Analyse | Geopolitik
Erscheinungsdatum: 29. August 2025

Modi bei SCO: Der Stargast in Tianjin

Handshake in Kazan: Modi und Xi trafen sich am Rande des BRICS-Gipfel im Oktober auch bilateral.

Nach sieben Jahren betritt Indiens Premierminister Modi erstmals wieder chinesischen Boden. Was erhofft sich Xi Jinping vom Gipfel der Shanghai Cooperation Organisation? Und was bedeutet eine Annäherung von China und Indien für Donald Trump?

Wenn an diesem Sonntag der Gipfel der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) in Tianjin beginnt, wird er ein äußerst machtvolles Bild in die Welt senden – und ein überdeutliches Signal an Donald Trump. In ostentativer Eintracht wird sich Xi Jinping mit seinen Gästen zeigen: dem indischen Premierminister Narendra Modi, Russlands Präsident Wladimir Putin sowie weiteren Staats- und Regierungschefs aus Pakistan, Iran, Türkei, Indonesien und Belarus.

Es soll der größte Gipfel seit Gründung der Organisation im Jahr 2001 werden. Mit zehn Mitgliedern, zwei Beobachtern und 14 Dialogpartnern repräsentiert die Regionalorganisation 42 Prozent der Weltbevölkerung. Sowie: ein Fünftel der Ölreserven, 45 Prozent des Erdgases und einen überwältigenden Teil der Seltenen Erden.

„Xi wird den Gipfel als eine Möglichkeit nutzen, um zu zeigen, wie eine internationale Ordnung nach der US-geführten aussehen könnte“, sagt Eric Olander, Chefredakteur des China-Global South Project. „Und dass alle Anstrengungen des Weißen Hauses, China, Iran, Russland und jetzt Indien seit Januar einzudämmen, nicht den gewünschten Effekt hatten.“  

Highlight des Gipfels ist der Besuch Modis. Zum ersten Mal seit sieben Jahren wird der indische Premierminister wieder chinesischen Boden betreten. Dazwischen lagen Jahre der Eiszeit, nachdem es im Jahr 2020 an der indisch-chinesischen Grenze, der Line of Actual Control (LAC), zu blutigen Zusammenstößen gekommen war. Erst im Oktober 2024 fanden beide Seiten zu einem Abkommen zum Management ihrer Grenze zurück.

Ein weiteres Mal profitiert Xi von Trumps Fehlern. Modi verkündete seine Teilnahme just am 6. August – dem Tag, an dem Trump die Zölle auf indische Waren auf 50 Prozent verdoppelte. „Traditionell wurde Indien in Washington als wichtiger Partner im indopazifischen Raum und als demokratisches Gegengewicht zu China behandelt“, sagt Jagannath Panda, Chef des Institutes für Security and Development Policy zu Table.Briefings.

„Trump sieht Indien weniger als strategischen Verbündeten, sondern als transaktionalen Akteur, dessen Rolle verhandelbar ist“, sagt Panda. Mit der Verschlechterung der Beziehungen zu den USA intensivierte Modi den Austausch mit China und Russland – eine Entwicklung, die Washington unterschätze, weil es die „Aussichten für eine Zusammenarbeit zwischen Indien und China konsequent unterbewertet“.

„Die wichtigste Triebkraft“ der Annäherung aber sei das Verhältnis der beiden Nachbarn selbst, erklärt Hu Shisheng, stellvertretender Generalsekretär des Akademischen Ausschusses des China Institute of Contemporary International Relations. Beide Länder haben ein starkes wirtschaftliches Interesse aneinander, wobei die Abhängigkeit Indiens sehr viel größer ist als umgekehrt. Indien ist zu 80 Prozent für seine elektronischen Bauteile, zu 70 Prozent für seine chemischen Rohstoffe und zu 90 Prozent für Seltene Erden auf China angewiesen. Die Nachbarn interessieren sich sehr für die Zusammenarbeit bei Grüner Energie, Elektrofahrzeugen und KI.

Trotzdem warnt Hu, dass das strategische Misstrauen zwischen China und Indien kurzfristig nur schwer zu überwinden sei. Da ist die Uneinigkeit über den Grenzverlauf, ein Erbe der chinesischen Invasion Tibets, das lange als Pufferstaat gedient hatte. Im Jahr 1962 führten beide einen kurzen Krieg, noch heute haben sie jeweils 50 bis 60 000 Truppen dort stationiert. Hinzu kommt Indiens Skepsis gegenüber Pekings Einfluss in Pakistan und Sri Lanka, chinesisch betriebenen Häfen im Indischen Ozean und der Basis in Ostafrika sowie der Belt-and-Road-Initiative. Umgekehrt misstraut China westlichen Versuchen, Indien in eine Eindämmungsstrategie einzubinden, etwa im Quadrilateral Security Dialogue mit den USA, Australien und Japan.

Für China wäre eine engere Kooperation mit Indien ein großer Vorteil, nicht zuletzt bei der Entdollarisierung: Peking will den Renminbi im bilateralen Handel stärken, um sich gegen US-Sanktionen abzusichern. Indien hat das bisher abgelehnt.

Chinesische Analysten warnen jedoch, Modi könne jederzeit die Richtung ändern – etwa wenn Trump umschwenken würde. Der populäre Kommentator „Starker Bruder hat etwas zu sagen” empfiehlt, Indiens Industrie stärker an den chinesischen Markt zu binden, „um eine ausgleichende Lobbygruppe zu fördern.“ Er schreibt: „Sobald Pharma-, Software- und Filmfirmen dort eine unersetzliche Position eingenommen haben“, werde ein Rückzug für Neu-Delhi teuer.

In Tianjin, sagt Panda, wolle Modi die Vision Indiens als autonome Macht stärken. Seit geraumer Zeit verfolgt Indien die Strategie des sogenannten Multi-Aligments, die die Hand zu vielen Seiten ausstreckt, ohne sich von einer vereinnahmen lassen zu wollen. „Für Neu-Delhi ist China sowohl geopolitischer Rivale als auch eine unvermeidbare wirtschaftliche und regionale Realität“, sagt Panda. Indem es sich alle Optionen offen halte, „sollte das Treffen in Tianjin auch als Signal an Washington verstanden werden: Indien wird weiterhin kooperieren, aber es wird sich nicht auf eine Eindämmungsstrategie gegen China einlassen, die seine regionalen Prioritäten untergräbt.“

Panda hält Trumps Einschätzung, die Aussicht auf eine Annäherung Indiens und Chinas zu unterschätzen, daher für riskant. „Trotz aller Probleme, die sie miteinander haben“, sagte Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar einst, „haben Indien und China im Hinterkopf das Gefühl, dass sie auch gegen eine etablierte westliche Ordnung ankämpfen.“

Letzte Aktualisierung: 29. August 2025

Teilen
Kopiert!