Welt weiß, dass der nationale Volkskongress – eine reine Absegnungsveranstaltung – 2021 den Bau des weltgrößten Staudamms in der Nähe von Chinas hochgradig militarisierter Grenze zu Indien genehmigt hat, gab es seitdem keine öffentlichen Informationen über das Projekt.

    Der Damm soll angeblich dreimal so viel Strom produzieren wie die Drei-Schluchten-Talsperre – das gegenwärtig größte Wasserkraftwerk der Welt. China hat eine neue Eisenbahnlinie und eine neue Autobahn für den Transport von schwerem Gerät, Werkstoffen und Arbeitskräften zu dem abgelegenen Projektstandort errichtet. Mehr dazu werden wir erst erfahren, wenn der Bau so weit fortgeschritten ist, dass sich der Damm nicht länger vor kommerziell verfügbaren Satellitenbildern verbergen lässt. Zu diesem Zeitpunkt jedoch wird China vollendete Tatsachen geschaffen haben.

    Dieselbe Strategie hat China genutzt, um elf gigantische Staudämme am Mekong zu errichten. Damit hat es nicht nur geopolitischen Einfluss auf seine Nachbarn gewonnen, sondern auch enorme ökologische Verheerungen angerichtet. China ist inzwischen das Land mit den weltweit meisten Staudämmen. Es hat mehr große Dämme in Betrieb als die übrige Welt zusammen und ist dabei, mindestens acht weitere Dämme allein am Mekong zu bauen oder zu planen.

    Schuldenfalle und Heimlichtuerei

    Undurchsichtigkeit ist zudem ein bestimmendes Merkmal der großangelegten Kreditvergaben, die China zum weltgrößten staatlichen Kreditgeber gegenüber den Entwicklungsländern gemacht haben. Fast jeder im letzten Jahrzehnt ausgereichte chinesische Kredit enthält eine weitreichende Vertraulichkeitsklausel, die das Gläubigerland zwingt, die Kreditbedingungen geheim zu halten. Viele afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Länder stecken inzwischen in einer Schuldenfalle, die sie hochgradig anfällig für chinesischen Druck macht, eine Chinas wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen dienende Politik zu verfolgen. Laut einer Studie bieten die Kreditverträge China “breiten Spielraum, Kredite zu kündigen oder ihre beschleunigte Rückzahlung zu verlangen, falls es mit der Politik des Gläubigerlandes nicht einverstanden ist”.

    Doch kann es keinen besseren Beleg für die globalen Kosten von Chinas Heimlichtuerei geben als die Covid-19-Pandemie. Hätte die chinesische Regierung schnell auf Anzeichen für das Auftreten eines tödlichen neuen Coronavirus in Wuhan reagiert, die Öffentlichkeit gewarnt und Kontrollmaßnahmen umgesetzt, hätte sich der Schaden in Grenzen halten lassen.

    Stattdessen unternahm die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) eilige Schritte, um Informationen über den Krankheitsausbruch zu unterdrücken und zu diskreditieren, und bereitete damit den Weg für eine verheerende weltweite Pandemie, die fast sieben Millionen Menschen das Leben kostete und zahllose Leben und Lebensgrundlagen zerstörte. Bis heute hindern Chinas Verschleierungsmaßnahmen Wissenschaftler an der Ergründung der wahren Ursprünge von Covid-19, das – nicht zu vergessen – erstmals am Standort des wichtigsten chinesischen Forschungszentrums für Superviren auftrat.

    Chinas ständigen Regelverstöße

    Chinas Bereitschaft zum Verstoß gegen internationale Gesetze, Regeln und Normen verschärft das Undurchsichtigkeitsproblem. Die chinesische Regierung hat wiederholt gegen ihre internationalen Zusagen verstoßen, unter anderem gegen Versprechen, die Autonomie Hongkongs zu wahren und Anlagen im Südchinesischen Meer nicht zu militarisieren. Es war Chinas verstohlener Verstoß gegen seine Zusage, den Status quo seiner umstrittenen Grenze zu Indien im Himalaja nicht einseitig zu ändern, der eine dreijährige (und weiter andauernde) militärische Konfrontation zwischen beiden Ländern auslöste.

    Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass China seine Regelverstöße, schuldengestützten Zwangsmaßnahmen oder sonstigen bösartigen Aktivitäten auf absehbare Zeit aufgeben wird. Der chinesische Präsident Xi Jinping – der die Kontrolle der KPCh über Informationen verschärft hat und sogar den Zugriff externer Analysten auf Wirtschaftsdaten unterbunden hat – ist nun auf bestem Wege, lebenslang an der Macht zu bleiben, und weiterhin eifrig bestrebt, die internationale Ordnung zugunsten Chinas umzugestalten.

    Expansion per Salamitaktik

    Bedenklich ist, dass Xis Risikobereitschaft zu wachsen scheint. Dies spiegelt unter anderem Zeitdruck wider: Xi scheint zu glauben, dass China nur ein enges Zeitfenster bleibt, um eine globale Vormachtstellung zu erreichen, bevor ungünstige demografische, wirtschaftliche und geopolitische Trends durchschlagen. Jedoch wurde Xi auch durch das völlige Versagen der internationalen Gemeinschaft ermutigt, echte Konsequenzen gegenüber China für dessen Fehlverhalten durchzusetzen.

    Während Russland eine großmaßstäbliche Invasion der Ukraine einleitete, zieht China eine durch Heimlichkeit und Täuschung ermöglichte Politik der kleinen Schritte vor, um seine revisionistische Agenda voranzutreiben. Dies, im Verbund mit seinem enormen wirtschaftlichen Gewicht, schützt es vor einer entschlossenen Reaktion des Westens. Chinas Expansionismus per Salamitaktik dürfte sich daher, sofern Xi keinen bedeutenden strategischen Schnitzer begeht, weiter fortsetzen.

    Aus dem Englischen von Jan Doolan.

    Brahma Chellaney ist Professor für strategische Studien am Center for Policy Research mit Sitz in Neu-Dehli, Fellow der Robert Bosch Academy in Berlin und Verfasser von Water, Peace, and War: Confronting the Global Water Crisis (Rowman & Littlefield, 2013).

    Copyright: Project Syndicate, 2023.

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    Personalien

    Raphael Oen ist nach vier Jahren als Head of Law, Patents and Compliance für Bayer in China nach Deutschland zurückgekehrt. Seit Beginn des Monats ist er Head of Law Pharma Global Commercial, ebenfalls bei Bayer, in Berlin.

    Chun Yin Mak wird neuer China-Chef der japanischen Werbeagentur Dentsu mit Büro in Shanghai. Er löst Deric Wong ab, der nach zweieinhalb Jahren aus persönlichen Gründen zurücktritt. Mak kommt von IBM China und war zuvor bei Accenture.

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    Dessert

    Das sind keine Elche, die hier im Feuchtgebiet von Yancheng in der Provinz Jiangsu grasen – auch wenn die US-Bezeichnung “elk” das vermuten lässt. In Nordamerika werden die uns in Europa bekannten Elche aber “moose” genannt. Hier handelt es sich um eine ostasiatische Hirschart, eine Unterart des Wapiti. Diese Bezeichnung Wapiti (“weißes Hinterteil”) stammt wiederum von den Shawnee-Indianern. Auf Chinesisch heißen sie Milu 麋鹿, was übersetzt dann doch … Elch heißt.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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