Morgen ist Weihnachten. Ein Feiertag, der auch in China eine wichtige Rolle spielt. Und zwar nicht nur als Konsumfest. Offiziell leben rund 44 Millionen Christen in China. Schätzungen zufolge könnte ihre Zahl in Wirklichkeit sogar bei 100 Millionen liegen, wenn man die Mitglieder der sogenannten “Untergrund-” oder “Hauskirchen” mit einbezieht. Diese bewegen sich in einer Grauzone. Sie werden zwar geduldet, aber seit Xi Jinping sind ihre Freiheiten immer weiter beschnitten worden. Und auch die Pandemie hat die Arbeit der Gemeinden noch einmal schwieriger gemacht. Wie Chinas Christen das Weihnachtsfest feiern, berichtet Fabian Peltsch.
Für vermögende Chinesen ist die zunehmend von Ideologie getriebene Politik der chinesischen Führung ein Graus. Lange haben sie von den wirtschaftlichen Reformen im Land profitiert, doch insbesondere nach dem Parteitag im Oktober fürchten sie um ihren Wohlstand. Nur – wohin mit dem Vermögen? Hongkong ist keine Alternative mehr, denn auch hier ist der Einfluss Pekings inzwischen zu groß. Viel verlockender ist Singapur. Unser Team in Peking berichtet vom Weg der Oberschicht in den Stadtstaat.
Alle Jahre wieder wird das Wort des Jahres gekürt. Hierzulande ist das kaum mehr als eine kurze Meldung wert. Vielleicht einen Schmunzler, wenn das Jugendwort des Jahres mit seriöser Miene in den Nachrichten vorgetragen wird. Die Wahl zum Wort des Jahres gibt es auch in China. Doch während dort einst Vorschläge aus der Bevölkerung willkommen waren, ist die Wortauswahl unter Xi Jinping längst zu einem Politikum geworden. China kürt Wörter und Slogans fürs In- und Ausland und natürlich kommt eine der beiden Seiten besonders gut weg. Johnny Erling beschreibt die Wort-Klauberei.
Kommende Woche sitzen wir nicht am China.Table, sondern unter dem Tannenbaum. Die Redaktion macht eine kurze Weihnachtspause. Die Ereignisse in China haben uns besonders in der zweiten Jahreshälfte in Atem gehalten. Wir hoffen, dass Sie viel Nutzen aus unseren Berichten ziehen konnten. Während Sie und wir Erholung und Kraft für das neue Jahr schöpfen, behalten wir die Nachrichtenlage in China natürlich ganz genau im Blick. Bei außergewöhnlichen Ereignissen werden wir Sie in Form eines Specials auf dem Laufenden halten.
Wir wünschen Ihnen erholsame Tage, besinnliche Stunden und einen guten Start ins neue Jahr!
In den vergangenen Jahren haben chinesische Nationalisten immer wieder zu Weihnachtsboykotten aufgerufen. An der Universität von Nanjing wurden die Studierenden 2018 etwa angehalten, keine “ausländischen Feste” mehr zu feiern. “Wir feiern ausschließlich chinesische Feiertage”, lautete die Botschaft der Direktion. Auch die Regierungen mehrerer Städte in den Provinzen Hebei, Guizhou und Guangxi erließen in der Vergangenheit Verbote, Weihnachtsdekorationen im öffentlichen Raum aufzustellen. Doch das waren eher patriotische Übersprungshandlungen.
Offiziell verboten ist Weihnachten in China nicht. Noch immer findet man Weihnachtsdeko an jeder Ecke. In den Shoppingmalls baumeln Nikoläuse von der Decke. Geschmückte Plastiktannen illustrieren die jüngsten Weihnachtsrabatte. Mit der Geburt Jesu’ assoziiert das Fest in dieser Atmosphäre des Konsums kaum jemand. Junge Chinesen begehen Weihnachten eher als eine Art Valentinstag, an dem man romantische Winterbilder postet, etwa beim Schlittschuhlaufen oder Schlürfen zimtsatter Winter-Editionen bei Starbucks. Und sie sitzen ja schließlich an der Quelle: China ist nach wie vor der weltweit größte Produzent von Weihnachtsschmuck.
Doch es gibt auch in China viele Christen, für die Weihnachten der wichtigste Feiertag des Jahres ist – noch wichtiger als das Frühlingsfest. In den offiziellen staatlichen Kirchen könnten, je nach pandemischer Lage, dieses Jahr wieder Messen abgehalten werden – in China gibt es eine staatliche Kirche, die sich vom Papst losgesagt hat und die Kommunistische Partei als höchste Autorität anerkennt. Dazu gibt es eine Vatikan-treue Untergrundkirche, die ihre Versammlungen meist in Privaträumen abhält. Offiziell leben rund 44 Millionen Christen in China. Nach Angaben von Freedom House, einer amerikanischen Menschenrechtsorganisation, dürfte die Zahl jedoch eher bei 100 Millionen liegen, wenn man die Mitglieder der sogenannten “Untergrund-” oder “Hauskirchen” mit einbezieht.
Die Hauskirchen befinden sich in einer Grauzone und werden je nach politischer Wetterlage mal mehr und mal weniger geduldet. Unter Xi Jinping seien ihre Freiheiten drastisch beschnitten worden, sagt Thomas Müller von Open Doors, einem internationalen Hilfswerk, das sich in mehr als 70 Ländern der Welt für Christen einsetzt. “Xi geht es vor allem um Kontrolle, und Religionsfreiheit ist einer der zentralen Punkte, die ihm Bauchschmerzen bereiten.” Die Weihnachtsgeschichte sei dabei an sich schon subversiv, erklärt Müller. “Einen Erlöser, der als Mensch auf die Welt kommt, kann die Kommunistische Partei nicht akzeptieren.”
In der Vergangenheit hätten die Mitglieder der Hauskirchen während Heiligabend und anderen christlichen Feiertagen Hotels oder ganze Etagen in Bürogebäuden gemietet, um Weihnachtsfeiern abzuhalten. Während der Pandemie wurden solche Veranstaltungen, bei denen mitunter 1.000 Menschen zusammenfanden, jedoch verboten – Verbote, die bislang nicht aufgehoben wurden, obwohl andere Versammlungen im Zuge der Lockerungen wieder gestattet wurden, wie Müller erklärt. “Es mag einzelne Ausnahmen geben, aber im Wesentlichen sind ihre Versammlungen momentan nicht mehr möglich.”
Weil es die Hauskirchen offiziell nie geben durfte, können sie auch kein Veto bei staatlichen Stellen einlegen. “Wenn diese Christen an Heiligabend zusammenkommen, sieht es nun oft nicht mehr nach einem Gottesdienst aus, sondern eher als träfe man sie einfach bei einem gemeinsamen Abendessen an. Umso mehr die einzelnen Gemeinden in Kleinstgruppen zersplittern, umso weniger Pastoren stehen zur Verfügung”, so Müller. Online-Predigten seien während der Pandemie zur Alternative geworden.
Die im März 2022 eingeführten Online-Regeln für Religionsgemeinschaften setzen jedoch voraus, dass jeder eine Lizenz braucht, der religiöse Inhalte im Internet verbreiten will (China.Table berichtete). “Die Hauskirchen sind für diese Lizenzen jedoch nicht berechtigt”, sagt Müller. Viele Christen hätten sich deshalb bereits darauf eingestellt, dass man Weihnachten nicht mehr als Gemeinde feiern kann wie früher. Das gilt momentan auch für jene, die der staatlichen Kirche angehören, wie eine Katholikin aus Peking China.Table erklärt. “Zurzeit sind die Kirchen wegen der Pandemie nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Viele Menschen sind erkrankt, so dass ich Weihnachten dieses Jahr allein zu Hause verbringen werde.” Vor der Pandemie habe sie jedes Jahr mit anderen Gläubigen in der Kirche gesungen und kleine Geschenke an die freiwilligen Helfer verteilt. “Die Atmosphäre wird dieses Jahr sehr anders sein.”
Kia Meng Loh ist in diesen Tagen ein viel beschäftigter Mann. Er leitet in Singapur bei der renommierten Kanzlei Dentons Rodyk den Bereich Private Wealth und Family Offices. Reiche Ausländer, die es nach Singapur zieht, sind bei ihm an der richtigen Adresse. Vor allem bei Chinesen sind die Dienste Lohs derzeit gefragt.
“Die Zahl wohlhabender Chinesen, die nach Singapur ziehen, ist in letzter Zeit gestiegen”, sagt Loh im Gespräch mit China.Table. Interessenten aus China machen mittlerweile rund die Hälfte aller Anfragen aus, die er und sein Team bearbeiten. Nach Zahlen der Singapurer Finanzaufsichtsbehörde wurden 2019 noch lediglich 33 Family Offices von Chinesen in der Stadt gegründet. Im vergangenen Jahr waren es schon 175. Für dieses Jahr wird erneut mit einem Rekord gerechnet.
Andere Berater in der Stadt bestätigen den Trend. Und immer wieder nennen sie ähnliche Gründe, warum ihre chinesischen Kunden Zuflucht oder zumindest ein zweites Standbein in Singapur suchen. Vor allem wohlhabende Chinesen, die von den Früchten der wirtschaftlichen Reformen in den vergangenen Jahrzehnten profitieren konnten, ziehe es demnach jetzt in den Stadtstaat.
Sie würden ihr eigenes Land nicht mehr erkennen. Nicht nur die chaotische Covid-Politik, sondern vor allem die zunehmend von Ideologie getriebene Politik der chinesischen Führung lasse sie verzweifeln, heißt es in Singapur. Verstärkt hätten sich die Sorgen in der chinesischen Oberschicht noch einmal seit dem Parteikongress im Oktober.
Staats- und Parteichef Xi Jinping stellte dort nicht nur eine neue Führungsmannschaft vor, in der kein einziger Wirtschaftsreformer mehr vertreten ist. Er wiederholte auch sein Mantra vom “allgemeinen Wohlstand”. Diesen Slogan gab es zwar bereits zu Gründungszeiten der Kommunistischen Partei, lange wurde er aber nicht mehr so inbrünstig propagiert wie unter Xi. Die Pekinger Führung hat genug von “irrationaler Kapitalexpansion” und “barbarischem Wachstum” sagte Xi schon im vergangenen Jahr in einer Rede zum Höhepunkt seines Schlages gegen die Tech-Bosse des Landes.
Die meisten Chinesen, die derzeit versuchen, sich selbst oder ihr Vermögen in Sicherheit zubringen, zieht es nicht gleich nach Europa oder in die USA. Viele bevorzugen es, in Asien zu bleiben. Hongkong ist keine Option mehr, weil Peking auch dort zunehmend seinen Einfluss durchsetzt. Deshalb steht Singapur hoch im Kurs.
In Singapur, so Loh, würden Chinesen vor allem das politische Klima und die Stabilität schätzen. Ein wichtiger Faktor seien zudem die wirtschaftsfreundlichen Gesetze, die es Ausländern mit Geld leicht machten, eine eigene Vermögensverwaltungsgesellschaft zu gründen und so an eine Aufenthaltserlaubnis zu kommen. Auch die Steuern sind niedrig. Wie Hongkong sei auch Singapur ein wichtiges Finanzzentrum. Viele reiche Chinesen, die Teile ihres Vermögens bisher in der Sonderverwaltungsregion geparkt hatten, würden nun nach Singapur umschichten.
Laut Beratern in der Stadt würden derzeit vermutlich noch deutlich mehr Chinesen versuchen, Geld nach Singapur zu transferieren. Doch Peking mache es seiner wohlhabenden Oberschicht zunehmend schwer. Die ohnehin strengen Kapital-Ausfuhrkontrollen seien nicht nur weiter verschärft worden, sondern würden auch stärker kontrolliert. Und nicht nur Geld kann die Grenze kaum noch überqueren. Die Corona-Regeln machen es Chinesen derzeit fast unmöglich, touristische Reisen ins Ausland zu unternehmen.
“Ich habe von Fällen gehört, in denen sich Chinesen für einen Master-Studiengang in Singapur eingeschrieben haben, um so die Erlaubnis für eine Ausreise zu erhalten”, erzählt Loh. Sind sie dann in der Stadt, leiten sie die Gründung eines Family Offices ein.
Loh sieht noch einen weiteren interessanten Trend. Offenbar blicken nicht nur wohlhabende Chinesen aus der Volksrepublik mit großer Sorge auf die Zukunft. Auch aus Taiwan seien zuletzt immer mehr Anfragen eingegangen. Jörn Petring
Die chinesischen Gesundheitsbehörden haben erstmals seit gut zwei Wochen wieder Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 bekannt gegeben. Die beiden Sterbefälle betrafen nach Angaben der Nationalen Gesundheitskommission die Hauptstadt Peking. Demnach stieg die offizielle Zahl der Corona-Todesfälle seit Beginn der Pandemie auf insgesamt 5.237. Berichte auch Krankenhäusern und von Krematorien weisen allerdings auf höhere Sterbezahlen hin (China.Table berichtete).
Wegen des massiven Corona-Ausbruchs haben seit Montag zudem die Grund- und Mittelschulen sowie Kindergärten und Kindertagesstätten in Shanghai wieder geschlossen. Die Schüler und Schülerinnen werden online unterrichtet. Oberschüler könnten wählen, ob sie weiter zur Schule gehen oder von zu Hause lernen wollen, teilte die Bildungsbehörde der Hafenmetropole mit.
Arbeitnehmer dürfen in Chongqing indes auch mit Corona-Symptomen erstmals wieder “ganz normal” zur Arbeit gehen. “Leicht symptomatische” Angestellte der Regierung, der Partei und des Staates in der 32-Millionen-Einwohner-Stadt könnten “nach persönlichen Schutzmaßnahmen entsprechend ihrer körperlichen Verfassung und den Erfordernissen ihrer Arbeit ganz normal arbeiten”, berichtete die Zeitung Chongqing Daily unter Berufung auf eine Mitteilung der städtischen Behörden. Auch in der östlichen Provinz Zhejiang hieß es, dass Menschen mit leichten Symptomen bei Bedarf “weiterarbeiten können, sofern sie persönliche Schutzmaßnahmen ergreifen”.
Epidemiologen erwarten, dass bis Mitte März drei Infektionswellen durch die Volksrepublik rauschen werden (China.Table berichtete). Die jetzige erste Welle werde bis Mitte Januar dauern und vor allem die städtischen Gebiete betreffen, sagte der Chef-Epidemiologe des Gesundheitsamtes, Wu Zunyou, laut Staatsmedien. Die zweite Welle erwartet der Experte bis Mitte Februar. Sie fiele in die Zeit rund um das chinesische Neujahrsfest am 22. Januar, für das viele Millionen Menschen in ihre Heimat reisen. Mit der Rückkehr der Reisenden sei dann die dritte Welle von Ende Februar bis Mitte März zu erwarten.
Verantwortlich für die rasende Corona-Verbreitung derzeit soll die Omikron-Variante BF.7 sein. Medienberichte weisen darauf hin, dass BF.7 die stärkste Infektionsfähigkeit unter den derzeit präsenten Omikron-Subvarianten hat. Es wird angenommen, dass BF.7 eine Reproduktionszahl von zehn bis 18,6 hat. Das bedeutet, dass eine infizierte Person das Virus auf durchschnittlich zehn bis 18,6 weitere Personen überträgt. ari
Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge, waren die Omikron-Zahlen schon vor den Lockerungen nach oben geschnellt. “Die zunehmend intensive Ausbreitung passierte lange bevor die Maßnahmen geändert wurden”, sagte Mike Ryan, Nothilfe-Koordinator der WHO bei einer Pressekonferenz in Genf. Die Lockerung habe die aktuelle Corona-Welle demnach nicht ausgelöst. Viel mehr konnte die Null-Covid-Politik das Virus schon länger nicht mehr eindämmen. Nur so sei zu erklären, warum Omikron in China schon so weit verbreitet ist.
Die Corona-Lage in China ist schwer abzuschätzen, weil die Zahlen der chinesischen Behörden nicht verlässlich sind. Offiziell sinkt die Zahl der Infizierten seit zwei Wochen, anders als noch im November wird aber auch nicht mehr flächendeckend, zum Teil sogar gar nicht mehr getestet (China.Table berichtete). Zugleich melden Krankenhäuser einen Ansturm, während die Behörden die Menschen auffordern, Covid-19 möglichst zu Hause auszukurieren. Geschäfte und Restaurants in Peking sind geschlossen, weil Beschäftigte reihenweise krank sind. In den sozialen Medien beklagen Unternehmen, dass bis zu 90 Prozent der Belegschaft erkrankt ist.
Die WHO forderte die Führung in Peking auf, sich auf die Entlastung des Gesundheitssystems zu konzentrieren und die Impfung von Risikogruppen zu beschleunigen. Die chinesischen Gesundheitsbehörden haben erst zuletzt grünes Licht für einen zweiten Booster für ältere Menschen über 60 Jahre oder Risikogruppen etwa mit chronischen Krankheiten gegeben. Nur 69 Prozent der Chinesen über 60 Jahre und nur 42 Prozent der über 80-Jährigen haben nach offiziellen Angaben bisher drei Impfungen bekommen. flee
Immer am 20. Dezember laden Pekinger Sprachexperten aus Verlagen, Medien und Universitäten die Öffentlichkeit zur Bekanntgabe ihrer online gewählten, jeweils zehn populärsten chinesischen Worte und Slogans für das zu Ende gehende Jahr ein. Seit 2006 machen sie das jährlich so. Anfangs sollte ihre Liste nur zeigen, wie die Chinesen die Lage bei sich und im Ausland sehen und bewerten. Sie diente auch als Barometer für die Stimmung im Volk und als Alarmsignal für die Pekinger Führung.
Seit dem Amtsantritt Xi Jinpings 2013 entscheidet die Partei, was das Volk zu denken hat und bestimmt und zensiert die Worte schon in den Auswahllisten. Kein Wunder, dass das Ergebnis auch 2022 der Partei gefällt. Als Worte des Jahres machten “Stabilität” in China und der siegreiche “20. Parteitag” das Rennen. Kriege, Konflikte und Chaos prägen dagegen das Ausland. Für eine Zeitenwende gibt es keinen Platz in Pekings Wortwahl.
Olaf Scholz’ Bonmot von der Zeitenwende wurde von der Gesellschaft für deutsche Sprache erwartungsgemäß zum Wort des Jahres 2022 erkoren. Anfang Dezember machte der Kanzler seine Sprachschöpfung in einem weiteren Essay auch international hoffähig. Er definierte Zeitenwende als “epochalen tektonischen Wandel”, nachdem sowohl der russische Angriffskrieg auf die Ukraine als auch Pandemie, Klimawandel, Inflation und politisches Chaos die Welt gleichzeitig erschütterten.
Folgerichtig kürten die Lexikografen von “Collins English Dictionary” den Begriff “Permacrisis” zum britischen Wort des Jahres. Der erst in den 1970er-Jahren in Umlauf gekommene Ausdruck kennzeichne eine derzeitige “länger anhaltende Instabilität und Unsicherheit”. Tokios Sprachkommission “Kanji Aptitude Testing Foundation” ging noch einen Schritt weiter. Sie wählte das Kanji 戦 (japanisch sen gesprochen) aus, ein einst aus dem Chinesischen übernommenes Schriftzeichen. Es bedeutet Krieg. Vor 20 Jahren hatte Tokio “sen” schon einmal zum Wort des Jahres erhoben. Auslöser war, so wie heute der Ukraine-Überfall, der Al-Qaida-Terrorangriff am 11. September 2001 auf die USA und dessen Folgen für die ganze Welt. Selbst Peking zeigte sich damals geschockt.
Das ist heute in China anders. Zwar wählte es wie Japan ebenfalls das Zeichen für Krieg 战 (戦) zum Wort des Jahres 2022, aber nur innerhalb seiner Auswahlkategorie für internationale Wörter (国际字). Sie stehen für die volksrepublikanische Sicht auf das Ausland, haben mit China aber ansonsten nichts zu tun. Das für China gewählte Wort des Jahres (国内字) heißt wen (稳), “Stabilität”. Peking lässt auch bei der Wahl der zehn populärsten Schlagworte oder Slogans für das Jahr 2022 zwischen innen und außen unterscheiden. An erster Stelle unter seinen neuen zehn nationalen Schlagworten (国内词) steht der Slogan vom siegreichen “20. Parteitag der Kommunistischen Partei” (党的二十大). Auf der Liste internationaler Schlagworte (国际词) rückte der Ausdruck “russisch-ukrainischer Konflikt” (俄乌冲突) nach oben.
Wie absurd die Listen und ihre Wortwahl aufgestellt sind, zeigt sich an Putins Überfall auf die Ukraine. Er darf in China nicht Krieg genannt werden. Peking spricht von ihm als “Konflikt”, obwohl Russland seit zehn Monaten die Ukraine zerbombt, beide Seiten Zehntausende Tote beklagen und Millionen Ukrainer Flüchtlinge wurden. Xi Jinping steht seinem Kampfgefährten Putin sogar bis in die Sprachformulierung zur Seite.
Anfangs ging Chinas Suche nach den Worten des Jahres noch professionell vor sich. Für die Vorschlaglisten mit jeweils zehn Wörtern und Begriffen, die online zur Abstimmung gestellt werden, sind eigentlich Experten des Nationalen Zentrums für Sprachforschung (国家语言资源监测与研究中心), aus Buch- und Online-Verlagen, Universitäten und Internetplattformen zuständig. Sie stützen sich auf ihre ganzjährige Auswertung millionenfacher Daten aus den Print-, TV- und Onlinemedien und filtern daraus Worte und Begriffe nach ihrer Häufigkeit und Bedeutung heraus.
Doch heute erteilt die Partei alle Regieanweisungen. Zur Farce wurde das einen Monat dauernde diesjährige Vorauswahl-Verfahren für Chinas Worte des Jahres. In den Vorschlaglisten tauchten Begriffe wie “Null-Covid” (动态清零) oder Lockdown-Politik nicht auf, obwohl sie China das ganze Jahr lang im Griff hielten. Seit Peking am 7. Dezember eine 180 Grad Kehrtwendung in seiner Pandemie-Bekämpfung machte, sind diese Worte sogar tabuisiert worden. So findet sich in den für 2022 ausgewählten zehn Schlagworten des Jahres 2022 nur mit dem Ausdruck “präzise Prävention und Kontrolle” (精准防控) eine verschleiernde Umschreibung wieder. Die Worte Pandemie oder Omikron-Variante dürfen nur in der Liste der internationalen Worte oder Slogans des Jahres auftauchen.
Triumphierend bejubelte die Volkszeitung das am 20. Dezember in einer Pekinger Großveranstaltung bekanntgemachte Ergebnis zur Wahl von Chinas Wort des Jahres unter der Überschrift: “Stabilität steht an erster Stelle!” (稳”字当头!). Sie tat so, als ob es eine Riesenüberraschung gewesen sei. Chinas englischsprachige Tageszeitung “China Daily” feierte in ihrer Mittwochsausgabe die Wahl unter einer anderen Überschrift: Der “20. Parteitag wurde zum Top-Schlagwort des Jahres gewählt”. Das Blatt lobte auch weitere angeblich als Top-Schlagworte des Jahres gekürte Propagandafloskeln, von “Chinas Modernisierung” (中国式现代化) bis zur “vollprozeduralen Volkdemokratie” (全过程人民民主), als welche sich Chinas Diktatur im Parteikauderwelsch gerne selber anpreist.
Die offiziell orchestrierte Suche nach den Worten des Jahres provozierte kritische Blogger, sich einzumischen. Sie plädierten für ein im Netz populäres, aber ständig gelöschtes Wort. Es heißt bai (白, weiß). In Kombinationen wie “weiße Revolution” oder “weißer Zettel” ist es zum Symbol für die öffentlichen Proteste gegen Pekings Null-Covid Politik geworden. Im Netz tauchte oft auch das Zeichen yang (阳) auf. Es bedeutet positiv, also mit Corona angesteckt zu sein. Blogger setzten das Zeichen mit dem genauso ausgesprochenen Zeichen yang (羊) gleich, ein “Schaf” zu sein. Seid keine Schafe, rufen sie ihren Lesern zu. Zwei Tage freuten sich mehr als 100.000 Netizens über das Onlinewort cao (操, eigentlich: handhaben, treiben). Dann hatten auch die Zensoren verstanden, dass das ein Slangwort für den ausgestreckten Mittelfinger war, mit der subversiven Botschaft an die Partei: “Ihr könnt mich mal”.
Ein weiterer Blogger bot für 2022 und 2023 zwei Wörter an. Auf das vergangene Jahr passe 封 (feng) für “im Lockdown eingesperrt sein” und auf das kommende Jahr folge 疯 (feng): “2023 drehen wir völlig durch” (我一下选两,明年就省啦! 22年是”封”,23年是”疯).
Doch allem Internetspott zum Trotz: So stark wie dieses Jahr hat die Partei noch nie Einfluss auf eine ihr genehme Wahl eines Wortes des Jahres genommen. Das war zu Beginn der Regentschaft Xi Jinpings 2013 noch anders. Die Sprachkommission hatte zwar schon damals Xis politische Schlüsselworte oben auf ihre Vorschlagslisten gesetzt. Vor allem galt es, die Zeichen meng (梦) für Xis Traum, Chinas Nation reich und stark zu machen, und lian (廉) für seine Säuberungskampagne gegen korrupte Beamte, zu Worten des Jahres 2013 zu machen. Doch 100.000 Online-Wähler stimmten anders ab. 42 Prozent wählten das Schriftzeichen fang (房) für Wohnung an erste Stelle und 25 Prozent mai (霾) für Smog. Ihre Alternativworte spiegelten den Frust wider, dass ihr Traum von der eigenen Wohnung unbezahlbar und unerfüllbar war. Mit mai protestierten sie gegen die Luftverschmutzung.
Im Jahr 2013 sagte mir Verlagschef Liu Zuochen von “Commercial Press”, der federführend das Projekt “Wort des Jahres” leitete: “Wir wollen mit unserer Suche nach Wörtern und Begriffen des Jahres unserer Regierung zugleich einen wichtigen Hinweis geben: Was will das Volk? Was denkt es? Wie hat es sich in diesem Jahr gefühlt?”
Bereits 2009 hatte das als Wort des Jahres mehrheitlich gewählte bei (被) Pekings Politikern zu denken gegeben. Bei wird als Passivzeichen gebraucht und stand für den Zorn der Bürger, von einer allmächtigen Partei-Bürokratie immer mehr entmündigt und fremdbestimmt zu werden. Sie wehrten sich sprachlich: Wenn Pekings offizielle Zahlen das Ausmaß der Inflation schönfärbten, reagierten sie darauf mit der Passivform: “Wir wurden preisstabilisiert”. Wenn die Propaganda sie zu glücklichen Chinesen erklärte, sagten sie: “Wir wurden beglückt”. Selbst die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua wertete damals die Wahl von bei zum Wort des Jahres als latentes Signal für ihren “Ruf nach mehr Freiheit” und Eigenbestimmung. Südchinas Zeitung Nanfang Dushibao kommentierte, dass die Bürger in einer Situation, wo offene Kritik und Opposition nicht geduldet werden, mithilfe eines Wortes “Bewusstsein zeigen, ihre bürgerlichen Rechte wahrnehmen zu wollen.”
Heute würde Xi Jinpings Partei nicht nur solche Kommentare unterbinden. Sie lässt erst gar nicht zu, dass die Wahl von Chinas Wort des Jahres den Online-Wählern überlassen wird. Mutige Bürger protestieren im Katz und Maus-Spiel mit der Zensur. Nach der Veröffentlichung der offiziellen Worte des Jahres stellten Blogger am Mittwoch unter der Überschrift “Welches Wort würde Sie wählen?” 53 einzelne Schriftzeichen zur Auswahl ins Netz. Verbunden mit anderen Worten werden aus ihnen kritische Begriffe, die Xis Parteiherrschaft herausfordern. Die Liste beginnt mit dem Zeichen für Weiß, Chinas neuer Protestfarbe. Mancher Blogger redet nicht durch die Blume, sondern versucht es über die Sprache. Selbst wenn es schwer ist, verstanden zu werden.
Im Gegenlicht der untergehenden Sonne zieht ein Schwarm Kraniche über den Poyang See in Nanchang in der östlichen Provinz Jiangxi. Der größte Süßwassersee Chinas ist ein wichtiger Überwinterungsplatz für Zugvögel. Dieses Jahr ist er von Dürren teilweise ausgetrocknet. Chinesische Tierschützer haben sich deshalb zusammengetan, um den Tieren mit Wasser und Nahrung zur Seite zu stehen. In China gilt der Kranich traditionell als Symbol für Weisheit und ein langes Leben.
Morgen ist Weihnachten. Ein Feiertag, der auch in China eine wichtige Rolle spielt. Und zwar nicht nur als Konsumfest. Offiziell leben rund 44 Millionen Christen in China. Schätzungen zufolge könnte ihre Zahl in Wirklichkeit sogar bei 100 Millionen liegen, wenn man die Mitglieder der sogenannten “Untergrund-” oder “Hauskirchen” mit einbezieht. Diese bewegen sich in einer Grauzone. Sie werden zwar geduldet, aber seit Xi Jinping sind ihre Freiheiten immer weiter beschnitten worden. Und auch die Pandemie hat die Arbeit der Gemeinden noch einmal schwieriger gemacht. Wie Chinas Christen das Weihnachtsfest feiern, berichtet Fabian Peltsch.
Für vermögende Chinesen ist die zunehmend von Ideologie getriebene Politik der chinesischen Führung ein Graus. Lange haben sie von den wirtschaftlichen Reformen im Land profitiert, doch insbesondere nach dem Parteitag im Oktober fürchten sie um ihren Wohlstand. Nur – wohin mit dem Vermögen? Hongkong ist keine Alternative mehr, denn auch hier ist der Einfluss Pekings inzwischen zu groß. Viel verlockender ist Singapur. Unser Team in Peking berichtet vom Weg der Oberschicht in den Stadtstaat.
Alle Jahre wieder wird das Wort des Jahres gekürt. Hierzulande ist das kaum mehr als eine kurze Meldung wert. Vielleicht einen Schmunzler, wenn das Jugendwort des Jahres mit seriöser Miene in den Nachrichten vorgetragen wird. Die Wahl zum Wort des Jahres gibt es auch in China. Doch während dort einst Vorschläge aus der Bevölkerung willkommen waren, ist die Wortauswahl unter Xi Jinping längst zu einem Politikum geworden. China kürt Wörter und Slogans fürs In- und Ausland und natürlich kommt eine der beiden Seiten besonders gut weg. Johnny Erling beschreibt die Wort-Klauberei.
Kommende Woche sitzen wir nicht am China.Table, sondern unter dem Tannenbaum. Die Redaktion macht eine kurze Weihnachtspause. Die Ereignisse in China haben uns besonders in der zweiten Jahreshälfte in Atem gehalten. Wir hoffen, dass Sie viel Nutzen aus unseren Berichten ziehen konnten. Während Sie und wir Erholung und Kraft für das neue Jahr schöpfen, behalten wir die Nachrichtenlage in China natürlich ganz genau im Blick. Bei außergewöhnlichen Ereignissen werden wir Sie in Form eines Specials auf dem Laufenden halten.
Wir wünschen Ihnen erholsame Tage, besinnliche Stunden und einen guten Start ins neue Jahr!
In den vergangenen Jahren haben chinesische Nationalisten immer wieder zu Weihnachtsboykotten aufgerufen. An der Universität von Nanjing wurden die Studierenden 2018 etwa angehalten, keine “ausländischen Feste” mehr zu feiern. “Wir feiern ausschließlich chinesische Feiertage”, lautete die Botschaft der Direktion. Auch die Regierungen mehrerer Städte in den Provinzen Hebei, Guizhou und Guangxi erließen in der Vergangenheit Verbote, Weihnachtsdekorationen im öffentlichen Raum aufzustellen. Doch das waren eher patriotische Übersprungshandlungen.
Offiziell verboten ist Weihnachten in China nicht. Noch immer findet man Weihnachtsdeko an jeder Ecke. In den Shoppingmalls baumeln Nikoläuse von der Decke. Geschmückte Plastiktannen illustrieren die jüngsten Weihnachtsrabatte. Mit der Geburt Jesu’ assoziiert das Fest in dieser Atmosphäre des Konsums kaum jemand. Junge Chinesen begehen Weihnachten eher als eine Art Valentinstag, an dem man romantische Winterbilder postet, etwa beim Schlittschuhlaufen oder Schlürfen zimtsatter Winter-Editionen bei Starbucks. Und sie sitzen ja schließlich an der Quelle: China ist nach wie vor der weltweit größte Produzent von Weihnachtsschmuck.
Doch es gibt auch in China viele Christen, für die Weihnachten der wichtigste Feiertag des Jahres ist – noch wichtiger als das Frühlingsfest. In den offiziellen staatlichen Kirchen könnten, je nach pandemischer Lage, dieses Jahr wieder Messen abgehalten werden – in China gibt es eine staatliche Kirche, die sich vom Papst losgesagt hat und die Kommunistische Partei als höchste Autorität anerkennt. Dazu gibt es eine Vatikan-treue Untergrundkirche, die ihre Versammlungen meist in Privaträumen abhält. Offiziell leben rund 44 Millionen Christen in China. Nach Angaben von Freedom House, einer amerikanischen Menschenrechtsorganisation, dürfte die Zahl jedoch eher bei 100 Millionen liegen, wenn man die Mitglieder der sogenannten “Untergrund-” oder “Hauskirchen” mit einbezieht.
Die Hauskirchen befinden sich in einer Grauzone und werden je nach politischer Wetterlage mal mehr und mal weniger geduldet. Unter Xi Jinping seien ihre Freiheiten drastisch beschnitten worden, sagt Thomas Müller von Open Doors, einem internationalen Hilfswerk, das sich in mehr als 70 Ländern der Welt für Christen einsetzt. “Xi geht es vor allem um Kontrolle, und Religionsfreiheit ist einer der zentralen Punkte, die ihm Bauchschmerzen bereiten.” Die Weihnachtsgeschichte sei dabei an sich schon subversiv, erklärt Müller. “Einen Erlöser, der als Mensch auf die Welt kommt, kann die Kommunistische Partei nicht akzeptieren.”
In der Vergangenheit hätten die Mitglieder der Hauskirchen während Heiligabend und anderen christlichen Feiertagen Hotels oder ganze Etagen in Bürogebäuden gemietet, um Weihnachtsfeiern abzuhalten. Während der Pandemie wurden solche Veranstaltungen, bei denen mitunter 1.000 Menschen zusammenfanden, jedoch verboten – Verbote, die bislang nicht aufgehoben wurden, obwohl andere Versammlungen im Zuge der Lockerungen wieder gestattet wurden, wie Müller erklärt. “Es mag einzelne Ausnahmen geben, aber im Wesentlichen sind ihre Versammlungen momentan nicht mehr möglich.”
Weil es die Hauskirchen offiziell nie geben durfte, können sie auch kein Veto bei staatlichen Stellen einlegen. “Wenn diese Christen an Heiligabend zusammenkommen, sieht es nun oft nicht mehr nach einem Gottesdienst aus, sondern eher als träfe man sie einfach bei einem gemeinsamen Abendessen an. Umso mehr die einzelnen Gemeinden in Kleinstgruppen zersplittern, umso weniger Pastoren stehen zur Verfügung”, so Müller. Online-Predigten seien während der Pandemie zur Alternative geworden.
Die im März 2022 eingeführten Online-Regeln für Religionsgemeinschaften setzen jedoch voraus, dass jeder eine Lizenz braucht, der religiöse Inhalte im Internet verbreiten will (China.Table berichtete). “Die Hauskirchen sind für diese Lizenzen jedoch nicht berechtigt”, sagt Müller. Viele Christen hätten sich deshalb bereits darauf eingestellt, dass man Weihnachten nicht mehr als Gemeinde feiern kann wie früher. Das gilt momentan auch für jene, die der staatlichen Kirche angehören, wie eine Katholikin aus Peking China.Table erklärt. “Zurzeit sind die Kirchen wegen der Pandemie nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Viele Menschen sind erkrankt, so dass ich Weihnachten dieses Jahr allein zu Hause verbringen werde.” Vor der Pandemie habe sie jedes Jahr mit anderen Gläubigen in der Kirche gesungen und kleine Geschenke an die freiwilligen Helfer verteilt. “Die Atmosphäre wird dieses Jahr sehr anders sein.”
Kia Meng Loh ist in diesen Tagen ein viel beschäftigter Mann. Er leitet in Singapur bei der renommierten Kanzlei Dentons Rodyk den Bereich Private Wealth und Family Offices. Reiche Ausländer, die es nach Singapur zieht, sind bei ihm an der richtigen Adresse. Vor allem bei Chinesen sind die Dienste Lohs derzeit gefragt.
“Die Zahl wohlhabender Chinesen, die nach Singapur ziehen, ist in letzter Zeit gestiegen”, sagt Loh im Gespräch mit China.Table. Interessenten aus China machen mittlerweile rund die Hälfte aller Anfragen aus, die er und sein Team bearbeiten. Nach Zahlen der Singapurer Finanzaufsichtsbehörde wurden 2019 noch lediglich 33 Family Offices von Chinesen in der Stadt gegründet. Im vergangenen Jahr waren es schon 175. Für dieses Jahr wird erneut mit einem Rekord gerechnet.
Andere Berater in der Stadt bestätigen den Trend. Und immer wieder nennen sie ähnliche Gründe, warum ihre chinesischen Kunden Zuflucht oder zumindest ein zweites Standbein in Singapur suchen. Vor allem wohlhabende Chinesen, die von den Früchten der wirtschaftlichen Reformen in den vergangenen Jahrzehnten profitieren konnten, ziehe es demnach jetzt in den Stadtstaat.
Sie würden ihr eigenes Land nicht mehr erkennen. Nicht nur die chaotische Covid-Politik, sondern vor allem die zunehmend von Ideologie getriebene Politik der chinesischen Führung lasse sie verzweifeln, heißt es in Singapur. Verstärkt hätten sich die Sorgen in der chinesischen Oberschicht noch einmal seit dem Parteikongress im Oktober.
Staats- und Parteichef Xi Jinping stellte dort nicht nur eine neue Führungsmannschaft vor, in der kein einziger Wirtschaftsreformer mehr vertreten ist. Er wiederholte auch sein Mantra vom “allgemeinen Wohlstand”. Diesen Slogan gab es zwar bereits zu Gründungszeiten der Kommunistischen Partei, lange wurde er aber nicht mehr so inbrünstig propagiert wie unter Xi. Die Pekinger Führung hat genug von “irrationaler Kapitalexpansion” und “barbarischem Wachstum” sagte Xi schon im vergangenen Jahr in einer Rede zum Höhepunkt seines Schlages gegen die Tech-Bosse des Landes.
Die meisten Chinesen, die derzeit versuchen, sich selbst oder ihr Vermögen in Sicherheit zubringen, zieht es nicht gleich nach Europa oder in die USA. Viele bevorzugen es, in Asien zu bleiben. Hongkong ist keine Option mehr, weil Peking auch dort zunehmend seinen Einfluss durchsetzt. Deshalb steht Singapur hoch im Kurs.
In Singapur, so Loh, würden Chinesen vor allem das politische Klima und die Stabilität schätzen. Ein wichtiger Faktor seien zudem die wirtschaftsfreundlichen Gesetze, die es Ausländern mit Geld leicht machten, eine eigene Vermögensverwaltungsgesellschaft zu gründen und so an eine Aufenthaltserlaubnis zu kommen. Auch die Steuern sind niedrig. Wie Hongkong sei auch Singapur ein wichtiges Finanzzentrum. Viele reiche Chinesen, die Teile ihres Vermögens bisher in der Sonderverwaltungsregion geparkt hatten, würden nun nach Singapur umschichten.
Laut Beratern in der Stadt würden derzeit vermutlich noch deutlich mehr Chinesen versuchen, Geld nach Singapur zu transferieren. Doch Peking mache es seiner wohlhabenden Oberschicht zunehmend schwer. Die ohnehin strengen Kapital-Ausfuhrkontrollen seien nicht nur weiter verschärft worden, sondern würden auch stärker kontrolliert. Und nicht nur Geld kann die Grenze kaum noch überqueren. Die Corona-Regeln machen es Chinesen derzeit fast unmöglich, touristische Reisen ins Ausland zu unternehmen.
“Ich habe von Fällen gehört, in denen sich Chinesen für einen Master-Studiengang in Singapur eingeschrieben haben, um so die Erlaubnis für eine Ausreise zu erhalten”, erzählt Loh. Sind sie dann in der Stadt, leiten sie die Gründung eines Family Offices ein.
Loh sieht noch einen weiteren interessanten Trend. Offenbar blicken nicht nur wohlhabende Chinesen aus der Volksrepublik mit großer Sorge auf die Zukunft. Auch aus Taiwan seien zuletzt immer mehr Anfragen eingegangen. Jörn Petring
Die chinesischen Gesundheitsbehörden haben erstmals seit gut zwei Wochen wieder Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 bekannt gegeben. Die beiden Sterbefälle betrafen nach Angaben der Nationalen Gesundheitskommission die Hauptstadt Peking. Demnach stieg die offizielle Zahl der Corona-Todesfälle seit Beginn der Pandemie auf insgesamt 5.237. Berichte auch Krankenhäusern und von Krematorien weisen allerdings auf höhere Sterbezahlen hin (China.Table berichtete).
Wegen des massiven Corona-Ausbruchs haben seit Montag zudem die Grund- und Mittelschulen sowie Kindergärten und Kindertagesstätten in Shanghai wieder geschlossen. Die Schüler und Schülerinnen werden online unterrichtet. Oberschüler könnten wählen, ob sie weiter zur Schule gehen oder von zu Hause lernen wollen, teilte die Bildungsbehörde der Hafenmetropole mit.
Arbeitnehmer dürfen in Chongqing indes auch mit Corona-Symptomen erstmals wieder “ganz normal” zur Arbeit gehen. “Leicht symptomatische” Angestellte der Regierung, der Partei und des Staates in der 32-Millionen-Einwohner-Stadt könnten “nach persönlichen Schutzmaßnahmen entsprechend ihrer körperlichen Verfassung und den Erfordernissen ihrer Arbeit ganz normal arbeiten”, berichtete die Zeitung Chongqing Daily unter Berufung auf eine Mitteilung der städtischen Behörden. Auch in der östlichen Provinz Zhejiang hieß es, dass Menschen mit leichten Symptomen bei Bedarf “weiterarbeiten können, sofern sie persönliche Schutzmaßnahmen ergreifen”.
Epidemiologen erwarten, dass bis Mitte März drei Infektionswellen durch die Volksrepublik rauschen werden (China.Table berichtete). Die jetzige erste Welle werde bis Mitte Januar dauern und vor allem die städtischen Gebiete betreffen, sagte der Chef-Epidemiologe des Gesundheitsamtes, Wu Zunyou, laut Staatsmedien. Die zweite Welle erwartet der Experte bis Mitte Februar. Sie fiele in die Zeit rund um das chinesische Neujahrsfest am 22. Januar, für das viele Millionen Menschen in ihre Heimat reisen. Mit der Rückkehr der Reisenden sei dann die dritte Welle von Ende Februar bis Mitte März zu erwarten.
Verantwortlich für die rasende Corona-Verbreitung derzeit soll die Omikron-Variante BF.7 sein. Medienberichte weisen darauf hin, dass BF.7 die stärkste Infektionsfähigkeit unter den derzeit präsenten Omikron-Subvarianten hat. Es wird angenommen, dass BF.7 eine Reproduktionszahl von zehn bis 18,6 hat. Das bedeutet, dass eine infizierte Person das Virus auf durchschnittlich zehn bis 18,6 weitere Personen überträgt. ari
Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge, waren die Omikron-Zahlen schon vor den Lockerungen nach oben geschnellt. “Die zunehmend intensive Ausbreitung passierte lange bevor die Maßnahmen geändert wurden”, sagte Mike Ryan, Nothilfe-Koordinator der WHO bei einer Pressekonferenz in Genf. Die Lockerung habe die aktuelle Corona-Welle demnach nicht ausgelöst. Viel mehr konnte die Null-Covid-Politik das Virus schon länger nicht mehr eindämmen. Nur so sei zu erklären, warum Omikron in China schon so weit verbreitet ist.
Die Corona-Lage in China ist schwer abzuschätzen, weil die Zahlen der chinesischen Behörden nicht verlässlich sind. Offiziell sinkt die Zahl der Infizierten seit zwei Wochen, anders als noch im November wird aber auch nicht mehr flächendeckend, zum Teil sogar gar nicht mehr getestet (China.Table berichtete). Zugleich melden Krankenhäuser einen Ansturm, während die Behörden die Menschen auffordern, Covid-19 möglichst zu Hause auszukurieren. Geschäfte und Restaurants in Peking sind geschlossen, weil Beschäftigte reihenweise krank sind. In den sozialen Medien beklagen Unternehmen, dass bis zu 90 Prozent der Belegschaft erkrankt ist.
Die WHO forderte die Führung in Peking auf, sich auf die Entlastung des Gesundheitssystems zu konzentrieren und die Impfung von Risikogruppen zu beschleunigen. Die chinesischen Gesundheitsbehörden haben erst zuletzt grünes Licht für einen zweiten Booster für ältere Menschen über 60 Jahre oder Risikogruppen etwa mit chronischen Krankheiten gegeben. Nur 69 Prozent der Chinesen über 60 Jahre und nur 42 Prozent der über 80-Jährigen haben nach offiziellen Angaben bisher drei Impfungen bekommen. flee
Immer am 20. Dezember laden Pekinger Sprachexperten aus Verlagen, Medien und Universitäten die Öffentlichkeit zur Bekanntgabe ihrer online gewählten, jeweils zehn populärsten chinesischen Worte und Slogans für das zu Ende gehende Jahr ein. Seit 2006 machen sie das jährlich so. Anfangs sollte ihre Liste nur zeigen, wie die Chinesen die Lage bei sich und im Ausland sehen und bewerten. Sie diente auch als Barometer für die Stimmung im Volk und als Alarmsignal für die Pekinger Führung.
Seit dem Amtsantritt Xi Jinpings 2013 entscheidet die Partei, was das Volk zu denken hat und bestimmt und zensiert die Worte schon in den Auswahllisten. Kein Wunder, dass das Ergebnis auch 2022 der Partei gefällt. Als Worte des Jahres machten “Stabilität” in China und der siegreiche “20. Parteitag” das Rennen. Kriege, Konflikte und Chaos prägen dagegen das Ausland. Für eine Zeitenwende gibt es keinen Platz in Pekings Wortwahl.
Olaf Scholz’ Bonmot von der Zeitenwende wurde von der Gesellschaft für deutsche Sprache erwartungsgemäß zum Wort des Jahres 2022 erkoren. Anfang Dezember machte der Kanzler seine Sprachschöpfung in einem weiteren Essay auch international hoffähig. Er definierte Zeitenwende als “epochalen tektonischen Wandel”, nachdem sowohl der russische Angriffskrieg auf die Ukraine als auch Pandemie, Klimawandel, Inflation und politisches Chaos die Welt gleichzeitig erschütterten.
Folgerichtig kürten die Lexikografen von “Collins English Dictionary” den Begriff “Permacrisis” zum britischen Wort des Jahres. Der erst in den 1970er-Jahren in Umlauf gekommene Ausdruck kennzeichne eine derzeitige “länger anhaltende Instabilität und Unsicherheit”. Tokios Sprachkommission “Kanji Aptitude Testing Foundation” ging noch einen Schritt weiter. Sie wählte das Kanji 戦 (japanisch sen gesprochen) aus, ein einst aus dem Chinesischen übernommenes Schriftzeichen. Es bedeutet Krieg. Vor 20 Jahren hatte Tokio “sen” schon einmal zum Wort des Jahres erhoben. Auslöser war, so wie heute der Ukraine-Überfall, der Al-Qaida-Terrorangriff am 11. September 2001 auf die USA und dessen Folgen für die ganze Welt. Selbst Peking zeigte sich damals geschockt.
Das ist heute in China anders. Zwar wählte es wie Japan ebenfalls das Zeichen für Krieg 战 (戦) zum Wort des Jahres 2022, aber nur innerhalb seiner Auswahlkategorie für internationale Wörter (国际字). Sie stehen für die volksrepublikanische Sicht auf das Ausland, haben mit China aber ansonsten nichts zu tun. Das für China gewählte Wort des Jahres (国内字) heißt wen (稳), “Stabilität”. Peking lässt auch bei der Wahl der zehn populärsten Schlagworte oder Slogans für das Jahr 2022 zwischen innen und außen unterscheiden. An erster Stelle unter seinen neuen zehn nationalen Schlagworten (国内词) steht der Slogan vom siegreichen “20. Parteitag der Kommunistischen Partei” (党的二十大). Auf der Liste internationaler Schlagworte (国际词) rückte der Ausdruck “russisch-ukrainischer Konflikt” (俄乌冲突) nach oben.
Wie absurd die Listen und ihre Wortwahl aufgestellt sind, zeigt sich an Putins Überfall auf die Ukraine. Er darf in China nicht Krieg genannt werden. Peking spricht von ihm als “Konflikt”, obwohl Russland seit zehn Monaten die Ukraine zerbombt, beide Seiten Zehntausende Tote beklagen und Millionen Ukrainer Flüchtlinge wurden. Xi Jinping steht seinem Kampfgefährten Putin sogar bis in die Sprachformulierung zur Seite.
Anfangs ging Chinas Suche nach den Worten des Jahres noch professionell vor sich. Für die Vorschlaglisten mit jeweils zehn Wörtern und Begriffen, die online zur Abstimmung gestellt werden, sind eigentlich Experten des Nationalen Zentrums für Sprachforschung (国家语言资源监测与研究中心), aus Buch- und Online-Verlagen, Universitäten und Internetplattformen zuständig. Sie stützen sich auf ihre ganzjährige Auswertung millionenfacher Daten aus den Print-, TV- und Onlinemedien und filtern daraus Worte und Begriffe nach ihrer Häufigkeit und Bedeutung heraus.
Doch heute erteilt die Partei alle Regieanweisungen. Zur Farce wurde das einen Monat dauernde diesjährige Vorauswahl-Verfahren für Chinas Worte des Jahres. In den Vorschlaglisten tauchten Begriffe wie “Null-Covid” (动态清零) oder Lockdown-Politik nicht auf, obwohl sie China das ganze Jahr lang im Griff hielten. Seit Peking am 7. Dezember eine 180 Grad Kehrtwendung in seiner Pandemie-Bekämpfung machte, sind diese Worte sogar tabuisiert worden. So findet sich in den für 2022 ausgewählten zehn Schlagworten des Jahres 2022 nur mit dem Ausdruck “präzise Prävention und Kontrolle” (精准防控) eine verschleiernde Umschreibung wieder. Die Worte Pandemie oder Omikron-Variante dürfen nur in der Liste der internationalen Worte oder Slogans des Jahres auftauchen.
Triumphierend bejubelte die Volkszeitung das am 20. Dezember in einer Pekinger Großveranstaltung bekanntgemachte Ergebnis zur Wahl von Chinas Wort des Jahres unter der Überschrift: “Stabilität steht an erster Stelle!” (稳”字当头!). Sie tat so, als ob es eine Riesenüberraschung gewesen sei. Chinas englischsprachige Tageszeitung “China Daily” feierte in ihrer Mittwochsausgabe die Wahl unter einer anderen Überschrift: Der “20. Parteitag wurde zum Top-Schlagwort des Jahres gewählt”. Das Blatt lobte auch weitere angeblich als Top-Schlagworte des Jahres gekürte Propagandafloskeln, von “Chinas Modernisierung” (中国式现代化) bis zur “vollprozeduralen Volkdemokratie” (全过程人民民主), als welche sich Chinas Diktatur im Parteikauderwelsch gerne selber anpreist.
Die offiziell orchestrierte Suche nach den Worten des Jahres provozierte kritische Blogger, sich einzumischen. Sie plädierten für ein im Netz populäres, aber ständig gelöschtes Wort. Es heißt bai (白, weiß). In Kombinationen wie “weiße Revolution” oder “weißer Zettel” ist es zum Symbol für die öffentlichen Proteste gegen Pekings Null-Covid Politik geworden. Im Netz tauchte oft auch das Zeichen yang (阳) auf. Es bedeutet positiv, also mit Corona angesteckt zu sein. Blogger setzten das Zeichen mit dem genauso ausgesprochenen Zeichen yang (羊) gleich, ein “Schaf” zu sein. Seid keine Schafe, rufen sie ihren Lesern zu. Zwei Tage freuten sich mehr als 100.000 Netizens über das Onlinewort cao (操, eigentlich: handhaben, treiben). Dann hatten auch die Zensoren verstanden, dass das ein Slangwort für den ausgestreckten Mittelfinger war, mit der subversiven Botschaft an die Partei: “Ihr könnt mich mal”.
Ein weiterer Blogger bot für 2022 und 2023 zwei Wörter an. Auf das vergangene Jahr passe 封 (feng) für “im Lockdown eingesperrt sein” und auf das kommende Jahr folge 疯 (feng): “2023 drehen wir völlig durch” (我一下选两,明年就省啦! 22年是”封”,23年是”疯).
Doch allem Internetspott zum Trotz: So stark wie dieses Jahr hat die Partei noch nie Einfluss auf eine ihr genehme Wahl eines Wortes des Jahres genommen. Das war zu Beginn der Regentschaft Xi Jinpings 2013 noch anders. Die Sprachkommission hatte zwar schon damals Xis politische Schlüsselworte oben auf ihre Vorschlagslisten gesetzt. Vor allem galt es, die Zeichen meng (梦) für Xis Traum, Chinas Nation reich und stark zu machen, und lian (廉) für seine Säuberungskampagne gegen korrupte Beamte, zu Worten des Jahres 2013 zu machen. Doch 100.000 Online-Wähler stimmten anders ab. 42 Prozent wählten das Schriftzeichen fang (房) für Wohnung an erste Stelle und 25 Prozent mai (霾) für Smog. Ihre Alternativworte spiegelten den Frust wider, dass ihr Traum von der eigenen Wohnung unbezahlbar und unerfüllbar war. Mit mai protestierten sie gegen die Luftverschmutzung.
Im Jahr 2013 sagte mir Verlagschef Liu Zuochen von “Commercial Press”, der federführend das Projekt “Wort des Jahres” leitete: “Wir wollen mit unserer Suche nach Wörtern und Begriffen des Jahres unserer Regierung zugleich einen wichtigen Hinweis geben: Was will das Volk? Was denkt es? Wie hat es sich in diesem Jahr gefühlt?”
Bereits 2009 hatte das als Wort des Jahres mehrheitlich gewählte bei (被) Pekings Politikern zu denken gegeben. Bei wird als Passivzeichen gebraucht und stand für den Zorn der Bürger, von einer allmächtigen Partei-Bürokratie immer mehr entmündigt und fremdbestimmt zu werden. Sie wehrten sich sprachlich: Wenn Pekings offizielle Zahlen das Ausmaß der Inflation schönfärbten, reagierten sie darauf mit der Passivform: “Wir wurden preisstabilisiert”. Wenn die Propaganda sie zu glücklichen Chinesen erklärte, sagten sie: “Wir wurden beglückt”. Selbst die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua wertete damals die Wahl von bei zum Wort des Jahres als latentes Signal für ihren “Ruf nach mehr Freiheit” und Eigenbestimmung. Südchinas Zeitung Nanfang Dushibao kommentierte, dass die Bürger in einer Situation, wo offene Kritik und Opposition nicht geduldet werden, mithilfe eines Wortes “Bewusstsein zeigen, ihre bürgerlichen Rechte wahrnehmen zu wollen.”
Heute würde Xi Jinpings Partei nicht nur solche Kommentare unterbinden. Sie lässt erst gar nicht zu, dass die Wahl von Chinas Wort des Jahres den Online-Wählern überlassen wird. Mutige Bürger protestieren im Katz und Maus-Spiel mit der Zensur. Nach der Veröffentlichung der offiziellen Worte des Jahres stellten Blogger am Mittwoch unter der Überschrift “Welches Wort würde Sie wählen?” 53 einzelne Schriftzeichen zur Auswahl ins Netz. Verbunden mit anderen Worten werden aus ihnen kritische Begriffe, die Xis Parteiherrschaft herausfordern. Die Liste beginnt mit dem Zeichen für Weiß, Chinas neuer Protestfarbe. Mancher Blogger redet nicht durch die Blume, sondern versucht es über die Sprache. Selbst wenn es schwer ist, verstanden zu werden.
Im Gegenlicht der untergehenden Sonne zieht ein Schwarm Kraniche über den Poyang See in Nanchang in der östlichen Provinz Jiangxi. Der größte Süßwassersee Chinas ist ein wichtiger Überwinterungsplatz für Zugvögel. Dieses Jahr ist er von Dürren teilweise ausgetrocknet. Chinesische Tierschützer haben sich deshalb zusammengetan, um den Tieren mit Wasser und Nahrung zur Seite zu stehen. In China gilt der Kranich traditionell als Symbol für Weisheit und ein langes Leben.