an die flächendeckenden Stromausfälle des vergangenen Spätsommers dürften sich viele in China noch erinnern. Millionen saßen im Dunkeln, ganze Fabriken standen still – mit Auswirkungen auf die Lieferketten weltweit. Der Ausbau von Energiespeichern steht daher ganz oben auf der Agenda der chinesischen Führung, um Energiesicherheit zu gewährleisten. Und Peking hat große Pläne, analysiert Nico Beckert. Dennoch ist jetzt schon klar, dass auch Milliardeninvestitionen in der laufenden Energiewende die Netze nicht völlig sicher machen.
Andreas Schell, CEO von Rolls-Royce Power Systems, rechnet damit, dass die chinesische Nachfrage nach emissionsarmen Antrieben rasant steigen werde. “Durch die politischen Strukturen können Entwicklungen dort sehr schnell gehen. Wo heute noch konventionelle Motoren erlaubt sind, können schon morgen nachhaltige Lösungen vorgeschrieben sein”, sagt Schell im Portrait. Dort lesen Sie auch, wie das Unternehmen sich darauf vorbereitet und warum ein Produktionsstandort in China forciert wurde.
Ich wünsche Ihnen viele neue Erkenntnisse!
Wie heikel das Thema Energiesicherheit ist, bekam China im letzten Herbst auf drastische Weise zu spüren: Aufgrund von Engpässen mussten zahlreiche Provinzen den Strom rationieren. Dabei ging nicht nur in Privathaushalten das Licht aus – auch Fabriken standen still. Für Chinas politische Eliten war dies ein Schock und auch ausländische Investoren beobachteten die Lage mit Sorge.
Damit so etwas nicht wieder passiert, macht Peking Energiesicherheit zu einem wichtigen Ziel. Die Energiewende soll aber nicht aufgegeben werden. Im Gegenteil: China möchte seine Stromerzeugungs-Kapazität aus Sonne und Wind bis 2030 auf 1.200 Gigawatt verdoppeln. Kohlestrom soll weiterhin langfristig aus dem Netz gedrängt werden.
Um die Energiewende voranzutreiben und dennoch eine zuverlässige Stromversorgung sicherzustellen, besitzt der Ausbau von Energiespeichern eine essenzielle Bedeutung. Denn China sieht sich mit den gleichen Problemen konfrontiert wie Deutschland: Wind und Sonne liefern mal mehr Energie, als nachgefragt wird, mal herrscht Flaute. Die Folge sind Stromengpässe und ein instabiles Netz. Pumpkraftwerke und Batteriespeicher können die erneuerbaren Energien in Überschuss-Zeiten auffangen und in den sogenannten Dunkelflauten oder bei hoher Stromnachfrage wieder ins Netz speisen.
Beim Ausbau seiner Energiespeicher hat China große Pläne. Die Kapazität der Pumpspeicher soll bis 2025 auf 62 Gigawatt verdoppelt werden. 2030 soll sie bereits bei 120 Gigawatt liegen. Bei dieser Form der Energiespeicher wird Wasser mit überschüssiger Energie in ein Reservoir in höheren Lagen gepumpt. Bei Flaute oder hoher Nachfrage wird das Wasser wieder abgelassen und erzeugt über Turbinen Energie.
Bei den Batterie-Speichern strebt China sogar eine Verachtfachung der derzeitigen Kapazität an. Derzeit verfügt das Land über 3,5 Gigawatt an solchen Speichern, hauptsächlich in Form von Lithium-Ionen-Batterien. Bis zum Jahr 2025 soll die Kapazität auf 30 Gigawatt wachsen. Idealerweise stammt ein Großteil dieser Batterie-Speicher aus ausgedienten E-Auto-Batterien. Dadurch machen die Energiespeicher anderen Sektoren keine Konkurrenz um knappe und teurer werdende Batterie-Rohstoffe. Derzeit haben die chinesischen Behörden allerdings noch Sicherheitsbedenken. Chinas Nationale Energiebehörde hatte infolge einer tödlichen Explosion in einer Batterie-Speicher-Einrichtung zuletzt ein Verbot der Zweitnutzung vorgeschlagen (China.Table berichtete).
Ein Problem für den Ausbau der Energiespeicher könnten allerdings die Kosten sein. Ein Großteil der Verantwortung zum Ausbau von Energiespeichern liegt bei den Erzeugern von erneuerbaren Energien:
Für die Betreiber von Solar- und Windparks bedeutet das zusätzliche Investitionen, die fossile Energieträger nicht mit sich bringen. Und dabei ist der Solar-Sektor schon jetzt von hohen Kosten und geringen Gewinnen geplagt. Betreiber stehen häufig vor dem Problem, dass die Versorger ihre Wind- und Solarparks nur langsam an das Stromnetz anschließen, wie die South China Morning Post berichtet. Ein Industrievertreter beklagt demnach, dass der Markt für Energiespeicher in China “derzeit kein tragfähiges Geschäftsmodell” hat.
Neben der Frage der Kostenverteilung fehlen auch finanzielle Anreize. Chinas System der Stromtarife sieht keine Extra-Vergütungen für Anbieter vor, die in Zeiten hoher Nachfrage Strom liefern. “Damit Pumpspeicherkraftwerke rentabel sein können, sollte der Strompreis während der Spitzenlast mindestens dreimal so hoch sein wie der Niederlasttarif”, sagt Lin Boqiang, Energieexperte und Dekan am China Institute for Energy Policy Studies an der Universität Xiamen gegenüber der SCMP.
Chinas Pläne für Energiespeicher klingen ambitioniert, ihre Dimensionen könnten aber noch immer zu gering sein. Laut Branchenanalysten braucht China bis 2030 bereits Energiespeicher mit einer Kapazität von 200 Gigawatt. “Das 120 Gigawatt-Ziel [für Pumpspeicher] erscheint nicht ambitioniert genug, um die Klimaziele zu erreichen”, sagt ein Analyst.
Der Ausbau der Energiespeicher zeigt, vor welch immensen Herausforderungen Chinas Planer bei der Energiewende stehen. Der Umbau des Energiesystems ist eine Operation am offenen Herzen der chinesischen Volkswirtschaft, bei der die Interessen unterschiedlicher Akteure in Einklang gebracht werden müssen. Die Energiekrise des letzten Jahres hat gezeigt, zu was für drastischen Störungen es kommen kann, wenn die Verantwortung für eine sichere und kostengünstige Stromversorgung auf einzelne Akteure verlagert wird. (China.Table berichtete)
Die EU-Kommission warnt in einem neuen Bericht vor strategischen Abhängigkeiten Europas bei einer Reihe von Rohmaterialien und Technologien. So sei die EU bei Solarpanelen, Permanentmagneten und Magnesium verwundbar, da sie sehr stark auf China angewiesen sei, schreibt die Behörde in ihrer veröffentlichten Untersuchung. Auch bei Cybersicherheitstechnologien und Cloud Computing sieht die Kommission die EU als verletzlich an.
Die neue Analyse soll auch den Ministern beim Wettbewerbsfähigkeitsrat präsentiert werden. Darin stuft die Kommission unter anderem die Schwäche Europas bei Photovoltaik-Technologien als problematisch ein. Der Anteil der EU an der globalen Produktion bei der Produktion von Solarzellen und -Modulen liege hier bei 0,4 bzw. 2-3 Prozent. China sei in allen Stufen der Wertschöpfungskette führend. Angesichts dieser Marktkonzentration sei die Solarindustrie unter Umständen “nicht mehr in der Lage, diese Risiken durch Diversifizierung abzufedern”, so der Bericht. Aus Sicht der Kommission ist das umso problematischer, da die Behörde eine Verdreifachung der Solarenergiegewinnung bis 2030 für nötig hält, um die EU-Klimaziele zu erreichen.
Probleme für den Green Deal sieht die Kommission auch durch Abhängigkeiten bei Seltenen Erden für die Herstellung von Permanentmagneten und bei Magnesium. Letzteres ist als Vorprodukt für die Aluminiumherstellung zentral. Hier kontrolliere China 89 Prozent der Magnesiumproduktion und die gesamte Wertschöpfungskette, so der Bericht. Im vierten Quartal 2021 hätten europäische Unternehmen bereits starke Preisanstiege und Lieferschwierigkeiten verzeichnet. Der Spielraum für eine Diversifizierung sei hier aber, ebenso wie bei den Seltenen Erden, derzeit begrenzt.
Daneben hat die Kommission auch Schwachpunkte bei digitalen Technologien betrachtet. Erhebliche Lücken sieht sie bei Cybersicherheitstechnologien: “Europa verlässt sich teilweise auf internationale Anbieter, um seine Infrastrukturen zu schützen”, so der Bericht. Im Verteidigungssektor werde der Großteil der eingesetzten Hard- und Software in den USA entwickelt und in China hergestellt. “Diese Abhängigkeiten führen zu erheblichen Risiken.” Als Abhilfemaßnahmen verweist die Kommission unter anderem auf geplante Gesetze wie den Cyber Resilience Act und die Revision der Cybersicherheitsrichtline. tho
Unter dem Namen “Polestar 0” plant das gleichnamige Gemeinschaftsunternehmen des schwedischen Automobilherstellers Volvo und seiner chinesischen Mutterfirma Geely einen serienreifen Pkw mit Netto-Null-Emissionen. Das Projekt wurde bereits im April 2021 gestartet. Nun hat Polestar erste Kooperationspartner bekannt gegeben. Darunter sind der deutsche Zulieferer ZF, der schwedische Stahlkonzern SSAB und der norwegische Aluminiumproduzent Hydro, sowie die Unternehmen ZKW und Autoliv. In einem öffentlichen Aufruf auf seiner Internetseite sucht Polestar bis zum 23. März zudem weitere Mitstreiter und Forscher, die sich beteiligen wollen.
Polestar wurde 2017 als Joint Venture von Geely und Volvo gegründet und ist eine reine Elektroauto-Marke. Für den “Polestar 0” will das Unternehmen nicht auf Kompensationszertifikate zurückgreifen, um Emissionen auszugleichen. Stattdessen soll CO₂ im gesamten Produktionsprozess vermieden werden. Das schließt unter anderem die Rohstoffgewinnung, die Materialveredelung und -herstellung sowie den Transport ein.
Das Unternehmen kritisiert eine mangelnde Transparenz in der Automobilbranche. Für Verbraucher sei ein Vergleich der Klimaauswirkungen von Fahrzeugen dadurch fast unmöglich. Ein wesentliches Problem seien die unterschiedlichen Berechnungsmethoden, die von verschiedenen Autoherstellern für Ökobilanzen verwendet werden. Polestar fordert eine Einigung der Branche auf vergleichbare Berechnungsmethoden.
Polestar selbst gibt den CO2-Fußabdruck seiner Fahrzeuge genau an. Demnach verlässt ein neuer Polestar 2 die Fabrik mit einer CO2-Bilanz von 26 Tonnen. Schuld an der schlechten Energiebilanz des E-Autos ist die Batterie. Beim Volvo XC40, einem vergleichbaren Modell mit Verbrennungsmotor, ist der Fußabdruck in der Produktion geringer. Nach 50.000 Kilometern Fahrt wird das Elektroauto gegenüber dem Verbrenner allerdings klimafreundlicher. jul
Chinas Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) und die Nationale Energiebehörde (NEA) haben vergangene Woche einen Plan für die Energiewende der Volksrepublik vorgelegt. Das Dokument ist als Fahrplan für die Bemühungen des Landes zur Dekarbonisierung seines Energiesystems zu verstehen. Es enthält zahlreiche Implementierungsmaßnahmen, aber keine neuen Ziele oder Quoten zur Reduktion der Emissionen des Energiesektors oder zum Anteil bestimmter Energieträger. Es zählt zu den wichtigen Sektorplänen des Landes zur Erreichung der Klimaziele. Der Plan umfasst alle Aspekte des Energiesystems, von der Erzeugung, über den Transport, des Handels und des Verbrauchs.
Die Beratungsagentur Trivium China hat vier Hauptziele des Plans ausgemacht:
Das Dokument schreibt dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energiesicherheit eine große Rolle zu. Zwar sollen fossile Kraftwerke schrittweise durch erneuerbare Stromquellen ersetzt werden. Doch um Energiekrisen zu verhindern, soll die “saubere” und “effiziente” Nutzung fossiler Energieträger verbessert und ein “Mechanismus zur Sicherung des Energie-Angebots” implementiert werden. Fossile Brennstoffe sollten erst dann ersetzt werden, wenn die Versorgung mit erneuerbaren Energien “zuverlässig” ist. Das Dokument lässt hier also einiges an Interpretationsspielraum. Die vorsichtigen Formulierungen dienen auch dazu, voreilige Provinz-Gouverneure zu bremsen, die die Energiewende in der Vergangenheit “kampagnenartig” umgesetzt haben – also zu forsch vorgegangen sind und in Pekings Lesart die Energiesicherheit Chinas gefährdet haben.
Der Plan sieht zudem vor, die Nutzung grüner Energie im Industrie-, Bau- und Transportgewerbe zu erhöhen. Der Strommarkt soll weiter liberalisiert und auf nationaler Ebene vereinheitlicht werden. Damit könnten Marktverzerrungen aufgelöst werden, die große Stromkonsumenten davon abgehalten haben, grünen Strom einzukaufen, so Trivium. nib
Seit Beginn des Jahres haben chinesische Behörden fünf neuen großen Kohlekraftwerken die Baugenehmigung erteilt. Die Kraftwerke sollen eine Vielzahl kleinerer, weniger effizienter Kohlekraftwerke ersetzen, die in den letzten Monaten vom Netz gegangen sind, wie Carbon Brief berichtet. Demnach wurden im zweiten Halbjahr 2021 allein in der Provinz Shandong 141 kleine Kohlekraftwerke abgeschaltet, die oft eine Kapazität von weniger als 50 Megawatt hatten. Die neuen Kraftwerke sollen in den folgenden Provinzen gebaut werden:
Bei allen Projekten sollen effiziente Anlagen zum Einsatz kommen, die im Vergleich zu älteren Anlagen Energie und Kohle sparen würden.
Gleichzeitig hat sich der chinesische Staatsrat am Montag für eine Ausweitung der Kohleproduktion ausgesprochen. Das Kohleangebot soll erhöht werden und die Kraftwerke mit voller Kapazität arbeiten, um mehr Strom zu erzeugen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua vermeldete. Das soll den Strombedarf für die Industrie und den privaten Verbrauch garantieren.
Schon vor der Entscheidung des Staatsrats hat die Energiesicherheit auf Pekings Agenda neue Relevanz bekommen. China kann sich im Jahr der voraussichtlichen Wiederwahl Xi Jinpings keine erneute Energiekrise leisten. “Ich denke, Li Keqiangs Rede zur Kohle hat mit der Sorge um die “Energiesicherheit” zu tun und der Sorge, dass es nach dem Frühlingsfest zu einer weiteren Energiekrise kommen könnte“, schreibt die Energie-Analystin Liu Hongqiao auf Twitter. Chinas Sorge um die Energiesicherheit verlangsame den Kohleausstieg, so Liu. nib
China National Offshore Oil (CNOOC) wird 13 Milliarden US-Dollar in die Sicherung der Öl- und Gasversorgung des Landes investieren. Das geht aus einem Bericht des größten chinesischen Offshore-Öl- und -Gasbohrunternehmens hervor, wie Bloomberg berichtet. Das Unternehmen hat Verträge in dieser Höhe mit zwölf internationalen Konzernen abgeschlossen. Vier dieser Verträge beinhalten den Ausbau der Ölförderung vor den Küsten Chinas. Zu den Partnern gehören demnach Firmen wie Total Energies SE und Conoco Phillips. Weitere Verträge umfassen Öl- und Flüssigerdgas-Lieferungen aus Kuwait und den USA.
CNOOC will seine Produktion in diesem Jahr um bis zu 40 Millionen Barrel Erdöl steigern, so Bloomberg. Auch die beiden größeren nationalen Ölproduzenten, Petrochina und Sinopec, wollen die Förderung ausbauen. Das Ziel ist es, die Energiesicherheit des Landes zu garantieren. Peking hat dem Thema der sicheren Energieversorgung nach der Energiekrise des letzten Jahres neue Priorität auf der politischen Agenda eingeräumt. nib
Wenn Andreas Schell heute vor schwierigen Situationen steht, denkt er zurück an den vergangenen Herbst. Damals rannte der CEO des Motorenherstellers Rolls-Royce Power Systems durch die marokkanische Wüste, absolvierte bei einem Ultramarathon fast 250 Kilometer in einer Woche. “Von dem Gefühl, meine Grenzen überwunden zu haben, zehre ich bis heute”, sagt Schell. Einen langen Atem braucht der 52-Jährige auch bei der Transformation seines Unternehmens, hinter dem sich die Friedrichshafener Traditionsmarke MTU verbirgt. Seit 2014 gehört sie komplett zum britischen Konzern Rolls-Royce.
Als Schell 2017 an den Bodensee wechselt, hat er bereits eine Karriere mit Führungspositionen bei verschiedenen internationalen Unternehmen hinter sich. “Innovative Technologien haben mich immer interessiert”, sagt der Maschinenbauingenieur. Beim Autobauer Daimler beschäftigt er sich früh mit alternativen Antrieben, ab 2002 arbeitet er beim damaligen Daimler-Partner Chrysler in den USA. Später wechselt er in die Luftfahrtindustrie.
Als das Angebot von Rolls-Royce Power Systems kommt, schlägt er zu: Seine in den USA aufgewachsenen Söhne sollen das Heimatland ihrer Eltern kennenlernen – und die Marke MTU hat für Schell eine große Strahlkraft. Ihn begeistert der hohe Anspruch an die Produkte, sagt er. Motoren von MTU treiben große Fähren an, sind unter widrigen Bedingungen im Bergbau im Einsatz oder sichern die Stromversorgung von Krankenhäusern. “Wir liefern in systemrelevante Industrien, da können wir uns keinen Ausfall erlauben.”
Einer der wichtigsten Wachstumsmärkte ist China. Unter Schells Führung wurde das Unternehmen mit seinen mehr als 10.000 Beschäftigten in vier neue Geschäftsbereiche strukturiert, darunter einer allein für den chinesischen Markt. “China ist enorm wichtig für uns, schon durch die Größe des Landes und den rapiden Ausbau der Infrastruktur”, sagt Schell. Chinesische Kunden hätten kein Verständnis für lange Vorlaufzeiten. “Wenn dort ein neues Datencenter gebaut wird, dauert das von der Initiierung bis zur Fertigstellung oft nur ein Jahr.” Entsprechend schnell müsse man Motoren für die Notstromversorgung liefern.
Um flexibler reagieren zu können, forciere man die Produktion vor Ort. Im Herbst weihte Rolls-Royce Power Systems auch einen neuen Motoren-Prüfstand in Suzhou ein. “Früher haben wir Produkte für europäische Bedürfnisse entwickelt und dann nach China exportiert. Das reicht heute längst nicht mehr aus.” Das Unternehmen geht auch Joint Ventures mit chinesischen Partnern ein. Schell setzt auf persönlichen Kontakt – bis zum Beginn der Pandemie reiste er alle paar Wochen nach China, heute geht vieles auch per Video.
Schell rechnet damit, dass bald auch die chinesische Nachfrage nach emissionsarmen Antrieben rasant steigen werde. “Durch die politischen Strukturen können Entwicklungen dort sehr schnell gehen. Wo heute noch konventionelle Motoren erlaubt sind, können schon morgen nachhaltige Lösungen vorgeschrieben sein.” Darauf bereite man sich vor, forsche etwa an wasserstoffbetriebener Stromversorgung.
Bis 2030 will das Unternehmen 35 Prozent seiner CO2-Emissionen einsparen, bis 2050 klimaneutral sein. Heute entstehen beim Einsatz der MTU-Motoren noch gewaltige Emissionen: Über die gesamte Wertschöpfungskette der Produkte hinweg liegen sie bei mehr als 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Zum Vergleich: Der gesamte Ausstoß Deutschlands lag 2021 bei rund 772 Millionen Tonnen. Nun will Schell das Unternehmen transformieren. Wichtige Motoren-Baureihen sollen schon bald einsatzbereit für nachhaltige Kraftstoffe sein. Für ein Schlüsselerlebnis sorgte auch Schells damals 13-jähriger Sohn: Als die Familie gerade erst an den Bodensee gezogen war, stellte der ihm die Frage, wie lang man denn nun dort wohnen bleiben werde: “Ihr beschäftigt euch doch mit Dieselmotoren”, erklärte der Sohn, “das wird doch nicht mehr lange gutgehen.” Das habe ihn wachgerüttelt, sagt Schell. Jan Wittenbrink
an die flächendeckenden Stromausfälle des vergangenen Spätsommers dürften sich viele in China noch erinnern. Millionen saßen im Dunkeln, ganze Fabriken standen still – mit Auswirkungen auf die Lieferketten weltweit. Der Ausbau von Energiespeichern steht daher ganz oben auf der Agenda der chinesischen Führung, um Energiesicherheit zu gewährleisten. Und Peking hat große Pläne, analysiert Nico Beckert. Dennoch ist jetzt schon klar, dass auch Milliardeninvestitionen in der laufenden Energiewende die Netze nicht völlig sicher machen.
Andreas Schell, CEO von Rolls-Royce Power Systems, rechnet damit, dass die chinesische Nachfrage nach emissionsarmen Antrieben rasant steigen werde. “Durch die politischen Strukturen können Entwicklungen dort sehr schnell gehen. Wo heute noch konventionelle Motoren erlaubt sind, können schon morgen nachhaltige Lösungen vorgeschrieben sein”, sagt Schell im Portrait. Dort lesen Sie auch, wie das Unternehmen sich darauf vorbereitet und warum ein Produktionsstandort in China forciert wurde.
Ich wünsche Ihnen viele neue Erkenntnisse!
Wie heikel das Thema Energiesicherheit ist, bekam China im letzten Herbst auf drastische Weise zu spüren: Aufgrund von Engpässen mussten zahlreiche Provinzen den Strom rationieren. Dabei ging nicht nur in Privathaushalten das Licht aus – auch Fabriken standen still. Für Chinas politische Eliten war dies ein Schock und auch ausländische Investoren beobachteten die Lage mit Sorge.
Damit so etwas nicht wieder passiert, macht Peking Energiesicherheit zu einem wichtigen Ziel. Die Energiewende soll aber nicht aufgegeben werden. Im Gegenteil: China möchte seine Stromerzeugungs-Kapazität aus Sonne und Wind bis 2030 auf 1.200 Gigawatt verdoppeln. Kohlestrom soll weiterhin langfristig aus dem Netz gedrängt werden.
Um die Energiewende voranzutreiben und dennoch eine zuverlässige Stromversorgung sicherzustellen, besitzt der Ausbau von Energiespeichern eine essenzielle Bedeutung. Denn China sieht sich mit den gleichen Problemen konfrontiert wie Deutschland: Wind und Sonne liefern mal mehr Energie, als nachgefragt wird, mal herrscht Flaute. Die Folge sind Stromengpässe und ein instabiles Netz. Pumpkraftwerke und Batteriespeicher können die erneuerbaren Energien in Überschuss-Zeiten auffangen und in den sogenannten Dunkelflauten oder bei hoher Stromnachfrage wieder ins Netz speisen.
Beim Ausbau seiner Energiespeicher hat China große Pläne. Die Kapazität der Pumpspeicher soll bis 2025 auf 62 Gigawatt verdoppelt werden. 2030 soll sie bereits bei 120 Gigawatt liegen. Bei dieser Form der Energiespeicher wird Wasser mit überschüssiger Energie in ein Reservoir in höheren Lagen gepumpt. Bei Flaute oder hoher Nachfrage wird das Wasser wieder abgelassen und erzeugt über Turbinen Energie.
Bei den Batterie-Speichern strebt China sogar eine Verachtfachung der derzeitigen Kapazität an. Derzeit verfügt das Land über 3,5 Gigawatt an solchen Speichern, hauptsächlich in Form von Lithium-Ionen-Batterien. Bis zum Jahr 2025 soll die Kapazität auf 30 Gigawatt wachsen. Idealerweise stammt ein Großteil dieser Batterie-Speicher aus ausgedienten E-Auto-Batterien. Dadurch machen die Energiespeicher anderen Sektoren keine Konkurrenz um knappe und teurer werdende Batterie-Rohstoffe. Derzeit haben die chinesischen Behörden allerdings noch Sicherheitsbedenken. Chinas Nationale Energiebehörde hatte infolge einer tödlichen Explosion in einer Batterie-Speicher-Einrichtung zuletzt ein Verbot der Zweitnutzung vorgeschlagen (China.Table berichtete).
Ein Problem für den Ausbau der Energiespeicher könnten allerdings die Kosten sein. Ein Großteil der Verantwortung zum Ausbau von Energiespeichern liegt bei den Erzeugern von erneuerbaren Energien:
Für die Betreiber von Solar- und Windparks bedeutet das zusätzliche Investitionen, die fossile Energieträger nicht mit sich bringen. Und dabei ist der Solar-Sektor schon jetzt von hohen Kosten und geringen Gewinnen geplagt. Betreiber stehen häufig vor dem Problem, dass die Versorger ihre Wind- und Solarparks nur langsam an das Stromnetz anschließen, wie die South China Morning Post berichtet. Ein Industrievertreter beklagt demnach, dass der Markt für Energiespeicher in China “derzeit kein tragfähiges Geschäftsmodell” hat.
Neben der Frage der Kostenverteilung fehlen auch finanzielle Anreize. Chinas System der Stromtarife sieht keine Extra-Vergütungen für Anbieter vor, die in Zeiten hoher Nachfrage Strom liefern. “Damit Pumpspeicherkraftwerke rentabel sein können, sollte der Strompreis während der Spitzenlast mindestens dreimal so hoch sein wie der Niederlasttarif”, sagt Lin Boqiang, Energieexperte und Dekan am China Institute for Energy Policy Studies an der Universität Xiamen gegenüber der SCMP.
Chinas Pläne für Energiespeicher klingen ambitioniert, ihre Dimensionen könnten aber noch immer zu gering sein. Laut Branchenanalysten braucht China bis 2030 bereits Energiespeicher mit einer Kapazität von 200 Gigawatt. “Das 120 Gigawatt-Ziel [für Pumpspeicher] erscheint nicht ambitioniert genug, um die Klimaziele zu erreichen”, sagt ein Analyst.
Der Ausbau der Energiespeicher zeigt, vor welch immensen Herausforderungen Chinas Planer bei der Energiewende stehen. Der Umbau des Energiesystems ist eine Operation am offenen Herzen der chinesischen Volkswirtschaft, bei der die Interessen unterschiedlicher Akteure in Einklang gebracht werden müssen. Die Energiekrise des letzten Jahres hat gezeigt, zu was für drastischen Störungen es kommen kann, wenn die Verantwortung für eine sichere und kostengünstige Stromversorgung auf einzelne Akteure verlagert wird. (China.Table berichtete)
Die EU-Kommission warnt in einem neuen Bericht vor strategischen Abhängigkeiten Europas bei einer Reihe von Rohmaterialien und Technologien. So sei die EU bei Solarpanelen, Permanentmagneten und Magnesium verwundbar, da sie sehr stark auf China angewiesen sei, schreibt die Behörde in ihrer veröffentlichten Untersuchung. Auch bei Cybersicherheitstechnologien und Cloud Computing sieht die Kommission die EU als verletzlich an.
Die neue Analyse soll auch den Ministern beim Wettbewerbsfähigkeitsrat präsentiert werden. Darin stuft die Kommission unter anderem die Schwäche Europas bei Photovoltaik-Technologien als problematisch ein. Der Anteil der EU an der globalen Produktion bei der Produktion von Solarzellen und -Modulen liege hier bei 0,4 bzw. 2-3 Prozent. China sei in allen Stufen der Wertschöpfungskette führend. Angesichts dieser Marktkonzentration sei die Solarindustrie unter Umständen “nicht mehr in der Lage, diese Risiken durch Diversifizierung abzufedern”, so der Bericht. Aus Sicht der Kommission ist das umso problematischer, da die Behörde eine Verdreifachung der Solarenergiegewinnung bis 2030 für nötig hält, um die EU-Klimaziele zu erreichen.
Probleme für den Green Deal sieht die Kommission auch durch Abhängigkeiten bei Seltenen Erden für die Herstellung von Permanentmagneten und bei Magnesium. Letzteres ist als Vorprodukt für die Aluminiumherstellung zentral. Hier kontrolliere China 89 Prozent der Magnesiumproduktion und die gesamte Wertschöpfungskette, so der Bericht. Im vierten Quartal 2021 hätten europäische Unternehmen bereits starke Preisanstiege und Lieferschwierigkeiten verzeichnet. Der Spielraum für eine Diversifizierung sei hier aber, ebenso wie bei den Seltenen Erden, derzeit begrenzt.
Daneben hat die Kommission auch Schwachpunkte bei digitalen Technologien betrachtet. Erhebliche Lücken sieht sie bei Cybersicherheitstechnologien: “Europa verlässt sich teilweise auf internationale Anbieter, um seine Infrastrukturen zu schützen”, so der Bericht. Im Verteidigungssektor werde der Großteil der eingesetzten Hard- und Software in den USA entwickelt und in China hergestellt. “Diese Abhängigkeiten führen zu erheblichen Risiken.” Als Abhilfemaßnahmen verweist die Kommission unter anderem auf geplante Gesetze wie den Cyber Resilience Act und die Revision der Cybersicherheitsrichtline. tho
Unter dem Namen “Polestar 0” plant das gleichnamige Gemeinschaftsunternehmen des schwedischen Automobilherstellers Volvo und seiner chinesischen Mutterfirma Geely einen serienreifen Pkw mit Netto-Null-Emissionen. Das Projekt wurde bereits im April 2021 gestartet. Nun hat Polestar erste Kooperationspartner bekannt gegeben. Darunter sind der deutsche Zulieferer ZF, der schwedische Stahlkonzern SSAB und der norwegische Aluminiumproduzent Hydro, sowie die Unternehmen ZKW und Autoliv. In einem öffentlichen Aufruf auf seiner Internetseite sucht Polestar bis zum 23. März zudem weitere Mitstreiter und Forscher, die sich beteiligen wollen.
Polestar wurde 2017 als Joint Venture von Geely und Volvo gegründet und ist eine reine Elektroauto-Marke. Für den “Polestar 0” will das Unternehmen nicht auf Kompensationszertifikate zurückgreifen, um Emissionen auszugleichen. Stattdessen soll CO₂ im gesamten Produktionsprozess vermieden werden. Das schließt unter anderem die Rohstoffgewinnung, die Materialveredelung und -herstellung sowie den Transport ein.
Das Unternehmen kritisiert eine mangelnde Transparenz in der Automobilbranche. Für Verbraucher sei ein Vergleich der Klimaauswirkungen von Fahrzeugen dadurch fast unmöglich. Ein wesentliches Problem seien die unterschiedlichen Berechnungsmethoden, die von verschiedenen Autoherstellern für Ökobilanzen verwendet werden. Polestar fordert eine Einigung der Branche auf vergleichbare Berechnungsmethoden.
Polestar selbst gibt den CO2-Fußabdruck seiner Fahrzeuge genau an. Demnach verlässt ein neuer Polestar 2 die Fabrik mit einer CO2-Bilanz von 26 Tonnen. Schuld an der schlechten Energiebilanz des E-Autos ist die Batterie. Beim Volvo XC40, einem vergleichbaren Modell mit Verbrennungsmotor, ist der Fußabdruck in der Produktion geringer. Nach 50.000 Kilometern Fahrt wird das Elektroauto gegenüber dem Verbrenner allerdings klimafreundlicher. jul
Chinas Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) und die Nationale Energiebehörde (NEA) haben vergangene Woche einen Plan für die Energiewende der Volksrepublik vorgelegt. Das Dokument ist als Fahrplan für die Bemühungen des Landes zur Dekarbonisierung seines Energiesystems zu verstehen. Es enthält zahlreiche Implementierungsmaßnahmen, aber keine neuen Ziele oder Quoten zur Reduktion der Emissionen des Energiesektors oder zum Anteil bestimmter Energieträger. Es zählt zu den wichtigen Sektorplänen des Landes zur Erreichung der Klimaziele. Der Plan umfasst alle Aspekte des Energiesystems, von der Erzeugung, über den Transport, des Handels und des Verbrauchs.
Die Beratungsagentur Trivium China hat vier Hauptziele des Plans ausgemacht:
Das Dokument schreibt dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energiesicherheit eine große Rolle zu. Zwar sollen fossile Kraftwerke schrittweise durch erneuerbare Stromquellen ersetzt werden. Doch um Energiekrisen zu verhindern, soll die “saubere” und “effiziente” Nutzung fossiler Energieträger verbessert und ein “Mechanismus zur Sicherung des Energie-Angebots” implementiert werden. Fossile Brennstoffe sollten erst dann ersetzt werden, wenn die Versorgung mit erneuerbaren Energien “zuverlässig” ist. Das Dokument lässt hier also einiges an Interpretationsspielraum. Die vorsichtigen Formulierungen dienen auch dazu, voreilige Provinz-Gouverneure zu bremsen, die die Energiewende in der Vergangenheit “kampagnenartig” umgesetzt haben – also zu forsch vorgegangen sind und in Pekings Lesart die Energiesicherheit Chinas gefährdet haben.
Der Plan sieht zudem vor, die Nutzung grüner Energie im Industrie-, Bau- und Transportgewerbe zu erhöhen. Der Strommarkt soll weiter liberalisiert und auf nationaler Ebene vereinheitlicht werden. Damit könnten Marktverzerrungen aufgelöst werden, die große Stromkonsumenten davon abgehalten haben, grünen Strom einzukaufen, so Trivium. nib
Seit Beginn des Jahres haben chinesische Behörden fünf neuen großen Kohlekraftwerken die Baugenehmigung erteilt. Die Kraftwerke sollen eine Vielzahl kleinerer, weniger effizienter Kohlekraftwerke ersetzen, die in den letzten Monaten vom Netz gegangen sind, wie Carbon Brief berichtet. Demnach wurden im zweiten Halbjahr 2021 allein in der Provinz Shandong 141 kleine Kohlekraftwerke abgeschaltet, die oft eine Kapazität von weniger als 50 Megawatt hatten. Die neuen Kraftwerke sollen in den folgenden Provinzen gebaut werden:
Bei allen Projekten sollen effiziente Anlagen zum Einsatz kommen, die im Vergleich zu älteren Anlagen Energie und Kohle sparen würden.
Gleichzeitig hat sich der chinesische Staatsrat am Montag für eine Ausweitung der Kohleproduktion ausgesprochen. Das Kohleangebot soll erhöht werden und die Kraftwerke mit voller Kapazität arbeiten, um mehr Strom zu erzeugen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua vermeldete. Das soll den Strombedarf für die Industrie und den privaten Verbrauch garantieren.
Schon vor der Entscheidung des Staatsrats hat die Energiesicherheit auf Pekings Agenda neue Relevanz bekommen. China kann sich im Jahr der voraussichtlichen Wiederwahl Xi Jinpings keine erneute Energiekrise leisten. “Ich denke, Li Keqiangs Rede zur Kohle hat mit der Sorge um die “Energiesicherheit” zu tun und der Sorge, dass es nach dem Frühlingsfest zu einer weiteren Energiekrise kommen könnte“, schreibt die Energie-Analystin Liu Hongqiao auf Twitter. Chinas Sorge um die Energiesicherheit verlangsame den Kohleausstieg, so Liu. nib
China National Offshore Oil (CNOOC) wird 13 Milliarden US-Dollar in die Sicherung der Öl- und Gasversorgung des Landes investieren. Das geht aus einem Bericht des größten chinesischen Offshore-Öl- und -Gasbohrunternehmens hervor, wie Bloomberg berichtet. Das Unternehmen hat Verträge in dieser Höhe mit zwölf internationalen Konzernen abgeschlossen. Vier dieser Verträge beinhalten den Ausbau der Ölförderung vor den Küsten Chinas. Zu den Partnern gehören demnach Firmen wie Total Energies SE und Conoco Phillips. Weitere Verträge umfassen Öl- und Flüssigerdgas-Lieferungen aus Kuwait und den USA.
CNOOC will seine Produktion in diesem Jahr um bis zu 40 Millionen Barrel Erdöl steigern, so Bloomberg. Auch die beiden größeren nationalen Ölproduzenten, Petrochina und Sinopec, wollen die Förderung ausbauen. Das Ziel ist es, die Energiesicherheit des Landes zu garantieren. Peking hat dem Thema der sicheren Energieversorgung nach der Energiekrise des letzten Jahres neue Priorität auf der politischen Agenda eingeräumt. nib
Wenn Andreas Schell heute vor schwierigen Situationen steht, denkt er zurück an den vergangenen Herbst. Damals rannte der CEO des Motorenherstellers Rolls-Royce Power Systems durch die marokkanische Wüste, absolvierte bei einem Ultramarathon fast 250 Kilometer in einer Woche. “Von dem Gefühl, meine Grenzen überwunden zu haben, zehre ich bis heute”, sagt Schell. Einen langen Atem braucht der 52-Jährige auch bei der Transformation seines Unternehmens, hinter dem sich die Friedrichshafener Traditionsmarke MTU verbirgt. Seit 2014 gehört sie komplett zum britischen Konzern Rolls-Royce.
Als Schell 2017 an den Bodensee wechselt, hat er bereits eine Karriere mit Führungspositionen bei verschiedenen internationalen Unternehmen hinter sich. “Innovative Technologien haben mich immer interessiert”, sagt der Maschinenbauingenieur. Beim Autobauer Daimler beschäftigt er sich früh mit alternativen Antrieben, ab 2002 arbeitet er beim damaligen Daimler-Partner Chrysler in den USA. Später wechselt er in die Luftfahrtindustrie.
Als das Angebot von Rolls-Royce Power Systems kommt, schlägt er zu: Seine in den USA aufgewachsenen Söhne sollen das Heimatland ihrer Eltern kennenlernen – und die Marke MTU hat für Schell eine große Strahlkraft. Ihn begeistert der hohe Anspruch an die Produkte, sagt er. Motoren von MTU treiben große Fähren an, sind unter widrigen Bedingungen im Bergbau im Einsatz oder sichern die Stromversorgung von Krankenhäusern. “Wir liefern in systemrelevante Industrien, da können wir uns keinen Ausfall erlauben.”
Einer der wichtigsten Wachstumsmärkte ist China. Unter Schells Führung wurde das Unternehmen mit seinen mehr als 10.000 Beschäftigten in vier neue Geschäftsbereiche strukturiert, darunter einer allein für den chinesischen Markt. “China ist enorm wichtig für uns, schon durch die Größe des Landes und den rapiden Ausbau der Infrastruktur”, sagt Schell. Chinesische Kunden hätten kein Verständnis für lange Vorlaufzeiten. “Wenn dort ein neues Datencenter gebaut wird, dauert das von der Initiierung bis zur Fertigstellung oft nur ein Jahr.” Entsprechend schnell müsse man Motoren für die Notstromversorgung liefern.
Um flexibler reagieren zu können, forciere man die Produktion vor Ort. Im Herbst weihte Rolls-Royce Power Systems auch einen neuen Motoren-Prüfstand in Suzhou ein. “Früher haben wir Produkte für europäische Bedürfnisse entwickelt und dann nach China exportiert. Das reicht heute längst nicht mehr aus.” Das Unternehmen geht auch Joint Ventures mit chinesischen Partnern ein. Schell setzt auf persönlichen Kontakt – bis zum Beginn der Pandemie reiste er alle paar Wochen nach China, heute geht vieles auch per Video.
Schell rechnet damit, dass bald auch die chinesische Nachfrage nach emissionsarmen Antrieben rasant steigen werde. “Durch die politischen Strukturen können Entwicklungen dort sehr schnell gehen. Wo heute noch konventionelle Motoren erlaubt sind, können schon morgen nachhaltige Lösungen vorgeschrieben sein.” Darauf bereite man sich vor, forsche etwa an wasserstoffbetriebener Stromversorgung.
Bis 2030 will das Unternehmen 35 Prozent seiner CO2-Emissionen einsparen, bis 2050 klimaneutral sein. Heute entstehen beim Einsatz der MTU-Motoren noch gewaltige Emissionen: Über die gesamte Wertschöpfungskette der Produkte hinweg liegen sie bei mehr als 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Zum Vergleich: Der gesamte Ausstoß Deutschlands lag 2021 bei rund 772 Millionen Tonnen. Nun will Schell das Unternehmen transformieren. Wichtige Motoren-Baureihen sollen schon bald einsatzbereit für nachhaltige Kraftstoffe sein. Für ein Schlüsselerlebnis sorgte auch Schells damals 13-jähriger Sohn: Als die Familie gerade erst an den Bodensee gezogen war, stellte der ihm die Frage, wie lang man denn nun dort wohnen bleiben werde: “Ihr beschäftigt euch doch mit Dieselmotoren”, erklärte der Sohn, “das wird doch nicht mehr lange gutgehen.” Das habe ihn wachgerüttelt, sagt Schell. Jan Wittenbrink