Table.Briefing: China

Expat-Steuern + E-Learning + Mineralwasser + Andreas Fulda + Petra Sigmund + Zur Sprache

  • Neue Steuer-Regeln erzürnen Expats
  • Chinas E-Learning-Markt boomt
  • Gesundes Wasser für Chinas Millennials
  • China und USA schicken Kriegsschiffe in den Indo-Pazifik
  • Andreas Fulda: Für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Chinapolitik
  • Im Portrait: Petra Sigmund
  • Zur Sprache: 矛盾/máodùn/Gegensätze
Liebe Leserin, lieber Leser,

im kommenden Jahr sollen die Steuern in China zwischen Expats und Einheimischen vereinheitlicht werden, wie Finn Mayer-Kuckuk berichtet. Was wie eine faire Lösung erscheint, entpuppt sich für Expats in Peking oder Shanghai als großes Ärgernis: Sollten Mieten oder Sprachkurse nicht mehr absetzbar sein, hätte das durchaus Auswirkungen auf den Zustand des Geldbeutels der Betroffenen. Und damit nicht genug: Auch für die jeweiligen Arbeitgeber in Amerika und Europa werden die Änderungen gravierende Folgen haben.

E-Learning in China erlebt derzeit einen regelrechten Boom. Allein 2020 wurden 6,5 Milliarden Euro in diese Branche investiert – mehr als in den vergangenen zehn Jahren zusammen. Frank Sieren zeigt, dass es dabei vor allem um mehr Gerechtigkeit zwischen den glitzernden Metropolen und dem staubigen Hinterland geht. Doch sollte die vorherrschende Goldgräberstimmung nicht allzu übermütig machen: Auch in dieser Branche sind Unternehmen vor Rückschlägen nicht gefeit.

China ist einer der größten Getränkemärkte der Welt. Bis 2024 könnten er laut China Commercial Industrial Research Institute satte 1,3 Billionen Yuan (198 Milliarden US-Dollar) wert sein. Wie Genki aus Peking oder auch Nongfu Spring dem Wunsch vor allem junger Chinesen nach modernen Getränken entsprechen, zeigt Ning Wang.

Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

Ihr
Michael Radunski
Bild von Michael  Radunski

Presseschau

China Tests Biden With South China Sea Tactic That Misled Obama BLOOMBERG
China looks to rein in lending to cool property boom FT PAY
China Tries to Counter Xinjiang Backlash With … a Musical? NYT
A joint WHO-China study of covid-19’s origins leaves much unclear THE ECONOMIST
Opionion: Sanctions only escalate tensions. It’s time to tackle the Uyghurs’ plight differently THE GUARDIAN
Hong Kong Revives Move to Reduce Corporate Transparency Now That Opposition Is Gone WSJ
Eating our lunch: Biden points to China in development push THE INDEPENDENT
Adrian Zenz über China: “Was dort passiert, ist ein gigantisches Menschheitsverbrechen” WIWO
China und Russland kooperieren: Gemeinsam gegen Amerika FAZ
Indien statt China? Europa strebt eine neue Partnerschaft in Asien an HANDELSBLATT
Kolumne: Warum China der EU so weit enteilt MANAGER MAGAZIN
EU greift gegen Chinas unfairen Wettbewerb durch WELT

Analyse

Neue Steuer-Regeln erzürnen Expats in China

Unter den Mitarbeitern ausländischer Unternehmen in China steigt der Ärger über die geplante Streichung von Steuerprivilegien für Expatriierte. Ende dieses Jahres fällt für die Firmen die Möglichkeit weg, Leistungen wie Miete und Schulgeld steuerfrei zu zahlen. In einer aktuellen Umfrage warnt die US-Handelskammer (AmCham) in Shanghai schon vor der Abwanderung von Firmen – im großen Stil. Insgesamt leide der Standort Shanghai unter der Änderung: Knapp 70 Prozent der befragten Unternehmen sagten, dass es nun schwieriger werde, hochqualifiziertes Personal für den Einsatz vor Ort zu finden.

Die europäischen Kammer-Kollegen sehen das ähnlich. “China scheint mit der Tatsache im Reinen zu sein, immer mehr ausländische Kräfte zu verlieren”, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking. Die bisherige Steuerregelung habe sehr dazu beigetragen, China als Standort attraktiv zu machen, schreiben die Interessenvertreter der europäischen Unternehmen in einer aktuellen Einschätzung. “Sie gleicht einige der höheren Kosten aus, mit denen Familien in China konfrontiert sind.”

Bisher konnten ausländische Arbeitnehmer eine ganze Reihe von Aufwendungen abziehen. Dazu gehören:

  • Bildungsausgaben für Kinder
  • Mahlzeiten
  • Wäscherei
  • Sprachkurse
  • Wohnkosten

Die Möglichkeiten, diese Leistungen vom Arbeitgeber steuerfrei zu erhalten, haben die Firmen und ihre Mitarbeiter gern genutzt, um die Verträge steuergünstig zu gestalten. Wenn das Unternehmen beispielsweise für die Miete aufkommt und diese direkt an den Betreiber der Wohnanlage überweist, zählt diese Leistung bisher nicht als geldwerter Vorteil, wie das in Deutschland der Fall wäre. Die chinesische Sichtweise war stattdessen: Das Unternehmen stellt eine Wohnung – und die ist dann traditionell steuerfrei. Mit der Änderung der Ausländerbesteuerung, an der seit 2018 gearbeitet wird, ändert sich das nun. Wohn- und Schulgeld sind als Teil des Einkommens zu versteuern.

Da eine anständige Bleibe auf internationalem Niveau in Peking oder Shanghai mehrere Tausend Euro Miete kostet, handelt es sich hier um eine erkleckliche Transfermöglichkeit. Ähnlich verhält es sich mit den Gebühren für die deutsche oder internationale Schule. Typische Werte für Firmenmitarbeiter sind hier nach Auskunft der Kammer 300.000 Yuan im Jahr für Miete und 350.000 Yuan für zwei Kinder in der Schule. Das ermöglichte steuerfreie Leistungen in Höhe von 85.000 Euro. Da die Einkommensteuer im internationalen Vergleich mit über 40 Prozent für ein Managergehalt als hoch empfunden wird, waren diese Ausweichmöglichkeiten hochwillkommen.

Wohnungen “sündhaft teuer”

Die Mehrheit dieser Vorteile fällt Ende 2021 weg. Stattdessen behandeln die Behörden Ausländer mehr wie Inländer. So lassen sich ab 2022 pro Monat 1000 Yuan (130 Euro) für die Ausbildung der Kinder abziehen. Der gleiche Betrag gilt für die Miete. In Anbetracht der hohen Kosten ist das im Vergleich zum alten Zustand jedoch kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die EU-Kammer weist darauf hin, dass die Gleichstellung zwar fair klinge, in der Sache aber nicht angemessen sei, weil das Leben sich für Ausländer teurer gestalte. Sie könnten ihre Kinder nicht einfach auf die Schule um die Ecke schicken, sondern seien auf internationale Schulen angewiesen.

Der Ärger über diese Änderungen ist groß. “Wohnen ist bereits sündhaft teuer, und auch das Schulgeld steigt durch den Wegfall von Schülern weiter an”, sagt Wuttke. Es sei in den vergangenen Jahren ohnehin schwerer geworden, deutsche Mitarbeiter für den Einsatz in China zu gewinnen.

Im Gespräch mit Industrievertretern erfolgt nun schnell der Hinweis auf den Steuerwettbewerb mit anderen Märkten in der Region. Singapur hat eine Steuer-Flatrate von 15 beziehungsweise 20 Prozent, wobei es noch zahlreiche Abzugsmöglichkeiten gibt. Auch Japan setzt etliche Anreize für eine Rückkehr, seit Firmen ihre Asien-Hauptquartiere von Tokio nach Peking verlagert hatten.

Die amerikanische Handelskammer fordert, die Steuerreform zu verschieben. Eine Alternative seien “Sondersteuerzonen”, wie es sie um das Perlflussdelta gibt – denn die Details der Besteuerung sind Sache der Kommunen. Das Problem der Expats: Sie leben größtenteils in Peking und Shanghai, wo die Steuervorteile ersatzlos wegfallen sollen.

  • Kinder
  • Schule
  • Singapur
  • Steuern

E-Learning boomt

In Chinas 14. Fünfjahresplan spielt Bildungstechnologie erstmals eine wichtige Rolle. Das Land müsse “die Vorteile der Online-Bildung voll ausschöpfen, lebenslanges Lernen verbessern und eine lernende Gesellschaft aufbauen”, heißt es da unter anderem. Chinas Online-Bildungssektor ist 2020 gegenüber dem Vorjahr um 35,5 Prozent auf 39,7 Milliarden US-Dollar gewachsen. Die Zahl der Nutzer liegt bei rund 350 Millionen. Das zeigen Daten des Marktforschungsunternehmens iResearch.

Das E-Learning-Angebot wird vor allem von Schülern in kleineren Städten genutzt, deren Zugang zu Nachhilfe und guten Lehrern begrenzt ist. Damit tragen die in der Regel KI gestützten Softwareplattformen dazu bei, die Aufstiegschancen der Schüler aus dem rückständigeren Hinterland dramatisch zu erhöhen. Denn ob in der Metropole oder im Dorf – alle Schüler in China büffeln für die gleiche, landesweite Universitätsprüfung.

Bildungschancen im Hinterland

Zu den Profiteuren gehört Zuoyebang, das mit 170 Millionen registrierten Nutzern größte E-Learning-Start-up Chinas ist. 50 Millionen Lernende, so das Unternehmen, nutzen den Service jeden Tag. Allein im vergangenen Dezember sammelte das Unternehmen 1,6 Milliarden US-Dollar von Investoren ein – unter anderem von Alibaba, Tiger Global, Softbank Vision Fund, Sequoia Capital China und FountainVest Partners. Damit hat Zuoyebang inzwischen rund 2,9 Milliarden US-Dollar eingesammelt – und einen Wert von mehr als 10 Milliarden US-Dollar. Das Start-Up wurde vom amerikanischen Magazin MIT Technology Review in die Top-10 Liste der Unternehmen mit bahnbrechenden Technologien des Jahr 2021 aufgenommen. 

Nun bereitet Zuoyebang seinen Börsengang in den USA vor. Dafür hat man vergangene Woche einen Top-Manager vom an der Nasdaq gelisteten US-Wettbewerber Joyy Inc abgeworben. Er soll CFO bei Zuoyebang werden. 

Hou Jianbin, der Gründer des Start-ups, war in den neunziger Jahren in einem Dorf in China groß geworden und hatte es mit Glück und Können geschafft, einen Studienplatz an der renommierten Peking Universität zu bekommen. Seine Motivation: die Zukunft der chinesischen Schüler soll weniger auf Glück, sondern mehr auf Können beruhen: “Wissen kann das Leben eines Menschen total verändern. Ich habe davon profitiert.”

Milliarden-Investitionen

Ebenfalls gut abgeschnitten bei der Akquise neuer Finanzmittel hat das 2014 gegründete Unternehmen Yuanfudao, das in landesweiten Lernzentren rund 30.000 Mitarbeiter beschäftigt und mit Elitehochschulen wie der Tsinghua University und der Peking Universität zusammenarbeitet.

Das Bildungs-Start-up konnte im Oktober vergangenen Jahres in zwei Runden 2,2 Milliarden US-Dollar einsammeln. Zu den Investoren zählen DST Global, Temasek, TBP, DCP, Ocean Link, Greenwoods und Danhe Capital. Damit hat Yuanfudao den indischen Anbieter Byju als das wertvollste “Edtech”-Unternehmen der Welt hinter sich gelassen. 

Das in Peking ansässige Unternehmen kommt inzwischen auf einen Wert von 15,5 Milliarden US-Dollar; und ist damit doppelt so teuer bewertet wie noch im März 2020. 

Auch der chinesische Social-Media-Gigant ByteDance, zu dem die Video-App TikTok gehört, ist mit dem Unternehmen Dali (“Große Stärke”) in den E-Bildungsmarkt eingestiegen. Zum Portfolio gehören Vorschulprogramme, Erwachsenenbildung wie auch eine eigene intelligente Lernsoftware. In diesem Jahr plant Bytedance 13.000 neue Mitarbeiter für das Bildungssegment einzustellen. 

Japan und Südkorea führend

Schüler aber auch Eltern mussten sich während der Pandemie zwangsläufig mit der Technologie befassen. Damit sind auch die Ansprüche und der Innovations-Druck in der Industrie gestiegen. Derzeit befindet sich die Branche in der Phase der ersten Konsolidierung. Die Investoren setzen große Summen auf die wichtigsten Akteure. Das bedeutet: Die Bedingungen für neue Start-ups werden bereits schwieriger.

In anderen asiatischen Ländern ist das E-Learning längst etabliert. In Japan und Südkorea nehmen zwischen 70 und 80 Prozent der Lernenden schon vor der Universität Online-Nachhilfe in Anspruch. In China sind es bisher nur rund ein Viertel. Das bedeutet, in China sind die Wachstumschancen größer, was sich wiederum in den wachsenden Investitionen wiederspiegelt: Im vergangenen Jahr wurden 50 Milliarden Yuan (6,5 Milliarden Euro) in das chinesische E-Learning-Segment investiert – mehr als in den vergangenen zehn Jahren zusammen. 

Vom Platzhirsch zum Sanierungsfall

Die Finanzierungsrunden für E-Learning-Unternehmen seien insgesamt zwar weniger geworden, erklärt Jiang Kaiyang, Direktor der Investmentbank Taihecap, “aber die durchschnittlichen Geldbeträge, die in einer einzigen Finanzierungsrunde gesammelt werden, übertreffen alle Erwartungen.” 

Wer das Rennen um die beste Marktposition gewinnen wird, ist noch offen. Wie umkämpft der Markt ist, zeigt das Beispiel VIPkid: 2013 in Peking gegründet, entwickelte sich das Start-up schnell zu Chinas Marktführer im Online-Bildungs-Bereich und könnte Geld von Tencent, Coatue Management, Sequoia Capital, Sinovation Ventures, Yunfeng Capital, Matrix Partners, Learn Capital, Northern Light VC und Bryant Stibel einsammeln. Im vergangenen Jahr ging VIPkid im Gegensatz zu seinen großen Wettbewerbern Yuanfudao und Zuoyebang jedoch leer aus. Die Investoren hatten bemängelt, dass die Kosten für die Kundenakquise und andere Bereiche zu hoch seien und die verschiedenen Klassenmodelle zu sehr ausuferten. Um dieses Jahr profitabel zu werden, hat das Unternehmen seine Angebote angepasst und verkleinert. 

Nun muss VIPkid, das 2020 noch zu einer der mitarbeiterfreundlichsten Firmen Chinas gekürt wurde, bis Ende diesen Jahres 10 bis 30 Prozent seiner Mitarbeiter entlassen. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Start-up seine Mitarbeiterzahl von 12.000 auf 7.000 reduziert und die Mietausgaben um rund 4,7 Millionen US-Dollar gesenkt. Solche Rückschläge sind in Chinas boomenden E-Learning-Markt bislang allerdings die Ausnahme. 

  • Bildung
  • ByteDance
  • Digitalisierung
  • Technologie

Gesundes Wasser für Chinas Millennials

Null Fett, null Zucker und null Kalorien – das ist das Erfolgsrezept von Genki Forest. Der Pekinger-Getränkehersteller hat es binnen kürzester Zeit geschafft, sich in der Branche einen Namen für sein “gesundes Mineralwasser” zu machen. In der jüngsten Finanzierungsrunde hat Genki so viel Geld eingesammelt, dass es mit sechs Milliarden US-Dollar seine Bewertung aus dem vergangenen Jahr verdreifachen konnte.

Dabei erweckte Genkis Startangebot – aromatisierte Mineralwasser in den Geschmacksrichtungen Pfirsich, Gurke oder Zitrus – zunächst nicht unbedingt den Eindruck, ein massentaugliches Produkt zu sein. Wasser mit Fruchtaromen gab es schließlich schon von Getränkeherstellern aus anderen asiatischen Ländern. Zudem ähnelten Genkis Wässerchen sehr den kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränken von Coca-Cola oder den Perrier-Mineralwassern.

Doch der erste Eindruck sollte trügen: Im Jahr der Corona-Pandemie hat Genki Forest, das seine Finanzen nicht veröffentlicht, laut China Daily in den ersten fünf Monaten im Jahr 2020 einen Umsatz von 660 Millionen Yuan (96,6, Millionen US-Dollar) erzielen können.

Die Geschäfte sprudeln

Denn China ist einer der größten Mineralwassermärkte der Welt. Laut Statista liegt der Mineralwasserverbrauch bei rund 49 Millionen Tonnen im Jahr. Und es gibt offenbar noch Platz – für neue Anbieter wie Genki Forest oder auch für große Gewinner wie Zhong Shanshan.

Der ist im vergangenen Herbst mit dem Börsengang seiner Mineralwassermarke Nongfu Spring zu einem der reichsten Männer Chinas aufgestiegen. Nongfu Spring hat in den ersten fünf Monaten 2020 einen Umsatz von 8,7 Milliarden Yuan (1,3 Milliarden Dollar) erreicht. 2019 waren es im gleichen Zeitraum noch 24 Milliarden Yuan (3,6 Milliarden Dollar).

“Getränkeproduzenten im Reich der Mitte konnten sich bisher über zuverlässige und im Jahresrhythmus steigende Umsatzzahlen freuen”, sagt Stefanie Schmitt von Germany Trade and Invest (GTAI). Jedoch weist Schmitt auch auf die Auswirkungen des Coronajahres hin, die auf die Umsätze der Branche gedrückt haben.

Laut Angaben des China Economic Information Network (CEInet) gingen die Umsätze im ersten Halbjahr 2020 um 6,4 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode zurück. Noch 2019 hatten sie im Vergleich zum Vorjahr mit umgerechnet rund 226 Milliarden US-Dollar ein Plus von fünf Prozent verbucht, heißt es im Bericht der GTAI weiter.

Genki Forest setzt auf die Jugend

“Der Trend, der in den wichtigsten Industrieländern begann, dass kohlensäurehaltige Wasser andere kohlensäurehaltige Getränke ersetzen, hat China erreicht”, sagte George Ren, Senior Partner bei Roland Berger in Shanghai der South China Morning Post. Das war im vergangenen Herbst, als Genki durch eine Finanzierungsrunde so viel Geld einsammelte, dass der Wert des jungen Getränkeunternehmens zwei Milliarden US-Dollar erreichte. “In diesem Markt wird es zu einem verschärften Wettbewerb kommen”, prognostizierte Ren damals.

Genki Forest zielt auf einen Trend unter jungen und zahlungsstarken Stadtbewohner:innen ab: Getränke, die versprechen, gesünder, fitter und auch schöner zu machen. Alles Ziele, die etwa auch die Kosmetik- oder Fitnessbranche für sich beanspruchen und die seit dem Pandemiejahr zusätzlich an Bedeutung bei den Konsumenten gewonnen haben. Gerade bei Produkten, die täglich konsumiert werden, wie Wasser. Bei den Verbrauchern unter 30 gehört Genki schon zu den Top-100-Marken Chinas.

Genki Forest hat zudem von Anfang an auf ein breites Vertriebsnetz und die Verbreitung über sogenannte Influencer in Sozialen Medien wie Instagram oder TikTok gesetzt, statt nur auf traditionelles Marketing. Zu kaufen und zu sehen sind die Getränke von Genki in mehr als 53.000 Supermärkten im ganzen Land und sogenannten Convenience-Stores in den Großstädten, die teils 24-Stunden geöffnet haben. Hinzu kommt, dass mehr als 130.000 Einzelhändler die Getränke von Genki in ihrem Sortiment haben und der Export der Getränke ins Ausland über E-Commerce-Händler wie Alibaba in die USA, Kanada oder auch nach Deutschland reibungslos läuft.

Internationale Kapitalgeber

Zu kaufen gibt es die Getränke von Genki Forest, das sich selbst als Health-Tech-Beverage-Startup bezeichnet, erst seit 2016. Davor wurde zwei Jahre in einem Forschungs- und Entwicklungszentrum das Getränkeangebot der Marke austariert.

Dass Genkis Getränkemix erfolgversprechend wirkte, hatten auch Risiko-Kapitalgeber wie Sequoia oder Finanzinvestor Warburg Pincus aus den USA erkannt – und sich frühzeitig an Genki beteiligt. Ein Meilenstein war der Online-Shopping-Verkaufstag 618 im Juni vergangenen Jahres: Damals machte Genki mehr Umsatz als Pepsi oder Coca-Cola.

Das Branchenberatungsunternehmen Zhiyan schätzt die aktuelle Größe des chinesischen Getränkemarkts auf rund 230 Milliarden Yuan (35 Milliarden Dollar). Bis 2024 könnten es laut China Commercial Industrial Research Institute schon 1,3 Billionen Yuan (198 Milliarden US-Dollar) sein.

Gründer Tang kommt aus der Gaming-Industrie

Tang Binsen, Gründer und CEO von Genki Forest, kommt nicht aus dem Konsumgütersektor, sondern aus der Techbranche. Er war zuvor Chef von Elex-Technologies, einem Gaming-Unternehmen, das 2014 das Spiel “Clash of Kings” entwickelte, welches 100 Millionen Mal heruntergeladen wurde und zu den weltweit umsatzstärksten Apps gehört.

Doch Tang, der schon als 22-Jähriger einen Preis fürs Programmieren in Frankreich gewann und in Australien zu den Geldgebern eines Fahrradsharing-Start-ups gehört, hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr auf Konsumgüter spezialisiert. Nachdem das Geschäft mit Mineralwasser zu laufen scheint, liebäugelt er nun mit einem Einstieg in den Kaffeemarkt.

Expansion in Fertignudeln und Bier

Auch Genki Forest hat seine Produktpalette über das Getränkeangebot hinaus erweitert: Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen angefangen, fettarme Lebensmittel zu entwickeln und Hühner- und Wurstprodukte auf den Markt gebracht.

Und über seine eigene Investmentfirma Challenjers Capital ist Genki-Chef Tang längst in andere Konsumbereiche vorgedrungen: Er hat in die Instant-Nudelmarke Ramen Talk, die Sektmarke Hope Water und den Craft-Beer-Hersteller Panda Brew investiert. Eine von Tangs Grundüberzeugungen lautet: In jeder Branche sollten mindestens drei der zehn größten Unternehmen künftig chinesisch sein.

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News

China und USA schicken Kriegsschiffe in den Indopazifik

Die Spannungen im Indopazifik nehmen weiter zu (China.Table berichtet). Am Sonntag haben die USA eine Gruppe von Kriegsschiffen rund um den Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt in die Region entsandt. Das geht aus den Satellitendaten der “South China Sea Strategic Situation Probing Initiative” in Peking hervor. Zudem sei ein zweiter Verbund von US-Kriegsschiffen mit dem Zerstörer USS Mustin in das Ostchinesische Meer eingelaufen. Er habe sich am Samstag nahe der Mündung des Jangtse-Flusses aufgehalten. Peking ließ die Vorgänge nicht unbeantwortet – und schickte seinerseits den Flugzeugträger Liaoning durch die Straße von Miyako südwestlich von Japan.

Die Präsenz der Kriegsschiffe im Indopazifik zur gleichen Zeit wie auch ihre jüngsten Bewegungen erhöhen Experten zufolge das Risiko eines militärischen Konflikts zwischen den beiden Supermächten. Peking versuche, seinen regionalen Ansprüchen Nachdruck zu verleihen, während Washington deutlich seine Strategie verfolge, China einzudämmen.

Die Lage im Indopazifik ist derzeit sehr angespannt – vor allem am Whitsun-Riff vor der Küste der Philippinen. Täglich schickt Manila Kampfflugzeuge in die Laguen des Riffs, um die dortige Lage zu beobachten. Eigentlich handelt es sich um eine exklusive Wirtschaftszone der Philippinen, in der Manila das alleinige Recht auf Ausbeutung der Rohstoffe hat. Doch seit einigen Wochen ankert dort eine Armada chinesischer Schiffe. Viele sind mit Tauen zu kleineren Gruppen verbunden. Anfang März sollen es der philippinischen Marine zufolge rund 220 Schiffe gewesen sein.

Das Vorgehen erinnert sehr an den Konflikt um das Scarborough-Riff im Jahr 2012: Damals verlor Manila die Kontrolle über das Riff. Seither versperren chinesische Schiffe allen anderen Fischerbooten und Marineschiffen den Zugang.

Die Philippinen befürchten, Peking könnte nun auch am Whitsun-Riff versuchen, Fakten zu schaffen. Denn nach Ansicht der Philippinen wie auch der USA handelt es sich bei den vertauten Schiffen keineswegs nur um Fischerboote. rad

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Standpunkt

Für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Chinapolitik

Von Andreas Fulda

Bei der Lektüre des Standpunktes von Eberhard Sandschneider in China.Table beschlich mich ein Gefühl des déjà vu. In einem Beitrag für “Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ)” hatte er 2012 – damals noch in seiner Funktion als Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) – sehr ähnliche Kritik an einer wertegeleiteten deutschen Außenpolitik geäußert. Im Sinne der Transparenz sollte ich erwähnen, dass ich bei Sandschneider an der FU Berlin promoviert habe.

Das Thema meiner 2009 bei Springer VS veröffentlichten Doktorarbeit war “Förderung partizipativer Entwicklung in der VR China”. Darin hatte ich basierend auf meinen praktischen Erfahrungen als Mitarbeiter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (2003-07) für mehr Demokratieförderung in der VR China plädiert. Ich rechne es Sandschneider hoch an, dass er trotz unterschiedlicher Einschätzungen zur deutschen Außenpolitik meine Dissertation nicht nur fair sondern positiv beurteilt hat. Mir bereitet es daher keine Freude, zwölf Jahre später eine grundsätzliche Kritik an seinem Meinungsartikel zu äußern. Ich formuliere meine Gegenposition im Geiste Ruth Bader Ginsburgs: “[one] can disagree without being disagreeable”.

Sandschneiders Perspektive auf die westlichen Beziehungen zu China weist eine kuriose Kontinuität auf. Während sich seine Einstellungen zu Prämissen der deutschen Außenpolitik augenscheinlich nicht verändert haben, hat sich in der VR China unter Generalsekretär Xi Jinping seit 2012 ein totalitärer Politikwechsel vollzogen. Des daraus resultierenden Spannungsfelds ist er sich anscheinend nicht bewusst.

Ist jede Kritik gleich “China-Bashing”?

Statt dessen kritisiert Sandschneider wie eh und je “moralisierende Chinapolitik”. Außerdem verurteilt er doppelte Standards in der amerikanischen und europäischen Chinapolitik, welche aus seiner Sicht primär geopolitische bzw. ökonomische Ziele verfolgt. Militärische Spannungen in der Taiwanstraße sind laut Sandschneider allein dem “außenpolitische[n] Nachtreten einer schon fast aus dem Amt entlassenen US-Regierung” anzulasten. Er kritisiert darüber hinaus westliche Magnitsky-Sanktionen gegen chinesische Offizielle. Letztere führten nur dazu, dass Dialogkanäle “verstopft” werden. Gleichzeitig setzt er sich für “stille Diplomatie” ein. Sandschneider geißelt den vermeintlichen “Größenwahn” all jener, welche glaubten den “Aufstieg Chinas “managen” zu können”. Erstaunlicherweise nennt er später dann selber “Chinapolitik im Westen eine ständige und dauerhafte Managementaufgabe”. Geradezu apodiktisch bezeichnet Sandschneider jede Kritik an der politischen Situation in der VR China als “China-Bashing”. Statt dessen fordert er “dass man mit diesem Land und seiner Regierung reden, verhandeln, vielleicht auch streiten muss, um Lösungen zu finden, die für alle Seiten akzeptabel sind.”

Seine Forderungen nach Dialog und Kooperation klingen zunächst einmal plausibel, blenden aber die politisch-praktischen Hindernisse völlig aus. Während meiner Zeit als Entwicklungshelfer in China habe ich Diplomaten an der deutschen Botschaft in Peking bei der Organisation und Durchführung von Treffen zwischen deutschen Entscheidungsträgern (u.a. für Botschafter Stanzel, 2004; Bundestagspräsident Thierse, 2005; und Außenminister Steinmeier, 2006) und chinesischen NGO-Vertretern unterstützt. Von 2011 bis 2014 habe ich im Auftrag der Europäischen Kommission vier Jahre lang die Durchführung eines EU-China-Dialogprogramm koordiniert.  Die Durchführung solcher genuin ergebnisoffenen interkulturellen Begegnungen war während der Zeit vor und kurz nach dem Amtsantritt von Xi Jinping noch möglich

Dokument Nr. 9: Ende des Dialogs

Mit dem Dokument Nr. 9 hat die Kommunistische Partei Chinas (KP Chinas) im Jahr 2013 allerdings konstitutionelle Demokratie, universelle Werte, Zivilgesellschaft, unabhängigen Journalismus und Kritik an der Partei für absolute Tabuthemen erklärt, welche sowohl für die innerchinesische als auch die internationale Diskussion mit China gelten. Dieses Dokument markierte das Ende der semi-liberalen Ära unter Generalsekretär Hu Jintao (2002-2012). Welche Möglichkeiten zu einer fruchtbaren auf gegenseitiger Anerkennung und Reziprozität beruhenden Kooperation oder zum Dialog bestehen denn, wenn der Dialog die demokratischen Werte systematisch ausschließt und auf chinesischer Seite die Sprachregelungen des Xi-Diskurses verbindlich sind?

Die politische Zensur des Xi-Regimes durchdringt mittlerweile alle wesentlichen Bereiche der deutsch-chinesischen Kooperation: wenn zum Beispiel die zivilgesellschaftliche Kooperation auf wenige regimekonforme Themen eingeschränkt wird und die bestehenden NGO-Vertrauensnetzwerke systematisch untergraben bzw. zerstört werden; wenn die Rahmenbedingungen der Kooperation die Freiheit der Wissenschaft und die autonome Wissenschaftskooperation gefährden; oder wenn der Parteistaat das notwendige “level playing field” einer auf Chancengleichheit, Reziprozität und gegenseitigen Vorteil beruhenden wirtschaftlichen Kooperation zum einseitigen langfristigen Vorteil Chinas verzerrt.

Bedrohung durch “Made in China 2025”

Die kurzfristige Win-win-Situation für einzelne deutsche Unternehmen ist bisher mit einer langfristig einseitigen entwicklungspolitischen Win-lose-Kooperation verbunden, welche das Vertrauen in die Zusagen des chinesischen Parteistaates erschüttert hat. Warum sollte das dieses Mal anders sein? Ich halte es daher für bedenklich, dass Sandschneider kein einziges kritisches Wort über die zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt verliert. Es sollte dem deutschen Mittelstand bewusst sein, dass “Made in China 2025” eine direkte Bedrohung für das Ziel von “Industrie 4.0” darstellt. Es geht der KP Chinas darum, die deutsche Industrie erst zu instrumentalisieren und zu kooptieren und dann langfristig zu ersetzen.

Anstatt über solche Herausforderungen in den deutsch-chinesischen Beziehungen zu sprechen, beschränkt sich Sandschneider auf die Kommentierung der geopolitischen Rivalität zwischen den USA und der VR China. Von einem langjähriger Berater der Bundesregierung hätte ich hingegen eher (selbst-)kritische Reflektionen zur deutschen Chinapolitik erwartet. Doch wenn es um die Versäumnisse auf deutscher Seite geht, bleibt Sandschneider auffällig still.

Wie zeitgemäß ist beispielsweise eine stark auf Außenwirtschaftsförderung fokussierte deutsche Chinapolitik? Selbst, als die Barrikaden in Hong Kong im Sommer 2020 bereits brannten, wiederholte der deutsche Wirtschaftsminister Altmaier gebetsmühlenartig den längst obsolet gewordenen Slogan “Wandel durch Handel”. Aber es sollte mittlerweile jedem klar sein, dass der Verkauf deutscher Autos in China nicht zu liberal-demokratischen Wandel geführt hat.

Primat der deutschen Politik fehlt

Dazu kommt, dass in der deutschen Chinapolitik seit 1989 noch nie wirklich das Primat der Politik gegolten hat. In der deutschen Entwicklungsbürokratie habe ich zu meiner aktiven Zeit Führungskräfte erlebt, welche sich ausgesprochen abfällig über Chinareisende Bundestagsabgeordnete geäußert haben. Den Praktikern vor Ort war klar: Chinapolitik wurde nicht von deutschen Politikern, sondern von Vertretern des Asien-Pazifik Ausschuss der Deutschen Wirtschaft gestaltet.

Ich halte es für problematisch, dass seit der Kanzlerschaft Schröders die deutsche Chinapolitik weitgehend von den Interessen der deutschen Privatwirtschaft bestimmt worden ist. Während eine solche korporatistische Vorgehensweise kurzfristig enorme Unternehmensgewinne gesichert hat, so ist es fragwürdig, wenn Wirtschaftslobbyisten die Leitlinien der deutschen Chinapolitik diktieren. Selbst für die Unternehmen waren die Vorteile in vielen Branchen oft nur vorübergehend, bevor sie in einem unlauteren Wettbewerb marginalisiert wurden. Der Niedergang der deutschen Solarindustrie steht beispielhaft für diese Fehlentwicklung.

Stabsstelle in der Regierung nötig

Eine nachhaltige und Industrie- und Chinapolitik ist das sicher nicht. Ich stimme in dieser Frage Nils Schmid zu, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. In einem Interview mit der Financial Times hat er darauf hingewiesen, dass Deutschland “eine echte Außenpolitik für China braucht – nicht nur eine geschäftsorientierte Politik (Übersetzung des Verfassers)”. Eine neue deutsche Chinapolitik muss sich mit den systemischen totalitären Tendenzen des Xi-Regimes kritisch auseinandersetzen. Hierfür sollte die Bundesregierung eine ressortübergreifende Stabsstelle zum Umgang mit autoritären Staaten einrichten, welche Handlungsempfehlungen sowohl für Bund und Länder erarbeitet. 

Sandschneiders Standpunkt in China.Table wirkt wie aus der Zeit gefallen. In seinem Beitrag für APuZ hatte Sandschneider 2012 noch gefordert “dass sich eine nachrückende außenpolitische Elite heranbildet, die über die notwendige Kompetenz verfügt, um mit neuen globalen Herausforderungen umzugehen.” In diesem Punkt hat er zweifelsohne recht. Für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Chinapolitik brauchen wir jetzt nicht nur eine neue Programmatik sondern auch neues Personal.

Andreas Fulda ist Dozent an der University of Nottingham. Er hat acht Jahre in der VR China und Taiwan gelebt und gearbeitet und ist Autor des Buchs “The Struggle for Democracy in Mainland China, Taiwan and Hong Kong. Sharp Power and its Discontents” (Routledge, 2020)

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Portrait

Petra Sigmund

Petra Sigmund ist Abteilungsleiterin für Asien und Pazifik im Auswärtigen Amt.
Abteilungsleiterin für Asien und Pazifik im Auswärtigen Amt

Schon während ihrer Schulzeit las Petra Sigmund voller Begeisterung Bücher aus Asien und China. “In der Zeit nach der Kulturrevolution in China kam die sogenannte Narben-Literatur nach Deutschland, Schwere Flügel von Zhang Jie zum Beispiel”, erzählt die 54-Jährige von ihren ersten Berührungspunkten mit dem Land. Inzwischen leitet Petra Sigmund im Auswärtigen Amt die Abteilung für Asien und Pazifik. Politikgestaltung ist ihr Alltag, zwei Fragen hat sie dabei immer im Blick: “Wie blicken wir auf China und wie müssen wir uns aufstellen?

Die gebürtige Heidelbergerin machte 1985 Abitur. In China herrschte damals Aufbruchsstimmung, Deng Xiaoping öffnete mit verschiedenen Reformen die Wirtschaft der Volksrepublik. Die Veränderungen faszinierten Sigmund: “Das Land ging in eine ganz neue Richtung. Deshalb habe ich mich entschieden, Sinologie zu studieren.” An der Freien Universität Berlin und der Renmin-Universität in Peking beschäftigte sie sich in den Folgejahren mit Chinawissenschaften, Politologie und Volkswirtschaftslehre. Schon bei ihrer ersten Reise ins “Reich der Mitte” merkte Sigmund: “Ich habe mich für die richtigen Fächer entschieden.”

Nach ihrem Abschluss begann Petra Sigmund im Jahr 1994 eine diplomatische Karriere beim Auswärtigen Amt. Ihr erster Posten führte sie ins Presse-Referat des Außenministeriums, danach arbeitete sie in Brüssel, Berlin, Paris und Peking. Als das Ministerium angesichts der zunehmenden Bedeutung Asien und Chinas 2017 eine eigene Abteilung aufbaute, wurde Sigmund zur Beauftragten für Ostasien, Südostasien und den Pazifik berufen: “Das musste man mir nicht zwei Mal sagen.”

Petra Sigmund: China ein Querschittsthema

Zwei Jahre später übernahm sie die Leitung der Abteilung Asien und Pazifik. Seitdem steuert sie mit rund 50 Mitarbeiter:innen die deutsche Asien- und China-Politik, zusammen mit den zahlreichen Vertretungen vor Ort und weiteren Abteilungen im Auswärtigen Amt sowie in anderen Ministerien. “Der Blick auf China ist inzwischen eine Querschnittsthema. Unsere Aufgabe ist, das zu koordinieren und daraus eine kohärente Politik zu gestalten”, erklärt Sigmund.

In den letzten Monaten hat sie sich viel mit dem Investitionsabkommen zwischen China und der EU beschäftigt (China.Table berichtet zum CAI), das im Dezember abgeschlossen wurde. Für Petra Sigmund ein Etappensieg: “Wir sind jetzt die ersten Schritte gegangen, um mehr Gleichgewicht in unseren Beziehungen zu bringen. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.” Der Kritik an dem Abkommen entgegnet sie: “Unsere Erfolge werden uns nicht davon abhalten, das, was kritisiert werden muss, zu kritisieren.”

Petra Sigmund war Anfang 2020 zuletzt selbst in China, kurz bevor bekannt wurde, dass das Corona-Virus von Tieren auf Menschen übertragen werden kann. Sie vermisst ihre Reisen in die Volksrepublik und in die anderen asiatischen Länder. Für die nächsten Jahre wünscht sie sich mehr echten Austausch zwischen Deutschen und Chines:innen: “Ich würde mir mehr offenen Dialog wünschen. Denn aus Dialog und Transparenz entsteht Vertrauen.” Paul Meerkamp

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Zur Sprache

Maodun 矛盾 – Gegensätze

China wird oft als Land der Gegensätze beschrieben. Im Riesenreich besteht ein Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, Stadt und Land, Alt und Jung, Reich und Arm. Und doch gelingt es den Chinesen, scheinbar Widersprüchliches zu einem großen Ganzen zu vereinen. In China nimmt man Gegensätze nämlich nicht nur als diametrale Pole, sondern auch als aufeinander bezogene Kräfte wahr, die sich nicht zwangsläufig bekämpfen, sondern in gewisser Weise ergänzen. Widersprüchlichkeit muss also erst einmal nichts Negatives sein. Aus dem energiegeladenen Zusammenspiel des Verschiedenen entsteht aus chinesischer Warte meist Neues, ganz im Sinne des Yin und Yang in der chinesischen Philosophie.

Spannender Weise hat diese Denke auch die Entwicklung des chinesischen Wortschatzes beeinflusst. Möglich wird dies, da sich die meisten modernen Wörter des Chinesischen aus zwei Einzelschriftzeichen zusammensetzen, und damit aus zwei Bedeutungskomponenten. Manche dieser Kombinationen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als semantische Gegensatzpaare. Sprachlich zusammengeschweißt entsteht aus ihnen eine neue, größere Bedeutung. Dazu zählen etwa Substantive wie “Größe” 大小 dàxiǎo (wörtlich: groß – klein), “Länge” 长短 chángduǎn (lang – kurz), “Gewicht” 轻重 qīngzhòng (leicht – schwer), “Anzahl, Menge” 多少 duōshǎo (viel – wenig) oder “Tiefe” 深浅 shēnqiǎn (tief – flach).

Aha-Effekte versprechen auch Zeichenkombinationen wie 东西 dōngxi “Dinge” (Ost – West), 左右 zuǒyòu “zirka” (links – rechts), 上下文 shàngxiàwén “Kontext” (oben – unten – Text), 父母 fùmǔ “Eltern” (Vater – Mutter) oder 呼吸 hūxī “atmen” (einatmen – ausatmen). Der “Lichtschalter” heißt auf Chinesisch einfach “an – aus” 开关 kāiguān, und wer “Handel” treibt, der betreibt in China 买卖 mǎimài (kaufen – verkaufen).

Passender Weise ist auch der Begriff “Gegensatz, Konflikt, Widerspruch” 矛盾 máodùn selbst ein solches Sprachspannungsfeld. Auch er setzt sich letztlich aus zwei inhaltlich diametralen Schriftzeichen zusammen, nämlich “Wurfspieß” (矛 máo) und “Schild” (盾 dùn).

Verena Menzel 孟维娜 betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Neue Steuer-Regeln erzürnen Expats
    • Chinas E-Learning-Markt boomt
    • Gesundes Wasser für Chinas Millennials
    • China und USA schicken Kriegsschiffe in den Indo-Pazifik
    • Andreas Fulda: Für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Chinapolitik
    • Im Portrait: Petra Sigmund
    • Zur Sprache: 矛盾/máodùn/Gegensätze
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    im kommenden Jahr sollen die Steuern in China zwischen Expats und Einheimischen vereinheitlicht werden, wie Finn Mayer-Kuckuk berichtet. Was wie eine faire Lösung erscheint, entpuppt sich für Expats in Peking oder Shanghai als großes Ärgernis: Sollten Mieten oder Sprachkurse nicht mehr absetzbar sein, hätte das durchaus Auswirkungen auf den Zustand des Geldbeutels der Betroffenen. Und damit nicht genug: Auch für die jeweiligen Arbeitgeber in Amerika und Europa werden die Änderungen gravierende Folgen haben.

    E-Learning in China erlebt derzeit einen regelrechten Boom. Allein 2020 wurden 6,5 Milliarden Euro in diese Branche investiert – mehr als in den vergangenen zehn Jahren zusammen. Frank Sieren zeigt, dass es dabei vor allem um mehr Gerechtigkeit zwischen den glitzernden Metropolen und dem staubigen Hinterland geht. Doch sollte die vorherrschende Goldgräberstimmung nicht allzu übermütig machen: Auch in dieser Branche sind Unternehmen vor Rückschlägen nicht gefeit.

    China ist einer der größten Getränkemärkte der Welt. Bis 2024 könnten er laut China Commercial Industrial Research Institute satte 1,3 Billionen Yuan (198 Milliarden US-Dollar) wert sein. Wie Genki aus Peking oder auch Nongfu Spring dem Wunsch vor allem junger Chinesen nach modernen Getränken entsprechen, zeigt Ning Wang.

    Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

    Ihr
    Michael Radunski
    Bild von Michael  Radunski

    Presseschau

    China Tests Biden With South China Sea Tactic That Misled Obama BLOOMBERG
    China looks to rein in lending to cool property boom FT PAY
    China Tries to Counter Xinjiang Backlash With … a Musical? NYT
    A joint WHO-China study of covid-19’s origins leaves much unclear THE ECONOMIST
    Opionion: Sanctions only escalate tensions. It’s time to tackle the Uyghurs’ plight differently THE GUARDIAN
    Hong Kong Revives Move to Reduce Corporate Transparency Now That Opposition Is Gone WSJ
    Eating our lunch: Biden points to China in development push THE INDEPENDENT
    Adrian Zenz über China: “Was dort passiert, ist ein gigantisches Menschheitsverbrechen” WIWO
    China und Russland kooperieren: Gemeinsam gegen Amerika FAZ
    Indien statt China? Europa strebt eine neue Partnerschaft in Asien an HANDELSBLATT
    Kolumne: Warum China der EU so weit enteilt MANAGER MAGAZIN
    EU greift gegen Chinas unfairen Wettbewerb durch WELT

    Analyse

    Neue Steuer-Regeln erzürnen Expats in China

    Unter den Mitarbeitern ausländischer Unternehmen in China steigt der Ärger über die geplante Streichung von Steuerprivilegien für Expatriierte. Ende dieses Jahres fällt für die Firmen die Möglichkeit weg, Leistungen wie Miete und Schulgeld steuerfrei zu zahlen. In einer aktuellen Umfrage warnt die US-Handelskammer (AmCham) in Shanghai schon vor der Abwanderung von Firmen – im großen Stil. Insgesamt leide der Standort Shanghai unter der Änderung: Knapp 70 Prozent der befragten Unternehmen sagten, dass es nun schwieriger werde, hochqualifiziertes Personal für den Einsatz vor Ort zu finden.

    Die europäischen Kammer-Kollegen sehen das ähnlich. “China scheint mit der Tatsache im Reinen zu sein, immer mehr ausländische Kräfte zu verlieren”, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking. Die bisherige Steuerregelung habe sehr dazu beigetragen, China als Standort attraktiv zu machen, schreiben die Interessenvertreter der europäischen Unternehmen in einer aktuellen Einschätzung. “Sie gleicht einige der höheren Kosten aus, mit denen Familien in China konfrontiert sind.”

    Bisher konnten ausländische Arbeitnehmer eine ganze Reihe von Aufwendungen abziehen. Dazu gehören:

    • Bildungsausgaben für Kinder
    • Mahlzeiten
    • Wäscherei
    • Sprachkurse
    • Wohnkosten

    Die Möglichkeiten, diese Leistungen vom Arbeitgeber steuerfrei zu erhalten, haben die Firmen und ihre Mitarbeiter gern genutzt, um die Verträge steuergünstig zu gestalten. Wenn das Unternehmen beispielsweise für die Miete aufkommt und diese direkt an den Betreiber der Wohnanlage überweist, zählt diese Leistung bisher nicht als geldwerter Vorteil, wie das in Deutschland der Fall wäre. Die chinesische Sichtweise war stattdessen: Das Unternehmen stellt eine Wohnung – und die ist dann traditionell steuerfrei. Mit der Änderung der Ausländerbesteuerung, an der seit 2018 gearbeitet wird, ändert sich das nun. Wohn- und Schulgeld sind als Teil des Einkommens zu versteuern.

    Da eine anständige Bleibe auf internationalem Niveau in Peking oder Shanghai mehrere Tausend Euro Miete kostet, handelt es sich hier um eine erkleckliche Transfermöglichkeit. Ähnlich verhält es sich mit den Gebühren für die deutsche oder internationale Schule. Typische Werte für Firmenmitarbeiter sind hier nach Auskunft der Kammer 300.000 Yuan im Jahr für Miete und 350.000 Yuan für zwei Kinder in der Schule. Das ermöglichte steuerfreie Leistungen in Höhe von 85.000 Euro. Da die Einkommensteuer im internationalen Vergleich mit über 40 Prozent für ein Managergehalt als hoch empfunden wird, waren diese Ausweichmöglichkeiten hochwillkommen.

    Wohnungen “sündhaft teuer”

    Die Mehrheit dieser Vorteile fällt Ende 2021 weg. Stattdessen behandeln die Behörden Ausländer mehr wie Inländer. So lassen sich ab 2022 pro Monat 1000 Yuan (130 Euro) für die Ausbildung der Kinder abziehen. Der gleiche Betrag gilt für die Miete. In Anbetracht der hohen Kosten ist das im Vergleich zum alten Zustand jedoch kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die EU-Kammer weist darauf hin, dass die Gleichstellung zwar fair klinge, in der Sache aber nicht angemessen sei, weil das Leben sich für Ausländer teurer gestalte. Sie könnten ihre Kinder nicht einfach auf die Schule um die Ecke schicken, sondern seien auf internationale Schulen angewiesen.

    Der Ärger über diese Änderungen ist groß. “Wohnen ist bereits sündhaft teuer, und auch das Schulgeld steigt durch den Wegfall von Schülern weiter an”, sagt Wuttke. Es sei in den vergangenen Jahren ohnehin schwerer geworden, deutsche Mitarbeiter für den Einsatz in China zu gewinnen.

    Im Gespräch mit Industrievertretern erfolgt nun schnell der Hinweis auf den Steuerwettbewerb mit anderen Märkten in der Region. Singapur hat eine Steuer-Flatrate von 15 beziehungsweise 20 Prozent, wobei es noch zahlreiche Abzugsmöglichkeiten gibt. Auch Japan setzt etliche Anreize für eine Rückkehr, seit Firmen ihre Asien-Hauptquartiere von Tokio nach Peking verlagert hatten.

    Die amerikanische Handelskammer fordert, die Steuerreform zu verschieben. Eine Alternative seien “Sondersteuerzonen”, wie es sie um das Perlflussdelta gibt – denn die Details der Besteuerung sind Sache der Kommunen. Das Problem der Expats: Sie leben größtenteils in Peking und Shanghai, wo die Steuervorteile ersatzlos wegfallen sollen.

    • Kinder
    • Schule
    • Singapur
    • Steuern

    E-Learning boomt

    In Chinas 14. Fünfjahresplan spielt Bildungstechnologie erstmals eine wichtige Rolle. Das Land müsse “die Vorteile der Online-Bildung voll ausschöpfen, lebenslanges Lernen verbessern und eine lernende Gesellschaft aufbauen”, heißt es da unter anderem. Chinas Online-Bildungssektor ist 2020 gegenüber dem Vorjahr um 35,5 Prozent auf 39,7 Milliarden US-Dollar gewachsen. Die Zahl der Nutzer liegt bei rund 350 Millionen. Das zeigen Daten des Marktforschungsunternehmens iResearch.

    Das E-Learning-Angebot wird vor allem von Schülern in kleineren Städten genutzt, deren Zugang zu Nachhilfe und guten Lehrern begrenzt ist. Damit tragen die in der Regel KI gestützten Softwareplattformen dazu bei, die Aufstiegschancen der Schüler aus dem rückständigeren Hinterland dramatisch zu erhöhen. Denn ob in der Metropole oder im Dorf – alle Schüler in China büffeln für die gleiche, landesweite Universitätsprüfung.

    Bildungschancen im Hinterland

    Zu den Profiteuren gehört Zuoyebang, das mit 170 Millionen registrierten Nutzern größte E-Learning-Start-up Chinas ist. 50 Millionen Lernende, so das Unternehmen, nutzen den Service jeden Tag. Allein im vergangenen Dezember sammelte das Unternehmen 1,6 Milliarden US-Dollar von Investoren ein – unter anderem von Alibaba, Tiger Global, Softbank Vision Fund, Sequoia Capital China und FountainVest Partners. Damit hat Zuoyebang inzwischen rund 2,9 Milliarden US-Dollar eingesammelt – und einen Wert von mehr als 10 Milliarden US-Dollar. Das Start-Up wurde vom amerikanischen Magazin MIT Technology Review in die Top-10 Liste der Unternehmen mit bahnbrechenden Technologien des Jahr 2021 aufgenommen. 

    Nun bereitet Zuoyebang seinen Börsengang in den USA vor. Dafür hat man vergangene Woche einen Top-Manager vom an der Nasdaq gelisteten US-Wettbewerber Joyy Inc abgeworben. Er soll CFO bei Zuoyebang werden. 

    Hou Jianbin, der Gründer des Start-ups, war in den neunziger Jahren in einem Dorf in China groß geworden und hatte es mit Glück und Können geschafft, einen Studienplatz an der renommierten Peking Universität zu bekommen. Seine Motivation: die Zukunft der chinesischen Schüler soll weniger auf Glück, sondern mehr auf Können beruhen: “Wissen kann das Leben eines Menschen total verändern. Ich habe davon profitiert.”

    Milliarden-Investitionen

    Ebenfalls gut abgeschnitten bei der Akquise neuer Finanzmittel hat das 2014 gegründete Unternehmen Yuanfudao, das in landesweiten Lernzentren rund 30.000 Mitarbeiter beschäftigt und mit Elitehochschulen wie der Tsinghua University und der Peking Universität zusammenarbeitet.

    Das Bildungs-Start-up konnte im Oktober vergangenen Jahres in zwei Runden 2,2 Milliarden US-Dollar einsammeln. Zu den Investoren zählen DST Global, Temasek, TBP, DCP, Ocean Link, Greenwoods und Danhe Capital. Damit hat Yuanfudao den indischen Anbieter Byju als das wertvollste “Edtech”-Unternehmen der Welt hinter sich gelassen. 

    Das in Peking ansässige Unternehmen kommt inzwischen auf einen Wert von 15,5 Milliarden US-Dollar; und ist damit doppelt so teuer bewertet wie noch im März 2020. 

    Auch der chinesische Social-Media-Gigant ByteDance, zu dem die Video-App TikTok gehört, ist mit dem Unternehmen Dali (“Große Stärke”) in den E-Bildungsmarkt eingestiegen. Zum Portfolio gehören Vorschulprogramme, Erwachsenenbildung wie auch eine eigene intelligente Lernsoftware. In diesem Jahr plant Bytedance 13.000 neue Mitarbeiter für das Bildungssegment einzustellen. 

    Japan und Südkorea führend

    Schüler aber auch Eltern mussten sich während der Pandemie zwangsläufig mit der Technologie befassen. Damit sind auch die Ansprüche und der Innovations-Druck in der Industrie gestiegen. Derzeit befindet sich die Branche in der Phase der ersten Konsolidierung. Die Investoren setzen große Summen auf die wichtigsten Akteure. Das bedeutet: Die Bedingungen für neue Start-ups werden bereits schwieriger.

    In anderen asiatischen Ländern ist das E-Learning längst etabliert. In Japan und Südkorea nehmen zwischen 70 und 80 Prozent der Lernenden schon vor der Universität Online-Nachhilfe in Anspruch. In China sind es bisher nur rund ein Viertel. Das bedeutet, in China sind die Wachstumschancen größer, was sich wiederum in den wachsenden Investitionen wiederspiegelt: Im vergangenen Jahr wurden 50 Milliarden Yuan (6,5 Milliarden Euro) in das chinesische E-Learning-Segment investiert – mehr als in den vergangenen zehn Jahren zusammen. 

    Vom Platzhirsch zum Sanierungsfall

    Die Finanzierungsrunden für E-Learning-Unternehmen seien insgesamt zwar weniger geworden, erklärt Jiang Kaiyang, Direktor der Investmentbank Taihecap, “aber die durchschnittlichen Geldbeträge, die in einer einzigen Finanzierungsrunde gesammelt werden, übertreffen alle Erwartungen.” 

    Wer das Rennen um die beste Marktposition gewinnen wird, ist noch offen. Wie umkämpft der Markt ist, zeigt das Beispiel VIPkid: 2013 in Peking gegründet, entwickelte sich das Start-up schnell zu Chinas Marktführer im Online-Bildungs-Bereich und könnte Geld von Tencent, Coatue Management, Sequoia Capital, Sinovation Ventures, Yunfeng Capital, Matrix Partners, Learn Capital, Northern Light VC und Bryant Stibel einsammeln. Im vergangenen Jahr ging VIPkid im Gegensatz zu seinen großen Wettbewerbern Yuanfudao und Zuoyebang jedoch leer aus. Die Investoren hatten bemängelt, dass die Kosten für die Kundenakquise und andere Bereiche zu hoch seien und die verschiedenen Klassenmodelle zu sehr ausuferten. Um dieses Jahr profitabel zu werden, hat das Unternehmen seine Angebote angepasst und verkleinert. 

    Nun muss VIPkid, das 2020 noch zu einer der mitarbeiterfreundlichsten Firmen Chinas gekürt wurde, bis Ende diesen Jahres 10 bis 30 Prozent seiner Mitarbeiter entlassen. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Start-up seine Mitarbeiterzahl von 12.000 auf 7.000 reduziert und die Mietausgaben um rund 4,7 Millionen US-Dollar gesenkt. Solche Rückschläge sind in Chinas boomenden E-Learning-Markt bislang allerdings die Ausnahme. 

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    Gesundes Wasser für Chinas Millennials

    Null Fett, null Zucker und null Kalorien – das ist das Erfolgsrezept von Genki Forest. Der Pekinger-Getränkehersteller hat es binnen kürzester Zeit geschafft, sich in der Branche einen Namen für sein “gesundes Mineralwasser” zu machen. In der jüngsten Finanzierungsrunde hat Genki so viel Geld eingesammelt, dass es mit sechs Milliarden US-Dollar seine Bewertung aus dem vergangenen Jahr verdreifachen konnte.

    Dabei erweckte Genkis Startangebot – aromatisierte Mineralwasser in den Geschmacksrichtungen Pfirsich, Gurke oder Zitrus – zunächst nicht unbedingt den Eindruck, ein massentaugliches Produkt zu sein. Wasser mit Fruchtaromen gab es schließlich schon von Getränkeherstellern aus anderen asiatischen Ländern. Zudem ähnelten Genkis Wässerchen sehr den kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränken von Coca-Cola oder den Perrier-Mineralwassern.

    Doch der erste Eindruck sollte trügen: Im Jahr der Corona-Pandemie hat Genki Forest, das seine Finanzen nicht veröffentlicht, laut China Daily in den ersten fünf Monaten im Jahr 2020 einen Umsatz von 660 Millionen Yuan (96,6, Millionen US-Dollar) erzielen können.

    Die Geschäfte sprudeln

    Denn China ist einer der größten Mineralwassermärkte der Welt. Laut Statista liegt der Mineralwasserverbrauch bei rund 49 Millionen Tonnen im Jahr. Und es gibt offenbar noch Platz – für neue Anbieter wie Genki Forest oder auch für große Gewinner wie Zhong Shanshan.

    Der ist im vergangenen Herbst mit dem Börsengang seiner Mineralwassermarke Nongfu Spring zu einem der reichsten Männer Chinas aufgestiegen. Nongfu Spring hat in den ersten fünf Monaten 2020 einen Umsatz von 8,7 Milliarden Yuan (1,3 Milliarden Dollar) erreicht. 2019 waren es im gleichen Zeitraum noch 24 Milliarden Yuan (3,6 Milliarden Dollar).

    “Getränkeproduzenten im Reich der Mitte konnten sich bisher über zuverlässige und im Jahresrhythmus steigende Umsatzzahlen freuen”, sagt Stefanie Schmitt von Germany Trade and Invest (GTAI). Jedoch weist Schmitt auch auf die Auswirkungen des Coronajahres hin, die auf die Umsätze der Branche gedrückt haben.

    Laut Angaben des China Economic Information Network (CEInet) gingen die Umsätze im ersten Halbjahr 2020 um 6,4 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode zurück. Noch 2019 hatten sie im Vergleich zum Vorjahr mit umgerechnet rund 226 Milliarden US-Dollar ein Plus von fünf Prozent verbucht, heißt es im Bericht der GTAI weiter.

    Genki Forest setzt auf die Jugend

    “Der Trend, der in den wichtigsten Industrieländern begann, dass kohlensäurehaltige Wasser andere kohlensäurehaltige Getränke ersetzen, hat China erreicht”, sagte George Ren, Senior Partner bei Roland Berger in Shanghai der South China Morning Post. Das war im vergangenen Herbst, als Genki durch eine Finanzierungsrunde so viel Geld einsammelte, dass der Wert des jungen Getränkeunternehmens zwei Milliarden US-Dollar erreichte. “In diesem Markt wird es zu einem verschärften Wettbewerb kommen”, prognostizierte Ren damals.

    Genki Forest zielt auf einen Trend unter jungen und zahlungsstarken Stadtbewohner:innen ab: Getränke, die versprechen, gesünder, fitter und auch schöner zu machen. Alles Ziele, die etwa auch die Kosmetik- oder Fitnessbranche für sich beanspruchen und die seit dem Pandemiejahr zusätzlich an Bedeutung bei den Konsumenten gewonnen haben. Gerade bei Produkten, die täglich konsumiert werden, wie Wasser. Bei den Verbrauchern unter 30 gehört Genki schon zu den Top-100-Marken Chinas.

    Genki Forest hat zudem von Anfang an auf ein breites Vertriebsnetz und die Verbreitung über sogenannte Influencer in Sozialen Medien wie Instagram oder TikTok gesetzt, statt nur auf traditionelles Marketing. Zu kaufen und zu sehen sind die Getränke von Genki in mehr als 53.000 Supermärkten im ganzen Land und sogenannten Convenience-Stores in den Großstädten, die teils 24-Stunden geöffnet haben. Hinzu kommt, dass mehr als 130.000 Einzelhändler die Getränke von Genki in ihrem Sortiment haben und der Export der Getränke ins Ausland über E-Commerce-Händler wie Alibaba in die USA, Kanada oder auch nach Deutschland reibungslos läuft.

    Internationale Kapitalgeber

    Zu kaufen gibt es die Getränke von Genki Forest, das sich selbst als Health-Tech-Beverage-Startup bezeichnet, erst seit 2016. Davor wurde zwei Jahre in einem Forschungs- und Entwicklungszentrum das Getränkeangebot der Marke austariert.

    Dass Genkis Getränkemix erfolgversprechend wirkte, hatten auch Risiko-Kapitalgeber wie Sequoia oder Finanzinvestor Warburg Pincus aus den USA erkannt – und sich frühzeitig an Genki beteiligt. Ein Meilenstein war der Online-Shopping-Verkaufstag 618 im Juni vergangenen Jahres: Damals machte Genki mehr Umsatz als Pepsi oder Coca-Cola.

    Das Branchenberatungsunternehmen Zhiyan schätzt die aktuelle Größe des chinesischen Getränkemarkts auf rund 230 Milliarden Yuan (35 Milliarden Dollar). Bis 2024 könnten es laut China Commercial Industrial Research Institute schon 1,3 Billionen Yuan (198 Milliarden US-Dollar) sein.

    Gründer Tang kommt aus der Gaming-Industrie

    Tang Binsen, Gründer und CEO von Genki Forest, kommt nicht aus dem Konsumgütersektor, sondern aus der Techbranche. Er war zuvor Chef von Elex-Technologies, einem Gaming-Unternehmen, das 2014 das Spiel “Clash of Kings” entwickelte, welches 100 Millionen Mal heruntergeladen wurde und zu den weltweit umsatzstärksten Apps gehört.

    Doch Tang, der schon als 22-Jähriger einen Preis fürs Programmieren in Frankreich gewann und in Australien zu den Geldgebern eines Fahrradsharing-Start-ups gehört, hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr auf Konsumgüter spezialisiert. Nachdem das Geschäft mit Mineralwasser zu laufen scheint, liebäugelt er nun mit einem Einstieg in den Kaffeemarkt.

    Expansion in Fertignudeln und Bier

    Auch Genki Forest hat seine Produktpalette über das Getränkeangebot hinaus erweitert: Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen angefangen, fettarme Lebensmittel zu entwickeln und Hühner- und Wurstprodukte auf den Markt gebracht.

    Und über seine eigene Investmentfirma Challenjers Capital ist Genki-Chef Tang längst in andere Konsumbereiche vorgedrungen: Er hat in die Instant-Nudelmarke Ramen Talk, die Sektmarke Hope Water und den Craft-Beer-Hersteller Panda Brew investiert. Eine von Tangs Grundüberzeugungen lautet: In jeder Branche sollten mindestens drei der zehn größten Unternehmen künftig chinesisch sein.

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    News

    China und USA schicken Kriegsschiffe in den Indopazifik

    Die Spannungen im Indopazifik nehmen weiter zu (China.Table berichtet). Am Sonntag haben die USA eine Gruppe von Kriegsschiffen rund um den Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt in die Region entsandt. Das geht aus den Satellitendaten der “South China Sea Strategic Situation Probing Initiative” in Peking hervor. Zudem sei ein zweiter Verbund von US-Kriegsschiffen mit dem Zerstörer USS Mustin in das Ostchinesische Meer eingelaufen. Er habe sich am Samstag nahe der Mündung des Jangtse-Flusses aufgehalten. Peking ließ die Vorgänge nicht unbeantwortet – und schickte seinerseits den Flugzeugträger Liaoning durch die Straße von Miyako südwestlich von Japan.

    Die Präsenz der Kriegsschiffe im Indopazifik zur gleichen Zeit wie auch ihre jüngsten Bewegungen erhöhen Experten zufolge das Risiko eines militärischen Konflikts zwischen den beiden Supermächten. Peking versuche, seinen regionalen Ansprüchen Nachdruck zu verleihen, während Washington deutlich seine Strategie verfolge, China einzudämmen.

    Die Lage im Indopazifik ist derzeit sehr angespannt – vor allem am Whitsun-Riff vor der Küste der Philippinen. Täglich schickt Manila Kampfflugzeuge in die Laguen des Riffs, um die dortige Lage zu beobachten. Eigentlich handelt es sich um eine exklusive Wirtschaftszone der Philippinen, in der Manila das alleinige Recht auf Ausbeutung der Rohstoffe hat. Doch seit einigen Wochen ankert dort eine Armada chinesischer Schiffe. Viele sind mit Tauen zu kleineren Gruppen verbunden. Anfang März sollen es der philippinischen Marine zufolge rund 220 Schiffe gewesen sein.

    Das Vorgehen erinnert sehr an den Konflikt um das Scarborough-Riff im Jahr 2012: Damals verlor Manila die Kontrolle über das Riff. Seither versperren chinesische Schiffe allen anderen Fischerbooten und Marineschiffen den Zugang.

    Die Philippinen befürchten, Peking könnte nun auch am Whitsun-Riff versuchen, Fakten zu schaffen. Denn nach Ansicht der Philippinen wie auch der USA handelt es sich bei den vertauten Schiffen keineswegs nur um Fischerboote. rad

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    • Philippinen

    Standpunkt

    Für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Chinapolitik

    Von Andreas Fulda

    Bei der Lektüre des Standpunktes von Eberhard Sandschneider in China.Table beschlich mich ein Gefühl des déjà vu. In einem Beitrag für “Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ)” hatte er 2012 – damals noch in seiner Funktion als Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) – sehr ähnliche Kritik an einer wertegeleiteten deutschen Außenpolitik geäußert. Im Sinne der Transparenz sollte ich erwähnen, dass ich bei Sandschneider an der FU Berlin promoviert habe.

    Das Thema meiner 2009 bei Springer VS veröffentlichten Doktorarbeit war “Förderung partizipativer Entwicklung in der VR China”. Darin hatte ich basierend auf meinen praktischen Erfahrungen als Mitarbeiter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (2003-07) für mehr Demokratieförderung in der VR China plädiert. Ich rechne es Sandschneider hoch an, dass er trotz unterschiedlicher Einschätzungen zur deutschen Außenpolitik meine Dissertation nicht nur fair sondern positiv beurteilt hat. Mir bereitet es daher keine Freude, zwölf Jahre später eine grundsätzliche Kritik an seinem Meinungsartikel zu äußern. Ich formuliere meine Gegenposition im Geiste Ruth Bader Ginsburgs: “[one] can disagree without being disagreeable”.

    Sandschneiders Perspektive auf die westlichen Beziehungen zu China weist eine kuriose Kontinuität auf. Während sich seine Einstellungen zu Prämissen der deutschen Außenpolitik augenscheinlich nicht verändert haben, hat sich in der VR China unter Generalsekretär Xi Jinping seit 2012 ein totalitärer Politikwechsel vollzogen. Des daraus resultierenden Spannungsfelds ist er sich anscheinend nicht bewusst.

    Ist jede Kritik gleich “China-Bashing”?

    Statt dessen kritisiert Sandschneider wie eh und je “moralisierende Chinapolitik”. Außerdem verurteilt er doppelte Standards in der amerikanischen und europäischen Chinapolitik, welche aus seiner Sicht primär geopolitische bzw. ökonomische Ziele verfolgt. Militärische Spannungen in der Taiwanstraße sind laut Sandschneider allein dem “außenpolitische[n] Nachtreten einer schon fast aus dem Amt entlassenen US-Regierung” anzulasten. Er kritisiert darüber hinaus westliche Magnitsky-Sanktionen gegen chinesische Offizielle. Letztere führten nur dazu, dass Dialogkanäle “verstopft” werden. Gleichzeitig setzt er sich für “stille Diplomatie” ein. Sandschneider geißelt den vermeintlichen “Größenwahn” all jener, welche glaubten den “Aufstieg Chinas “managen” zu können”. Erstaunlicherweise nennt er später dann selber “Chinapolitik im Westen eine ständige und dauerhafte Managementaufgabe”. Geradezu apodiktisch bezeichnet Sandschneider jede Kritik an der politischen Situation in der VR China als “China-Bashing”. Statt dessen fordert er “dass man mit diesem Land und seiner Regierung reden, verhandeln, vielleicht auch streiten muss, um Lösungen zu finden, die für alle Seiten akzeptabel sind.”

    Seine Forderungen nach Dialog und Kooperation klingen zunächst einmal plausibel, blenden aber die politisch-praktischen Hindernisse völlig aus. Während meiner Zeit als Entwicklungshelfer in China habe ich Diplomaten an der deutschen Botschaft in Peking bei der Organisation und Durchführung von Treffen zwischen deutschen Entscheidungsträgern (u.a. für Botschafter Stanzel, 2004; Bundestagspräsident Thierse, 2005; und Außenminister Steinmeier, 2006) und chinesischen NGO-Vertretern unterstützt. Von 2011 bis 2014 habe ich im Auftrag der Europäischen Kommission vier Jahre lang die Durchführung eines EU-China-Dialogprogramm koordiniert.  Die Durchführung solcher genuin ergebnisoffenen interkulturellen Begegnungen war während der Zeit vor und kurz nach dem Amtsantritt von Xi Jinping noch möglich

    Dokument Nr. 9: Ende des Dialogs

    Mit dem Dokument Nr. 9 hat die Kommunistische Partei Chinas (KP Chinas) im Jahr 2013 allerdings konstitutionelle Demokratie, universelle Werte, Zivilgesellschaft, unabhängigen Journalismus und Kritik an der Partei für absolute Tabuthemen erklärt, welche sowohl für die innerchinesische als auch die internationale Diskussion mit China gelten. Dieses Dokument markierte das Ende der semi-liberalen Ära unter Generalsekretär Hu Jintao (2002-2012). Welche Möglichkeiten zu einer fruchtbaren auf gegenseitiger Anerkennung und Reziprozität beruhenden Kooperation oder zum Dialog bestehen denn, wenn der Dialog die demokratischen Werte systematisch ausschließt und auf chinesischer Seite die Sprachregelungen des Xi-Diskurses verbindlich sind?

    Die politische Zensur des Xi-Regimes durchdringt mittlerweile alle wesentlichen Bereiche der deutsch-chinesischen Kooperation: wenn zum Beispiel die zivilgesellschaftliche Kooperation auf wenige regimekonforme Themen eingeschränkt wird und die bestehenden NGO-Vertrauensnetzwerke systematisch untergraben bzw. zerstört werden; wenn die Rahmenbedingungen der Kooperation die Freiheit der Wissenschaft und die autonome Wissenschaftskooperation gefährden; oder wenn der Parteistaat das notwendige “level playing field” einer auf Chancengleichheit, Reziprozität und gegenseitigen Vorteil beruhenden wirtschaftlichen Kooperation zum einseitigen langfristigen Vorteil Chinas verzerrt.

    Bedrohung durch “Made in China 2025”

    Die kurzfristige Win-win-Situation für einzelne deutsche Unternehmen ist bisher mit einer langfristig einseitigen entwicklungspolitischen Win-lose-Kooperation verbunden, welche das Vertrauen in die Zusagen des chinesischen Parteistaates erschüttert hat. Warum sollte das dieses Mal anders sein? Ich halte es daher für bedenklich, dass Sandschneider kein einziges kritisches Wort über die zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt verliert. Es sollte dem deutschen Mittelstand bewusst sein, dass “Made in China 2025” eine direkte Bedrohung für das Ziel von “Industrie 4.0” darstellt. Es geht der KP Chinas darum, die deutsche Industrie erst zu instrumentalisieren und zu kooptieren und dann langfristig zu ersetzen.

    Anstatt über solche Herausforderungen in den deutsch-chinesischen Beziehungen zu sprechen, beschränkt sich Sandschneider auf die Kommentierung der geopolitischen Rivalität zwischen den USA und der VR China. Von einem langjähriger Berater der Bundesregierung hätte ich hingegen eher (selbst-)kritische Reflektionen zur deutschen Chinapolitik erwartet. Doch wenn es um die Versäumnisse auf deutscher Seite geht, bleibt Sandschneider auffällig still.

    Wie zeitgemäß ist beispielsweise eine stark auf Außenwirtschaftsförderung fokussierte deutsche Chinapolitik? Selbst, als die Barrikaden in Hong Kong im Sommer 2020 bereits brannten, wiederholte der deutsche Wirtschaftsminister Altmaier gebetsmühlenartig den längst obsolet gewordenen Slogan “Wandel durch Handel”. Aber es sollte mittlerweile jedem klar sein, dass der Verkauf deutscher Autos in China nicht zu liberal-demokratischen Wandel geführt hat.

    Primat der deutschen Politik fehlt

    Dazu kommt, dass in der deutschen Chinapolitik seit 1989 noch nie wirklich das Primat der Politik gegolten hat. In der deutschen Entwicklungsbürokratie habe ich zu meiner aktiven Zeit Führungskräfte erlebt, welche sich ausgesprochen abfällig über Chinareisende Bundestagsabgeordnete geäußert haben. Den Praktikern vor Ort war klar: Chinapolitik wurde nicht von deutschen Politikern, sondern von Vertretern des Asien-Pazifik Ausschuss der Deutschen Wirtschaft gestaltet.

    Ich halte es für problematisch, dass seit der Kanzlerschaft Schröders die deutsche Chinapolitik weitgehend von den Interessen der deutschen Privatwirtschaft bestimmt worden ist. Während eine solche korporatistische Vorgehensweise kurzfristig enorme Unternehmensgewinne gesichert hat, so ist es fragwürdig, wenn Wirtschaftslobbyisten die Leitlinien der deutschen Chinapolitik diktieren. Selbst für die Unternehmen waren die Vorteile in vielen Branchen oft nur vorübergehend, bevor sie in einem unlauteren Wettbewerb marginalisiert wurden. Der Niedergang der deutschen Solarindustrie steht beispielhaft für diese Fehlentwicklung.

    Stabsstelle in der Regierung nötig

    Eine nachhaltige und Industrie- und Chinapolitik ist das sicher nicht. Ich stimme in dieser Frage Nils Schmid zu, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. In einem Interview mit der Financial Times hat er darauf hingewiesen, dass Deutschland “eine echte Außenpolitik für China braucht – nicht nur eine geschäftsorientierte Politik (Übersetzung des Verfassers)”. Eine neue deutsche Chinapolitik muss sich mit den systemischen totalitären Tendenzen des Xi-Regimes kritisch auseinandersetzen. Hierfür sollte die Bundesregierung eine ressortübergreifende Stabsstelle zum Umgang mit autoritären Staaten einrichten, welche Handlungsempfehlungen sowohl für Bund und Länder erarbeitet. 

    Sandschneiders Standpunkt in China.Table wirkt wie aus der Zeit gefallen. In seinem Beitrag für APuZ hatte Sandschneider 2012 noch gefordert “dass sich eine nachrückende außenpolitische Elite heranbildet, die über die notwendige Kompetenz verfügt, um mit neuen globalen Herausforderungen umzugehen.” In diesem Punkt hat er zweifelsohne recht. Für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Chinapolitik brauchen wir jetzt nicht nur eine neue Programmatik sondern auch neues Personal.

    Andreas Fulda ist Dozent an der University of Nottingham. Er hat acht Jahre in der VR China und Taiwan gelebt und gearbeitet und ist Autor des Buchs “The Struggle for Democracy in Mainland China, Taiwan and Hong Kong. Sharp Power and its Discontents” (Routledge, 2020)

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    Portrait

    Petra Sigmund

    Petra Sigmund ist Abteilungsleiterin für Asien und Pazifik im Auswärtigen Amt.
    Abteilungsleiterin für Asien und Pazifik im Auswärtigen Amt

    Schon während ihrer Schulzeit las Petra Sigmund voller Begeisterung Bücher aus Asien und China. “In der Zeit nach der Kulturrevolution in China kam die sogenannte Narben-Literatur nach Deutschland, Schwere Flügel von Zhang Jie zum Beispiel”, erzählt die 54-Jährige von ihren ersten Berührungspunkten mit dem Land. Inzwischen leitet Petra Sigmund im Auswärtigen Amt die Abteilung für Asien und Pazifik. Politikgestaltung ist ihr Alltag, zwei Fragen hat sie dabei immer im Blick: “Wie blicken wir auf China und wie müssen wir uns aufstellen?

    Die gebürtige Heidelbergerin machte 1985 Abitur. In China herrschte damals Aufbruchsstimmung, Deng Xiaoping öffnete mit verschiedenen Reformen die Wirtschaft der Volksrepublik. Die Veränderungen faszinierten Sigmund: “Das Land ging in eine ganz neue Richtung. Deshalb habe ich mich entschieden, Sinologie zu studieren.” An der Freien Universität Berlin und der Renmin-Universität in Peking beschäftigte sie sich in den Folgejahren mit Chinawissenschaften, Politologie und Volkswirtschaftslehre. Schon bei ihrer ersten Reise ins “Reich der Mitte” merkte Sigmund: “Ich habe mich für die richtigen Fächer entschieden.”

    Nach ihrem Abschluss begann Petra Sigmund im Jahr 1994 eine diplomatische Karriere beim Auswärtigen Amt. Ihr erster Posten führte sie ins Presse-Referat des Außenministeriums, danach arbeitete sie in Brüssel, Berlin, Paris und Peking. Als das Ministerium angesichts der zunehmenden Bedeutung Asien und Chinas 2017 eine eigene Abteilung aufbaute, wurde Sigmund zur Beauftragten für Ostasien, Südostasien und den Pazifik berufen: “Das musste man mir nicht zwei Mal sagen.”

    Petra Sigmund: China ein Querschittsthema

    Zwei Jahre später übernahm sie die Leitung der Abteilung Asien und Pazifik. Seitdem steuert sie mit rund 50 Mitarbeiter:innen die deutsche Asien- und China-Politik, zusammen mit den zahlreichen Vertretungen vor Ort und weiteren Abteilungen im Auswärtigen Amt sowie in anderen Ministerien. “Der Blick auf China ist inzwischen eine Querschnittsthema. Unsere Aufgabe ist, das zu koordinieren und daraus eine kohärente Politik zu gestalten”, erklärt Sigmund.

    In den letzten Monaten hat sie sich viel mit dem Investitionsabkommen zwischen China und der EU beschäftigt (China.Table berichtet zum CAI), das im Dezember abgeschlossen wurde. Für Petra Sigmund ein Etappensieg: “Wir sind jetzt die ersten Schritte gegangen, um mehr Gleichgewicht in unseren Beziehungen zu bringen. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.” Der Kritik an dem Abkommen entgegnet sie: “Unsere Erfolge werden uns nicht davon abhalten, das, was kritisiert werden muss, zu kritisieren.”

    Petra Sigmund war Anfang 2020 zuletzt selbst in China, kurz bevor bekannt wurde, dass das Corona-Virus von Tieren auf Menschen übertragen werden kann. Sie vermisst ihre Reisen in die Volksrepublik und in die anderen asiatischen Länder. Für die nächsten Jahre wünscht sie sich mehr echten Austausch zwischen Deutschen und Chines:innen: “Ich würde mir mehr offenen Dialog wünschen. Denn aus Dialog und Transparenz entsteht Vertrauen.” Paul Meerkamp

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    Maodun 矛盾 – Gegensätze

    China wird oft als Land der Gegensätze beschrieben. Im Riesenreich besteht ein Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, Stadt und Land, Alt und Jung, Reich und Arm. Und doch gelingt es den Chinesen, scheinbar Widersprüchliches zu einem großen Ganzen zu vereinen. In China nimmt man Gegensätze nämlich nicht nur als diametrale Pole, sondern auch als aufeinander bezogene Kräfte wahr, die sich nicht zwangsläufig bekämpfen, sondern in gewisser Weise ergänzen. Widersprüchlichkeit muss also erst einmal nichts Negatives sein. Aus dem energiegeladenen Zusammenspiel des Verschiedenen entsteht aus chinesischer Warte meist Neues, ganz im Sinne des Yin und Yang in der chinesischen Philosophie.

    Spannender Weise hat diese Denke auch die Entwicklung des chinesischen Wortschatzes beeinflusst. Möglich wird dies, da sich die meisten modernen Wörter des Chinesischen aus zwei Einzelschriftzeichen zusammensetzen, und damit aus zwei Bedeutungskomponenten. Manche dieser Kombinationen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als semantische Gegensatzpaare. Sprachlich zusammengeschweißt entsteht aus ihnen eine neue, größere Bedeutung. Dazu zählen etwa Substantive wie “Größe” 大小 dàxiǎo (wörtlich: groß – klein), “Länge” 长短 chángduǎn (lang – kurz), “Gewicht” 轻重 qīngzhòng (leicht – schwer), “Anzahl, Menge” 多少 duōshǎo (viel – wenig) oder “Tiefe” 深浅 shēnqiǎn (tief – flach).

    Aha-Effekte versprechen auch Zeichenkombinationen wie 东西 dōngxi “Dinge” (Ost – West), 左右 zuǒyòu “zirka” (links – rechts), 上下文 shàngxiàwén “Kontext” (oben – unten – Text), 父母 fùmǔ “Eltern” (Vater – Mutter) oder 呼吸 hūxī “atmen” (einatmen – ausatmen). Der “Lichtschalter” heißt auf Chinesisch einfach “an – aus” 开关 kāiguān, und wer “Handel” treibt, der betreibt in China 买卖 mǎimài (kaufen – verkaufen).

    Passender Weise ist auch der Begriff “Gegensatz, Konflikt, Widerspruch” 矛盾 máodùn selbst ein solches Sprachspannungsfeld. Auch er setzt sich letztlich aus zwei inhaltlich diametralen Schriftzeichen zusammen, nämlich “Wurfspieß” (矛 máo) und “Schild” (盾 dùn).

    Verena Menzel 孟维娜 betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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