Das chinesische E-Commerce-Unternehmen JD.com steht womöglich kurz vor seinem bislang größten Zukauf in Europa. Für rund 2,2 Milliarden Euro könnte der Pekinger Konzern das Düsseldorfer Unternehmen Ceconomy übernehmen, zu dem Europas größte Elektronikkette MediaMarktSaturn gehört. Ceconomy selbst bestätigte vergangene Woche in einer Pflichtmitteilung, man befinde sich in „fortgeschrittenen Verhandlungen“ mit JD.com über eine „mögliche öffentliche Übernahme“. Die Gespräche seien jedoch ergebnisoffen.
Damit greift einer der wichtigsten Digitalkonzerne Chinas nach einem deutschen Traditionsunternehmen. Der Einstieg wäre nicht nur ein Meilenstein für JD, sondern auch ein Indikator für die veränderte Strategie vieler chinesischer Konzerne, die sich angesichts eines enormen Wettbewerbs und Preiskämpfen im Heimatmarkt nach außen orientieren.
Für JD.com hätte die Übernahme gleich mehrere Vorteile: MediaMarkt und Saturn sind etablierte Marken mit großer Kundenbasis, über 1.000 Filialen und rund 22 Milliarden Euro Umsatz. Die Onlinequote liegt unter 30 Prozent, genau dort, wo JD mit seiner Erfahrung ansetzen könnte. Die technische Infrastruktur von JD gehört zum Besten, was der weltweite Handel derzeit zu bieten hat.
Die Filialstruktur von Ceconomy könnte für JD.com jedoch auch eine Last werden. Zwar betreibt JD in China selbst stationäre Läden und Shoppingmalls, doch der Umfang des Ceconomy-Netzes stellt ein anderes Kaliber dar. Branchenkenner bezweifeln, dass JD an allen Standorten festhalten würde.
Der Schritt nach Europa wäre kein Anzeichen einer überbordenden Expansion, sondern Ausdruck einer Suche nach Sicherheit. Der Wettbewerb auf dem chinesischen E-Commerce-Markt ist in den vergangenen Jahren brutal geworden. Während der Konkurrent Alibaba auf eine Diversifizierung seiner Plattformen setzte und eigene Logistiksysteme ausrollte, drängte Pinduoduo mit Tiefstpreisen in die Fläche.
JD steht damit unter doppeltem Druck. Im oberen Preissegment geht es gegen Alibaba, im unteren Segment frisst sich Pinduoduo mit Rabatten durch. Das Kalkül von JD: In Europa, wo der Onlineanteil am Gesamtumsatz im Elektronikhandel noch deutlich geringer ist als in China, lässt sich mit Technologie und Logistik-Know-how vielleicht ein Vorteil aufbauen.
Ganz neu ist der Expansionswille nicht. Bereits Anfang 2024 hatte JD versucht, den britischen Elektronikhändler Currys zu übernehmen, scheiterte jedoch an politischen Bedenken. Der Ceconomy-Deal wäre nun die zweite Chance, ein europäisches Standbein aufzubauen.
JD, 1998 von Richard Liu gegründet, galt lange als fitter Alibaba-Angreifer. Liu selbst hatte sich früh das Ziel gesetzt, JD zu einem globalen Handelsunternehmen zu formen. Bereits 2018 sagte er im Interview mit dem Handelsblatt, dass er auch in Deutschland zukaufen möchte. Doch dann türmten sich die Probleme in China. Die Konjunktur lahmte, vor allem unter jungen Stadtbewohnern sinkt die Konsumlaune. Neue Geschäftsfelder wie JD Health wachsen nur schleppend.
Besonders heftig wird derzeit der Einstieg ins Essensliefergeschäft diskutiert. JD versucht, dem Platzhirsch Meituan Marktanteile abzuringen – mit hohem Mitteleinsatz. Fahrer, Restaurants und Kundinnen werden mit Boni, besseren Konditionen oder Rabatten gelockt. Der Staat hat bereits reagiert: Die zuständige Aufsichtsbehörde rief die Plattformanbieter im Frühjahr auf, ihre ruinösen Preiskriege zu beenden.
Der Wettbewerb sei „intensiv“, warnte JD bereits vergangenes Jahr in seinem Geschäftsbericht. Auch kurzfristige Gesetzesänderungen, stärkere Regierungsintervention oder neue Anforderungen könnten das Geschäft erheblich beeinträchtigen.
Ob JD den Zuschlag für Ceconomy tatsächlich bekommt, ist offen. Neben regulatorischen Fragen könnten auch Großaktionäre wie die Familie Kellerhals den Deal blockieren. Diese hatte sich in der Vergangenheit mehrfach gegen grundlegende Umbauten des Unternehmens gestemmt. Auch die Wettbewerbshüter in Deutschland und auf EU-Ebene dürften genau hinsehen.
Die Chinesen werden nun einen Beweis erbringen müssen: Können sie in Europa erfolgreicher sein als der deutsche Übernahmekandidat einst in China? Auch dieser hatte große Pläne und eröffnete 2010 eine erste MediaMarkt-Filiale in Shanghai. Dahinter stand damals allerdings noch die Metro AG, zu deren Portfolio MediaMarkt und Saturn bis zur Konzernaufspaltung zählten. Gemeinsam mit Foxconn wollte man in China expandieren, zunächst in Shanghai, später landesweit. Doch nach nur wenigen Jahren war Schluss: 2013 zog sich MediaMarkt wieder komplett vom chinesischen Markt zurück.