die großen Abhängigkeiten Deutschlands von China rücken nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine wieder in den Fokus. Im Extremfall können wirtschaftliche Abhängigkeiten einer Gesellschaft sehr schaden, wie das Beispiel des russischen Gas derzeit aufzeigt. Doch wie kostspielig wäre es für Deutschland, sich von China unabhängiger zu machen? Das ifo-Institut hat diese Frage in mehreren Szenarien durchgerechnet. Felix Lee sprach mit dem Mitautor der Studie, Florian Dorn, über die hohen Kosten und welche Branchen besonders betroffen wären. Der ifo-Forscher rät deutschen Unternehmen, ihre Lieferketten stärker zu diversifizieren.
Nancy Pelosis Besuch in Taiwan und die Reaktionen aus China haben für große Aufregung gesorgt. Die großen westlichen Staaten waren in ihrer Reaktion sehr einig und verurteilten die Militärmanöver Chinas um Taiwan. Andere Länder aus der Region haben sich mit deutlichen Worten zurückgehalten oder den Pelosi-Besuch gar kritisiert, berichtet Frank Sieren. Australiens Außenministerin ruft nach Deeskalation. Südkoreas neuer Präsident hat Pelosi nicht mal empfangen. Allzu verwunderlich ist die Zurückhaltung nicht. Wer legt sich schon gerne mit dem wirtschaftlich und militärisch viel stärkeren “Bully” an, der zudem derzeit noch seine militärischen Muskeln spielen lässt?
Herr Dorn, Ihrer Studie zufolge würde ein Handelskrieg mit China die Deutschen fast sechsmal so viel kosten wie der Brexit. Die deutsche Wirtschaft büßte im Zuge des Brexits rund 0,14 Prozent an Wirtschaftsleistung ein. Warum halten Sie einen BIP-Verlust von knapp 0,9 Prozent im Falle eines Handelskriegs mit China dennoch für dramatisch?
Das klingt zwar wenig. Die Prozentwerte beziehen sich aber auf einen langfristigen Niveaueffekt der Wirtschaftsleistung. Die realen Wachstumsverluste in der Übergangsphase im Falle eines Handelskriegs mit China würden weitaus größer ausfallen. Deutschland als Exportnation müsste sein Geschäftsmodell neu ausrichten. Ganze Branchen würden Einbrüche erleben.
Welche Branchen wären besonders betroffen?
Insbesondere Branchen im verarbeitenden Gewerbe, die stark im internationalen Handel verflochten sind. Die größten Verlierer wäre die Automobilindustrie. Hier würde es einen Wertschöpfungsverlust von rund 8,3 Milliarden Dollar geben, das entspricht einem Minus von rund 8,5 Prozent. Auch die Maschinenbauer mit einem Minus von über 5 Milliarden Dollar und Unternehmen, die Transportausrüstung herstellen, wären massiv betroffen. Sie müssten auf günstige Vorleistungsgüter aus China verzichten, die sie dann teurer aus anderen Ländern beziehen müssten. Zugleich würde der große Absatzmarkt Chinas für sie wegbrechen.
VW, BASF oder Siemens produzieren für den chinesischen Markt zum großen Teil vor Ort. Würde ein Handelskrieg wirklich so viele Arbeitsplätze hierzulande vernichten?
Zwar produzieren diese Unternehmen in China. Aber trotzdem beziehen sie viele Vorprodukte von Fabriken und Zulieferern hier in Deutschland. Fallen diese Aufträge weg, würde das auch hier viele Arbeitsplätze kosten.
Für wie wahrscheinlich halten Sie das Szenario eines Handelskriegs?
Darüber mag ich nicht spekulieren. Was wichtig ist – und das hat nicht zuletzt der Ukraine-Krieg gezeigt: Dass wir auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet sind. Die aktuellen Spannungen zwischen China und Taiwan, beziehungsweise China und den USA zeigen, wie groß das Konfliktpotenzial ist. Und Deutschland und Europa könnten da schnell mit einbezogen werden. Insofern sollten die Unternehmen lieber schon jetzt mit der Diversifizierung beginnen, um einseitige und kritische Abhängigkeiten von bestimmten Märkten und autoritären Regimen zu verringern.
Ist die Studie nicht Beleg dafür, dass die deutsche Abhängigkeit von China längst zu groß ist und wir uns deswegen auf keinen Fall an einem Handelskrieg beteiligen sollten?
Natürlich wäre es wünschenswert, Handelskriege zu vermeiden. De-Globalisierung oder Handelskriege machen immer ärmer. Aber man sollte nicht blauäugig in die Zukunft blicken und sagen: Das wird schon nicht passieren, denn das schadet ja beiden Seiten. Die Entscheidung eines Handelskriegs wird aber nicht allein von Deutschland getroffen, sondern ein Handelskrieg kann auch umgekehrt von China gestartet werden. Sicherlich sollten sich Unternehmen nicht ohne Not von wichtigen Handelspartnern abwenden. Ich würde parallel dennoch bereits jetzt stärker auf Freihandelsabkommen mit gleichgesinnten Nationen wie etwa den USA setzen. Das sollte das Ziel der deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik sein.
Wäre eine Rückverlagerung vieler Betriebe aus China, also eine Nationalisierung von Lieferketten, nicht eine Lösung?
Nein, im Gegenteil: Eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland, die EU oder auch in benachbarte Regionen, würde noch deutlich höhere Kosten für die Wertschöpfung in Deutschland bedeuten. Das liegt daran, dass die Produktion dadurch deutlich teurer wird. Wir würden in Wirtschaftsbereichen die Produktion und Beschäftigung hochfahren, die im Vergleich zu anderen Branchen hierzulande unproduktiv wären. Außerdem würden wir die Preise unserer Produkte im Welthandel nach oben treiben und an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Im Endeffekt würde es dabei zu weniger Nachfrage im In- und Ausland nach vielen dieser Waren kommen. Durch Rückverlagerung würde die deutsche reale Wirtschaftsleistung im Niveau um etwa 9,9 Prozent sinken. Wir würden also deutlich an Wertschöpfung und Wohlstand verlieren.
Was wären dann die Alternativen zu China?
In einem Szenario haben wir die Entkopplung der westlichen Länder von China simuliert, kombiniert mit einem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA. Ein solches US-europäisches Handelsabkommen könnte die negativen Auswirkungen der Entkopplung des Westens von China zwar nicht vollständig ausgleichen. Durch die erwarteten Gewinne im Handel mit dem großen Markt der USA würden die Kosten netto aber auf einem ähnlichen Niveau liegen wie die erwarteten Kosten des Brexits. In diesem Szenario wüssten wir zumindest, was auf uns zukäme.
Florian Dorn, 36, ist Ökonom am ifo-Institut, Direktor von EconPol Europe, und lehrt an der Ludwig-Maximillians-Universität München Finanzwissenschaften und Wirtschaftspolitik.
Professor Shieh, Nancy Pelosi war vergangene Woche nur wenige Stunden in Taiwan. Die wirtschaftlichen Konsequenzen für ihr Land könnten hingegen wesentlich länger andauern. War es das wert?
Sanktionen schmerzen natürlich immer. Aber unsere Demokratie ist nicht verhandelbar. Deswegen empfinde ich es vor allem als große Freude, dass Nancy Pelosi trotz der Drohungen aus Peking ihren Besuch wahr gemacht hat. Sie hat ein ungeheuer wichtiges Signal gesetzt, dass Demokratien sich gegenseitig unterstützen müssen. Wenn wir dafür einen Preis zahlen müssen, dann sind wir dazu bereit. Das ist es wert.
Glauben Sie, dass andere Demokratien diese Lektion gelernt haben?
Das glaube ich ganz sicher. Was Pelosi erreicht hat mit dem Besuch, ist ein Meilenstein, eine regelrechte Zäsur. Es gab immer ein stillschweigendes Einverständnis der Demokratien untereinander, dass man füreinander einsteht. Dieses Einverständnis wurde durch ihren Besuch artikuliert. Hier geht es ja nicht nur um China und Taiwan, sondern um einen Konflikt zwischen den Werten der Freiheit und den Werten der Diktatur.
Positioniert sich Deutschland angemessen?
Jeder gewalttätige Versuch, den Status quo in der Taiwanstraße zu ändern, ist völlig inakzeptabel. Das muss den Chinesen gegenüber klipp und klar formuliert werden. Gewalt hat nichts mit Politik zu tun. Die Fehler, die man im Verhältnis zu Russland gemacht hat, dürfen nicht wiederholt werden. Außenministerin Baerbock hat gesagt, dass man nicht akzeptiert, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt. Das hat sie einerseits auf Russland bezogen, aber andererseits auch explizit China in diesem Zusammenhang erwähnt. Auch das war ein sehr wichtiges Signal, das in Taiwan sehr wohl wahrgenommen wurde.
Trotz Baerbocks Aussagen tobte tagelang ein chinesisches Militärmanöver um Taiwan.
Mit den Manövern versucht Xi Jinping, sein Gesicht zu wahren. Er hat so hoch gepokert und war überzeugt, dass die Drohungen Frau Pelosis Besuch verhindern würden. Diese Abschreckungstaktik war in den vergangenen Jahren immer erfolgreich. Jetzt nicht. Xi hat keine Alternative. Er muss sein Volk, das seine Drohungen stets für bare Münze nimmt, beschwichtigen und befahl die Manöver. Das zeigt dem Westen auch mal, dass chinesische Drohungen nicht zwingend in die Tat umgesetzt werden.
Zeigen solche Manöver in Taiwan überhaupt noch Wirkung?
Wir als Betroffene können es uns nicht leisten, solche Drohungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Sie sind real und keine Einbildung. Aber noch einmal: Unsere Demokratie ist nicht verhandelbar. Taiwan hat sich diese Freiheit teuer erkämpft. Das Glück vieler Familien wurde dafür geopfert. Das geben wir nicht wieder her. Unsere Präsidentin Tsai Ing-wen hat mehrfach gesagt, dass Taiwan seine Demokratie bis zum letzten Mann verteidigen wird. Wir haben sie häufiger in Militäruniform auftreten sehen. Sie versucht, ein Krisenbewusstsein vor allem bei jungen Leuten zu schaffen.
Deutschland bekennt sich klipp und klar zur Ein-China-Politik. Hilft das Taiwan weiter?
Wenn Deutschland, die USA und andere Staaten betonen, sie bekennen sich zur Ein-China-Politik, dann muss auch deutlich gemacht werden, was genau das bedeutet. Traditionell ist damit gemeint, dass man nur ein China anerkennt. Diese Interpretation stammt aber noch aus Zeiten von Mao Zedong und Chiang Kai-chek. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß. Taiwan hat niemals das Erbe von Chiang Kai-chek angetreten, sondern am 15. Juli 1987 mit Beendigung des Kriegsrechts eine neue Ära eingeläutet und Chiang hinter sich gelassen. Deswegen dringen wir darauf, dass bei der Erwähnung der Ein-China-Politik immer auch hinzugefügt wird, dass der Status quo mit Gewalt nicht beendet werden kann. Ohne diesen Zusatz wird nicht klar artikuliert, was Deutschland akzeptiert und was nicht.
Das bedeutet, dass Taiwan mit der Formulierung Ein-China-Politik grundsätzlich leben kann?
Nein, hier geht es nicht darum, mit etwas leben zu können, sondern leider um unser Überleben. Solange man von der Ein-China-Politik spricht, spielt man den Betonköpfen in Peking in die Karten. Wenn es nach uns geht, wäre es in Ordnung, dass es nur ein China gibt, das dann Volksrepublik heißt. Aber nur, wenn das nicht bedeutet, dass Taiwan Teil davon sein soll. Anstatt von Ein-China-Politik sollten wir von einer China-Politik und einer Taiwan-Politik sprechen.
Haben Sie denn trotz Bekenntnissen zur Ein-China-Politik Vertrauen in die Solidarität der Demokratien?
Ja, das Vertrauen habe ich. Ein Angriff auf Taiwan bedeutet für die Demokratien der Welt einen Angriff auf sie selbst. Diese Erkenntnis ist auch durch die russische Invasion in der Ukraine gereift.
Vor Russlands Angriff hielt sich ihr Vertrauen in die demokratische Solidarität in Grenzen?
Amerikaner, Europäer, aber auch Japan oder Südkorea haben erkannt, dass Taiwan in einer globalisierten Welt nicht mehr isoliert betrachtet werden kann. Wir sind ja nicht nur eine Demokratie, sondern auch eine Schlüsselfigur in der Halbleiterindustrie und im Indopazifik.
Also hat die Solidarität mit Taiwan mehr mit Halbleitern und Geostrategie zu tun als mit Liebe zur Demokratie?
Das eine schließt das andere nicht aus. Demokratien müssen zueinander stehen, sonst gibt es einen Dominoeffekt. Wenn man autoritäre Staaten ständig gewähren lässt und aus Angst vor Vergeltung immer automatisch Zugeständnisse macht, dann stärkt man diese Staaten so weit, dass man sich ihnen irgendwann nicht mehr widersetzen kann.
Wenn Präsidentin Tsai sagt, Taiwan wolle bis zum letzten Mann seine Demokratie verteidigen, spricht sie dann für alle 23 Millionen Menschen oder vielleicht nur für einen Teil?
Es gibt immer Opposition in Taiwan. Deswegen sind wir eine Demokratie. Und es gibt natürlich Menschen, die sagen, ich bin unzufrieden mit der Politik der Präsidentin, weil sie China provoziert hat. Das ist normal. Aber wenn China Taiwan angreifen sollte, dann wird unsere Bevölkerung sicherlich zusammenstehen.
Weshalb sind Sie da so sicher?
Wenn China Raketen auf Taiwan abfeuert, heißt das, es ist ihnen egal, wer getroffen wird. Peking spricht immer davon, man wolle den verlorenen Sohn heim holen. Aber greift man bei einem Familienmitglied deshalb zur Gewalt? Außerdem ist der Sohn ja gar nicht verloren gegangen. Er hat bloß geheiratet und eine Familie gegründet. Das wird selbst jene Taiwaner abschrecken, die aus wirtschaftlichem Interesse engere Beziehungen zur Volksrepublik bevorzugen. Auch das Beispiel Hongkong zeigt uns, dass man der chinesischen Regierung nicht über den Weg trauen kann.
Wie nachhaltig werden chinesische Sanktionen Taiwan wirklich schmerzen?
Das wird einzelne Sektoren treffen, die darunter leiden. Die müssen wir entschädigen. Aber die Frage, die sich stellt, ist eine andere: Weshalb kappt China nicht einfach alle unsere Exporte? 40 Prozent unserer Ausfuhren gehen in die Volksrepublik. Das würde uns wirklich sehr weh tun. Die Antwort ist: Weil China von unseren Einfuhren genauso abhängig ist und ohne unsere Produkte großen Schaden nehmen würde. China stellt es immer so dar, dass andere nur von ihm abhängig seien. Aber Chinas Bedarf an Importen ist enorm groß. Das gilt besonders auch für Importe aus Deutschland. Dieser Stärke sollte sich Deutschland wirklich bewusst sein.
Shieh Jhy-wey 謝志偉 war Professor der Germanistik an der Soochow-Universität und vertritt Taiwan seit 2016 in Deutschland. Er war zwischenzeitlich auch Regierungssprecher unter Präsident Chen Shui-bian von der Demokratischen Fortschrittspartei (DDP) und Talkshow-Moderator. Shieh hat das Interview auf Deutsch gegeben.
Kein Zweifel: Die demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi hat in Taiwan für wichtige Werte des Westens geworben: “Selbstbestimmung, eigenständige Regierung, Demokratie, Freiheit, menschliche Würde und Menschenrechte“, wie sie in einem Text in der Washington Post schreibt. Doch ihre Reise als reinen Kampf für die westliche Freiheit zu stilisieren, greift zu kurz. Es ging nicht nur um Moral, sondern auch um wirtschaftliche und geopolitische Interessen.
Es ging um die Sicherung von Lieferketten. Denn auch die USA sind auf Mikrochips aus Taiwan angewiesen. Das Land hat einen Weltmarktanteil von über 60 Prozent. Die Versorgung muss gesichert bleiben.
Und man kann mutmaßen, ob es Pelosi vielleicht auch um eine persönliche Profilierung gegangen ist. Für die 82-Jährige, die nach den Kongresswahlen im Oktober abtreten wird, war es die wohl letzte Chance, eine Rolle auf der weltpolitischen Bühne zu spielen. Auch deshalb ist sie möglicherweise nach Taiwan gereist, obwohl ihr Parteikollege, der amerikanische Präsident Joe Biden, skeptisch war.
Biden gab Äußerungen seiner Militärberater an, die sagten, es sei “keine gute Idee”. Zudem spürt Biden den Druck, innenpolitische Wünsche und außenpolitische Realitäten auszutarieren. Das wird immer schwieriger, da andere Länder die Macht haben, ihre Interessen deutlicher zu vertreten als früher.
Ihre Reise sei ja nichts Neues gewesen, meinte Pelosi: Schon vor 25 Jahren reiste ihr Vorgänger Newt Gingrich nach Taiwan. Doch der war Republikaner und der damalige Präsident Bill Clinton ein Demokrat. Nun lässt die Demokratin Pelosi ihren Parteifreund Biden alt aussehen. Sie profiliert sich auch auf seine Kosten. Das Weiße Haus stellte derweil klar: An der Ein-China-Politik wird nicht gerüttelt. Pelosi sei nicht die Regierung und handele nicht in ihrem Auftrag. Nur wenige Länder weltweit erkennen Taiwan als eigenständigen Staat an.
Doch andererseits existiert Taiwan mit einer von Peking unabhängigen Regierung. Das Land ist wirtschaftlich sehr erfolgreich und wird von den USA militärisch unterstützt. Peking findet daher, Pelosis Reise rüttle am Status Quo, der die Existenz nur eines Chinas vorgibt. Deshalb reagierte Chinas Führung heftig und aus internationaler Sicht zum Teil völlig überzogenen. Peking führte beispiellose Militärmanöver durch, drang in die Zwölf-Meilen-Zone Taiwans ein und feuert Raketen ab, die über die Insel flogen. Peking argumentiert, Taiwan sei kein eigenständiges Land. Die im internationalen Recht festgelegten Zonen würden deshalb nicht gelten.
Die G7-Staaten bezeichneten Pelosis Besuch derweil als “normal” und die Reaktion Pekings als “aggressiv”. Sie werfen Peking vor, den Status quo unilateral ändern zu wollen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte: “Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleinen Nachbarn überfällt – das gilt natürlich auch für China”. Am Ende ergänzt ein Sprecher der Bundesregierung Baerbocks Aussagen: “Deutschland erkennt das Ein-China-Prinzip weiterhin an.”
Weil der Nationalismus in der Volksrepublk hochkocht, kann die Eskalation eine ungewollte Eigendynamik annehmen. “Macht keine Machtdemonstration, wenn ihr nicht die Power habt”, schreibt einer von vielen auf Weibo, Chinas Twitter, “welch ein Gesichtsverlust.” Chinas Führung könnte sich zu Wiedergutmachung gezwungen sehen.
Entsprechend kritische Stimmen – gehäuft in Asien – werfen Pelosi vor, ihre persönlichen Interessen vor Parteiinteressen gestellt und dabei auch noch die Stabilität der Weltordnung riskiert zu haben. Aber auch aus dem Westen gibt es Kritik: Pulitzer-Preisträgerin Jane Perlez, Leiterin des China-Büros der New York Times, schreibt von einer “unnötigen Provokation”, die “abschreckend auf Washingtons Alliierte in Asien wirkt”.
Der britische Economist urteilte: “Die Reise sollte die Stärke der USA zeigen und hat stattdessen deren Konfusion gezeigt.” Der ehemalige australische Premierminister und Sinologe Kevin Rudd hält die Reise für “unklug”, weil sie die Spannungen erhöhe. Penny Wong, die Außenministerin von Australien, einem der engsten Alliierten der Amerikaner in der Region, zeigte sich besorgt: “Alle Parteien sollten ihr Bestes tun, um die Spannungen zu deeskalieren. Wir wollen Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße.”
“Ein armseliges diplomatisches Signal aus Washington seinen Partnern und Alliierten in der Region” gegenüber, findet der südkoreanischen Wissenschaftler Seong-Hyon Lee vom Fairbank Center for Chinese Studies in Harvard. Auch Susan Ashton Thornton, die inzwischen pensionierte ehemalige Staatssekretärin für Ostasien und bis dahin eine der erfahrensten China-Spezialistinnen im US-Außenministerium, kritisiert die Pelosi-Reise: “Sie erfolgt aufgrund von innenpolitischen Kalkulationen”. Es sei besser, mit China zusammenzuarbeiten, so Ashton Thornton.
Die Außenminister der Asean-Staaten, die parallel in Kambodscha tagten, äußerten die Befürchtung, die Reise könne die “Region destabilisieren, zu ernsten Konfrontation unter führenden Mächten führen.” Der neue südkoreanische Präsident Yoon Suk-Yeol verzichtete im Gegensatz zum japanischen Premierminister Fumio Kishida derweil auf ein Treffen mit Pelosi und telefonierte stattdessen mit der Politikerin. Analysten glauben, Yoon habe sich nicht weiter in den Konflikt zwischen den USA und China hineinziehen lassen wollen.
Japans Premier Kishida soll Pelosi derweil gebeten haben, klarzustellen: “Wir wollen den Status Quo in Taiwan und der Region nicht ändern.” Chinas Außenminister Wang Yi hatte sich zuvor geweigert, seinen neuen japanischen Amtskollegen Yoshimasa Hayashi zum ersten Mal zu treffen.
Das chinesische Militär hat die Manöver rund um Taiwan auch am Montag fortgesetzt. Die östlichen Streitkräfte der Volksbefreiungsarmee erklärten, weitere Übungen zur U-Bootabwehr und zur Verteidigung auf See vor der Insel durchzuführen. Ursprünglich hatte das Militär einen Vier-Tage-Drill bis einschließlich Sonntag in den Gewässern rund um Taiwan angekündigt.
Die Fortsetzung gilt nach dem Besuch der hochrangigen US-Politikerin Nancy Pelosi in der vergangenen Woche in Taiwan als weitere Drohgebärde der Volksrepublik gegenüber dem Nachbarland. Das taiwanische Verteidigungsministerium bestätigte am Montag die neuerliche Präsenz von chinesischen Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen rund um die Insel. Bis einschließlich Sonntagnachmittag hatte das Ministerium 66 Kampfflugzeuge und 14 Kriegsschiffe der Volksbefreiungsarmee registriert, die an den Manövern der vergangenen Woche teilgenommen hatten.
Weitere Übungen, bei denen scharf geschossen wird, hat das chinesische Militär vor der eigenen Küste in Guangdong angekündigt. Von Dienstag bis Donnerstag wird ein Teil der dortigen Küste gesperrt. Feuerübungen sind zudem in der Bohai-See im Nordosten Chinas seit Montag für einen ganzen Monat im Gange. Etwas weiter südlich im Gelben Meer sind bis Mitte August ähnliche Manöver geplant.
Während chinesische Analysten durch die Manöver der Vorwoche die Basis für regelmäßige vergleichbare Übungen der Volksbefreiungsarmee geschaffen sehen, glauben taiwanische Beobachter an einen moralischen Schub für die Bevölkerung des Inselstaats und wachsende Ressentiments gegenüber der Volksrepublik. grz
Hongkong wird die Zeit der obligatorischen Hotel-Quarantäne nach der Einreise von sieben auf drei Tage reduzieren. Ab kommenden Freitag gelten die neuen Bestimmungen, die einen Mittelweg bieten sollen zwischen wirtschaftlicher Produktivität und dem Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus.
Die neuen Regeln sehen vor, dass alle Fluggäste nach der Ankunft nur noch drei Tage lang strikt isoliert in einem Hotel verbringen müssen. Für den Fall eines negativen Tests ist es den Einreisenden nach 72 Stunden gestattet, in ihre eigenen vier Wände zurückzukehren oder in ein Hotel ihrer Wahl. Für weitere vier Tage danach dürfen die Betroffenen keine öffentlichen Einrichtungen oder Ämter betreten, sich allerdings frei in der Stadt bewegen. In der Hochphase der Pandemie mussten Einreisende bis zu 21 Tage in die Isolation.
Man wolle die Auswirkungen der Quarantäne auf die wirtschaftlichen Aktivitäten in der Stadt vermindern, begründete Regierungschef John Lee die Entscheidung. Dennoch kritisierte die britische Handelskammer die verbliebene Zwangs-Quarantäne als Bremsklotz für die Wirtschaft. “Es ist unwahrscheinlich, dass (die Reduzierung auf drei Tage) den breiteren Geschäfts- und Touristenreisen zugutekommt”, sagte Exekutivdirektor David Graham der Nachrichtenagentur Bloomberg. Man ermutige die Regierung, die Quarantäne bei negativen Testergebnissen gänzlich zu streichen. Dies sei für die Geschäftsaussichten Hongkongs von entscheidender Bedeutung. grz
Die deutschen Exporteure haben im ersten Halbjahr wegen der guten Nachfrage aus den EU-Ländern, den USA und China eine Rekordeinnahme verbucht. Die Ausfuhren wuchsen allein im Juni um 4,5 Prozent im Vergleich zum Vormonat und summierten sich damit auf 134,3 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Das ist bereits der dritte Anstieg in Folge nach plus 1,3 Prozent im Mai und plus 4,6 Prozent im April. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten diesmal lediglich mit einem Wachstum von 1,0 Prozent gerechnet.
Die Exporte in die Volksrepublik China stiegen um 2,4 Prozent auf 8,9 Milliarden Euro. In die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) wurden Waren im Wert von 72,9 Milliarden Euro exportiert und damit um 3,9 Prozent mehr als im Vormonat. Die meisten deutschen Exporte gingen im Juni in die Vereinigten Staaten. Dorthin wurden kalender- und saisonbereinigt 6,2 Prozent mehr Waren exportiert als im Mai, insgesamt summierten sich die US-Exporte damit auf 14,2 Milliarden Euro.
Ökonomen warnen jedoch vor zu viel Euphorie. “Preiserhöhungen können das nominale Exportvolumen erhöhen, ohne dass real tatsächlich mehr exportiert wurde”, warnte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. “Preisbereinigt dürfte vom Exportzuwachs weniger übrig bleiben”, sagte auch der Chefökonom der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG, Alexander Krüger. “Der Außenhandel bleibt vorerst ein konjunkturelles Sorgenkind.”
Die Importe legten im Juni bereits den fünften Monat in Folge zu, allerdings fiel das Plus mit 0,2 Prozent deutlich schwächer aus als in den Vormonaten. Die Handelsbilanz – Exporte minus Importe – wies im Juni wieder ein deutliches Plus von 6,4 Milliarden Euro aus. Im Mai hatte es lediglich bei 0,8 Milliarden Euro gelegen. rtr/nib
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat ein Gesprächsangebot an Xi Jinping gesendet und will, dass sich China für eine Beendigung der russischen Invasion einsetzt. Die Volksrepublik solle ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf Russland geltend machen, sagte Selenskyj in einem Gespräch mit der South China Morning Post. “Ich würde gerne direkt sprechen. Ich hatte ein Gespräch mit Xi Jinping, das war vor einem Jahr”, sagte er der Zeitung. Die ukrainische Seite habe seit dem Beginn der Invasion mehrmals das Gespräch mit China gesucht. Doch bisher kam es nicht zustande, so der Präsident. Er ging damit über seine frühere Forderung hinaus, China solle neutral bleiben (China.Table berichtete).
China hat in dem Krieg keine klare Position eingenommen. Die Freundschaft mit Russland wurde jedoch wiederholt verbal bekräftigt. An Sanktionen hat sich die Volksrepublik nicht beteiligt und diese im Gegenteil kritisiert.
Selenskyj machte auch auf die engen Bande zwischen China und der Ukraine aufmerksam. Xi sei einer der wenigen Staats- und Regierungschefs der Welt, der die Ukraine “mindestens einmal” besucht habe. China solle den Handel mit Russland während des Krieges einschränken, schlug Selenskyj vor.
Selenskyj deutete auch an, dass sich der Krieg auf Chinas Wachstum auswirken könne. Weltweit müssten “die Menschen mehr für Energieressourcen bezahlen”. Das Geld fehle den Konsumenten dann. “Die Exporte aus China würden zurückgehen. Das ist 100 Prozent sicher”, sagte der ukrainische Präsident. nib
China will die EU als wichtigsten Handelspartner Afrikas bis 2030 überholen und wird seinen Handel mit dem Kontinent weiter stärken. Das ist das Ergebnis einer Studie der britischen Economist Intelligence Unit (EIU). Die Volksrepublik habe unter anderem ein besonderes Interesse an Afrikas Bodenschätzen, die es als wichtige Quelle für Lebensmittelimporte in Betracht ziehe. Aufgrund der jungen Bevölkerung sei Afrika zudem für Unternehmen in produzierenden Industrien interessant, die hier günstige Arbeitskräfte und einen attraktiven und wachsenden Markt für Konsumgüter vorfinden.
China pflegt seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Afrika seit Jahren intensiv. Der Handel zwischen China und Afrika wuchs allein 2021 um 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und lag bei 254 Milliarden US-Dollar. Allerdings spielen hier auch Corona-Effekte eine Rolle. Durch die Pandemie kam es zu Lieferkettenproblemen.
Auch Europäer und Amerikaner wollen ihre Beziehungen zu Afrika intensivieren, diese sind durch gescheiterte Versprechungen und Initiativen in der Vergangenheit jedoch belastet und damit komplizierter. Laut der EIU-Studie erschienen die Intentionen der USA und der EU vielen Afrikanern wie ein Versuch, China etwas entgegenzusetzen und weniger als ernsthaftes Interesse an der Arbeit mit afrikanischen Geschäftspartnern. jul
Brüssel strebt derzeit eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit Taiwan an. Bislang haben die EU-Mitgliedstaaten allerdings noch kein gemeinsames Konzept für den Fall eines künftigen Taiwan-Konflikts entwickelt. Dennoch sind sich die Mitgliedstaaten einig, dass es Zeit für einen Wandel in der Taiwan-Politik ist – denn China hat sich verändert. In diesem Zusammenhang verfolgt Brüssel die Entwicklungen in Taiwan im Kontext des indopazifischen Raums genau, auch weil die EU in diesem Gebiet eigene Interessen zu schützen hat. Eine Störung in der Region hätte schwerwiegende Folgen für Europa, was in der noch umzusetzenden Indo-Pazifik-Strategie der EU ausdrücklich festgehalten ist.
In diesem Prozess kommt der Koordinierung mit den Partnern in der Region eine Schlüsselrolle zu. In diesem Zusammenhang steht auch die Tatsache, dass sich die Hohe Vertreterin der EU der Erklärung der G7-Außenminister angeschlossen hat, die am Tag von Pelosis Besuch veröffentlicht wurde. Sie betont die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Friedens in der Straße von Taiwan. Die Volksrepublik China wird aufgefordert, den Status quo nicht einseitig zu ändern.
Wie Brüssel die Dynamik in der Taiwan-Straße letztlich bewerten und darauf reagieren wird, hängt nun auch von Chinas Verhalten und den Vergeltungsmaßnahmen nach Pelosis Besuch ab. Wie Peking bereits angedeutet hat, dürfte die chinesische Reaktion weitere wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen Taiwan und groß angelegte militärische Übungen in der Region umfassen. Was seine staatliche Wirtschaftsstrategie angeht, so setzt China in den Beziehungen zu Taiwan seit Jahren sowohl auf positive Maßnahmen, etwa die Senkung der Zölle auf Frischobsteinfuhren 2005, als auch auf Strafmaßnahmen wie die jüngsten Importverbote für Ananas und Zuckeräpfel. Durch die gegenseitige, aber asymmetrische Abhängigkeit der beiden Länder voneinander – Taiwan ist weitaus stärker von China abhängig als umgekehrt – hat Peking einen Hebel geschaffen, um Taiwan unter Druck zu setzen, einzuschüchtern und der Insel Kosten aufzuerlegen, während es gleichzeitig versucht, die dortige innenpolitische Landschaft zu verändern. Diese Bemühungen haben jedoch in Taiwan inzwischen die Unterstützung für Peking schwinden lassen und insgesamt zu einem Backlash geführt.
Die chinesische Führung versucht, auf der internationalen Bühne, aber auch im Inland durch markige Worte ein starkes Image zu zementieren. Es liegt jedoch nicht in Pekings Interesse, die Stabilität in der Region, so fragil sie auch sein mag, zu stören. Im chinesischen Interesse liegt aber sehr wohl, das Bild eines starken und entschlossenen Führers aufrechtzuerhalten. Der Parteitag im Herbst nähert sich, auf dem Xi Jinping aller Voraussicht nach für eine dritte Amtszeit wiedergewählt werden wird – das stellt eine Premiere dar und ist ein Bruch mit den bisherigen Gepflogenheiten.
Ein Umdenken in Brüssel in Bezug auf Taiwan ist also bereits im Gange, und man geht langsam von stillen Gesprächen zu praktischer Politik über. In diesem Sinne hat Taiwan als gleichgesinnter Partner bereits Eingang in den politischen Diskurs in Brüssel gefunden. Gegenwärtig sieht Brüssel Taiwan durch die Brille der Demokratie sowie des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, weniger durch die Brille der Sicherheit, weshalb es in Brüssel auch keine Diskussion über einen “Taiwan-Ernstfall” gibt. Die EU betrachtet Taiwan als eine verlässliche und gleichgesinnte Demokratie im indopazifischen Raum, ganz im Gegensatz zur Volksrepublik China, die seit Jahrzehnten vor allem als strategischer Partner eingebunden wird.
Im Jahr 2019 bezeichnete Brüssel die Volksrepublik China sowohl als Partner als auch als “systemischen Rivalen”, was auf eine wachsende Skepsis gegenüber der Fortsetzung einer “Business-as-usual”-Kooperation mit China hindeutet. Angesichts der Bereitschaft Pekings, wirtschaftlichen Zwang und Desinformation auf Kosten der europäischen Interessen einzusetzen, überrascht die veränderte Wahrnehmung in Brüssel nicht.
Diese neue Dynamik in Bezug auf Taiwan bleibt zwar im Rahmen der Ein-China-Politik der EU, aber sie ist real und bietet trotz ihrer Grenzen einen tatsächlichen Handlungsspielraum, den viele in Europa nicht erkannt haben. Es wird wichtig sein, dies sowohl innerhalb der EU als auch in Taiwan zu kommunizieren, da beide Seiten mit den Erwartungen Zuhause umgehen müssen.
Die Bedeutung Taiwans ist in der EU durch Erklärungen, Berichte und Beschlüsse, aber auch durch Besuche von europäischen und nationalen Parlamenten sowie durch die Intensivierung des bilateralen Handelsdialogs mit der Europäischen Kommission erneut ins Bewusstsein gerückt. All dies sind beispiellose Aktivitäten eines Blocks, der in Bezug auf China meist als gespalten und inkohärent und in Bezug auf Taiwan als zurückhaltend gilt. Im europäischen Kontext betrachtet, stellen diese Aktivitäten einen Präzedenzfall für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen der EU und Taiwan dar.
Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten nun daran, ihre strategischen Abhängigkeiten von China und Russland zu verringern und ihre wirtschaftliche und politische Widerstandsfähigkeit zu stärken. Dies hat die Bedeutung Taiwans in den geostrategischen Bemühungen Brüssels weiter erhöht, was meiner Ansicht nach genau der Grund ist, warum die neue Dynamik in den Beziehungen zwischen der EU und Taiwan anhalten wird. Die Tatsache, dass das Europäische Parlament im November 2021 eine Delegation seines Sonderausschusses für Desinformation nach Taiwan entsandt hat, war kein Zufall; sowohl Taiwan als auch die EU sind Opfer von Chinas Einflussnahme und Desinformationskampagnen geworden, und beide können hier voneinander lernen.
Pekings Bemühungen, die Demokratie durch Desinformation zu untergraben, schaden China unterdessen selbst. Auch die Beziehungen zur EU leiden darunter. Ironischerweise haben sie sogar dazu beigetragen, Taiwan enger an die EU zu binden. Vor diesem Hintergrund erwarte ich, dass die Unterstützung durch die EU, insbesondere durch das Europäische Parlament, fortgesetzt und verstärkt wird. Ich erwarte auch, dass einige Mitgliedstaaten wie Litauen, Tschechien und die Slowakei weiterhin eine Vorreiterrolle spielen werden. Ich glaube aber auch, dass Länder wie Deutschland die Bedeutung Taiwans in ihren Bemühungen, ihre strategische Abhängigkeit von China zu verringern, nicht aus den Augen verlieren werden.
Nationale parlamentarische Besuche werden in der Tat zur neuen Normalität, ungeachtet der Meinungsvielfalt innerhalb der Mitgliedstaaten. Die Regierungen müssen taiwanfreundliche Ideen gegen die Möglichkeit chinesischer Vergeltungsmaßnahmen abwägen, wenn sie auf eine engere Zusammenarbeit mit Taiwan pochen. Ausgehend von den jüngsten Erfahrungen werden die Besuche des Europäischen Parlaments fortgesetzt, um konkrete Möglichkeiten zur Zusammenarbeit im Handel und im Austausch in Wissenschaft, Forschung, Kultur und Bildung zu finden. Angesichts der Tatsache, dass die EU der größte Investor in Taiwan ist, scheinen die EU-Mitgliedstaaten verstanden zu haben, dass jede Störung in der Meerenge vor Taiwan ihre Interessen untergraben würde. Auf welche Weise sie diese Interessen tatsächlich verteidigen würden, bleibt jedoch abzuwarten; dies ist eine Frage der militärischen Fähigkeiten und des politischen Handlungswillens.
Ein folgenreicher Zusammenstoß in der Meerenge liegt in niemandes Interesse, weder in dem Pekings noch in dem Washingtons und schon gar nicht in dem Taiwans. Peking betrachtet die Stabilität in der Region als unverzichtbar für die Verfolgung seines Entwicklungskurses, um seine Macht im eigenen Land zu behaupten und seinen Einfluss im Ausland geltend zu machen. Der Zugang zu den europäischen Märkten ist für China lebenswichtig, sodass eine weitere Schwächung der bilateralen Beziehungen nicht im Sinne Pekings ist.
Ihre Legitimität zu erhalten ist eine wichtige Priorität für die Partei. Unter den gegenwärtigen Umständen erfordert das eine harte, aber vernünftige Reaktion. Pekings feindselige Rhetorik, der wirtschaftliche Zwang, die Drohungen und Vergeltungsmaßnahmen sowie weitere militärische Provokationen haben bereits zugenommen, um Taiwan zu bestrafen und die eigene Basis zu stärken. Ich erwarte, dass Peking diese Bemühungen in den kommenden Wochen noch verstärken und versuchen wird, das Bild eines starken Chinas zu vermitteln, das sich von Washington nicht einschüchtern lässt. Eine starke Unterstützung im Innern wird für Peking bei der Verfolgung seiner globalen Agenda von entscheidender Bedeutung bleiben.
Zsuzsa Anna Ferenczy ist Assistenzprofessorin an der Nationalen Dong Hwa Universität, Hualien, Taiwan, und ehemalige politische Beraterin im Europäischen Parlament.
die großen Abhängigkeiten Deutschlands von China rücken nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine wieder in den Fokus. Im Extremfall können wirtschaftliche Abhängigkeiten einer Gesellschaft sehr schaden, wie das Beispiel des russischen Gas derzeit aufzeigt. Doch wie kostspielig wäre es für Deutschland, sich von China unabhängiger zu machen? Das ifo-Institut hat diese Frage in mehreren Szenarien durchgerechnet. Felix Lee sprach mit dem Mitautor der Studie, Florian Dorn, über die hohen Kosten und welche Branchen besonders betroffen wären. Der ifo-Forscher rät deutschen Unternehmen, ihre Lieferketten stärker zu diversifizieren.
Nancy Pelosis Besuch in Taiwan und die Reaktionen aus China haben für große Aufregung gesorgt. Die großen westlichen Staaten waren in ihrer Reaktion sehr einig und verurteilten die Militärmanöver Chinas um Taiwan. Andere Länder aus der Region haben sich mit deutlichen Worten zurückgehalten oder den Pelosi-Besuch gar kritisiert, berichtet Frank Sieren. Australiens Außenministerin ruft nach Deeskalation. Südkoreas neuer Präsident hat Pelosi nicht mal empfangen. Allzu verwunderlich ist die Zurückhaltung nicht. Wer legt sich schon gerne mit dem wirtschaftlich und militärisch viel stärkeren “Bully” an, der zudem derzeit noch seine militärischen Muskeln spielen lässt?
Herr Dorn, Ihrer Studie zufolge würde ein Handelskrieg mit China die Deutschen fast sechsmal so viel kosten wie der Brexit. Die deutsche Wirtschaft büßte im Zuge des Brexits rund 0,14 Prozent an Wirtschaftsleistung ein. Warum halten Sie einen BIP-Verlust von knapp 0,9 Prozent im Falle eines Handelskriegs mit China dennoch für dramatisch?
Das klingt zwar wenig. Die Prozentwerte beziehen sich aber auf einen langfristigen Niveaueffekt der Wirtschaftsleistung. Die realen Wachstumsverluste in der Übergangsphase im Falle eines Handelskriegs mit China würden weitaus größer ausfallen. Deutschland als Exportnation müsste sein Geschäftsmodell neu ausrichten. Ganze Branchen würden Einbrüche erleben.
Welche Branchen wären besonders betroffen?
Insbesondere Branchen im verarbeitenden Gewerbe, die stark im internationalen Handel verflochten sind. Die größten Verlierer wäre die Automobilindustrie. Hier würde es einen Wertschöpfungsverlust von rund 8,3 Milliarden Dollar geben, das entspricht einem Minus von rund 8,5 Prozent. Auch die Maschinenbauer mit einem Minus von über 5 Milliarden Dollar und Unternehmen, die Transportausrüstung herstellen, wären massiv betroffen. Sie müssten auf günstige Vorleistungsgüter aus China verzichten, die sie dann teurer aus anderen Ländern beziehen müssten. Zugleich würde der große Absatzmarkt Chinas für sie wegbrechen.
VW, BASF oder Siemens produzieren für den chinesischen Markt zum großen Teil vor Ort. Würde ein Handelskrieg wirklich so viele Arbeitsplätze hierzulande vernichten?
Zwar produzieren diese Unternehmen in China. Aber trotzdem beziehen sie viele Vorprodukte von Fabriken und Zulieferern hier in Deutschland. Fallen diese Aufträge weg, würde das auch hier viele Arbeitsplätze kosten.
Für wie wahrscheinlich halten Sie das Szenario eines Handelskriegs?
Darüber mag ich nicht spekulieren. Was wichtig ist – und das hat nicht zuletzt der Ukraine-Krieg gezeigt: Dass wir auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet sind. Die aktuellen Spannungen zwischen China und Taiwan, beziehungsweise China und den USA zeigen, wie groß das Konfliktpotenzial ist. Und Deutschland und Europa könnten da schnell mit einbezogen werden. Insofern sollten die Unternehmen lieber schon jetzt mit der Diversifizierung beginnen, um einseitige und kritische Abhängigkeiten von bestimmten Märkten und autoritären Regimen zu verringern.
Ist die Studie nicht Beleg dafür, dass die deutsche Abhängigkeit von China längst zu groß ist und wir uns deswegen auf keinen Fall an einem Handelskrieg beteiligen sollten?
Natürlich wäre es wünschenswert, Handelskriege zu vermeiden. De-Globalisierung oder Handelskriege machen immer ärmer. Aber man sollte nicht blauäugig in die Zukunft blicken und sagen: Das wird schon nicht passieren, denn das schadet ja beiden Seiten. Die Entscheidung eines Handelskriegs wird aber nicht allein von Deutschland getroffen, sondern ein Handelskrieg kann auch umgekehrt von China gestartet werden. Sicherlich sollten sich Unternehmen nicht ohne Not von wichtigen Handelspartnern abwenden. Ich würde parallel dennoch bereits jetzt stärker auf Freihandelsabkommen mit gleichgesinnten Nationen wie etwa den USA setzen. Das sollte das Ziel der deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik sein.
Wäre eine Rückverlagerung vieler Betriebe aus China, also eine Nationalisierung von Lieferketten, nicht eine Lösung?
Nein, im Gegenteil: Eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland, die EU oder auch in benachbarte Regionen, würde noch deutlich höhere Kosten für die Wertschöpfung in Deutschland bedeuten. Das liegt daran, dass die Produktion dadurch deutlich teurer wird. Wir würden in Wirtschaftsbereichen die Produktion und Beschäftigung hochfahren, die im Vergleich zu anderen Branchen hierzulande unproduktiv wären. Außerdem würden wir die Preise unserer Produkte im Welthandel nach oben treiben und an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Im Endeffekt würde es dabei zu weniger Nachfrage im In- und Ausland nach vielen dieser Waren kommen. Durch Rückverlagerung würde die deutsche reale Wirtschaftsleistung im Niveau um etwa 9,9 Prozent sinken. Wir würden also deutlich an Wertschöpfung und Wohlstand verlieren.
Was wären dann die Alternativen zu China?
In einem Szenario haben wir die Entkopplung der westlichen Länder von China simuliert, kombiniert mit einem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA. Ein solches US-europäisches Handelsabkommen könnte die negativen Auswirkungen der Entkopplung des Westens von China zwar nicht vollständig ausgleichen. Durch die erwarteten Gewinne im Handel mit dem großen Markt der USA würden die Kosten netto aber auf einem ähnlichen Niveau liegen wie die erwarteten Kosten des Brexits. In diesem Szenario wüssten wir zumindest, was auf uns zukäme.
Florian Dorn, 36, ist Ökonom am ifo-Institut, Direktor von EconPol Europe, und lehrt an der Ludwig-Maximillians-Universität München Finanzwissenschaften und Wirtschaftspolitik.
Professor Shieh, Nancy Pelosi war vergangene Woche nur wenige Stunden in Taiwan. Die wirtschaftlichen Konsequenzen für ihr Land könnten hingegen wesentlich länger andauern. War es das wert?
Sanktionen schmerzen natürlich immer. Aber unsere Demokratie ist nicht verhandelbar. Deswegen empfinde ich es vor allem als große Freude, dass Nancy Pelosi trotz der Drohungen aus Peking ihren Besuch wahr gemacht hat. Sie hat ein ungeheuer wichtiges Signal gesetzt, dass Demokratien sich gegenseitig unterstützen müssen. Wenn wir dafür einen Preis zahlen müssen, dann sind wir dazu bereit. Das ist es wert.
Glauben Sie, dass andere Demokratien diese Lektion gelernt haben?
Das glaube ich ganz sicher. Was Pelosi erreicht hat mit dem Besuch, ist ein Meilenstein, eine regelrechte Zäsur. Es gab immer ein stillschweigendes Einverständnis der Demokratien untereinander, dass man füreinander einsteht. Dieses Einverständnis wurde durch ihren Besuch artikuliert. Hier geht es ja nicht nur um China und Taiwan, sondern um einen Konflikt zwischen den Werten der Freiheit und den Werten der Diktatur.
Positioniert sich Deutschland angemessen?
Jeder gewalttätige Versuch, den Status quo in der Taiwanstraße zu ändern, ist völlig inakzeptabel. Das muss den Chinesen gegenüber klipp und klar formuliert werden. Gewalt hat nichts mit Politik zu tun. Die Fehler, die man im Verhältnis zu Russland gemacht hat, dürfen nicht wiederholt werden. Außenministerin Baerbock hat gesagt, dass man nicht akzeptiert, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt. Das hat sie einerseits auf Russland bezogen, aber andererseits auch explizit China in diesem Zusammenhang erwähnt. Auch das war ein sehr wichtiges Signal, das in Taiwan sehr wohl wahrgenommen wurde.
Trotz Baerbocks Aussagen tobte tagelang ein chinesisches Militärmanöver um Taiwan.
Mit den Manövern versucht Xi Jinping, sein Gesicht zu wahren. Er hat so hoch gepokert und war überzeugt, dass die Drohungen Frau Pelosis Besuch verhindern würden. Diese Abschreckungstaktik war in den vergangenen Jahren immer erfolgreich. Jetzt nicht. Xi hat keine Alternative. Er muss sein Volk, das seine Drohungen stets für bare Münze nimmt, beschwichtigen und befahl die Manöver. Das zeigt dem Westen auch mal, dass chinesische Drohungen nicht zwingend in die Tat umgesetzt werden.
Zeigen solche Manöver in Taiwan überhaupt noch Wirkung?
Wir als Betroffene können es uns nicht leisten, solche Drohungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Sie sind real und keine Einbildung. Aber noch einmal: Unsere Demokratie ist nicht verhandelbar. Taiwan hat sich diese Freiheit teuer erkämpft. Das Glück vieler Familien wurde dafür geopfert. Das geben wir nicht wieder her. Unsere Präsidentin Tsai Ing-wen hat mehrfach gesagt, dass Taiwan seine Demokratie bis zum letzten Mann verteidigen wird. Wir haben sie häufiger in Militäruniform auftreten sehen. Sie versucht, ein Krisenbewusstsein vor allem bei jungen Leuten zu schaffen.
Deutschland bekennt sich klipp und klar zur Ein-China-Politik. Hilft das Taiwan weiter?
Wenn Deutschland, die USA und andere Staaten betonen, sie bekennen sich zur Ein-China-Politik, dann muss auch deutlich gemacht werden, was genau das bedeutet. Traditionell ist damit gemeint, dass man nur ein China anerkennt. Diese Interpretation stammt aber noch aus Zeiten von Mao Zedong und Chiang Kai-chek. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß. Taiwan hat niemals das Erbe von Chiang Kai-chek angetreten, sondern am 15. Juli 1987 mit Beendigung des Kriegsrechts eine neue Ära eingeläutet und Chiang hinter sich gelassen. Deswegen dringen wir darauf, dass bei der Erwähnung der Ein-China-Politik immer auch hinzugefügt wird, dass der Status quo mit Gewalt nicht beendet werden kann. Ohne diesen Zusatz wird nicht klar artikuliert, was Deutschland akzeptiert und was nicht.
Das bedeutet, dass Taiwan mit der Formulierung Ein-China-Politik grundsätzlich leben kann?
Nein, hier geht es nicht darum, mit etwas leben zu können, sondern leider um unser Überleben. Solange man von der Ein-China-Politik spricht, spielt man den Betonköpfen in Peking in die Karten. Wenn es nach uns geht, wäre es in Ordnung, dass es nur ein China gibt, das dann Volksrepublik heißt. Aber nur, wenn das nicht bedeutet, dass Taiwan Teil davon sein soll. Anstatt von Ein-China-Politik sollten wir von einer China-Politik und einer Taiwan-Politik sprechen.
Haben Sie denn trotz Bekenntnissen zur Ein-China-Politik Vertrauen in die Solidarität der Demokratien?
Ja, das Vertrauen habe ich. Ein Angriff auf Taiwan bedeutet für die Demokratien der Welt einen Angriff auf sie selbst. Diese Erkenntnis ist auch durch die russische Invasion in der Ukraine gereift.
Vor Russlands Angriff hielt sich ihr Vertrauen in die demokratische Solidarität in Grenzen?
Amerikaner, Europäer, aber auch Japan oder Südkorea haben erkannt, dass Taiwan in einer globalisierten Welt nicht mehr isoliert betrachtet werden kann. Wir sind ja nicht nur eine Demokratie, sondern auch eine Schlüsselfigur in der Halbleiterindustrie und im Indopazifik.
Also hat die Solidarität mit Taiwan mehr mit Halbleitern und Geostrategie zu tun als mit Liebe zur Demokratie?
Das eine schließt das andere nicht aus. Demokratien müssen zueinander stehen, sonst gibt es einen Dominoeffekt. Wenn man autoritäre Staaten ständig gewähren lässt und aus Angst vor Vergeltung immer automatisch Zugeständnisse macht, dann stärkt man diese Staaten so weit, dass man sich ihnen irgendwann nicht mehr widersetzen kann.
Wenn Präsidentin Tsai sagt, Taiwan wolle bis zum letzten Mann seine Demokratie verteidigen, spricht sie dann für alle 23 Millionen Menschen oder vielleicht nur für einen Teil?
Es gibt immer Opposition in Taiwan. Deswegen sind wir eine Demokratie. Und es gibt natürlich Menschen, die sagen, ich bin unzufrieden mit der Politik der Präsidentin, weil sie China provoziert hat. Das ist normal. Aber wenn China Taiwan angreifen sollte, dann wird unsere Bevölkerung sicherlich zusammenstehen.
Weshalb sind Sie da so sicher?
Wenn China Raketen auf Taiwan abfeuert, heißt das, es ist ihnen egal, wer getroffen wird. Peking spricht immer davon, man wolle den verlorenen Sohn heim holen. Aber greift man bei einem Familienmitglied deshalb zur Gewalt? Außerdem ist der Sohn ja gar nicht verloren gegangen. Er hat bloß geheiratet und eine Familie gegründet. Das wird selbst jene Taiwaner abschrecken, die aus wirtschaftlichem Interesse engere Beziehungen zur Volksrepublik bevorzugen. Auch das Beispiel Hongkong zeigt uns, dass man der chinesischen Regierung nicht über den Weg trauen kann.
Wie nachhaltig werden chinesische Sanktionen Taiwan wirklich schmerzen?
Das wird einzelne Sektoren treffen, die darunter leiden. Die müssen wir entschädigen. Aber die Frage, die sich stellt, ist eine andere: Weshalb kappt China nicht einfach alle unsere Exporte? 40 Prozent unserer Ausfuhren gehen in die Volksrepublik. Das würde uns wirklich sehr weh tun. Die Antwort ist: Weil China von unseren Einfuhren genauso abhängig ist und ohne unsere Produkte großen Schaden nehmen würde. China stellt es immer so dar, dass andere nur von ihm abhängig seien. Aber Chinas Bedarf an Importen ist enorm groß. Das gilt besonders auch für Importe aus Deutschland. Dieser Stärke sollte sich Deutschland wirklich bewusst sein.
Shieh Jhy-wey 謝志偉 war Professor der Germanistik an der Soochow-Universität und vertritt Taiwan seit 2016 in Deutschland. Er war zwischenzeitlich auch Regierungssprecher unter Präsident Chen Shui-bian von der Demokratischen Fortschrittspartei (DDP) und Talkshow-Moderator. Shieh hat das Interview auf Deutsch gegeben.
Kein Zweifel: Die demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi hat in Taiwan für wichtige Werte des Westens geworben: “Selbstbestimmung, eigenständige Regierung, Demokratie, Freiheit, menschliche Würde und Menschenrechte“, wie sie in einem Text in der Washington Post schreibt. Doch ihre Reise als reinen Kampf für die westliche Freiheit zu stilisieren, greift zu kurz. Es ging nicht nur um Moral, sondern auch um wirtschaftliche und geopolitische Interessen.
Es ging um die Sicherung von Lieferketten. Denn auch die USA sind auf Mikrochips aus Taiwan angewiesen. Das Land hat einen Weltmarktanteil von über 60 Prozent. Die Versorgung muss gesichert bleiben.
Und man kann mutmaßen, ob es Pelosi vielleicht auch um eine persönliche Profilierung gegangen ist. Für die 82-Jährige, die nach den Kongresswahlen im Oktober abtreten wird, war es die wohl letzte Chance, eine Rolle auf der weltpolitischen Bühne zu spielen. Auch deshalb ist sie möglicherweise nach Taiwan gereist, obwohl ihr Parteikollege, der amerikanische Präsident Joe Biden, skeptisch war.
Biden gab Äußerungen seiner Militärberater an, die sagten, es sei “keine gute Idee”. Zudem spürt Biden den Druck, innenpolitische Wünsche und außenpolitische Realitäten auszutarieren. Das wird immer schwieriger, da andere Länder die Macht haben, ihre Interessen deutlicher zu vertreten als früher.
Ihre Reise sei ja nichts Neues gewesen, meinte Pelosi: Schon vor 25 Jahren reiste ihr Vorgänger Newt Gingrich nach Taiwan. Doch der war Republikaner und der damalige Präsident Bill Clinton ein Demokrat. Nun lässt die Demokratin Pelosi ihren Parteifreund Biden alt aussehen. Sie profiliert sich auch auf seine Kosten. Das Weiße Haus stellte derweil klar: An der Ein-China-Politik wird nicht gerüttelt. Pelosi sei nicht die Regierung und handele nicht in ihrem Auftrag. Nur wenige Länder weltweit erkennen Taiwan als eigenständigen Staat an.
Doch andererseits existiert Taiwan mit einer von Peking unabhängigen Regierung. Das Land ist wirtschaftlich sehr erfolgreich und wird von den USA militärisch unterstützt. Peking findet daher, Pelosis Reise rüttle am Status Quo, der die Existenz nur eines Chinas vorgibt. Deshalb reagierte Chinas Führung heftig und aus internationaler Sicht zum Teil völlig überzogenen. Peking führte beispiellose Militärmanöver durch, drang in die Zwölf-Meilen-Zone Taiwans ein und feuert Raketen ab, die über die Insel flogen. Peking argumentiert, Taiwan sei kein eigenständiges Land. Die im internationalen Recht festgelegten Zonen würden deshalb nicht gelten.
Die G7-Staaten bezeichneten Pelosis Besuch derweil als “normal” und die Reaktion Pekings als “aggressiv”. Sie werfen Peking vor, den Status quo unilateral ändern zu wollen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte: “Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleinen Nachbarn überfällt – das gilt natürlich auch für China”. Am Ende ergänzt ein Sprecher der Bundesregierung Baerbocks Aussagen: “Deutschland erkennt das Ein-China-Prinzip weiterhin an.”
Weil der Nationalismus in der Volksrepublk hochkocht, kann die Eskalation eine ungewollte Eigendynamik annehmen. “Macht keine Machtdemonstration, wenn ihr nicht die Power habt”, schreibt einer von vielen auf Weibo, Chinas Twitter, “welch ein Gesichtsverlust.” Chinas Führung könnte sich zu Wiedergutmachung gezwungen sehen.
Entsprechend kritische Stimmen – gehäuft in Asien – werfen Pelosi vor, ihre persönlichen Interessen vor Parteiinteressen gestellt und dabei auch noch die Stabilität der Weltordnung riskiert zu haben. Aber auch aus dem Westen gibt es Kritik: Pulitzer-Preisträgerin Jane Perlez, Leiterin des China-Büros der New York Times, schreibt von einer “unnötigen Provokation”, die “abschreckend auf Washingtons Alliierte in Asien wirkt”.
Der britische Economist urteilte: “Die Reise sollte die Stärke der USA zeigen und hat stattdessen deren Konfusion gezeigt.” Der ehemalige australische Premierminister und Sinologe Kevin Rudd hält die Reise für “unklug”, weil sie die Spannungen erhöhe. Penny Wong, die Außenministerin von Australien, einem der engsten Alliierten der Amerikaner in der Region, zeigte sich besorgt: “Alle Parteien sollten ihr Bestes tun, um die Spannungen zu deeskalieren. Wir wollen Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße.”
“Ein armseliges diplomatisches Signal aus Washington seinen Partnern und Alliierten in der Region” gegenüber, findet der südkoreanischen Wissenschaftler Seong-Hyon Lee vom Fairbank Center for Chinese Studies in Harvard. Auch Susan Ashton Thornton, die inzwischen pensionierte ehemalige Staatssekretärin für Ostasien und bis dahin eine der erfahrensten China-Spezialistinnen im US-Außenministerium, kritisiert die Pelosi-Reise: “Sie erfolgt aufgrund von innenpolitischen Kalkulationen”. Es sei besser, mit China zusammenzuarbeiten, so Ashton Thornton.
Die Außenminister der Asean-Staaten, die parallel in Kambodscha tagten, äußerten die Befürchtung, die Reise könne die “Region destabilisieren, zu ernsten Konfrontation unter führenden Mächten führen.” Der neue südkoreanische Präsident Yoon Suk-Yeol verzichtete im Gegensatz zum japanischen Premierminister Fumio Kishida derweil auf ein Treffen mit Pelosi und telefonierte stattdessen mit der Politikerin. Analysten glauben, Yoon habe sich nicht weiter in den Konflikt zwischen den USA und China hineinziehen lassen wollen.
Japans Premier Kishida soll Pelosi derweil gebeten haben, klarzustellen: “Wir wollen den Status Quo in Taiwan und der Region nicht ändern.” Chinas Außenminister Wang Yi hatte sich zuvor geweigert, seinen neuen japanischen Amtskollegen Yoshimasa Hayashi zum ersten Mal zu treffen.
Das chinesische Militär hat die Manöver rund um Taiwan auch am Montag fortgesetzt. Die östlichen Streitkräfte der Volksbefreiungsarmee erklärten, weitere Übungen zur U-Bootabwehr und zur Verteidigung auf See vor der Insel durchzuführen. Ursprünglich hatte das Militär einen Vier-Tage-Drill bis einschließlich Sonntag in den Gewässern rund um Taiwan angekündigt.
Die Fortsetzung gilt nach dem Besuch der hochrangigen US-Politikerin Nancy Pelosi in der vergangenen Woche in Taiwan als weitere Drohgebärde der Volksrepublik gegenüber dem Nachbarland. Das taiwanische Verteidigungsministerium bestätigte am Montag die neuerliche Präsenz von chinesischen Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen rund um die Insel. Bis einschließlich Sonntagnachmittag hatte das Ministerium 66 Kampfflugzeuge und 14 Kriegsschiffe der Volksbefreiungsarmee registriert, die an den Manövern der vergangenen Woche teilgenommen hatten.
Weitere Übungen, bei denen scharf geschossen wird, hat das chinesische Militär vor der eigenen Küste in Guangdong angekündigt. Von Dienstag bis Donnerstag wird ein Teil der dortigen Küste gesperrt. Feuerübungen sind zudem in der Bohai-See im Nordosten Chinas seit Montag für einen ganzen Monat im Gange. Etwas weiter südlich im Gelben Meer sind bis Mitte August ähnliche Manöver geplant.
Während chinesische Analysten durch die Manöver der Vorwoche die Basis für regelmäßige vergleichbare Übungen der Volksbefreiungsarmee geschaffen sehen, glauben taiwanische Beobachter an einen moralischen Schub für die Bevölkerung des Inselstaats und wachsende Ressentiments gegenüber der Volksrepublik. grz
Hongkong wird die Zeit der obligatorischen Hotel-Quarantäne nach der Einreise von sieben auf drei Tage reduzieren. Ab kommenden Freitag gelten die neuen Bestimmungen, die einen Mittelweg bieten sollen zwischen wirtschaftlicher Produktivität und dem Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus.
Die neuen Regeln sehen vor, dass alle Fluggäste nach der Ankunft nur noch drei Tage lang strikt isoliert in einem Hotel verbringen müssen. Für den Fall eines negativen Tests ist es den Einreisenden nach 72 Stunden gestattet, in ihre eigenen vier Wände zurückzukehren oder in ein Hotel ihrer Wahl. Für weitere vier Tage danach dürfen die Betroffenen keine öffentlichen Einrichtungen oder Ämter betreten, sich allerdings frei in der Stadt bewegen. In der Hochphase der Pandemie mussten Einreisende bis zu 21 Tage in die Isolation.
Man wolle die Auswirkungen der Quarantäne auf die wirtschaftlichen Aktivitäten in der Stadt vermindern, begründete Regierungschef John Lee die Entscheidung. Dennoch kritisierte die britische Handelskammer die verbliebene Zwangs-Quarantäne als Bremsklotz für die Wirtschaft. “Es ist unwahrscheinlich, dass (die Reduzierung auf drei Tage) den breiteren Geschäfts- und Touristenreisen zugutekommt”, sagte Exekutivdirektor David Graham der Nachrichtenagentur Bloomberg. Man ermutige die Regierung, die Quarantäne bei negativen Testergebnissen gänzlich zu streichen. Dies sei für die Geschäftsaussichten Hongkongs von entscheidender Bedeutung. grz
Die deutschen Exporteure haben im ersten Halbjahr wegen der guten Nachfrage aus den EU-Ländern, den USA und China eine Rekordeinnahme verbucht. Die Ausfuhren wuchsen allein im Juni um 4,5 Prozent im Vergleich zum Vormonat und summierten sich damit auf 134,3 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Das ist bereits der dritte Anstieg in Folge nach plus 1,3 Prozent im Mai und plus 4,6 Prozent im April. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten diesmal lediglich mit einem Wachstum von 1,0 Prozent gerechnet.
Die Exporte in die Volksrepublik China stiegen um 2,4 Prozent auf 8,9 Milliarden Euro. In die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) wurden Waren im Wert von 72,9 Milliarden Euro exportiert und damit um 3,9 Prozent mehr als im Vormonat. Die meisten deutschen Exporte gingen im Juni in die Vereinigten Staaten. Dorthin wurden kalender- und saisonbereinigt 6,2 Prozent mehr Waren exportiert als im Mai, insgesamt summierten sich die US-Exporte damit auf 14,2 Milliarden Euro.
Ökonomen warnen jedoch vor zu viel Euphorie. “Preiserhöhungen können das nominale Exportvolumen erhöhen, ohne dass real tatsächlich mehr exportiert wurde”, warnte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. “Preisbereinigt dürfte vom Exportzuwachs weniger übrig bleiben”, sagte auch der Chefökonom der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG, Alexander Krüger. “Der Außenhandel bleibt vorerst ein konjunkturelles Sorgenkind.”
Die Importe legten im Juni bereits den fünften Monat in Folge zu, allerdings fiel das Plus mit 0,2 Prozent deutlich schwächer aus als in den Vormonaten. Die Handelsbilanz – Exporte minus Importe – wies im Juni wieder ein deutliches Plus von 6,4 Milliarden Euro aus. Im Mai hatte es lediglich bei 0,8 Milliarden Euro gelegen. rtr/nib
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat ein Gesprächsangebot an Xi Jinping gesendet und will, dass sich China für eine Beendigung der russischen Invasion einsetzt. Die Volksrepublik solle ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf Russland geltend machen, sagte Selenskyj in einem Gespräch mit der South China Morning Post. “Ich würde gerne direkt sprechen. Ich hatte ein Gespräch mit Xi Jinping, das war vor einem Jahr”, sagte er der Zeitung. Die ukrainische Seite habe seit dem Beginn der Invasion mehrmals das Gespräch mit China gesucht. Doch bisher kam es nicht zustande, so der Präsident. Er ging damit über seine frühere Forderung hinaus, China solle neutral bleiben (China.Table berichtete).
China hat in dem Krieg keine klare Position eingenommen. Die Freundschaft mit Russland wurde jedoch wiederholt verbal bekräftigt. An Sanktionen hat sich die Volksrepublik nicht beteiligt und diese im Gegenteil kritisiert.
Selenskyj machte auch auf die engen Bande zwischen China und der Ukraine aufmerksam. Xi sei einer der wenigen Staats- und Regierungschefs der Welt, der die Ukraine “mindestens einmal” besucht habe. China solle den Handel mit Russland während des Krieges einschränken, schlug Selenskyj vor.
Selenskyj deutete auch an, dass sich der Krieg auf Chinas Wachstum auswirken könne. Weltweit müssten “die Menschen mehr für Energieressourcen bezahlen”. Das Geld fehle den Konsumenten dann. “Die Exporte aus China würden zurückgehen. Das ist 100 Prozent sicher”, sagte der ukrainische Präsident. nib
China will die EU als wichtigsten Handelspartner Afrikas bis 2030 überholen und wird seinen Handel mit dem Kontinent weiter stärken. Das ist das Ergebnis einer Studie der britischen Economist Intelligence Unit (EIU). Die Volksrepublik habe unter anderem ein besonderes Interesse an Afrikas Bodenschätzen, die es als wichtige Quelle für Lebensmittelimporte in Betracht ziehe. Aufgrund der jungen Bevölkerung sei Afrika zudem für Unternehmen in produzierenden Industrien interessant, die hier günstige Arbeitskräfte und einen attraktiven und wachsenden Markt für Konsumgüter vorfinden.
China pflegt seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Afrika seit Jahren intensiv. Der Handel zwischen China und Afrika wuchs allein 2021 um 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und lag bei 254 Milliarden US-Dollar. Allerdings spielen hier auch Corona-Effekte eine Rolle. Durch die Pandemie kam es zu Lieferkettenproblemen.
Auch Europäer und Amerikaner wollen ihre Beziehungen zu Afrika intensivieren, diese sind durch gescheiterte Versprechungen und Initiativen in der Vergangenheit jedoch belastet und damit komplizierter. Laut der EIU-Studie erschienen die Intentionen der USA und der EU vielen Afrikanern wie ein Versuch, China etwas entgegenzusetzen und weniger als ernsthaftes Interesse an der Arbeit mit afrikanischen Geschäftspartnern. jul
Brüssel strebt derzeit eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit Taiwan an. Bislang haben die EU-Mitgliedstaaten allerdings noch kein gemeinsames Konzept für den Fall eines künftigen Taiwan-Konflikts entwickelt. Dennoch sind sich die Mitgliedstaaten einig, dass es Zeit für einen Wandel in der Taiwan-Politik ist – denn China hat sich verändert. In diesem Zusammenhang verfolgt Brüssel die Entwicklungen in Taiwan im Kontext des indopazifischen Raums genau, auch weil die EU in diesem Gebiet eigene Interessen zu schützen hat. Eine Störung in der Region hätte schwerwiegende Folgen für Europa, was in der noch umzusetzenden Indo-Pazifik-Strategie der EU ausdrücklich festgehalten ist.
In diesem Prozess kommt der Koordinierung mit den Partnern in der Region eine Schlüsselrolle zu. In diesem Zusammenhang steht auch die Tatsache, dass sich die Hohe Vertreterin der EU der Erklärung der G7-Außenminister angeschlossen hat, die am Tag von Pelosis Besuch veröffentlicht wurde. Sie betont die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Friedens in der Straße von Taiwan. Die Volksrepublik China wird aufgefordert, den Status quo nicht einseitig zu ändern.
Wie Brüssel die Dynamik in der Taiwan-Straße letztlich bewerten und darauf reagieren wird, hängt nun auch von Chinas Verhalten und den Vergeltungsmaßnahmen nach Pelosis Besuch ab. Wie Peking bereits angedeutet hat, dürfte die chinesische Reaktion weitere wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen Taiwan und groß angelegte militärische Übungen in der Region umfassen. Was seine staatliche Wirtschaftsstrategie angeht, so setzt China in den Beziehungen zu Taiwan seit Jahren sowohl auf positive Maßnahmen, etwa die Senkung der Zölle auf Frischobsteinfuhren 2005, als auch auf Strafmaßnahmen wie die jüngsten Importverbote für Ananas und Zuckeräpfel. Durch die gegenseitige, aber asymmetrische Abhängigkeit der beiden Länder voneinander – Taiwan ist weitaus stärker von China abhängig als umgekehrt – hat Peking einen Hebel geschaffen, um Taiwan unter Druck zu setzen, einzuschüchtern und der Insel Kosten aufzuerlegen, während es gleichzeitig versucht, die dortige innenpolitische Landschaft zu verändern. Diese Bemühungen haben jedoch in Taiwan inzwischen die Unterstützung für Peking schwinden lassen und insgesamt zu einem Backlash geführt.
Die chinesische Führung versucht, auf der internationalen Bühne, aber auch im Inland durch markige Worte ein starkes Image zu zementieren. Es liegt jedoch nicht in Pekings Interesse, die Stabilität in der Region, so fragil sie auch sein mag, zu stören. Im chinesischen Interesse liegt aber sehr wohl, das Bild eines starken und entschlossenen Führers aufrechtzuerhalten. Der Parteitag im Herbst nähert sich, auf dem Xi Jinping aller Voraussicht nach für eine dritte Amtszeit wiedergewählt werden wird – das stellt eine Premiere dar und ist ein Bruch mit den bisherigen Gepflogenheiten.
Ein Umdenken in Brüssel in Bezug auf Taiwan ist also bereits im Gange, und man geht langsam von stillen Gesprächen zu praktischer Politik über. In diesem Sinne hat Taiwan als gleichgesinnter Partner bereits Eingang in den politischen Diskurs in Brüssel gefunden. Gegenwärtig sieht Brüssel Taiwan durch die Brille der Demokratie sowie des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, weniger durch die Brille der Sicherheit, weshalb es in Brüssel auch keine Diskussion über einen “Taiwan-Ernstfall” gibt. Die EU betrachtet Taiwan als eine verlässliche und gleichgesinnte Demokratie im indopazifischen Raum, ganz im Gegensatz zur Volksrepublik China, die seit Jahrzehnten vor allem als strategischer Partner eingebunden wird.
Im Jahr 2019 bezeichnete Brüssel die Volksrepublik China sowohl als Partner als auch als “systemischen Rivalen”, was auf eine wachsende Skepsis gegenüber der Fortsetzung einer “Business-as-usual”-Kooperation mit China hindeutet. Angesichts der Bereitschaft Pekings, wirtschaftlichen Zwang und Desinformation auf Kosten der europäischen Interessen einzusetzen, überrascht die veränderte Wahrnehmung in Brüssel nicht.
Diese neue Dynamik in Bezug auf Taiwan bleibt zwar im Rahmen der Ein-China-Politik der EU, aber sie ist real und bietet trotz ihrer Grenzen einen tatsächlichen Handlungsspielraum, den viele in Europa nicht erkannt haben. Es wird wichtig sein, dies sowohl innerhalb der EU als auch in Taiwan zu kommunizieren, da beide Seiten mit den Erwartungen Zuhause umgehen müssen.
Die Bedeutung Taiwans ist in der EU durch Erklärungen, Berichte und Beschlüsse, aber auch durch Besuche von europäischen und nationalen Parlamenten sowie durch die Intensivierung des bilateralen Handelsdialogs mit der Europäischen Kommission erneut ins Bewusstsein gerückt. All dies sind beispiellose Aktivitäten eines Blocks, der in Bezug auf China meist als gespalten und inkohärent und in Bezug auf Taiwan als zurückhaltend gilt. Im europäischen Kontext betrachtet, stellen diese Aktivitäten einen Präzedenzfall für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen der EU und Taiwan dar.
Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten nun daran, ihre strategischen Abhängigkeiten von China und Russland zu verringern und ihre wirtschaftliche und politische Widerstandsfähigkeit zu stärken. Dies hat die Bedeutung Taiwans in den geostrategischen Bemühungen Brüssels weiter erhöht, was meiner Ansicht nach genau der Grund ist, warum die neue Dynamik in den Beziehungen zwischen der EU und Taiwan anhalten wird. Die Tatsache, dass das Europäische Parlament im November 2021 eine Delegation seines Sonderausschusses für Desinformation nach Taiwan entsandt hat, war kein Zufall; sowohl Taiwan als auch die EU sind Opfer von Chinas Einflussnahme und Desinformationskampagnen geworden, und beide können hier voneinander lernen.
Pekings Bemühungen, die Demokratie durch Desinformation zu untergraben, schaden China unterdessen selbst. Auch die Beziehungen zur EU leiden darunter. Ironischerweise haben sie sogar dazu beigetragen, Taiwan enger an die EU zu binden. Vor diesem Hintergrund erwarte ich, dass die Unterstützung durch die EU, insbesondere durch das Europäische Parlament, fortgesetzt und verstärkt wird. Ich erwarte auch, dass einige Mitgliedstaaten wie Litauen, Tschechien und die Slowakei weiterhin eine Vorreiterrolle spielen werden. Ich glaube aber auch, dass Länder wie Deutschland die Bedeutung Taiwans in ihren Bemühungen, ihre strategische Abhängigkeit von China zu verringern, nicht aus den Augen verlieren werden.
Nationale parlamentarische Besuche werden in der Tat zur neuen Normalität, ungeachtet der Meinungsvielfalt innerhalb der Mitgliedstaaten. Die Regierungen müssen taiwanfreundliche Ideen gegen die Möglichkeit chinesischer Vergeltungsmaßnahmen abwägen, wenn sie auf eine engere Zusammenarbeit mit Taiwan pochen. Ausgehend von den jüngsten Erfahrungen werden die Besuche des Europäischen Parlaments fortgesetzt, um konkrete Möglichkeiten zur Zusammenarbeit im Handel und im Austausch in Wissenschaft, Forschung, Kultur und Bildung zu finden. Angesichts der Tatsache, dass die EU der größte Investor in Taiwan ist, scheinen die EU-Mitgliedstaaten verstanden zu haben, dass jede Störung in der Meerenge vor Taiwan ihre Interessen untergraben würde. Auf welche Weise sie diese Interessen tatsächlich verteidigen würden, bleibt jedoch abzuwarten; dies ist eine Frage der militärischen Fähigkeiten und des politischen Handlungswillens.
Ein folgenreicher Zusammenstoß in der Meerenge liegt in niemandes Interesse, weder in dem Pekings noch in dem Washingtons und schon gar nicht in dem Taiwans. Peking betrachtet die Stabilität in der Region als unverzichtbar für die Verfolgung seines Entwicklungskurses, um seine Macht im eigenen Land zu behaupten und seinen Einfluss im Ausland geltend zu machen. Der Zugang zu den europäischen Märkten ist für China lebenswichtig, sodass eine weitere Schwächung der bilateralen Beziehungen nicht im Sinne Pekings ist.
Ihre Legitimität zu erhalten ist eine wichtige Priorität für die Partei. Unter den gegenwärtigen Umständen erfordert das eine harte, aber vernünftige Reaktion. Pekings feindselige Rhetorik, der wirtschaftliche Zwang, die Drohungen und Vergeltungsmaßnahmen sowie weitere militärische Provokationen haben bereits zugenommen, um Taiwan zu bestrafen und die eigene Basis zu stärken. Ich erwarte, dass Peking diese Bemühungen in den kommenden Wochen noch verstärken und versuchen wird, das Bild eines starken Chinas zu vermitteln, das sich von Washington nicht einschüchtern lässt. Eine starke Unterstützung im Innern wird für Peking bei der Verfolgung seiner globalen Agenda von entscheidender Bedeutung bleiben.
Zsuzsa Anna Ferenczy ist Assistenzprofessorin an der Nationalen Dong Hwa Universität, Hualien, Taiwan, und ehemalige politische Beraterin im Europäischen Parlament.