Table.Briefing: China

Expats verlassen China – Isolation in Shanghai

  • Exodus der Expats aus China
  • Bericht aus einem Quarantänezentrum
  • Kolumnist von Stand News in Hongkong festgenommen
  • Bericht zur Zwangsarbeit in der Alu-Produktion
  • Zensoren schneiden am neuen “Dumbledore”-Film
  • Porträt: Wang Jixian provoziert Peking mit Videos aus Odessa
Liebe Leserin, lieber Leser,

wer glaubte, das zunehmend totalitäre Klima in der Volksrepublik China würde nicht auf die Lebensumstände von Ausländern im Land abfärben, sieht sich eines Besseren belehrt. Seitdem der Staat die autoritären Zügel noch strenger angezogen hat, verengen sich Meinungsvielfalt und zivilgesellschaftlicher Raum dramatisch. Die Konsequenz sind wachsender Nationalismus und konfrontative Aggressionen gegen über Gästen im Land, ganz gleich, welcher Nation.

In der heutigen Ausgabe schildern Rückkehrer ihre Gründe, weshalb sie ihre Zelte in China kürzlich abgebrochen haben. Die strenge Null-Covid-Politik spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Aber sie verstärkt bei vielen Expats das Gefühl, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft nicht mehr der richtige Ort für sie ist. Den Trend dürfte der Lockdown in Shanghai dennoch weiter bekräftigen. Zahlreiche Ausländer posten derzeit von ihren Erfahrungen aus der modernsten Stadt des Landes und sorgen im Rest der Welt für Entsetzen. So wie ein junger Italiener, der tagtäglich aus einem Lager der Positivgetesteten berichtet, und dessen Erzählungen wir heute aufgreifen.

Ähnlich aktiv über Sozialmedien ist Wang Jixian, ein chinesischer Informatiker, der in Odessa lebt und von dort über den Ukraine-Krieg berichtet. Sein Mut, entgegen der Kommunikationsstrategie seiner Regierung in Peking russische Gräueltaten zu benennen, ist bemerkenswert. Denn es wäre naiv zu glauben, ein autoritäres politisches System würde diese Form des Dissens nicht bestrafen.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

China wird für Expats unattraktiv

Shanghai ist im Zuge des Lockdowns abgeschnitten - Expats in China machen die rigiden Strukturen des Systems immer mehr zu schaffen.

Mit dem Ende des China-Kapitels in seinem Leben setzte bei Niklas die Erleichterung ein. “Ich bin wirklich froh, dass ich raus bin. Jetzt spüre ich, wie viel Energie diese Zeit tatsächlich gekostet hat”, sagt der Niederländer, der nach 17 Jahren in der Volksrepublik vor zwei Wochen seine Zelte in Shanghai abgebrochen hat.

“Als Ausländer in China zu leben ist inzwischen so, als wenn du die ganze Zeit auf rohen Eiern läufst. Überall lauern Konfrontationen nach dem Muster: Wir gegen euch“, sagt Niklas, der nicht mit vollem Namen zitiert werden möchte. Fast zwei Jahrzehnte lang arbeitete der 48-Jährige in China für internationale Firmen im Bereich Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR). In Shanghai habe er zu Beginn des Jahrhunderts die “goldenen Jahre” erlebt. Wie er sagt, war es vergleichsweise liberal und kosmopolitisch. Damit ist es vorbei.

“Die vergangenen Jahre unter Xi Jinping haben alles verändert“, sagt er. Zunehmend seien Alltagssituationen in politische Diskussionen mit Chinesen:innen gemündet, die der Niederländer nicht führen wollte. Immer wieder wurde er genötigt, zum Verhältnis Chinas zu Europa oder dem Rest der Welt Stellung zu beziehen. “Dabei bin ich ständig mit den gleichen Argumenten konfrontiert worden, ohne Differenzierung aus einer extrem nationalistischen Position”, erzählt Niklas. Kritik an der Volksrepublik sei in solchen Diskussionen immer weniger akzeptiert worden. Das Land entwickle sich zu einer “perfekt abgeschirmten Gesellschaft”.

Wachsender Nationalismus, totalitäre Züge, höhere Steuern und eine zermürbende Null-Covid-Strategie – für viele Staatsangehörige großer Industrienationen hat die Volksrepublik China ihren Zauber als Land der unbegrenzten Möglichkeiten verloren. Zahlreiche Alteingesessene kehren dem Land den Rücken und deutlich weniger Ausländer:innen entscheiden sich für einen langfristigen Aufenthalt.

“Vieles ist aus der Balance geraten”

Tatsächlich haben ausländische Firmen inzwischen Mühe, Leute zu finden, die in der Volksrepublik leben wollen. Die EU-Handelskammer stellt einen massiven Rückgang der Anzahl ausländischer Angestellter fest. Und in Hongkong, wo die örtliche Regierung die Entdemokratisierung extrem beschleunigt hat, schließen viele ausländische Firmen ihre Niederlassungen.

“China ist für Leute in meinem Alter einfach nicht mehr attraktiv”, sagt Stefan Sack, zwischen 2013 und 2016 Vizepräsident der Europäischen Handelskammer in Shanghai. Der 54-Jährige kehrte vor wenigen Monaten nach 16 Jahren in China nach Hamburg zurück. “Vieles ist aus der Balance geraten. Die Gehälter chinesischer Kollegen:innen sind kontinuierlich stark angestiegen, meins aber nicht. Und die anstehende deutliche Erhöhung der Einkommenssteuer für Ausländer verringert die Bezüge”, sagt Sack.

Immer mehr Expats wenden China den Rücken zu.

Der frühere Unternehmensberater sieht auch positive Entwicklungen. In der chinesischen Wirtschaft seien die “wilden Jahre” vorbei. Der Staat habe durch Regulierungen deutlich mehr Ordnung geschaffen. Doch Sack nimmt eine fortschreitende Erosion gesellschaftlicher Pluralität wahr. Die Meinungsvielfalt reduziere sich und komme einer “Gleichschaltung” nah.

Ähnliche Beobachtungen macht der Schotte Cameron Wilson. Im Gegensatz zu anderen, die China verlassen haben, lebt der 47-Jährige mit seiner chinesischen Familie weiterhin in Shanghai. Doch er gibt zu, dass seine Frustration enorm gewachsen ist. Jegliche Kritik am Gastgeberland werde heutzutage als das Resultat von Fake-News umgedeutet, die westliche Medien in die Welt setzten. Der Bewegungsspielraum für die Zivilgesellschaft sei dramatisch beschnitten.

Shanghai heißt Ausländer nicht mehr willkommen

Als Beispiel nennt Wilson den Profifußball. Fans dürfen nach einem Sieg nicht mehr vor dem Stadion in Gruppen stehen und gemeinsam feiern. Den Anhängern von Shanghai Shenhua ist es sogar verboten, Stoff-Schildkröten gegen den Erzrivalen Beijing Guo’an ins Stadion mitzunehmen. Die Shanghaier bezeichnen den Hauptstadtklub verächtlich als Schildkröten. Die Behörden entschieden: Die Stofftiere seien unzivilisiert.

Solch kleinliche Einschränkungen wirken belastend. “Wenn Shanghai eine internationale Metropole sein möchte, dann muss es auch ein Minimum an internationalen Standards erfüllen wie Diversität und Inklusion. Aber die Stadt entfernt sich immer weiter davon“, sagt Wilson. Als Ausländer einen Job als Ortskraft zu bekommen, werde immer schwieriger.

All das bleibt nicht ohne Wirkung. “Ich habe mich einfach nicht mehr willkommen gefühlt”, sagt Vuk Dragovic. Der Serbe lebte bis vor wenigen Wochen in Shanghai, wo er als selbstständiger Industriedesigner für internationale Kunden arbeitete. Ein Schlüsselmoment für ihn und seine Frau sei es gewesen, als die Polizei vor seiner Wohnungstür stand und unangemeldet eine Urinprobe verlangte, um ihn auf Drogenkonsum zu testen.

Es kam auch vor, dass er im Künstlerviertel Tianzifang nach seinen Ausweispapieren gefragt und seine Aufenthaltserlaubnis geprüft wurde. “Das habe ich in all den Jahren zuvor nie erlebt”, sagt Dragovic, der nach elf Jahren in der Volksrepublik jetzt in Berlin einen Neuanfang unternimmt. Vor allem nach Ausbruch des Handelskriegs zwischen China und den USA unter Präsident Donald Trump habe er eine wachsende Ablehnung der lokalen Bevölkerung gegen ihn wahrgenommen. Er erlebte, dass Chinesen es vermieden, den gleichen Fahrstuhl wie er zu benutzen.

Auch Europas Ruf sei ramponiert, hat der Niederländer Niklas festgestellt. “Ich habe eine regelrechte Verachtung für Europa gespürt. Wir seien schläfrig, langweilig und chaotisch.” Die zugespitzte Berichterstattung chinesischer Medien über gewalttätige Demonstrationen oder Ausschreitungen in EU-Staaten hätten das Bild eines düsteren Europas, das nicht mehr Herr der Lage sei, weiter verstärkt.

Wachsende Sorge wegen des Konflikts um Taiwan

Der Trend zur Entfremdung zwischen lokaler und westlich geprägter Bevölkerung wird durch die unterschiedliche Positionierung Chinas und des Westens im Ukraine-Krieg noch angeheizt. “Es wäre Chinas Zeit, sich auf globaler Bühne Glaubwürdigkeit und Respekt zu verschaffen, nach dem das Land sich so sehnt. Stattdessen werden Verschwörungstheorien als Grundlage für die eigene Politik genutzt”, sagt Wilson. In der Konsequenz werde Chinas externe Kommunikation immer aggressiver.

Der frühere Kammer-Vizepräsident Stefan Sack sieht in den politischen Tendenzen einen guten Grund, das Land zu verlassen. Er fürchtet eine chinesische Invasion Taiwans binnen der kommenden fünf Jahre. “Wenn es so weit kommen sollte, dann würde ich als Staatsbürger eines Nato-Mitgliedes nicht mehr in China sein wollen, als Amerikaner schon gar nicht”, sagt Sack.

Elisabeth Liu ist Amerikanerin und lebt seit über anderthalb Jahrzehnten in Shanghai. Sie ist Mutter von vier Kindern. Ihr Ehemann kommt aus Singapur. Ihr ursprünglicher Plan war es, in fünf Jahren in ihre Heimat Texas zurückkehren. Jetzt will sie die Volksrepublik noch in diesem Jahr verlassen. Ein Grund auch hier: die Sorge vor einem Krieg mit Taiwan.

Die kompromisslose Coronavirus-Politik in Shanghai tat jetzt ihr Übriges. Seit Wochen macht sie ihrem Unverständnis für die Art und Weise des Gesundheits-Managements mit Galgenhumor über Sozialmedien Luft. Kürzlich postete sie eine Sprachnachricht ihres Mannes, der “gute Nachrichten” meldete. Ihm sei es gelungen, ein paar Tomaten, sechs Karotten und zwei Brokkoli aufzutreiben. Liu: “Ganz ehrlich, ich hoffe, dass ich das hier alles vergessen werde und einfach mit meinem Leben weitermachen kann.”

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Taiwan
  • Zivilgesellschaft

Alessandros Odyssee durch Shanghai

Alessandro Pavanello berichtet über seinen Alltag in einem Shanghaier Quarantänezentrum.

Bis vor wenigen Wochen war Alessandro Pavanello noch einer von jenen Abenteurern, die Shanghai bereits seit Jahrzehnten magisch anzieht: Ein Millennial mit Dreitagebart aus Italien, der tagsüber in einer Musikagentur arbeitet und nachts als DJ durch die Clubs der Stadt tingelt. Jemand, dessen hedonistischer Alltag keine größeren Probleme kennt als die Entscheidung, in welcher der vielen hippen Rooftop-Bars man ins Wochenende starten soll. Doch spätestens seit dem 26. März ist das privilegierte Leben von Pavanello vorüber.

In China positiv auf das Virus zu testen ist eine Hiobsbotschaft, der nach wie vor ein ziemlicher Schrecken innewohnt. Denn normalerweise dauert es nur wenige Minuten, bis die Gesundheitsmitarbeiter in ihren Seuchenschutzanzügen vor der Haustür stehen, um den Infizierten abzuholen. Bei Alessandro hingegen passierte erstmal: garnichts. Nur ein einzelner Mann kam in seine Wohnung, um wie ein Kammerjäger sämtliche Zimmer mit Desinfektionsspray einzunebeln.

Nochmal Glück gehabt? Offensichtlich hatten die überforderten Behörden keine Kapazitäten mehr, jeden der mittlerweile über 150.000 Covid-Fälle in die Isolationszentren zu karren. Doch Alessandro Pavanellos Vorfreude sollte sich als trügerisch herausstellen: Knapp zwei Wochen später, als der junge Mann bereits längst wieder negativ testete, stand plötzlich ein Bus der Seuchenbehörde vor der Haustür.

Längst wieder negativ – und dann erst abgeholt

In einer kafkaesken Odyssee wird Pavanello nun knapp 14 Stunden lang zwischen verschiedene Einrichtungen gekarrt. Keine will den Europäer aufnehmen; offensichtlich, da der Italiener kein Chinesisch spricht. In einem Quarantänezentrum sagt ihm ein Arzt: “Für einen Ausländer ist das kein guter Ort, die Zustände hier drinnen sind sehr schlecht.” Worauf Pavanello antwortet: “Was ist mit Chinesen, denkst du die Zustände sind gut für sie?”.

Doch nach Hause kann der Italiener auch nicht mehr. Sein Vermieter schickte ihm nämlich eine unverblümte Nachricht aufs Handy: “Ich akzeptiere dich hier nicht mehr, alle Bewohner sind dagegen. Nur dass du Bescheid weißt: Wir werden die Tür nicht öffnen”. Zu sehr ist die Angst, dass der “Aussätzige” das Virus in sich tragen könnte. 

Es ist bereits zwei Uhr nachts, ehe Alessandro schlussendlich eine Bleibe findet – in einer riesigen Messehalle, wo der DJ und Musikproduzent nun dicht an dicht neben tausend anderen Infizierten schläft. “Ich kann euch mein Zimmer zeigen”, sagt Pavanello mit einem Lachen, das sich durch seine rote Gesichtsmaske abzeichnet.

Auf Instagram hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit über seinen Alltag im Quarantänezentrum zu informieren – mit Humor, aber auch einer Menge Zynismus. Er filmt mit seiner Smartphone-Kamera das karge Camping-Bett, das schon beim bloßen Anblick Rückenschmerzen bereitet. Viele Sitznachbarn haben Planen aus Pappe über ihre Liege montiert, damit sie wenigstens nachts ein wenig Dunkelheit und Privatsphäre haben.

Die Patienten werden “behandelt wie Nutzvieh”

Dann zeigt Pavanello die sanitären Einrichtungen des Quarantänezentrums, doch diese sind ebenfalls alles andere als einladend. Mit einem kleinen Lappen müssen sich die Patienten ihren Körper waschen, Duschen gibt es keine. Die Toiletten sind Plumpsklos, in denen mehrheitlich noch Fäkalien von vorherigen Besuchern schwimmen. Man möchte sich gar nicht ausmalen, wie jene Einrichtungen aussehen, von denen der Italiener wegen “schlechter Zustände” abgewiesen wurde.

Pavanello versucht nun, das Beste draus zu machen. Doch er möchte die Situation auch nicht schönreden: “Wir werden hier wie Nutzvieh behandelt”, sagt der Italiener in einem Online-Chat: “Als Ausländer bin ich zwar nur Gast in China und muss mich an die Regeln des Landes halten. Aber ich fühle mich nicht mehr sicher hier und denke darüber nach, China zu verlassen”.

Doch seine Freundin, sagt Alessandro, habe es noch viel schlimmer erwischt: Sie sei bereits seit zwei Wochen in einem anderen Isolationszentrum untergebracht. Zweimal hintereinander sei sie bereits negativ getestet worden und dürfte eigentlich wieder in ihre Wohnung zurück. Warum ihr das nicht gestattet wird, weiß niemand so recht. “Es ist der Wahnsinn”, sagt Pavanello in seine Handy-Kamera und verabschiedet sich. Jetzt wolle er mal nachschauen, ob er in einen abgesperrten Bereich in die frische Luft kann – wenn er Glück hat, sieht er noch die Abendsonne. Fabian Kretschmer

  • Coronavirus
  • Gesundheit

News

Weiterer Journalist in Hongkong verhaftet

Die Hongkonger Polizei hat einen weiteren bekannten Journalisten der Stadt festgenommen. Der frühere Kolumnist des inzwischen geschlossenen Online-Nachrichtenportals Stand News, Allan Au, wurde am Montag wegen Verschwörung zur Veröffentlichung von staatsgefährdendem Material verhaftet. Au ist damit der achte Reporter oder Verleger, der im Zuge der Ermittlungen gegen das regierungskritische Medium festgenommen worden ist.

Der 54-Jährige war in Hongkong als ehemaliger Radiomoderator des öffentlich-rechtlichen Senders RTHK bekannt geworden. Auf Druck der Behörden war Au im Juni 2021 jedoch entlassen worden. Die Ermittlungen gegen ihn basieren jedoch nicht auf Verstößen gegen das Nationale Sicherheitsgesetz, sondern ein veraltetes Seditionsgesetz, das nach 1997 kaum noch Anwendung gefunden hatte. Erst nach den Massenprotesten in der Stadt im Sommer 2019 hatten sich die Behörden wieder auf das Seditionsgesetz berufen. Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes 2020 lieferte den Ermittlern im Anschluss die Basis für eine breite politische Säuberung.

Benedict Rogers von Hong Kong Watch, einer Organisation, die auf Menschenrechtsverstöße aufmerksam macht, erkennt in dem Zeitpunkt der Festnahme ein klares Signal politischer Kontinuität. “In derselben Woche, in der Sicherheitsminister John Lee zum Nachfolger von (Regierungschefin) Carrie Lam gesalbt wurde, bestätigt die Verhaftung von Allan Au, … dass Peking sein Vorgehen gegen Menschenrechte und Pressefreiheit in Hongkong fortsetzen wird”, sagte Rogers, dem seinerseits eine Haftstrafe in Hongkong droht, sollte er in die Stadt zurückkehren.

John Lee hatte in der vergangenen Woche seine Kandidatur bei der Wahl zum kommenden Regierungschef am 8. Mai angekündigt (China.Table berichtete). Laut Medienberichten genießt er die Rückendeckung der chinesischen Zentralregierung in Peking. grz

  • Hongkong
  • Menschenrechte
  • Nationales Sicherheitsgesetz
  • Zivilgesellschaft

Verdacht auf Zwangsarbeit bei Auto-Zulieferern

Die Beratungsfirma Horizon bringt die Herstellung von Aluminium in der Region Xinjiang mit Zwangsarbeit in Verbindung. Falls die Darstellung richtig ist, drohen auf längere Sicht Auswirkungen auf die deutsche Autoindustrie, die Vorprodukte aus dem Metall von chinesischen Zulieferern beziehen. Horizon zufolge könnten acht führende Aluminium-Produzenten vom “Arbeitskräftetransfers” des Aufbau- und Produktionscorps in Xinjiang profitieren. Das gehe aus Regierungs- und Firmendokumenten hervor. Die Beratungsfirma gibt aber ausdrücklich zu, keine harten Belege für den Einsatz von Zwangsarbeit zu haben.

Als Beispiel nennt der Horizon-Bericht die Firma Xinjiang Zhonghe 新疆众和. Es handelt sich um einen staatseigenen und militärnahen Betrieb aus Urumqi. Er nimmt an Berufsausbildungsprogrammen für Wanderarbeiter teil, die unter Menschenrechtsexperten keinen guten Ruf genießen. Xinjiang Zhonghe beliefert Autozulieferer wie Beijing WKW Automotive Parts. WKW wiederum produziert für VW, BMW, BYD und Nio. Die EU plant in ihrem Lieferkettengesetz eine Sorgfaltspflicht für Menschenrechtsaspekte in der Produktion (China.Table berichtete). fin

  • Autoindustrie

Zensoren schneiden homosexuelle Beziehung aus “Dumbledores Geheimnisse”

Chinas Zensurbehörden haben im Film “Phantastische Tierwesen: Dumbledores Geheimnisse” (Originaltitel: “Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore”)  Hinweise auf eine homosexuelle Beziehung für das chinesische Publikum entfernt. Sechs Sekunden des Films wurden Medienberichten zufolge gekürzt. In diesen wird eine Liebesbeziehung zwischen den Figuren Albus Dumbledore und Gellert Grindelwald nahegelegt. In der chinesischen Version ist im Dialog zwischen den beiden Charakteren die Zeile “weil ich in dich verliebt war” herausgeschnitten. An anderer Stelle wurde Dumbledores Aussage “im Sommer verliebten sich Gellert und ich” gekürzt. Die Figuren stammen aus dem Harry-Potter-Universum von Autorin JK Rowling. Sie hatte bereits 2007 erklärt, dass Magier Dumbledore homosexuell sei, in den bisherigen Filmen wurde das jedoch nicht thematisiert. Die Produktionsfirma Warner Bros. betonte, trotz der Zensur bleibe der “Geist des Films” erhalten. ari

  • Filmindustrie
  • Gesellschaft
  • Kultur

Portrait

Wang Jixian – Politischer Influencer in Odessa

Wang Jixian lebt in Odessa, Ukraine und berichtet auf Youtube über sein Leben im Krieg.
Wang Jixian zeigt stolz seine Solidarität mit der Ukraine

An die nächtlichen Einschläge und das Geheul der Sirenen habe er sich mittlerweile gewöhnt, sagt Wang Jixian. An seinem 38. Geburtstag seien die Explosionen so nah gekommen, dass sich schwarzer, öliger Staub auf den Fenstern seiner Wohnung im obersten Stockwerk abgelagert hat. Wang lebt und arbeitet in der ukrainischen Stadt Odessa. Einige Medien haben ihn als den “letzten Chinesen in Odessa” bezeichnet. Sicher ist, dass Wang innerhalb weniger Wochen zu einem der sichtbarsten Chinesen in diesem Konflikt geworden ist.

Während seine Regierung zu Hause einen Eiertanz vollzieht, um Russland nicht zu verstimmen, und das Wort “Krieg” nach wie vor vermeidet, verurteilt Wang den russischen Präsidenten Wladimir Putin offen als Aggressor und fordert Konsequenzen. Russland müsse für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden, und das besser früher als später, so Wang.

Auf seinem YouTube-Kanal “Jixian in der Ukraine” (吉贤在乌克兰) spricht der in Peking geborene Programmierer in seiner Muttersprache über die beklemmende Atmosphäre in der Küstenstadt am Schwarzen Meer, die Putin seit Wochen mit Raketen und Granaten beschießen lässt. Angst und Schrecken herrscht in Odessa, die Bewohner fürchten einen Einmarsch russischer Truppen. Wang schließt nicht aus, dass auch er sterben könnte. Sein Testament hat er jedenfalls schon geschrieben und in einem seiner Videos veröffentlicht.

In den ersten audiovisuellen Kriegstagebüchern, die er kurz nach dem Beginn der Angriffe online stellte, trug Wang noch eine chinesische Flagge am Revers. Die habe er schnell abgelegt, sagt der Absolvent der Beijing Union University. Dass die chinesische Regierung die russischen Angriffe nicht verurteilt, enttäusche ihn nicht nur, es widere ihn an. “Die chinesischen Staatsmedien übersetzen eins zu eins was die russischen Medien berichten. Aber wenn es sich nur um eine ‘punktuelle Militäroperationen’ handelt, warum sehen wir hier dann zerbombte Häuserkomplexe und tote Zivilisten? Es ist so feige, keine eigene Position dazu zu beziehen.”

Chinas Zensoren filtern Inhalte und Bilder seines Gesichts

Mit Sätzen wie diesen hat Wang sich in seinem Heimatland China zur Persona non grata gemacht. Auf Chinas Social-Media-Kanälen wie Weibo ist er längst nicht mehr zu finden. Die chinesischen Zensoren filtern mittlerweile sogar Bilder seines Gesichts mithilfe von KI-Software aus dem Netz, sagt der IT-Spezialist. “Mein Gesicht wird in China wie ein Porno behandelt. Du kannst es nur mit einem VPN sehen oder einen Freund fragen, ob er es dir auf DVD brennt”, sagt er bissig. “Die Regierung würde mir am liebsten einen Sack über den Kopf ziehen.”

In den Kommentarspalten auf YouTube und Twitter erhält Wang viel Zuspruch, aber auch Drohungen von chinesischen Nationalisten, die ihn als Verräter und Werkzeug westlicher Mächte titulieren. Dass er für ein amerikanisches Unternehmen tätig ist, wird dabei als Beweis angeführt. Wangs Arbeitgeber, der Software-Entwickler RegDesk, hatte ihn im Juli 2021 von Mazedonien in die Ukraine versetzt. Schon damals begann er Videos aus seinem Alltag zu posten, für gerade mal 36 Follower. Mittlerweile sind es 110.000. Große Zeitungen wie die New York Times haben Berichte über ihn geschrieben.

Keine Angst, nach China zurückzukehren

Seine neue Sichtbarkeit als politischer Influencer scheint Wang nicht zu verunsichern – im Gegenteil. Auf Instagram postet er Selfies mit gewinnendem Lächeln und manchmal auch mit nacktem Oberkörper. In einer Zeit, in der die Selbstzensur vielen Chinesen – und zunehmend vielen Ausländern – ins Blut übergegangen scheint, ist Wangs offene Kritik an seiner Regierung bereits eine Sensation. “Es gibt noch andere Chinesen in der Ukraine. Die sind mutiger als ich”, sagt Wang. “Manche verteidigen ihr Zuhause und ihre Familie mit der Waffe in der Hand”. Der große Unterschied bestünde darin, dass sie ihr Gesicht nicht zeigen. “Ich habe ein hübsches Gesicht, warum soll ich das verstecken?”, fragt er ironisch-süffisant.

Seine Familie in China werde aufgrund seiner Videoserien mittlerweile ebenfalls unter Druck gesetzt. “Mein Vater lässt sich davon aber nicht einschüchtern. Wie der Vater, so der Sohn”, sagt Wang und lacht. Er selbst habe keine Angst, nach China zurückzukehren. “Was könnte gefährlicher für mich sein als Raketenangriffe und potenzielle Nuklearattacken? Damit muss ich mich hier jeden Tag auseinandersetzen.” Fabian Peltsch

  • Russland
  • Ukraine
  • Zivilgesellschaft

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Exodus der Expats aus China
    • Bericht aus einem Quarantänezentrum
    • Kolumnist von Stand News in Hongkong festgenommen
    • Bericht zur Zwangsarbeit in der Alu-Produktion
    • Zensoren schneiden am neuen “Dumbledore”-Film
    • Porträt: Wang Jixian provoziert Peking mit Videos aus Odessa
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wer glaubte, das zunehmend totalitäre Klima in der Volksrepublik China würde nicht auf die Lebensumstände von Ausländern im Land abfärben, sieht sich eines Besseren belehrt. Seitdem der Staat die autoritären Zügel noch strenger angezogen hat, verengen sich Meinungsvielfalt und zivilgesellschaftlicher Raum dramatisch. Die Konsequenz sind wachsender Nationalismus und konfrontative Aggressionen gegen über Gästen im Land, ganz gleich, welcher Nation.

    In der heutigen Ausgabe schildern Rückkehrer ihre Gründe, weshalb sie ihre Zelte in China kürzlich abgebrochen haben. Die strenge Null-Covid-Politik spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Aber sie verstärkt bei vielen Expats das Gefühl, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft nicht mehr der richtige Ort für sie ist. Den Trend dürfte der Lockdown in Shanghai dennoch weiter bekräftigen. Zahlreiche Ausländer posten derzeit von ihren Erfahrungen aus der modernsten Stadt des Landes und sorgen im Rest der Welt für Entsetzen. So wie ein junger Italiener, der tagtäglich aus einem Lager der Positivgetesteten berichtet, und dessen Erzählungen wir heute aufgreifen.

    Ähnlich aktiv über Sozialmedien ist Wang Jixian, ein chinesischer Informatiker, der in Odessa lebt und von dort über den Ukraine-Krieg berichtet. Sein Mut, entgegen der Kommunikationsstrategie seiner Regierung in Peking russische Gräueltaten zu benennen, ist bemerkenswert. Denn es wäre naiv zu glauben, ein autoritäres politisches System würde diese Form des Dissens nicht bestrafen.

    Ihr
    Marcel Grzanna
    Bild von Marcel  Grzanna

    Analyse

    China wird für Expats unattraktiv

    Shanghai ist im Zuge des Lockdowns abgeschnitten - Expats in China machen die rigiden Strukturen des Systems immer mehr zu schaffen.

    Mit dem Ende des China-Kapitels in seinem Leben setzte bei Niklas die Erleichterung ein. “Ich bin wirklich froh, dass ich raus bin. Jetzt spüre ich, wie viel Energie diese Zeit tatsächlich gekostet hat”, sagt der Niederländer, der nach 17 Jahren in der Volksrepublik vor zwei Wochen seine Zelte in Shanghai abgebrochen hat.

    “Als Ausländer in China zu leben ist inzwischen so, als wenn du die ganze Zeit auf rohen Eiern läufst. Überall lauern Konfrontationen nach dem Muster: Wir gegen euch“, sagt Niklas, der nicht mit vollem Namen zitiert werden möchte. Fast zwei Jahrzehnte lang arbeitete der 48-Jährige in China für internationale Firmen im Bereich Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR). In Shanghai habe er zu Beginn des Jahrhunderts die “goldenen Jahre” erlebt. Wie er sagt, war es vergleichsweise liberal und kosmopolitisch. Damit ist es vorbei.

    “Die vergangenen Jahre unter Xi Jinping haben alles verändert“, sagt er. Zunehmend seien Alltagssituationen in politische Diskussionen mit Chinesen:innen gemündet, die der Niederländer nicht führen wollte. Immer wieder wurde er genötigt, zum Verhältnis Chinas zu Europa oder dem Rest der Welt Stellung zu beziehen. “Dabei bin ich ständig mit den gleichen Argumenten konfrontiert worden, ohne Differenzierung aus einer extrem nationalistischen Position”, erzählt Niklas. Kritik an der Volksrepublik sei in solchen Diskussionen immer weniger akzeptiert worden. Das Land entwickle sich zu einer “perfekt abgeschirmten Gesellschaft”.

    Wachsender Nationalismus, totalitäre Züge, höhere Steuern und eine zermürbende Null-Covid-Strategie – für viele Staatsangehörige großer Industrienationen hat die Volksrepublik China ihren Zauber als Land der unbegrenzten Möglichkeiten verloren. Zahlreiche Alteingesessene kehren dem Land den Rücken und deutlich weniger Ausländer:innen entscheiden sich für einen langfristigen Aufenthalt.

    “Vieles ist aus der Balance geraten”

    Tatsächlich haben ausländische Firmen inzwischen Mühe, Leute zu finden, die in der Volksrepublik leben wollen. Die EU-Handelskammer stellt einen massiven Rückgang der Anzahl ausländischer Angestellter fest. Und in Hongkong, wo die örtliche Regierung die Entdemokratisierung extrem beschleunigt hat, schließen viele ausländische Firmen ihre Niederlassungen.

    “China ist für Leute in meinem Alter einfach nicht mehr attraktiv”, sagt Stefan Sack, zwischen 2013 und 2016 Vizepräsident der Europäischen Handelskammer in Shanghai. Der 54-Jährige kehrte vor wenigen Monaten nach 16 Jahren in China nach Hamburg zurück. “Vieles ist aus der Balance geraten. Die Gehälter chinesischer Kollegen:innen sind kontinuierlich stark angestiegen, meins aber nicht. Und die anstehende deutliche Erhöhung der Einkommenssteuer für Ausländer verringert die Bezüge”, sagt Sack.

    Immer mehr Expats wenden China den Rücken zu.

    Der frühere Unternehmensberater sieht auch positive Entwicklungen. In der chinesischen Wirtschaft seien die “wilden Jahre” vorbei. Der Staat habe durch Regulierungen deutlich mehr Ordnung geschaffen. Doch Sack nimmt eine fortschreitende Erosion gesellschaftlicher Pluralität wahr. Die Meinungsvielfalt reduziere sich und komme einer “Gleichschaltung” nah.

    Ähnliche Beobachtungen macht der Schotte Cameron Wilson. Im Gegensatz zu anderen, die China verlassen haben, lebt der 47-Jährige mit seiner chinesischen Familie weiterhin in Shanghai. Doch er gibt zu, dass seine Frustration enorm gewachsen ist. Jegliche Kritik am Gastgeberland werde heutzutage als das Resultat von Fake-News umgedeutet, die westliche Medien in die Welt setzten. Der Bewegungsspielraum für die Zivilgesellschaft sei dramatisch beschnitten.

    Shanghai heißt Ausländer nicht mehr willkommen

    Als Beispiel nennt Wilson den Profifußball. Fans dürfen nach einem Sieg nicht mehr vor dem Stadion in Gruppen stehen und gemeinsam feiern. Den Anhängern von Shanghai Shenhua ist es sogar verboten, Stoff-Schildkröten gegen den Erzrivalen Beijing Guo’an ins Stadion mitzunehmen. Die Shanghaier bezeichnen den Hauptstadtklub verächtlich als Schildkröten. Die Behörden entschieden: Die Stofftiere seien unzivilisiert.

    Solch kleinliche Einschränkungen wirken belastend. “Wenn Shanghai eine internationale Metropole sein möchte, dann muss es auch ein Minimum an internationalen Standards erfüllen wie Diversität und Inklusion. Aber die Stadt entfernt sich immer weiter davon“, sagt Wilson. Als Ausländer einen Job als Ortskraft zu bekommen, werde immer schwieriger.

    All das bleibt nicht ohne Wirkung. “Ich habe mich einfach nicht mehr willkommen gefühlt”, sagt Vuk Dragovic. Der Serbe lebte bis vor wenigen Wochen in Shanghai, wo er als selbstständiger Industriedesigner für internationale Kunden arbeitete. Ein Schlüsselmoment für ihn und seine Frau sei es gewesen, als die Polizei vor seiner Wohnungstür stand und unangemeldet eine Urinprobe verlangte, um ihn auf Drogenkonsum zu testen.

    Es kam auch vor, dass er im Künstlerviertel Tianzifang nach seinen Ausweispapieren gefragt und seine Aufenthaltserlaubnis geprüft wurde. “Das habe ich in all den Jahren zuvor nie erlebt”, sagt Dragovic, der nach elf Jahren in der Volksrepublik jetzt in Berlin einen Neuanfang unternimmt. Vor allem nach Ausbruch des Handelskriegs zwischen China und den USA unter Präsident Donald Trump habe er eine wachsende Ablehnung der lokalen Bevölkerung gegen ihn wahrgenommen. Er erlebte, dass Chinesen es vermieden, den gleichen Fahrstuhl wie er zu benutzen.

    Auch Europas Ruf sei ramponiert, hat der Niederländer Niklas festgestellt. “Ich habe eine regelrechte Verachtung für Europa gespürt. Wir seien schläfrig, langweilig und chaotisch.” Die zugespitzte Berichterstattung chinesischer Medien über gewalttätige Demonstrationen oder Ausschreitungen in EU-Staaten hätten das Bild eines düsteren Europas, das nicht mehr Herr der Lage sei, weiter verstärkt.

    Wachsende Sorge wegen des Konflikts um Taiwan

    Der Trend zur Entfremdung zwischen lokaler und westlich geprägter Bevölkerung wird durch die unterschiedliche Positionierung Chinas und des Westens im Ukraine-Krieg noch angeheizt. “Es wäre Chinas Zeit, sich auf globaler Bühne Glaubwürdigkeit und Respekt zu verschaffen, nach dem das Land sich so sehnt. Stattdessen werden Verschwörungstheorien als Grundlage für die eigene Politik genutzt”, sagt Wilson. In der Konsequenz werde Chinas externe Kommunikation immer aggressiver.

    Der frühere Kammer-Vizepräsident Stefan Sack sieht in den politischen Tendenzen einen guten Grund, das Land zu verlassen. Er fürchtet eine chinesische Invasion Taiwans binnen der kommenden fünf Jahre. “Wenn es so weit kommen sollte, dann würde ich als Staatsbürger eines Nato-Mitgliedes nicht mehr in China sein wollen, als Amerikaner schon gar nicht”, sagt Sack.

    Elisabeth Liu ist Amerikanerin und lebt seit über anderthalb Jahrzehnten in Shanghai. Sie ist Mutter von vier Kindern. Ihr Ehemann kommt aus Singapur. Ihr ursprünglicher Plan war es, in fünf Jahren in ihre Heimat Texas zurückkehren. Jetzt will sie die Volksrepublik noch in diesem Jahr verlassen. Ein Grund auch hier: die Sorge vor einem Krieg mit Taiwan.

    Die kompromisslose Coronavirus-Politik in Shanghai tat jetzt ihr Übriges. Seit Wochen macht sie ihrem Unverständnis für die Art und Weise des Gesundheits-Managements mit Galgenhumor über Sozialmedien Luft. Kürzlich postete sie eine Sprachnachricht ihres Mannes, der “gute Nachrichten” meldete. Ihm sei es gelungen, ein paar Tomaten, sechs Karotten und zwei Brokkoli aufzutreiben. Liu: “Ganz ehrlich, ich hoffe, dass ich das hier alles vergessen werde und einfach mit meinem Leben weitermachen kann.”

    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Taiwan
    • Zivilgesellschaft

    Alessandros Odyssee durch Shanghai

    Alessandro Pavanello berichtet über seinen Alltag in einem Shanghaier Quarantänezentrum.

    Bis vor wenigen Wochen war Alessandro Pavanello noch einer von jenen Abenteurern, die Shanghai bereits seit Jahrzehnten magisch anzieht: Ein Millennial mit Dreitagebart aus Italien, der tagsüber in einer Musikagentur arbeitet und nachts als DJ durch die Clubs der Stadt tingelt. Jemand, dessen hedonistischer Alltag keine größeren Probleme kennt als die Entscheidung, in welcher der vielen hippen Rooftop-Bars man ins Wochenende starten soll. Doch spätestens seit dem 26. März ist das privilegierte Leben von Pavanello vorüber.

    In China positiv auf das Virus zu testen ist eine Hiobsbotschaft, der nach wie vor ein ziemlicher Schrecken innewohnt. Denn normalerweise dauert es nur wenige Minuten, bis die Gesundheitsmitarbeiter in ihren Seuchenschutzanzügen vor der Haustür stehen, um den Infizierten abzuholen. Bei Alessandro hingegen passierte erstmal: garnichts. Nur ein einzelner Mann kam in seine Wohnung, um wie ein Kammerjäger sämtliche Zimmer mit Desinfektionsspray einzunebeln.

    Nochmal Glück gehabt? Offensichtlich hatten die überforderten Behörden keine Kapazitäten mehr, jeden der mittlerweile über 150.000 Covid-Fälle in die Isolationszentren zu karren. Doch Alessandro Pavanellos Vorfreude sollte sich als trügerisch herausstellen: Knapp zwei Wochen später, als der junge Mann bereits längst wieder negativ testete, stand plötzlich ein Bus der Seuchenbehörde vor der Haustür.

    Längst wieder negativ – und dann erst abgeholt

    In einer kafkaesken Odyssee wird Pavanello nun knapp 14 Stunden lang zwischen verschiedene Einrichtungen gekarrt. Keine will den Europäer aufnehmen; offensichtlich, da der Italiener kein Chinesisch spricht. In einem Quarantänezentrum sagt ihm ein Arzt: “Für einen Ausländer ist das kein guter Ort, die Zustände hier drinnen sind sehr schlecht.” Worauf Pavanello antwortet: “Was ist mit Chinesen, denkst du die Zustände sind gut für sie?”.

    Doch nach Hause kann der Italiener auch nicht mehr. Sein Vermieter schickte ihm nämlich eine unverblümte Nachricht aufs Handy: “Ich akzeptiere dich hier nicht mehr, alle Bewohner sind dagegen. Nur dass du Bescheid weißt: Wir werden die Tür nicht öffnen”. Zu sehr ist die Angst, dass der “Aussätzige” das Virus in sich tragen könnte. 

    Es ist bereits zwei Uhr nachts, ehe Alessandro schlussendlich eine Bleibe findet – in einer riesigen Messehalle, wo der DJ und Musikproduzent nun dicht an dicht neben tausend anderen Infizierten schläft. “Ich kann euch mein Zimmer zeigen”, sagt Pavanello mit einem Lachen, das sich durch seine rote Gesichtsmaske abzeichnet.

    Auf Instagram hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit über seinen Alltag im Quarantänezentrum zu informieren – mit Humor, aber auch einer Menge Zynismus. Er filmt mit seiner Smartphone-Kamera das karge Camping-Bett, das schon beim bloßen Anblick Rückenschmerzen bereitet. Viele Sitznachbarn haben Planen aus Pappe über ihre Liege montiert, damit sie wenigstens nachts ein wenig Dunkelheit und Privatsphäre haben.

    Die Patienten werden “behandelt wie Nutzvieh”

    Dann zeigt Pavanello die sanitären Einrichtungen des Quarantänezentrums, doch diese sind ebenfalls alles andere als einladend. Mit einem kleinen Lappen müssen sich die Patienten ihren Körper waschen, Duschen gibt es keine. Die Toiletten sind Plumpsklos, in denen mehrheitlich noch Fäkalien von vorherigen Besuchern schwimmen. Man möchte sich gar nicht ausmalen, wie jene Einrichtungen aussehen, von denen der Italiener wegen “schlechter Zustände” abgewiesen wurde.

    Pavanello versucht nun, das Beste draus zu machen. Doch er möchte die Situation auch nicht schönreden: “Wir werden hier wie Nutzvieh behandelt”, sagt der Italiener in einem Online-Chat: “Als Ausländer bin ich zwar nur Gast in China und muss mich an die Regeln des Landes halten. Aber ich fühle mich nicht mehr sicher hier und denke darüber nach, China zu verlassen”.

    Doch seine Freundin, sagt Alessandro, habe es noch viel schlimmer erwischt: Sie sei bereits seit zwei Wochen in einem anderen Isolationszentrum untergebracht. Zweimal hintereinander sei sie bereits negativ getestet worden und dürfte eigentlich wieder in ihre Wohnung zurück. Warum ihr das nicht gestattet wird, weiß niemand so recht. “Es ist der Wahnsinn”, sagt Pavanello in seine Handy-Kamera und verabschiedet sich. Jetzt wolle er mal nachschauen, ob er in einen abgesperrten Bereich in die frische Luft kann – wenn er Glück hat, sieht er noch die Abendsonne. Fabian Kretschmer

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    Weiterer Journalist in Hongkong verhaftet

    Die Hongkonger Polizei hat einen weiteren bekannten Journalisten der Stadt festgenommen. Der frühere Kolumnist des inzwischen geschlossenen Online-Nachrichtenportals Stand News, Allan Au, wurde am Montag wegen Verschwörung zur Veröffentlichung von staatsgefährdendem Material verhaftet. Au ist damit der achte Reporter oder Verleger, der im Zuge der Ermittlungen gegen das regierungskritische Medium festgenommen worden ist.

    Der 54-Jährige war in Hongkong als ehemaliger Radiomoderator des öffentlich-rechtlichen Senders RTHK bekannt geworden. Auf Druck der Behörden war Au im Juni 2021 jedoch entlassen worden. Die Ermittlungen gegen ihn basieren jedoch nicht auf Verstößen gegen das Nationale Sicherheitsgesetz, sondern ein veraltetes Seditionsgesetz, das nach 1997 kaum noch Anwendung gefunden hatte. Erst nach den Massenprotesten in der Stadt im Sommer 2019 hatten sich die Behörden wieder auf das Seditionsgesetz berufen. Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes 2020 lieferte den Ermittlern im Anschluss die Basis für eine breite politische Säuberung.

    Benedict Rogers von Hong Kong Watch, einer Organisation, die auf Menschenrechtsverstöße aufmerksam macht, erkennt in dem Zeitpunkt der Festnahme ein klares Signal politischer Kontinuität. “In derselben Woche, in der Sicherheitsminister John Lee zum Nachfolger von (Regierungschefin) Carrie Lam gesalbt wurde, bestätigt die Verhaftung von Allan Au, … dass Peking sein Vorgehen gegen Menschenrechte und Pressefreiheit in Hongkong fortsetzen wird”, sagte Rogers, dem seinerseits eine Haftstrafe in Hongkong droht, sollte er in die Stadt zurückkehren.

    John Lee hatte in der vergangenen Woche seine Kandidatur bei der Wahl zum kommenden Regierungschef am 8. Mai angekündigt (China.Table berichtete). Laut Medienberichten genießt er die Rückendeckung der chinesischen Zentralregierung in Peking. grz

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    Verdacht auf Zwangsarbeit bei Auto-Zulieferern

    Die Beratungsfirma Horizon bringt die Herstellung von Aluminium in der Region Xinjiang mit Zwangsarbeit in Verbindung. Falls die Darstellung richtig ist, drohen auf längere Sicht Auswirkungen auf die deutsche Autoindustrie, die Vorprodukte aus dem Metall von chinesischen Zulieferern beziehen. Horizon zufolge könnten acht führende Aluminium-Produzenten vom “Arbeitskräftetransfers” des Aufbau- und Produktionscorps in Xinjiang profitieren. Das gehe aus Regierungs- und Firmendokumenten hervor. Die Beratungsfirma gibt aber ausdrücklich zu, keine harten Belege für den Einsatz von Zwangsarbeit zu haben.

    Als Beispiel nennt der Horizon-Bericht die Firma Xinjiang Zhonghe 新疆众和. Es handelt sich um einen staatseigenen und militärnahen Betrieb aus Urumqi. Er nimmt an Berufsausbildungsprogrammen für Wanderarbeiter teil, die unter Menschenrechtsexperten keinen guten Ruf genießen. Xinjiang Zhonghe beliefert Autozulieferer wie Beijing WKW Automotive Parts. WKW wiederum produziert für VW, BMW, BYD und Nio. Die EU plant in ihrem Lieferkettengesetz eine Sorgfaltspflicht für Menschenrechtsaspekte in der Produktion (China.Table berichtete). fin

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    Zensoren schneiden homosexuelle Beziehung aus “Dumbledores Geheimnisse”

    Chinas Zensurbehörden haben im Film “Phantastische Tierwesen: Dumbledores Geheimnisse” (Originaltitel: “Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore”)  Hinweise auf eine homosexuelle Beziehung für das chinesische Publikum entfernt. Sechs Sekunden des Films wurden Medienberichten zufolge gekürzt. In diesen wird eine Liebesbeziehung zwischen den Figuren Albus Dumbledore und Gellert Grindelwald nahegelegt. In der chinesischen Version ist im Dialog zwischen den beiden Charakteren die Zeile “weil ich in dich verliebt war” herausgeschnitten. An anderer Stelle wurde Dumbledores Aussage “im Sommer verliebten sich Gellert und ich” gekürzt. Die Figuren stammen aus dem Harry-Potter-Universum von Autorin JK Rowling. Sie hatte bereits 2007 erklärt, dass Magier Dumbledore homosexuell sei, in den bisherigen Filmen wurde das jedoch nicht thematisiert. Die Produktionsfirma Warner Bros. betonte, trotz der Zensur bleibe der “Geist des Films” erhalten. ari

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    Portrait

    Wang Jixian – Politischer Influencer in Odessa

    Wang Jixian lebt in Odessa, Ukraine und berichtet auf Youtube über sein Leben im Krieg.
    Wang Jixian zeigt stolz seine Solidarität mit der Ukraine

    An die nächtlichen Einschläge und das Geheul der Sirenen habe er sich mittlerweile gewöhnt, sagt Wang Jixian. An seinem 38. Geburtstag seien die Explosionen so nah gekommen, dass sich schwarzer, öliger Staub auf den Fenstern seiner Wohnung im obersten Stockwerk abgelagert hat. Wang lebt und arbeitet in der ukrainischen Stadt Odessa. Einige Medien haben ihn als den “letzten Chinesen in Odessa” bezeichnet. Sicher ist, dass Wang innerhalb weniger Wochen zu einem der sichtbarsten Chinesen in diesem Konflikt geworden ist.

    Während seine Regierung zu Hause einen Eiertanz vollzieht, um Russland nicht zu verstimmen, und das Wort “Krieg” nach wie vor vermeidet, verurteilt Wang den russischen Präsidenten Wladimir Putin offen als Aggressor und fordert Konsequenzen. Russland müsse für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden, und das besser früher als später, so Wang.

    Auf seinem YouTube-Kanal “Jixian in der Ukraine” (吉贤在乌克兰) spricht der in Peking geborene Programmierer in seiner Muttersprache über die beklemmende Atmosphäre in der Küstenstadt am Schwarzen Meer, die Putin seit Wochen mit Raketen und Granaten beschießen lässt. Angst und Schrecken herrscht in Odessa, die Bewohner fürchten einen Einmarsch russischer Truppen. Wang schließt nicht aus, dass auch er sterben könnte. Sein Testament hat er jedenfalls schon geschrieben und in einem seiner Videos veröffentlicht.

    In den ersten audiovisuellen Kriegstagebüchern, die er kurz nach dem Beginn der Angriffe online stellte, trug Wang noch eine chinesische Flagge am Revers. Die habe er schnell abgelegt, sagt der Absolvent der Beijing Union University. Dass die chinesische Regierung die russischen Angriffe nicht verurteilt, enttäusche ihn nicht nur, es widere ihn an. “Die chinesischen Staatsmedien übersetzen eins zu eins was die russischen Medien berichten. Aber wenn es sich nur um eine ‘punktuelle Militäroperationen’ handelt, warum sehen wir hier dann zerbombte Häuserkomplexe und tote Zivilisten? Es ist so feige, keine eigene Position dazu zu beziehen.”

    Chinas Zensoren filtern Inhalte und Bilder seines Gesichts

    Mit Sätzen wie diesen hat Wang sich in seinem Heimatland China zur Persona non grata gemacht. Auf Chinas Social-Media-Kanälen wie Weibo ist er längst nicht mehr zu finden. Die chinesischen Zensoren filtern mittlerweile sogar Bilder seines Gesichts mithilfe von KI-Software aus dem Netz, sagt der IT-Spezialist. “Mein Gesicht wird in China wie ein Porno behandelt. Du kannst es nur mit einem VPN sehen oder einen Freund fragen, ob er es dir auf DVD brennt”, sagt er bissig. “Die Regierung würde mir am liebsten einen Sack über den Kopf ziehen.”

    In den Kommentarspalten auf YouTube und Twitter erhält Wang viel Zuspruch, aber auch Drohungen von chinesischen Nationalisten, die ihn als Verräter und Werkzeug westlicher Mächte titulieren. Dass er für ein amerikanisches Unternehmen tätig ist, wird dabei als Beweis angeführt. Wangs Arbeitgeber, der Software-Entwickler RegDesk, hatte ihn im Juli 2021 von Mazedonien in die Ukraine versetzt. Schon damals begann er Videos aus seinem Alltag zu posten, für gerade mal 36 Follower. Mittlerweile sind es 110.000. Große Zeitungen wie die New York Times haben Berichte über ihn geschrieben.

    Keine Angst, nach China zurückzukehren

    Seine neue Sichtbarkeit als politischer Influencer scheint Wang nicht zu verunsichern – im Gegenteil. Auf Instagram postet er Selfies mit gewinnendem Lächeln und manchmal auch mit nacktem Oberkörper. In einer Zeit, in der die Selbstzensur vielen Chinesen – und zunehmend vielen Ausländern – ins Blut übergegangen scheint, ist Wangs offene Kritik an seiner Regierung bereits eine Sensation. “Es gibt noch andere Chinesen in der Ukraine. Die sind mutiger als ich”, sagt Wang. “Manche verteidigen ihr Zuhause und ihre Familie mit der Waffe in der Hand”. Der große Unterschied bestünde darin, dass sie ihr Gesicht nicht zeigen. “Ich habe ein hübsches Gesicht, warum soll ich das verstecken?”, fragt er ironisch-süffisant.

    Seine Familie in China werde aufgrund seiner Videoserien mittlerweile ebenfalls unter Druck gesetzt. “Mein Vater lässt sich davon aber nicht einschüchtern. Wie der Vater, so der Sohn”, sagt Wang und lacht. Er selbst habe keine Angst, nach China zurückzukehren. “Was könnte gefährlicher für mich sein als Raketenangriffe und potenzielle Nuklearattacken? Damit muss ich mich hier jeden Tag auseinandersetzen.” Fabian Peltsch

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    China.Table Redaktion

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