die Woche der Eröffnung der Olympischen Winterspiele beginnt. Am Freitagabend werden die teilnehmenden Nationen in das Bird’s Nest in Pekings Norden einlaufen. Wenige Tage vor der Eröffnungszeremonie ploppen jedoch auch in der hochgradig abgeriegelten Olympia-Blase immer mehr neue Corona-Fälle auf. Offizielle rechnen mit einem weiteren Anstieg bis Ende der Woche.
Wir werfen derweil einen Blick auf die Medaillen-Hoffnungen der Volksrepublik. Medaillen-Siege holen Chinas Sportler seit Jahren im Short Track und Ski-Freestyle. In diesen Disziplinen haben sie auch dieses Mal Chancen, analysiert unsere Autorin Christiane Kühl. In der Loipe, im Eiskanal oder auf der Skisprungschanze sieht es für China aber weniger erfolgversprechend aus.
Erfolg in einer anderen Art und Weise erhofft sich die EU-Kommission. Mit ihrer neuen Standardisierungs-Strategie will sie Europa einen Vorsprung gegenüber China verschaffen. Das Papier soll diese Woche vorgestellt werden. Die Stoßrichtung der Vorschläge zeichnet sich bereits klar ab, schreibt Till Hoppe: Normen und Standards soll künftig europäischer, strategischer und zugleich schneller definiert werden – und schaut dabei auch Dinge bei Peking ab.
Im Interview erklärt der Schweizer Anwalt Adrian Emch die Irrungen und Wirrungen des chinesischen Kartellrechts. Emch ist einer der führenden Experten in China für europäisches und chinesisches Regulierungsrecht. Er ist sich sicher: Dass das “Kartellrecht eines der wichtigsten Instrumente ist, mit dem die Behörden derzeit vorgehen.” Die harte Regulierungswelle gegenüber Tech-Unternehmen hat ihn nur wenig überrascht.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche!
Vor ein paar Jahren tauchten auf einmal chinesische Sportler in Norwegen auf. Sie hatten bis dato in Disziplinen von Trampolin, Langstreckenlauf oder Kajak trainiert. Aber nun lernten sie ganz andere Dinge: Skispringen, Langlauf oder Biathlon im Schnee. Ein Video von 2018 zeigten kichernde Teenager, die zum ersten Mal in ihrem Leben von einer Kinderschanze herunterfahren, Ski über Kreuz und gefolgt von einer Bruchlandung auf grünen Matten. Jubel gibt es für die erste Springerin, die eine Landung steht, Ex-Trampolinspringerin Zhai Yujia.
2019 ist die ursprüngliche Gruppe von 22 auf zehn Hoffnungsträger geschrumpft. “Der Auswahlprozess war brutaler, als wir erwartet hatten”, sagte damals Trainer Kjetil Strandbraaten. Eines der Auswahlkriterien: Die ersten Testsprünge der Gruppe im Schnee. Zhai Yujia durfte bleiben. “Ich fühle mich stabiler in allen Aspekten. Und fühle mich gut beim Springen”, sagte sie hinterher. Ihrer Mutter erzählt sie im Videocall: “Oben zu sitzen macht mir mehr Angst als das Springen selbst.” Auch die Ex-Sprinterin Sun Jing durfte bleiben – obwohl sie sich 2018 bei einem Sturz den Arm gebrochen hatte und länger pausieren musste. Denn die Trainer zeigten sich im Video beeindruckt von Suns Entschlossenheit. Aus den Olympiaträumen der beiden aber wurde vorerst nichts. Sie gehören nicht zu den zwei Damen und einem Herren, die nun für China beim Skispringen antreten.
Die harte Aufbauarbeit des Skispringens muss China auch in Disziplinen duplizieren. In vielen Sportarten fehlt dem Land die Expertise zum Aufbau international wettbewerbsfähiger Teams. Also heuerte China eine Vielzahl erfahrener ausländischer Trainer an, die in China mit Athleten arbeiten. Und es schickte eben seit 2017 Hunderte junger Menschen ins Ausland, um in Elite-Einrichtungen mit Weltklasse-Trainern Langlauf, Biathlon oder eben Skispringen zu lernen. Die meisten von ihnen kamen aus ganz anderen Sportarten und standen zu Beginn des Programms das erste Mal auf Skiern. Mit 15 Wintersportländern schloss China solche Abkommen zur Ausbildung chinesischer Sportler an ihren nationalen Trainingszentren, darunter auch Finnland und Österreich.
In Pyeongchang holte China 2018 nur neun Medaillen und lag am Ende auf Rang 16 der Nationenwertung. Das einzige Gold gelang Wu Dajing auf 500 Meter Short Track, dem rasanten Rennen gegeneinander auf einer kurzen Eisbahn ohne Spuren. Zehn der 13 bisher in der Geschichte der Winterspiele von China gewonnenen Goldmedaillen errang das Land in dieser Disziplin. Olympiasieger Wu Dajing wird auch 2022 wieder antreten, als einer von zehn im Team. Er gehört zu den wenigen Medaillenkandidaten Chinas.
Im Short Track sind die Aussichten auf Edelmetall generell am besten: Chinas Kufenflitzer holten seit 2002 bei allen Winterspielen Medaillen, in Vancouver 2010 sogar vier. Eis ist generell ein gutes Terrain für Chinas Athleten. Im Eisschnelllauf gab es seit 2006 immer eine Medaille, nicht zuletzt dank der Kooperation mit Trainern aus der Eisschnelllauf-Großmacht Niederlande. Guo Dan (Massenstart Frauen) oder Ning Zhongyan (1.500 Meter Männer) kommen für Edelmetall infrage. Im Eiskunstlauf fiel in diesem Jahrtausend 2014 gar kein Podestplatz für die Chinesen ab. 2018 verlor das zweimalige Weltmeisterpaar Sui Wenjing und Han Cong im Paarlaufen hauchdünn gegen die deutschen Gold-Gewinner Aljona Savchenko und Bruno Massot. Sui und Han wollen nun dieses Mal endlich Gold holen. Außenseiterchancen werden auch Chinas Curling-Damen eingeräumt.
Erfolg verspricht sich China auch beim Ski-Freestyle, wo es 2018 drei Medaillen gab. Freestyle umfasst gleich mehrere Action-Sportarten auf Skiern: Buckelpiste, Skicross, Slopestyle, Halfpipe oder Aerials. Während Skicross ein Rennen mehrerer Fahrer gegeneinander auf einer einzigen Piste ist, gibt es bei den anderen Disziplinen Punkte für Schwierigkeit, Perfektion oder Weite teils hoch akrobatischer Sprünge. Bei den spektakulären Aerials (Skiakrobatik) springen die Athleten über eine Schneeschanze und vollführen Saltos, Drehungen und Grätschen. Alle Freestyle-Medaillen von 2018 holte China in den Aerials. Dieses Jahr gelten Xu Mengtao und Kong Fanyu bei den Frauen, sowie bei den Männern Sun Jiaxu und Jia Zongyang als Medaillenanwärter. Jia hatte 2018 Silber geholt.
Doch 2022 hat China auch große Chancen in der Ski-Halfpipe – nicht zu verwechseln mit der ebenfalls olympischen Snowboard-Halfpipe. Denn dort ist die gebürtige Amerikanerin Eileen Gu das Maß aller Dinge. Die 18-Jährige tritt nun für China an, wie sie es bereits vor einiger Zeit bekannt gegeben hatte. Beim Actionsportfestival X Games im US-Skiresort Aspen räumte Gu Anfang Januar gleich drei Titel ab. Neben der Halfpipe gewann sie auch die Aerials und Slopestyle. Dabei stürzen sich die Athleten mit Spezialskiern einen Hang voller Hindernisse herunter, die einem urbanen Skatepark ähneln. Gu wird in Peking bei allen drei Disziplinen antreten. Medaillen sind fest eingeplant.
Doch damit erschöpfen sich bereits die realen Medaillenhoffnungen. Im Eiskanal, auf der Schanze oder der Loipe spielte China bislang international kaum eine Rolle. Immerhin sorgte die langjährige Arbeit mit ausländischen Trainerteams 2021 zumindest für einzelne Überraschungserfolge in Disziplinen, in denen China zuvor nie aufgefallen war. So geschehen etwa beim Skeleton-Weltcup in Innsbruck: Da fand sich Geng Wenqiang zu Beginn der aktuellen Saison plötzlich gemeinsam mit zwei anderen Startern auf Platz Eins wieder. Der chinesische Zweierbob der Frauen landete im Weltcup kürzlich überraschend auf Rang sechs. Und der Biathlet Cheng Fangming erreichte vor allem aufgrund guter Schießleistungen den zwölften Platz beim Sprint des kürzlichen Weltcup-Wochenendes in Oberhof. Sie alle treten in Peking an.
Einige ihrer Trainer waren einst selbst Legenden ihrer Sportart. Chinas Biathleten etwa werden trainiert von den früheren Biathlon-Stars Ole Einar Björndalen und Darja Domratschewa. Der deutsche Rekord-Olympiasieger im Bob, André Lange, coacht Chinas Bob-Mannschaft. Schwierig ist der Job trotzdem: Bob, Skeleton und vor allem Rodeln sind technisch äußerst anspruchsvolle Sportarten, bei denen es auch immer wieder Unfälle gibt. Beim Biathlon fehlt den Athleten noch die Schnelligkeit in der Loipe. Auch chinesische Langlaufstars gibt es nicht.
Beim Eishockey entging China derweil nur knapp einer Blamage. Der Gastgeber nimmt traditionell immer am Wettbewerb teil. Doch der Eishockey-Weltverband IIHF zweifelte an der Leistungsfähigkeit der chinesischen Herren-Nationalmannschaft und dachte ernsthaft darüber nach, das Land wegen drohender zweistelliger Pleiten aus dem Turnier zu nehmen. Erst im Dezember gab der Verband grünes Licht, nachdem man zwei Spiele der Mannschaft von Kunlun Red Star beobachtet hatte, die coronabedingt in der ersten russischen Liga spielten. Gemeldet wurde nun ein Kader, der ausschließlich aus Kunlun Red Star-Spielern besteht.
Und auf der Schanze? “Wir stehen kurz vor großen Durchbrüchen im Skispringen”, sagte Skisprung-Teamchef Xu Gaohang kürzlich der China Daily. Neben den drei Einzelathleten bemühe man sich immer noch um einen Qualifikationsplatz im Team-Event. Die Aussichten der Springer aber sind ungewiss. Immerhin setzte der 20-jährige Song Qiwu aus Sichuan diesen Monat einem Trainingssprung in Chinas Skisprungbasis Laiyuan in Hebei eine Duftmarke: Er sprang mit einer beachtlichen Weite von 141,5 Metern Chinas neuen Großschanzen-Rekord. Beachtlich war das vor allem für jemanden, der bis 2018 Hürdenläufer gewesen war.
Laiyuan verfügt über zwei Sprungschanzen und einen Windkanal, der laut China Daily der größte der Welt ist. Er kann Wind aus drei Richtungen und Windböen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Metern pro Sekunde erzeugen. “Der größte Vorteil des Trainings im Windkanal ist, dass wir sofort die Unterschiede verschiedener Körperhaltungen gegen den Strom spüren und uns entsprechend anpassen können”, erzählte Song China Daily. Wichtig für Athleten, die sich nicht regelmäßig in Wettkämpfen messen können. Wegen Corona nahmen Chinas Springer nur an ganz wenigen internationalen Wettkämpfen teil.
Das gilt auch für Dong Bing und die gerade 17-jährige Peng Qingyue, die bei den Damen antreten. Dong Bing immerhin gelang bei einem dieser Auftritte, dem Weltcup im sächsischen Klingenthal im Herbst Platz 21. Dong und Peng gehören außerdem zu den wenigen Olympioniken, die bereits die Olympiaschanze getestet haben. Beim Continental Cup – quasi der zweiten Liga des internationalen Skisprung-Zirkus – im Dezember wurde Dong Zweite, Peng vierte. Clas Brede Braathen, Sportchef des norwegischen Skiverbands und damals Leiter des China-Projekts, sagte 2018 zuversichtlich: “Ich glaube, wir können einen olympischen Athleten formen. Aber am wichtigsten wäre es eigentlich, eine Skisprungkultur für die Chinesen zu schaffen. Das wäre großartig.”
Beim Setzen von technischen Normen und Standards ist Europa noch immer eine Großmacht. Die im Industriezeitalter begründete Dominanz aber bröckelt zusehends: Im Rahmen der Internationalen Organisation für Normung (ISO) habe Europa in jüngerer Zeit etwa bei der Vergabe der Sekretariate für Quantencomputing, für Augmented Reality, für Brain-Computer-Interface oder für Lithium “in die Röhre geguckt”, sagte der Grünen-Industriepolitiker Reinhard Bütikofer.
Besonders China arbeitet gezielt daran, seine gewachsene wirtschaftliche Bedeutung in die internationalen Normierungsorganisationen zu übertragen und so seinen Unternehmen einen Vorsprung bei neuen Technologien zu ermöglichen (China.Table berichtete). Die EU-Kommission sieht die Gefahr und will reagieren: Am kommenden Mittwoch legen Vizepräsidentin Margrethe Vestager und Binnenmarktkommissar Thierry Breton deshalb die neue Standardisierungsstrategie der Staatengemeinschaft vor.
Das Papier selbst ist noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, aber die Stoßrichtung der Vorschläge zeichnet sich bereits klar ab: Normen und Standards soll künftig europäischer, strategischer und zugleich schneller definiert werden.
So will die EU-Kommission sicherstellen, dass der Einfluss chinesischer oder US-amerikanischer Unternehmen in der Normungsorganisation ETSI zurückgedrängt wird. In der Behörde gibt es erhebliche Sorgen, dass ausländische Konzerne wie Huawei über zu viel Gewicht in der für Telekommunikationsnormen zuständigen Organisation verfügen. Denn dort bemessen sich die Stimmrechte in den Gremien an der Höhe der Mitgliedsbeiträge. Das begünstigt Großunternehmen, die aber in dem Sektor ganz überwiegend aus den USA und Asien kommen.
Die Kommission will dem entgegenwirken: Experten aus den nationalen Normungsorganisationen der EU-Staaten sollen mehr Einfluss in den ETSI-Gremien bekommen, wie es in Brüssel heißt. Dafür werde die Kommission eine Anpassung an der Standardisierungsverordnung vorschlagen.
Die Strategie dürfte überdies empfehlen, den bisherigen “Bottom-Up”-Ansatz in Europa ein Stück weit aufzugeben. Seit Jahrzehnten handeln Industrievertreter hier in den Normungsgremien technische Spezifikationen und Verfahren aus, weitgehend unbehelligt von der Politik. Künftig aber sollen Kommission, Mitgliedstaaten und Industrie gemeinsam Schlüssel-Technologien wie etwa grünen Wasserstoff identifizieren und dort frühzeitig Normungsprojekte anstoßen, die möglichst in den internationalen Gremien auch von europäischen Experten geleitet werden.
Fachleute halten den Vorstoß für mehr politischen Einfluss für richtig: In China werde die Normung sehr strategisch angegangen, sagt Sibylle Gabler, Leiterin der Regierungsbeziehungen beim Deutschen Institut für Normung (DIN). “In Deutschland und Europa sollten wir dies ebenfalls machen.” Für Bütikofer wird der Maßstab für den Erfolg der neuen Standardisierungsstrategie sein, “ob es gelingt, die Kooperation zwischen Industrie und Politik effizienter zu gestalten”.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) bewertet es nach eigenen Angaben positiv, dass die Europäische Kommission die strategische Bedeutung der Normung erkannt hat. Aber: “Leider konzentriert sich ihr Interesse aber fast ausschließlich auf die Rolle der Normung im Zusammenhang mit Zukunftstechnologien und Innovationen”, teilte der Verband gegenüber China.Table mit. Die Normung des EU-Binnenmarkts falle dabei zurück, kritisiert der Verband. Von der neuen EU-Strategie erhofft sich der VDMA unter anderem eine bessere Einbindung der Industrie und eine bessere “europäische Koordination in Normungsfeldern mit potenzieller geopolitischer Bedeutung”.
Auch der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) zeigt sich offen, den etablierten Ansatz marktgetriebener Normen mit einem “politisch-strategischen Top-Down-Ansatz” zu verbinden. “Dazu muss ein kontinuierlicher Austausch zwischen EU-Kommission, Mitgliedstaaten, Europäischen Normungsorganisationen und Industrie initiiert werden”, schrieb Jochen Reinschmidt, Abteilungsleiter Innovationspolitik beim ZVEI, jüngst in einem Beitrag für Europe.Table.
Die Industrie fordert in dem Zusammenhang auch mehr finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite. Mitarbeiter gerade in die internationalen Normungsgremien zu entsenden, sei für die Unternehmen teuer. Die Standardisierung solle daher als Teil der Innovationspolitik verstanden werden und die aktive Beteiligung entsprechend steuerlich gefördert werden, so der ZVEI. Die Kommission scheint dafür offen zu sein.
Die Brüsseler Behörde will zudem die Normungsprozesse beschleunigen. Momentan brauche man zu lange, sagt ZVEI-Präsident Gunther Kegel: “Wir werden dann im Normenwettkampf von den Amerikanern, oder, viel schlimmer noch, von den Chinesen aus dem Rennen geworfen”. Gerade bei der Normung auf europäischer Ebene, in den Organisationen CEN und CENELEC, müssten eine Vielzahl von Akteuren einbezogen werden.
Kegel sieht aber auch die EU-Kommission selbst in der Verantwortung: Diese habe mit den sogenannten Harmonised Standards Consultants (HAS) eine weitere Ebene geschaffen, die die Prozesse noch weiter verlängerten. Die HAS-Consultants prüfen im Auftrag der Kommission, ob von CEN und Co beschlossene Normen mit dem ursprünglichen Auftrag der Behörde und dem einschlägigen EU-Recht vereinbar sind.
Die EU-Kommission sichert sich so ab, in dem sie die fertigen Normen durch externe Fachberater noch einmal überprüfen lässt. Das aber ziehe den Prozess weiter in die Länge, kritisiert Kegel. Daher versuche man die Kommission davon zu überzeugen, dass die HAS-Consultants von Beginn an in den Normungsprozess eingebunden würden.
Daneben dürfte die EU-Kommission noch ein sogenanntes “Non Paper” vorlegen, das von nationalen Organisationen wie DIN sehr kritisch beäugt wird: Es zielt auf gemeinsame Spezifikationen (“common specifications”), die von der Kommission zunehmend als Alternative zu Standards und Normen genutzt werden. So legt die Brüsseler Behörde etwa im Rahmen der Medizinprodukterichtlinie oder der Batterieverordnung technische Spezifikationen fest, die Produkte für die Marktzulassung erfüllen müssen. Sie verweist zur Begründung darauf, dass dort noch keine harmonisierten Normen existierten.
DIN und Co aber wittern darin den Versuch der Kommission, tief in ihr Territorium einzudringen. “Die Kommission sollte nicht versuchen, über Common Specifications ein Parallelsystem zu den existierenden Normierungsorganisationen zu etablieren”, sagt DIN-Vertreterin Gabler. “Das würde die Gefahr bergen, dass ein bewährtes System zerfranst und neue Spezifikationen im Widerspruch zu vorhandenen Normen stehen.” Mitarbeit: Amelie Richter
Herr Emch, wie stark ist in China die Vorstellung verankert, dass Marktbeherrschung schlecht für den Wettbewerb ist?
Nur sehr wenige der einheimischen Unternehmen in China hatten in der Vergangenheit die Einhaltung des Kartellrechts auf dem Radar. Ein großes chinesisches Staatsunternehmen erzählte uns vor ein paar Jahren erstaunlicherweise gar, das chinesische Kartellrecht gelte nur für ausländische Unternehmen. Für solche Unternehmen ging es in dieser Phase eben nur um Wachstum um jeden Preis. Die vielen Behördenuntersuchungen und nicht zuletzt die in den vergangenen beiden Jahren herausgegebenen Kartellrichtlinien zwingen die chinesischen Unternehmen nun, umzudenken.
Kam die harte Regulierungswelle gegenüber den Tech-Unternehmen für Sie überraschend?
Nein. Die chinesische Spitzenpolitik hat öffentlich sichtbar vorab signalisiert, dass sie ein größeres Augenmerk auf die verstärkte Durchsetzung des Kartellrechts setzen wird. Am 11. Dezember 2020 gab es dazu ein Treffen unter dem Vorsitz von Präsident Xi Jinping, bei dem sogar erklärt wurde, die Verstärkung der Anti-Monopol-Bemühungen sei eine der wichtigsten Aufgaben für China im Jahr 2021. Spätestens von da an war klar, wohin die Reise gehen würde. Zwei Wochen später, am 24. Dezember 2020, wurde dann bekannt, dass gegen Alibaba wegen Kartellverstößen ermittelt wird. Am 10. April 2021 wurde der Beschluss über eine Geldbuße von rund 2,4 Milliarden Euro gegen das Unternehmen erlassen.
Aber es blieb nicht bei Alibaba.
Ja, das war nur der Anfang. Am 8. Oktober 2021 wurde zum Beispiel eine Geldstrafe in Höhe von 463 Millionen Euro gegen den Online-Lebensmittellieferanten Meituan wegen eines ähnlichen Verhaltens verhängt. Einige Wochen zuvor betonte Präsident Xi während einer Sitzung des Politbüros erneut, wie wichtig es sei, wettbewerbswidriges Verhalten von Online-Plattformen verhindern zu wollen und den Wettbewerbshütern dazu mehr Unterstützung zu geben. Er hob die Notwendigkeit hervor, monopolistisches und unlauteres Wettbewerbsverhalten verstärkt zu untersuchen und zu sanktionieren.
Es geht also weiter?
Anhand dieser Entwicklungen können wir zumindest erkennen, dass das Kartellrecht eines der wichtigsten Instrumente ist, mit dem die Behörden derzeit vorgehen. Das Kartellrecht liegt an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Recht und Politik und ermöglicht einen tiefen Einblick in das, was in China im Allgemeinen vor sich geht – chinesische Wirtschaftspolitik “en miniature” gewissermaßen, die den großen Trend abbildet. Deshalb ist es so spannend.
Geht es der Zentralregierung nicht auch darum, das Kartellrecht zu benutzen, um ihre Macht über die Wirtschaft zu festigen und auszubauen?
Auch das spielt eine Rolle, aber es ist in Wirklichkeit doch etwas komplexer. Es geht eben doch auch um ein fortschrittliches Wettbewerbsrecht, also um die Sicherung des fairen marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Der Zentralstaat steht deshalb sogar dem Wettbewerb zwischen den chinesischen Wettbewerbsbehörden auf regionaler Ebene nicht entgegen. In den vergangenen Monaten waren Chinas Wettbewerbsbehörden mit der Ausarbeitung von Richtlinien für die Einhaltung von Kartellvorschriften beschäftigt. Mehrere Provinzbüros der chinesischen Wettbewerbsbehörde – in Englisch unter dem alten Namen “State Administration for Market Regulation” (SAMR) bekannt – haben nicht etwa gemeinsame, sondern jeweils ihre eigenen, sich teils widersprechenden, aber auch ergänzenden Leitlinien zur Einhaltung des Kartellrechts veröffentlicht. Zuletzt haben die lokalen AMRs in Shaanxi, Jiangsu und Ningxia am 19. November, 22. September und 7. September 2021 ihre jeweiligen Richtlinien bekannt gegeben. Inzwischen hat sich die Zentralbehörde unter einem neuen Namen – National Anti-Monopoly Bureau (AMR) – neu konfiguriert.
Das klingt sehr unübersichtlich. Wie viele Richtlinien gibt es denn nun?
Ich würde das nicht als unübersichtlich bezeichnen, sondern eher vielfältig. Mit diesen drei neuen Richtlinien erhöht sich die Gesamtzahl der Richtlinien regionaler AMRs, einschließlich der AMRs von Städten unter direkter Verwaltung wie Peking und Shanghai auf erstaunliche 18. Einige dieser lokalen AMRs haben sogar mehr als eine Richtlinie herausgegeben. So hat Shanghai beispielsweise bereits im Dezember 2019 einen allgemeinen Leitfaden zur Einhaltung der Kartellvorschriften herausgegeben und im November 2020 mit einem lokalen “Standard” für die Einhaltung der Kartellvorschriften noch einmal nachgelegt. Also durchaus bevor die Zentralregierung das Thema gewissermaßen scharf gestellt hat.
Wie unterscheiden sich die Regelungen?
Es gibt sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten. Zwei Aspekte will ich herausgreifen. Anhand einiger besonderer Formulierungen und Inhalte lässt sich erkennen, dass einige Richtlinien von anderen “inspiriert” sind. Und gemeinsam ist ihnen, dass sie sich sowohl auf das materielle Kartellrecht als auch auf Verfahrensaspekte konzentrieren, also darauf, wie wirksame Compliance-Systeme zur Einhaltung der Kartellvorschriften in Unternehmen eingerichtet werden können. Allerdings unterscheidet sich das Ausmaß, mit welchen sich die verschiedenen Leitlinien auf das materielle Recht im Gegensatz zu Verfahrensfragen (oder umgekehrt) konzentrieren, erheblich.
Welche Bedeutung haben die neuen Regelungen für ausländische Unternehmen?
Für die meisten deutschen und anderen ausländischen Unternehmen sind die Empfehlungen in den Richtlinien zur Einrichtung eines Kartellrechts-Compliance-Systems nicht von zentraler Bedeutung, da die meisten Unternehmen schon funktionierende Compliance-Prozesse haben. Indirekt wird sich dieser Wandel allerdings schon auswirken. Wenn die lokalen Partner mehr Gewicht auf die Einrichtung von Kartellrechts-Compliance legen, bedeutet dies, dass die Joint Ventures mitziehen müssen. Deswegen müssen auch die westlichen Unternehmen in diesen Fragen genau Bescheid wissen.
Um was geht es dabei?
Es geht um die Einrichtung eines Systems zur Identifizierung, Bewertung und anschließenden Handhabung von Kartellrisiken. Dazu gehören spezifische Maßnahmen wie die Einrichtung einer Compliance-Abteilung, die Verpflichtung der obersten Führungsebene zur Einhaltung der Kartellvorschriften, regelmäßige Berichterstattung oder Schulungen.
Und wie findet man sich als Unternehmen in diesem Regulierungswirrwarr zurecht?
Als Teil von präventiven Bemühungen bieten viele der lokalen AMRs in ihren Richtlinien Konsultationsmechanismen an. Der Grundgedanke ist, dass sich ein Unternehmen an die lokale AMR wenden und fragen kann, ob bestimmte Verhaltensweisen, die es an den Tag gelegt hat oder zu legen beabsichtigt, mit dem Kartellrecht in Einklang stehen.
Ist das nicht ein wenig riskant, auf diese Weise die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Mancherorts kann die Konsultation nicht nur direkt im Namen des Unternehmens erfolgen, sondern eventuell auch anonym zum Beispiel durch externe Anwälte. In der Regel wird die konsultierte Behörde nicht auf Grundlage der Informationen tätig, die sie während der Konsultation erhält. Tätig würde sie erst dann werden, wenn sie dieselben Informationen aus einer anderen Quelle, zum Beispiel von einem Beschwerdeführer, erhielte.
In der Regel sagen Sie: Da ist allerdings schon ein gewisses Grundvertrauen in die Behörden nötig, um sich im eigenen Namen zu melden.
Das ist sicherlich richtig. Allerdings sind die Erfahrungen bei der Konsultierung lokaler AMRs, die wir mit unseren Mandanten gemacht haben, bisher positiv ausgefallen.
Warum muss jede Provinz ihre eigene Richtlinie zur Einhaltung der Kartellvorschriften haben? Vor allem angesichts dessen, dass die zentrale SAMR selbst im September 2019 eine landesweit geltende Richtlinie herausgegeben hat. Was ist die Strategie dahinter?
Eine Antwort könnte lauten, dass die AMRs als Wettbewerbshüter eben den Wettbewerb sehr ernst nehmen – auch den Wettbewerb untereinander. 2018 bereits hat die zentrale SAMR grundsätzlich verfügt, ihre kartellrechtlichen Durchsetzungsbefugnisse mit den regionalen Kartellbehörden in den Provinzen Chinas zu teilen. Da diese nun über eigene Durchsetzungsbefugnisse verfügen, hat sich ganz natürlich ein gewisser Wettbewerb zwischen den Kartellämtern entwickelt. Wer bringt mehr Fälle vor? Wer hat die aufsehenerregenderen Fälle? Diese Art des Wettbewerbs zwischen den Kartellbehörden ist durchaus sinnvoll und im Übrigen auch international gesehen normal.
Woher nehmen die lokalen Behörden den Mut, ihren eigenen Spielraum zu suchen? Ist das nicht riskant gegenüber Peking?
Nein, ich sehe das eher als natürliche Entwicklung als Folge der Reden der Pekinger Führung ab dem vierten Quartal 2020, welche die Durchsetzung des Kartellrechts ins nationale Rampenlicht gerückt haben. Mit dieser Rückendeckung von oben haben die lokalen Kartellbehörden nun angefangen, bei der Führung und gegenüber der Öffentlichkeit zu punkten, indem sie ihre eigenen Richtlinien herausgegeben haben. Damit signalisieren sie: Wir haben verstanden und tragen unseren Teil zur Entwicklung bei.
Kann dabei nicht ein Machtkampf zwischen der Zentrale und den Provinzen um Zuständigkeiten entstehen? Eigene Regelungen transportieren auch eigene Interessen.
Ein direkter Machtkampf ist unwahrscheinlich. Aber ein wenig die Ellbogen benutzen, um an zusätzliche Ressourcen zu kommen schon. Derzeit ist nämlich eine Erneuerung und Aufstockung der Kartellbehörden im Gange – hauptsächlich auf zentraler Ebene. Aber es ist durchaus möglich, dass die lokalen Kartellbehörden versuchen werden, ihr Stück vom Kuchen abzubekommen, also auch ihre Kartellabteilungen aufzustocken oder sogar neue Durchsetzungsbefugnisse zu erhalten, zum Beispiel im Bereich der Fusionskontrolle. Aber wie gesagt, ist die relative “Emanzipierung” der Lokalbehörden im Bereich des Wettbewerbsrechts durchaus von der Zentrale beabsichtigt, weil sie die Entwicklung des Kartellrechtes insgesamt vorantreibt.
Das bedeutet, diese Wettbewerbsdynamik wird noch eine Weile anhalten?
Solange sich die Grundlagen nicht ändern – also, solange die Erneuerung und die Aufstockung der Kartellbehörden noch nicht abgeschlossen sind und die Durchsetzung des Kartellrechts bei den Bürgern und der Führungsspitze beliebt bleibt – sollten wir davon ausgehen. Als Beispiel hat die zentrale SAMR im Februar 2021 eine kartellrechtliche Leitlinie für die Plattformökonomie herausgegeben. Nun haben die jeweilige AMR in Zhejiang – wo Alibaba die Zentrale hat – und in Peking – wo der Hauptsitz von JD.com liegt – im August 2021 und im Dezember 2021 ihre eigenen Richtlinien zur Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften für Plattformunternehmen veröffentlicht (siehe hier und hier). Die AMR der Provinz Zhejiang war wiederum die erste lokale Behörde, die bereits im Juli 2019, neben Shanghai vor Peking, die Initiative ergriffen hat, eine allgemeine Compliance-Richtlinie zur Einhaltung des Kartellrechts herausgegeben.
Aber noch einmal: Hat der Zentralstaat, die Kommunistische Partei, nicht Sorge, an politischem Einfluss zu verlieren?
Peking ist es wichtig, dass Internetfirmen, aber auch andere Unternehmen, voll dem Wettbewerbsrecht unterliegen. Deshalb wird die Rolle der regionalen Wettbewerbshüter aufgewertet. Deren Teilnahme an der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts könnte dazu beitragen, die Wirtschaft zu stabilisieren und die allgemeine Zustimmung zur Wirtschaftspolitik zu erhöhen. Wir dürfen nicht vergessen: Sowohl bei den Konsumenten als auch den Wettbewerbern der großen Unternehmen kommt diese Politik sehr gut an. Und das ist die große Mehrheit. Auch deswegen haben die Provinzen Spielraum.
Der Schweizer Adrian Emch ist einer der führenden Experten in China für europäisches und chinesisches Regulierungsrecht. Emch, der fünf Sprachen spricht, ist Partner bei der britisch-amerikanischen Kanzlei Hogan Lovells, einer der zehn größten Anwaltskanzleien der Welt, mit einem Umsatz von 2,3 Milliarden US-Dollar. Bei Chambers and Partners, dem Guide Michelin der Anwälte, gilt Emch als “leading individual” im chinesischen Wettbewerbsrecht. Emch hat in den USA, Belgien, Frankreich und Spanien studiert, begann seine berufliche Laufbahn in der Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP) der Europäischen Kommission und war anschließend mehrere Jahre als Rechtsanwalt in Brüssel tätig, wo er sich noch auf das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union konzentrierte. Im Juli 2008 ging Emch zum zweiten Mal nach China – nur einen Monat, bevor das chinesische Anti-Monopol-Gesetz in Kraft trat. Emch konnte so vom ersten Tag miterleben, wie das chinesische Kartellrecht sich seitdem entwickelt. Emch ist mit einer chinesischen Rechtsanwältin verheiratet und hat zwei Söhne. Er spricht fließend Mandarin und lehrt als Dozent an der Peking Universität Wettbewerbsrecht sowie EU-Recht.
Die Organisatoren der Olympischen Winterspiele in Peking haben allein am Sonntag 34 weitere Coronafälle bei Olympia-Beteiligten aus aller Welt vermeldet. Insgesamt wurden seit dem 22. Januar, dem Beginn der sogenannten Corona-Blase bei Flughafen-Kontrollen und Kontrollen in den Olympischen Einrichtungen 139 Infektionen nachgewiesen. Positiv getestet wurde unter anderem auch die Vorsitzende der IOC-Athletenkommission, die Finnin Emma Terho. Unter den Coronafällen in den vergangenen Tagen war auch ein Betreuer aus dem deutschen Vorauskommando.
Zudem hat sich nach auch der bereits in Peking eingetroffene ARD-Sportreporter Claus Lufen positiv auf Corona getestet und in ein Quarantäne-Hotel gebracht worden. “Ich habe alles getan, was möglich ist und gefordert wird. Trotzdem war der Test nach meiner Ankunft positiv”, sagte Lufen der Sportschau in einem Video-Interview. Es gebe “trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und der Bedingungen, die man erfüllen muss, eine gehörige Lücke, die nicht zu verhindern ist”, so Lufen. Allein sei er in seiner misslichen Lage nicht: “Ich habe das Gefühl, dass stündlich ein, zwei neue Menschen in meinem Hotel dazu kommen. Es ist im Moment eine sehr kritische Situation.“
Die Zahlen seien im Rahmen des Erwarteten, sagte hingegen der Chef des Medizinischen Expertenrats, Brian McCloskey. Er rechnet denn auch fest damit, dass die Zahlen bis zur Eröffnung der Spiele am Freitag weiter steigen werden.
Wer sich mit dem Virus angesteckt hat, wird in einem eigens dafür vorgesehenen Hotel isoliert. Nur nach zwei negativen PCR-Tests im Abstand von mindestens 24 Stunden können die Betroffenen dieses vor Ablauf von zehn Tagen wieder verlassen. Nach dieser Frist ist nur noch ein negativer PCR-Test nötig.
Die Verantwortlichen in China seien freundlich, sagte Lufen. “Aber natürlich kommt man sich sehr belämmert vor, da man nur mit Ganzkörperanzügen zu tun hat”, sagte der 55-Jährige. Er habe ein “absolut mulmiges Gefühl”. Lufen rechnet damit, dass er mindestens fünf bis sieben Tage in dem 15 Quadratmeter großen Zimmer bleiben muss. flee
China steuert mit seinem rigiden Kurs in der Corona-Pandemie nach Ansicht des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes in schwieriges Fahrwasser. “China könnte vor einer echten Herausforderung in der Corona-Pandemie stehen”, sagte BND-Chef Bruno Kahl in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. “Auch die Chinesen scheinen zu merken, dass die radikale No-Covid-Politik mit ihrer Abschottung sehr schwierig durchzuhalten ist.” Es gebe erste Kratzer an dieser Ideologie durch die Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Virus-Variante. Irgendwann ließen sich aber Millionenstädte nicht mehr so radikal abschotten und versorgen wie bisher.
Chinas radikale No-Covid-Politik ist international umstritten. Zuletzt hatte IWF-Chefin Kristalina Georgieva Chinas Führung aufgefordert, die Politik zu überdenken, weil das radikale Herunterfahren auch des wirtschaftlichen Lebens in Gebieten mit relativ wenigen Covid-Fällen eine Belastung sowohl für die chinesische als auch die weltweite Wirtschaft sei. Auch die deutsche Wirtschaft äußerte sich besorgt. Einer Studie zufolge könnte eine Verschärfung der Coronavirus-Krise in China durch Omikron das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr halbieren.
BND-Präsident Kahl hält zudem die sogenannte “Impfstoff-Diplomatie” Chinas als “weitgehend gescheitert”. Die chinesische Führung hatte mit großem medialen Aufwand chinesischen Impfstoff in Entwicklungsländer geflogen. Es gebe aber Kritik an chinesischen Masken und Impfstoffen. “In Lateinamerika und Afrika hat sich ein negatives Bild über die Qualität des chinesischen Impfstoffes festgesetzt. Der Westen hat offensichtlich die besseren Impfstoffe”, sagte der BND-Präsident. rtr
Der irische Leasingmanager Richard O’Halloran ist nach drei Jahren Wartezeit in seine Heimat zurückgekehrt. Die chinesischen Behörden hatten ihm 2019 die Ausreise verweigert, nachdem sein Unternehmen in Streit mit chinesischen Investoren und Behörden geraten war, berichtet die BBC. O’Halloran bekleidet eine verantwortliche Position bei CALS Ireland (China International Aviation Leasing Service). Er wurde nie einer Straftat angeklagt. Dennoch blieb das Ausreiseverbot bestehen, bis Dublin nun eine Übereinkunft mit China erzielen konnte. Irlands Außenminister Simon Coveney twitterte von “traumatischen drei Jahren”, die O’Halloran getrennt von seiner Familie verbracht habe. O’Hallorans Frau postete am Samstag ein Bild der gesamten Familie nach der Rückkehr ihres Ehemannes. fin
Die chinesische Industrie hat zu Beginn des vermutlich schwierigen Jahres 2022 die Coronavirus-Einschränkungen zu spüren bekommen: Der Einkaufsmanager-Index für Januar signalisierte einen Rückgang, blieb aber knapp über der Marke von 50 Punkten, oberhalb der Wachstum angezeigt wird. Das Statistikamt des Landes gab ihn am Sonntag mit 50,1 Zählern an, nachdem es im Dezember noch 50,3 waren. Damit wurden die Analystenerwartungen minimal übertroffen. Der Wert ist zudem deutlich besser als in einer anderen Erhebung unter Einkaufsmanagern von Unternehmen. Dafür waren zuletzt vor allem kleinere Firmen in küstennahen Regionen befragt worden. Hier gab es den stärksten Rückgang seit 23 Monaten.
Zhang Zhiwei, Chefökonom bei der Vermögensverwaltung Pinpoint, führte den schwächeren Einkaufsmanager-Index für die Industrie auf eine maue inländische Nachfrage zurück. Auch der Dienstleistungssektor sei davon betroffen – als Folge der Lockdowns ganzer Millionen-Städte. Es sei daher mit weiteren staatlichen Hilfen zu rechnen.
Der Einkaufsmanager-Index für die Dienstleistungsbranche signalisierte zwar im Januar ebenfalls Wachstum, aber weniger als zuletzt. Er ging auf 51,1 Punkte zurück – nach 52,7 Zählern im Dezember. Das Barometer für Industrie und Dienstleister zusammen lag mit 50,1 Punkten nur noch hauchdünn oberhalb der Wachstumsschwelle. Gegenüber Dezember, als es noch 52,2 Zähler waren, ergibt sich ein deutlicher Rückgang. rtr
Der Elefant im Raum muss erst einmal weg: Christian Hochfeld ist seit 2016 Direktor der Agora Verkehrswende und hat ein Auto. Obwohl es sich seine NGO zum Auftrag gemacht hat, den Verkehrssektor bis zum Jahr 2045 vollständig zu dekarbonisieren. Ein Ziel, das sich auch die deutsche Bundesregierung gesetzt hat – die jedoch ein mahnendes, schlechtes Gewissen braucht, um es nicht zu vergessen.
Oder um die Verantwortung nicht von sich zu schieben. “Eine Frage wird immer gestellt und ich kann sie nicht mehr hören: ‘Was tust du persönlich für die Verkehrswende?’ Schön und gut, wenn immer mehr Menschen persönlich etwas für den Klimaschutz tun, aber die Verantwortung liegt bei der Politik. Sie muss den Rahmen setzen, in dem sich Menschen bewegen.” Und an diesen Rahmen versuchen Hochfeld und die Agora Verkehrswende die Politik immer wieder zu erinnern.
Für Hochfeld ist das eine Lebensaufgabe. Der Berliner wurde in den 1980er-Jahren politisch geprägt. In Tschernobyl explodierte ein Reaktor, in Deutschland starb der Wald und die Grünen gründeten sich. Derart emotional bewaffnet, begann er 1988 sein Studium im Fach Technischer Umweltschutz.
Das lief nicht so wie geplant. Sein erstes Semester fiel in die Zeit von Studentenprotesten, weswegen er zunächst nur Jonglieren lernte, wie er selbst sagt. Als der reguläre Unterricht wieder einsetzte, erkannte er die wahre Natur des von ihm gewählten Studienfachs. Technischer Umweltschutz entpuppte sich im Kern als Ingenieursstudium. Strömungslehre pauken zu müssen, schockte nicht nur ihn, sondern auch einige Mitstudenten. Hochfeld tourte erst einmal durch Südamerika, zog das Studium anschließend aber doch noch durch.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1996. Hochfeld findet einen Platz im Öko-Institut, einem Verein in Freiburg. Die Forschungseinrichtung unterstützt Umweltaktivisten vor Gericht. Sie erstellt Studien, mit denen damals gegen die Errichtung von Müllverbrennungsanlagen und Atommeilern vorgegangen wird. Hier wird Hochfeld klar, dass Umweltschutz nur dann Zählbares erreicht, wenn er Wissenschaft und Politik zusammenbringt.
Doch Klimapolitik funktioniert eben nur international. “Mir war klar, dass sich die Verkehrswende nicht in Bielefeld entscheidet, sondern in Beijing. Deswegen bin ich nach China gegangen”, begründet Hochfeld seinen Wechsel zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Jahr 2010. Er leitete das Projekt für nachhaltigen Verkehr in der Volksrepublik. “Es war eine etwas naive Haltung. Ich bin mit dem festen Vorhaben hin, in China etwas bewegen zu können, bis mir klar wurde, was wir in Deutschland noch zu lernen haben.”
Die Dynamik der chinesischen Politik und Wirtschaft beeindruckte ihn jedoch. Nicht Elon Musk habe die Elektromobilität zu einem globalen Phänomen gemacht, sondern das chinesische Verkehrsministerium.
In Deutschland geht es langsamer – das müssen die Akteure akzeptieren. Die Politiker und Topmanager der Industrie müssen überzeugt werden. Daran glaubt Hochfeld fest, das hat er sich zu Lebensaufgabe gemacht, daran arbeitet Agora Verkehrswende tagtäglich. Christian Domke Seidel
Jürgen Köster ist zum Jahreswechsel ins BMW-Werk in Shenyang gewechselt, um dort als Projekt-Manager die Produktion weiter auszubauen. Köster kommt von Herald International Financial Leasing (China) der BMW-Unternehmensgruppe in Peking.
Jörn Kiepe ist zum Jahreswechsel bei dem Schweizer Chemieriesen Clariant von Frankfurt/Main nach Shanghai gewechselt und ist dort nun Direktor des Process Technology Hub. Er hat bis 2016 China-Erfahrung bei YWK Chemicals in Taicang gesammelt.
Klappernde Essstäbchen, brodelnde Jiaozi-Töpfe, raschelnde Geldumschläge und krachendes Feuerwerksgetöse – die Zeichen stehen in China auf Jahreswechsel. Diesmal springen die Chinesen ins Jahr des Tigers. Ein guter Zeitpunkt, um nachzuschauen, welche Tigervokabeln eigentlich so durchs chinesische Alltagsvokabular tigern.
Da findet man zum Beispiel zwei andere Tierchen im Tigergewand: den “Wandtiger” (壁虎 bìhǔ), bei uns bekannt unter dem Namen “Gecko”, und den “Wassertigerfisch” alias “Piranha”. Tatsächlich gibt es in China aber auch noch “Literaturtiger” (文虎 wénhǔ). Gemeint sind nicht etwa bissige Literaturkritiker, sondern kleine poetische Sprachrätsel, an denen man sich schon mal die Zähne ausbeißen kann. Und wer ganz mutig ist (oder bei der Brautschau nicht richtig hingeschaut hat), holt sich ein Tigerweibchen ins Haus (母老虎 mǔlǎohǔ) – das sprachliche Pendant zu unserem “Hausdrachen”. Die Haustigerin wird vor allem dann ihre Krallen ausfahren, wenn man aufgetragene Putz-, Aufräum- und Bügelarbeiten nur nach Pferd-Tiger-Manier dahinschludert (马虎 mǎhu “nachlässig, schlampig, flüchtig, lax”, wörtlich “Pferd-Tiger”).
Schweiß perlt aber nicht nur auf der Stirn, wenn wilde Furien durch den heimischen Alltag wirbeln, sondern zum Beispiel auch, wenn sich der Sommer temperaturmäßig noch einmal austobt und sich ein paar Herbsttage krallt – das nennt man in China den “Herbsttiger” (秋老虎 qiūlǎohǔ), bei uns Nachsommer oder Altweibersommer genannt. Umweltschützer kommen dagegen ins Schwitzen, wenn sie an Betriebe denken, die bei der Produktion Unmengen an Kohle oder Strom verschlingen. Auf Chinesisch nennt man solche Ressourcenfresser “Kohletiger” (煤老虎 méilǎohǔ) beziehungsweise “Stromtiger” (电老虎 diànlǎohǔ). Im Zwischenmenschlichen sollte man sich derweil vor “lachenden Tigern” (笑面虎 xiàomiànhǔ) in Acht nehmen. Blitzende Zähne in einem Tigermaul können schließlich nichts Gutes verheißen. Es ist die chinesische Variante vom “Wolf im Schafspelz”.
Auch auf Chinas Sprichwörterlandkarte haben die Großkatzen ein beachtliches Revier abgesteckt. Hier eine kleine Auswahl bekannter chinesischer Tigerredensarten:
In diesem Sinne: Kommen Sie gut ins Jahr des Tigers und landen Sie nicht als Bettvorleger. Frohes Tigerjahr – 虎年快乐 hǔnián kuàilè!
Verena Menzel betreibt in Peking die Sprachschule New Chinese.
die Woche der Eröffnung der Olympischen Winterspiele beginnt. Am Freitagabend werden die teilnehmenden Nationen in das Bird’s Nest in Pekings Norden einlaufen. Wenige Tage vor der Eröffnungszeremonie ploppen jedoch auch in der hochgradig abgeriegelten Olympia-Blase immer mehr neue Corona-Fälle auf. Offizielle rechnen mit einem weiteren Anstieg bis Ende der Woche.
Wir werfen derweil einen Blick auf die Medaillen-Hoffnungen der Volksrepublik. Medaillen-Siege holen Chinas Sportler seit Jahren im Short Track und Ski-Freestyle. In diesen Disziplinen haben sie auch dieses Mal Chancen, analysiert unsere Autorin Christiane Kühl. In der Loipe, im Eiskanal oder auf der Skisprungschanze sieht es für China aber weniger erfolgversprechend aus.
Erfolg in einer anderen Art und Weise erhofft sich die EU-Kommission. Mit ihrer neuen Standardisierungs-Strategie will sie Europa einen Vorsprung gegenüber China verschaffen. Das Papier soll diese Woche vorgestellt werden. Die Stoßrichtung der Vorschläge zeichnet sich bereits klar ab, schreibt Till Hoppe: Normen und Standards soll künftig europäischer, strategischer und zugleich schneller definiert werden – und schaut dabei auch Dinge bei Peking ab.
Im Interview erklärt der Schweizer Anwalt Adrian Emch die Irrungen und Wirrungen des chinesischen Kartellrechts. Emch ist einer der führenden Experten in China für europäisches und chinesisches Regulierungsrecht. Er ist sich sicher: Dass das “Kartellrecht eines der wichtigsten Instrumente ist, mit dem die Behörden derzeit vorgehen.” Die harte Regulierungswelle gegenüber Tech-Unternehmen hat ihn nur wenig überrascht.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche!
Vor ein paar Jahren tauchten auf einmal chinesische Sportler in Norwegen auf. Sie hatten bis dato in Disziplinen von Trampolin, Langstreckenlauf oder Kajak trainiert. Aber nun lernten sie ganz andere Dinge: Skispringen, Langlauf oder Biathlon im Schnee. Ein Video von 2018 zeigten kichernde Teenager, die zum ersten Mal in ihrem Leben von einer Kinderschanze herunterfahren, Ski über Kreuz und gefolgt von einer Bruchlandung auf grünen Matten. Jubel gibt es für die erste Springerin, die eine Landung steht, Ex-Trampolinspringerin Zhai Yujia.
2019 ist die ursprüngliche Gruppe von 22 auf zehn Hoffnungsträger geschrumpft. “Der Auswahlprozess war brutaler, als wir erwartet hatten”, sagte damals Trainer Kjetil Strandbraaten. Eines der Auswahlkriterien: Die ersten Testsprünge der Gruppe im Schnee. Zhai Yujia durfte bleiben. “Ich fühle mich stabiler in allen Aspekten. Und fühle mich gut beim Springen”, sagte sie hinterher. Ihrer Mutter erzählt sie im Videocall: “Oben zu sitzen macht mir mehr Angst als das Springen selbst.” Auch die Ex-Sprinterin Sun Jing durfte bleiben – obwohl sie sich 2018 bei einem Sturz den Arm gebrochen hatte und länger pausieren musste. Denn die Trainer zeigten sich im Video beeindruckt von Suns Entschlossenheit. Aus den Olympiaträumen der beiden aber wurde vorerst nichts. Sie gehören nicht zu den zwei Damen und einem Herren, die nun für China beim Skispringen antreten.
Die harte Aufbauarbeit des Skispringens muss China auch in Disziplinen duplizieren. In vielen Sportarten fehlt dem Land die Expertise zum Aufbau international wettbewerbsfähiger Teams. Also heuerte China eine Vielzahl erfahrener ausländischer Trainer an, die in China mit Athleten arbeiten. Und es schickte eben seit 2017 Hunderte junger Menschen ins Ausland, um in Elite-Einrichtungen mit Weltklasse-Trainern Langlauf, Biathlon oder eben Skispringen zu lernen. Die meisten von ihnen kamen aus ganz anderen Sportarten und standen zu Beginn des Programms das erste Mal auf Skiern. Mit 15 Wintersportländern schloss China solche Abkommen zur Ausbildung chinesischer Sportler an ihren nationalen Trainingszentren, darunter auch Finnland und Österreich.
In Pyeongchang holte China 2018 nur neun Medaillen und lag am Ende auf Rang 16 der Nationenwertung. Das einzige Gold gelang Wu Dajing auf 500 Meter Short Track, dem rasanten Rennen gegeneinander auf einer kurzen Eisbahn ohne Spuren. Zehn der 13 bisher in der Geschichte der Winterspiele von China gewonnenen Goldmedaillen errang das Land in dieser Disziplin. Olympiasieger Wu Dajing wird auch 2022 wieder antreten, als einer von zehn im Team. Er gehört zu den wenigen Medaillenkandidaten Chinas.
Im Short Track sind die Aussichten auf Edelmetall generell am besten: Chinas Kufenflitzer holten seit 2002 bei allen Winterspielen Medaillen, in Vancouver 2010 sogar vier. Eis ist generell ein gutes Terrain für Chinas Athleten. Im Eisschnelllauf gab es seit 2006 immer eine Medaille, nicht zuletzt dank der Kooperation mit Trainern aus der Eisschnelllauf-Großmacht Niederlande. Guo Dan (Massenstart Frauen) oder Ning Zhongyan (1.500 Meter Männer) kommen für Edelmetall infrage. Im Eiskunstlauf fiel in diesem Jahrtausend 2014 gar kein Podestplatz für die Chinesen ab. 2018 verlor das zweimalige Weltmeisterpaar Sui Wenjing und Han Cong im Paarlaufen hauchdünn gegen die deutschen Gold-Gewinner Aljona Savchenko und Bruno Massot. Sui und Han wollen nun dieses Mal endlich Gold holen. Außenseiterchancen werden auch Chinas Curling-Damen eingeräumt.
Erfolg verspricht sich China auch beim Ski-Freestyle, wo es 2018 drei Medaillen gab. Freestyle umfasst gleich mehrere Action-Sportarten auf Skiern: Buckelpiste, Skicross, Slopestyle, Halfpipe oder Aerials. Während Skicross ein Rennen mehrerer Fahrer gegeneinander auf einer einzigen Piste ist, gibt es bei den anderen Disziplinen Punkte für Schwierigkeit, Perfektion oder Weite teils hoch akrobatischer Sprünge. Bei den spektakulären Aerials (Skiakrobatik) springen die Athleten über eine Schneeschanze und vollführen Saltos, Drehungen und Grätschen. Alle Freestyle-Medaillen von 2018 holte China in den Aerials. Dieses Jahr gelten Xu Mengtao und Kong Fanyu bei den Frauen, sowie bei den Männern Sun Jiaxu und Jia Zongyang als Medaillenanwärter. Jia hatte 2018 Silber geholt.
Doch 2022 hat China auch große Chancen in der Ski-Halfpipe – nicht zu verwechseln mit der ebenfalls olympischen Snowboard-Halfpipe. Denn dort ist die gebürtige Amerikanerin Eileen Gu das Maß aller Dinge. Die 18-Jährige tritt nun für China an, wie sie es bereits vor einiger Zeit bekannt gegeben hatte. Beim Actionsportfestival X Games im US-Skiresort Aspen räumte Gu Anfang Januar gleich drei Titel ab. Neben der Halfpipe gewann sie auch die Aerials und Slopestyle. Dabei stürzen sich die Athleten mit Spezialskiern einen Hang voller Hindernisse herunter, die einem urbanen Skatepark ähneln. Gu wird in Peking bei allen drei Disziplinen antreten. Medaillen sind fest eingeplant.
Doch damit erschöpfen sich bereits die realen Medaillenhoffnungen. Im Eiskanal, auf der Schanze oder der Loipe spielte China bislang international kaum eine Rolle. Immerhin sorgte die langjährige Arbeit mit ausländischen Trainerteams 2021 zumindest für einzelne Überraschungserfolge in Disziplinen, in denen China zuvor nie aufgefallen war. So geschehen etwa beim Skeleton-Weltcup in Innsbruck: Da fand sich Geng Wenqiang zu Beginn der aktuellen Saison plötzlich gemeinsam mit zwei anderen Startern auf Platz Eins wieder. Der chinesische Zweierbob der Frauen landete im Weltcup kürzlich überraschend auf Rang sechs. Und der Biathlet Cheng Fangming erreichte vor allem aufgrund guter Schießleistungen den zwölften Platz beim Sprint des kürzlichen Weltcup-Wochenendes in Oberhof. Sie alle treten in Peking an.
Einige ihrer Trainer waren einst selbst Legenden ihrer Sportart. Chinas Biathleten etwa werden trainiert von den früheren Biathlon-Stars Ole Einar Björndalen und Darja Domratschewa. Der deutsche Rekord-Olympiasieger im Bob, André Lange, coacht Chinas Bob-Mannschaft. Schwierig ist der Job trotzdem: Bob, Skeleton und vor allem Rodeln sind technisch äußerst anspruchsvolle Sportarten, bei denen es auch immer wieder Unfälle gibt. Beim Biathlon fehlt den Athleten noch die Schnelligkeit in der Loipe. Auch chinesische Langlaufstars gibt es nicht.
Beim Eishockey entging China derweil nur knapp einer Blamage. Der Gastgeber nimmt traditionell immer am Wettbewerb teil. Doch der Eishockey-Weltverband IIHF zweifelte an der Leistungsfähigkeit der chinesischen Herren-Nationalmannschaft und dachte ernsthaft darüber nach, das Land wegen drohender zweistelliger Pleiten aus dem Turnier zu nehmen. Erst im Dezember gab der Verband grünes Licht, nachdem man zwei Spiele der Mannschaft von Kunlun Red Star beobachtet hatte, die coronabedingt in der ersten russischen Liga spielten. Gemeldet wurde nun ein Kader, der ausschließlich aus Kunlun Red Star-Spielern besteht.
Und auf der Schanze? “Wir stehen kurz vor großen Durchbrüchen im Skispringen”, sagte Skisprung-Teamchef Xu Gaohang kürzlich der China Daily. Neben den drei Einzelathleten bemühe man sich immer noch um einen Qualifikationsplatz im Team-Event. Die Aussichten der Springer aber sind ungewiss. Immerhin setzte der 20-jährige Song Qiwu aus Sichuan diesen Monat einem Trainingssprung in Chinas Skisprungbasis Laiyuan in Hebei eine Duftmarke: Er sprang mit einer beachtlichen Weite von 141,5 Metern Chinas neuen Großschanzen-Rekord. Beachtlich war das vor allem für jemanden, der bis 2018 Hürdenläufer gewesen war.
Laiyuan verfügt über zwei Sprungschanzen und einen Windkanal, der laut China Daily der größte der Welt ist. Er kann Wind aus drei Richtungen und Windböen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Metern pro Sekunde erzeugen. “Der größte Vorteil des Trainings im Windkanal ist, dass wir sofort die Unterschiede verschiedener Körperhaltungen gegen den Strom spüren und uns entsprechend anpassen können”, erzählte Song China Daily. Wichtig für Athleten, die sich nicht regelmäßig in Wettkämpfen messen können. Wegen Corona nahmen Chinas Springer nur an ganz wenigen internationalen Wettkämpfen teil.
Das gilt auch für Dong Bing und die gerade 17-jährige Peng Qingyue, die bei den Damen antreten. Dong Bing immerhin gelang bei einem dieser Auftritte, dem Weltcup im sächsischen Klingenthal im Herbst Platz 21. Dong und Peng gehören außerdem zu den wenigen Olympioniken, die bereits die Olympiaschanze getestet haben. Beim Continental Cup – quasi der zweiten Liga des internationalen Skisprung-Zirkus – im Dezember wurde Dong Zweite, Peng vierte. Clas Brede Braathen, Sportchef des norwegischen Skiverbands und damals Leiter des China-Projekts, sagte 2018 zuversichtlich: “Ich glaube, wir können einen olympischen Athleten formen. Aber am wichtigsten wäre es eigentlich, eine Skisprungkultur für die Chinesen zu schaffen. Das wäre großartig.”
Beim Setzen von technischen Normen und Standards ist Europa noch immer eine Großmacht. Die im Industriezeitalter begründete Dominanz aber bröckelt zusehends: Im Rahmen der Internationalen Organisation für Normung (ISO) habe Europa in jüngerer Zeit etwa bei der Vergabe der Sekretariate für Quantencomputing, für Augmented Reality, für Brain-Computer-Interface oder für Lithium “in die Röhre geguckt”, sagte der Grünen-Industriepolitiker Reinhard Bütikofer.
Besonders China arbeitet gezielt daran, seine gewachsene wirtschaftliche Bedeutung in die internationalen Normierungsorganisationen zu übertragen und so seinen Unternehmen einen Vorsprung bei neuen Technologien zu ermöglichen (China.Table berichtete). Die EU-Kommission sieht die Gefahr und will reagieren: Am kommenden Mittwoch legen Vizepräsidentin Margrethe Vestager und Binnenmarktkommissar Thierry Breton deshalb die neue Standardisierungsstrategie der Staatengemeinschaft vor.
Das Papier selbst ist noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, aber die Stoßrichtung der Vorschläge zeichnet sich bereits klar ab: Normen und Standards soll künftig europäischer, strategischer und zugleich schneller definiert werden.
So will die EU-Kommission sicherstellen, dass der Einfluss chinesischer oder US-amerikanischer Unternehmen in der Normungsorganisation ETSI zurückgedrängt wird. In der Behörde gibt es erhebliche Sorgen, dass ausländische Konzerne wie Huawei über zu viel Gewicht in der für Telekommunikationsnormen zuständigen Organisation verfügen. Denn dort bemessen sich die Stimmrechte in den Gremien an der Höhe der Mitgliedsbeiträge. Das begünstigt Großunternehmen, die aber in dem Sektor ganz überwiegend aus den USA und Asien kommen.
Die Kommission will dem entgegenwirken: Experten aus den nationalen Normungsorganisationen der EU-Staaten sollen mehr Einfluss in den ETSI-Gremien bekommen, wie es in Brüssel heißt. Dafür werde die Kommission eine Anpassung an der Standardisierungsverordnung vorschlagen.
Die Strategie dürfte überdies empfehlen, den bisherigen “Bottom-Up”-Ansatz in Europa ein Stück weit aufzugeben. Seit Jahrzehnten handeln Industrievertreter hier in den Normungsgremien technische Spezifikationen und Verfahren aus, weitgehend unbehelligt von der Politik. Künftig aber sollen Kommission, Mitgliedstaaten und Industrie gemeinsam Schlüssel-Technologien wie etwa grünen Wasserstoff identifizieren und dort frühzeitig Normungsprojekte anstoßen, die möglichst in den internationalen Gremien auch von europäischen Experten geleitet werden.
Fachleute halten den Vorstoß für mehr politischen Einfluss für richtig: In China werde die Normung sehr strategisch angegangen, sagt Sibylle Gabler, Leiterin der Regierungsbeziehungen beim Deutschen Institut für Normung (DIN). “In Deutschland und Europa sollten wir dies ebenfalls machen.” Für Bütikofer wird der Maßstab für den Erfolg der neuen Standardisierungsstrategie sein, “ob es gelingt, die Kooperation zwischen Industrie und Politik effizienter zu gestalten”.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) bewertet es nach eigenen Angaben positiv, dass die Europäische Kommission die strategische Bedeutung der Normung erkannt hat. Aber: “Leider konzentriert sich ihr Interesse aber fast ausschließlich auf die Rolle der Normung im Zusammenhang mit Zukunftstechnologien und Innovationen”, teilte der Verband gegenüber China.Table mit. Die Normung des EU-Binnenmarkts falle dabei zurück, kritisiert der Verband. Von der neuen EU-Strategie erhofft sich der VDMA unter anderem eine bessere Einbindung der Industrie und eine bessere “europäische Koordination in Normungsfeldern mit potenzieller geopolitischer Bedeutung”.
Auch der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) zeigt sich offen, den etablierten Ansatz marktgetriebener Normen mit einem “politisch-strategischen Top-Down-Ansatz” zu verbinden. “Dazu muss ein kontinuierlicher Austausch zwischen EU-Kommission, Mitgliedstaaten, Europäischen Normungsorganisationen und Industrie initiiert werden”, schrieb Jochen Reinschmidt, Abteilungsleiter Innovationspolitik beim ZVEI, jüngst in einem Beitrag für Europe.Table.
Die Industrie fordert in dem Zusammenhang auch mehr finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite. Mitarbeiter gerade in die internationalen Normungsgremien zu entsenden, sei für die Unternehmen teuer. Die Standardisierung solle daher als Teil der Innovationspolitik verstanden werden und die aktive Beteiligung entsprechend steuerlich gefördert werden, so der ZVEI. Die Kommission scheint dafür offen zu sein.
Die Brüsseler Behörde will zudem die Normungsprozesse beschleunigen. Momentan brauche man zu lange, sagt ZVEI-Präsident Gunther Kegel: “Wir werden dann im Normenwettkampf von den Amerikanern, oder, viel schlimmer noch, von den Chinesen aus dem Rennen geworfen”. Gerade bei der Normung auf europäischer Ebene, in den Organisationen CEN und CENELEC, müssten eine Vielzahl von Akteuren einbezogen werden.
Kegel sieht aber auch die EU-Kommission selbst in der Verantwortung: Diese habe mit den sogenannten Harmonised Standards Consultants (HAS) eine weitere Ebene geschaffen, die die Prozesse noch weiter verlängerten. Die HAS-Consultants prüfen im Auftrag der Kommission, ob von CEN und Co beschlossene Normen mit dem ursprünglichen Auftrag der Behörde und dem einschlägigen EU-Recht vereinbar sind.
Die EU-Kommission sichert sich so ab, in dem sie die fertigen Normen durch externe Fachberater noch einmal überprüfen lässt. Das aber ziehe den Prozess weiter in die Länge, kritisiert Kegel. Daher versuche man die Kommission davon zu überzeugen, dass die HAS-Consultants von Beginn an in den Normungsprozess eingebunden würden.
Daneben dürfte die EU-Kommission noch ein sogenanntes “Non Paper” vorlegen, das von nationalen Organisationen wie DIN sehr kritisch beäugt wird: Es zielt auf gemeinsame Spezifikationen (“common specifications”), die von der Kommission zunehmend als Alternative zu Standards und Normen genutzt werden. So legt die Brüsseler Behörde etwa im Rahmen der Medizinprodukterichtlinie oder der Batterieverordnung technische Spezifikationen fest, die Produkte für die Marktzulassung erfüllen müssen. Sie verweist zur Begründung darauf, dass dort noch keine harmonisierten Normen existierten.
DIN und Co aber wittern darin den Versuch der Kommission, tief in ihr Territorium einzudringen. “Die Kommission sollte nicht versuchen, über Common Specifications ein Parallelsystem zu den existierenden Normierungsorganisationen zu etablieren”, sagt DIN-Vertreterin Gabler. “Das würde die Gefahr bergen, dass ein bewährtes System zerfranst und neue Spezifikationen im Widerspruch zu vorhandenen Normen stehen.” Mitarbeit: Amelie Richter
Herr Emch, wie stark ist in China die Vorstellung verankert, dass Marktbeherrschung schlecht für den Wettbewerb ist?
Nur sehr wenige der einheimischen Unternehmen in China hatten in der Vergangenheit die Einhaltung des Kartellrechts auf dem Radar. Ein großes chinesisches Staatsunternehmen erzählte uns vor ein paar Jahren erstaunlicherweise gar, das chinesische Kartellrecht gelte nur für ausländische Unternehmen. Für solche Unternehmen ging es in dieser Phase eben nur um Wachstum um jeden Preis. Die vielen Behördenuntersuchungen und nicht zuletzt die in den vergangenen beiden Jahren herausgegebenen Kartellrichtlinien zwingen die chinesischen Unternehmen nun, umzudenken.
Kam die harte Regulierungswelle gegenüber den Tech-Unternehmen für Sie überraschend?
Nein. Die chinesische Spitzenpolitik hat öffentlich sichtbar vorab signalisiert, dass sie ein größeres Augenmerk auf die verstärkte Durchsetzung des Kartellrechts setzen wird. Am 11. Dezember 2020 gab es dazu ein Treffen unter dem Vorsitz von Präsident Xi Jinping, bei dem sogar erklärt wurde, die Verstärkung der Anti-Monopol-Bemühungen sei eine der wichtigsten Aufgaben für China im Jahr 2021. Spätestens von da an war klar, wohin die Reise gehen würde. Zwei Wochen später, am 24. Dezember 2020, wurde dann bekannt, dass gegen Alibaba wegen Kartellverstößen ermittelt wird. Am 10. April 2021 wurde der Beschluss über eine Geldbuße von rund 2,4 Milliarden Euro gegen das Unternehmen erlassen.
Aber es blieb nicht bei Alibaba.
Ja, das war nur der Anfang. Am 8. Oktober 2021 wurde zum Beispiel eine Geldstrafe in Höhe von 463 Millionen Euro gegen den Online-Lebensmittellieferanten Meituan wegen eines ähnlichen Verhaltens verhängt. Einige Wochen zuvor betonte Präsident Xi während einer Sitzung des Politbüros erneut, wie wichtig es sei, wettbewerbswidriges Verhalten von Online-Plattformen verhindern zu wollen und den Wettbewerbshütern dazu mehr Unterstützung zu geben. Er hob die Notwendigkeit hervor, monopolistisches und unlauteres Wettbewerbsverhalten verstärkt zu untersuchen und zu sanktionieren.
Es geht also weiter?
Anhand dieser Entwicklungen können wir zumindest erkennen, dass das Kartellrecht eines der wichtigsten Instrumente ist, mit dem die Behörden derzeit vorgehen. Das Kartellrecht liegt an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Recht und Politik und ermöglicht einen tiefen Einblick in das, was in China im Allgemeinen vor sich geht – chinesische Wirtschaftspolitik “en miniature” gewissermaßen, die den großen Trend abbildet. Deshalb ist es so spannend.
Geht es der Zentralregierung nicht auch darum, das Kartellrecht zu benutzen, um ihre Macht über die Wirtschaft zu festigen und auszubauen?
Auch das spielt eine Rolle, aber es ist in Wirklichkeit doch etwas komplexer. Es geht eben doch auch um ein fortschrittliches Wettbewerbsrecht, also um die Sicherung des fairen marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Der Zentralstaat steht deshalb sogar dem Wettbewerb zwischen den chinesischen Wettbewerbsbehörden auf regionaler Ebene nicht entgegen. In den vergangenen Monaten waren Chinas Wettbewerbsbehörden mit der Ausarbeitung von Richtlinien für die Einhaltung von Kartellvorschriften beschäftigt. Mehrere Provinzbüros der chinesischen Wettbewerbsbehörde – in Englisch unter dem alten Namen “State Administration for Market Regulation” (SAMR) bekannt – haben nicht etwa gemeinsame, sondern jeweils ihre eigenen, sich teils widersprechenden, aber auch ergänzenden Leitlinien zur Einhaltung des Kartellrechts veröffentlicht. Zuletzt haben die lokalen AMRs in Shaanxi, Jiangsu und Ningxia am 19. November, 22. September und 7. September 2021 ihre jeweiligen Richtlinien bekannt gegeben. Inzwischen hat sich die Zentralbehörde unter einem neuen Namen – National Anti-Monopoly Bureau (AMR) – neu konfiguriert.
Das klingt sehr unübersichtlich. Wie viele Richtlinien gibt es denn nun?
Ich würde das nicht als unübersichtlich bezeichnen, sondern eher vielfältig. Mit diesen drei neuen Richtlinien erhöht sich die Gesamtzahl der Richtlinien regionaler AMRs, einschließlich der AMRs von Städten unter direkter Verwaltung wie Peking und Shanghai auf erstaunliche 18. Einige dieser lokalen AMRs haben sogar mehr als eine Richtlinie herausgegeben. So hat Shanghai beispielsweise bereits im Dezember 2019 einen allgemeinen Leitfaden zur Einhaltung der Kartellvorschriften herausgegeben und im November 2020 mit einem lokalen “Standard” für die Einhaltung der Kartellvorschriften noch einmal nachgelegt. Also durchaus bevor die Zentralregierung das Thema gewissermaßen scharf gestellt hat.
Wie unterscheiden sich die Regelungen?
Es gibt sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten. Zwei Aspekte will ich herausgreifen. Anhand einiger besonderer Formulierungen und Inhalte lässt sich erkennen, dass einige Richtlinien von anderen “inspiriert” sind. Und gemeinsam ist ihnen, dass sie sich sowohl auf das materielle Kartellrecht als auch auf Verfahrensaspekte konzentrieren, also darauf, wie wirksame Compliance-Systeme zur Einhaltung der Kartellvorschriften in Unternehmen eingerichtet werden können. Allerdings unterscheidet sich das Ausmaß, mit welchen sich die verschiedenen Leitlinien auf das materielle Recht im Gegensatz zu Verfahrensfragen (oder umgekehrt) konzentrieren, erheblich.
Welche Bedeutung haben die neuen Regelungen für ausländische Unternehmen?
Für die meisten deutschen und anderen ausländischen Unternehmen sind die Empfehlungen in den Richtlinien zur Einrichtung eines Kartellrechts-Compliance-Systems nicht von zentraler Bedeutung, da die meisten Unternehmen schon funktionierende Compliance-Prozesse haben. Indirekt wird sich dieser Wandel allerdings schon auswirken. Wenn die lokalen Partner mehr Gewicht auf die Einrichtung von Kartellrechts-Compliance legen, bedeutet dies, dass die Joint Ventures mitziehen müssen. Deswegen müssen auch die westlichen Unternehmen in diesen Fragen genau Bescheid wissen.
Um was geht es dabei?
Es geht um die Einrichtung eines Systems zur Identifizierung, Bewertung und anschließenden Handhabung von Kartellrisiken. Dazu gehören spezifische Maßnahmen wie die Einrichtung einer Compliance-Abteilung, die Verpflichtung der obersten Führungsebene zur Einhaltung der Kartellvorschriften, regelmäßige Berichterstattung oder Schulungen.
Und wie findet man sich als Unternehmen in diesem Regulierungswirrwarr zurecht?
Als Teil von präventiven Bemühungen bieten viele der lokalen AMRs in ihren Richtlinien Konsultationsmechanismen an. Der Grundgedanke ist, dass sich ein Unternehmen an die lokale AMR wenden und fragen kann, ob bestimmte Verhaltensweisen, die es an den Tag gelegt hat oder zu legen beabsichtigt, mit dem Kartellrecht in Einklang stehen.
Ist das nicht ein wenig riskant, auf diese Weise die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Mancherorts kann die Konsultation nicht nur direkt im Namen des Unternehmens erfolgen, sondern eventuell auch anonym zum Beispiel durch externe Anwälte. In der Regel wird die konsultierte Behörde nicht auf Grundlage der Informationen tätig, die sie während der Konsultation erhält. Tätig würde sie erst dann werden, wenn sie dieselben Informationen aus einer anderen Quelle, zum Beispiel von einem Beschwerdeführer, erhielte.
In der Regel sagen Sie: Da ist allerdings schon ein gewisses Grundvertrauen in die Behörden nötig, um sich im eigenen Namen zu melden.
Das ist sicherlich richtig. Allerdings sind die Erfahrungen bei der Konsultierung lokaler AMRs, die wir mit unseren Mandanten gemacht haben, bisher positiv ausgefallen.
Warum muss jede Provinz ihre eigene Richtlinie zur Einhaltung der Kartellvorschriften haben? Vor allem angesichts dessen, dass die zentrale SAMR selbst im September 2019 eine landesweit geltende Richtlinie herausgegeben hat. Was ist die Strategie dahinter?
Eine Antwort könnte lauten, dass die AMRs als Wettbewerbshüter eben den Wettbewerb sehr ernst nehmen – auch den Wettbewerb untereinander. 2018 bereits hat die zentrale SAMR grundsätzlich verfügt, ihre kartellrechtlichen Durchsetzungsbefugnisse mit den regionalen Kartellbehörden in den Provinzen Chinas zu teilen. Da diese nun über eigene Durchsetzungsbefugnisse verfügen, hat sich ganz natürlich ein gewisser Wettbewerb zwischen den Kartellämtern entwickelt. Wer bringt mehr Fälle vor? Wer hat die aufsehenerregenderen Fälle? Diese Art des Wettbewerbs zwischen den Kartellbehörden ist durchaus sinnvoll und im Übrigen auch international gesehen normal.
Woher nehmen die lokalen Behörden den Mut, ihren eigenen Spielraum zu suchen? Ist das nicht riskant gegenüber Peking?
Nein, ich sehe das eher als natürliche Entwicklung als Folge der Reden der Pekinger Führung ab dem vierten Quartal 2020, welche die Durchsetzung des Kartellrechts ins nationale Rampenlicht gerückt haben. Mit dieser Rückendeckung von oben haben die lokalen Kartellbehörden nun angefangen, bei der Führung und gegenüber der Öffentlichkeit zu punkten, indem sie ihre eigenen Richtlinien herausgegeben haben. Damit signalisieren sie: Wir haben verstanden und tragen unseren Teil zur Entwicklung bei.
Kann dabei nicht ein Machtkampf zwischen der Zentrale und den Provinzen um Zuständigkeiten entstehen? Eigene Regelungen transportieren auch eigene Interessen.
Ein direkter Machtkampf ist unwahrscheinlich. Aber ein wenig die Ellbogen benutzen, um an zusätzliche Ressourcen zu kommen schon. Derzeit ist nämlich eine Erneuerung und Aufstockung der Kartellbehörden im Gange – hauptsächlich auf zentraler Ebene. Aber es ist durchaus möglich, dass die lokalen Kartellbehörden versuchen werden, ihr Stück vom Kuchen abzubekommen, also auch ihre Kartellabteilungen aufzustocken oder sogar neue Durchsetzungsbefugnisse zu erhalten, zum Beispiel im Bereich der Fusionskontrolle. Aber wie gesagt, ist die relative “Emanzipierung” der Lokalbehörden im Bereich des Wettbewerbsrechts durchaus von der Zentrale beabsichtigt, weil sie die Entwicklung des Kartellrechtes insgesamt vorantreibt.
Das bedeutet, diese Wettbewerbsdynamik wird noch eine Weile anhalten?
Solange sich die Grundlagen nicht ändern – also, solange die Erneuerung und die Aufstockung der Kartellbehörden noch nicht abgeschlossen sind und die Durchsetzung des Kartellrechts bei den Bürgern und der Führungsspitze beliebt bleibt – sollten wir davon ausgehen. Als Beispiel hat die zentrale SAMR im Februar 2021 eine kartellrechtliche Leitlinie für die Plattformökonomie herausgegeben. Nun haben die jeweilige AMR in Zhejiang – wo Alibaba die Zentrale hat – und in Peking – wo der Hauptsitz von JD.com liegt – im August 2021 und im Dezember 2021 ihre eigenen Richtlinien zur Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften für Plattformunternehmen veröffentlicht (siehe hier und hier). Die AMR der Provinz Zhejiang war wiederum die erste lokale Behörde, die bereits im Juli 2019, neben Shanghai vor Peking, die Initiative ergriffen hat, eine allgemeine Compliance-Richtlinie zur Einhaltung des Kartellrechts herausgegeben.
Aber noch einmal: Hat der Zentralstaat, die Kommunistische Partei, nicht Sorge, an politischem Einfluss zu verlieren?
Peking ist es wichtig, dass Internetfirmen, aber auch andere Unternehmen, voll dem Wettbewerbsrecht unterliegen. Deshalb wird die Rolle der regionalen Wettbewerbshüter aufgewertet. Deren Teilnahme an der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts könnte dazu beitragen, die Wirtschaft zu stabilisieren und die allgemeine Zustimmung zur Wirtschaftspolitik zu erhöhen. Wir dürfen nicht vergessen: Sowohl bei den Konsumenten als auch den Wettbewerbern der großen Unternehmen kommt diese Politik sehr gut an. Und das ist die große Mehrheit. Auch deswegen haben die Provinzen Spielraum.
Der Schweizer Adrian Emch ist einer der führenden Experten in China für europäisches und chinesisches Regulierungsrecht. Emch, der fünf Sprachen spricht, ist Partner bei der britisch-amerikanischen Kanzlei Hogan Lovells, einer der zehn größten Anwaltskanzleien der Welt, mit einem Umsatz von 2,3 Milliarden US-Dollar. Bei Chambers and Partners, dem Guide Michelin der Anwälte, gilt Emch als “leading individual” im chinesischen Wettbewerbsrecht. Emch hat in den USA, Belgien, Frankreich und Spanien studiert, begann seine berufliche Laufbahn in der Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP) der Europäischen Kommission und war anschließend mehrere Jahre als Rechtsanwalt in Brüssel tätig, wo er sich noch auf das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union konzentrierte. Im Juli 2008 ging Emch zum zweiten Mal nach China – nur einen Monat, bevor das chinesische Anti-Monopol-Gesetz in Kraft trat. Emch konnte so vom ersten Tag miterleben, wie das chinesische Kartellrecht sich seitdem entwickelt. Emch ist mit einer chinesischen Rechtsanwältin verheiratet und hat zwei Söhne. Er spricht fließend Mandarin und lehrt als Dozent an der Peking Universität Wettbewerbsrecht sowie EU-Recht.
Die Organisatoren der Olympischen Winterspiele in Peking haben allein am Sonntag 34 weitere Coronafälle bei Olympia-Beteiligten aus aller Welt vermeldet. Insgesamt wurden seit dem 22. Januar, dem Beginn der sogenannten Corona-Blase bei Flughafen-Kontrollen und Kontrollen in den Olympischen Einrichtungen 139 Infektionen nachgewiesen. Positiv getestet wurde unter anderem auch die Vorsitzende der IOC-Athletenkommission, die Finnin Emma Terho. Unter den Coronafällen in den vergangenen Tagen war auch ein Betreuer aus dem deutschen Vorauskommando.
Zudem hat sich nach auch der bereits in Peking eingetroffene ARD-Sportreporter Claus Lufen positiv auf Corona getestet und in ein Quarantäne-Hotel gebracht worden. “Ich habe alles getan, was möglich ist und gefordert wird. Trotzdem war der Test nach meiner Ankunft positiv”, sagte Lufen der Sportschau in einem Video-Interview. Es gebe “trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und der Bedingungen, die man erfüllen muss, eine gehörige Lücke, die nicht zu verhindern ist”, so Lufen. Allein sei er in seiner misslichen Lage nicht: “Ich habe das Gefühl, dass stündlich ein, zwei neue Menschen in meinem Hotel dazu kommen. Es ist im Moment eine sehr kritische Situation.“
Die Zahlen seien im Rahmen des Erwarteten, sagte hingegen der Chef des Medizinischen Expertenrats, Brian McCloskey. Er rechnet denn auch fest damit, dass die Zahlen bis zur Eröffnung der Spiele am Freitag weiter steigen werden.
Wer sich mit dem Virus angesteckt hat, wird in einem eigens dafür vorgesehenen Hotel isoliert. Nur nach zwei negativen PCR-Tests im Abstand von mindestens 24 Stunden können die Betroffenen dieses vor Ablauf von zehn Tagen wieder verlassen. Nach dieser Frist ist nur noch ein negativer PCR-Test nötig.
Die Verantwortlichen in China seien freundlich, sagte Lufen. “Aber natürlich kommt man sich sehr belämmert vor, da man nur mit Ganzkörperanzügen zu tun hat”, sagte der 55-Jährige. Er habe ein “absolut mulmiges Gefühl”. Lufen rechnet damit, dass er mindestens fünf bis sieben Tage in dem 15 Quadratmeter großen Zimmer bleiben muss. flee
China steuert mit seinem rigiden Kurs in der Corona-Pandemie nach Ansicht des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes in schwieriges Fahrwasser. “China könnte vor einer echten Herausforderung in der Corona-Pandemie stehen”, sagte BND-Chef Bruno Kahl in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. “Auch die Chinesen scheinen zu merken, dass die radikale No-Covid-Politik mit ihrer Abschottung sehr schwierig durchzuhalten ist.” Es gebe erste Kratzer an dieser Ideologie durch die Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Virus-Variante. Irgendwann ließen sich aber Millionenstädte nicht mehr so radikal abschotten und versorgen wie bisher.
Chinas radikale No-Covid-Politik ist international umstritten. Zuletzt hatte IWF-Chefin Kristalina Georgieva Chinas Führung aufgefordert, die Politik zu überdenken, weil das radikale Herunterfahren auch des wirtschaftlichen Lebens in Gebieten mit relativ wenigen Covid-Fällen eine Belastung sowohl für die chinesische als auch die weltweite Wirtschaft sei. Auch die deutsche Wirtschaft äußerte sich besorgt. Einer Studie zufolge könnte eine Verschärfung der Coronavirus-Krise in China durch Omikron das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr halbieren.
BND-Präsident Kahl hält zudem die sogenannte “Impfstoff-Diplomatie” Chinas als “weitgehend gescheitert”. Die chinesische Führung hatte mit großem medialen Aufwand chinesischen Impfstoff in Entwicklungsländer geflogen. Es gebe aber Kritik an chinesischen Masken und Impfstoffen. “In Lateinamerika und Afrika hat sich ein negatives Bild über die Qualität des chinesischen Impfstoffes festgesetzt. Der Westen hat offensichtlich die besseren Impfstoffe”, sagte der BND-Präsident. rtr
Der irische Leasingmanager Richard O’Halloran ist nach drei Jahren Wartezeit in seine Heimat zurückgekehrt. Die chinesischen Behörden hatten ihm 2019 die Ausreise verweigert, nachdem sein Unternehmen in Streit mit chinesischen Investoren und Behörden geraten war, berichtet die BBC. O’Halloran bekleidet eine verantwortliche Position bei CALS Ireland (China International Aviation Leasing Service). Er wurde nie einer Straftat angeklagt. Dennoch blieb das Ausreiseverbot bestehen, bis Dublin nun eine Übereinkunft mit China erzielen konnte. Irlands Außenminister Simon Coveney twitterte von “traumatischen drei Jahren”, die O’Halloran getrennt von seiner Familie verbracht habe. O’Hallorans Frau postete am Samstag ein Bild der gesamten Familie nach der Rückkehr ihres Ehemannes. fin
Die chinesische Industrie hat zu Beginn des vermutlich schwierigen Jahres 2022 die Coronavirus-Einschränkungen zu spüren bekommen: Der Einkaufsmanager-Index für Januar signalisierte einen Rückgang, blieb aber knapp über der Marke von 50 Punkten, oberhalb der Wachstum angezeigt wird. Das Statistikamt des Landes gab ihn am Sonntag mit 50,1 Zählern an, nachdem es im Dezember noch 50,3 waren. Damit wurden die Analystenerwartungen minimal übertroffen. Der Wert ist zudem deutlich besser als in einer anderen Erhebung unter Einkaufsmanagern von Unternehmen. Dafür waren zuletzt vor allem kleinere Firmen in küstennahen Regionen befragt worden. Hier gab es den stärksten Rückgang seit 23 Monaten.
Zhang Zhiwei, Chefökonom bei der Vermögensverwaltung Pinpoint, führte den schwächeren Einkaufsmanager-Index für die Industrie auf eine maue inländische Nachfrage zurück. Auch der Dienstleistungssektor sei davon betroffen – als Folge der Lockdowns ganzer Millionen-Städte. Es sei daher mit weiteren staatlichen Hilfen zu rechnen.
Der Einkaufsmanager-Index für die Dienstleistungsbranche signalisierte zwar im Januar ebenfalls Wachstum, aber weniger als zuletzt. Er ging auf 51,1 Punkte zurück – nach 52,7 Zählern im Dezember. Das Barometer für Industrie und Dienstleister zusammen lag mit 50,1 Punkten nur noch hauchdünn oberhalb der Wachstumsschwelle. Gegenüber Dezember, als es noch 52,2 Zähler waren, ergibt sich ein deutlicher Rückgang. rtr
Der Elefant im Raum muss erst einmal weg: Christian Hochfeld ist seit 2016 Direktor der Agora Verkehrswende und hat ein Auto. Obwohl es sich seine NGO zum Auftrag gemacht hat, den Verkehrssektor bis zum Jahr 2045 vollständig zu dekarbonisieren. Ein Ziel, das sich auch die deutsche Bundesregierung gesetzt hat – die jedoch ein mahnendes, schlechtes Gewissen braucht, um es nicht zu vergessen.
Oder um die Verantwortung nicht von sich zu schieben. “Eine Frage wird immer gestellt und ich kann sie nicht mehr hören: ‘Was tust du persönlich für die Verkehrswende?’ Schön und gut, wenn immer mehr Menschen persönlich etwas für den Klimaschutz tun, aber die Verantwortung liegt bei der Politik. Sie muss den Rahmen setzen, in dem sich Menschen bewegen.” Und an diesen Rahmen versuchen Hochfeld und die Agora Verkehrswende die Politik immer wieder zu erinnern.
Für Hochfeld ist das eine Lebensaufgabe. Der Berliner wurde in den 1980er-Jahren politisch geprägt. In Tschernobyl explodierte ein Reaktor, in Deutschland starb der Wald und die Grünen gründeten sich. Derart emotional bewaffnet, begann er 1988 sein Studium im Fach Technischer Umweltschutz.
Das lief nicht so wie geplant. Sein erstes Semester fiel in die Zeit von Studentenprotesten, weswegen er zunächst nur Jonglieren lernte, wie er selbst sagt. Als der reguläre Unterricht wieder einsetzte, erkannte er die wahre Natur des von ihm gewählten Studienfachs. Technischer Umweltschutz entpuppte sich im Kern als Ingenieursstudium. Strömungslehre pauken zu müssen, schockte nicht nur ihn, sondern auch einige Mitstudenten. Hochfeld tourte erst einmal durch Südamerika, zog das Studium anschließend aber doch noch durch.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1996. Hochfeld findet einen Platz im Öko-Institut, einem Verein in Freiburg. Die Forschungseinrichtung unterstützt Umweltaktivisten vor Gericht. Sie erstellt Studien, mit denen damals gegen die Errichtung von Müllverbrennungsanlagen und Atommeilern vorgegangen wird. Hier wird Hochfeld klar, dass Umweltschutz nur dann Zählbares erreicht, wenn er Wissenschaft und Politik zusammenbringt.
Doch Klimapolitik funktioniert eben nur international. “Mir war klar, dass sich die Verkehrswende nicht in Bielefeld entscheidet, sondern in Beijing. Deswegen bin ich nach China gegangen”, begründet Hochfeld seinen Wechsel zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Jahr 2010. Er leitete das Projekt für nachhaltigen Verkehr in der Volksrepublik. “Es war eine etwas naive Haltung. Ich bin mit dem festen Vorhaben hin, in China etwas bewegen zu können, bis mir klar wurde, was wir in Deutschland noch zu lernen haben.”
Die Dynamik der chinesischen Politik und Wirtschaft beeindruckte ihn jedoch. Nicht Elon Musk habe die Elektromobilität zu einem globalen Phänomen gemacht, sondern das chinesische Verkehrsministerium.
In Deutschland geht es langsamer – das müssen die Akteure akzeptieren. Die Politiker und Topmanager der Industrie müssen überzeugt werden. Daran glaubt Hochfeld fest, das hat er sich zu Lebensaufgabe gemacht, daran arbeitet Agora Verkehrswende tagtäglich. Christian Domke Seidel
Jürgen Köster ist zum Jahreswechsel ins BMW-Werk in Shenyang gewechselt, um dort als Projekt-Manager die Produktion weiter auszubauen. Köster kommt von Herald International Financial Leasing (China) der BMW-Unternehmensgruppe in Peking.
Jörn Kiepe ist zum Jahreswechsel bei dem Schweizer Chemieriesen Clariant von Frankfurt/Main nach Shanghai gewechselt und ist dort nun Direktor des Process Technology Hub. Er hat bis 2016 China-Erfahrung bei YWK Chemicals in Taicang gesammelt.
Klappernde Essstäbchen, brodelnde Jiaozi-Töpfe, raschelnde Geldumschläge und krachendes Feuerwerksgetöse – die Zeichen stehen in China auf Jahreswechsel. Diesmal springen die Chinesen ins Jahr des Tigers. Ein guter Zeitpunkt, um nachzuschauen, welche Tigervokabeln eigentlich so durchs chinesische Alltagsvokabular tigern.
Da findet man zum Beispiel zwei andere Tierchen im Tigergewand: den “Wandtiger” (壁虎 bìhǔ), bei uns bekannt unter dem Namen “Gecko”, und den “Wassertigerfisch” alias “Piranha”. Tatsächlich gibt es in China aber auch noch “Literaturtiger” (文虎 wénhǔ). Gemeint sind nicht etwa bissige Literaturkritiker, sondern kleine poetische Sprachrätsel, an denen man sich schon mal die Zähne ausbeißen kann. Und wer ganz mutig ist (oder bei der Brautschau nicht richtig hingeschaut hat), holt sich ein Tigerweibchen ins Haus (母老虎 mǔlǎohǔ) – das sprachliche Pendant zu unserem “Hausdrachen”. Die Haustigerin wird vor allem dann ihre Krallen ausfahren, wenn man aufgetragene Putz-, Aufräum- und Bügelarbeiten nur nach Pferd-Tiger-Manier dahinschludert (马虎 mǎhu “nachlässig, schlampig, flüchtig, lax”, wörtlich “Pferd-Tiger”).
Schweiß perlt aber nicht nur auf der Stirn, wenn wilde Furien durch den heimischen Alltag wirbeln, sondern zum Beispiel auch, wenn sich der Sommer temperaturmäßig noch einmal austobt und sich ein paar Herbsttage krallt – das nennt man in China den “Herbsttiger” (秋老虎 qiūlǎohǔ), bei uns Nachsommer oder Altweibersommer genannt. Umweltschützer kommen dagegen ins Schwitzen, wenn sie an Betriebe denken, die bei der Produktion Unmengen an Kohle oder Strom verschlingen. Auf Chinesisch nennt man solche Ressourcenfresser “Kohletiger” (煤老虎 méilǎohǔ) beziehungsweise “Stromtiger” (电老虎 diànlǎohǔ). Im Zwischenmenschlichen sollte man sich derweil vor “lachenden Tigern” (笑面虎 xiàomiànhǔ) in Acht nehmen. Blitzende Zähne in einem Tigermaul können schließlich nichts Gutes verheißen. Es ist die chinesische Variante vom “Wolf im Schafspelz”.
Auch auf Chinas Sprichwörterlandkarte haben die Großkatzen ein beachtliches Revier abgesteckt. Hier eine kleine Auswahl bekannter chinesischer Tigerredensarten:
In diesem Sinne: Kommen Sie gut ins Jahr des Tigers und landen Sie nicht als Bettvorleger. Frohes Tigerjahr – 虎年快乐 hǔnián kuàilè!
Verena Menzel betreibt in Peking die Sprachschule New Chinese.