Chinas Staatsführung hat sich bestürzt über den Tod von Henry Kissinger im Alter von 100 Jahren gezeigt, in der Volksrepublik genoss Kissinger eine hohe Wertschätzung. Auch im Netz gab es zahlreiche Beileidsbekundungen. Michael Radunski zeichnet nach, wie Kissinger zum einflussreichsten Politiker der chinesisch-amerikanischen Beziehungen wurde und warum in den Beileidsbekundungen auch ein wenig Kritik an der Regierung Biden mitschwingt.
China sagt selbst, dass es die Machtverhältnisse auf dem Planeten zu seinen Gunsten verschieben will. Da sollten wir hinhören, rät der australische Spitzenpolitiker, Diplomat und Sinologe Kevin Rudd. Im Gespräch mit Nana Brink und Felix Lee umreißt er seine Vision für einen effektiven Umgang mit China. Er spricht sich für eine konsequente Strategie der Abschreckung aus. Richtig eingesetzt, führe diese nicht zur Eskalation, treibe aber den Preis für einen Griff nach Taiwan in inakzeptable Höhe.
Für den Immobilienkonzern Evergrande wird es derweil eng. Bis Montag hat das insolvente Unternehmen Zeit, einen glaubwürdigen Entschuldungsplan vorzulegen. Sonst droht die Auflösung und der Verkauf der werthaltigen Teile, um die Gläubiger zu bedienen. So ein Vorgang würde Schockwellen durch Chinas Finanzwelt schicken, schreibt Jörn Petring. Er hätte auch erhebliche Auswirkungen auf die Politik, schließlich steckt das Ersparte in China vor allem in Eigentumswohnungen.
Ihr Finn Mayer-Kuckuk
Interview
Kevin Rudd: Deutschlands Stimme in der Welt wird unterschätzt
Kevin Rudd war Premierminister von Australien. Er ist derzeit Botschafter in den USA.
Könnte China im jüngsten Nahostkonflikt eine vermittelnde Rolle einnehmen? Mit Israel pflegte die chinesische Führung zumindest bis zum 7. Oktober gute Beziehungen.
Wenn es die geopolitischen Umstände erlauben, glaube ich schon, dass China bei Verhandlungen aktiver werden könnte. Aber solange die Führung in Peking sich weigert, die Verbrechen der Hamas klar zu verurteilen, wird Israel gegenüber China skeptisch bleiben.
Bei den einstigen Erzfeinden Saudi-Arabien und Iran ist es China überraschenderweise gelungen, sie zusammenzubringen.
So überraschend war das dann doch nicht. China mag zwar wie ein Neuling in der Region erscheinen. Sein historischer Bezugsrahmen reicht aber bis in die späten 1970er-Jahre. Damals baute Peking eine enge Beziehung zu Iran auf, getragen vom chinesischen Militär und der iranischen Revolutionsgarde. Von diesem Zeitpunkt an wurde China zu einem bedeutenden Lieferanten militärischer Güter – und hat umgekehrt systematisch seine Ölimporte aus Iran erhöht. Bei den jüngsten Annäherungen an die Golfmonarchien geht es China vor allem um seinen wachsenden Bedarf an Kohlenwasserstoff. Die USA importieren weniger Energie aus den Golfstaaten, die Chinesen füllen diese Lücke und nutzen die Geschäfte, um zugleich auch die geopolitischen Beziehungen in der Region auszubauen. Chinas großes Interesse an Israel in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten galt wiederum dem Zugang zu Technologie, insbesondere im militärischen Bereich. Aber mit Chinas engem Verhältnis zu Iran kommt China für Tel Aviv nicht als langfristiger strategischer Partner infrage.
Israel hatte sich bei Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine anfangs schwergetan, sich klar zu positionieren.
Ja, Israel hat versucht, im Fall der Ukraine eine neutrale Haltung einzunehmen. Angesichts der verschiedenen Treffen, die Putin in Moskau ausrichtet, bei denen auch Vertreter der Hamas beteiligt sind, dürfte sich die Haltung der Netanyahu-Regierung aber geändert haben. Die geopolitischen Linien dürften damit klarer werden.
Gehen wir in eine andere Konfliktregion: den Indopazifik. Chinas Aggressionen gegenüber Taiwan und den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres sind unbestreitbar. Aber ist ein neues Sicherheitsbündnis im Indopazifik unter Führung der USA, vergleichbar mit der Nato, wirklich die angemessene Antwort?
Es ist wichtig, zu verstehen, dass China sich selbst als eine Macht beschreibt, die nicht am Status quo festhalten will. Peking will Taiwan erobern. Mit der sogenannten Neun-Striche-Linie behauptet China, dass das Südchinesische Meer tatsächlich ein chinesisches Küstenmeer ist. Und China will die Senkaku-/Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer von Japan erobern. Zudem gibt es Dispute um vorgelagerte Inseln vor Südkorea und ein recht großes Territorium im Streit mit Indien. All diese Grenzen will China ändern. Wie sollten die Demokratien Asiens auf einseitige Versuche Chinas reagieren, den Status quo zu ändern? Ich halte eine Strategie der Abschreckung für angemessen. Sie operiert auf militärischer, wirtschaftlicher und auf technologischer Ebene. Der militärischen Führung in Peking muss klargemacht werden, dass China für jeden Versuch, Taiwan mit einseitiger Gewalt zu erobern, einen hohen Preis zu zahlen hat – politisch, militärisch und wirtschaftlich.
Was macht Sie so sicher, dass Japan, Südkorea und die Staaten Südostasiens im Umgang mit China wirklich mit Australien und den USA an einem Strang ziehen werden? Diese Staaten sind wirtschaftlich zum Teil sehr abhängig von China.
Sind sich die Europäer in allem einig? Was den Umgang mit Russland angeht, scheren Staaten wie etwa Ungarn auch aus. Trotzdem ist die Nato grundsätzlich handlungsfähig. Was die US-Verbündeten in Asien betrifft, haben wir zwar keine kollektive Sicherheitsorganisation, sondern bilaterale Sicherheitsvereinbarungen mit den USA. Zugleich rücken die Staaten Nordasiens aber zusammen. Beim trilateralen Gipfel im August in Camp David etwa haben Südkoreas Präsident Yoon, Japans Premierminister Kishida und US-Präsident Biden explizit die Unterstützung Taiwans bekundet. Das war beispiellos. Und auch die Philippinen kooperieren so eng mit den USA wie seit Jahrzehnten nicht. Im restlichen Südostasien gibt es, wie Sie richtig sagen, unterschiedliche Ansichten. Ebenso in Indien. Das allgemeine strategische Ziel im gesamten Indopazifik besteht jedoch darin, den strategischen Status quo aufrechtzuerhalten und ein gewisses Maß an strategischem Gleichgewicht.
Aber rückt der Westen wirklich näher zusammen im Umgang mit China?
Ich erkenne zumindest eine zunehmend strategische Haltung aller Nato-Staaten. Zu ihren Gipfeln lädt die Nato mittlerweile auch Japan, Korea, Australien und Neuseeland ein. Und auch bei der China-Strategie, die die deutsche Regierung zuletzt erarbeitet hat, erkenne ich eine zunehmend harte Haltung gegenüber China. Eine grundlegende systemische Rivalität, ein zunehmender Wettbewerb, aber auch die Möglichkeit, in bestimmten Klima-, globalen Wirtschafts- und Handelsbereichen weiterhin zusammenzuarbeiten – darin unterscheidet sich die europäische Strategie nicht wesentlich von der US-amerikanischen oder australischen Strategie. Wir alle versuchen, uns systemisch über die roten Linien im Klaren zu sein, ebenso über die Intensität des strategischen Wettbewerbs auch in der Wirtschaft, zugleich uns aber offen zu zeigen für eine Zusammenarbeit mit Peking bei globalen öffentlichen Gütern wie dem Klimawandel, der globalen Verschuldung und einer möglichen künftigen Pandemie.
Welche Rolle sollte Deutschland Ihres Erachtens nach im Zuge dieser geopolitischen Spannungen einnehmen?
Deutschland ist ein zutiefst respektiertes Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Deshalb hat es enorm Gewicht, was Deutschland normativ sagt – und zwar nicht nur in Europa, sondern auch im Indopazifik. Ich bin im Laufe der Jahre viele Male in Berlin gewesen. Mein Eindruck: Manchmal unterschätzt die deutsche Öffentlichkeit die Wirkung und die Bedeutung der deutschen Stimme in der Welt. Immerhin ist es von Zeit zu Zeit auch zu Einsätzen der deutschen Bundeswehr im Indopazifik gekommen, auch von australischen Stützpunkten aus. Das ist eine wichtige Botschaft: Auch Deutschland setzt sich für die Einhaltung des Völkerrechts, des internationalen Seerechts und der Freiheit der Schifffahrt ein. Deutschland ist in erster Linie zwar eine europäische Macht, hat aber auch eine globale Stimme.
Beim letzten Brics-Gipfel in Peking sind nicht nur sechs weitere Länder den Brics beigetreten, sondern 40 weitere Länder haben einen Aufnahmeantrag gestellt, und 100 weitere bekunden ihr Interesse. Ist das für den Westen nicht eine dramatische Zäsur, wenn China so viele Länder des globalen Südens auf seine Seite zieht?
China hat in den Ländern des Globalen Südens durch die Seidenstraßeninitiative, aber auch durch die Brics enorme Fortschritte gemacht. Diese Institutionen sind aber außerhalb der internationalen regelbasierten Systeme, die wir nach 1945 zusammen geschaffen haben. Das ist leider so. China hat einfach erkannt, dass es in diesen Ländern sehr viele Investitionsmöglichkeiten gibt. Aber was auch wahr ist: Zahlreiche Länder haben enorme Schulden gegenüber China aufgetürmt. Und China neigt dazu, keine Schulden zu erlassen. Aber klar, die multilateralen Entwicklungsbanken stehen in der Pflicht, viel, viel mehr in diese Länder des Globalen Südens zu investieren. Sonst haben sie keine andere Wahl.
China hat selbst massive wirtschaftliche Probleme. Wie fest sitzt Staats- und Parteichef Xi Jinping im Sattel?
Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht hat, die Innenpolitik Chinas zu analysieren. Und ich komme trotz der jüngsten Ereignisse zu dem Ergebnis, dass Xi weiterhin zuversichtlich sein kann, die Führung zu behalten. Jeder, der glaubt, die Absetzung des Außen- oder Verteidigungsministers seien Hinweise auf einen möglichen Führungswechsel, hat meines Erachtens die interne Dynamik der Kommunistischen Führung nicht verstanden. In China finden derzeit zwar große Debatten über den künftigen Kurs der chinesischen Wirtschaft statt und über die von Xi Jinping in den letzten fünf Jahren eingeführten Veränderungen des chinesischen Wirtschaftsmodells. Daraus aber abzuleiten, dass Xis Macht gefährdet ist, halte ich für eine fehlgeleitete Analyse. Xis Machterhalt ist beeindruckend.
Kevin Rudds jüngstes Werk, das am 16. Oktober auch auf Deutsch erschienen ist: “Der vermeidbare Krieg. Die Gefahr eines katastrophalen Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und Xi Jinpings China”, Edition Weltkiosk.
Kevin Rudd war von 2007 bis 2010 und dann noch einmal 2013 für drei Monate Premierminister von Australien. Er ist derzeit Australiens Botschafter in den USA, hat dieses Interview aber in seiner Funktion als Buchautor und Ex-Politiker gegeben. Rudd ist studierter Sinologe und spricht fließend Mandarin.
Im Dauer-Drama um den hoch verschuldeten chinesischen Immobilienkonzern Evergrande steht am Montag eine wichtiger Termin an. In Hongkong soll vor Gericht darüber entschieden werden, ob Evergrande formal in eine Liquidation geschickt wird. Das heißt: Das Unternehmen würde aufgelöst und die werthaltigen teile verkauft.
Ende Oktober hatte die zuständige Richterin Linda Chan dem Konzern letztmals eine fünfwöchige Fristverlängerung eingeräumt, um sich mit seinen Gläubigern zu einigen. Sie legte die finale Anhörung auf den 4. Dezember, also Montag. Möglich sind nun diese Szenarien:
Restrukturierungsplan. Evergrande könnte einen detaillierten Restrukturierungsplan vorlegen.Beobachter halten dies praktisch für ausgeschlossen.
Liquidation. Sollte Evergrande keinen Plan vorlegen oder sollte das Gericht den Plan als unzureichend erachten, dürfte es den Weg für eine Abwicklung freimachen. In diesem Fall würde ein Liquidator ernannt werden, um die Vermögenswerte von Evergrande zu veräußern und die Erlöse unter den Gläubigern aufzuteilen.
Mehr als 300 Milliarden Dollar Schulden
Evergrande steckt in einer tiefen Krise und gilt als das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen der Welt. Es hat Schulden in Höhe von mehr als 300 Milliarden US-Dollar angehäuft. Im Januar 2022 kündigte der Konzern einen Restrukturierungsplan an, konnte sich aber seitdem nicht mit seinen Gläubigern einigen. Die Immobilienkrise in China hat auch zahlreiche andere Unternehmen erfasst, doch Evergrande steht wegen seiner schieren Größe unter besonderer Beobachtung.
Klar scheint, dass die Anordnung einer Liquidierung durch Richterin Chan noch lange nicht das Ende der Evergrande-Saga wäre. Die rechtliche Situation ist komplex. Evergrande ist ein chinesisches Unternehmen mit Hauptsitz auf dem chinesischen Festland, während das Gerichtsverfahren in Hongkong stattfindet. Dort ist es an der Börse gelistet.
Die Umsetzung einer Liquidation nach Hongkonger Recht würde erhebliche Auswirkungen auf den chinesischen Immobilienmarkt, die Wirtschaft und Hunderttausende von Wohnungskäufern haben. Beobachter gehen daher davon aus, dass man auf dem chinesischen Festland dem Hongkonger Urteil nicht ohne weiteres folgen wird.
Soziale Stabilität ist Pekings Priorität
Tatsächlich ist bekannt, dass die Durchsetzung von Urteilen Hongkonger Gerichte auf dem chinesischen Festland kompliziert ist – aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme und den politischen Machtverhältnissen. In solchen Fällen hängt die Umsetzung von der Bereitschaft der chinesischen Zentral- oder Lokalregierungen ab. Peking hat im Fall Evergrande andere Absichten, als Vermögenswerte so schnell es geht zu verkaufen und Erlöse an Gläubiger zu verteilen – vor allem nicht an jene im Ausland.
Wichtiger ist die soziale Stabilität im eigenen Land. “Die Priorität der Regierung wird eindeutig darin bestehen, unverkaufte und unfertige Wohnungen an Hauskäufer zu liefern”, sagte Christopher Beddor von der Beratungsfirma Gavekal Dragonomics gegenüber Reuters. Evergrande habe laut einer Analyse von Gavekal vertragliche Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 604 Milliarden Yuan (umgerechnet etwa 80 Milliarden Euro). Dies entspricht etwa 600.000 unfertigen Wohnungen.
Evergrande-Töchter verklagen sich gegenseitig
Selbst Branchenkenner tun sich in diesen Tagen schwer damit, den weiteren Gang der Dinge vorherzusagen. Denn die Lage wird immer unübersichtlicher. In der jüngsten Wendung verklagen sich nun sogar schon Evergrande-Konzernteile gegenseitig.
So teilte die Evergrande Property Services Group am Dienstag in Hongkong mit, dass eine ihrer Einheiten ein Gerichtsverfahren gegen die Hengda Real Estate Group und die Bausparte China Evergrande eingeleitet habe. Die Einheit, Jinbi Property Management, beabsichtige, Pfandgarantien in Höhe von umgerechnet rund 280 Millionen Dollar zurückzuerhalten. Das Vertrauen der Evergrande-Gläubiger dürfte durch diesen Schritt weiter gelitten haben.
Evergrande
Immobilienkrise
Wirtschaft
Termine
04.12.2023, 18:00 Uhr (05.12., 01:00 Uhr Beijing time) Fairbank Center for Chinese Studies, Webinar:Japan, China, and Global Economic OrdersMehr
05.12.2023, 14:00 Uhr (21:00 Uhr Beijing time) Center for Strategic & International Studies, Webcast:Previewing Taiwan’s 2024 Presidential ElectionMehr
05.12.2023, 15:30 Uhr Beijing time Rödl & Partner, Roadshow (in Shanghai):Navigating through a day of a Key Manager in China in 2024Mehr
05.12.2023, 16:00 Uhr China Netzwerk Baden-Württemberg, Berlin Nähkästle mit Felix Lee (vor Ort):Sonja Mühlberger: Gespräch mit einer Zeitzeugin – 1939 geboren in Shanghai als Kind von EmigrantenMehr
05.12.2023, 17:00 Uhr (24:00 Uhr Beijing time) Center for Strategic & International Studies, Webcast:Prospects for China’s Growth and Foreign Relations in an Era of CompetitionMehr
06.12.2023, 14:30 Uhr (21:30 Uhr Beijing time) Center for Strategic & International Studies, Webcast:China’s Food Security ChallengesMehr
06.12.2023, 14:30 Uhr Volksregierung der Stadt Ningbo, Networking-Event (in München):Die perfekte Welle – Business-Surfen in NingboMehr
06.12.2023, 18:00 Uhr (05.12., 01:00 Uhr Beijing time) Fairbank Center for Chinese Studies, Critical Issues Confronting China Series:China’s New PlaybookMehr
07.12.2023, 09:00 Uhr China Team GmbH, Diskussion mit Wolfgang Hirn u.a.:Zeitenwende oder New Normal für die deutschen KMU?Mehr
07.12.2023, 11:00 Uhr (18:00 Uhr Beijing time) Kiel Institut für Weltwirtschaft, Global China Conversations #27:Zukunft der Technologiestandards: Deutschland und China im Wettbewerb?Mehr
07.-08.12.2023 Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart, Symposium (vor Ort):7th Shanghai-Stuttgart-Symposium Automotive and Powertrain TechnologyMehr
08.12.2023, 14:00 Uhr (21:00 Uhr Beijing time) Center for Strategic & International Studies, Book Event:Leftover Women: The Resurgence of Gender Inequality in ChinaMehr
08.12.2023, 19:30 Uhr Konfuzius-Institut München e.V., Vortrag (in München):Vorstellung des “China-Germany Youth Interns Exchange Programme”Mehr
News
Berlin wendet sich gegen Anti-Dumping-Verfahren für E-Autos
Die Bundesregierung hat Vorbehalte gegen Anti-Dumping-Zölle der EU auf E-Autos. “Ausgleichszölle der EU könnten die EU-Industrie schützen, aber auch negativ treffen”, heißt es in der als vertraulich eingestuften Stellungnahme der Bundesregierung zum Arbeitsprogramm 2024 der EU-Kommission, die Table.Media vorliegt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte eine Antisubventionsuntersuchung für batterieelektrische Autos aus China angekündigt. Gleichzeitig hatte sie nahegelegt, dass es Hinweise für eine unzulässige Subventionierung gebe. Damit gilt es nur noch als eine Frage der Zeit, dass die Kommission Anti-Dumping-Zölle auf E-Autos aus China erhebt.
Die Bundesregierung befürchtet negative Folgen durch die Zölle für die deutschen Hersteller. Ohne die deutschen Konzerne direkt zu erwähnen, warnt die Stellungnahme vor negativen Folgen “zum einen direkt (bei EU-Herstellern in China, die in die EU exportieren) sowie indirekt (bei etwaigen Vergeltungsmaßnahme(n) Chinas).”
Hintergrund ist, dass die deutschen Marken wie Mercedes, BMW und VW bis zu 40 Prozent ihres Absatzes in China machen sowie große Produktionskapazitäten in China selbst aufgebaut haben. Die französischen Hersteller dagegen sind nicht auf dem chinesischen Markt aktiv, fordern aber seit langem EU-Zölle auf E-Autos aus China, weil chinesische Marken in der EU massiv mit E-Autos der französischen Hersteller konkurrieren und ihnen Marktanteile streitig machen.
Die Bundesregierung mahnt eine “regelkonforme und ergebnisoffene Untersuchung” im Zuge des Antisubventionierungsverfahren an sowie, “dass die jeweiligen Interessen im Rahmen des Unionsinteresses berücksichtigt werden.” Die Mitgliedstaaten seien “angesichts der politischen Sensibilität in das Verfahren eng einzubinden”. Das Schreiben enthält auch eine deutliche Kritik an der Kommission: Die Antisubventionsuntersuchung habe nämlich die “Besonderheit, dass sie ex officio und damit nicht auf Basis eines Antrags eines EU-Herstellers eingeleitet wurde”. Die Botschaft der Bundesregierung lautet also, dass die Kommission sich von der französischen Regierung habe drängen lassen. Markus Grabitz
E-Autos
Elektromobilität
EU
Zölle
BMW und Mercedes bauen Netz für schnelles Laden
BMW und Mercedes-Benz wollen in China ab dem kommenden Jahr ein gemeinsames Netz an Schnellladestationen für Elektroautos aufbauen. Dafür werde ein Joint Venture gegründet, teilten die Unternehmen am Donnerstag mit. Bis Ende 2026 seien landesweit mindestens 1.000 öffentliche Stationen mit etwa 7.000 Ladepunkten geplant. Diese stehen dann allen Fahrzeugmarken zur Verfügung. Doch Kundinnen und Kunden der beiden Premiumhersteller sollen in den Genuss exklusiver Dienste wie einer Vorab-Reservierung von Ladepunkten kommen. In Europa kooperieren die beiden Hersteller bereits beim Ladesäulen-Betreiber Ionity.
China besitzt die meisten E-Auto-Ladepunkte weltweit: Ende 2022 waren in China 5,2 Millionen Ladepunkte registriert, Schätzungen rechnen mit einem Ausbau des Ladenetzes bis Ende 2023 auf 6,8 Millionen Ladepunkte. Demgegenüber stehen mehr als 18 Millionen Elektroautos, die inzwischen auf Chinas Straßen unterwegs sind. Bis Ende des Jahres könnten es 20 Millionen sein. rtr/jul
BMW
Elektromobilität
Ladeinfrastruktur
Mercedes Benz
Shortseller attackieren KI-Größe Sensetime
Der Investor Grizzly Research unterstellt dem chinesischen Gesichtserkennungs-Spezialisten Sensetime, seine Gewinne aufgebläht zu haben. Die Bewertung von Sensetime an der Börse Hongkong fiel daraufhin. Das Unternehmen hat in einer Mitteilung auf der Seite der Börse Hongkong alle Vorwürfe zurückgewiesen.
Shortseller wie Grizzly sind aggressive Investoren, die Lügen in der Story von hoch bewerteten Unternehmen aufdecken wollen. Sie wetten mit Finanzmarktgeschäften (Leerverkäufen) auf fallende Kurse und führen sie dann selbst durch negative Berichte über die Unternehmen herbei. fin
Künstliche Intelligenz
Technologie
Peking legt Positionspapier zu Nahost-Konflikt vor
China hat ein Positionspapier zum israelisch-palästinensischen Konflikt vorgelegt. Darin heißt es, dass der UN-Sicherheitsrat seine diplomatische Vermittlung intensivieren, die Zwei-Staaten-Lösung wieder in Gang bringen und so schnell wie möglich eine “autoritativere und effektivere” internationale Friedenskonferenz einberufen solle. Die Regierung in Peking forderte den Sicherheitsrat zudem auf, einem umfassenden Waffenstillstand zur Beendigung der Kämpfe nachzukommen.
Das Papier enthält fünf Punkte und ist eher vage gehalten. Weitere Forderungen sind der Schutz von Zivilisten, und humanitäre Hilfe. Vorschläge, wie die Volksrepublik selbst zur Lösung des Konflikts beitragen kann, finden sich jedoch nicht. Auch im Ukraine-Konflikt hatte China einen sogenannten Friedensplan vorgelegt, mit zwölf Punkten und ebenfalls vage. Die Volksrepublik versucht in den letzten Monaten verstärkt, sich in internationalen Konflikten als Vermittler zu positionieren. rtr/jul
Presseschau
Eye-catching climate donations put spotlight on China at COP climate talks POLITICO EU-China-Gipfel vor großen Hindernissen DEUTSCHE WELLE India, China agree to hold next round of military talks at the earliest DECCAN HERALD China: Chinese people will remember Kissinger for his important contributions NHK Meta warns that China is stepping up its online social media influence operations NPR China lässt Putin zappeln – Der Bau der Pipeline Power of Siberia 2 verzögert sich weiter FR Chinas Industrieproduktion erneut rückläufig FUW China’s workers face layoffs, unpaid wages ahead of Lunar New Year RFA Energiewende “Made in China”: Die Abkehr von der Kohle FINANZMARKTWELT Elektromobilität: BMW und Mercedes planen Schnellladenetz in China SPIEGEL PwC’s China and Hong Kong Units Fined in Training Exam Cheating Probe WSJ Nagelneue VW Santana verlassen in China-Lagerhalle gefunden MOTORSPORT TOTAL China launches high-orbit satellite internet that could challenge SpaceX’s Starlink SCMP
Nachruf
Henry Kissinger – Als die USA und China noch “Freunde” waren
Henry A. Kissinger 1923-2023.
Wer wissen will, wie wichtig Henry Kissinger für die Beziehungen zwischen den USA und China war, muss nur wenige Monate zurückdenken. Washington versuchte gerade, den Kontakt nach Peking zu normalisieren. John Kerry traf als Klima-Sondergesandter seinen chinesischen Amtskollegen, auch Finanzministerin Janet Yellen reiste nach China. Doch zu Xi Jinping durfte nur einer: Henry Kissinger – 100 Jahre alt und ohne jegliches Amt.
“Die Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten werden für immer mit dem Namen Kissinger verbunden sein”, sagte Chinas Partei- und Staatschef, während die beiden Männer Seite an Seite in cremefarbenen Sesseln über die Beziehungen der beiden Supermächte parlierten. “Ich drücke Ihnen meinen tiefen Respekt aus.”
Der Tenor war eindeutig: Nur Kissinger mit seinen rund 100 Besuchen verstehe China. Außenminister Wang Yi sagte gar: “Die US-Politik gegenüber China erfordert diplomatische Weisheit im Kissinger-Stil und politischen Mut im Nixon-Stil.”
Wie wichtig Xi das Treffen mit Kissinger war, zeigt sich auch in der Wahl des Ortes: dasselbe Gebäude, in dem Kissinger ein halbes Jahrhundert zuvor den damaligen chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai getroffen hatte: Villa Nr. 5 des Diaoyutai State Guesthouse.
Kissingers Geheimreise legte Grundstein für US-China-Beziehungen
1971 war Kissinger heimlich nach Peking gereist – in die Stadt, die seit der Machtübernahme der Kommunisten 1949 noch keine offizielle US-Delegation betreten hatte. Doch Kissinger wollte China als Partner gegen die Sowjetunion gewinnen und deshalb Gesprächskanäle aufbauen. Nach seinem Treffen mit Zhou Enlai telegrafierte er Nixon ein einziges Wort: Eureka – das Codewort, dass die Mission ein voller Erfolg war.
Februar 1972: Kissinger und Nixon bei Zhou Enlai.
Was folgte, ist hinlänglich bekannt: Ein Jahr später reist Nixon als erster US-Präsident in die Volksrepublik China. Dieser Besuch führt wiederum 1979 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und dem kommunistisch regierten China.
Aus Heinz Alfred wird Henry – einer der einflussreichsten US-Politiker
Im mittelfränkischen Fürth war er 1923 als Heinz Alfred Kissinger auf die Welt gekommen, Sohn einer jüdischen Familie. Im Alter von 15 Jahren flieht er mit seinen Eltern und seinem Bruder vor den Nationalsozialisten in die USA. Aus Heinz wird Henry – und einer der einflussreichsten US-Politiker der folgenden Jahrzehnte. An der Elite-Universität Harvard wird Kissinger zum Experten für internationale Politik. Richard Nixon holt ihn als Nationalen Sicherheitsberater ins Weiße Haus. Später wird er US-Außenminister.
Kissinger selbst sagte einst, er wollte schlicht eine Wiederholung der Kriege von 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 verhindern, die seine Kindheit in Deutschland und weite Teile der Welt zerstört hatten. Bezogen auf die heutige Zeit bedeutet das: Frieden zwischen China und den USA wahren.
An Kissinger scheiden sich die Geister
Nun mag man über Henry Kissinger wahrlich geteilter Meinung sein. Die einen loben ihn als Politiker, der Entspannung im Kalten Krieg brachte und als Friedensnobelpreisträger. Die anderen wiederum kritisieren ihn als ruchlosen Machtpolitiker, der vor gewaltbereiter Realpolitik (und Opfern) nicht zurückschreckte.
Minderheiten und Schwächere laufen hierbei Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Wu’er Kaixi, Uigure und einer der Studentenanführer bei den Tian’anmen-Protesten 1989, schrieb denn auch auf X: Kissingers pro-chinesische politische Haltung habe vor allem dem Regime der KP geholfen und dem chinesischen Volk geschadet. Auch aus Taiwan waren am Donnerstag durchaus kritische Töne zu hören.
Trauer um “alten Freund des chinesischen Volkes”
In der Volksrepublik hingegen kennt die Wertschätzung für den ehemaligen US-Außenminister kaum Grenzen. Chinas Staatsführung zeigte sich am Donnerstag kollektiv bestürzt über Kissingers Tod. Außenamtssprecher Wang Wenbin würdigte Kissinger als “Pionier und Architekt der chinesisch-amerikanischen Beziehungen”.
Partei- und Staatschef Xi Jinping schickte US-Präsident Joe Biden ein Beileidsschreiben. Auch Ministerpräsident Li Qiang, sowie Außenminister Wang Yi brachten ihre Trauer zum Ausdruck. Xie Feng, Chinas Botschafter in den USA, schrieb auf X: “Er wird in den Herzen der Menschen in China immer als geschätzter alter Freund lebendig bleiben.”
Doch nicht nur China politische Führung fiel in kollektive Trauer. Auch in den sozialen Medien war Kissingers Tod mit mehr als 400 Millionen Aufrufen das Top-Thema beim Microblogging-Dienst Weibo. Ein Top-Kommentar mit Tausenden Likes lautete: “Leb wohl, alter Freund des chinesischen Volkes.”
Pekings Trauer als versteckte Kritik
Kissinger war überzeugt, dass Stabilität zwischen China und den USA davon abhänge, dass Peking und Washington ihre Unterschiede untereinander tolerieren. China, so Kissinger, betrachte die aktuelle Weltordnung als amerikanische Ordnung. Und Peking wolle lediglich Raum für Anpassungen – nicht für einen kompletten Umsturz.
Manchen erinnert das an die Beteuerungen der aktuellen Führung in Peking. Und so ist die fast schon überbordende Trauer in China auch als Kritik an der aktuellen US-Führung aufzufassen. Denn setzten Nixon und Kissinger einst auf Gespräche, zeigen Trump und Biden verstärkt Härte gegenüber China. Michael Radunski
Geopolitik
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Henry Kissinger
Uiguren
USA
Personalien
Isabelle Harbrecht ist neue Koordinatorin des China Competence Training Center (CCTC) an der Humboldt-Universität Berlin. Sie war zuvor Abteilungsleiterin der Stabsstelle Internationales an der Fachhochschule Potsdam. Das CCTC der HU soll die China-Kompetenz in der Verwaltung der Berliner Hochschulen stärken.
Djordje Milovankic ist seit November Junior Researcher für das Thema “Vom Menschen verursachte Katastrophen in China” bei dem großen Rückversicherer Swiss Re. Er hat zuvor seinen Master in Sinologie an der Universität Zürich gemacht.
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Dessert
Noch haben die Arbeiter und Baumeister des Harbin Eis- und Schnee-Festivals viel zu tun. 250.000 Kubikmeter Eis müssen zu den riesigen und kunstvollen, bunt beleuchteten Bauwerken wie Pagoden, Türmen und Rutschen geformt und gestapelt werden. Als Baumaterial dienen meterdicke Blöcke, die aus der Eisdecke des Flusses Songhua gesägt werden. Das Festival in Chinas Nordosten, nördlich vom russischen Wladiwostok, jährt sich zum 25. Mal und dauert bis Ende Februar, wenn die Sonne die kunstvollen Bauwerke langsam schmelzen lässt.
Chinas Staatsführung hat sich bestürzt über den Tod von Henry Kissinger im Alter von 100 Jahren gezeigt, in der Volksrepublik genoss Kissinger eine hohe Wertschätzung. Auch im Netz gab es zahlreiche Beileidsbekundungen. Michael Radunski zeichnet nach, wie Kissinger zum einflussreichsten Politiker der chinesisch-amerikanischen Beziehungen wurde und warum in den Beileidsbekundungen auch ein wenig Kritik an der Regierung Biden mitschwingt.
China sagt selbst, dass es die Machtverhältnisse auf dem Planeten zu seinen Gunsten verschieben will. Da sollten wir hinhören, rät der australische Spitzenpolitiker, Diplomat und Sinologe Kevin Rudd. Im Gespräch mit Nana Brink und Felix Lee umreißt er seine Vision für einen effektiven Umgang mit China. Er spricht sich für eine konsequente Strategie der Abschreckung aus. Richtig eingesetzt, führe diese nicht zur Eskalation, treibe aber den Preis für einen Griff nach Taiwan in inakzeptable Höhe.
Für den Immobilienkonzern Evergrande wird es derweil eng. Bis Montag hat das insolvente Unternehmen Zeit, einen glaubwürdigen Entschuldungsplan vorzulegen. Sonst droht die Auflösung und der Verkauf der werthaltigen Teile, um die Gläubiger zu bedienen. So ein Vorgang würde Schockwellen durch Chinas Finanzwelt schicken, schreibt Jörn Petring. Er hätte auch erhebliche Auswirkungen auf die Politik, schließlich steckt das Ersparte in China vor allem in Eigentumswohnungen.
Ihr Finn Mayer-Kuckuk
Interview
Kevin Rudd: Deutschlands Stimme in der Welt wird unterschätzt
Kevin Rudd war Premierminister von Australien. Er ist derzeit Botschafter in den USA.
Könnte China im jüngsten Nahostkonflikt eine vermittelnde Rolle einnehmen? Mit Israel pflegte die chinesische Führung zumindest bis zum 7. Oktober gute Beziehungen.
Wenn es die geopolitischen Umstände erlauben, glaube ich schon, dass China bei Verhandlungen aktiver werden könnte. Aber solange die Führung in Peking sich weigert, die Verbrechen der Hamas klar zu verurteilen, wird Israel gegenüber China skeptisch bleiben.
Bei den einstigen Erzfeinden Saudi-Arabien und Iran ist es China überraschenderweise gelungen, sie zusammenzubringen.
So überraschend war das dann doch nicht. China mag zwar wie ein Neuling in der Region erscheinen. Sein historischer Bezugsrahmen reicht aber bis in die späten 1970er-Jahre. Damals baute Peking eine enge Beziehung zu Iran auf, getragen vom chinesischen Militär und der iranischen Revolutionsgarde. Von diesem Zeitpunkt an wurde China zu einem bedeutenden Lieferanten militärischer Güter – und hat umgekehrt systematisch seine Ölimporte aus Iran erhöht. Bei den jüngsten Annäherungen an die Golfmonarchien geht es China vor allem um seinen wachsenden Bedarf an Kohlenwasserstoff. Die USA importieren weniger Energie aus den Golfstaaten, die Chinesen füllen diese Lücke und nutzen die Geschäfte, um zugleich auch die geopolitischen Beziehungen in der Region auszubauen. Chinas großes Interesse an Israel in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten galt wiederum dem Zugang zu Technologie, insbesondere im militärischen Bereich. Aber mit Chinas engem Verhältnis zu Iran kommt China für Tel Aviv nicht als langfristiger strategischer Partner infrage.
Israel hatte sich bei Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine anfangs schwergetan, sich klar zu positionieren.
Ja, Israel hat versucht, im Fall der Ukraine eine neutrale Haltung einzunehmen. Angesichts der verschiedenen Treffen, die Putin in Moskau ausrichtet, bei denen auch Vertreter der Hamas beteiligt sind, dürfte sich die Haltung der Netanyahu-Regierung aber geändert haben. Die geopolitischen Linien dürften damit klarer werden.
Gehen wir in eine andere Konfliktregion: den Indopazifik. Chinas Aggressionen gegenüber Taiwan und den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres sind unbestreitbar. Aber ist ein neues Sicherheitsbündnis im Indopazifik unter Führung der USA, vergleichbar mit der Nato, wirklich die angemessene Antwort?
Es ist wichtig, zu verstehen, dass China sich selbst als eine Macht beschreibt, die nicht am Status quo festhalten will. Peking will Taiwan erobern. Mit der sogenannten Neun-Striche-Linie behauptet China, dass das Südchinesische Meer tatsächlich ein chinesisches Küstenmeer ist. Und China will die Senkaku-/Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer von Japan erobern. Zudem gibt es Dispute um vorgelagerte Inseln vor Südkorea und ein recht großes Territorium im Streit mit Indien. All diese Grenzen will China ändern. Wie sollten die Demokratien Asiens auf einseitige Versuche Chinas reagieren, den Status quo zu ändern? Ich halte eine Strategie der Abschreckung für angemessen. Sie operiert auf militärischer, wirtschaftlicher und auf technologischer Ebene. Der militärischen Führung in Peking muss klargemacht werden, dass China für jeden Versuch, Taiwan mit einseitiger Gewalt zu erobern, einen hohen Preis zu zahlen hat – politisch, militärisch und wirtschaftlich.
Was macht Sie so sicher, dass Japan, Südkorea und die Staaten Südostasiens im Umgang mit China wirklich mit Australien und den USA an einem Strang ziehen werden? Diese Staaten sind wirtschaftlich zum Teil sehr abhängig von China.
Sind sich die Europäer in allem einig? Was den Umgang mit Russland angeht, scheren Staaten wie etwa Ungarn auch aus. Trotzdem ist die Nato grundsätzlich handlungsfähig. Was die US-Verbündeten in Asien betrifft, haben wir zwar keine kollektive Sicherheitsorganisation, sondern bilaterale Sicherheitsvereinbarungen mit den USA. Zugleich rücken die Staaten Nordasiens aber zusammen. Beim trilateralen Gipfel im August in Camp David etwa haben Südkoreas Präsident Yoon, Japans Premierminister Kishida und US-Präsident Biden explizit die Unterstützung Taiwans bekundet. Das war beispiellos. Und auch die Philippinen kooperieren so eng mit den USA wie seit Jahrzehnten nicht. Im restlichen Südostasien gibt es, wie Sie richtig sagen, unterschiedliche Ansichten. Ebenso in Indien. Das allgemeine strategische Ziel im gesamten Indopazifik besteht jedoch darin, den strategischen Status quo aufrechtzuerhalten und ein gewisses Maß an strategischem Gleichgewicht.
Aber rückt der Westen wirklich näher zusammen im Umgang mit China?
Ich erkenne zumindest eine zunehmend strategische Haltung aller Nato-Staaten. Zu ihren Gipfeln lädt die Nato mittlerweile auch Japan, Korea, Australien und Neuseeland ein. Und auch bei der China-Strategie, die die deutsche Regierung zuletzt erarbeitet hat, erkenne ich eine zunehmend harte Haltung gegenüber China. Eine grundlegende systemische Rivalität, ein zunehmender Wettbewerb, aber auch die Möglichkeit, in bestimmten Klima-, globalen Wirtschafts- und Handelsbereichen weiterhin zusammenzuarbeiten – darin unterscheidet sich die europäische Strategie nicht wesentlich von der US-amerikanischen oder australischen Strategie. Wir alle versuchen, uns systemisch über die roten Linien im Klaren zu sein, ebenso über die Intensität des strategischen Wettbewerbs auch in der Wirtschaft, zugleich uns aber offen zu zeigen für eine Zusammenarbeit mit Peking bei globalen öffentlichen Gütern wie dem Klimawandel, der globalen Verschuldung und einer möglichen künftigen Pandemie.
Welche Rolle sollte Deutschland Ihres Erachtens nach im Zuge dieser geopolitischen Spannungen einnehmen?
Deutschland ist ein zutiefst respektiertes Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Deshalb hat es enorm Gewicht, was Deutschland normativ sagt – und zwar nicht nur in Europa, sondern auch im Indopazifik. Ich bin im Laufe der Jahre viele Male in Berlin gewesen. Mein Eindruck: Manchmal unterschätzt die deutsche Öffentlichkeit die Wirkung und die Bedeutung der deutschen Stimme in der Welt. Immerhin ist es von Zeit zu Zeit auch zu Einsätzen der deutschen Bundeswehr im Indopazifik gekommen, auch von australischen Stützpunkten aus. Das ist eine wichtige Botschaft: Auch Deutschland setzt sich für die Einhaltung des Völkerrechts, des internationalen Seerechts und der Freiheit der Schifffahrt ein. Deutschland ist in erster Linie zwar eine europäische Macht, hat aber auch eine globale Stimme.
Beim letzten Brics-Gipfel in Peking sind nicht nur sechs weitere Länder den Brics beigetreten, sondern 40 weitere Länder haben einen Aufnahmeantrag gestellt, und 100 weitere bekunden ihr Interesse. Ist das für den Westen nicht eine dramatische Zäsur, wenn China so viele Länder des globalen Südens auf seine Seite zieht?
China hat in den Ländern des Globalen Südens durch die Seidenstraßeninitiative, aber auch durch die Brics enorme Fortschritte gemacht. Diese Institutionen sind aber außerhalb der internationalen regelbasierten Systeme, die wir nach 1945 zusammen geschaffen haben. Das ist leider so. China hat einfach erkannt, dass es in diesen Ländern sehr viele Investitionsmöglichkeiten gibt. Aber was auch wahr ist: Zahlreiche Länder haben enorme Schulden gegenüber China aufgetürmt. Und China neigt dazu, keine Schulden zu erlassen. Aber klar, die multilateralen Entwicklungsbanken stehen in der Pflicht, viel, viel mehr in diese Länder des Globalen Südens zu investieren. Sonst haben sie keine andere Wahl.
China hat selbst massive wirtschaftliche Probleme. Wie fest sitzt Staats- und Parteichef Xi Jinping im Sattel?
Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht hat, die Innenpolitik Chinas zu analysieren. Und ich komme trotz der jüngsten Ereignisse zu dem Ergebnis, dass Xi weiterhin zuversichtlich sein kann, die Führung zu behalten. Jeder, der glaubt, die Absetzung des Außen- oder Verteidigungsministers seien Hinweise auf einen möglichen Führungswechsel, hat meines Erachtens die interne Dynamik der Kommunistischen Führung nicht verstanden. In China finden derzeit zwar große Debatten über den künftigen Kurs der chinesischen Wirtschaft statt und über die von Xi Jinping in den letzten fünf Jahren eingeführten Veränderungen des chinesischen Wirtschaftsmodells. Daraus aber abzuleiten, dass Xis Macht gefährdet ist, halte ich für eine fehlgeleitete Analyse. Xis Machterhalt ist beeindruckend.
Kevin Rudds jüngstes Werk, das am 16. Oktober auch auf Deutsch erschienen ist: “Der vermeidbare Krieg. Die Gefahr eines katastrophalen Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und Xi Jinpings China”, Edition Weltkiosk.
Kevin Rudd war von 2007 bis 2010 und dann noch einmal 2013 für drei Monate Premierminister von Australien. Er ist derzeit Australiens Botschafter in den USA, hat dieses Interview aber in seiner Funktion als Buchautor und Ex-Politiker gegeben. Rudd ist studierter Sinologe und spricht fließend Mandarin.
Im Dauer-Drama um den hoch verschuldeten chinesischen Immobilienkonzern Evergrande steht am Montag eine wichtiger Termin an. In Hongkong soll vor Gericht darüber entschieden werden, ob Evergrande formal in eine Liquidation geschickt wird. Das heißt: Das Unternehmen würde aufgelöst und die werthaltigen teile verkauft.
Ende Oktober hatte die zuständige Richterin Linda Chan dem Konzern letztmals eine fünfwöchige Fristverlängerung eingeräumt, um sich mit seinen Gläubigern zu einigen. Sie legte die finale Anhörung auf den 4. Dezember, also Montag. Möglich sind nun diese Szenarien:
Restrukturierungsplan. Evergrande könnte einen detaillierten Restrukturierungsplan vorlegen.Beobachter halten dies praktisch für ausgeschlossen.
Liquidation. Sollte Evergrande keinen Plan vorlegen oder sollte das Gericht den Plan als unzureichend erachten, dürfte es den Weg für eine Abwicklung freimachen. In diesem Fall würde ein Liquidator ernannt werden, um die Vermögenswerte von Evergrande zu veräußern und die Erlöse unter den Gläubigern aufzuteilen.
Mehr als 300 Milliarden Dollar Schulden
Evergrande steckt in einer tiefen Krise und gilt als das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen der Welt. Es hat Schulden in Höhe von mehr als 300 Milliarden US-Dollar angehäuft. Im Januar 2022 kündigte der Konzern einen Restrukturierungsplan an, konnte sich aber seitdem nicht mit seinen Gläubigern einigen. Die Immobilienkrise in China hat auch zahlreiche andere Unternehmen erfasst, doch Evergrande steht wegen seiner schieren Größe unter besonderer Beobachtung.
Klar scheint, dass die Anordnung einer Liquidierung durch Richterin Chan noch lange nicht das Ende der Evergrande-Saga wäre. Die rechtliche Situation ist komplex. Evergrande ist ein chinesisches Unternehmen mit Hauptsitz auf dem chinesischen Festland, während das Gerichtsverfahren in Hongkong stattfindet. Dort ist es an der Börse gelistet.
Die Umsetzung einer Liquidation nach Hongkonger Recht würde erhebliche Auswirkungen auf den chinesischen Immobilienmarkt, die Wirtschaft und Hunderttausende von Wohnungskäufern haben. Beobachter gehen daher davon aus, dass man auf dem chinesischen Festland dem Hongkonger Urteil nicht ohne weiteres folgen wird.
Soziale Stabilität ist Pekings Priorität
Tatsächlich ist bekannt, dass die Durchsetzung von Urteilen Hongkonger Gerichte auf dem chinesischen Festland kompliziert ist – aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme und den politischen Machtverhältnissen. In solchen Fällen hängt die Umsetzung von der Bereitschaft der chinesischen Zentral- oder Lokalregierungen ab. Peking hat im Fall Evergrande andere Absichten, als Vermögenswerte so schnell es geht zu verkaufen und Erlöse an Gläubiger zu verteilen – vor allem nicht an jene im Ausland.
Wichtiger ist die soziale Stabilität im eigenen Land. “Die Priorität der Regierung wird eindeutig darin bestehen, unverkaufte und unfertige Wohnungen an Hauskäufer zu liefern”, sagte Christopher Beddor von der Beratungsfirma Gavekal Dragonomics gegenüber Reuters. Evergrande habe laut einer Analyse von Gavekal vertragliche Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 604 Milliarden Yuan (umgerechnet etwa 80 Milliarden Euro). Dies entspricht etwa 600.000 unfertigen Wohnungen.
Evergrande-Töchter verklagen sich gegenseitig
Selbst Branchenkenner tun sich in diesen Tagen schwer damit, den weiteren Gang der Dinge vorherzusagen. Denn die Lage wird immer unübersichtlicher. In der jüngsten Wendung verklagen sich nun sogar schon Evergrande-Konzernteile gegenseitig.
So teilte die Evergrande Property Services Group am Dienstag in Hongkong mit, dass eine ihrer Einheiten ein Gerichtsverfahren gegen die Hengda Real Estate Group und die Bausparte China Evergrande eingeleitet habe. Die Einheit, Jinbi Property Management, beabsichtige, Pfandgarantien in Höhe von umgerechnet rund 280 Millionen Dollar zurückzuerhalten. Das Vertrauen der Evergrande-Gläubiger dürfte durch diesen Schritt weiter gelitten haben.
Evergrande
Immobilienkrise
Wirtschaft
Termine
04.12.2023, 18:00 Uhr (05.12., 01:00 Uhr Beijing time) Fairbank Center for Chinese Studies, Webinar:Japan, China, and Global Economic OrdersMehr
05.12.2023, 14:00 Uhr (21:00 Uhr Beijing time) Center for Strategic & International Studies, Webcast:Previewing Taiwan’s 2024 Presidential ElectionMehr
05.12.2023, 15:30 Uhr Beijing time Rödl & Partner, Roadshow (in Shanghai):Navigating through a day of a Key Manager in China in 2024Mehr
05.12.2023, 16:00 Uhr China Netzwerk Baden-Württemberg, Berlin Nähkästle mit Felix Lee (vor Ort):Sonja Mühlberger: Gespräch mit einer Zeitzeugin – 1939 geboren in Shanghai als Kind von EmigrantenMehr
05.12.2023, 17:00 Uhr (24:00 Uhr Beijing time) Center for Strategic & International Studies, Webcast:Prospects for China’s Growth and Foreign Relations in an Era of CompetitionMehr
06.12.2023, 14:30 Uhr (21:30 Uhr Beijing time) Center for Strategic & International Studies, Webcast:China’s Food Security ChallengesMehr
06.12.2023, 14:30 Uhr Volksregierung der Stadt Ningbo, Networking-Event (in München):Die perfekte Welle – Business-Surfen in NingboMehr
06.12.2023, 18:00 Uhr (05.12., 01:00 Uhr Beijing time) Fairbank Center for Chinese Studies, Critical Issues Confronting China Series:China’s New PlaybookMehr
07.12.2023, 09:00 Uhr China Team GmbH, Diskussion mit Wolfgang Hirn u.a.:Zeitenwende oder New Normal für die deutschen KMU?Mehr
07.12.2023, 11:00 Uhr (18:00 Uhr Beijing time) Kiel Institut für Weltwirtschaft, Global China Conversations #27:Zukunft der Technologiestandards: Deutschland und China im Wettbewerb?Mehr
07.-08.12.2023 Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart, Symposium (vor Ort):7th Shanghai-Stuttgart-Symposium Automotive and Powertrain TechnologyMehr
08.12.2023, 14:00 Uhr (21:00 Uhr Beijing time) Center for Strategic & International Studies, Book Event:Leftover Women: The Resurgence of Gender Inequality in ChinaMehr
08.12.2023, 19:30 Uhr Konfuzius-Institut München e.V., Vortrag (in München):Vorstellung des “China-Germany Youth Interns Exchange Programme”Mehr
News
Berlin wendet sich gegen Anti-Dumping-Verfahren für E-Autos
Die Bundesregierung hat Vorbehalte gegen Anti-Dumping-Zölle der EU auf E-Autos. “Ausgleichszölle der EU könnten die EU-Industrie schützen, aber auch negativ treffen”, heißt es in der als vertraulich eingestuften Stellungnahme der Bundesregierung zum Arbeitsprogramm 2024 der EU-Kommission, die Table.Media vorliegt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte eine Antisubventionsuntersuchung für batterieelektrische Autos aus China angekündigt. Gleichzeitig hatte sie nahegelegt, dass es Hinweise für eine unzulässige Subventionierung gebe. Damit gilt es nur noch als eine Frage der Zeit, dass die Kommission Anti-Dumping-Zölle auf E-Autos aus China erhebt.
Die Bundesregierung befürchtet negative Folgen durch die Zölle für die deutschen Hersteller. Ohne die deutschen Konzerne direkt zu erwähnen, warnt die Stellungnahme vor negativen Folgen “zum einen direkt (bei EU-Herstellern in China, die in die EU exportieren) sowie indirekt (bei etwaigen Vergeltungsmaßnahme(n) Chinas).”
Hintergrund ist, dass die deutschen Marken wie Mercedes, BMW und VW bis zu 40 Prozent ihres Absatzes in China machen sowie große Produktionskapazitäten in China selbst aufgebaut haben. Die französischen Hersteller dagegen sind nicht auf dem chinesischen Markt aktiv, fordern aber seit langem EU-Zölle auf E-Autos aus China, weil chinesische Marken in der EU massiv mit E-Autos der französischen Hersteller konkurrieren und ihnen Marktanteile streitig machen.
Die Bundesregierung mahnt eine “regelkonforme und ergebnisoffene Untersuchung” im Zuge des Antisubventionierungsverfahren an sowie, “dass die jeweiligen Interessen im Rahmen des Unionsinteresses berücksichtigt werden.” Die Mitgliedstaaten seien “angesichts der politischen Sensibilität in das Verfahren eng einzubinden”. Das Schreiben enthält auch eine deutliche Kritik an der Kommission: Die Antisubventionsuntersuchung habe nämlich die “Besonderheit, dass sie ex officio und damit nicht auf Basis eines Antrags eines EU-Herstellers eingeleitet wurde”. Die Botschaft der Bundesregierung lautet also, dass die Kommission sich von der französischen Regierung habe drängen lassen. Markus Grabitz
E-Autos
Elektromobilität
EU
Zölle
BMW und Mercedes bauen Netz für schnelles Laden
BMW und Mercedes-Benz wollen in China ab dem kommenden Jahr ein gemeinsames Netz an Schnellladestationen für Elektroautos aufbauen. Dafür werde ein Joint Venture gegründet, teilten die Unternehmen am Donnerstag mit. Bis Ende 2026 seien landesweit mindestens 1.000 öffentliche Stationen mit etwa 7.000 Ladepunkten geplant. Diese stehen dann allen Fahrzeugmarken zur Verfügung. Doch Kundinnen und Kunden der beiden Premiumhersteller sollen in den Genuss exklusiver Dienste wie einer Vorab-Reservierung von Ladepunkten kommen. In Europa kooperieren die beiden Hersteller bereits beim Ladesäulen-Betreiber Ionity.
China besitzt die meisten E-Auto-Ladepunkte weltweit: Ende 2022 waren in China 5,2 Millionen Ladepunkte registriert, Schätzungen rechnen mit einem Ausbau des Ladenetzes bis Ende 2023 auf 6,8 Millionen Ladepunkte. Demgegenüber stehen mehr als 18 Millionen Elektroautos, die inzwischen auf Chinas Straßen unterwegs sind. Bis Ende des Jahres könnten es 20 Millionen sein. rtr/jul
BMW
Elektromobilität
Ladeinfrastruktur
Mercedes Benz
Shortseller attackieren KI-Größe Sensetime
Der Investor Grizzly Research unterstellt dem chinesischen Gesichtserkennungs-Spezialisten Sensetime, seine Gewinne aufgebläht zu haben. Die Bewertung von Sensetime an der Börse Hongkong fiel daraufhin. Das Unternehmen hat in einer Mitteilung auf der Seite der Börse Hongkong alle Vorwürfe zurückgewiesen.
Shortseller wie Grizzly sind aggressive Investoren, die Lügen in der Story von hoch bewerteten Unternehmen aufdecken wollen. Sie wetten mit Finanzmarktgeschäften (Leerverkäufen) auf fallende Kurse und führen sie dann selbst durch negative Berichte über die Unternehmen herbei. fin
Künstliche Intelligenz
Technologie
Peking legt Positionspapier zu Nahost-Konflikt vor
China hat ein Positionspapier zum israelisch-palästinensischen Konflikt vorgelegt. Darin heißt es, dass der UN-Sicherheitsrat seine diplomatische Vermittlung intensivieren, die Zwei-Staaten-Lösung wieder in Gang bringen und so schnell wie möglich eine “autoritativere und effektivere” internationale Friedenskonferenz einberufen solle. Die Regierung in Peking forderte den Sicherheitsrat zudem auf, einem umfassenden Waffenstillstand zur Beendigung der Kämpfe nachzukommen.
Das Papier enthält fünf Punkte und ist eher vage gehalten. Weitere Forderungen sind der Schutz von Zivilisten, und humanitäre Hilfe. Vorschläge, wie die Volksrepublik selbst zur Lösung des Konflikts beitragen kann, finden sich jedoch nicht. Auch im Ukraine-Konflikt hatte China einen sogenannten Friedensplan vorgelegt, mit zwölf Punkten und ebenfalls vage. Die Volksrepublik versucht in den letzten Monaten verstärkt, sich in internationalen Konflikten als Vermittler zu positionieren. rtr/jul
Presseschau
Eye-catching climate donations put spotlight on China at COP climate talks POLITICO EU-China-Gipfel vor großen Hindernissen DEUTSCHE WELLE India, China agree to hold next round of military talks at the earliest DECCAN HERALD China: Chinese people will remember Kissinger for his important contributions NHK Meta warns that China is stepping up its online social media influence operations NPR China lässt Putin zappeln – Der Bau der Pipeline Power of Siberia 2 verzögert sich weiter FR Chinas Industrieproduktion erneut rückläufig FUW China’s workers face layoffs, unpaid wages ahead of Lunar New Year RFA Energiewende “Made in China”: Die Abkehr von der Kohle FINANZMARKTWELT Elektromobilität: BMW und Mercedes planen Schnellladenetz in China SPIEGEL PwC’s China and Hong Kong Units Fined in Training Exam Cheating Probe WSJ Nagelneue VW Santana verlassen in China-Lagerhalle gefunden MOTORSPORT TOTAL China launches high-orbit satellite internet that could challenge SpaceX’s Starlink SCMP
Nachruf
Henry Kissinger – Als die USA und China noch “Freunde” waren
Henry A. Kissinger 1923-2023.
Wer wissen will, wie wichtig Henry Kissinger für die Beziehungen zwischen den USA und China war, muss nur wenige Monate zurückdenken. Washington versuchte gerade, den Kontakt nach Peking zu normalisieren. John Kerry traf als Klima-Sondergesandter seinen chinesischen Amtskollegen, auch Finanzministerin Janet Yellen reiste nach China. Doch zu Xi Jinping durfte nur einer: Henry Kissinger – 100 Jahre alt und ohne jegliches Amt.
“Die Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten werden für immer mit dem Namen Kissinger verbunden sein”, sagte Chinas Partei- und Staatschef, während die beiden Männer Seite an Seite in cremefarbenen Sesseln über die Beziehungen der beiden Supermächte parlierten. “Ich drücke Ihnen meinen tiefen Respekt aus.”
Der Tenor war eindeutig: Nur Kissinger mit seinen rund 100 Besuchen verstehe China. Außenminister Wang Yi sagte gar: “Die US-Politik gegenüber China erfordert diplomatische Weisheit im Kissinger-Stil und politischen Mut im Nixon-Stil.”
Wie wichtig Xi das Treffen mit Kissinger war, zeigt sich auch in der Wahl des Ortes: dasselbe Gebäude, in dem Kissinger ein halbes Jahrhundert zuvor den damaligen chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai getroffen hatte: Villa Nr. 5 des Diaoyutai State Guesthouse.
Kissingers Geheimreise legte Grundstein für US-China-Beziehungen
1971 war Kissinger heimlich nach Peking gereist – in die Stadt, die seit der Machtübernahme der Kommunisten 1949 noch keine offizielle US-Delegation betreten hatte. Doch Kissinger wollte China als Partner gegen die Sowjetunion gewinnen und deshalb Gesprächskanäle aufbauen. Nach seinem Treffen mit Zhou Enlai telegrafierte er Nixon ein einziges Wort: Eureka – das Codewort, dass die Mission ein voller Erfolg war.
Februar 1972: Kissinger und Nixon bei Zhou Enlai.
Was folgte, ist hinlänglich bekannt: Ein Jahr später reist Nixon als erster US-Präsident in die Volksrepublik China. Dieser Besuch führt wiederum 1979 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und dem kommunistisch regierten China.
Aus Heinz Alfred wird Henry – einer der einflussreichsten US-Politiker
Im mittelfränkischen Fürth war er 1923 als Heinz Alfred Kissinger auf die Welt gekommen, Sohn einer jüdischen Familie. Im Alter von 15 Jahren flieht er mit seinen Eltern und seinem Bruder vor den Nationalsozialisten in die USA. Aus Heinz wird Henry – und einer der einflussreichsten US-Politiker der folgenden Jahrzehnte. An der Elite-Universität Harvard wird Kissinger zum Experten für internationale Politik. Richard Nixon holt ihn als Nationalen Sicherheitsberater ins Weiße Haus. Später wird er US-Außenminister.
Kissinger selbst sagte einst, er wollte schlicht eine Wiederholung der Kriege von 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 verhindern, die seine Kindheit in Deutschland und weite Teile der Welt zerstört hatten. Bezogen auf die heutige Zeit bedeutet das: Frieden zwischen China und den USA wahren.
An Kissinger scheiden sich die Geister
Nun mag man über Henry Kissinger wahrlich geteilter Meinung sein. Die einen loben ihn als Politiker, der Entspannung im Kalten Krieg brachte und als Friedensnobelpreisträger. Die anderen wiederum kritisieren ihn als ruchlosen Machtpolitiker, der vor gewaltbereiter Realpolitik (und Opfern) nicht zurückschreckte.
Minderheiten und Schwächere laufen hierbei Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Wu’er Kaixi, Uigure und einer der Studentenanführer bei den Tian’anmen-Protesten 1989, schrieb denn auch auf X: Kissingers pro-chinesische politische Haltung habe vor allem dem Regime der KP geholfen und dem chinesischen Volk geschadet. Auch aus Taiwan waren am Donnerstag durchaus kritische Töne zu hören.
Trauer um “alten Freund des chinesischen Volkes”
In der Volksrepublik hingegen kennt die Wertschätzung für den ehemaligen US-Außenminister kaum Grenzen. Chinas Staatsführung zeigte sich am Donnerstag kollektiv bestürzt über Kissingers Tod. Außenamtssprecher Wang Wenbin würdigte Kissinger als “Pionier und Architekt der chinesisch-amerikanischen Beziehungen”.
Partei- und Staatschef Xi Jinping schickte US-Präsident Joe Biden ein Beileidsschreiben. Auch Ministerpräsident Li Qiang, sowie Außenminister Wang Yi brachten ihre Trauer zum Ausdruck. Xie Feng, Chinas Botschafter in den USA, schrieb auf X: “Er wird in den Herzen der Menschen in China immer als geschätzter alter Freund lebendig bleiben.”
Doch nicht nur China politische Führung fiel in kollektive Trauer. Auch in den sozialen Medien war Kissingers Tod mit mehr als 400 Millionen Aufrufen das Top-Thema beim Microblogging-Dienst Weibo. Ein Top-Kommentar mit Tausenden Likes lautete: “Leb wohl, alter Freund des chinesischen Volkes.”
Pekings Trauer als versteckte Kritik
Kissinger war überzeugt, dass Stabilität zwischen China und den USA davon abhänge, dass Peking und Washington ihre Unterschiede untereinander tolerieren. China, so Kissinger, betrachte die aktuelle Weltordnung als amerikanische Ordnung. Und Peking wolle lediglich Raum für Anpassungen – nicht für einen kompletten Umsturz.
Manchen erinnert das an die Beteuerungen der aktuellen Führung in Peking. Und so ist die fast schon überbordende Trauer in China auch als Kritik an der aktuellen US-Führung aufzufassen. Denn setzten Nixon und Kissinger einst auf Gespräche, zeigen Trump und Biden verstärkt Härte gegenüber China. Michael Radunski
Geopolitik
Harvard University
Henry Kissinger
Uiguren
USA
Personalien
Isabelle Harbrecht ist neue Koordinatorin des China Competence Training Center (CCTC) an der Humboldt-Universität Berlin. Sie war zuvor Abteilungsleiterin der Stabsstelle Internationales an der Fachhochschule Potsdam. Das CCTC der HU soll die China-Kompetenz in der Verwaltung der Berliner Hochschulen stärken.
Djordje Milovankic ist seit November Junior Researcher für das Thema “Vom Menschen verursachte Katastrophen in China” bei dem großen Rückversicherer Swiss Re. Er hat zuvor seinen Master in Sinologie an der Universität Zürich gemacht.
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Dessert
Noch haben die Arbeiter und Baumeister des Harbin Eis- und Schnee-Festivals viel zu tun. 250.000 Kubikmeter Eis müssen zu den riesigen und kunstvollen, bunt beleuchteten Bauwerken wie Pagoden, Türmen und Rutschen geformt und gestapelt werden. Als Baumaterial dienen meterdicke Blöcke, die aus der Eisdecke des Flusses Songhua gesägt werden. Das Festival in Chinas Nordosten, nördlich vom russischen Wladiwostok, jährt sich zum 25. Mal und dauert bis Ende Februar, wenn die Sonne die kunstvollen Bauwerke langsam schmelzen lässt.