Table.Briefing: China

Zhang Hui von Nio Europe + Gasversorgung + Xinjiang-Sanktionen

  • Zhang Hui von Nio: Den Automarkt digital aufrollen
  • Gasimporte erhöhen die Abhängigkeit von Rivalen
  • US verhängen Sanktionen gegen Sensetime
  • Baerbocks Debüt bei G7
  • EU kritisiert Lage in Xinjiang
  • Nicaragua wendet sich von Taiwan ab
  • Firmen müssen Emissionsdaten offenlegen
  • Brahma Chellaney: Xi Jinpings drei Fronten
  • Zur Sprache: Der Überstundenhund
Liebe Leserin, lieber Leser,

Annalena Baerbock muss ins kalte Wasser springen. Sie übernimmt das Amt der Außenministerin in einer Situation mit vielen Unsicherheiten und weltpolitischen Verschiebungen. Während das russische Interesse an der Ukraine jedoch nachgerade bedrohlich wirkt, ist die Situation mit China eher komplex als gefährlich. Peking ist wie Deutschland weiterhin vor allem an Stabilität interessiert.

Baerbock hat nun beim Treffen der G7-Außenminister am Wochenende in Liverpool zunächst auf Sicherheit gespielt. Es handelte sich schließlich um ihren ersten Auftritt auf der internationalen Bühne in der neuen Rolle. China sei Partner, Wettbewerber und Rivale, wiederholte sie exakt die Formel, mit der die EU das Verhältnis zu der asiatischen Großmacht einfängt. Die G7-Außenminister debattierten intensiv über China und äußerten “Sorge” über “wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen” durch China. Gemeint sind damit solche Aktionen wie die Zollblockade gegen Litauen. Darüber wiederum wollen die EU-Außenminister am heutigen Montag beraten.

Zu Baerbocks Aufgaben gehört es nun auch, eine neue Spirale in Richtung neuer Handelsbeschränkungen zu vermeiden. Hier treffen sich die Interessen der deutschen und chinesischen Wirtschaft. Die Automarke Nio ist ein gutes Beispiel dafür. Sie arbeitet an ihrem Einstieg auf den deutschen Markt. Langsam endet eben die Zeit, in der Deutschland in China Fahrzeuge verkaufte und nicht umgekehrt. Der Vize-Europechef Zhang Hui erklärt uns im Interview, wie er das größte Hindernis beim Markteinstieg überwinden will: das Fehlen einer etablierten Marke.

Nicht nur weltpolitisch wird es schnell kälter. Meteorologen sagen auch einen kalten Winter voraus. Zwischen beiden Themen gibt es eine Verbindung. Wer mit importiertem Gas heizt, ist von seinen Lieferanten abhängig. In Deutschland wird das im Zusammenhang mit Russland-Pipelines immer wieder zum Gesprächsthema. China steht zunehmend vor einem ähnlichen Dilemma, analysiert Christiane Kühl. In dem Bestreben, weniger Kohle zu nutzen, steigt der Anteil von Gas als Brennstoff. Und damit die Importabhängigkeit. Chinas Lösung? Mehr Gas vom Partner Russland statt vom Rivalen USA.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Interview

“Wir wollen eine Nio-Community schaffen”

Zhang Hui ist Vizepräsident von Nio in Europa
Zhang Hui ist Vizepräsident von Nio in Europa

Herr Zhang, welches Image soll Nio in Europa haben?

Ganz oben steht unsere Mission ‘shape a joyful lifestyle’. Das ist der Grund, warum William Li 2014 dieses Unternehmen gegründet hat. Er wollte mithilfe der Technologien im Bereich Smart Electric Vehicle eine Plattform erschaffen, auf der Nio und die sogenannten ‘User von Nio’ miteinander ein positives Lebensgefühl, Freude und ihre Erfahrungen mit der Marke teilen und sich weiterentwickeln können. Es ist uns gelungen, dieses Image in China zu etablieren. Uns ist wichtig, dieses Image nun auch im europäischen Markt zu haben.

Wie soll so ein Image transportiert werden?

Unterschiedliche Aspekte führen zu diesem Image. Nio ist eine Premium-Marke. Wir bestehen auf die höchsten Qualitätsstandards. Der zweite Aspekt ist die Sicherheit. Der ES8, den wir seit Ende September auf dem norwegischen Markt haben, erhielt fünf Sterne beim EuroNCAP Crashtest. Punkt drei ist das Design. Auf diesen Säulen ruht das Image. Daneben steht unsere User-Community. Das Community-Feeling, das wir in China schon haben, soll es auch in Europa geben.

Europäische Kunden gelten als weniger technikaffin als chinesische. Wie soll hierzulande das Communitybuilding funktionieren?

Ich würde nicht sagen, dass die europäische Gesellschaft weniger Erfahrung mit Communitys hat. Youtube, Facebook, WhatsApp, Airbnb, Miles and More, Payback schaffen das bereits. Es geht nun darum, das auch im Mobilitätsbereich zu machen. Die Autoindustrie hat jedoch seit 130 Jahren eine andere Wertschöpfungskette. Das heißt andererseits nicht, dass man das nicht ändern kann. In Norwegen wollten wir vor dem Start ein User Advisory Board (UAB) gründen. Ziel war es, 200 User zu finden, weil Norwegen mit 5,5 Millionen Einwohnern ein kleines Land ist. Wir haben aber sogar 600 Bewerbungen bekommen. Nach der Eröffnung vom Nio House in Oslo kommen inzwischen bis zu 2.000 Besucher pro Tag. Viele davon nehmen an Events und Aktivitäten im Nio House teil. Wenn die Themen richtig und wichtig sind, ziehen wir eine Gruppe von Leuten an, auf deren Basis wir die Community gründen können.

Europäische Kunden sind chinesischen Marken gegenüber sehr kritisch. Wie wollen sie die Akzeptanz erhöhen?

Wir müssen Fakten schaffen.

Dafür müssen die Leute ins Auto.

Das gehört zu unserer Strategie. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit bieten, über Testfahrten und andere Kanäle Zugang zum Fahrzeug zu bekommen. In China gibt es ein Sprichwort: ‘Etwas tausendmal zu hören ist nicht so überzeugend, wie es einmal gesehen zu haben.’

Wie kommen die Pläne in Europa voran?

Wir haben in Norwegen angefangen. 2022 starten wir in Deutschland und Schweden. Aber auch die anderen europäischen Märkte werden kommen. Zu den Stückzahlen kann ich keine genauen Angaben machen, aber wir wollen in naher Zukunft ein signifikanter Player im Premiumsegment sein. Das ist unser Ziel. In Europa haben wir derzeit rund 200 Mitarbeiter, verteilt auf unsere Standorte in München, Oxford und Oslo. In München ist unser europäisches und globales Headquarter für das Design. In Oxford betreiben wir Forschung und Entwicklung im Bereich ‘advanced engineering’ und in Oslo befindet sich die erste Vertriebs- und Service-Zentrale.

Was bedeutet ‘advanced engineering’?

Das bezieht sich auf die Fahrzeugarchitektur. Im Silicon Valley und in Shanghai forschen wir an der Künstlichen Intelligenz.

Wie laufen Verkauf und Vertrieb in Europa ab?

Für den Vertrieb haben wir sowohl ein Nio House als auch einen Nio Space. Das erste Nio House ist in Oslo. Es ist das erste außerhalb Chinas. Dort präsentieren wir die Autos und kommen mit den Kunden zusammen. Es wird also auch als Community-Place genutzt. Der Nio Space ist der zweite Point-of-sale. Es ist eine verkleinerte Form des Nio House. Für den Service haben wir ein Hybrid Modell. Einerseits ein eigener Service, andererseits ein Partner-Netzwerk. Das erste Nio Servicecenter wird zeitnah in Norwegen eröffnet.

Ihre Mitbewerber haben in beinahe jedem Ort Niederlassungen. Ist das ein Ziel von Nio?

Wie die Kollegen aus Wolfsburg aufgestellt sind, ist historisch bedingt. Uns ist bewusst, dass die Dichte des Netzwerks eine Rolle spielt. Deswegen wollen wir neue Formen anbieten – beispielsweise einen Service-Wagen. Den haben wir schon auf dem norwegischen Markt gelauncht. Das Partnernetzwerk dient dazu, dass wir zusätzlich in geografischer Nähe zum Kunden sind. Uns ist aber klar, dass nicht über Nacht ein paar tausend Service-Standorte entstehen. Wir glauben aber, dass wir über digitale Tools ein ähnliches Ergebnis erreichen können, wie der Wettbewerb.

Gibt es Unterschiede zwischen europäischen und chinesischen Nio-Modellen?

Im Grund genommen nicht. Weil wir für die Fahrzeuge von Beginn an ein internationales Design angestrebt haben. Es gibt keine Autos, die exklusiv nur für Europa oder China entwickelt werden. Wir passen nur Details an, die für die Funktionalität des Autos essentiell sind. Die Ladeklappe zum Beispiel. Aufgrund der unterschiedlichen Ladestandards in China und Europa sind die anders gebaut.

Chinesische Autos haben meist kein fest integriertes Navi.

In Europa haben wir unseren Navi-Service-Provider. Wir arbeiten für den ES8 mit TomTom zusammen.

Auch das klassische Autoradio gibt es in China nicht.

Wir haben ein Digitalradio im Angebot. Wir brauchen den lokalen Content und die lokalen Partner für unsere Kunden in Europa.

Firmengründer Li hat eine Produktion in Europa nicht ausgeschlossen. Die Beteiligung an Lotus hat deswegen die Spekulationen angeheizt.

Aktuell kann ich nur sagen, dass wir derzeit keine Produktion in Europa planen. Lotus ist ein anderes Thema. Nio Capital hat sich an Lotus beteiligt. Das ist eine unabhängige Firma, die den Namen Nio trägt – auch wenn Nio natürlich beteiligt ist.

War die globale Strategie von Nio von Anfang an geplant?

Das kann ich nur bestätigen. Es war von Anfang an das Ziel, ein globales Unternehmen aufzubauen. Eine Premiummarke muss global präsent sein. Es ist aber auch klar, dass dieses Ziel Schritt für Schritt erreicht werden muss. Von 2014 bis 2018 haben wir uns auf die Entwicklung des ersten Fahrzeugs konzentriert. Jetzt ist die Zeit gekommen, um ins Ausland zu gehen, was wir mit dem Markteintritt in Norwegen auch getan haben.

Was haben sie bisher in Europa gelernt?

Erstens, dass technische Anpassungen gemacht werden müssen: der Ladeanschluss, die Content-Provider, das Navi. Zweitens, dass Europa kein einzelner Markt ist, sondern aus 47 Ländern besteht, die von regionalen Kulturunterschieden geprägt sind. Und drittens haben wir gelernt, dass ein lokales Team für die lokalen Kunden wichtig ist. Der europäische Markt ist außerdem anders geprägt als der chinesische. Die Art unterscheidet sich von Land zu Land. Ein Beispiel: In China werden über 90 Prozent der Autos an Privatkunden verkauft. In Deutschland sind sechzig bis siebzig Prozent der Premium-Autos Dienstwagen. Das macht einen großen Unterschied in Bezug auf Angebot und Service.

Im Oktober sind die Verkaufszahlen eingebrochen. Woran lag das?

Die Zahlen im Oktober sind auf ein Fabrikupdate, das wir durchgeführt haben, zurückzuführen. In der einzigen Fabrik, in der wir Fahrzeuge herstellen, sind dadurch die Produktionsstückzahlen zurückgegangen.

Die Halbleiter-Knappheit war kein Grund?

Sicherlich ist auch Nio ein Unternehmen, das darunter leidet. Unsere Verkaufszahlen sind aber noch nicht zehn oder zwanzig Mal so hoch wie die mancher Mitbewerber. Wir hoffen, wie die ganze Industrie, dass sich die Situation Mitte nächsten Jahres deutlich verbessert hat.

Startups in der Mobilitätsbranche brauchen viel Geld und Know-how. Sie haben prominente Investoren. Was haben die, außer Geld, eingebracht?

Investoren sind Investoren. Nio funktioniert eigenständig. Aber zusätzlich bringen die jeweiligen Investoren Netzwerke in der gesamten Wertschöpfungskette mit ein. Sie erleichtern den Zugang zu bestimmten Ecosystemen. Gemeinsam können so bessere Kooperationen erreicht werden.

Die chinesische Elektroautomarke Nio hat bis einschließlich November 80.940 Autos ausgeliefert – vor allem in China. Hinter der Firma stehen große Investoren wie Tencent und Baidu; sie gilt deshalb als das bekannteste Start-up im chinesischen Mobilitätssektor. Nio wurde daher von Anfang an immer wieder in einem Atemzug mit Tesla genannt. Nach einer Kursrallye war die Marke an der Börse zwischenzeitlich sogar mehr wert als BMW. Im Jahr 2022 werden erste Modelle auch in Deutschland zu haben sein.

Zhang Hui ist ein Globetrotter. Der 49-Jährige lebt und arbeitet hauptsächlich in München, wo Nio sein globales Design-Headquarter hat. Regelmäßiges Pendeln nach Oslo und Shanghai ist daher Pflicht. Zhang kennt es nicht anders. Er hat in Peking, Pforzheim und Utah Wirtschaft studiert. Im Jahr 2002 begann seine Karriere beim Maschinenbauer Voith AG (Heidenheim) und dem Automobilzulieferer Kiekert (Heiligenhaus). 2010 übernahm er den Posten als General Managers bei Lotus China. Nach einem Zwischenspiel als Vorstandsmitglied beim Elektronikhersteller Leoni kam er zu Nio, wo er seit dem Jahr 2016 als Vice President Europe tätig ist.

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    Analyse

    Mehr Gas für den Winter

    Schon länger ist China der größte Erdölimporteur der Welt. Seit 2018 führt es auch mehr Erdgas ein als jedes andere Land. Dabei nimmt Flüssiggas einen immer größeren Anteil ein. Und so könnte China 2021 Japan auch als größter Importeur von Flüssiggas (Liquefied Natural Gas/LNG) überholen. In diesem Herbst trieb die Energiekrise im Land – nur Wochen vor dem Einsetzen des kalten nordchinesischen Winters – die Nachfrage trotz horrender Gaspreise weiter nach oben.

    Zwar besitzt China eigene Gasvorkommen. Seine eingelagerten Gasreserven lagen 2020 bei 14,8 Billionen Kubikmetern. Trotzdem wurde das Gas im Sommer knapp. Während Erdgas durch die Pipelines etwa aus Russland regelmäßig einströmt, muss LNG mit Spezialfrachtern verschifft werden.

    Normalerweise kauft China das Flüssiggas für den Winter im zweiten Halbjahr jeden Jahres. Doch die Erholung nach der Pandemie war so überraschend dynamisch ausgefallen, dass der Energiebedarf höher war als erwartet. Hinzu kamen die Stromausfälle im Sommer. Beides führte im zweiten Quartal zu einem saisonal untypischen LNG-Nachfragehoch. Chinas LNG-Importe lagen im ersten Halbjahr um 28 Prozent über dem durch Corona eher niedrigen Vorjahresniveau. Die Weltmarktpreise für Gas stiegen in dieser Zeit rasant. Im Juli zogen sich Chinas Gaskäufer daher aus den überteuerten Spot-Märkten für Flüssiggas weitgehend zurück – um nur wenig später hektisch dorthin zurückzukehren. Die LNG-Importe des Landes schwankten zwischen März und Oktober daher stark.

    Nach Angaben der Nationalen Energiebehörde NEA wird Chinas Gesamtgasbedarf voraussichtlich auf 365 bis 370 Milliarden Kubikmeter (bcm) steigen und damit um 11 bis 13 Prozent höher liegen als 2020. Diese Zuwächse liegen deutlich über den Erwartungen vieler Analysten. IHS Markit etwa war von etwa sechs Prozent Nachfragewachstum in den Jahren 2021 bis 2025 ausgegangen.

    Schließlich schaltete sich inmitten der Energiekrise die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) ein. Sie werde beim Ausbau der heimischen Gasproduktion und bei der Einfuhr von LNG-Spotmärkten helfen. In einem eilig einberufenen Treffen wies die NDRC die staatlichen Öl- und Gaskonzerne Petrochina, Sinopec und CNOOC an, alles zu tun, damit im Winter genug Erdgas da ist.

    Erdgas für die Klimapolitik

    Die NDRC habe bereits knapp 175 Milliarden Kubikmeter Gas ordern lassen, berichtete der Fachdienst Natural Gas Intelligence Mitte November. Das reiche fast für die Heizsaison Mitte November bis Mitte März. Auch im vergangenen Jahr wurde im Winter das Gas knapp. Dieses Jahr befürchten Meteorologen, dass der Winter wegen des Klimaphänomens La Niña besonders kalt wird. Doch China will nicht nur warm durch die kalte Jahreszeit kommen. Es geht auch um langfristige Energiesicherheit. Dazu muss China seine eigene Gasproduktion schneller ausbauen. Aber es wird dennoch nicht um Erdgas aus dem Ausland herumkommen.

    Der Anteil des Erdgases am Energie-Mix soll auch im Rahmen der Klimapolitik steigen. Die Treibhausgas-Emissionen liegen bei Gas niedriger als bei Kohle oder Erdöl. Es gilt daher als wichtiger Rohstoff für den Übergang zur klimaneutralen Energiegewinnung. Im Vor-Corona-Jahr 2019 machte Erdgas in China nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur IEA nur rund acht Prozent des Energieverbrauchs aus (10.390.620 Terajoule/TJ). Der Großteil davon fließt seit der Umstellung von Kohle- auf Gasheizungen in den Nullerjahren in die Raumwärme. Der für die Stromerzeugung abgezweigte Anteil ist minimal.

    China importiert überhaupt erst seit 2006 Erdgas. Das erste LNG kam 2006 aus Australien, das erste Pipeline-Gas folgte 2010 aus Zentralasien. Seither nimmt die Importabhängigkeit des energiehungrigen Landes immer weiter zu. Am meisten LNG bezieht die Volksrepublik aus Australien, gefolgt von den USA und Katar. Sowohl mit Washington als auch mit Canberra befindet Peking sich allerdings seit Monaten im Konflikt über Machtansprüche, Handelsfragen, Menschenrechte oder die Sicherheit im Indopazifik.

    Der Import ausgerechnet aus den Ländern, mit denen China im Clinch liegt, verdeutlicht die Nachteile der LNG-Strategie. Dass Peking aus diesen Staaten trotzdem immer mehr LNG beziehen muss, ist ein handfester geopolitischer Nachteil. Schon 2018 lag der Importanteil an Chinas Gasverbrauch bei 43 Prozent, davon 60 Prozent LNG. Dieser Anteil ist heute noch ähnlich; im September lag er bei gut 63 Prozent.

    LNG: Abhängigkeit von geopolitischen Rivalen

    Der Boom US-amerikanischen LNG in Chinas Energiemix ist dabei noch relativ jung. Anfang Januar 2020 sagte Chinas Unterhändler Liu He den USA – damals noch unter Ex-Präsident Donald Trump – in einem ersten Abkommen zur Lösung des Konflikts Energiekäufe im Tausch gegen Zollsenkungen zu. China verpflichtete sich, 2020 zusätzlich Rohstoffe für 18,5 Milliarden Dollar und 2021 für sogar 33,9 Milliarden Dollar aus den USA zu beziehen, je im Vergleich zu 2017. Von Januar bis August 2021 importierte China 5,44 Millionen Tonnen LNG aus den USA, 375 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. “Und China wird voraussichtlich noch mehr LNG-Importe aus den USA bekommen, da mindestens fünf chinesische Unternehmen in fortgeschrittenen Gesprächen sind, um sich langfristige LNG-Lieferungen von US-Exporteuren zu sichern”, zitierte die China Daily die Analystin Li Ziyue von Bloomberg New Energy Finance.

    Sinopec schloss mit dem US-Exporteur Venture Global LNG einen Liefervertrag über 20 Jahre. Doch nicht nur die großen Drei, sondern auch kleinere Firmen bestellen in Amerika: lokale Gaslieferanten wie zum Beispiel Zhejiang Energy, Stromfirmen oder andere Unternehmen, die mitverdienen wollen. So schloss laut Reuters etwa die privat geführte ENN Natural Gas Co. im Sommer einen 13-Jahresvertrag mit Cheniere Energy; es war der erste größere Gas-Deal zwischen beiden Ländern seit 2018.

    LNG lässt sich aber nicht einfach mal eben liefern. Um den Handel nachhaltig auszubauen, müssen sogenannte LNG-Terminals an der Küste entstehen. Die Anlagen dort können das Gas so stark abkühlen, dass es sich verflüssigt. Analysten sehen in den begrenzten Kapazitäten in China derzeit noch ein Hemmnis für eine rasante Ausweitung der Importe. Doch der Aufbau erfolgt so schnell wie eben vieles, das in China politisch gewollt wird. 2018 hatte China zehn LNG-Terminals, 2019 schon über 20. Weitere zehn sind im Bau oder geplant; und sie werden immer größer. In Yantai, Provinz Shandong, begann Sinopec im Dezember der Bau eines LNG-Terminals mit einer Kaianlage für LNG-Frachter, vier Tanks und Anlagen zur Weiterleitung des durch Erwärmung wieder gasförmig gemachten Rohstoffs. Sinopec und andere Konzerne errichten zudem riesige unterirdische Gas-Lagerstätten.

    Neue Pipelines für Differenzierung der Gaslieferanten

    Um den Gasbedarf zu decken und nicht zu abhängig vom LNG zu werden, setzt China parallel auf verstärkte Lieferungen von Erdgas aus den riesigen sibirischen Feldern Russlands. So soll die Gasmenge, die Russland durch die “Power of Siberia”-Pipeline täglich nach China pumpt, bis Jahresende gegenüber dem Stand vom August um die Hälfte steigen. Die russischen Lieferungen sind auch geopolitisch hochwillkommen, da sie Chinas Lieferanten-Pool diversifizieren. Schon jetzt ist der Gas-Handel zwischen China und Russland in diesem Jahr um 60 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum, teilt die NEA mit. Petrochina hat bereits angekündigt, die Bestellungen über die Pipeline deutlich zu erhöhen, um im Olympia-Winter genug Gasvorräte zu haben.

    Auch die Lieferungen über Pipelines aus Myanmar, Kasachstan und anderen Staaten Zentralasiens werden voraussichtlich steigen. Insgesamt erwartet der Preisinformationsdienst S&P Global Platts, dass Chinas Pipeline-Gasimporte mit 162 Millionen Kubikmeter pro Tag in dieser Heizsaison um 19 Prozent höher liegen als vor einem Jahr.

    Die heimische Gasproduktion aus existierenden und neuen Gasfeldern will China ebenfalls steigern. Dazu gehören auch Offshore-Gasvorkommen. Im Juni nahm CNOOC zum Beispiel das erste von China erschlossene Gasfeld im Südchinesischen Meer namens Linshui 17-2 in Betrieb. Auch diese Expansion in umstrittene Territorien dürfte geopolitische Fragen aufwerfen.

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      Weitere US-Sanktionen gegen China

      Der geopolitische Streit zwischen China auf der einen Seite und den USA mit ihren Verbündeten auf der anderen Seite spitzt sich weiter zu. Nach dem Demokratiegipfel in Washington hat die chinesische Führung die US-Demokratie als “Massenvernichtungswaffe” bezeichnet. Die USA hätten den Demokratiegipfel organisiert, um “Linien ideologischer Vorurteile zu ziehen, die Demokratie zu instrumentalisieren und als Waffe einzusetzen und Spaltung und Konfrontation herbeizuführen”, erklärte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Samstag. Peking werde sich “entschieden gegen jegliche Art von Pseudo-Demokratien wehren.”

      US-Präsident Joe Biden hatte rund 110 Staaten zu dem virtuellen Gipfeltreffen am vergangenen Donnerstag und Freitag zum Thema Demokratie eingeladen. China und Russland waren nicht dabei, dafür zum Ärger der Führung in Peking aber Taiwan. Während des Gipfels verhängten die USA weitere Sanktionen gegen Dutzende Personen und Organisationen mit Verbindungen zu China. Zusätzlich hat das amerikanische Finanzministerium ein chinesisches Unternehmen für künstliche Intelligenz, Sensetime, auf eine schwarze Liste für Investitionen gesetzt. Sensetime wird beschuldigt, Gesichtserkennungsprogramme entwickelt zu haben, die die ethnische Zugehörigkeit einer Zielperson bestimmen können. Dabei könnte ein Schwerpunkt auf der Identifizierung ethnischer Uiguren liegen. 

      G7 “besorgt” über Chinas Verhalten

      Der Umgang mit China war auch großes Thema beim Treffen der G7-Außenminister am Sonntag in Liverpool. “Gerade mit Blick auf China gibt es Einstimmigkeit darüber, dass China Partner ist bei all den globalen Fragen, die uns weltweit bewegen, aber eben auch Wettbewerber und System-Rivale”, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die zum ersten Mal an einem G7-Treffen teilnahm. Zugleich stellte sie klar, dass die G7 nicht gegen China Stellung beziehen, sondern für gemeinsame Werte eintreten.

      Die sieben Außenminister:innen zeigten sich am Sonntag “besorgt” über “wirtschaftlichen Zwang”, den China auszuüben versuche. Offen blieb, ob es eine gemeinsame Haltung im Umgang mit den Olympischen Winterspielen in Peking im Februar geben wird. Die USA, Australien und Großbritannien haben einen diplomatischen Boykott bereits angekündigt, Japan will sich dem anschließen. Deutschland und Frankreich streben eine europäische Lösung an. Zum 1. Januar wird Deutschland die Präsidentschaft der G7 übernehmen. flee

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        EU kritisiert Lage in Xinjiang

        Die Europäische Union hat China anlässlich des Tags der Menschenrechte am 10. Dezember mit ungewohnt deutlichen Worten kritisiert. “Die EU ist weiterhin sehr besorgt über die Menschenrechtslage in der Autonomen Region Xinjiang, insbesondere über die weit verbreiteten willkürlichen Verhaftungen, die Massenüberwachung und die systematischen Verletzungen der Rede- und Religionsfreiheit”, teilte die EU-Vertretung in Peking am Freitag mit. Sie forderte die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, auf, sich des Themas mehr anzunehmen. Die EU-Diplomaten verlangen zudem “unbeschränkten und unüberwachten Zugang zu Xinjiang” für Experten, Korrespondenten und Diplomaten. In der Erklärung listete die EU-Vertretung detailliert Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang auf und nannte inhaftierte Dissidenten und Journalisten.

        Die Lage in Xinjiang war bereits für mehrere Staaten Anlass für einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking. Es wird erwartet, dass die EU-Außenminister am Montag über eine gemeinsame Position der Mitgliedsstaaten debattieren werden, wie China.Table aus EU-Kreisen erfuhr. Die EU ringt derzeit um ihren Ansatz gegenüber eines diplomatischen Boykotts der Spiele. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte vergangene Woche erklärt, dass er von einem derartigen Fernbleiben nicht viel hält: “Ich denke nicht, dass wir diese Themen politisieren sollten, insbesondere wenn es sich um unbedeutende und symbolische Schritte handelt”, so Macron. Den Winterspielen sicher diplomatisch fernbleiben will bisher EU-Staat Litauen.

        Die Entscheidung Litauens gegen die Entsendung offizieller Vertreter zu den Spielen ist keine Überraschung angesichts des derzeit schwelende Handelskriegs (China.Table berichtete). Dieser soll am Montag ebenfalls beim Treffen der EU-Außenminister besprochen werden. Berichten zufolge hatte es am Freitag ein erstes Treffen zwischen Vertretern der EU und des chinesischen Zolls gegeben, jedoch ohne Ergebnisse oder einer konkreten Reaktion auf die Handelsblockade.fin/ari

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          Nicaragua bricht mit Taiwan

          Nicaragua hat die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen und sich zu Pekings Ein-China-Politik bekannt. Der Außenminister des zentralamerikanischen Staats, Denis Moncada, erklärte in einer Fernsehansprache, dass die Volksrepublik China die “einzige legitime Regierung” sei, die “ganz China” vertrete. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen bestätigte den Schritt in einer Nachricht auf Twitter. “Ich möchte betonen, dass kein Druck von außen unser Engagement für Freiheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und die Partnerschaft mit der internationalen demokratischen Gemeinschaft als eine Kraft des Guten erschüttern kann”, schrieb Tsai.

          Wie das Außenministerium in Taipeh mitteilte, werde sein diplomatisches Personal aus Managua abgezogen. “Wir bedauern, dass die Regierung von Präsident Daniel Ortega die lange Freundschaft zwischen den Völkern Taiwans und Nicaraguas ignoriert”, schrieb das Ministerium auf Twitter. Ein Außenamtssprecher in Peking begrüßte den Wechsel Nicaraguas, das er als “wichtiges Land” in Mittelamerika beschrieb. “Das ist die richtige Entscheidung.” In einem Video-Telefonat mit Nicaraguas Regierungsdelegation im nordchinesischen Tianjin lobte Außenminister Wang Yi die Entscheidung.

          Kritik erhielt Managua aus Washington. Die Entscheidung des Präsidenten Nicaraguas, Daniel Ortega, spiegle “nicht den Willen des nicaraguanischen Volkes wider”. Dem US-Außenministerium zufolge waren die jüngsten Präsidentschaftswahlen im November, bei denen Ortega für eine vierte Amtszeit gewählt wurde, ein “Schwindel”. 

          Ortega regiert durchgängig seit 2007. Kritische Medienberichte und die Opposition werden systematisch unterdrückt. 2017 war Taiwans Präsidentin Tsai noch zur Amtseinführung Ortegas eingeladen. Im Frühjahr 2018 ließ Ortega Proteste in seinem Land brutal niederschlagen. Seither kommt das Land kaum zur Ruhe. Vor der jüngsten Wahl wurden Oppositionsführer und Konkurrenten um das Präsidentenamt festgenommen.

          Der nicaraguanische Außenminister nannte keine Gründe für die Entscheidung. 2017 und 2018 hatten die lateinamerikanischen Staaten Panama, Dominikanische Republik und El Salvador bereits zugunsten Chinas mit Taiwan gebrochen. Zuletzt auch die Salomon-Inseln und Kiribati im Pazifik. Nach dem Seitenwechsel Nicaraguas wird Taiwan nur noch von 14 Ländern diplomatisch anerkanntari

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            Unternehmen müssen Emissionsdaten offenlegen

            Einige in China tätige Unternehmen müssen demnächst die von ihnen verursachten CO2-Emissionen offenlegen. Das chinesische Umweltministerium hat jüngst eine “Verwaltungsmaßnahme” genehmigt, die Unternehmen zur Offenlegung von Umweltinformationen verpflichtet. Einige Unternehmen müssen demnach die gesamten CO2-Emissionen für das laufende und das vorangegangene Jahr sowie die jährlichen Emissionen aller Treibhausgase öffentlich bekannt geben, wie die Beratungsagentur Trivium China bestätigt.

            Die Maßnahme zielt jedoch nur auf Unternehmen, die:

            • vom Umweltministerium als “große Emittenten” von Treibhausgasen definiert werden. Bisher wurden Unternehmen unter diese Kategorie gefasst, die einen hohen Ausstoß von Schwefeldioxid, Stickoxiden, Ruß (Partikel/Staub) und flüchtigen organischen Verbindungen verursachen. Es ist davon auszugehen, dass demnächst auch Firmen als “große Emittenten” erfasst werden, die viel CO2 verursachen,
            • obligatorischen Audits für saubere Produktion unterliegen,
            • börsennotierte oder schuldenemittierende Unternehmen, die in der Vergangenheit für Umweltverstöße strafrechtlich verantwortlich gemacht oder mit erheblichen Verwaltungsstrafen belegt wurden,
            • andere Unternehmen und Einrichtungen gemäß anderen Gesetzen und Vorschriften.

            Es müssen also nicht alle Unternehmen und auch nicht alle börsennotierten Unternehmen Informationen über ihre Emissionen offenlegen. Ursprünglich hatte die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde geplant, dass alle in China börsennotierten Unternehmen bis 2020 Umweltinformationen offenlegen müssen (China.Table berichtete). Es wird spekuliert, dass der Corona-Ausbruch die Verschiebung verursacht hat.

            Trotz dieser Einschränkungen ist die Maßnahme ein wichtiger Schritt, so Trivium China. In der Vergangenheit haben nur wenige chinesische Unternehmen freiwillig Daten zu den von ihnen verursachten CO2-Emissionen offengelegt. Die Gesetze sahen das bisher nicht vor. Die chinesischen Transparenz-Standards lagen bisher weit hinter internationalen Standards zurück. “Obligatorische Offenlegungspflichten für Kohlenstoffemissionen werden es sowohl den Regulierungsbehörden als auch den Anlegern erleichtern, festzustellen, wie Unternehmen zu Kohlenstoffemissionen beitragen“, so die Einschätzung der Experten von Trivium China. Diese Transparenz ist eine wichtige Grundbedingung, damit Investoren mit “Klima-Gewissen” die Bemühungen zum Klimaschutz von Unternehmen einschätzen können. nib

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              Presseschau

              G7-Treffen in Liverpool: Sorge wegen China TAGESSCHAU
              China bezeichnet US-Demokratie als “Massenvernichtungswaffe” SPIEGEL
              Probleme mit Handelspartner: Es wird kompliziert zwischen Deutschland und China FAZ
              Toy sellers ponder reliance on China as supply problems bite FINANCIAL TIMES
              Neue Seidenstraße: China bindet Laos an sich – per Zug TAGESSCHAU
              In China’s new age of imperialism, Xi Jinping gives thumbs down to democracy THE GUARDIAN
              China veröffentlicht neuen Plan zu Kühlkettenlogistik CRI (STAATSMEDIUM)
              Litauen: Standhaft gegen China DEUTSCHE WELLE
              Taiwans ziemlich beste Freunde: USA, Australien und Japan warnen China vor Invasion HANDELSBLATT
              Should Israel act on China’s threat? JERUSALEM POST
              Nepal droht zwischen Indien und China zerrieben zu werden NZZ
              Künstler Ai Weiwei: “Wer könnte besser sein als ich?” RND

              Standpunkt

              Chinas globaler Hybridkrieg

              von Brahma Chellaney
              Brahma Chellaney, Professor für Geostrategie aus Neu-Delhi, ist für seine China-kritischen Thesen bekannt.
              Brahma Chellaney, Professor für Geostrategie aus Neu-Delhi, ist für seine China-kritischen Thesen bekannt.

              Im heutigen China, der größten, stärksten und am längsten bestehenden Diktatur der Welt, gibt es keine Rechtsstaatlichkeit. Trotzdem nutzt das Reich der Mitte zunehmend sein Scheinparlament, um nationale Gesetze zu erlassen, mit denen territoriale Ansprüche und Rechte im Völkerrecht geltend gemacht werden. Tatsächlich ist China inzwischen recht geschickt darin, “Lawfare” zu betreiben – ein Begriff, der für die Instrumentalisierung des Rechts zur Verfolgung von politischen und strategischen Zwecken steht.

              Unter der herrischen Führung von “Oberbefehlshaber” Xi Jinping hat sich die Kriegsführung mit juristischen Mitteln zu einem entscheidenden Bestandteil von Chinas breiterem Ansatz der asymmetrischen oder hybriden Kriegsführung entwickelt. Die Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden ist in der offiziellen Strategie des Regimes als Doktrin der “Drei Arten der Kriegsführung” (san zhong zhanfa) verankert. So wie die Feder mächtiger sein kann als das Schwert, können es auch die juristische und psychologische Kriegsführung sein, sowie die Kriegsführung auf dem Gebiet der öffentlichen Meinung.

              Mit diesen Methoden treibt Xi den Expansionismus voran, ohne einen Schuss abzugeben. Schon jetzt erweist sich Chinas Aggression ohne Kugeln als Gamechanger in Asien, der bisher geltende Regeln und Mechanismen grundlegend verändert. Die Drei Arten der Kriegsführung in Verbindung mit militärischen Operationen haben China erhebliche territoriale Zuwächse beschert.

              Drei Arten der Kriegsführung

              Im Rahmen dieser größeren Strategie zielt Lawfare darauf ab, Regeln neu zu schreiben, um historischen Fantasien Leben einzuhauchen und unrechtmäßige Handlungen rückwirkend zu legitimieren. So hat China vor kurzem ein Gesetz über Landgrenzen erlassen, um seinen territorialen Revisionismus im Himalaya zu unterstützen. Um seine Expansionsbestrebungen im Süd- und Ostchinesischen Meer voranzutreiben, hat es Anfang des Jahres zudem das Küstenwachengesetz und das Gesetz zur Sicherheit im Seeverkehr erlassen.

              Die neuen Gesetze, die den Einsatz von Gewalt in umstrittenen Gebieten erlauben, wurden inmitten wachsender Spannungen mit den Nachbarländern erlassen. Das Gesetz über die Landgrenzen kommt während einer militärischen Pattsituation im Himalaya, wo sich mehr als 100.000 chinesische und indische Soldaten nach wiederholten chinesischen Übergriffen auf indisches Territorium seit fast 20 Monaten in einem Patt gegenüberstehen.

              Das Küstenwachengesetz verstößt nicht nur gegen das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, sondern könnte auch einen bewaffneten Konflikt mit Japan oder den Vereinigten Staaten auslösen, da es umstrittene Gewässer als chinesisches Territorium betrachtet. Das Gesetz über Landgrenzen droht ebenfalls Krieg mit Indien auszulösen, da es Chinas Absicht signalisiert, Grenzen einseitig festzulegen. Es erstreckt sich sogar auf die grenzüberschreitenden Flüsse mit Ursprung in Tibet, wo China das Recht proklamiert, so viel von den gemeinsamen Gewässern umzuleiten, wie es will.

              Chinas Küstenwachgesetz kollidiert mit UN-Übereinkommen zu Seerecht

              Diese jüngsten Gesetze schließen an den Erfolg der Strategie der Drei Arten der Kriegsführung an, mit der die Karte des Südchinesischen Meeres neu gezeichnet wurde – trotz des Urteils eines internationalen Schiedsgerichts, das die chinesischen Gebietsansprüche dort zurückwies – und mit der anschließend Hongkong geschluckt wurde, das lange Zeit unter demokratischen Institutionen als wichtiges globales Finanzzentrum floriert hatte.

              Im Südchinesischen Meer, einer Transitstrecke für rund ein Drittel des weltweiten Seehandels, hat Xis Regime die Kriegsführung mit juristischen Mitteln verschärft, um die chinesische Kontrolle zu festigen und seine erfundenen historischen Ansprüche Realität werden zu lassen. Während andere Anrainerstaaten, die Ansprüche erheben, im vergangenen Jahr gegen die Covid-19-Pandemie kämpften, schuf Xis Regierung zwei neue Verwaltungsbezirke, um ihre Ansprüche auf die Spratly- und Paracel-Inseln und andere Landgebiete zu untermauern. Unter weiterer Missachtung des Völkerrechts gab China 80 Inseln, Riffen, Seebergen, Sandbänken und Meeresrücken, von denen 55 vollständig unter Wasser liegen, Namen auf Mandarin.

              Das Mitte 2020 erlassene “Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong” ist ein ähnlich aggressiver Akt der juristischen Kriegsführung. Xi hat das Gesetz genutzt, um die pro-demokratische Bewegung in Hongkong zu zerschlagen und die Garantien außer Kraft zu setzen, die in Chinas Vertrag mit dem Vereinigten Königreich verankert sind, der bei den Vereinten Nationen registriert wurde. Der Vertrag verpflichtete China, die Grundrechte, Freiheiten und die politische Selbstbestimmung der Bürger Hongkongs für mindestens 50 Jahre nach Wiedererlangung der Souveränität zu wahren.

              Pekings Expansionsdrang wächst

              Der Erfolg dieser Strategie beim Aushöhlen der Autonomie Hongkongs wirft die Frage auf, ob China nun ähnliche Gesetze für Taiwan erlassen oder sich sogar auf sein Anti-Sezessionsgesetz von 2005 berufen wird, das seine Entschlossenheit unterstreicht, die Demokratie auf der Insel unter die Herrschaft des Festlandes zu stellen. Da China seine psychologische Kriegsführung und seinen Informationskrieg ausweitet, besteht die reale Gefahr, dass es nach den Olympischen Winterspielen in Peking im Februar gegen Taiwan vorgehen könnte.

              Xis Expansionsdrang hat auch das winzige Bhutan mit seinen gerade einmal 784.000 Einwohnern nicht verschont. Unter Missachtung eines bilateralen Vertrages aus dem Jahr 1998, der China verpflichtet, “keine einseitigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Status quo der Grenze zu verändern”, hat das Regime militarisierte Dörfer in Bhutans nördlichen und westlichen Grenzgebieten errichtet.

              Wie diese Beispiele zeigen, liefert seine nationale Gesetzgebung China zunehmend einen Vorwand, um international bindendes Völkerrecht zu missachten, einschließlich bilateraler und multilateraler Verträge, denen es beigetreten ist. Mit mehr als einer Million Gefangenen hat Xis Gulag für Muslime in Xinjiang die Völkermordkonvention von 1948 zum Gespött gemacht, der China 1983 beigetreten ist (mit dem Zusatz, dass es sich nicht an Artikel IX gebunden fühlt, die Klausel, die es jeder an einem Streitfall beteiligten Partei ermöglicht, diesen Fall dem Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten). Und da tatsächliche Kontrolle die notwendige Voraussetzung für einen überzeugenden territorialen Anspruch im Völkerrecht ist, nutzt Xi neue Gesetze, um Chinas Verwaltung umstrittener Gebiete zu untermauern, auch durch die Ansiedlung neuer Bewohner.

              Xis hybride Kriegsführung findet international kaum Beachtung

              Die Schaffung solcher Fakten vor Ort ist ein wesentlicher Bestandteil von Xis territorialer Vergrößerung. Aus diesem Grund hat sich China große Mühe gegeben, künstliche Inseln und Verwaltungsbezirke im Südchinesischen Meer zu schaffen und in Grenzgebieten des Himalaya, die von Indien, Bhutan und Nepal als innerhalb ihrer eigenen nationalen Grenzen betrachtet werden, militarisierte Dörfer zu errichten.

              Trotz dieser Übergriffe wurde Xis Lawfare oder seiner umfassenderen hybriden Kriegsführung international kaum Beachtung geschenkt. Der Fokus auf Chinas militärische Aufrüstung verschleiert die Tatsache, dass das Land seine See- und Landgrenzen still und leise ausdehnt, ohne einen Schuss abzugeben. In Anbetracht von Xis übergeordnetem Ziel – der globalen Vormachtstellung Chinas unter seiner Führung – müssen die Demokratien der Welt eine konzertierte Strategie entwickeln, um gegen seine drei Arten der Kriegsführung anzugehen.

              Brahma Chellaney ist Professor für Strategische Studien am Zentrum für Politikforschung in Neu-Delhi und Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin. Der indische Geopolitik-Experte hat die inzwischen weit verbreitete Vorstellung von Chinas Schuldenfallen-Diplomatie mitgeprägt. Chellaney ist Autor mehrerer Bücher, darunter Asian Juggernaut, Water: Asia’s New Battleground und Water, Peace, and War: Confronting the Global Water Crisis. Übersetzung: Sandra Pontow.

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                jiābāngou 加班狗 – Überstundenhund

                Von Überstundenhund bis Singlehund - warum werden Chines:innen als Hund bezeichnet?
                加班狗 – jiābāngou – Überstundenhund

                Der beste Freund des Menschen kommt nicht gut weg

                In der deutschen Sprache kommt der beste Freund des Menschen oft nicht gut weg, zum Beispiel wenn draußen wieder “Hundewetter” herrscht, sich dieser oder jener als “Hundskerl” oder “gemeiner Hund” herausstellt, wenn auch sonst alles “vor die Hunde” geht und man am Schluss dasteht wie ein “begossener Pudel”.

                Auch im Chinesischen haben bellende Vierbeiner sprachlich keinen leichten Stand. Denn in der chinesischen Internet- und Umgangssprache trifft man seit einiger Zeit gleich auf eine ganze Reihe neuer Wortzüchtungen, die “auf den Hund gekommen sind”. Einer der bekanntesten Vertreter in der 996-Zeit (Sie wissen schon, gemeint ist das Arbeiten von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends an 6 Tagen die Woche) ist der “Überstundenhund” (加班狗 jiābāngou), auf dessen Schreibtisch sich die Arbeitsaufträge aus der Chefetage stapeln.

                Selbstironie hinter den Beschreibung

                Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie im WeChat-Emoji-Repertoire auf an Schreibtischen rackernde Hunde stoßen. Es gibt in China sogar einen Lieferservice, der sich auf den Namen “Überstundenhund” getauft hat und Stressgeplagten den nötigen Essensnachschub “bei Fuß” apportiert. Wahlweise bezeichnen sich die rackernden Überstundenstrampler in China gerne auch selbstironisch (自黑 zìhēi) als “Backsteinschlepperhunde” (搬砖狗 bānzhuāngou). Auf den Schul- und Universitätsbänken japsen derweil “Schüler-” oder “Studentenhunde” (学生狗 xuéshenggou), die unter vollgestopften Stundenplänen, Hausaufgaben- und Hausarbeitsbergen ihrer Lehrer sowie hochgeschraubten Erwartungen ihrer Eltern winseln.

                In Herzensfragen streunen in China “Singlehunde” bzw. “Singlehündinnen” 单身狗 (dānshēngou) durch die Online- und Sprachlandschaft. Die Wortneuschöpfung dient einsamen Junggesellen und Junggesellinnen, die noch immer auf der Jagd nach einem passenden Herzenshund sind, als ironisch-selbstmitleidiges Selbstlabel. Doch dass auch traute Zweisamkeit nicht zwangsläufig Besserung versprechen muss, macht eine weitere “Hunderasse” deutlich: der “Freundinnenhund” 马子狗 (mazigou), der an die in Taiwan geläufige Bezeichnung 马子 (mazi) für “feste Freundin” angelehnt ist. Bei ihm handelt es sich um ein zahnloses Schoßhündchen, dessen eigentliche Herrin und Besitzerin die feste Freundin oder Ehefrau ist, die in allen Lebenslagen den Ton angibt.

                Gemein ist all diesen Neuzüchtungen, dass sie unter der strengen Fuchtel Anderer stehen und meist oft wenig zu japsen haben. Die sprachliche “Hundemarke” hängen sich die Betroffenen dabei meist selbst augenzwinkernd um den Hals. Bleibt zum Abschluss nur die Frage, wessen “Hündchen” man selbst eigentlich ist? Der sprachlichen Kreativität sind hier im Chinesischen jedenfalls kaum Grenzen gesetzt!

                Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese. Sind Sie neugierig geworden auf weitere chinesische Gimmicks? 24 ausgefallene chinesische Dinge, die einen besonderen Blick auf China geben, hat New Chinese hinter den 24 Türchen des New Chinese Online-Adventskalenders versteckt und wünscht Ihnen damit eine schöne Vorweihnachtszeit!  

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                    Liebe Leserin, lieber Leser,

                    Annalena Baerbock muss ins kalte Wasser springen. Sie übernimmt das Amt der Außenministerin in einer Situation mit vielen Unsicherheiten und weltpolitischen Verschiebungen. Während das russische Interesse an der Ukraine jedoch nachgerade bedrohlich wirkt, ist die Situation mit China eher komplex als gefährlich. Peking ist wie Deutschland weiterhin vor allem an Stabilität interessiert.

                    Baerbock hat nun beim Treffen der G7-Außenminister am Wochenende in Liverpool zunächst auf Sicherheit gespielt. Es handelte sich schließlich um ihren ersten Auftritt auf der internationalen Bühne in der neuen Rolle. China sei Partner, Wettbewerber und Rivale, wiederholte sie exakt die Formel, mit der die EU das Verhältnis zu der asiatischen Großmacht einfängt. Die G7-Außenminister debattierten intensiv über China und äußerten “Sorge” über “wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen” durch China. Gemeint sind damit solche Aktionen wie die Zollblockade gegen Litauen. Darüber wiederum wollen die EU-Außenminister am heutigen Montag beraten.

                    Zu Baerbocks Aufgaben gehört es nun auch, eine neue Spirale in Richtung neuer Handelsbeschränkungen zu vermeiden. Hier treffen sich die Interessen der deutschen und chinesischen Wirtschaft. Die Automarke Nio ist ein gutes Beispiel dafür. Sie arbeitet an ihrem Einstieg auf den deutschen Markt. Langsam endet eben die Zeit, in der Deutschland in China Fahrzeuge verkaufte und nicht umgekehrt. Der Vize-Europechef Zhang Hui erklärt uns im Interview, wie er das größte Hindernis beim Markteinstieg überwinden will: das Fehlen einer etablierten Marke.

                    Nicht nur weltpolitisch wird es schnell kälter. Meteorologen sagen auch einen kalten Winter voraus. Zwischen beiden Themen gibt es eine Verbindung. Wer mit importiertem Gas heizt, ist von seinen Lieferanten abhängig. In Deutschland wird das im Zusammenhang mit Russland-Pipelines immer wieder zum Gesprächsthema. China steht zunehmend vor einem ähnlichen Dilemma, analysiert Christiane Kühl. In dem Bestreben, weniger Kohle zu nutzen, steigt der Anteil von Gas als Brennstoff. Und damit die Importabhängigkeit. Chinas Lösung? Mehr Gas vom Partner Russland statt vom Rivalen USA.

                    Ihr
                    Finn Mayer-Kuckuk
                    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

                    Interview

                    “Wir wollen eine Nio-Community schaffen”

                    Zhang Hui ist Vizepräsident von Nio in Europa
                    Zhang Hui ist Vizepräsident von Nio in Europa

                    Herr Zhang, welches Image soll Nio in Europa haben?

                    Ganz oben steht unsere Mission ‘shape a joyful lifestyle’. Das ist der Grund, warum William Li 2014 dieses Unternehmen gegründet hat. Er wollte mithilfe der Technologien im Bereich Smart Electric Vehicle eine Plattform erschaffen, auf der Nio und die sogenannten ‘User von Nio’ miteinander ein positives Lebensgefühl, Freude und ihre Erfahrungen mit der Marke teilen und sich weiterentwickeln können. Es ist uns gelungen, dieses Image in China zu etablieren. Uns ist wichtig, dieses Image nun auch im europäischen Markt zu haben.

                    Wie soll so ein Image transportiert werden?

                    Unterschiedliche Aspekte führen zu diesem Image. Nio ist eine Premium-Marke. Wir bestehen auf die höchsten Qualitätsstandards. Der zweite Aspekt ist die Sicherheit. Der ES8, den wir seit Ende September auf dem norwegischen Markt haben, erhielt fünf Sterne beim EuroNCAP Crashtest. Punkt drei ist das Design. Auf diesen Säulen ruht das Image. Daneben steht unsere User-Community. Das Community-Feeling, das wir in China schon haben, soll es auch in Europa geben.

                    Europäische Kunden gelten als weniger technikaffin als chinesische. Wie soll hierzulande das Communitybuilding funktionieren?

                    Ich würde nicht sagen, dass die europäische Gesellschaft weniger Erfahrung mit Communitys hat. Youtube, Facebook, WhatsApp, Airbnb, Miles and More, Payback schaffen das bereits. Es geht nun darum, das auch im Mobilitätsbereich zu machen. Die Autoindustrie hat jedoch seit 130 Jahren eine andere Wertschöpfungskette. Das heißt andererseits nicht, dass man das nicht ändern kann. In Norwegen wollten wir vor dem Start ein User Advisory Board (UAB) gründen. Ziel war es, 200 User zu finden, weil Norwegen mit 5,5 Millionen Einwohnern ein kleines Land ist. Wir haben aber sogar 600 Bewerbungen bekommen. Nach der Eröffnung vom Nio House in Oslo kommen inzwischen bis zu 2.000 Besucher pro Tag. Viele davon nehmen an Events und Aktivitäten im Nio House teil. Wenn die Themen richtig und wichtig sind, ziehen wir eine Gruppe von Leuten an, auf deren Basis wir die Community gründen können.

                    Europäische Kunden sind chinesischen Marken gegenüber sehr kritisch. Wie wollen sie die Akzeptanz erhöhen?

                    Wir müssen Fakten schaffen.

                    Dafür müssen die Leute ins Auto.

                    Das gehört zu unserer Strategie. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit bieten, über Testfahrten und andere Kanäle Zugang zum Fahrzeug zu bekommen. In China gibt es ein Sprichwort: ‘Etwas tausendmal zu hören ist nicht so überzeugend, wie es einmal gesehen zu haben.’

                    Wie kommen die Pläne in Europa voran?

                    Wir haben in Norwegen angefangen. 2022 starten wir in Deutschland und Schweden. Aber auch die anderen europäischen Märkte werden kommen. Zu den Stückzahlen kann ich keine genauen Angaben machen, aber wir wollen in naher Zukunft ein signifikanter Player im Premiumsegment sein. Das ist unser Ziel. In Europa haben wir derzeit rund 200 Mitarbeiter, verteilt auf unsere Standorte in München, Oxford und Oslo. In München ist unser europäisches und globales Headquarter für das Design. In Oxford betreiben wir Forschung und Entwicklung im Bereich ‘advanced engineering’ und in Oslo befindet sich die erste Vertriebs- und Service-Zentrale.

                    Was bedeutet ‘advanced engineering’?

                    Das bezieht sich auf die Fahrzeugarchitektur. Im Silicon Valley und in Shanghai forschen wir an der Künstlichen Intelligenz.

                    Wie laufen Verkauf und Vertrieb in Europa ab?

                    Für den Vertrieb haben wir sowohl ein Nio House als auch einen Nio Space. Das erste Nio House ist in Oslo. Es ist das erste außerhalb Chinas. Dort präsentieren wir die Autos und kommen mit den Kunden zusammen. Es wird also auch als Community-Place genutzt. Der Nio Space ist der zweite Point-of-sale. Es ist eine verkleinerte Form des Nio House. Für den Service haben wir ein Hybrid Modell. Einerseits ein eigener Service, andererseits ein Partner-Netzwerk. Das erste Nio Servicecenter wird zeitnah in Norwegen eröffnet.

                    Ihre Mitbewerber haben in beinahe jedem Ort Niederlassungen. Ist das ein Ziel von Nio?

                    Wie die Kollegen aus Wolfsburg aufgestellt sind, ist historisch bedingt. Uns ist bewusst, dass die Dichte des Netzwerks eine Rolle spielt. Deswegen wollen wir neue Formen anbieten – beispielsweise einen Service-Wagen. Den haben wir schon auf dem norwegischen Markt gelauncht. Das Partnernetzwerk dient dazu, dass wir zusätzlich in geografischer Nähe zum Kunden sind. Uns ist aber klar, dass nicht über Nacht ein paar tausend Service-Standorte entstehen. Wir glauben aber, dass wir über digitale Tools ein ähnliches Ergebnis erreichen können, wie der Wettbewerb.

                    Gibt es Unterschiede zwischen europäischen und chinesischen Nio-Modellen?

                    Im Grund genommen nicht. Weil wir für die Fahrzeuge von Beginn an ein internationales Design angestrebt haben. Es gibt keine Autos, die exklusiv nur für Europa oder China entwickelt werden. Wir passen nur Details an, die für die Funktionalität des Autos essentiell sind. Die Ladeklappe zum Beispiel. Aufgrund der unterschiedlichen Ladestandards in China und Europa sind die anders gebaut.

                    Chinesische Autos haben meist kein fest integriertes Navi.

                    In Europa haben wir unseren Navi-Service-Provider. Wir arbeiten für den ES8 mit TomTom zusammen.

                    Auch das klassische Autoradio gibt es in China nicht.

                    Wir haben ein Digitalradio im Angebot. Wir brauchen den lokalen Content und die lokalen Partner für unsere Kunden in Europa.

                    Firmengründer Li hat eine Produktion in Europa nicht ausgeschlossen. Die Beteiligung an Lotus hat deswegen die Spekulationen angeheizt.

                    Aktuell kann ich nur sagen, dass wir derzeit keine Produktion in Europa planen. Lotus ist ein anderes Thema. Nio Capital hat sich an Lotus beteiligt. Das ist eine unabhängige Firma, die den Namen Nio trägt – auch wenn Nio natürlich beteiligt ist.

                    War die globale Strategie von Nio von Anfang an geplant?

                    Das kann ich nur bestätigen. Es war von Anfang an das Ziel, ein globales Unternehmen aufzubauen. Eine Premiummarke muss global präsent sein. Es ist aber auch klar, dass dieses Ziel Schritt für Schritt erreicht werden muss. Von 2014 bis 2018 haben wir uns auf die Entwicklung des ersten Fahrzeugs konzentriert. Jetzt ist die Zeit gekommen, um ins Ausland zu gehen, was wir mit dem Markteintritt in Norwegen auch getan haben.

                    Was haben sie bisher in Europa gelernt?

                    Erstens, dass technische Anpassungen gemacht werden müssen: der Ladeanschluss, die Content-Provider, das Navi. Zweitens, dass Europa kein einzelner Markt ist, sondern aus 47 Ländern besteht, die von regionalen Kulturunterschieden geprägt sind. Und drittens haben wir gelernt, dass ein lokales Team für die lokalen Kunden wichtig ist. Der europäische Markt ist außerdem anders geprägt als der chinesische. Die Art unterscheidet sich von Land zu Land. Ein Beispiel: In China werden über 90 Prozent der Autos an Privatkunden verkauft. In Deutschland sind sechzig bis siebzig Prozent der Premium-Autos Dienstwagen. Das macht einen großen Unterschied in Bezug auf Angebot und Service.

                    Im Oktober sind die Verkaufszahlen eingebrochen. Woran lag das?

                    Die Zahlen im Oktober sind auf ein Fabrikupdate, das wir durchgeführt haben, zurückzuführen. In der einzigen Fabrik, in der wir Fahrzeuge herstellen, sind dadurch die Produktionsstückzahlen zurückgegangen.

                    Die Halbleiter-Knappheit war kein Grund?

                    Sicherlich ist auch Nio ein Unternehmen, das darunter leidet. Unsere Verkaufszahlen sind aber noch nicht zehn oder zwanzig Mal so hoch wie die mancher Mitbewerber. Wir hoffen, wie die ganze Industrie, dass sich die Situation Mitte nächsten Jahres deutlich verbessert hat.

                    Startups in der Mobilitätsbranche brauchen viel Geld und Know-how. Sie haben prominente Investoren. Was haben die, außer Geld, eingebracht?

                    Investoren sind Investoren. Nio funktioniert eigenständig. Aber zusätzlich bringen die jeweiligen Investoren Netzwerke in der gesamten Wertschöpfungskette mit ein. Sie erleichtern den Zugang zu bestimmten Ecosystemen. Gemeinsam können so bessere Kooperationen erreicht werden.

                    Die chinesische Elektroautomarke Nio hat bis einschließlich November 80.940 Autos ausgeliefert – vor allem in China. Hinter der Firma stehen große Investoren wie Tencent und Baidu; sie gilt deshalb als das bekannteste Start-up im chinesischen Mobilitätssektor. Nio wurde daher von Anfang an immer wieder in einem Atemzug mit Tesla genannt. Nach einer Kursrallye war die Marke an der Börse zwischenzeitlich sogar mehr wert als BMW. Im Jahr 2022 werden erste Modelle auch in Deutschland zu haben sein.

                    Zhang Hui ist ein Globetrotter. Der 49-Jährige lebt und arbeitet hauptsächlich in München, wo Nio sein globales Design-Headquarter hat. Regelmäßiges Pendeln nach Oslo und Shanghai ist daher Pflicht. Zhang kennt es nicht anders. Er hat in Peking, Pforzheim und Utah Wirtschaft studiert. Im Jahr 2002 begann seine Karriere beim Maschinenbauer Voith AG (Heidenheim) und dem Automobilzulieferer Kiekert (Heiligenhaus). 2010 übernahm er den Posten als General Managers bei Lotus China. Nach einem Zwischenspiel als Vorstandsmitglied beim Elektronikhersteller Leoni kam er zu Nio, wo er seit dem Jahr 2016 als Vice President Europe tätig ist.

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                      Mehr Gas für den Winter

                      Schon länger ist China der größte Erdölimporteur der Welt. Seit 2018 führt es auch mehr Erdgas ein als jedes andere Land. Dabei nimmt Flüssiggas einen immer größeren Anteil ein. Und so könnte China 2021 Japan auch als größter Importeur von Flüssiggas (Liquefied Natural Gas/LNG) überholen. In diesem Herbst trieb die Energiekrise im Land – nur Wochen vor dem Einsetzen des kalten nordchinesischen Winters – die Nachfrage trotz horrender Gaspreise weiter nach oben.

                      Zwar besitzt China eigene Gasvorkommen. Seine eingelagerten Gasreserven lagen 2020 bei 14,8 Billionen Kubikmetern. Trotzdem wurde das Gas im Sommer knapp. Während Erdgas durch die Pipelines etwa aus Russland regelmäßig einströmt, muss LNG mit Spezialfrachtern verschifft werden.

                      Normalerweise kauft China das Flüssiggas für den Winter im zweiten Halbjahr jeden Jahres. Doch die Erholung nach der Pandemie war so überraschend dynamisch ausgefallen, dass der Energiebedarf höher war als erwartet. Hinzu kamen die Stromausfälle im Sommer. Beides führte im zweiten Quartal zu einem saisonal untypischen LNG-Nachfragehoch. Chinas LNG-Importe lagen im ersten Halbjahr um 28 Prozent über dem durch Corona eher niedrigen Vorjahresniveau. Die Weltmarktpreise für Gas stiegen in dieser Zeit rasant. Im Juli zogen sich Chinas Gaskäufer daher aus den überteuerten Spot-Märkten für Flüssiggas weitgehend zurück – um nur wenig später hektisch dorthin zurückzukehren. Die LNG-Importe des Landes schwankten zwischen März und Oktober daher stark.

                      Nach Angaben der Nationalen Energiebehörde NEA wird Chinas Gesamtgasbedarf voraussichtlich auf 365 bis 370 Milliarden Kubikmeter (bcm) steigen und damit um 11 bis 13 Prozent höher liegen als 2020. Diese Zuwächse liegen deutlich über den Erwartungen vieler Analysten. IHS Markit etwa war von etwa sechs Prozent Nachfragewachstum in den Jahren 2021 bis 2025 ausgegangen.

                      Schließlich schaltete sich inmitten der Energiekrise die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) ein. Sie werde beim Ausbau der heimischen Gasproduktion und bei der Einfuhr von LNG-Spotmärkten helfen. In einem eilig einberufenen Treffen wies die NDRC die staatlichen Öl- und Gaskonzerne Petrochina, Sinopec und CNOOC an, alles zu tun, damit im Winter genug Erdgas da ist.

                      Erdgas für die Klimapolitik

                      Die NDRC habe bereits knapp 175 Milliarden Kubikmeter Gas ordern lassen, berichtete der Fachdienst Natural Gas Intelligence Mitte November. Das reiche fast für die Heizsaison Mitte November bis Mitte März. Auch im vergangenen Jahr wurde im Winter das Gas knapp. Dieses Jahr befürchten Meteorologen, dass der Winter wegen des Klimaphänomens La Niña besonders kalt wird. Doch China will nicht nur warm durch die kalte Jahreszeit kommen. Es geht auch um langfristige Energiesicherheit. Dazu muss China seine eigene Gasproduktion schneller ausbauen. Aber es wird dennoch nicht um Erdgas aus dem Ausland herumkommen.

                      Der Anteil des Erdgases am Energie-Mix soll auch im Rahmen der Klimapolitik steigen. Die Treibhausgas-Emissionen liegen bei Gas niedriger als bei Kohle oder Erdöl. Es gilt daher als wichtiger Rohstoff für den Übergang zur klimaneutralen Energiegewinnung. Im Vor-Corona-Jahr 2019 machte Erdgas in China nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur IEA nur rund acht Prozent des Energieverbrauchs aus (10.390.620 Terajoule/TJ). Der Großteil davon fließt seit der Umstellung von Kohle- auf Gasheizungen in den Nullerjahren in die Raumwärme. Der für die Stromerzeugung abgezweigte Anteil ist minimal.

                      China importiert überhaupt erst seit 2006 Erdgas. Das erste LNG kam 2006 aus Australien, das erste Pipeline-Gas folgte 2010 aus Zentralasien. Seither nimmt die Importabhängigkeit des energiehungrigen Landes immer weiter zu. Am meisten LNG bezieht die Volksrepublik aus Australien, gefolgt von den USA und Katar. Sowohl mit Washington als auch mit Canberra befindet Peking sich allerdings seit Monaten im Konflikt über Machtansprüche, Handelsfragen, Menschenrechte oder die Sicherheit im Indopazifik.

                      Der Import ausgerechnet aus den Ländern, mit denen China im Clinch liegt, verdeutlicht die Nachteile der LNG-Strategie. Dass Peking aus diesen Staaten trotzdem immer mehr LNG beziehen muss, ist ein handfester geopolitischer Nachteil. Schon 2018 lag der Importanteil an Chinas Gasverbrauch bei 43 Prozent, davon 60 Prozent LNG. Dieser Anteil ist heute noch ähnlich; im September lag er bei gut 63 Prozent.

                      LNG: Abhängigkeit von geopolitischen Rivalen

                      Der Boom US-amerikanischen LNG in Chinas Energiemix ist dabei noch relativ jung. Anfang Januar 2020 sagte Chinas Unterhändler Liu He den USA – damals noch unter Ex-Präsident Donald Trump – in einem ersten Abkommen zur Lösung des Konflikts Energiekäufe im Tausch gegen Zollsenkungen zu. China verpflichtete sich, 2020 zusätzlich Rohstoffe für 18,5 Milliarden Dollar und 2021 für sogar 33,9 Milliarden Dollar aus den USA zu beziehen, je im Vergleich zu 2017. Von Januar bis August 2021 importierte China 5,44 Millionen Tonnen LNG aus den USA, 375 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. “Und China wird voraussichtlich noch mehr LNG-Importe aus den USA bekommen, da mindestens fünf chinesische Unternehmen in fortgeschrittenen Gesprächen sind, um sich langfristige LNG-Lieferungen von US-Exporteuren zu sichern”, zitierte die China Daily die Analystin Li Ziyue von Bloomberg New Energy Finance.

                      Sinopec schloss mit dem US-Exporteur Venture Global LNG einen Liefervertrag über 20 Jahre. Doch nicht nur die großen Drei, sondern auch kleinere Firmen bestellen in Amerika: lokale Gaslieferanten wie zum Beispiel Zhejiang Energy, Stromfirmen oder andere Unternehmen, die mitverdienen wollen. So schloss laut Reuters etwa die privat geführte ENN Natural Gas Co. im Sommer einen 13-Jahresvertrag mit Cheniere Energy; es war der erste größere Gas-Deal zwischen beiden Ländern seit 2018.

                      LNG lässt sich aber nicht einfach mal eben liefern. Um den Handel nachhaltig auszubauen, müssen sogenannte LNG-Terminals an der Küste entstehen. Die Anlagen dort können das Gas so stark abkühlen, dass es sich verflüssigt. Analysten sehen in den begrenzten Kapazitäten in China derzeit noch ein Hemmnis für eine rasante Ausweitung der Importe. Doch der Aufbau erfolgt so schnell wie eben vieles, das in China politisch gewollt wird. 2018 hatte China zehn LNG-Terminals, 2019 schon über 20. Weitere zehn sind im Bau oder geplant; und sie werden immer größer. In Yantai, Provinz Shandong, begann Sinopec im Dezember der Bau eines LNG-Terminals mit einer Kaianlage für LNG-Frachter, vier Tanks und Anlagen zur Weiterleitung des durch Erwärmung wieder gasförmig gemachten Rohstoffs. Sinopec und andere Konzerne errichten zudem riesige unterirdische Gas-Lagerstätten.

                      Neue Pipelines für Differenzierung der Gaslieferanten

                      Um den Gasbedarf zu decken und nicht zu abhängig vom LNG zu werden, setzt China parallel auf verstärkte Lieferungen von Erdgas aus den riesigen sibirischen Feldern Russlands. So soll die Gasmenge, die Russland durch die “Power of Siberia”-Pipeline täglich nach China pumpt, bis Jahresende gegenüber dem Stand vom August um die Hälfte steigen. Die russischen Lieferungen sind auch geopolitisch hochwillkommen, da sie Chinas Lieferanten-Pool diversifizieren. Schon jetzt ist der Gas-Handel zwischen China und Russland in diesem Jahr um 60 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum, teilt die NEA mit. Petrochina hat bereits angekündigt, die Bestellungen über die Pipeline deutlich zu erhöhen, um im Olympia-Winter genug Gasvorräte zu haben.

                      Auch die Lieferungen über Pipelines aus Myanmar, Kasachstan und anderen Staaten Zentralasiens werden voraussichtlich steigen. Insgesamt erwartet der Preisinformationsdienst S&P Global Platts, dass Chinas Pipeline-Gasimporte mit 162 Millionen Kubikmeter pro Tag in dieser Heizsaison um 19 Prozent höher liegen als vor einem Jahr.

                      Die heimische Gasproduktion aus existierenden und neuen Gasfeldern will China ebenfalls steigern. Dazu gehören auch Offshore-Gasvorkommen. Im Juni nahm CNOOC zum Beispiel das erste von China erschlossene Gasfeld im Südchinesischen Meer namens Linshui 17-2 in Betrieb. Auch diese Expansion in umstrittene Territorien dürfte geopolitische Fragen aufwerfen.

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                        Weitere US-Sanktionen gegen China

                        Der geopolitische Streit zwischen China auf der einen Seite und den USA mit ihren Verbündeten auf der anderen Seite spitzt sich weiter zu. Nach dem Demokratiegipfel in Washington hat die chinesische Führung die US-Demokratie als “Massenvernichtungswaffe” bezeichnet. Die USA hätten den Demokratiegipfel organisiert, um “Linien ideologischer Vorurteile zu ziehen, die Demokratie zu instrumentalisieren und als Waffe einzusetzen und Spaltung und Konfrontation herbeizuführen”, erklärte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Samstag. Peking werde sich “entschieden gegen jegliche Art von Pseudo-Demokratien wehren.”

                        US-Präsident Joe Biden hatte rund 110 Staaten zu dem virtuellen Gipfeltreffen am vergangenen Donnerstag und Freitag zum Thema Demokratie eingeladen. China und Russland waren nicht dabei, dafür zum Ärger der Führung in Peking aber Taiwan. Während des Gipfels verhängten die USA weitere Sanktionen gegen Dutzende Personen und Organisationen mit Verbindungen zu China. Zusätzlich hat das amerikanische Finanzministerium ein chinesisches Unternehmen für künstliche Intelligenz, Sensetime, auf eine schwarze Liste für Investitionen gesetzt. Sensetime wird beschuldigt, Gesichtserkennungsprogramme entwickelt zu haben, die die ethnische Zugehörigkeit einer Zielperson bestimmen können. Dabei könnte ein Schwerpunkt auf der Identifizierung ethnischer Uiguren liegen. 

                        G7 “besorgt” über Chinas Verhalten

                        Der Umgang mit China war auch großes Thema beim Treffen der G7-Außenminister am Sonntag in Liverpool. “Gerade mit Blick auf China gibt es Einstimmigkeit darüber, dass China Partner ist bei all den globalen Fragen, die uns weltweit bewegen, aber eben auch Wettbewerber und System-Rivale”, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die zum ersten Mal an einem G7-Treffen teilnahm. Zugleich stellte sie klar, dass die G7 nicht gegen China Stellung beziehen, sondern für gemeinsame Werte eintreten.

                        Die sieben Außenminister:innen zeigten sich am Sonntag “besorgt” über “wirtschaftlichen Zwang”, den China auszuüben versuche. Offen blieb, ob es eine gemeinsame Haltung im Umgang mit den Olympischen Winterspielen in Peking im Februar geben wird. Die USA, Australien und Großbritannien haben einen diplomatischen Boykott bereits angekündigt, Japan will sich dem anschließen. Deutschland und Frankreich streben eine europäische Lösung an. Zum 1. Januar wird Deutschland die Präsidentschaft der G7 übernehmen. flee

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                          EU kritisiert Lage in Xinjiang

                          Die Europäische Union hat China anlässlich des Tags der Menschenrechte am 10. Dezember mit ungewohnt deutlichen Worten kritisiert. “Die EU ist weiterhin sehr besorgt über die Menschenrechtslage in der Autonomen Region Xinjiang, insbesondere über die weit verbreiteten willkürlichen Verhaftungen, die Massenüberwachung und die systematischen Verletzungen der Rede- und Religionsfreiheit”, teilte die EU-Vertretung in Peking am Freitag mit. Sie forderte die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, auf, sich des Themas mehr anzunehmen. Die EU-Diplomaten verlangen zudem “unbeschränkten und unüberwachten Zugang zu Xinjiang” für Experten, Korrespondenten und Diplomaten. In der Erklärung listete die EU-Vertretung detailliert Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang auf und nannte inhaftierte Dissidenten und Journalisten.

                          Die Lage in Xinjiang war bereits für mehrere Staaten Anlass für einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking. Es wird erwartet, dass die EU-Außenminister am Montag über eine gemeinsame Position der Mitgliedsstaaten debattieren werden, wie China.Table aus EU-Kreisen erfuhr. Die EU ringt derzeit um ihren Ansatz gegenüber eines diplomatischen Boykotts der Spiele. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte vergangene Woche erklärt, dass er von einem derartigen Fernbleiben nicht viel hält: “Ich denke nicht, dass wir diese Themen politisieren sollten, insbesondere wenn es sich um unbedeutende und symbolische Schritte handelt”, so Macron. Den Winterspielen sicher diplomatisch fernbleiben will bisher EU-Staat Litauen.

                          Die Entscheidung Litauens gegen die Entsendung offizieller Vertreter zu den Spielen ist keine Überraschung angesichts des derzeit schwelende Handelskriegs (China.Table berichtete). Dieser soll am Montag ebenfalls beim Treffen der EU-Außenminister besprochen werden. Berichten zufolge hatte es am Freitag ein erstes Treffen zwischen Vertretern der EU und des chinesischen Zolls gegeben, jedoch ohne Ergebnisse oder einer konkreten Reaktion auf die Handelsblockade.fin/ari

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                            Nicaragua bricht mit Taiwan

                            Nicaragua hat die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen und sich zu Pekings Ein-China-Politik bekannt. Der Außenminister des zentralamerikanischen Staats, Denis Moncada, erklärte in einer Fernsehansprache, dass die Volksrepublik China die “einzige legitime Regierung” sei, die “ganz China” vertrete. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen bestätigte den Schritt in einer Nachricht auf Twitter. “Ich möchte betonen, dass kein Druck von außen unser Engagement für Freiheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und die Partnerschaft mit der internationalen demokratischen Gemeinschaft als eine Kraft des Guten erschüttern kann”, schrieb Tsai.

                            Wie das Außenministerium in Taipeh mitteilte, werde sein diplomatisches Personal aus Managua abgezogen. “Wir bedauern, dass die Regierung von Präsident Daniel Ortega die lange Freundschaft zwischen den Völkern Taiwans und Nicaraguas ignoriert”, schrieb das Ministerium auf Twitter. Ein Außenamtssprecher in Peking begrüßte den Wechsel Nicaraguas, das er als “wichtiges Land” in Mittelamerika beschrieb. “Das ist die richtige Entscheidung.” In einem Video-Telefonat mit Nicaraguas Regierungsdelegation im nordchinesischen Tianjin lobte Außenminister Wang Yi die Entscheidung.

                            Kritik erhielt Managua aus Washington. Die Entscheidung des Präsidenten Nicaraguas, Daniel Ortega, spiegle “nicht den Willen des nicaraguanischen Volkes wider”. Dem US-Außenministerium zufolge waren die jüngsten Präsidentschaftswahlen im November, bei denen Ortega für eine vierte Amtszeit gewählt wurde, ein “Schwindel”. 

                            Ortega regiert durchgängig seit 2007. Kritische Medienberichte und die Opposition werden systematisch unterdrückt. 2017 war Taiwans Präsidentin Tsai noch zur Amtseinführung Ortegas eingeladen. Im Frühjahr 2018 ließ Ortega Proteste in seinem Land brutal niederschlagen. Seither kommt das Land kaum zur Ruhe. Vor der jüngsten Wahl wurden Oppositionsführer und Konkurrenten um das Präsidentenamt festgenommen.

                            Der nicaraguanische Außenminister nannte keine Gründe für die Entscheidung. 2017 und 2018 hatten die lateinamerikanischen Staaten Panama, Dominikanische Republik und El Salvador bereits zugunsten Chinas mit Taiwan gebrochen. Zuletzt auch die Salomon-Inseln und Kiribati im Pazifik. Nach dem Seitenwechsel Nicaraguas wird Taiwan nur noch von 14 Ländern diplomatisch anerkanntari

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                              Unternehmen müssen Emissionsdaten offenlegen

                              Einige in China tätige Unternehmen müssen demnächst die von ihnen verursachten CO2-Emissionen offenlegen. Das chinesische Umweltministerium hat jüngst eine “Verwaltungsmaßnahme” genehmigt, die Unternehmen zur Offenlegung von Umweltinformationen verpflichtet. Einige Unternehmen müssen demnach die gesamten CO2-Emissionen für das laufende und das vorangegangene Jahr sowie die jährlichen Emissionen aller Treibhausgase öffentlich bekannt geben, wie die Beratungsagentur Trivium China bestätigt.

                              Die Maßnahme zielt jedoch nur auf Unternehmen, die:

                              • vom Umweltministerium als “große Emittenten” von Treibhausgasen definiert werden. Bisher wurden Unternehmen unter diese Kategorie gefasst, die einen hohen Ausstoß von Schwefeldioxid, Stickoxiden, Ruß (Partikel/Staub) und flüchtigen organischen Verbindungen verursachen. Es ist davon auszugehen, dass demnächst auch Firmen als “große Emittenten” erfasst werden, die viel CO2 verursachen,
                              • obligatorischen Audits für saubere Produktion unterliegen,
                              • börsennotierte oder schuldenemittierende Unternehmen, die in der Vergangenheit für Umweltverstöße strafrechtlich verantwortlich gemacht oder mit erheblichen Verwaltungsstrafen belegt wurden,
                              • andere Unternehmen und Einrichtungen gemäß anderen Gesetzen und Vorschriften.

                              Es müssen also nicht alle Unternehmen und auch nicht alle börsennotierten Unternehmen Informationen über ihre Emissionen offenlegen. Ursprünglich hatte die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde geplant, dass alle in China börsennotierten Unternehmen bis 2020 Umweltinformationen offenlegen müssen (China.Table berichtete). Es wird spekuliert, dass der Corona-Ausbruch die Verschiebung verursacht hat.

                              Trotz dieser Einschränkungen ist die Maßnahme ein wichtiger Schritt, so Trivium China. In der Vergangenheit haben nur wenige chinesische Unternehmen freiwillig Daten zu den von ihnen verursachten CO2-Emissionen offengelegt. Die Gesetze sahen das bisher nicht vor. Die chinesischen Transparenz-Standards lagen bisher weit hinter internationalen Standards zurück. “Obligatorische Offenlegungspflichten für Kohlenstoffemissionen werden es sowohl den Regulierungsbehörden als auch den Anlegern erleichtern, festzustellen, wie Unternehmen zu Kohlenstoffemissionen beitragen“, so die Einschätzung der Experten von Trivium China. Diese Transparenz ist eine wichtige Grundbedingung, damit Investoren mit “Klima-Gewissen” die Bemühungen zum Klimaschutz von Unternehmen einschätzen können. nib

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                                G7-Treffen in Liverpool: Sorge wegen China TAGESSCHAU
                                China bezeichnet US-Demokratie als “Massenvernichtungswaffe” SPIEGEL
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                                Toy sellers ponder reliance on China as supply problems bite FINANCIAL TIMES
                                Neue Seidenstraße: China bindet Laos an sich – per Zug TAGESSCHAU
                                In China’s new age of imperialism, Xi Jinping gives thumbs down to democracy THE GUARDIAN
                                China veröffentlicht neuen Plan zu Kühlkettenlogistik CRI (STAATSMEDIUM)
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                                Taiwans ziemlich beste Freunde: USA, Australien und Japan warnen China vor Invasion HANDELSBLATT
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                                Chinas globaler Hybridkrieg

                                von Brahma Chellaney
                                Brahma Chellaney, Professor für Geostrategie aus Neu-Delhi, ist für seine China-kritischen Thesen bekannt.
                                Brahma Chellaney, Professor für Geostrategie aus Neu-Delhi, ist für seine China-kritischen Thesen bekannt.

                                Im heutigen China, der größten, stärksten und am längsten bestehenden Diktatur der Welt, gibt es keine Rechtsstaatlichkeit. Trotzdem nutzt das Reich der Mitte zunehmend sein Scheinparlament, um nationale Gesetze zu erlassen, mit denen territoriale Ansprüche und Rechte im Völkerrecht geltend gemacht werden. Tatsächlich ist China inzwischen recht geschickt darin, “Lawfare” zu betreiben – ein Begriff, der für die Instrumentalisierung des Rechts zur Verfolgung von politischen und strategischen Zwecken steht.

                                Unter der herrischen Führung von “Oberbefehlshaber” Xi Jinping hat sich die Kriegsführung mit juristischen Mitteln zu einem entscheidenden Bestandteil von Chinas breiterem Ansatz der asymmetrischen oder hybriden Kriegsführung entwickelt. Die Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden ist in der offiziellen Strategie des Regimes als Doktrin der “Drei Arten der Kriegsführung” (san zhong zhanfa) verankert. So wie die Feder mächtiger sein kann als das Schwert, können es auch die juristische und psychologische Kriegsführung sein, sowie die Kriegsführung auf dem Gebiet der öffentlichen Meinung.

                                Mit diesen Methoden treibt Xi den Expansionismus voran, ohne einen Schuss abzugeben. Schon jetzt erweist sich Chinas Aggression ohne Kugeln als Gamechanger in Asien, der bisher geltende Regeln und Mechanismen grundlegend verändert. Die Drei Arten der Kriegsführung in Verbindung mit militärischen Operationen haben China erhebliche territoriale Zuwächse beschert.

                                Drei Arten der Kriegsführung

                                Im Rahmen dieser größeren Strategie zielt Lawfare darauf ab, Regeln neu zu schreiben, um historischen Fantasien Leben einzuhauchen und unrechtmäßige Handlungen rückwirkend zu legitimieren. So hat China vor kurzem ein Gesetz über Landgrenzen erlassen, um seinen territorialen Revisionismus im Himalaya zu unterstützen. Um seine Expansionsbestrebungen im Süd- und Ostchinesischen Meer voranzutreiben, hat es Anfang des Jahres zudem das Küstenwachengesetz und das Gesetz zur Sicherheit im Seeverkehr erlassen.

                                Die neuen Gesetze, die den Einsatz von Gewalt in umstrittenen Gebieten erlauben, wurden inmitten wachsender Spannungen mit den Nachbarländern erlassen. Das Gesetz über die Landgrenzen kommt während einer militärischen Pattsituation im Himalaya, wo sich mehr als 100.000 chinesische und indische Soldaten nach wiederholten chinesischen Übergriffen auf indisches Territorium seit fast 20 Monaten in einem Patt gegenüberstehen.

                                Das Küstenwachengesetz verstößt nicht nur gegen das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, sondern könnte auch einen bewaffneten Konflikt mit Japan oder den Vereinigten Staaten auslösen, da es umstrittene Gewässer als chinesisches Territorium betrachtet. Das Gesetz über Landgrenzen droht ebenfalls Krieg mit Indien auszulösen, da es Chinas Absicht signalisiert, Grenzen einseitig festzulegen. Es erstreckt sich sogar auf die grenzüberschreitenden Flüsse mit Ursprung in Tibet, wo China das Recht proklamiert, so viel von den gemeinsamen Gewässern umzuleiten, wie es will.

                                Chinas Küstenwachgesetz kollidiert mit UN-Übereinkommen zu Seerecht

                                Diese jüngsten Gesetze schließen an den Erfolg der Strategie der Drei Arten der Kriegsführung an, mit der die Karte des Südchinesischen Meeres neu gezeichnet wurde – trotz des Urteils eines internationalen Schiedsgerichts, das die chinesischen Gebietsansprüche dort zurückwies – und mit der anschließend Hongkong geschluckt wurde, das lange Zeit unter demokratischen Institutionen als wichtiges globales Finanzzentrum floriert hatte.

                                Im Südchinesischen Meer, einer Transitstrecke für rund ein Drittel des weltweiten Seehandels, hat Xis Regime die Kriegsführung mit juristischen Mitteln verschärft, um die chinesische Kontrolle zu festigen und seine erfundenen historischen Ansprüche Realität werden zu lassen. Während andere Anrainerstaaten, die Ansprüche erheben, im vergangenen Jahr gegen die Covid-19-Pandemie kämpften, schuf Xis Regierung zwei neue Verwaltungsbezirke, um ihre Ansprüche auf die Spratly- und Paracel-Inseln und andere Landgebiete zu untermauern. Unter weiterer Missachtung des Völkerrechts gab China 80 Inseln, Riffen, Seebergen, Sandbänken und Meeresrücken, von denen 55 vollständig unter Wasser liegen, Namen auf Mandarin.

                                Das Mitte 2020 erlassene “Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong” ist ein ähnlich aggressiver Akt der juristischen Kriegsführung. Xi hat das Gesetz genutzt, um die pro-demokratische Bewegung in Hongkong zu zerschlagen und die Garantien außer Kraft zu setzen, die in Chinas Vertrag mit dem Vereinigten Königreich verankert sind, der bei den Vereinten Nationen registriert wurde. Der Vertrag verpflichtete China, die Grundrechte, Freiheiten und die politische Selbstbestimmung der Bürger Hongkongs für mindestens 50 Jahre nach Wiedererlangung der Souveränität zu wahren.

                                Pekings Expansionsdrang wächst

                                Der Erfolg dieser Strategie beim Aushöhlen der Autonomie Hongkongs wirft die Frage auf, ob China nun ähnliche Gesetze für Taiwan erlassen oder sich sogar auf sein Anti-Sezessionsgesetz von 2005 berufen wird, das seine Entschlossenheit unterstreicht, die Demokratie auf der Insel unter die Herrschaft des Festlandes zu stellen. Da China seine psychologische Kriegsführung und seinen Informationskrieg ausweitet, besteht die reale Gefahr, dass es nach den Olympischen Winterspielen in Peking im Februar gegen Taiwan vorgehen könnte.

                                Xis Expansionsdrang hat auch das winzige Bhutan mit seinen gerade einmal 784.000 Einwohnern nicht verschont. Unter Missachtung eines bilateralen Vertrages aus dem Jahr 1998, der China verpflichtet, “keine einseitigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Status quo der Grenze zu verändern”, hat das Regime militarisierte Dörfer in Bhutans nördlichen und westlichen Grenzgebieten errichtet.

                                Wie diese Beispiele zeigen, liefert seine nationale Gesetzgebung China zunehmend einen Vorwand, um international bindendes Völkerrecht zu missachten, einschließlich bilateraler und multilateraler Verträge, denen es beigetreten ist. Mit mehr als einer Million Gefangenen hat Xis Gulag für Muslime in Xinjiang die Völkermordkonvention von 1948 zum Gespött gemacht, der China 1983 beigetreten ist (mit dem Zusatz, dass es sich nicht an Artikel IX gebunden fühlt, die Klausel, die es jeder an einem Streitfall beteiligten Partei ermöglicht, diesen Fall dem Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten). Und da tatsächliche Kontrolle die notwendige Voraussetzung für einen überzeugenden territorialen Anspruch im Völkerrecht ist, nutzt Xi neue Gesetze, um Chinas Verwaltung umstrittener Gebiete zu untermauern, auch durch die Ansiedlung neuer Bewohner.

                                Xis hybride Kriegsführung findet international kaum Beachtung

                                Die Schaffung solcher Fakten vor Ort ist ein wesentlicher Bestandteil von Xis territorialer Vergrößerung. Aus diesem Grund hat sich China große Mühe gegeben, künstliche Inseln und Verwaltungsbezirke im Südchinesischen Meer zu schaffen und in Grenzgebieten des Himalaya, die von Indien, Bhutan und Nepal als innerhalb ihrer eigenen nationalen Grenzen betrachtet werden, militarisierte Dörfer zu errichten.

                                Trotz dieser Übergriffe wurde Xis Lawfare oder seiner umfassenderen hybriden Kriegsführung international kaum Beachtung geschenkt. Der Fokus auf Chinas militärische Aufrüstung verschleiert die Tatsache, dass das Land seine See- und Landgrenzen still und leise ausdehnt, ohne einen Schuss abzugeben. In Anbetracht von Xis übergeordnetem Ziel – der globalen Vormachtstellung Chinas unter seiner Führung – müssen die Demokratien der Welt eine konzertierte Strategie entwickeln, um gegen seine drei Arten der Kriegsführung anzugehen.

                                Brahma Chellaney ist Professor für Strategische Studien am Zentrum für Politikforschung in Neu-Delhi und Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin. Der indische Geopolitik-Experte hat die inzwischen weit verbreitete Vorstellung von Chinas Schuldenfallen-Diplomatie mitgeprägt. Chellaney ist Autor mehrerer Bücher, darunter Asian Juggernaut, Water: Asia’s New Battleground und Water, Peace, and War: Confronting the Global Water Crisis. Übersetzung: Sandra Pontow.

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                                  David Fan wird bei dem italienisch-japanischen Autozulieferer Marelli ab Januar der Executive Vice President und President der China-Tochter. Marelli stellt Einspritzsysteme her. Fan kommt von Nexteer, einem amerikanischen Autozulieferer.

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                                  jiābāngou 加班狗 – Überstundenhund

                                  Von Überstundenhund bis Singlehund - warum werden Chines:innen als Hund bezeichnet?
                                  加班狗 – jiābāngou – Überstundenhund

                                  Der beste Freund des Menschen kommt nicht gut weg

                                  In der deutschen Sprache kommt der beste Freund des Menschen oft nicht gut weg, zum Beispiel wenn draußen wieder “Hundewetter” herrscht, sich dieser oder jener als “Hundskerl” oder “gemeiner Hund” herausstellt, wenn auch sonst alles “vor die Hunde” geht und man am Schluss dasteht wie ein “begossener Pudel”.

                                  Auch im Chinesischen haben bellende Vierbeiner sprachlich keinen leichten Stand. Denn in der chinesischen Internet- und Umgangssprache trifft man seit einiger Zeit gleich auf eine ganze Reihe neuer Wortzüchtungen, die “auf den Hund gekommen sind”. Einer der bekanntesten Vertreter in der 996-Zeit (Sie wissen schon, gemeint ist das Arbeiten von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends an 6 Tagen die Woche) ist der “Überstundenhund” (加班狗 jiābāngou), auf dessen Schreibtisch sich die Arbeitsaufträge aus der Chefetage stapeln.

                                  Selbstironie hinter den Beschreibung

                                  Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie im WeChat-Emoji-Repertoire auf an Schreibtischen rackernde Hunde stoßen. Es gibt in China sogar einen Lieferservice, der sich auf den Namen “Überstundenhund” getauft hat und Stressgeplagten den nötigen Essensnachschub “bei Fuß” apportiert. Wahlweise bezeichnen sich die rackernden Überstundenstrampler in China gerne auch selbstironisch (自黑 zìhēi) als “Backsteinschlepperhunde” (搬砖狗 bānzhuāngou). Auf den Schul- und Universitätsbänken japsen derweil “Schüler-” oder “Studentenhunde” (学生狗 xuéshenggou), die unter vollgestopften Stundenplänen, Hausaufgaben- und Hausarbeitsbergen ihrer Lehrer sowie hochgeschraubten Erwartungen ihrer Eltern winseln.

                                  In Herzensfragen streunen in China “Singlehunde” bzw. “Singlehündinnen” 单身狗 (dānshēngou) durch die Online- und Sprachlandschaft. Die Wortneuschöpfung dient einsamen Junggesellen und Junggesellinnen, die noch immer auf der Jagd nach einem passenden Herzenshund sind, als ironisch-selbstmitleidiges Selbstlabel. Doch dass auch traute Zweisamkeit nicht zwangsläufig Besserung versprechen muss, macht eine weitere “Hunderasse” deutlich: der “Freundinnenhund” 马子狗 (mazigou), der an die in Taiwan geläufige Bezeichnung 马子 (mazi) für “feste Freundin” angelehnt ist. Bei ihm handelt es sich um ein zahnloses Schoßhündchen, dessen eigentliche Herrin und Besitzerin die feste Freundin oder Ehefrau ist, die in allen Lebenslagen den Ton angibt.

                                  Gemein ist all diesen Neuzüchtungen, dass sie unter der strengen Fuchtel Anderer stehen und meist oft wenig zu japsen haben. Die sprachliche “Hundemarke” hängen sich die Betroffenen dabei meist selbst augenzwinkernd um den Hals. Bleibt zum Abschluss nur die Frage, wessen “Hündchen” man selbst eigentlich ist? Der sprachlichen Kreativität sind hier im Chinesischen jedenfalls kaum Grenzen gesetzt!

                                  Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese. Sind Sie neugierig geworden auf weitere chinesische Gimmicks? 24 ausgefallene chinesische Dinge, die einen besonderen Blick auf China geben, hat New Chinese hinter den 24 Türchen des New Chinese Online-Adventskalenders versteckt und wünscht Ihnen damit eine schöne Vorweihnachtszeit!  

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