Table.Briefing: China

Ärger um Olympia-App – Einflussnahme auf Großbritannien

  • IOC als Anwalt der Autokraten
  • Warnungen vor Einheitsfront
  • Französisches Parlament spricht von Genozid
  • Amnesty warnt vor “Sportwashing”
  • Abtrünnige Staatsbürger zur Rückkehr gezwungen
  • Hongkonger Aktivist verlässt Gefängnis
  • Porträt: Paul Harris – Menschenrechtsanwalt in Hongkong
Liebe Leserin, lieber Leser,

ob es sich in Xinjiang um einen Genozid an den Uiguren handelt, hat das französische Parlament am Donnerstag mit Ja beantwortet. Hierzulande tun wir uns dagegen schwer, weil der Begriff durch die deutsche Geschichte eine besondere Schwere erhält. Und zugegeben findet in Xinjiang kein Massenmord an Millionen Menschen binnen weniger Monate statt.

Aber wenn in 1000 Jahren Historiker der Welt auf die schrumpfende Zahl der Uiguren zu Beginn des 21. Jahrhunderts blicken, dann werden fünf Monate oder 50 Jahre in der Bewertung kaum einen Unterschied machen. Die Erkenntnis wird lauten: Damals ist die Zahl der Uiguren in China signikant gesunken, weil die Kommunistische Partei ihre Fortpflanzung mit perfiden Mitteln verhindert hat. Als was sonst außer Genozid sollen unsere Nachfahren die Vorgänge dann noch bezeichnen?

Vielleicht werden die Forscher von morgen dann auch missbilligend auf uns herabblicken und sich fragen: Wieso fanden genau zu dieser Zeit eigentlich zweimal die Olympischen Spiele in Peking statt? Die steinerne Büste von IOC-Präsident Thomas Bach, die vor wenigen Tagen in einem Park der chinesischen Hauptstadt aufgestellt wurde, kann ihnen dabei wertvolle Aufschlüsse geben.

Das IOC fungiert seit Jahren als Anwalt der Autokraten. Auch jetzt, da die IT-Forscher des Citizen Lab der Universität Toronto bei der Nutzung der Olympia-App My2022 vor Zensur und Datenabfluss warnen. Bach hat die Büste wahrlich verdient.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

IOC rechtfertigt Gefahren der Olympia-App: Mut zur Lücke

Die Freundschaft zwischen der Volksrepublik China und Thomas Bach ist buchstäblich in Stein gemeißelt. Im Dongsi-Park, etwas nördlich der Verbotenen Stadt, steht seit dem vergangenen Wochenende eine 72 cm große Steinbüste, die den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) darstellt. Das Antlitz des früheren Weltklasse-Fechters, unter dessen Verantwortung die Olympischen Winterspiele (4. bis 20. Februar) nach Peking vergeben wurden, gesellt sich zu bereits vorhandenen Statuen einiger seiner Amtsvorgänger. Darunter Juan Antonio Samaranch und Jacques Rogge, die Peking die Sommerspiele 2008 beschert hatten.

Die steinerne Verewigung ist Ausdruck des Danks der Kommunistischen Partei an Bach. Dessen unermüdlicher Einsatz, die erneute Vergabe von Olympischen Spielen an eine Diktatur zu rechtfertigen, und jeden Angriff auf die Gastgeber zu parieren, weiß das Regime zu schätzen.

Das IOC stellte seine Zuverlässigkeit als Anwalt Pekings nun Mitte der Woche einmal mehr unter Beweis. Die mächtige Sportorganisation verteidigte die in die Kritik geratene Olympia-App My2022. Eine Untersuchung durch das Citizen Lab der Universität Toronto hatte erhebliche Sicherheitsmängel der Software aufgedeckt. Doch statt die Bedenken von IT-Experten öffentlich ernstzunehmen, wischte das IOC die Diskussion vom Tisch.

Abfluss von Daten und Zensur von Schlüsselbegriffen möglich

Es seien wegen der Corona-Pandemie “besondere Maßnahmen” notwendig, um die “Teilnehmer der Olympischen und Paralympischen Winterspiele Peking 2022 sowie die chinesischen Bürger zu schützen”, sagte ein IOC-Sprecher dem Branchenmagazin ZDNet. Die App My2022 würde die Maßnahmen als Gesundheitstracker unterstützen.

Die Anwendung ist für alle akkreditierten Sportler, Funktionäre, Sponsoren, Journalisten und freiwilligen Helfer verpflichtend zu nutzen. Ohne Registrierung bei My2022 ist der Zugang zu den Olympischen Spielen nicht möglich. Nicht einmal für Thomas Bach. Die Untersuchung hat nun aber ergeben, dass die App so konzipiert ist, dass persönliche Daten, Inhalte von Sprach- oder Textnachrichten abfließen können. Zudem gibt es Hinweise, dass die Applikation konkrete Schlüsselbegriffe wie Xinjiang oder Tibet filtern und zensieren kann.

Allein der Verdacht sollte das IOC alarmieren. Stattdessen versuchen die Wächter der fünf Ringe, die Gemüter zu beschwichtigen. Die Nutzer hätten die Kontrolle über die App und könnten jederzeit die Einstellungen der Software ändern. Die großen Softwareplattformen von Google und Apple hätten ihre Genehmigungen zum Download erteilt. Es sei zudem nicht verpflichtend, die Anwendung auf das eigene Mobiltelefon herunterzuladen. Die Registrierung könne auch über die Internetseite erfolgen. In der Praxis dürfte dies für alle Betroffenen aber erhebliche Verzögerungen in alltäglichen Prozessen bedeuten.

DOSB im Austausch mit Bundesamt für IT-Sicherheit

Ron Deibert vom Citizen Lab warf dem IOC via ZDNet vor, seine Verantwortung nicht ernstzunehmen. Stattdessen hoffe die Organisation darauf, dass die Nutzer die persönlichen Daten-Risiken minimieren. Die Forscher sehen jedoch sowohl die Allgemeinen Geschäftbedingungen von Google als auch von Apple verletzt. Sogar chinesische Gesetze zum Datenschutz sollen laut Citizen Lab durch My2022 gebrochen werden.

Das Thema beschäftigt auch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der 146 Athletinnen und Athleten in die chinesische Hauptstadt schickt. Am Mittwochabend war ein Vertreter des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Gast beim digitalen Treffen des Teams Deutschland. In der regelmäßigen Zusammenkunft tauschen sich DOSB-Funktionäre vor Olympia “mit Athlet:innen und Betreuer:innen über den aktuellen Informationsstand aus”, wie der Verband mitteilt. Thema diesmal: Die App My2022.

“Unsere Athleten werden in Peking mit einem Smartphone des IOC-Partners Samsung ausgestattet. Das BSI empfiehlt, ‘My2022’ auf diesen Geräten in China zu verwenden, die App bei der Rückkehr nach Deutschland zu deinstallieren und die Geräte auf die Werkseinstellungen zurückzusetzen”, teilt der DOSB in einer Stellungnahme an China.Table mit.

Die Möglichkeit zum Datenraub und zur Zensur nicht mit großer Entschlossenheit zu verhindern, widerspricht nicht nur dem demokratischen Menschenverstand. Es widerspricht auch dem Geist der Olympischen Charta, auf deren Einhaltung das IOC an anderer Stelle pocht. Hier aber biegt es seine eigenen Grundsätze, bis sie mit den autoritären Vorstellungen Pekings übereinstimmen.

Pekings Funktionäre warnen Athleten vor Kritik an China

So garantiert Artikel 50 der Charta den Athletinnen und Athleten das Recht zu politischen Äußerungen. Einzige Bedingung: Während der Wettkämpfe oder der Medaillenzeremonien sind sie verboten. Bei Pressekonferenzen sind sie dagegen erlaubt. Dennoch weist das IOC darauf hin, dass die Teilnehmer sich an die örtlichen Gesetze halten müssen. Der Verband unterstützt auch mit dieser Äußerung die Haltung Pekings.

Am Dienstag hatte ein Vertreter des Organisationskomitees BOCOG eine Warnung an ausländische Sportlerinnen und Sportler ausgesprochen: “Jedes Verhalten oder jede Äußerung, die gegen den olympischen Geist verstößt, insbesondere gegen chinesische Gesetze und Vorschriften, unterliegt ebenfalls bestimmten Strafen.” Die Athletenvereinigung Global Athletes warf dem IOC Komplizenschaft vor, weil es Athletinnen und Athleten nicht ausreichend schütze.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte am Mittwoch gewarnt: “Die Olympischen Winterspiele in Peking dürfen nicht dem Sportwashing dienen.” (China.Table berichtete.) Der neue Begriff bezeichnet Bemühungen, den Ruf eines Landes durch die Organisation eines sportlichen Großereignisses zu verbessern. Wenn Peking die Spiele als Aushängeschild nutzen wolle, dann müsse es alle Personen aus dem Gefängnis entlassen, “die lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte strafverfolgt und inhaftiert sind”, sagte Julia Duchrow, Stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland.

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    Fall Lee in Großbritannien: “Nur die Spitze des Eisbergs”

    Plötzlich erscheinen all diese Bilder von Christine Lee in einem anderen Licht. Da gibt es diese Aufnahme, die sie im scheinbar engen Austausch mit dem früheren britischen Premierminister David Cameron zeigt. Auf einem anderen Foto ist sie mit einer Gruppe junger Chinesinnen und Chinesen an der Seite des früheren Chefs der Labour-Partei Jeremy Corbyn zu sehen.

    Seit wenigen Tagen ist der Name Christine Lee in Großbritannien in aller Munde. Der Inlandsgeheimdienst MI5 hatte den Stein am Donnerstag ins Rollen gebracht. Der Sicherheitsdienst warnte die Mitglieder des Parlaments vor der einflussreichen Anwältin mit britischem Pass. Sie versuche, im Interesse der Volksrepublik China auf die Politik des Landes einzuwirken. Die Bilder mit Cameron oder Corbyn erwecken den Eindruck, dass sie erfolgreich war.

    Dabei stehen weder Cameron noch Corbyn im Mittelpunkt der Affäre, sondern der Labour-Abgeordnete Barry Gardiner. Bis 2020 war Gardiner Energie-Schattenminister unter Corbyn und bereits vor fast 20 Jahren für die Regierung Tony Blair als Juniorminister aktiv. Sein Büro erhielt Spenden von Lee in Höhe von 200.000 Pfund. Gardiner war größter Profiteur von Lees Zahlungen, die insgesamt fast eine halbe Million Pfund ausmachten. Doch auch viele weitere Abgeordnete und Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum erhielten Zuwendungen.

    Gardiner erhielt die Spenden völlig legal und transparent. Er machte die Zahlungen stets öffentlich. Das Geld wurde verwendet, um Studien und Untersuchungen in dessen Londoner Wahlkreis Brent North zu finanzieren. Der Politiker zeigte sich überrascht von der Warnung des MI5. Er habe den Geheimdienst jahrelang über die Spenden von Christine Lee informiert, erklärte er. Niemals sei er gewarnt worden. Lee sei eine registrierte Spenderin gewesen, und das von ihr gezahlte Geld sauber. Das Innenministerium stufte Lees Aktivitäten als “unterhalb der Schwelle zur Kriminalität” ein.

    Finanzielle Zuwendungen an Parteien und Parlamentarier

    Dennoch muss sich Gardiner nun rechtfertigen. Ihm wird vorgeworfen, er habe unter Lees Einfluss für eine chinesische Beteiligung am Bau des Kernkraftwerkes Hinkley Point C im Süden England die Werbetrommel gerührt. Der Abgeordnete bestreitet das. Er habe den britischen Steuerzahler vor Wucherpreisen anderer Anbieter bewahren wollen, sagt Gardiner.

    Doch diese Vorwürfe sind nicht neu. Über Zuwendungen an Gardiners Büro berichtete die britische Presse schon im Jahr 2019. Auch damals fiel der Name Christine Lee. Der entscheidende Unterschied: Der Geheimdienst äußerte sich damals nicht. Stattdessen zeichnete die damalige Premierministerin Theresa May Christine Lee im selben Jahr für deren Engagement für die chinesisch-britischen Beziehungen mit dem “Points of Light”-Award aus. Sie könne “sehr stolz” sein, schrieb May der Juristin in einem persönlichen Brief.

    Jetzt die Kehrtwende. Der MI5 warnte das Parlament nicht nur vor Christine Lee, sondern thematisierte auch die guten Kontakte der gebürtigen Hongkongerin zum United Front Work Department (UFWD), der chinesischen Einheitsfront. “Es ist das erste Mal, dass der MI5 die UFWD als ein Problem für die nationale Sicherheit öffentlich identifiziert“, sagt Didi-Kirsten Tatlow von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). “Das hat nicht nur symbolische Bedeutung, sondern ist ein Signal, dass man sich in Großbritannien offenbar dazu entschlossen hat, chinesischen Einfluss ernsthaft zurückzudrängen.”

    Die Einheitsfront ist fast so alt wie die Partei selbst (China.Table berichtete). Sie kommt intensiv dort zum Einsatz, wo Zweifel aufkommen an der Legitimität der KP, wo Kritik laut wird an ihrer Politik und wo Widerstand droht gegen ihre autoritäre Herrschaft. Über eine Verästelung vieler Partei-Organisationen knüpft die Einheitsfront auch Kontakte zu einflussreichen Kräften im Ausland. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft – überall ist sie aktiv. Und das buchstäblich in allen Ländern der Welt.

    Einheitsfront als eine Art Management-Instrument der KP

    Experten warnen davor, was Wirken der Einheitsfront zu unterschätzen. “Sie ist eine Art Management-Instrument der KP Chinas, um sicherzustellen, dass einerseits Nicht-Mitglieder auf Parteilinie gebracht und andererseits negative Stimmen marginalisiert werden”, sagte Ralph Weber, Professor am Europainstitut der Universität in Basel, im vergangenen Jahr im Gespräch mit China.Table.

    Der konservative Parlamentarier Sir Iain Duncan Smith zeigte sich zutiefst besorgt über die Warnung des MI5 vor Christine Lee. Smith ist von der chinesischen Regierung wegen seiner Unterstützung pro-demokratischer Politiker und Aktivisten aus Hongkong von der chinesischen Regierung sanktioniert. Er verlangte einerseits Aufklärung über die Risiken für Hongkonger Aktivisten und stellte zudem die Frage, ob der Akkreditierungsprozess des Parlaments “für solche Leute” – gemeint ist Lee – überarbeitet werden müsse.

    Einige politische Beobachter stellten sich derweil die Frage, ob der Zeitpunkt der Warnung durch den Geheimdienst auch innenpolitische Gründe haben könnte. Premierminister Boris Johnson steckt knietief in Schwierigkeiten wegen eines Party-Besuchs in Corona-Zeiten. Da kommen Zuwendungen an einen Labour-Politiker von einer großzügigen Spenderin mit besten Beziehungen zur Kommunistischen Partei nicht ganz ungelegen. Dagegen spricht, dass zu viele britische Parteien und Politiker in den Fall Christine Lee verstrickt sind.

    Im Ausland eine Kommunikatorin der Stimme Chinas

    Lee ist britische Staatsbürgerin. Ihre Eltern wanderten nach Nordirland aus, als sie noch ein Kind war. Dass sie gute Kontakte zum chinesischen Parteistaat pflegt, hätte jedem Parlamentarier klar sein müssen, der ihr Geld akzeptierte. Ihre Kanzlei betreibt ein eigenes Büro im Gebäude der britischen Botschaft in Peking. Seit vielen Jahren berät sie dort chinesische Unternehmen, die in Großbritannien investieren wollen.

    Auf Fotografien ist sie bei der Shenzhen Overseas Exchange Association Conference zu sehen. Als ehrenamtliche Beraterin unterstützte sie die Direktorin der Shenzhen-Abteilung der Einheitsfront. Ein anderes Bild zeigt sie, wie sie bei einem Empfang die Hand von Chinas Staatspräsident Xi Jinping schüttelt.

    In China habe Lee einer Rede des Einheitsfront-Vorsitzenden You Quan beigewohnt, schreibt Martin Thorley von der Universität Exeter auf Twitter. Thorley forscht zu den chinesisch-britischen Beziehungen. You ermutigte die Zuhörer, den “von Xi Jinping geprägten Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken” als Leitlinie zu akzeptieren. Laut Thorley habe Lee die Rede “ermutigt und berührt” aufgenommen. Demnach schwärmte sie von ihrem starken Gefühl des Nationalstolzes. Obwohl sie all die Jahre in Großbritannien verbracht habe, wolle sie “eine Kommunikatorin der Stimme Chinas sein“, habe Lee gesagt.

    Thorley glaubt, der Fall Lee sei “lediglich die Spitze des Eisberges”. Noch düsterer sehen die Autoren Mareike Ohlberg und Clive Hamilton das Maß an Einfluss chinesischer Interessen in Großbritannien. In ihrem Buch “Die lautlose Eroberung” beschreiben sie die britische Polit- und Wirtschaftselite also so tief infiltriert, dass der “Point of no Return” bereits überschritten sei. Das System lasse sich praktisch nicht mehr säubern.

    Forscherin Tatlow von der DGAP ist dagegen weniger pessimistisch. Sie glaubt, dass der “schleichenden, teils aggressiven Einflussnahme” immer noch erfolgreich entgegengewirkt werden kann. Voraussetzung: weniger Naivität und mehr Entschlossenheit. Das gelte aber nicht nur für Großbritannien. “China ist auch in Deutschland und in vielen Teilen Europas bereits tief in den politischen Machtkorridor eingedrungen. Das ist das Resultat von jahrzehntelanger Arbeit der Kommunistischen Partei.”

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      Frankreich: In Xinjiang findet “Genozid” statt

      Die französische Nationalversammlung hat die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung an der uigurischen Minderheit in Xinjiang als Völkermord eingestuft. In einer Abstimmung am Donnerstag fiel das Urteil der Abgeordneten eindeutig aus. 169 Parlamentarier:innen votierten mit Ja. Es gab nur eine Nein-Stimme.

      Das Ergebnis der Abstimmung wird nun offiziell der französischen Regierung vorgelegt, die eine öffentliche Verurteilung “der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Genozids” formulieren und außenpolitische Maßnahmen zur Beendigung des Völkermords ergreifen soll. Das Votum ist für die Regierung jedoch nicht bindend. Initiiert wurde die Abstimmung von den oppositionellen Sozialisten. Doch auch die Fraktion der Regierungspartei LREM von Staatspräsident Emmanuel Macron unterstützte die Resolution. “China ist eine Großmacht. Wir lieben das chinesische Volk. Aber wir weigern uns, uns der Propaganda eines Regimes zu unterwerfen, das auf unsere Feigheit und unsere Gier setzt, um vor aller Augen einen Völkermord zu begehen”, sagte der Vorsitzende der sozialistischen Partei, Olivier Faure.

      Unabhängige Untersuchung der Xinjiang-Vorwürfe wird erschwert

      Die französischen Abgeordneten kamen damit zu der gleichen Einschätzung wie zuvor die Parlamentarier in Kanada, den Niederlanden und Litauen sowie der tschechische Senat. Auch die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens sprechen offiziell von einem Genozid. Das belgische Parlament sieht das uigurische Volk einem “hohen Risiko” ausgesetzt, Opfer eines Völkermordes zu werden.

      In Xinjiang sind laut Schätzungen etwa eine Million Uiguren in Internierungslagern inhaftiert. Chinas Regierung behauptet, die Lager seien Ausbildungszentren, um der lokalen Bevölkerung bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Unabhängige Untersuchungen oder Recherchen durch die Vereinten Nationen, EU-Politiker, Diplomaten, Menschenrechtsgruppen oder Journalisten lässt die Volksrepublik nicht zu.

      Ehemalige Häftlinge berichten jedoch von Folter, Vergewaltigungen und Gehirnwäsche, die die Menschen in den Lagern über sich ergehen lassen müssen. Uigurische Exilanten werfen Peking strikte und teils brutale Mittel zur Geburtenkontrolle vor, um eine Fortpflanzung zu verhindern. grz

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        Amnesty kritisiert “Sportwashing” bei Olympia

        Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele die Menschenrechtslage in China als “weiterhin katastrophal” bezeichnet. “Die Olympischen Winterspiele in Peking dürfen nicht dem Sportswashing dienen”, warnte Julia Duchrow, Stellvertrende Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland. Der neue Begriff “Sportswashing” bezeichnet Bemühungen, den Ruf eines Landes durch die Organisation eines sportlichen Großereignisses zu verbessern. Wenn Peking die Spiele als Aushängeschild nutzen wolle, dann müsse es alle Personen aus dem Gefängnis entlassen, “die lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte strafverfolgt und inhaftiert sind”.

        Unterdessen forderte der US-Kongress die Vereinten Nationen auf, noch vor Beginn der Winterspiele am 4. Februar einen offiziellen Bericht zur Lage in Xinjiang zu veröffentlichen. Das teilte der von den Demokraten geführte Ausschuss zur Beobachtung der Menschenrechtslage in China am Mittwoch mit. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet fordert von Peking seit Jahren erfolglos einen ungehinderten Zugang zu Xinjiang. Dort soll China Berichten zufolge bis zu eine Million Uiguren in Umerziehungslagern interniert haben. Peking weist die Vorwürfe zurück. ck

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          Peking zwingt abtrünnige Staatsbürger zur Rückkehr

          Wer aus Angst vor der chinesischen Führung das Land verlassen hat, kann sich nicht einmal im Ausland in Sicherheit wähnen. Einem Bericht der in Spanien ansässigen Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders zufolge hat die kommunistische Führung in Peking seit 2014 fast 10.000 chinesische Staatsangehörige im Ausland mithilfe außergerichtlicher Zwangsmaßnahmen zur Rückkehr in die Volksrepublik gezwungen. Dabei handele es sich nur um die “Spitze des Eisbergs”, heißt es in dem Bericht. Unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung geht Peking keineswegs nur gegen korrupte Parteikader vor, sondern verfolgt auch Regimekritiker im Ausland.

          Im Rahmen zweier Kampagnen namens “Fuchsjagd” und “Sky Net”seien die Zielpersonen von den chinesischen Behörden mithilfe von Entführungen, Schikanen und Einschüchterungen unter Druck gesetzt worden, hieß es. Chinesische Agenten bedrohten die Kritiker im Ausland. Manchmal lockten sie die Zielpersonen in Drittländer, die Auslieferungsabkommen mit China haben.

          Die Organisation berichtet auch von Fällen, in denen Angehörige in China schikaniert und sogar inhaftiert wurden, um Menschen zur Rückkehr zu bewegen. “Die chinesische Diaspora wächst immer schneller, und immer mehr Menschen versuchen China zu verlassen. Daher war Peking noch nie so motiviert, die Befugnisse seiner Sicherheitskräfte im Ausland auszuweiten”, heißt es in dem Bericht.

          China kennt auch keine Scheu, Menschen zu entführen, die keine chinesischen Staatsbürger sind. So wurde 2015 der Buchhändler und schwedische Staatsbürger Gui Minhai aus Thailand verschleppt. Er tauchte wenig später in chinesischem Gewahrsam wieder auf. flee

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          Hongkonger Aktivist aus Haft entlassen

          Der Hongkonger Aktivist Edward Leung Tin-kei ist nach fast vier Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden. Das teilte die Strafvollzugsbehörde am Mittwoch mit. Der heute 30-Jährige war einer der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung von 2016 und war seit 2018 in Haft. Sein Fall zeigt, dass manche Aktivisten auch schon vor Erlass des umstrittenen Nationalen Sicherheitsgesetzes von 2020 gefährlich lebten.

          Leung wurde verfolgt, weil er sich für die Unabhängigkeit Hongkongs von China eingesetzt hatte – das roteste aller Tücher für Peking. Er war damals das Gesicht der Gruppe Hong Kong Indigenous und 2016 zu einer Nachwahl zum Stadtparlament angetreten. Im Gefängnis landete er offiziell aufgrund des Vorwurfs, sich in jenem Jahr an Ausschreitungen beteiligt zu haben. Heute wäre Leungs Haft deutlich länger ausgefallen. Durch das 2020 in Kraft getretene Nationale Sicherheitsgesetz wird das Eintreten für eine Abspaltung Hongkongs von China mit einer Haftstrafe von zehn Jahren bis lebenslänglich bestraft.

          Der bekannte Aktivist Joshua Wong erreichte derweil am Mittwoch eine leichte Verkürzung seiner Haftstrafe. Ein Berufungsgericht habe seine zehnmonatige Haft wegen seiner Rolle bei einer unautorisierten Gedenkveranstaltung 2020 für das Tiananmen-Massaker um zwei Monate verkürzt, berichtet die South China Morning Post. Das Gericht ordnete außerdem an, dass Wong zwei Monate der Strafe gleichzeitig mit den 17,5 Monaten aus anderen Urteilen verbüßen solle. Insgesamt verkürzt sich Wongs Haftzeit damit auf 23,5 Monate. Doch Wong drohen weitere Verfahren, unter anderem wegen seiner Rolle bei den inoffiziellen Vorwahlen zum Legislativrat im Jahr 2020.

          Der entlassene Edward Leung will sich nach eigenen Worten aus der Bewegung zurückziehen. “Nach vier Jahren möchte ich die kostbare Zeit, die ich mit meiner Familie habe, genießen und wieder ein normales Leben führen”, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP. Auch soziale Medien wolle er nicht mehr nutzen. Denn er sei gesetzlich verpflichtet, sich an eine “Überwachungsanordnung” zu halten. ck

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            Portrait

            Paul Harris – Verteidiger des “Right to Demonstrate”

            Paul Harris, Anwalt in Hongkong

            Für Paul Harris endet im Januar 2022 eine brisante Amtsperiode. “Ich werde versuchen, die Freiheit in Hongkong zu schützen. Ich weiß nicht, ob ich Erfolg haben werde”, hatte er der britischen Zeitung The Times gesagt, als er Anfang 2021 für ein Jahr zum Vorsitzenden der Anwaltskammer Hongkong gewählt wurde. Dabei war ihm klar, dass er diese anspruchsvolle Position zu einem kritischen Zeitpunkt erlangte: “Es ist eine schwierige Zeit für die Rechtsstaatlichkeit in Hongkong”, erklärte Harris der South China Morning Post.

            Im Verlauf des Jahres wurde ihm vom Verbindungsbüro der chinesischen Zentralregierung in Hongkong vorgeworfen, ein “Anti-China-Politiker” zu sein. Rufe nach Amtsenthebung wurden laut. Dabei spielten unter anderem seine Forderungen nach einer Modifizierung des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes in Hongkong eine Rolle. Auch Äußerungen zur Verurteilung friedlicher Demonstranten haben ihn die Gunst Pekings gekostet. Harris vertritt die Meinung: “Menschen haben starke Gefühle, und sie müssen ein Ventil für diese Gefühle finden. Eine friedliche Demonstration ist so ein Ventil.” Wenn die Regierung das nicht zulässt, werden diese Gefühle nicht verschwinden.

            Spannungen in seinem Arbeitsumfeld dürfte Harris aus seiner jahrelangen Berufserfahrung jedoch gewöhnt sein. Er war viele Jahre in London als Barrister tätig. Das ist eine Berufsbezeichnung aus Großbritannien, die das Privileg beinhaltet, als Rechtsanwalt an Obergerichten auftreten zu dürfen. Seit 1993 arbeitet der auf öffentliches Recht und Menschenrechte spezialisierte Jurist auch in Hongkong und hat viele heikle Fälle unter anderem auf den Gebieten Immigrationsrecht und Menschenhandel bearbeitet. Er kümmert sich auch um die Rechte der vielen Hausangestellten, die in Hongkong am Rande der Gesellschaft leben.  

            Mann von Welt und Sprachgenie

            Paul Harris ist eine facettenreiche Persönlichkeit. Auf LinkedIn schreibt er: “Ich bin Anwalt, Schriftsteller, Reisender und Menschenrechtsaktivist.” Für jeden Teil dieser Selbstbeschreibung finden sich zahlreiche Belege in seinem Lebenslauf: Er absolvierte einen Jura-Master am Lincoln College in Oxford und später einen zweiten Master in internationalem Menschenrecht an der Universität von Hongkong. Seit 1988 ist er als Rechtsanwalt tätig.

            Er publiziert zu juristischen Themen: “​The Right to Demonstrate”​ lautet einer seiner Buchtitel. Überdies ist er Gründer des Hong Kong Human Rights Monitor, der wichtigsten Menschenrechtsorganisation der Stadt. Die monatliche Publikation der NGO informiert über die aktuellsten Ansichten und Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte.

            Das Berichtsgebiet des Human Rights Monitor ist aber nicht auf Hongkong beschränkt, sondern es umspannt den Globus – und das entspricht den Neigungen und der Persönlichkeit des Gründers. Nicht nur seine Tätigkeit als Referent für Äthiopien, Somalia und Jemen Mitte der 1980er-Jahre zeichnen ihn als Mann von Welt aus. Harris hat bereits alle Länder der Erde bereist. Nach seiner Berechnung sind es 198. Und neben Englisch spricht er auch Kantonesisch, Französisch, Spanisch und Deutsch. Juliane Scholübbers  

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            China.Table Redaktion

            CHINA.TABLE REDAKTION

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              ob es sich in Xinjiang um einen Genozid an den Uiguren handelt, hat das französische Parlament am Donnerstag mit Ja beantwortet. Hierzulande tun wir uns dagegen schwer, weil der Begriff durch die deutsche Geschichte eine besondere Schwere erhält. Und zugegeben findet in Xinjiang kein Massenmord an Millionen Menschen binnen weniger Monate statt.

              Aber wenn in 1000 Jahren Historiker der Welt auf die schrumpfende Zahl der Uiguren zu Beginn des 21. Jahrhunderts blicken, dann werden fünf Monate oder 50 Jahre in der Bewertung kaum einen Unterschied machen. Die Erkenntnis wird lauten: Damals ist die Zahl der Uiguren in China signikant gesunken, weil die Kommunistische Partei ihre Fortpflanzung mit perfiden Mitteln verhindert hat. Als was sonst außer Genozid sollen unsere Nachfahren die Vorgänge dann noch bezeichnen?

              Vielleicht werden die Forscher von morgen dann auch missbilligend auf uns herabblicken und sich fragen: Wieso fanden genau zu dieser Zeit eigentlich zweimal die Olympischen Spiele in Peking statt? Die steinerne Büste von IOC-Präsident Thomas Bach, die vor wenigen Tagen in einem Park der chinesischen Hauptstadt aufgestellt wurde, kann ihnen dabei wertvolle Aufschlüsse geben.

              Das IOC fungiert seit Jahren als Anwalt der Autokraten. Auch jetzt, da die IT-Forscher des Citizen Lab der Universität Toronto bei der Nutzung der Olympia-App My2022 vor Zensur und Datenabfluss warnen. Bach hat die Büste wahrlich verdient.

              Ihr
              Marcel Grzanna
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              IOC rechtfertigt Gefahren der Olympia-App: Mut zur Lücke

              Die Freundschaft zwischen der Volksrepublik China und Thomas Bach ist buchstäblich in Stein gemeißelt. Im Dongsi-Park, etwas nördlich der Verbotenen Stadt, steht seit dem vergangenen Wochenende eine 72 cm große Steinbüste, die den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) darstellt. Das Antlitz des früheren Weltklasse-Fechters, unter dessen Verantwortung die Olympischen Winterspiele (4. bis 20. Februar) nach Peking vergeben wurden, gesellt sich zu bereits vorhandenen Statuen einiger seiner Amtsvorgänger. Darunter Juan Antonio Samaranch und Jacques Rogge, die Peking die Sommerspiele 2008 beschert hatten.

              Die steinerne Verewigung ist Ausdruck des Danks der Kommunistischen Partei an Bach. Dessen unermüdlicher Einsatz, die erneute Vergabe von Olympischen Spielen an eine Diktatur zu rechtfertigen, und jeden Angriff auf die Gastgeber zu parieren, weiß das Regime zu schätzen.

              Das IOC stellte seine Zuverlässigkeit als Anwalt Pekings nun Mitte der Woche einmal mehr unter Beweis. Die mächtige Sportorganisation verteidigte die in die Kritik geratene Olympia-App My2022. Eine Untersuchung durch das Citizen Lab der Universität Toronto hatte erhebliche Sicherheitsmängel der Software aufgedeckt. Doch statt die Bedenken von IT-Experten öffentlich ernstzunehmen, wischte das IOC die Diskussion vom Tisch.

              Abfluss von Daten und Zensur von Schlüsselbegriffen möglich

              Es seien wegen der Corona-Pandemie “besondere Maßnahmen” notwendig, um die “Teilnehmer der Olympischen und Paralympischen Winterspiele Peking 2022 sowie die chinesischen Bürger zu schützen”, sagte ein IOC-Sprecher dem Branchenmagazin ZDNet. Die App My2022 würde die Maßnahmen als Gesundheitstracker unterstützen.

              Die Anwendung ist für alle akkreditierten Sportler, Funktionäre, Sponsoren, Journalisten und freiwilligen Helfer verpflichtend zu nutzen. Ohne Registrierung bei My2022 ist der Zugang zu den Olympischen Spielen nicht möglich. Nicht einmal für Thomas Bach. Die Untersuchung hat nun aber ergeben, dass die App so konzipiert ist, dass persönliche Daten, Inhalte von Sprach- oder Textnachrichten abfließen können. Zudem gibt es Hinweise, dass die Applikation konkrete Schlüsselbegriffe wie Xinjiang oder Tibet filtern und zensieren kann.

              Allein der Verdacht sollte das IOC alarmieren. Stattdessen versuchen die Wächter der fünf Ringe, die Gemüter zu beschwichtigen. Die Nutzer hätten die Kontrolle über die App und könnten jederzeit die Einstellungen der Software ändern. Die großen Softwareplattformen von Google und Apple hätten ihre Genehmigungen zum Download erteilt. Es sei zudem nicht verpflichtend, die Anwendung auf das eigene Mobiltelefon herunterzuladen. Die Registrierung könne auch über die Internetseite erfolgen. In der Praxis dürfte dies für alle Betroffenen aber erhebliche Verzögerungen in alltäglichen Prozessen bedeuten.

              DOSB im Austausch mit Bundesamt für IT-Sicherheit

              Ron Deibert vom Citizen Lab warf dem IOC via ZDNet vor, seine Verantwortung nicht ernstzunehmen. Stattdessen hoffe die Organisation darauf, dass die Nutzer die persönlichen Daten-Risiken minimieren. Die Forscher sehen jedoch sowohl die Allgemeinen Geschäftbedingungen von Google als auch von Apple verletzt. Sogar chinesische Gesetze zum Datenschutz sollen laut Citizen Lab durch My2022 gebrochen werden.

              Das Thema beschäftigt auch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der 146 Athletinnen und Athleten in die chinesische Hauptstadt schickt. Am Mittwochabend war ein Vertreter des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Gast beim digitalen Treffen des Teams Deutschland. In der regelmäßigen Zusammenkunft tauschen sich DOSB-Funktionäre vor Olympia “mit Athlet:innen und Betreuer:innen über den aktuellen Informationsstand aus”, wie der Verband mitteilt. Thema diesmal: Die App My2022.

              “Unsere Athleten werden in Peking mit einem Smartphone des IOC-Partners Samsung ausgestattet. Das BSI empfiehlt, ‘My2022’ auf diesen Geräten in China zu verwenden, die App bei der Rückkehr nach Deutschland zu deinstallieren und die Geräte auf die Werkseinstellungen zurückzusetzen”, teilt der DOSB in einer Stellungnahme an China.Table mit.

              Die Möglichkeit zum Datenraub und zur Zensur nicht mit großer Entschlossenheit zu verhindern, widerspricht nicht nur dem demokratischen Menschenverstand. Es widerspricht auch dem Geist der Olympischen Charta, auf deren Einhaltung das IOC an anderer Stelle pocht. Hier aber biegt es seine eigenen Grundsätze, bis sie mit den autoritären Vorstellungen Pekings übereinstimmen.

              Pekings Funktionäre warnen Athleten vor Kritik an China

              So garantiert Artikel 50 der Charta den Athletinnen und Athleten das Recht zu politischen Äußerungen. Einzige Bedingung: Während der Wettkämpfe oder der Medaillenzeremonien sind sie verboten. Bei Pressekonferenzen sind sie dagegen erlaubt. Dennoch weist das IOC darauf hin, dass die Teilnehmer sich an die örtlichen Gesetze halten müssen. Der Verband unterstützt auch mit dieser Äußerung die Haltung Pekings.

              Am Dienstag hatte ein Vertreter des Organisationskomitees BOCOG eine Warnung an ausländische Sportlerinnen und Sportler ausgesprochen: “Jedes Verhalten oder jede Äußerung, die gegen den olympischen Geist verstößt, insbesondere gegen chinesische Gesetze und Vorschriften, unterliegt ebenfalls bestimmten Strafen.” Die Athletenvereinigung Global Athletes warf dem IOC Komplizenschaft vor, weil es Athletinnen und Athleten nicht ausreichend schütze.

              Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte am Mittwoch gewarnt: “Die Olympischen Winterspiele in Peking dürfen nicht dem Sportwashing dienen.” (China.Table berichtete.) Der neue Begriff bezeichnet Bemühungen, den Ruf eines Landes durch die Organisation eines sportlichen Großereignisses zu verbessern. Wenn Peking die Spiele als Aushängeschild nutzen wolle, dann müsse es alle Personen aus dem Gefängnis entlassen, “die lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte strafverfolgt und inhaftiert sind”, sagte Julia Duchrow, Stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland.

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                Fall Lee in Großbritannien: “Nur die Spitze des Eisbergs”

                Plötzlich erscheinen all diese Bilder von Christine Lee in einem anderen Licht. Da gibt es diese Aufnahme, die sie im scheinbar engen Austausch mit dem früheren britischen Premierminister David Cameron zeigt. Auf einem anderen Foto ist sie mit einer Gruppe junger Chinesinnen und Chinesen an der Seite des früheren Chefs der Labour-Partei Jeremy Corbyn zu sehen.

                Seit wenigen Tagen ist der Name Christine Lee in Großbritannien in aller Munde. Der Inlandsgeheimdienst MI5 hatte den Stein am Donnerstag ins Rollen gebracht. Der Sicherheitsdienst warnte die Mitglieder des Parlaments vor der einflussreichen Anwältin mit britischem Pass. Sie versuche, im Interesse der Volksrepublik China auf die Politik des Landes einzuwirken. Die Bilder mit Cameron oder Corbyn erwecken den Eindruck, dass sie erfolgreich war.

                Dabei stehen weder Cameron noch Corbyn im Mittelpunkt der Affäre, sondern der Labour-Abgeordnete Barry Gardiner. Bis 2020 war Gardiner Energie-Schattenminister unter Corbyn und bereits vor fast 20 Jahren für die Regierung Tony Blair als Juniorminister aktiv. Sein Büro erhielt Spenden von Lee in Höhe von 200.000 Pfund. Gardiner war größter Profiteur von Lees Zahlungen, die insgesamt fast eine halbe Million Pfund ausmachten. Doch auch viele weitere Abgeordnete und Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum erhielten Zuwendungen.

                Gardiner erhielt die Spenden völlig legal und transparent. Er machte die Zahlungen stets öffentlich. Das Geld wurde verwendet, um Studien und Untersuchungen in dessen Londoner Wahlkreis Brent North zu finanzieren. Der Politiker zeigte sich überrascht von der Warnung des MI5. Er habe den Geheimdienst jahrelang über die Spenden von Christine Lee informiert, erklärte er. Niemals sei er gewarnt worden. Lee sei eine registrierte Spenderin gewesen, und das von ihr gezahlte Geld sauber. Das Innenministerium stufte Lees Aktivitäten als “unterhalb der Schwelle zur Kriminalität” ein.

                Finanzielle Zuwendungen an Parteien und Parlamentarier

                Dennoch muss sich Gardiner nun rechtfertigen. Ihm wird vorgeworfen, er habe unter Lees Einfluss für eine chinesische Beteiligung am Bau des Kernkraftwerkes Hinkley Point C im Süden England die Werbetrommel gerührt. Der Abgeordnete bestreitet das. Er habe den britischen Steuerzahler vor Wucherpreisen anderer Anbieter bewahren wollen, sagt Gardiner.

                Doch diese Vorwürfe sind nicht neu. Über Zuwendungen an Gardiners Büro berichtete die britische Presse schon im Jahr 2019. Auch damals fiel der Name Christine Lee. Der entscheidende Unterschied: Der Geheimdienst äußerte sich damals nicht. Stattdessen zeichnete die damalige Premierministerin Theresa May Christine Lee im selben Jahr für deren Engagement für die chinesisch-britischen Beziehungen mit dem “Points of Light”-Award aus. Sie könne “sehr stolz” sein, schrieb May der Juristin in einem persönlichen Brief.

                Jetzt die Kehrtwende. Der MI5 warnte das Parlament nicht nur vor Christine Lee, sondern thematisierte auch die guten Kontakte der gebürtigen Hongkongerin zum United Front Work Department (UFWD), der chinesischen Einheitsfront. “Es ist das erste Mal, dass der MI5 die UFWD als ein Problem für die nationale Sicherheit öffentlich identifiziert“, sagt Didi-Kirsten Tatlow von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). “Das hat nicht nur symbolische Bedeutung, sondern ist ein Signal, dass man sich in Großbritannien offenbar dazu entschlossen hat, chinesischen Einfluss ernsthaft zurückzudrängen.”

                Die Einheitsfront ist fast so alt wie die Partei selbst (China.Table berichtete). Sie kommt intensiv dort zum Einsatz, wo Zweifel aufkommen an der Legitimität der KP, wo Kritik laut wird an ihrer Politik und wo Widerstand droht gegen ihre autoritäre Herrschaft. Über eine Verästelung vieler Partei-Organisationen knüpft die Einheitsfront auch Kontakte zu einflussreichen Kräften im Ausland. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft – überall ist sie aktiv. Und das buchstäblich in allen Ländern der Welt.

                Einheitsfront als eine Art Management-Instrument der KP

                Experten warnen davor, was Wirken der Einheitsfront zu unterschätzen. “Sie ist eine Art Management-Instrument der KP Chinas, um sicherzustellen, dass einerseits Nicht-Mitglieder auf Parteilinie gebracht und andererseits negative Stimmen marginalisiert werden”, sagte Ralph Weber, Professor am Europainstitut der Universität in Basel, im vergangenen Jahr im Gespräch mit China.Table.

                Der konservative Parlamentarier Sir Iain Duncan Smith zeigte sich zutiefst besorgt über die Warnung des MI5 vor Christine Lee. Smith ist von der chinesischen Regierung wegen seiner Unterstützung pro-demokratischer Politiker und Aktivisten aus Hongkong von der chinesischen Regierung sanktioniert. Er verlangte einerseits Aufklärung über die Risiken für Hongkonger Aktivisten und stellte zudem die Frage, ob der Akkreditierungsprozess des Parlaments “für solche Leute” – gemeint ist Lee – überarbeitet werden müsse.

                Einige politische Beobachter stellten sich derweil die Frage, ob der Zeitpunkt der Warnung durch den Geheimdienst auch innenpolitische Gründe haben könnte. Premierminister Boris Johnson steckt knietief in Schwierigkeiten wegen eines Party-Besuchs in Corona-Zeiten. Da kommen Zuwendungen an einen Labour-Politiker von einer großzügigen Spenderin mit besten Beziehungen zur Kommunistischen Partei nicht ganz ungelegen. Dagegen spricht, dass zu viele britische Parteien und Politiker in den Fall Christine Lee verstrickt sind.

                Im Ausland eine Kommunikatorin der Stimme Chinas

                Lee ist britische Staatsbürgerin. Ihre Eltern wanderten nach Nordirland aus, als sie noch ein Kind war. Dass sie gute Kontakte zum chinesischen Parteistaat pflegt, hätte jedem Parlamentarier klar sein müssen, der ihr Geld akzeptierte. Ihre Kanzlei betreibt ein eigenes Büro im Gebäude der britischen Botschaft in Peking. Seit vielen Jahren berät sie dort chinesische Unternehmen, die in Großbritannien investieren wollen.

                Auf Fotografien ist sie bei der Shenzhen Overseas Exchange Association Conference zu sehen. Als ehrenamtliche Beraterin unterstützte sie die Direktorin der Shenzhen-Abteilung der Einheitsfront. Ein anderes Bild zeigt sie, wie sie bei einem Empfang die Hand von Chinas Staatspräsident Xi Jinping schüttelt.

                In China habe Lee einer Rede des Einheitsfront-Vorsitzenden You Quan beigewohnt, schreibt Martin Thorley von der Universität Exeter auf Twitter. Thorley forscht zu den chinesisch-britischen Beziehungen. You ermutigte die Zuhörer, den “von Xi Jinping geprägten Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken” als Leitlinie zu akzeptieren. Laut Thorley habe Lee die Rede “ermutigt und berührt” aufgenommen. Demnach schwärmte sie von ihrem starken Gefühl des Nationalstolzes. Obwohl sie all die Jahre in Großbritannien verbracht habe, wolle sie “eine Kommunikatorin der Stimme Chinas sein“, habe Lee gesagt.

                Thorley glaubt, der Fall Lee sei “lediglich die Spitze des Eisberges”. Noch düsterer sehen die Autoren Mareike Ohlberg und Clive Hamilton das Maß an Einfluss chinesischer Interessen in Großbritannien. In ihrem Buch “Die lautlose Eroberung” beschreiben sie die britische Polit- und Wirtschaftselite also so tief infiltriert, dass der “Point of no Return” bereits überschritten sei. Das System lasse sich praktisch nicht mehr säubern.

                Forscherin Tatlow von der DGAP ist dagegen weniger pessimistisch. Sie glaubt, dass der “schleichenden, teils aggressiven Einflussnahme” immer noch erfolgreich entgegengewirkt werden kann. Voraussetzung: weniger Naivität und mehr Entschlossenheit. Das gelte aber nicht nur für Großbritannien. “China ist auch in Deutschland und in vielen Teilen Europas bereits tief in den politischen Machtkorridor eingedrungen. Das ist das Resultat von jahrzehntelanger Arbeit der Kommunistischen Partei.”

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                  Frankreich: In Xinjiang findet “Genozid” statt

                  Die französische Nationalversammlung hat die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung an der uigurischen Minderheit in Xinjiang als Völkermord eingestuft. In einer Abstimmung am Donnerstag fiel das Urteil der Abgeordneten eindeutig aus. 169 Parlamentarier:innen votierten mit Ja. Es gab nur eine Nein-Stimme.

                  Das Ergebnis der Abstimmung wird nun offiziell der französischen Regierung vorgelegt, die eine öffentliche Verurteilung “der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Genozids” formulieren und außenpolitische Maßnahmen zur Beendigung des Völkermords ergreifen soll. Das Votum ist für die Regierung jedoch nicht bindend. Initiiert wurde die Abstimmung von den oppositionellen Sozialisten. Doch auch die Fraktion der Regierungspartei LREM von Staatspräsident Emmanuel Macron unterstützte die Resolution. “China ist eine Großmacht. Wir lieben das chinesische Volk. Aber wir weigern uns, uns der Propaganda eines Regimes zu unterwerfen, das auf unsere Feigheit und unsere Gier setzt, um vor aller Augen einen Völkermord zu begehen”, sagte der Vorsitzende der sozialistischen Partei, Olivier Faure.

                  Unabhängige Untersuchung der Xinjiang-Vorwürfe wird erschwert

                  Die französischen Abgeordneten kamen damit zu der gleichen Einschätzung wie zuvor die Parlamentarier in Kanada, den Niederlanden und Litauen sowie der tschechische Senat. Auch die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens sprechen offiziell von einem Genozid. Das belgische Parlament sieht das uigurische Volk einem “hohen Risiko” ausgesetzt, Opfer eines Völkermordes zu werden.

                  In Xinjiang sind laut Schätzungen etwa eine Million Uiguren in Internierungslagern inhaftiert. Chinas Regierung behauptet, die Lager seien Ausbildungszentren, um der lokalen Bevölkerung bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Unabhängige Untersuchungen oder Recherchen durch die Vereinten Nationen, EU-Politiker, Diplomaten, Menschenrechtsgruppen oder Journalisten lässt die Volksrepublik nicht zu.

                  Ehemalige Häftlinge berichten jedoch von Folter, Vergewaltigungen und Gehirnwäsche, die die Menschen in den Lagern über sich ergehen lassen müssen. Uigurische Exilanten werfen Peking strikte und teils brutale Mittel zur Geburtenkontrolle vor, um eine Fortpflanzung zu verhindern. grz

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                    Amnesty kritisiert “Sportwashing” bei Olympia

                    Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele die Menschenrechtslage in China als “weiterhin katastrophal” bezeichnet. “Die Olympischen Winterspiele in Peking dürfen nicht dem Sportswashing dienen”, warnte Julia Duchrow, Stellvertrende Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland. Der neue Begriff “Sportswashing” bezeichnet Bemühungen, den Ruf eines Landes durch die Organisation eines sportlichen Großereignisses zu verbessern. Wenn Peking die Spiele als Aushängeschild nutzen wolle, dann müsse es alle Personen aus dem Gefängnis entlassen, “die lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte strafverfolgt und inhaftiert sind”.

                    Unterdessen forderte der US-Kongress die Vereinten Nationen auf, noch vor Beginn der Winterspiele am 4. Februar einen offiziellen Bericht zur Lage in Xinjiang zu veröffentlichen. Das teilte der von den Demokraten geführte Ausschuss zur Beobachtung der Menschenrechtslage in China am Mittwoch mit. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet fordert von Peking seit Jahren erfolglos einen ungehinderten Zugang zu Xinjiang. Dort soll China Berichten zufolge bis zu eine Million Uiguren in Umerziehungslagern interniert haben. Peking weist die Vorwürfe zurück. ck

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                      Peking zwingt abtrünnige Staatsbürger zur Rückkehr

                      Wer aus Angst vor der chinesischen Führung das Land verlassen hat, kann sich nicht einmal im Ausland in Sicherheit wähnen. Einem Bericht der in Spanien ansässigen Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders zufolge hat die kommunistische Führung in Peking seit 2014 fast 10.000 chinesische Staatsangehörige im Ausland mithilfe außergerichtlicher Zwangsmaßnahmen zur Rückkehr in die Volksrepublik gezwungen. Dabei handele es sich nur um die “Spitze des Eisbergs”, heißt es in dem Bericht. Unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung geht Peking keineswegs nur gegen korrupte Parteikader vor, sondern verfolgt auch Regimekritiker im Ausland.

                      Im Rahmen zweier Kampagnen namens “Fuchsjagd” und “Sky Net”seien die Zielpersonen von den chinesischen Behörden mithilfe von Entführungen, Schikanen und Einschüchterungen unter Druck gesetzt worden, hieß es. Chinesische Agenten bedrohten die Kritiker im Ausland. Manchmal lockten sie die Zielpersonen in Drittländer, die Auslieferungsabkommen mit China haben.

                      Die Organisation berichtet auch von Fällen, in denen Angehörige in China schikaniert und sogar inhaftiert wurden, um Menschen zur Rückkehr zu bewegen. “Die chinesische Diaspora wächst immer schneller, und immer mehr Menschen versuchen China zu verlassen. Daher war Peking noch nie so motiviert, die Befugnisse seiner Sicherheitskräfte im Ausland auszuweiten”, heißt es in dem Bericht.

                      China kennt auch keine Scheu, Menschen zu entführen, die keine chinesischen Staatsbürger sind. So wurde 2015 der Buchhändler und schwedische Staatsbürger Gui Minhai aus Thailand verschleppt. Er tauchte wenig später in chinesischem Gewahrsam wieder auf. flee

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                      Hongkonger Aktivist aus Haft entlassen

                      Der Hongkonger Aktivist Edward Leung Tin-kei ist nach fast vier Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden. Das teilte die Strafvollzugsbehörde am Mittwoch mit. Der heute 30-Jährige war einer der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung von 2016 und war seit 2018 in Haft. Sein Fall zeigt, dass manche Aktivisten auch schon vor Erlass des umstrittenen Nationalen Sicherheitsgesetzes von 2020 gefährlich lebten.

                      Leung wurde verfolgt, weil er sich für die Unabhängigkeit Hongkongs von China eingesetzt hatte – das roteste aller Tücher für Peking. Er war damals das Gesicht der Gruppe Hong Kong Indigenous und 2016 zu einer Nachwahl zum Stadtparlament angetreten. Im Gefängnis landete er offiziell aufgrund des Vorwurfs, sich in jenem Jahr an Ausschreitungen beteiligt zu haben. Heute wäre Leungs Haft deutlich länger ausgefallen. Durch das 2020 in Kraft getretene Nationale Sicherheitsgesetz wird das Eintreten für eine Abspaltung Hongkongs von China mit einer Haftstrafe von zehn Jahren bis lebenslänglich bestraft.

                      Der bekannte Aktivist Joshua Wong erreichte derweil am Mittwoch eine leichte Verkürzung seiner Haftstrafe. Ein Berufungsgericht habe seine zehnmonatige Haft wegen seiner Rolle bei einer unautorisierten Gedenkveranstaltung 2020 für das Tiananmen-Massaker um zwei Monate verkürzt, berichtet die South China Morning Post. Das Gericht ordnete außerdem an, dass Wong zwei Monate der Strafe gleichzeitig mit den 17,5 Monaten aus anderen Urteilen verbüßen solle. Insgesamt verkürzt sich Wongs Haftzeit damit auf 23,5 Monate. Doch Wong drohen weitere Verfahren, unter anderem wegen seiner Rolle bei den inoffiziellen Vorwahlen zum Legislativrat im Jahr 2020.

                      Der entlassene Edward Leung will sich nach eigenen Worten aus der Bewegung zurückziehen. “Nach vier Jahren möchte ich die kostbare Zeit, die ich mit meiner Familie habe, genießen und wieder ein normales Leben führen”, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP. Auch soziale Medien wolle er nicht mehr nutzen. Denn er sei gesetzlich verpflichtet, sich an eine “Überwachungsanordnung” zu halten. ck

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                        Paul Harris – Verteidiger des “Right to Demonstrate”

                        Paul Harris, Anwalt in Hongkong

                        Für Paul Harris endet im Januar 2022 eine brisante Amtsperiode. “Ich werde versuchen, die Freiheit in Hongkong zu schützen. Ich weiß nicht, ob ich Erfolg haben werde”, hatte er der britischen Zeitung The Times gesagt, als er Anfang 2021 für ein Jahr zum Vorsitzenden der Anwaltskammer Hongkong gewählt wurde. Dabei war ihm klar, dass er diese anspruchsvolle Position zu einem kritischen Zeitpunkt erlangte: “Es ist eine schwierige Zeit für die Rechtsstaatlichkeit in Hongkong”, erklärte Harris der South China Morning Post.

                        Im Verlauf des Jahres wurde ihm vom Verbindungsbüro der chinesischen Zentralregierung in Hongkong vorgeworfen, ein “Anti-China-Politiker” zu sein. Rufe nach Amtsenthebung wurden laut. Dabei spielten unter anderem seine Forderungen nach einer Modifizierung des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes in Hongkong eine Rolle. Auch Äußerungen zur Verurteilung friedlicher Demonstranten haben ihn die Gunst Pekings gekostet. Harris vertritt die Meinung: “Menschen haben starke Gefühle, und sie müssen ein Ventil für diese Gefühle finden. Eine friedliche Demonstration ist so ein Ventil.” Wenn die Regierung das nicht zulässt, werden diese Gefühle nicht verschwinden.

                        Spannungen in seinem Arbeitsumfeld dürfte Harris aus seiner jahrelangen Berufserfahrung jedoch gewöhnt sein. Er war viele Jahre in London als Barrister tätig. Das ist eine Berufsbezeichnung aus Großbritannien, die das Privileg beinhaltet, als Rechtsanwalt an Obergerichten auftreten zu dürfen. Seit 1993 arbeitet der auf öffentliches Recht und Menschenrechte spezialisierte Jurist auch in Hongkong und hat viele heikle Fälle unter anderem auf den Gebieten Immigrationsrecht und Menschenhandel bearbeitet. Er kümmert sich auch um die Rechte der vielen Hausangestellten, die in Hongkong am Rande der Gesellschaft leben.  

                        Mann von Welt und Sprachgenie

                        Paul Harris ist eine facettenreiche Persönlichkeit. Auf LinkedIn schreibt er: “Ich bin Anwalt, Schriftsteller, Reisender und Menschenrechtsaktivist.” Für jeden Teil dieser Selbstbeschreibung finden sich zahlreiche Belege in seinem Lebenslauf: Er absolvierte einen Jura-Master am Lincoln College in Oxford und später einen zweiten Master in internationalem Menschenrecht an der Universität von Hongkong. Seit 1988 ist er als Rechtsanwalt tätig.

                        Er publiziert zu juristischen Themen: “​The Right to Demonstrate”​ lautet einer seiner Buchtitel. Überdies ist er Gründer des Hong Kong Human Rights Monitor, der wichtigsten Menschenrechtsorganisation der Stadt. Die monatliche Publikation der NGO informiert über die aktuellsten Ansichten und Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte.

                        Das Berichtsgebiet des Human Rights Monitor ist aber nicht auf Hongkong beschränkt, sondern es umspannt den Globus – und das entspricht den Neigungen und der Persönlichkeit des Gründers. Nicht nur seine Tätigkeit als Referent für Äthiopien, Somalia und Jemen Mitte der 1980er-Jahre zeichnen ihn als Mann von Welt aus. Harris hat bereits alle Länder der Erde bereist. Nach seiner Berechnung sind es 198. Und neben Englisch spricht er auch Kantonesisch, Französisch, Spanisch und Deutsch. Juliane Scholübbers  

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