die EU steht unter Druck, sich gegenüber China zu positionieren, zumal die USA bereits eine ausdrücklich kritische Haltung eingenommen haben. Bernd Lange sagt uns im Interview, wie derzeit in Brüssel die Weichen gestellt werden. Der SPD-Abgeordnete im Europaparlament sitzt dort dem Handelsausschuss vor. Er muss sich also laufend mit China beschäftigen. Derzeit treiben ihn das Zwangsarbeits-Verbot, das Lieferkettengesetz und das Instrument gegen wirtschaftlichen Druck um.
Lange vertritt im Gespräch mit Amelie Richter und Europe.Table auch kontroverse Positionen. So befürwortet er die Aufnahme von Handelsgesprächen mit Taiwan – einen Schritt, den die USA bereits vormachen. Auf China wirken solche offiziellen Kontakte zu Taipeh stets als Provokation. In Washington wittert Lange denn auch eine regelrechte “Anti-China-Politik”. Für die EU liege es dagegen nicht im eigenen Interesse, China zu isolieren. Dennoch sieht Lange die beste Position für die EU nahe an den USA, schließlich passen die Werte hier besser zusammen.
Das autonome Fahren liegt dem China.Table in der Berichterstattung besonders am Herzen. Wir haben das Gefühl, wieder so eine Entwicklung vor uns zu haben, bei der Asien voranprescht – die behäbigere deutsche Industrie könnte das Nachsehen haben. Wenn es dann um den Schritt in die Anwendung geht, überwiegen in Deutschland zuverlässig im entscheidenden Moment die Zweifel – nicht nur an der Sicherheit der Neuerung, sondern auch am grundsätzlichen Sinn der Sache. Erst, wenn sich die Technik in Asien bereits durchgesetzt hat, wacht Europa auf.
In China streben die Hersteller selbstfahrender Autos nun bereits in den Alltag, analysiert Frank Sieren. Entscheidend sind in der derzeitigen Phase nicht mehr die Software-Leute, sondern die Bürokraten. Das zuständige Ministerium in Peking entwickelt derzeit Regeln, die zum Beispiel die Haftungsfragen beantworten. Vorbild ist hier die Stadt Shenzhen, die sich mit vielen dieser regulatorischen Probleme schon auseinandergesetzt hat.
Herr Lange, beschert die geopolitische Lage der Handelspolitik neuen Schub?
Absolut. Auch im Europaparlament beobachte ich bei Kolleginnen und Kollegen, die zuletzt im handelskritischen Mainstream mitgelaufen sind, dass die Frage stabiler, widerstandsfähiger, Beziehungen zu Ländern eine größere Bedeutung bekommen hat.
Im Lichte der Entwicklungen in den vergangenen Wochen wird ein bilaterales Investitions- und vielleicht Handelsabkommen mit Taiwan immer attraktiver. Das EU-Parlament fordert das bereits seit längerem, es bewegt sich aber nichts. Woran hakt es?
Die politische Einschätzung der EU-Kommission ist, dass das erstens ökonomisch nicht notwendig ist und zweitens zusätzliche Probleme hinsichtlich der “Ein-China-Politik” hervorrufen würde. Ich sehe das überhaupt nicht so. Wir haben ja immer Dinge, die wir mit der Volksrepublik China diskutiert und gemacht haben, dann auch parallel mit Taiwan angegangen. Es ist mehr eine Frage der gesamtpolitischen Einschätzung der EU-Kommission als Ganze und nicht unbedingt nur des Willens der EU-Generaldirektion für Handel. Wenn wir diese Dinge mit der Handelsdirektion besprechen, stehen immer auch die Vorbehalte des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) im Raum.
Es gibt einen internen Konflikt zwischen der EU-Handelsdirektion und dem EEAS, wenn es um Taiwan geht. Liegt es daran?
Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es ein Konflikt ist. Aber es gibt unterschiedliche Einschätzungen.
Sehen Sie denn eine Gefahr, dass Peking ein Abkommen mit Taiwan ähnlich konfrontativ beantworten würde, wie es jetzt bei der Pelosi-Reise der Fall war?
Das muss im Kontext des Investitionsabkommens CAI gesehen werden. Wenn wir ein ähnliches Abkommen, wie wir es mit der Volksrepublik ausgehandelt haben, mit Taiwan schließen würden, dann gibt es keinen rationalen Grund für eine solche Reaktion. Wenn ein Abkommen mit Taiwan über das CAI hinausgehen würde, dann würde das sicherlich zu einer Eskalation führen.
Der Handelsausschuss des Europaparlaments, dem ich vorsitze, plant für Dezember eine Delegationsreise nach Taiwan. Wer teilnehmen wird und wie die Agenda genau aussieht, steht noch nicht fest. Aber es wird dabei dann um die Frage eines Investitionsabkommen gehen und um die Frage der Stabilisierung von Lieferketten.
Seit Frau Pelosis Reise hat Peking aggressiver auf Besuch in Taiwan reagiert und beispielsweise auch die litauische Vize-Verkehrsministerin deswegen sanktioniert. Gibt es da keine Bedenken im Ausschuss?
Nein. Manchmal hört man ja auch, dass innerhalb der chinesischen Regierung unterschiedliche Bewertungen solcher Reisen getroffen werden. Das muss man abwarten. Es waren ja auch schon EU-Abgeordnete in Taiwan, ohne dass sie sanktioniert worden sind. Das wird sehr stark darauf ankommen, wie man den Besuch positioniert.
Macht es denn Sinn, ein Investitionsabkommen mit Taiwan im Hinterkopf zu haben, wenn die ausführende EU-Kommission bei dieser Idee noch nicht wirklich aufgesprungen ist?
Wir müssen sehen, wie sich das weiterentwickelt. Ich glaube, dass das Parlament auch ein bisschen Einfluss gegenüber der Kommission hat.
Da Sie das CAI erwähnt haben, gibt es da denn etwas Neues? Bewegt sich etwas?
Nein, wir haben ganz tief im Tiefkühlfach des Kühlschranks zwei Abkommen liegen. Das sind CAI und Mercosur. Solange die politischen Gegebenheiten so sind, wie sie sind, werden beide Abkommen dort auch bleiben. Bei Mercosur müssen wir die Wahl in Brasilien abwarten. Was das CAI betrifft, gab es beim Handelsdialog im Juli keine signifikanten Fortschritte hinsichtlich der politischen Fragen zu den Sanktionen gegen EU-Abgeordnete. Deswegen bewegt sich da nichts.
Sie waren vor einigen Wochen zu Besuch in Washington. Gab es dort auch Gespräche über mögliche Kooperationen zwischen der EU, den USA und Taiwan im Bereich der Halbleiter?
Nein, darüber haben wir nicht gesprochen. Die Anti-China-Politik stand aber stark im Vordergrund. Der große Konkurrent, die Gefahr für Washington, ist China. Das ist eine Linie, die sich durch die Gespräche gezogen hat. Und man sieht es auch in der nationalen Politik der USA. Bei dem Klima- und Sozialpaket, was nun verabschiedet worden ist, ist auch die Förderung von Elektroautos enthalten. Dort ist die klare Ansage, dass Produkte, die zurzeit hauptsächlich in China hergestellt werden, nicht in das Förderprogramm einfließen. Sondern nur Batterien und auch Rohstoffe, die in den USA produziert werden. Das ist Anti-China-Politik. Das heißt aber auch, dass europäische Autos ebenfalls nicht gefördert werden. Die Interessenslagen der Vereinigten Staaten sind sehr stark auf das eigene Land ausgerichtet.
Wie antworten Sie Ihren US-Gesprächspartnern denn bei sowas? Bisher hat die EU im Handelsstreit zwischen den USA und China immer ihren Mittelweg betont. Lässt sich diese Position noch weiter halten, auch angesichts des Kriegs in der Ukraine?
Wir stehen nicht dazwischen, wir sind Werte-mäßig klar mit den USA verbunden. Aber wir haben unterschiedliche Interessen. Das muss man auch immer wieder sagen. Die Position, China mit allen wirtschaftlichen Mitteln niederzuhalten und damit die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten ökonomisch zu sichern, ist sicherlich nicht in unserem Interesse. Es kann nicht gelingen, China politisch oder ökonomisch zu isolieren. Dort, wo man kooperieren und Einfluss haben kann, sollte man das auch nutzen. Die Zeit einer bipolaren Welt ist vorbei, und die Rückkehr zu so einer Weltordnung ist nicht realistisch. Von daher gibt es diese Diskussionen auch mit unseren amerikanischen Freunden.
Ließe sich diese Haltung gegenüber China auch noch durchhalten, wenn es tatsächlich zu Aggressionen gegen Taiwan kommt?
Nein, keinesfalls. Das wurde auch beim Wirtschaftsdialog im Juli deutlich gesagt. Wenn es aggressive Handlungen gegenüber Taiwan geben wird, dann wird mit Sanktionen und harter Politik reagiert werden. Eine Studie des ifo-Instituts hat jüngst angedeutet, dass so ein Szenario erhebliche Wohlstandsverluste in Europa bedeuten würde. Aber da gibt es überhaupt kein Vertun, dann gibt es keine Möglichkeiten der Kooperation mehr.
Müsste angesichts dessen noch stärker auf den Handel mit Gleichgesinnten gesetzt werden und damit auch die handelspolitische Zusammenarbeit mit den USA ambitionierter werden?
In den USA ist es zurzeit überhaupt nicht möglich, ein Mandat des Kongresses für ein Handelsabkommen mit der EU zu bekommen. Insofern gibt es im Moment diese eher niederschwellige Zusammenarbeit und den Austausch, was ich im Grunde sinnvoll finde. Was China betrifft und die damit verbundene Unsicherheit gibt das natürlich auch eine Chance für andere Länder im asiatischen Raum. Wir haben einen Handelsvertrag mit Vietnam, einem sehr dynamischen Land. Ich beobachte sehr erfreut, dass Unternehmen Investitionen in Vietnam tätigen. Oder auch in Indonesien.
Müsste man nicht versuchen, mit dem gesamten ASEAN-Raum ein Abkommen zu schließen?
Ja klar. Aber bei ASEAN sind auch Kambodscha und Myanmar an Bord. Und ob der Sohn des Diktators in den Philippinen besser ist als sein Vater, da wäre ich mir auch nicht sicher. Es gibt in der Region auch Probleme. Wir verhandeln im Moment sehr konstruktiv mit Indonesien und Malaysia. Theoretisch wäre ein Abkommen mit den ASEAN insgesamt die beste Situation. Aber das ist politisch nicht realistisch.
Der Vorschlag der EU-Kommission für ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit ist für September angesetzt. Was erwarten Sie?
Es wird ein Vermarktungsverbot von Produkten aus Zwangsarbeit geben. So ist es auch möglich, dass Zwangsarbeit innerhalb der Europäischen Union diskriminiert wird und diese Produkte nicht auf dem Markt gelassen werden. In Fragen der Evidenz solle eng mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zusammengearbeitet werden. Dann muss das natürlich noch in den ILO-Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden.
Am US-Zoll stauen sich wegen des Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) derzeit die Solarpanels aus China. Kann sowas mit dem geplanten Vermarktungsverbot besser vermieden werden?
Bei UFLPA haben die Behörden die Nachweispflicht umgedreht. Es wird generell davon ausgegangen, dass alles mit Zwangsarbeit hergestellt wurde und die Unternehmen müssen das Gegenteil beweisen. Das ist bei uns nicht realistisch. Im Rahmen des UFLPA gibt es aber auch eine Dialogphase, was ich interessant finde. Es geht ja auch darum, die Situation vor Ort zur verbessern und das ist so eher möglich.
Wie genau wird das Vermarktungsverbot denn funktionieren?
Wo es einen Verdacht der Zwangsarbeit gibt, muss man sich das genau ansehen. Dabei spielt sicherlich auch die ILO eine entscheidende Rolle, die das entsprechend überprüft. Dann kann, natürlich mit einem gewissen Vorlauf, gesagt werden: “Die Tomaten aus Land X der EU dürfen nicht mehr vermarktet werden” oder “Die Christbaumkugeln aus Xinjiang dürfen nicht mehr vermarktet werden” und dann müssen die Importeure eben entsprechend reagieren. Dass mit einem Eingreifen so lange gewartet wird, bis die Ware an den Hafen kommt und sie dann nicht reinlässt, hilft wenig. Die Konsequenz ist dann, dass die Produkte woanders verschachert werden.
Mit einem Vermarktungsverbot könnte das aber auch passieren. Die Güter werden in anderen Märkten vermarktet und verkauft. Eben nur nicht bei uns.
Dabei ist die Frage, wie stark das Marktvolumen dann noch ist und wie wichtig es für Importeure ist, tätig zu werden. Das muss man sehen.
Was steht nach der Sommerpause sonst noch auf Ihrer Agenda?
Das Vorgehen gegen Zwangsarbeit ist sicherlich eine wichtige Gesetzgebung. Dann kommt noch das Lieferketten-Gesetz auf den Tisch. Dazu beginnen jetzt die aktiven Beratungen. Die Zuständigkeit innerhalb der EU-Kommission ist allerdings noch nicht hundertprozentig geklärt. Es gibt einen Vorschlag, dass der Justiz-Ausschuss den Lead hat, aber das ist noch nicht bestätigt. Dazu kommt noch die Gesetzgebung gegen wirtschaftlichen Zwang, das “Anti-Coercion Instrument”. Hier muss der Umfang und die Definition klarer werden. Das möchten wir im Oktober im EU-Parlament verabschieden und dann hoffentlich noch unter der tschechischen Ratspräsidentschaft den Trilog führen. Vor allem Litauen macht hier intern Druck.
Bernd Lange ist seit 1994 mit einer Unterbrechung (2005-2009) Abgeordneter im EU-Parlament. Der Oldenburger ist seit Juli 2014 Vorsitzender des Handelsausschusses. Lange ist zudem Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu Südostasien und den ASEAN-Staaten im Europaparlament.
Unseren Kollegen von Europe.Table hat Lange weitere Fragen zur EU-Handelspolitik mit den USA, potenzielle Handelsabkommen mit Indien und Australien sowie den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck in Kanada beantwortet. Das Interview finden Sie hier.
Es ist ein wichtiger Schritt für das autonome Fahren. Als erste Stadt der Welt hat die südchinesische Metropole Shenzhen autonomes Fahren in ihrem Stadtgebiet legalisiert und dazu entsprechende innovative Vorschriften entwickelt. Seit dem 1. August regeln sie die kommerzielle Nutzung sogenannter intelligenter Autos. Zugelassene autonome Autos dürfen seitdem in weiten Teilen der Stadt ohne einen Fahrer am Steuer betrieben werden – in einer 20-Millionen-Metropole, die zu den am dichtesten besiedelten Regionen der Welt gehört.
Schon seit 2020 können chinesische Pioniere des autonomen Fahrens wie AutoX (China.Table berichtete) in Shenzhen ihre Robotaxi-Dienste anbieten. Sie waren dabei aber bis jetzt auf das Stadtviertel Pingshan beschränkt, konnten dort aber immerhin in einem 168 Quadratkilometer großen Gebiet operieren. Jetzt erfolgt die Freigabe für das gesamte Stadtgebiet, das zweieinhalb Mal größer ist als das von Berlin.
Die Autos lassen sich per App rufen. Sie fahren in Pingshan ohne Sicherheitsfahrer. Bereits seit Juli 2021 produziert AutoX die Fahrzeuge in einer eigenen Produktionsanlage. Das System von AutoX befindet sich auf Stufe 4 der Automatisierung des Fahrens. Seit Mai hat das Unternehmen sein Unmanned Operation Center in Pingshan in Betrieb, das die Flotte ohne menschliche Hilfe koordiniert. Auch in anderen chinesischen Städten betreibt AutoX derartige Pilotprojekte; insgesamt sind mehr als 1.000 Fahrzeugen auf den Straßen. Damit ist das größte Robotaxi-Unternehmen weltweit. Es wurde erst 2016 gegründet.
Die stadtweite Regelung in Shenzhen ist vorerst noch vorsichtiger als die liberale Praxis im Stadtviertel Pingshan. Ein sogenannter Sicherheitsoperator, also eine im Wagen anwesende Person, ist stadtweit weiterhin erforderlich. Gleichzeitig schaffen Vorschriften in Shenzhen erstmals den Rahmen für die Haftung im Falle eines Unfalls. Sitzt ein Fahrer im autonomen Fahrzeug, ist er nach den neuen Vorschriften im Falle eines Unfalls schadenersatzpflichtig. Bei einem vollständig autonomen Fahrzeug ist der Eigentümer oder Betreiber des Fahrzeugs schadensersatzpflichtig.
Das ist eine wichtige Entscheidung und eine Entlastung für die Autohersteller. Denn lange gab es Diskussionen, ob die Hersteller und die Softwareentwickler haftbar gemacht werden sollen. Damit wird nunmehr deren Expansionsdrang nicht durch Haftungsrisiken gehemmt.
Die Technikmetropole im Süden Chinas verfolgt die Entwicklung des autonomen Fahrens als systematische Strategie (China.Table berichtete). Es gehört zu ihrem Geschäftsmodell, Zukunftstechnik zügig in die Anwendung zu bringen. Shenzhens Stadtregierung plant, dass ihre Smart-Vehicle-Industrie bis 2025 einen Umsatz von 200 Milliarden Yuan erreicht – rund 29 Milliarden Euro.
Nicht nur Marktführer AutoX ist in Shenzhen aktiv. Das Startup Deeproute.ai, das ebenfalls von Alibaba, aber auch dem chinesischen Autohersteller und Volvo-Besitzer Geely mitfinanziert wird, hat im Juli vergangenen Jahres mit einer Flotte von 70 autonomen Fahrzeugen den öffentlichen Robotaxi-Testbetrieb im Stadtteil Futian aufgenommen.
Baidu, das seinen Apollo-Go-Robotaxi-Fahrdienst (China.Table berichtete) im Februar im Nanshan-Distrikt von Shenzhen gestartet hat, will seinen Dienst bis 2025 auf 65 Städte und bis 2030 auf 100 Städte ausweiten. Noch bis Jahresende will Baidu seine bisherige autonome Flotte auf 600 Fahrzeuge verdoppeln – hinter AutoX die zweitgrößte Flotte.
Damit ist Shenzhen die weltweite Hochburg des autonomen Fahrens und die in Shenzhen entwickelten Regelungen sind maßgeblich für die landesweite Gesetzgebung. Denn Peking entwickelt parallel gerade neue Richtlinien dazu. Ein Richtlinienentwurf sowie eine Reihe neuer Vorschriften, schaffen die rechtliche Infrastruktur, um autonome Fahrzeuge alltagstauglich zu machen.
Chinas Verkehrsministerium erklärt nun, die Vorschriften würden es dem Land ermöglichen, “sich an die Entwicklung autonomer Fahrtechnologien anzupassen und die regulierte Anwendung selbstfahrender Fahrzeuge für Verkehrsdienste zu fördern und gleichzeitig die Sicherheit zu gewährleisten”. Bis zum 7. September nehmen die Behörden noch Stellungnahmen und Verbesserungsvorschläge zu den Entwürfen entgegen.
Da es auch landesweit so aussieht, als ob die Betreiber für Unfälle haften werden, legten die Aktien von Automobilzulieferern, insbesondere von Herstellern von Fahrerassistenzsystemen aufgrund der Nachricht kräftig zu. Selbst bei noch unbekannteren Unternehmen wie das in Shenzhen notierte Zhengzhou Tiamaes stieg der Kurs um 20 Prozent.
Zu den Nutznießern gehört auch der Smartphone- und Haushaltsgerätehersteller Xiaomi, der gerade eine neue Software für autonomes Fahren vorgestellt hat. Bei einer Präsentation in Peking führte das Unternehmen einen Testwagen vor, der verschiedene Fahrmanöver vollautomatisiert ausführen kann, darunter Wenden auf der Straße, Ausweichen, Linksabbiegen an Kreuzungen, Abbiegen im Kreisverkehr sowie gleichmäßiges Bergabfahren.
Xiaomi-Chef Lei Jun hatte im März 2021 angekündigt, in den kommenden zehn Jahren rund zehn Milliarden US-Dollar in die neue Autosparte des Unternehmens zu pumpen. Schon jetzt ist das Xiaomi-Team für die Autopilot-Entwicklung auf mehr als 500 Mitarbeiter angewachsen.
Der nationale Leitlinienentwurf sieht unter anderem vor, dass autonome Busse auf ausgewählten, abgeschlossenen Strecken verkehren, während selbstfahrende Taxis auf Straßen mit leichtem und kontrolliertem Verkehr eingesetzt werden dürfen. Die fahrerlose Beförderung von Gütern wird in bestimmten Gebieten erlaubt sein. In Fahrzeugen, die als bedingt- bzw. hoch-autonom eingestuft werden, muss nach wie vor ein menschlicher Fahrer an Bord sein, während für vollautonome Fahrzeuge ein Kontroll-Zentrum oder ein Sicherheitsbeauftragter erforderlich ist. Gefahrengut wie Sprengstoffe dürfen autonome Autos nach wie vor nicht befördern.
Die Betreiber von autonomen öffentlichen Verkehrsdiensten müssen außerdem eine Haftpflichtversicherung mit einer Deckungssumme von mehr als fünf Millionen Yuan (740.000 US-Dollar) sowie eine Versicherung für Arbeitssicherheit und Kfz-Haftpflicht abschließen. Bei Unfällen oder Systemausfällen muss das autonome Fahrzeug in der Lage sein, Daten aufzuzeichnen und zu speichern. Die Betreiber müssen diese Daten den lokalen Behörden zur Verfügung stellen. Insbesondere die 90 Sekunden vor und 30 Sekunden nach dem Vorfall erfassten Daten unterliegen der Aufzeichnungs- und Übergabepflicht.
Noch nicht so weit wie Shenzhen und China sind die USA. In Arizona fahren derzeit sieben Trucks auf der Strecke Tucson-Phoenix Arizona bereits ohne menschliche Fahrer. In Kalifornien wurde im Juni der Robotertaxi-Einheit Cruise LLC von General Motor (GM.N) die Erlaubnis erteilt, fahrerlose Taxifahrten in einem bestimmten Gebiet anzubieten.
Derzeit beantragt GM bei den Behörden, Fahrzeuge für den Alltagsbetrieb zulassen zu können, die kein Lenkrad und keine Pedalen mehr haben. Die Skepsis der Behörden ist jedoch groß. Insgesamt ist das autonome Fahren der Stufe vier noch auf dünnbesiedelte Testgebieten in einigen Bundesstaaten beschränkt. Eine landesweite Regelung ist noch nicht in Arbeit.
In China hingegen ist die Entwicklung des autonomen Fahrens eine Top-Priorität der mächtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC). In ihrem jüngsten Fünfjahresplan hat Peking das autonome Fahren zu einem Schlüsselbereich erklärt. Laut einem Bericht des Londoner Datendienstes IHS Markit könnte der chinesische Ride-Hailing-Markt bis 2030 jährlich um 20 bis 28 Prozent auf 2,25 Billionen Yuan anwachsen (rund 330 Milliarden Euro), wovon 60 Prozent auf Robotaxis entfallen werden.
Die japanische Regierung plant die Stationierung von mehr als 1.000 Marschflugkörpern auf vorgelagerten Inseln im Südwesten der eigenen Inselkette – also vor der chinesischen Küste in Richtung Taiwan. Das berichteten am Sonntag übereinstimmend die Zeitungen Asahi, Yomiuri und Nikkei aus Regierungsquellen. Ziel sei eine Verbesserung der Fähigkeit, feindliche Schiffe abzuwehren. Die Reichweite soll 1.000 Kilometer betragen.
Je nach genauem Ort der Abschussbasis liegen im Radius von 1.000 Kilometern große Teile des chinesischen Küstenlandes, aber auch Süd– und eventuell auch Nordkorea. Von der südlichen Hauptinsel Kyushu aus befinden sich eher der Raum Peking und die koreanische Halbinsel in Reichweite. Von den Okinawa-Inseln aus lässt sich das Seegebiet um Taiwan inklusive der Marinebasen der Volksrepublik abdecken.
Die Seezielflugkörper sollen später auch von Schiffen und Flugzeugen abgefeuert werden können. Es handelt sich den Berichten zufolge um die Weiterentwicklung eines bestehenden Typs, der bisher aber nur auf 100 Kilometer Reichweite kommt.
Für das kommende Jahr plane Japan eine kleine Erhöhung seines Militärhaushalts auf 5,5 Billionen Yen (knapp 40 Milliarden Euro), so die Zeitungen. Dieser Wert wäre im internationalen Vergleich jedoch niedrig. Deutschland kommt auf knapp 50 Milliarden Euro. Japan steckt nur ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in den Wehretat. Der Fokus liegt auf Seeverteidigung. fin
China nutzt die vergünstigten Rohstoffpreise, die Russland anbietet, und hat die Einfuhr von Kohle und Öl vom großen Nachbarn noch weiter erhöht. Daten des Pekinger Zollamts zufolge sind die russischen Ölimporte im Juli um 7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Die Kohleimporte aus Russland stiegen gar um rund 14 Prozent und erreichten mit 7,42 Millionen Tonnen den höchsten Wert seit fünf Jahren.
China ist derzeit der große Nutznießer von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Zwar hatte Peking vor Beginn des Krieges auch mit der Ukraine enge Geschäftsbeziehungen gepflegt. Die chinesische Führung aber hat Moskaus Vorgehen bis heute nicht verurteilt und schwört auf das angeblich gute russisch-chinesische Verhältnis. Einige große chinesische Firmen beteiligen sich inoffiziell dennoch an den Sanktionen, die die EU und die USA gegen Russland verhängt hat. Sie fürchten ansonsten, vom Westen mit sanktioniert zu werden. flee
Trotz der Debatte um eine geringere wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China (China.Table berichtete) hat sich die Entwicklung im ersten Halbjahr sogar verschärft. “Die deutschen Direktinvestitionsflüsse nach China waren noch nie so hoch“, heißt es in einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die der Nachrichtenagentur Reuters vorlag. Auch die Importe aus der Volksrepublik und das deutsche Defizit im Handel mit dem Land erreichten demnach Rekordwerte. Der chinesische Markt soll den Ökonomen zufolge offenbar immer mehr durch Produktion vor Ort statt durch Ausfuhren bedient werden.
Angesichts Chinas Verhalten beim Russland-Ukraine-Krieg und massiver Drohungen Pekings gegenüber Taiwan werde die Abhängigkeit zu einem politischen Problem, warnten die Kölner Forscher. Denn sollte es nach einem Einmarsch der Volksrepublik in Taiwan zu umfangreichen Sanktionen des Westens gegenüber China kommen, drohen aufgrund der hohen Importabhängigkeit nicht nur massive Engpässe bei vielen Zulieferungen aus dem Land. “Bei in China besonders exponierten deutschen Unternehmen könnte das dann absehbar kollabierende China-Geschäfts durch Einbußen auf der Absatzseite möglicherweise sogar in die Pleite führen.”
Nach Daten der Zahlungsbilanz habe die deutsche Wirtschaft allein zwischen Januar und Juni rund zehn Milliarden Euro in der Volksrepublik investiert. Seit der Jahrtausendwende betrug der Höchstwert in einem ersten Halbjahr nur 6,2 Milliarden Euro. “Der chinesische Absatzmarkt und die dort kurzfristig winkenden Gewinne erscheinen schlichtweg zu attraktiv zu sein.” Zudem werde China als Importeur für Deutschland immer wichtiger.
Das arbeitgebernahe Institut fordert deshalb ein Umsteuern der Politik, die bestehende Anreize für ein Engagement in der Volksrepublik rasch abbauen sollte. Es müsse auch mehr Diversifizierung geben und den Aufbau von Handels- und Investitionsbeziehungen mit anderen Schwellenländern, vor allem in Asien. Darüber hinaus sollte die Politik Unternehmen mit “starken Risikoexposures in China” zu einem angemessenen Risikomanagement bewegen. “Wir drohen sonst in ein ‘too big too fail’ reinzulaufen wie bei den Banken”, betonte Matthes. rtr/nib
Das Bundeswirtschaftsministerium stellt offenbar die Beteiligung der chinesischen Reederei Cosco am Hamburger Hafen infrage. Das berichtet das Handelsblatt unter Berufung auf Regierungskreise. Auf der Tagesordnung einer Sitzung des Bundeskabinetts an diesem Mittwoch befindet sich demnach ein entsprechender Tagesordnungspunkt. Minister Robert Habeck plant dem Bericht zufolge, die Beteiligung vollständig zu untersagen.
Die Stadt Hamburg und die Hafengesellschaft HHLA befürworten den Einstieg des chinesischen Investors (China.Table berichtete). Größter Kunde am Terminal Tollerort ist ohnehin Cosco. Die Idee, dass sich die Hafensparte des Unternehmens mit einer Kapitalbeteiligung einklinken könnte, entstand einvernehmlich. Eine Absage von deutsche Seite käme daher überraschend.
Habeck wiederum treibt die ohnehin schon große Abhängigkeit (China.Table berichtete) von China derzeit besonders um. Die Energieknappheit infolge des russischen Einmarschs in der Ukraine hat ihn für die Risiken der Verschränkung der deutschen Wirtschaft mit autoritären Regimen sensibilisiert. fin
Chinas Industrie für Erneuerbare Energien könnte bald einen Geldregen von 350 Milliarden Yuan (ca. 50 Milliarden Euro) erhalten. Die Entwickler und Betreiber von Wind- und Solar-Farmen warten seit Jahren auf die überfälligen Subventionszahlungen. Die Regierung hatte in den 2010er Jahren massive Subventionen versprochen. 2017 ging das Geld aus. Seitdem stauen sich überfällige Subventionsanträge in Höhe von 380 Milliarden Yuan. Jetzt haben die beiden großen Netzbetreiber State Grid und Southern Grid zwei Organisationen gegründet, um die überfälligen Zahlungen weiterzuleiten, wie die Beratungsagentur Trivium China berichtet.
Das Finanzministerium hatte im März Finanzmittel in Höhe von über 400 Milliarden Yuan bereitgestellt. Ein Großteil davon soll an die Projektentwickler fließen. Den Trivium-Analysten zufolge hat “der kolossale, jahrelange Rückstand bei den Subventionen für erneuerbare Energien die Glaubwürdigkeit der Zentralregierung bei Investitionen in neue Energien ernsthaft beschädigt”. Die verspätete Zahlung der Subventionen werde den Ruf der Regierung etwas verbessern, aber das “Vertrauen in die Unterstützung der Zentralregierung für erneuerbare Energien nicht vollständig wiederherstellen”, so die Einschätzung. nib
Ein Gericht in Shanghai hat am Freitag den chinesisch-kanadischen Milliardär Xiao Jianhua zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Es verhängte zudem eine Geldstrafe in Höhe von 55 Milliarden Yuan (acht Milliarden Euro) gegen sein Unternehmen Tomorrow Holdings. Xiao war vor fünf Jahren verschwunden und befand sich vermutlich seitdem in Haft.
Xiao und Tomorrow Holdings wurde Veruntreuung von Investorengeld und staatlichen Fördermitteln vorgeworfen. Das Geld soll zur Bestechung von Beamten verwendet worden sein. Das teilte das zuständige Mittlere Gericht in Shanghai mit.
Der in China geborene Xiao hatte beste Verbindungen zur Elite der Kommunistischen Partei. Er wurde zuletzt gesichtet, wie er in den frühen Morgenstunden in einem Rollstuhl und mit bedecktem Kopf aus einem Luxushotel in Hongkong gebracht wurde.
Von 2001 bis 2021 haben Xiao und Tomorrow Aktien, Immobilien, Bargeld und andere Vermögenswerte im Gesamtwert von mehr als 680 Millionen Yuan an Regierungsbeamte verschenkt, um sich der Regulierung durch die Finanzaufsicht zu entziehen. rtr/fin
Die jüngsten Entwicklungen in der Taiwan-Straße haben ein weiteres Mal demonstriert, dass die Welt nicht mehr so funktioniert, wie noch vor der Corona-Pandemie, vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine oder vor dieser Taiwan-Krise. Auf den Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, die Reise einer weiteren Delegation des US-Kongresses sowie die Ankündigung der Aufnahme formeller Verhandlungen über ein Handels- und Investitionsabkommen zwischen USA und Taiwan hat die Volksrepublik China nicht nur mit scharfer verbaler Kritik reagiert, sondern auch mit massiven Militärübungen und der Publikation eines Weißbuchs zu Taiwan.
Dabei sind drei Aspekte von Bedeutung. Zum einen hat sich auf Taiwan im Kontrast zu dem immer autoritäreren Regime auf dem Festland eine florierende Demokratie entwickelt, die gerade auch von der politischen Partizipation der jungen Bevölkerungsschicht lebt. Gleichzeitig ist – trotz aller Bemühungen der dortigen Regierung zur Diversifizierung – kein Ort auf der Welt wirtschaftlich so verbunden mit der Volksrepublik China wie das heutige Taiwan. Jedoch sorgt die wirtschaftliche Verflechtung zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße nicht für mehr Stabilität, sondern sie erhöht im Gegenteil die Unsicherheit und befördert ein Szenario, in dem die VR China Taiwan gar nicht unbedingt erobern muss: Eine Blockade oder dauerhafte Störung der Seewege durch Militärmanöver reicht aus, um die de facto Souveränität Taiwans ernsthaft in Gefahr zu bringen.
Zweitens hat die chinesische Führung mit ihrer Reaktion auf den Besuch Nancy Pelosis keinen Zweifel an ihrem Anspruch auf die Vormachtstellung in der Region und gegenüber den USA gelassen. Der chinesischen Führung unter Xi Jinping geht es in erster Linie darum, mit allen Mitteln eine größere Kompatibilität zwischen der regionalen und globalen Ordnung, deren Umbau Peking aktiv mitbetreibt, und den Zielen der Kommunistischen Partei Chinas herzustellen. Vorfälle wie jetzt in Taiwan werden folglich konsequent genutzt, um chinesische Standpunkte, beispielsweise das “Ein-China-Prinzip” (also das Prinzip, das es nur ein China auf der Welt gibt, repräsentiert durch die VR China, und wonach Taiwan untrennbarer Teil dieses einen Chinas ist) als internationale Norm zu setzen und zu zementieren.
Drittens findet diese Taiwan-Krise vor dem Hintergrund beinahe komplett zerrütteter sino-amerikanischer Beziehungen statt und trägt zu einer weiteren Verschärfung der Differenzen bei. Es gibt kaum noch offene bilaterale Kommunikationskanäle – die wenigen, die überhaupt noch existierten, hat die chinesische Führung in Reaktion auf den Pelosi-Besuch aufgekündigt oder auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Angesichts des Abbruchs etablierter Dialogformate ist immer schwerer vorstellbar, wie der wachsende Abgrund zwischen beiden Seiten überhaupt noch überwunden werden kann.
So ist diese Krise um Taiwan ein weiteres Beispiel dafür, dass die Welt von heute irgendwie aus den Fugen geraten erscheint. Was vormals galt, gilt nicht mehr. Rückwärtsgewandte Vergleiche wie die Diskussionen über einen neuen Kalten Krieg oder die Vorstellung, dass wir uns in einem Wettbewerb zwischen Autokratien vs. Demokratien befinden, erscheinen daher höchstens teilweise passend. Sie greifen zu kurz, weil wir einen historischen Wendepunkt durchleben; eine Zeitenwende, die nicht an nur einem politischen Ereignis festgemacht werden kann, sondern der ein Zusammenspiel von ineinander greifenden Krisen, Veränderungen und Erschütterungen zugrunde liegt.
Dies markiert den Beginn einer neuen, anderen Zeit, deren politische, wirtschaftliche und planetarische Konturen noch unsicher sind, und die gerade deshalb enorme Risiken birgt. Daraus folgt, dass Regierungen zusammenarbeiten müssen, auch wenn sie, beispielsweise in Wertefragen, fundamental unterschiedliche Sichtweisen haben. Dies ist anstrengend, voller Unwägbarkeiten, und mitunter ist ein hoher Preis zu bezahlen. Und dennoch geht es eben nur miteinander, damit sich die zunehmende diplomatische Funkstille zwischen den USA und China nicht als die Ruhe vor dem Sturm erweist. Ein bilaterales persönliches Treffen beider Staatsoberhäupter am Rande des G20- oder des APEC-Gipfels im November dieses Jahres wäre daher ein begrüßenswerter erster Schritt, wenn auch davon sicher kein Durchbruch zu erwarten ist.
Dr. Nadine Godehardt ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie beschäftigt sich mit dem politischen System Chinas, aber auch mit Kooperationen und Allianzen in der Region.
Dr. Gudrun Wacker ist Senior Fellow bei der Asien-Forschungsgruppe der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Ihre Forschungsschwerpunkte sind China und der Indopazifische Raum. Sie ist Expertin für die Beziehungen zwischen Taiwan und China.
Claudia Kosser hat den Posten des Managing Director, Head of Shanghai beim Beratungsunternehmen FGS Global übernommen. Davor war Kosser sieben Jahre für die Kommunikationsberatung Finsbury Glover Hering tätig, die im vergangenen Jahr mit drei weiteren Kommunikationsberatungen zu FGS Global fusionierte. Ihre Tätigkeitsorte waren Peking, Hongkong und zuletzt Shanghai, wo sich auch ihr jetziges Büro befindet.
Qiao Zhanwen verstärkt das Management-Team der Geschäftseinheit für Verbraucherkredite der Ant Group. Er wird Vizepräsident von Chongqing Ant Consumer Finance. Qiao war früher eine Führungskraft für Risikostrategie im Mikrokreditgeschäft von Ant.
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Haben Sie Ihren Schatz schon mal liebevoll Krümelchen genannt? Oder gar die lieben Kleinen? Nun, auf Chinesisch sollten Sie das tunlichst vermeiden. Dort wird das Wörtchen 渣 zhā “Krümel” nämlich meist alles andere als schmeichelhaft verstanden. Charakterschweine und sonstige unmoralische Vollpfosten schimpft man in China gerne als “Menschenkrümel” (人渣 rénzhā) oder einfach als “krümelig” (渣 zhā). Ein Wort, das man aber nicht auf die leichte Zunge nehmen sollte. Steckt man damit doch Leute verbal in die unterste Krümelschublade der Gesellschaft.
Die Horror-Version des Krümelmonsters möchte man derweil vielleicht als Racheakt engagieren, wenn sich die bessere Hälfte als “Krümelmann” beziehungsweise “Krümelfrau” entpuppt. 渣男 zhānán und 渣女 zhānǚ sind nämlich das chinesische Bröselpendant zum treulosen deutschen “Beziehungsschwein”.
Auch im Schulbetrieb wird es in China krümelig. Hier gibt es den einen oder anderen “Lernkrümel” (学渣 xuézhā). Das sind Lernmuffel und schlechte Schüler, die sich lieber verkrümeln, als sich beim Büffeln das Hirn zu zerbröseln. Wer dagegen schon beim Gedanken an sportliche Betätigung Reißaus nimmt und stattdessen lieber gemütlich die letzten Kuchenkrümel in Richtung Magengegend schiebt, schimpft sich in China “Sportkrümel” (体育渣 tǐyùzhā), also einen wenig talentierten Sport-Muffel.
Nur noch das Krümelmonster kann Ihnen wahrscheinlich helfen, wenn unter Ihren Füßen der Beton bröselt. Verpfuschte Bauprojekte mit Einsturzgefahr verspottet man im Reich der Mitte ebenfalls im Bröseljargon, nämlich als “Tofukrümelkonstruktionen” (豆腐渣工程 dòufuzhā gōngchéng). Vielleicht waren statt Mörtel ja Tofu-Rückstände (豆腐渣 dòufuzhā) im Zementmischer, so wird geunkt.
Diese gibt es übrigens wirklich! Als 豆腐渣 dòufuzhā oder kurz 豆渣 dòuzhā bezeichnet man die bröseligen Rückstände, die bei der Herstellung von Bohnenquark oder Sojamilch entstehen. Natürlich darf im Reich der Feinschmecker nichts verkommen. Und so wird das Nebenprodukt unter Zugabe weiterer Zutaten zu schmackhaften Schlemmereien wie würzigem Tofukrümelbrei oder Tofukrümelbällchen aufgemotzt. Aber mal ehrlich: in Sachen Krümel-Kreationen lassen wir uns ja auch nicht lumpen. Vom Krümelkuchen bis zu Krümelnudeln finden sich online hunderte deutschsprachige Rezepttreffer. Der Krümelkreativität sind also kaum Grenzen gesetzt – sprachlich wie kulinarisch.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
die EU steht unter Druck, sich gegenüber China zu positionieren, zumal die USA bereits eine ausdrücklich kritische Haltung eingenommen haben. Bernd Lange sagt uns im Interview, wie derzeit in Brüssel die Weichen gestellt werden. Der SPD-Abgeordnete im Europaparlament sitzt dort dem Handelsausschuss vor. Er muss sich also laufend mit China beschäftigen. Derzeit treiben ihn das Zwangsarbeits-Verbot, das Lieferkettengesetz und das Instrument gegen wirtschaftlichen Druck um.
Lange vertritt im Gespräch mit Amelie Richter und Europe.Table auch kontroverse Positionen. So befürwortet er die Aufnahme von Handelsgesprächen mit Taiwan – einen Schritt, den die USA bereits vormachen. Auf China wirken solche offiziellen Kontakte zu Taipeh stets als Provokation. In Washington wittert Lange denn auch eine regelrechte “Anti-China-Politik”. Für die EU liege es dagegen nicht im eigenen Interesse, China zu isolieren. Dennoch sieht Lange die beste Position für die EU nahe an den USA, schließlich passen die Werte hier besser zusammen.
Das autonome Fahren liegt dem China.Table in der Berichterstattung besonders am Herzen. Wir haben das Gefühl, wieder so eine Entwicklung vor uns zu haben, bei der Asien voranprescht – die behäbigere deutsche Industrie könnte das Nachsehen haben. Wenn es dann um den Schritt in die Anwendung geht, überwiegen in Deutschland zuverlässig im entscheidenden Moment die Zweifel – nicht nur an der Sicherheit der Neuerung, sondern auch am grundsätzlichen Sinn der Sache. Erst, wenn sich die Technik in Asien bereits durchgesetzt hat, wacht Europa auf.
In China streben die Hersteller selbstfahrender Autos nun bereits in den Alltag, analysiert Frank Sieren. Entscheidend sind in der derzeitigen Phase nicht mehr die Software-Leute, sondern die Bürokraten. Das zuständige Ministerium in Peking entwickelt derzeit Regeln, die zum Beispiel die Haftungsfragen beantworten. Vorbild ist hier die Stadt Shenzhen, die sich mit vielen dieser regulatorischen Probleme schon auseinandergesetzt hat.
Herr Lange, beschert die geopolitische Lage der Handelspolitik neuen Schub?
Absolut. Auch im Europaparlament beobachte ich bei Kolleginnen und Kollegen, die zuletzt im handelskritischen Mainstream mitgelaufen sind, dass die Frage stabiler, widerstandsfähiger, Beziehungen zu Ländern eine größere Bedeutung bekommen hat.
Im Lichte der Entwicklungen in den vergangenen Wochen wird ein bilaterales Investitions- und vielleicht Handelsabkommen mit Taiwan immer attraktiver. Das EU-Parlament fordert das bereits seit längerem, es bewegt sich aber nichts. Woran hakt es?
Die politische Einschätzung der EU-Kommission ist, dass das erstens ökonomisch nicht notwendig ist und zweitens zusätzliche Probleme hinsichtlich der “Ein-China-Politik” hervorrufen würde. Ich sehe das überhaupt nicht so. Wir haben ja immer Dinge, die wir mit der Volksrepublik China diskutiert und gemacht haben, dann auch parallel mit Taiwan angegangen. Es ist mehr eine Frage der gesamtpolitischen Einschätzung der EU-Kommission als Ganze und nicht unbedingt nur des Willens der EU-Generaldirektion für Handel. Wenn wir diese Dinge mit der Handelsdirektion besprechen, stehen immer auch die Vorbehalte des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) im Raum.
Es gibt einen internen Konflikt zwischen der EU-Handelsdirektion und dem EEAS, wenn es um Taiwan geht. Liegt es daran?
Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es ein Konflikt ist. Aber es gibt unterschiedliche Einschätzungen.
Sehen Sie denn eine Gefahr, dass Peking ein Abkommen mit Taiwan ähnlich konfrontativ beantworten würde, wie es jetzt bei der Pelosi-Reise der Fall war?
Das muss im Kontext des Investitionsabkommens CAI gesehen werden. Wenn wir ein ähnliches Abkommen, wie wir es mit der Volksrepublik ausgehandelt haben, mit Taiwan schließen würden, dann gibt es keinen rationalen Grund für eine solche Reaktion. Wenn ein Abkommen mit Taiwan über das CAI hinausgehen würde, dann würde das sicherlich zu einer Eskalation führen.
Der Handelsausschuss des Europaparlaments, dem ich vorsitze, plant für Dezember eine Delegationsreise nach Taiwan. Wer teilnehmen wird und wie die Agenda genau aussieht, steht noch nicht fest. Aber es wird dabei dann um die Frage eines Investitionsabkommen gehen und um die Frage der Stabilisierung von Lieferketten.
Seit Frau Pelosis Reise hat Peking aggressiver auf Besuch in Taiwan reagiert und beispielsweise auch die litauische Vize-Verkehrsministerin deswegen sanktioniert. Gibt es da keine Bedenken im Ausschuss?
Nein. Manchmal hört man ja auch, dass innerhalb der chinesischen Regierung unterschiedliche Bewertungen solcher Reisen getroffen werden. Das muss man abwarten. Es waren ja auch schon EU-Abgeordnete in Taiwan, ohne dass sie sanktioniert worden sind. Das wird sehr stark darauf ankommen, wie man den Besuch positioniert.
Macht es denn Sinn, ein Investitionsabkommen mit Taiwan im Hinterkopf zu haben, wenn die ausführende EU-Kommission bei dieser Idee noch nicht wirklich aufgesprungen ist?
Wir müssen sehen, wie sich das weiterentwickelt. Ich glaube, dass das Parlament auch ein bisschen Einfluss gegenüber der Kommission hat.
Da Sie das CAI erwähnt haben, gibt es da denn etwas Neues? Bewegt sich etwas?
Nein, wir haben ganz tief im Tiefkühlfach des Kühlschranks zwei Abkommen liegen. Das sind CAI und Mercosur. Solange die politischen Gegebenheiten so sind, wie sie sind, werden beide Abkommen dort auch bleiben. Bei Mercosur müssen wir die Wahl in Brasilien abwarten. Was das CAI betrifft, gab es beim Handelsdialog im Juli keine signifikanten Fortschritte hinsichtlich der politischen Fragen zu den Sanktionen gegen EU-Abgeordnete. Deswegen bewegt sich da nichts.
Sie waren vor einigen Wochen zu Besuch in Washington. Gab es dort auch Gespräche über mögliche Kooperationen zwischen der EU, den USA und Taiwan im Bereich der Halbleiter?
Nein, darüber haben wir nicht gesprochen. Die Anti-China-Politik stand aber stark im Vordergrund. Der große Konkurrent, die Gefahr für Washington, ist China. Das ist eine Linie, die sich durch die Gespräche gezogen hat. Und man sieht es auch in der nationalen Politik der USA. Bei dem Klima- und Sozialpaket, was nun verabschiedet worden ist, ist auch die Förderung von Elektroautos enthalten. Dort ist die klare Ansage, dass Produkte, die zurzeit hauptsächlich in China hergestellt werden, nicht in das Förderprogramm einfließen. Sondern nur Batterien und auch Rohstoffe, die in den USA produziert werden. Das ist Anti-China-Politik. Das heißt aber auch, dass europäische Autos ebenfalls nicht gefördert werden. Die Interessenslagen der Vereinigten Staaten sind sehr stark auf das eigene Land ausgerichtet.
Wie antworten Sie Ihren US-Gesprächspartnern denn bei sowas? Bisher hat die EU im Handelsstreit zwischen den USA und China immer ihren Mittelweg betont. Lässt sich diese Position noch weiter halten, auch angesichts des Kriegs in der Ukraine?
Wir stehen nicht dazwischen, wir sind Werte-mäßig klar mit den USA verbunden. Aber wir haben unterschiedliche Interessen. Das muss man auch immer wieder sagen. Die Position, China mit allen wirtschaftlichen Mitteln niederzuhalten und damit die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten ökonomisch zu sichern, ist sicherlich nicht in unserem Interesse. Es kann nicht gelingen, China politisch oder ökonomisch zu isolieren. Dort, wo man kooperieren und Einfluss haben kann, sollte man das auch nutzen. Die Zeit einer bipolaren Welt ist vorbei, und die Rückkehr zu so einer Weltordnung ist nicht realistisch. Von daher gibt es diese Diskussionen auch mit unseren amerikanischen Freunden.
Ließe sich diese Haltung gegenüber China auch noch durchhalten, wenn es tatsächlich zu Aggressionen gegen Taiwan kommt?
Nein, keinesfalls. Das wurde auch beim Wirtschaftsdialog im Juli deutlich gesagt. Wenn es aggressive Handlungen gegenüber Taiwan geben wird, dann wird mit Sanktionen und harter Politik reagiert werden. Eine Studie des ifo-Instituts hat jüngst angedeutet, dass so ein Szenario erhebliche Wohlstandsverluste in Europa bedeuten würde. Aber da gibt es überhaupt kein Vertun, dann gibt es keine Möglichkeiten der Kooperation mehr.
Müsste angesichts dessen noch stärker auf den Handel mit Gleichgesinnten gesetzt werden und damit auch die handelspolitische Zusammenarbeit mit den USA ambitionierter werden?
In den USA ist es zurzeit überhaupt nicht möglich, ein Mandat des Kongresses für ein Handelsabkommen mit der EU zu bekommen. Insofern gibt es im Moment diese eher niederschwellige Zusammenarbeit und den Austausch, was ich im Grunde sinnvoll finde. Was China betrifft und die damit verbundene Unsicherheit gibt das natürlich auch eine Chance für andere Länder im asiatischen Raum. Wir haben einen Handelsvertrag mit Vietnam, einem sehr dynamischen Land. Ich beobachte sehr erfreut, dass Unternehmen Investitionen in Vietnam tätigen. Oder auch in Indonesien.
Müsste man nicht versuchen, mit dem gesamten ASEAN-Raum ein Abkommen zu schließen?
Ja klar. Aber bei ASEAN sind auch Kambodscha und Myanmar an Bord. Und ob der Sohn des Diktators in den Philippinen besser ist als sein Vater, da wäre ich mir auch nicht sicher. Es gibt in der Region auch Probleme. Wir verhandeln im Moment sehr konstruktiv mit Indonesien und Malaysia. Theoretisch wäre ein Abkommen mit den ASEAN insgesamt die beste Situation. Aber das ist politisch nicht realistisch.
Der Vorschlag der EU-Kommission für ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit ist für September angesetzt. Was erwarten Sie?
Es wird ein Vermarktungsverbot von Produkten aus Zwangsarbeit geben. So ist es auch möglich, dass Zwangsarbeit innerhalb der Europäischen Union diskriminiert wird und diese Produkte nicht auf dem Markt gelassen werden. In Fragen der Evidenz solle eng mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zusammengearbeitet werden. Dann muss das natürlich noch in den ILO-Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden.
Am US-Zoll stauen sich wegen des Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) derzeit die Solarpanels aus China. Kann sowas mit dem geplanten Vermarktungsverbot besser vermieden werden?
Bei UFLPA haben die Behörden die Nachweispflicht umgedreht. Es wird generell davon ausgegangen, dass alles mit Zwangsarbeit hergestellt wurde und die Unternehmen müssen das Gegenteil beweisen. Das ist bei uns nicht realistisch. Im Rahmen des UFLPA gibt es aber auch eine Dialogphase, was ich interessant finde. Es geht ja auch darum, die Situation vor Ort zur verbessern und das ist so eher möglich.
Wie genau wird das Vermarktungsverbot denn funktionieren?
Wo es einen Verdacht der Zwangsarbeit gibt, muss man sich das genau ansehen. Dabei spielt sicherlich auch die ILO eine entscheidende Rolle, die das entsprechend überprüft. Dann kann, natürlich mit einem gewissen Vorlauf, gesagt werden: “Die Tomaten aus Land X der EU dürfen nicht mehr vermarktet werden” oder “Die Christbaumkugeln aus Xinjiang dürfen nicht mehr vermarktet werden” und dann müssen die Importeure eben entsprechend reagieren. Dass mit einem Eingreifen so lange gewartet wird, bis die Ware an den Hafen kommt und sie dann nicht reinlässt, hilft wenig. Die Konsequenz ist dann, dass die Produkte woanders verschachert werden.
Mit einem Vermarktungsverbot könnte das aber auch passieren. Die Güter werden in anderen Märkten vermarktet und verkauft. Eben nur nicht bei uns.
Dabei ist die Frage, wie stark das Marktvolumen dann noch ist und wie wichtig es für Importeure ist, tätig zu werden. Das muss man sehen.
Was steht nach der Sommerpause sonst noch auf Ihrer Agenda?
Das Vorgehen gegen Zwangsarbeit ist sicherlich eine wichtige Gesetzgebung. Dann kommt noch das Lieferketten-Gesetz auf den Tisch. Dazu beginnen jetzt die aktiven Beratungen. Die Zuständigkeit innerhalb der EU-Kommission ist allerdings noch nicht hundertprozentig geklärt. Es gibt einen Vorschlag, dass der Justiz-Ausschuss den Lead hat, aber das ist noch nicht bestätigt. Dazu kommt noch die Gesetzgebung gegen wirtschaftlichen Zwang, das “Anti-Coercion Instrument”. Hier muss der Umfang und die Definition klarer werden. Das möchten wir im Oktober im EU-Parlament verabschieden und dann hoffentlich noch unter der tschechischen Ratspräsidentschaft den Trilog führen. Vor allem Litauen macht hier intern Druck.
Bernd Lange ist seit 1994 mit einer Unterbrechung (2005-2009) Abgeordneter im EU-Parlament. Der Oldenburger ist seit Juli 2014 Vorsitzender des Handelsausschusses. Lange ist zudem Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu Südostasien und den ASEAN-Staaten im Europaparlament.
Unseren Kollegen von Europe.Table hat Lange weitere Fragen zur EU-Handelspolitik mit den USA, potenzielle Handelsabkommen mit Indien und Australien sowie den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck in Kanada beantwortet. Das Interview finden Sie hier.
Es ist ein wichtiger Schritt für das autonome Fahren. Als erste Stadt der Welt hat die südchinesische Metropole Shenzhen autonomes Fahren in ihrem Stadtgebiet legalisiert und dazu entsprechende innovative Vorschriften entwickelt. Seit dem 1. August regeln sie die kommerzielle Nutzung sogenannter intelligenter Autos. Zugelassene autonome Autos dürfen seitdem in weiten Teilen der Stadt ohne einen Fahrer am Steuer betrieben werden – in einer 20-Millionen-Metropole, die zu den am dichtesten besiedelten Regionen der Welt gehört.
Schon seit 2020 können chinesische Pioniere des autonomen Fahrens wie AutoX (China.Table berichtete) in Shenzhen ihre Robotaxi-Dienste anbieten. Sie waren dabei aber bis jetzt auf das Stadtviertel Pingshan beschränkt, konnten dort aber immerhin in einem 168 Quadratkilometer großen Gebiet operieren. Jetzt erfolgt die Freigabe für das gesamte Stadtgebiet, das zweieinhalb Mal größer ist als das von Berlin.
Die Autos lassen sich per App rufen. Sie fahren in Pingshan ohne Sicherheitsfahrer. Bereits seit Juli 2021 produziert AutoX die Fahrzeuge in einer eigenen Produktionsanlage. Das System von AutoX befindet sich auf Stufe 4 der Automatisierung des Fahrens. Seit Mai hat das Unternehmen sein Unmanned Operation Center in Pingshan in Betrieb, das die Flotte ohne menschliche Hilfe koordiniert. Auch in anderen chinesischen Städten betreibt AutoX derartige Pilotprojekte; insgesamt sind mehr als 1.000 Fahrzeugen auf den Straßen. Damit ist das größte Robotaxi-Unternehmen weltweit. Es wurde erst 2016 gegründet.
Die stadtweite Regelung in Shenzhen ist vorerst noch vorsichtiger als die liberale Praxis im Stadtviertel Pingshan. Ein sogenannter Sicherheitsoperator, also eine im Wagen anwesende Person, ist stadtweit weiterhin erforderlich. Gleichzeitig schaffen Vorschriften in Shenzhen erstmals den Rahmen für die Haftung im Falle eines Unfalls. Sitzt ein Fahrer im autonomen Fahrzeug, ist er nach den neuen Vorschriften im Falle eines Unfalls schadenersatzpflichtig. Bei einem vollständig autonomen Fahrzeug ist der Eigentümer oder Betreiber des Fahrzeugs schadensersatzpflichtig.
Das ist eine wichtige Entscheidung und eine Entlastung für die Autohersteller. Denn lange gab es Diskussionen, ob die Hersteller und die Softwareentwickler haftbar gemacht werden sollen. Damit wird nunmehr deren Expansionsdrang nicht durch Haftungsrisiken gehemmt.
Die Technikmetropole im Süden Chinas verfolgt die Entwicklung des autonomen Fahrens als systematische Strategie (China.Table berichtete). Es gehört zu ihrem Geschäftsmodell, Zukunftstechnik zügig in die Anwendung zu bringen. Shenzhens Stadtregierung plant, dass ihre Smart-Vehicle-Industrie bis 2025 einen Umsatz von 200 Milliarden Yuan erreicht – rund 29 Milliarden Euro.
Nicht nur Marktführer AutoX ist in Shenzhen aktiv. Das Startup Deeproute.ai, das ebenfalls von Alibaba, aber auch dem chinesischen Autohersteller und Volvo-Besitzer Geely mitfinanziert wird, hat im Juli vergangenen Jahres mit einer Flotte von 70 autonomen Fahrzeugen den öffentlichen Robotaxi-Testbetrieb im Stadtteil Futian aufgenommen.
Baidu, das seinen Apollo-Go-Robotaxi-Fahrdienst (China.Table berichtete) im Februar im Nanshan-Distrikt von Shenzhen gestartet hat, will seinen Dienst bis 2025 auf 65 Städte und bis 2030 auf 100 Städte ausweiten. Noch bis Jahresende will Baidu seine bisherige autonome Flotte auf 600 Fahrzeuge verdoppeln – hinter AutoX die zweitgrößte Flotte.
Damit ist Shenzhen die weltweite Hochburg des autonomen Fahrens und die in Shenzhen entwickelten Regelungen sind maßgeblich für die landesweite Gesetzgebung. Denn Peking entwickelt parallel gerade neue Richtlinien dazu. Ein Richtlinienentwurf sowie eine Reihe neuer Vorschriften, schaffen die rechtliche Infrastruktur, um autonome Fahrzeuge alltagstauglich zu machen.
Chinas Verkehrsministerium erklärt nun, die Vorschriften würden es dem Land ermöglichen, “sich an die Entwicklung autonomer Fahrtechnologien anzupassen und die regulierte Anwendung selbstfahrender Fahrzeuge für Verkehrsdienste zu fördern und gleichzeitig die Sicherheit zu gewährleisten”. Bis zum 7. September nehmen die Behörden noch Stellungnahmen und Verbesserungsvorschläge zu den Entwürfen entgegen.
Da es auch landesweit so aussieht, als ob die Betreiber für Unfälle haften werden, legten die Aktien von Automobilzulieferern, insbesondere von Herstellern von Fahrerassistenzsystemen aufgrund der Nachricht kräftig zu. Selbst bei noch unbekannteren Unternehmen wie das in Shenzhen notierte Zhengzhou Tiamaes stieg der Kurs um 20 Prozent.
Zu den Nutznießern gehört auch der Smartphone- und Haushaltsgerätehersteller Xiaomi, der gerade eine neue Software für autonomes Fahren vorgestellt hat. Bei einer Präsentation in Peking führte das Unternehmen einen Testwagen vor, der verschiedene Fahrmanöver vollautomatisiert ausführen kann, darunter Wenden auf der Straße, Ausweichen, Linksabbiegen an Kreuzungen, Abbiegen im Kreisverkehr sowie gleichmäßiges Bergabfahren.
Xiaomi-Chef Lei Jun hatte im März 2021 angekündigt, in den kommenden zehn Jahren rund zehn Milliarden US-Dollar in die neue Autosparte des Unternehmens zu pumpen. Schon jetzt ist das Xiaomi-Team für die Autopilot-Entwicklung auf mehr als 500 Mitarbeiter angewachsen.
Der nationale Leitlinienentwurf sieht unter anderem vor, dass autonome Busse auf ausgewählten, abgeschlossenen Strecken verkehren, während selbstfahrende Taxis auf Straßen mit leichtem und kontrolliertem Verkehr eingesetzt werden dürfen. Die fahrerlose Beförderung von Gütern wird in bestimmten Gebieten erlaubt sein. In Fahrzeugen, die als bedingt- bzw. hoch-autonom eingestuft werden, muss nach wie vor ein menschlicher Fahrer an Bord sein, während für vollautonome Fahrzeuge ein Kontroll-Zentrum oder ein Sicherheitsbeauftragter erforderlich ist. Gefahrengut wie Sprengstoffe dürfen autonome Autos nach wie vor nicht befördern.
Die Betreiber von autonomen öffentlichen Verkehrsdiensten müssen außerdem eine Haftpflichtversicherung mit einer Deckungssumme von mehr als fünf Millionen Yuan (740.000 US-Dollar) sowie eine Versicherung für Arbeitssicherheit und Kfz-Haftpflicht abschließen. Bei Unfällen oder Systemausfällen muss das autonome Fahrzeug in der Lage sein, Daten aufzuzeichnen und zu speichern. Die Betreiber müssen diese Daten den lokalen Behörden zur Verfügung stellen. Insbesondere die 90 Sekunden vor und 30 Sekunden nach dem Vorfall erfassten Daten unterliegen der Aufzeichnungs- und Übergabepflicht.
Noch nicht so weit wie Shenzhen und China sind die USA. In Arizona fahren derzeit sieben Trucks auf der Strecke Tucson-Phoenix Arizona bereits ohne menschliche Fahrer. In Kalifornien wurde im Juni der Robotertaxi-Einheit Cruise LLC von General Motor (GM.N) die Erlaubnis erteilt, fahrerlose Taxifahrten in einem bestimmten Gebiet anzubieten.
Derzeit beantragt GM bei den Behörden, Fahrzeuge für den Alltagsbetrieb zulassen zu können, die kein Lenkrad und keine Pedalen mehr haben. Die Skepsis der Behörden ist jedoch groß. Insgesamt ist das autonome Fahren der Stufe vier noch auf dünnbesiedelte Testgebieten in einigen Bundesstaaten beschränkt. Eine landesweite Regelung ist noch nicht in Arbeit.
In China hingegen ist die Entwicklung des autonomen Fahrens eine Top-Priorität der mächtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC). In ihrem jüngsten Fünfjahresplan hat Peking das autonome Fahren zu einem Schlüsselbereich erklärt. Laut einem Bericht des Londoner Datendienstes IHS Markit könnte der chinesische Ride-Hailing-Markt bis 2030 jährlich um 20 bis 28 Prozent auf 2,25 Billionen Yuan anwachsen (rund 330 Milliarden Euro), wovon 60 Prozent auf Robotaxis entfallen werden.
Die japanische Regierung plant die Stationierung von mehr als 1.000 Marschflugkörpern auf vorgelagerten Inseln im Südwesten der eigenen Inselkette – also vor der chinesischen Küste in Richtung Taiwan. Das berichteten am Sonntag übereinstimmend die Zeitungen Asahi, Yomiuri und Nikkei aus Regierungsquellen. Ziel sei eine Verbesserung der Fähigkeit, feindliche Schiffe abzuwehren. Die Reichweite soll 1.000 Kilometer betragen.
Je nach genauem Ort der Abschussbasis liegen im Radius von 1.000 Kilometern große Teile des chinesischen Küstenlandes, aber auch Süd– und eventuell auch Nordkorea. Von der südlichen Hauptinsel Kyushu aus befinden sich eher der Raum Peking und die koreanische Halbinsel in Reichweite. Von den Okinawa-Inseln aus lässt sich das Seegebiet um Taiwan inklusive der Marinebasen der Volksrepublik abdecken.
Die Seezielflugkörper sollen später auch von Schiffen und Flugzeugen abgefeuert werden können. Es handelt sich den Berichten zufolge um die Weiterentwicklung eines bestehenden Typs, der bisher aber nur auf 100 Kilometer Reichweite kommt.
Für das kommende Jahr plane Japan eine kleine Erhöhung seines Militärhaushalts auf 5,5 Billionen Yen (knapp 40 Milliarden Euro), so die Zeitungen. Dieser Wert wäre im internationalen Vergleich jedoch niedrig. Deutschland kommt auf knapp 50 Milliarden Euro. Japan steckt nur ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in den Wehretat. Der Fokus liegt auf Seeverteidigung. fin
China nutzt die vergünstigten Rohstoffpreise, die Russland anbietet, und hat die Einfuhr von Kohle und Öl vom großen Nachbarn noch weiter erhöht. Daten des Pekinger Zollamts zufolge sind die russischen Ölimporte im Juli um 7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Die Kohleimporte aus Russland stiegen gar um rund 14 Prozent und erreichten mit 7,42 Millionen Tonnen den höchsten Wert seit fünf Jahren.
China ist derzeit der große Nutznießer von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Zwar hatte Peking vor Beginn des Krieges auch mit der Ukraine enge Geschäftsbeziehungen gepflegt. Die chinesische Führung aber hat Moskaus Vorgehen bis heute nicht verurteilt und schwört auf das angeblich gute russisch-chinesische Verhältnis. Einige große chinesische Firmen beteiligen sich inoffiziell dennoch an den Sanktionen, die die EU und die USA gegen Russland verhängt hat. Sie fürchten ansonsten, vom Westen mit sanktioniert zu werden. flee
Trotz der Debatte um eine geringere wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China (China.Table berichtete) hat sich die Entwicklung im ersten Halbjahr sogar verschärft. “Die deutschen Direktinvestitionsflüsse nach China waren noch nie so hoch“, heißt es in einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die der Nachrichtenagentur Reuters vorlag. Auch die Importe aus der Volksrepublik und das deutsche Defizit im Handel mit dem Land erreichten demnach Rekordwerte. Der chinesische Markt soll den Ökonomen zufolge offenbar immer mehr durch Produktion vor Ort statt durch Ausfuhren bedient werden.
Angesichts Chinas Verhalten beim Russland-Ukraine-Krieg und massiver Drohungen Pekings gegenüber Taiwan werde die Abhängigkeit zu einem politischen Problem, warnten die Kölner Forscher. Denn sollte es nach einem Einmarsch der Volksrepublik in Taiwan zu umfangreichen Sanktionen des Westens gegenüber China kommen, drohen aufgrund der hohen Importabhängigkeit nicht nur massive Engpässe bei vielen Zulieferungen aus dem Land. “Bei in China besonders exponierten deutschen Unternehmen könnte das dann absehbar kollabierende China-Geschäfts durch Einbußen auf der Absatzseite möglicherweise sogar in die Pleite führen.”
Nach Daten der Zahlungsbilanz habe die deutsche Wirtschaft allein zwischen Januar und Juni rund zehn Milliarden Euro in der Volksrepublik investiert. Seit der Jahrtausendwende betrug der Höchstwert in einem ersten Halbjahr nur 6,2 Milliarden Euro. “Der chinesische Absatzmarkt und die dort kurzfristig winkenden Gewinne erscheinen schlichtweg zu attraktiv zu sein.” Zudem werde China als Importeur für Deutschland immer wichtiger.
Das arbeitgebernahe Institut fordert deshalb ein Umsteuern der Politik, die bestehende Anreize für ein Engagement in der Volksrepublik rasch abbauen sollte. Es müsse auch mehr Diversifizierung geben und den Aufbau von Handels- und Investitionsbeziehungen mit anderen Schwellenländern, vor allem in Asien. Darüber hinaus sollte die Politik Unternehmen mit “starken Risikoexposures in China” zu einem angemessenen Risikomanagement bewegen. “Wir drohen sonst in ein ‘too big too fail’ reinzulaufen wie bei den Banken”, betonte Matthes. rtr/nib
Das Bundeswirtschaftsministerium stellt offenbar die Beteiligung der chinesischen Reederei Cosco am Hamburger Hafen infrage. Das berichtet das Handelsblatt unter Berufung auf Regierungskreise. Auf der Tagesordnung einer Sitzung des Bundeskabinetts an diesem Mittwoch befindet sich demnach ein entsprechender Tagesordnungspunkt. Minister Robert Habeck plant dem Bericht zufolge, die Beteiligung vollständig zu untersagen.
Die Stadt Hamburg und die Hafengesellschaft HHLA befürworten den Einstieg des chinesischen Investors (China.Table berichtete). Größter Kunde am Terminal Tollerort ist ohnehin Cosco. Die Idee, dass sich die Hafensparte des Unternehmens mit einer Kapitalbeteiligung einklinken könnte, entstand einvernehmlich. Eine Absage von deutsche Seite käme daher überraschend.
Habeck wiederum treibt die ohnehin schon große Abhängigkeit (China.Table berichtete) von China derzeit besonders um. Die Energieknappheit infolge des russischen Einmarschs in der Ukraine hat ihn für die Risiken der Verschränkung der deutschen Wirtschaft mit autoritären Regimen sensibilisiert. fin
Chinas Industrie für Erneuerbare Energien könnte bald einen Geldregen von 350 Milliarden Yuan (ca. 50 Milliarden Euro) erhalten. Die Entwickler und Betreiber von Wind- und Solar-Farmen warten seit Jahren auf die überfälligen Subventionszahlungen. Die Regierung hatte in den 2010er Jahren massive Subventionen versprochen. 2017 ging das Geld aus. Seitdem stauen sich überfällige Subventionsanträge in Höhe von 380 Milliarden Yuan. Jetzt haben die beiden großen Netzbetreiber State Grid und Southern Grid zwei Organisationen gegründet, um die überfälligen Zahlungen weiterzuleiten, wie die Beratungsagentur Trivium China berichtet.
Das Finanzministerium hatte im März Finanzmittel in Höhe von über 400 Milliarden Yuan bereitgestellt. Ein Großteil davon soll an die Projektentwickler fließen. Den Trivium-Analysten zufolge hat “der kolossale, jahrelange Rückstand bei den Subventionen für erneuerbare Energien die Glaubwürdigkeit der Zentralregierung bei Investitionen in neue Energien ernsthaft beschädigt”. Die verspätete Zahlung der Subventionen werde den Ruf der Regierung etwas verbessern, aber das “Vertrauen in die Unterstützung der Zentralregierung für erneuerbare Energien nicht vollständig wiederherstellen”, so die Einschätzung. nib
Ein Gericht in Shanghai hat am Freitag den chinesisch-kanadischen Milliardär Xiao Jianhua zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Es verhängte zudem eine Geldstrafe in Höhe von 55 Milliarden Yuan (acht Milliarden Euro) gegen sein Unternehmen Tomorrow Holdings. Xiao war vor fünf Jahren verschwunden und befand sich vermutlich seitdem in Haft.
Xiao und Tomorrow Holdings wurde Veruntreuung von Investorengeld und staatlichen Fördermitteln vorgeworfen. Das Geld soll zur Bestechung von Beamten verwendet worden sein. Das teilte das zuständige Mittlere Gericht in Shanghai mit.
Der in China geborene Xiao hatte beste Verbindungen zur Elite der Kommunistischen Partei. Er wurde zuletzt gesichtet, wie er in den frühen Morgenstunden in einem Rollstuhl und mit bedecktem Kopf aus einem Luxushotel in Hongkong gebracht wurde.
Von 2001 bis 2021 haben Xiao und Tomorrow Aktien, Immobilien, Bargeld und andere Vermögenswerte im Gesamtwert von mehr als 680 Millionen Yuan an Regierungsbeamte verschenkt, um sich der Regulierung durch die Finanzaufsicht zu entziehen. rtr/fin
Die jüngsten Entwicklungen in der Taiwan-Straße haben ein weiteres Mal demonstriert, dass die Welt nicht mehr so funktioniert, wie noch vor der Corona-Pandemie, vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine oder vor dieser Taiwan-Krise. Auf den Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, die Reise einer weiteren Delegation des US-Kongresses sowie die Ankündigung der Aufnahme formeller Verhandlungen über ein Handels- und Investitionsabkommen zwischen USA und Taiwan hat die Volksrepublik China nicht nur mit scharfer verbaler Kritik reagiert, sondern auch mit massiven Militärübungen und der Publikation eines Weißbuchs zu Taiwan.
Dabei sind drei Aspekte von Bedeutung. Zum einen hat sich auf Taiwan im Kontrast zu dem immer autoritäreren Regime auf dem Festland eine florierende Demokratie entwickelt, die gerade auch von der politischen Partizipation der jungen Bevölkerungsschicht lebt. Gleichzeitig ist – trotz aller Bemühungen der dortigen Regierung zur Diversifizierung – kein Ort auf der Welt wirtschaftlich so verbunden mit der Volksrepublik China wie das heutige Taiwan. Jedoch sorgt die wirtschaftliche Verflechtung zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße nicht für mehr Stabilität, sondern sie erhöht im Gegenteil die Unsicherheit und befördert ein Szenario, in dem die VR China Taiwan gar nicht unbedingt erobern muss: Eine Blockade oder dauerhafte Störung der Seewege durch Militärmanöver reicht aus, um die de facto Souveränität Taiwans ernsthaft in Gefahr zu bringen.
Zweitens hat die chinesische Führung mit ihrer Reaktion auf den Besuch Nancy Pelosis keinen Zweifel an ihrem Anspruch auf die Vormachtstellung in der Region und gegenüber den USA gelassen. Der chinesischen Führung unter Xi Jinping geht es in erster Linie darum, mit allen Mitteln eine größere Kompatibilität zwischen der regionalen und globalen Ordnung, deren Umbau Peking aktiv mitbetreibt, und den Zielen der Kommunistischen Partei Chinas herzustellen. Vorfälle wie jetzt in Taiwan werden folglich konsequent genutzt, um chinesische Standpunkte, beispielsweise das “Ein-China-Prinzip” (also das Prinzip, das es nur ein China auf der Welt gibt, repräsentiert durch die VR China, und wonach Taiwan untrennbarer Teil dieses einen Chinas ist) als internationale Norm zu setzen und zu zementieren.
Drittens findet diese Taiwan-Krise vor dem Hintergrund beinahe komplett zerrütteter sino-amerikanischer Beziehungen statt und trägt zu einer weiteren Verschärfung der Differenzen bei. Es gibt kaum noch offene bilaterale Kommunikationskanäle – die wenigen, die überhaupt noch existierten, hat die chinesische Führung in Reaktion auf den Pelosi-Besuch aufgekündigt oder auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Angesichts des Abbruchs etablierter Dialogformate ist immer schwerer vorstellbar, wie der wachsende Abgrund zwischen beiden Seiten überhaupt noch überwunden werden kann.
So ist diese Krise um Taiwan ein weiteres Beispiel dafür, dass die Welt von heute irgendwie aus den Fugen geraten erscheint. Was vormals galt, gilt nicht mehr. Rückwärtsgewandte Vergleiche wie die Diskussionen über einen neuen Kalten Krieg oder die Vorstellung, dass wir uns in einem Wettbewerb zwischen Autokratien vs. Demokratien befinden, erscheinen daher höchstens teilweise passend. Sie greifen zu kurz, weil wir einen historischen Wendepunkt durchleben; eine Zeitenwende, die nicht an nur einem politischen Ereignis festgemacht werden kann, sondern der ein Zusammenspiel von ineinander greifenden Krisen, Veränderungen und Erschütterungen zugrunde liegt.
Dies markiert den Beginn einer neuen, anderen Zeit, deren politische, wirtschaftliche und planetarische Konturen noch unsicher sind, und die gerade deshalb enorme Risiken birgt. Daraus folgt, dass Regierungen zusammenarbeiten müssen, auch wenn sie, beispielsweise in Wertefragen, fundamental unterschiedliche Sichtweisen haben. Dies ist anstrengend, voller Unwägbarkeiten, und mitunter ist ein hoher Preis zu bezahlen. Und dennoch geht es eben nur miteinander, damit sich die zunehmende diplomatische Funkstille zwischen den USA und China nicht als die Ruhe vor dem Sturm erweist. Ein bilaterales persönliches Treffen beider Staatsoberhäupter am Rande des G20- oder des APEC-Gipfels im November dieses Jahres wäre daher ein begrüßenswerter erster Schritt, wenn auch davon sicher kein Durchbruch zu erwarten ist.
Dr. Nadine Godehardt ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie beschäftigt sich mit dem politischen System Chinas, aber auch mit Kooperationen und Allianzen in der Region.
Dr. Gudrun Wacker ist Senior Fellow bei der Asien-Forschungsgruppe der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Ihre Forschungsschwerpunkte sind China und der Indopazifische Raum. Sie ist Expertin für die Beziehungen zwischen Taiwan und China.
Claudia Kosser hat den Posten des Managing Director, Head of Shanghai beim Beratungsunternehmen FGS Global übernommen. Davor war Kosser sieben Jahre für die Kommunikationsberatung Finsbury Glover Hering tätig, die im vergangenen Jahr mit drei weiteren Kommunikationsberatungen zu FGS Global fusionierte. Ihre Tätigkeitsorte waren Peking, Hongkong und zuletzt Shanghai, wo sich auch ihr jetziges Büro befindet.
Qiao Zhanwen verstärkt das Management-Team der Geschäftseinheit für Verbraucherkredite der Ant Group. Er wird Vizepräsident von Chongqing Ant Consumer Finance. Qiao war früher eine Führungskraft für Risikostrategie im Mikrokreditgeschäft von Ant.
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Haben Sie Ihren Schatz schon mal liebevoll Krümelchen genannt? Oder gar die lieben Kleinen? Nun, auf Chinesisch sollten Sie das tunlichst vermeiden. Dort wird das Wörtchen 渣 zhā “Krümel” nämlich meist alles andere als schmeichelhaft verstanden. Charakterschweine und sonstige unmoralische Vollpfosten schimpft man in China gerne als “Menschenkrümel” (人渣 rénzhā) oder einfach als “krümelig” (渣 zhā). Ein Wort, das man aber nicht auf die leichte Zunge nehmen sollte. Steckt man damit doch Leute verbal in die unterste Krümelschublade der Gesellschaft.
Die Horror-Version des Krümelmonsters möchte man derweil vielleicht als Racheakt engagieren, wenn sich die bessere Hälfte als “Krümelmann” beziehungsweise “Krümelfrau” entpuppt. 渣男 zhānán und 渣女 zhānǚ sind nämlich das chinesische Bröselpendant zum treulosen deutschen “Beziehungsschwein”.
Auch im Schulbetrieb wird es in China krümelig. Hier gibt es den einen oder anderen “Lernkrümel” (学渣 xuézhā). Das sind Lernmuffel und schlechte Schüler, die sich lieber verkrümeln, als sich beim Büffeln das Hirn zu zerbröseln. Wer dagegen schon beim Gedanken an sportliche Betätigung Reißaus nimmt und stattdessen lieber gemütlich die letzten Kuchenkrümel in Richtung Magengegend schiebt, schimpft sich in China “Sportkrümel” (体育渣 tǐyùzhā), also einen wenig talentierten Sport-Muffel.
Nur noch das Krümelmonster kann Ihnen wahrscheinlich helfen, wenn unter Ihren Füßen der Beton bröselt. Verpfuschte Bauprojekte mit Einsturzgefahr verspottet man im Reich der Mitte ebenfalls im Bröseljargon, nämlich als “Tofukrümelkonstruktionen” (豆腐渣工程 dòufuzhā gōngchéng). Vielleicht waren statt Mörtel ja Tofu-Rückstände (豆腐渣 dòufuzhā) im Zementmischer, so wird geunkt.
Diese gibt es übrigens wirklich! Als 豆腐渣 dòufuzhā oder kurz 豆渣 dòuzhā bezeichnet man die bröseligen Rückstände, die bei der Herstellung von Bohnenquark oder Sojamilch entstehen. Natürlich darf im Reich der Feinschmecker nichts verkommen. Und so wird das Nebenprodukt unter Zugabe weiterer Zutaten zu schmackhaften Schlemmereien wie würzigem Tofukrümelbrei oder Tofukrümelbällchen aufgemotzt. Aber mal ehrlich: in Sachen Krümel-Kreationen lassen wir uns ja auch nicht lumpen. Vom Krümelkuchen bis zu Krümelnudeln finden sich online hunderte deutschsprachige Rezepttreffer. Der Krümelkreativität sind also kaum Grenzen gesetzt – sprachlich wie kulinarisch.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.