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Erscheinungsdatum: 21. Februar 2025

Ohne Fachkräfte aus dem Ausland keine zukunftsfähige Wirtschaft ̶̶  Was die nächste Bundesregierung tun muss

Von David Kipp

Mit der Bundestagswahl geht ein zugespitzter Wahlkampf zu Ende, in dem die Migrationspolitik zum Hauptthema geworden ist und die Parteien der Mitte entzweit hat. So grundsätzlich die Widersprüche hinsichtlich der Maßnahmen zur gewünschten Begrenzung von Fluchtmigration auch sind, so einig müssten sich mit Blick auf die Wahlprogramme die potenziellen Koalitionspartner darin sein, dass Deutschland auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen ist. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter um 1,6 Millionen angestiegen, wovon knapp 90 Prozent auf ausländische Beschäftigte zurückgehen. Weil das Potenzial innereuropäischer Migration aufgrund ähnlicher demographischer Entwicklungen in den jeweiligen europäischen Ländern nachlässt, geht mit fast einer Million der größere Anteil des Anstiegs in diesem Zeitraum auf Drittstaatsangehörige aus dem außereuropäischen Ausland zurück.

Der Fachkräftemangel ist eine große Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, das IW Köln schätzt den dadurch verursachten Verlust von Produktionskapazitäten auf 49 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Besondere Engpässe bestehen aktuell im Bereich der medizinischen Berufe und Pflege, in sozialen Berufen aber auch in Bau- und Handwerksberufen, IT-Berufen und Logistik. Auch wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften derzeit konjunkturbedingt teilweise rückläufig ist, der langfristige Trend ist angesichts der anstehenden Verrentungswelle geburtenstarker Jahrgänge eindeutig: Ohne Zuwanderung wird die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland bis 2040 um zehn Prozent sinken. Um das Erwerbspersonenpotenzial stabil zu halten, werden laut Prognosen bis 2040 jährlich rund 288.000 internationale Arbeitskräfte benötigt.

Dafür hat die scheidende Bundesregierung im Jahr 2023 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformiert. Direkt nach der Bundestagswahl kann sie auf einem durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) organisierten Fachkräftekongress noch einmal Bilanz ziehen. Die Bundesregierung hat Mitte November für das erste Jahr nach Inkrafttreten der Reformen einen positiven Trend (einen Anstieg der Visa zu Erwerbszwecken um zehn Prozent auf 200.000) ausgemacht. Gleichzeitig zeigen neue Zahlen, dass im Jahr 2024 weniger Personen einen erstmaligen Aufenthalt zu Erwerbs- oder Ausbildungszwecken erhalten haben als im Jahr 2023. Ob sich durch die neue Reform tatsächlich ein positiver Trend abzeichnet, werden daher erst die Zahlen der erteilten Aufenthaltstitel für das Jahr 2025 zeigen.

Gesetzliche Änderungen allein reichen bei weitem nicht aus, vielmehr bedarf es weiterhin einer umfassenden Modernisierung der für die Fachkräftegewinnung erforderlichen Verwaltungsprozesse. Vor diesem Hintergrund sprechen sich die etablierten Parteien für weitere Reformen aus. Am weitesten geht dabei die CDU/CSU, die eine komplett digitale Work-and-stay-Agentur fordert. In ihr sollen alle Aufgaben von der Anwerbung und Arbeitsplatzvermittlung über die Prüfung der Einreisevoraussetzungen und Visavergabe bis hin zum Aufenthaltstitel zusammengeführt werden.

Auch bei einer solchen institutionellen Neuaufstellung müsste natürlich beachtet werden, dass sie an den bereits etablierten Prozessen zur Digitalisierung und verbesserten Zusammenarbeit der bestehenden Behördenstrukturen ansetzt. Zweifellos wäre einiges gewonnen, wenn die Verfahren zur Visaerteilung und Anerkennung von Qualifikationen weiter vereinfacht würden und die Beteiligung der meist chronisch überlasteten Ausländerbehörden entfallen beziehungsweise flächendeckend in den Bundesländern durch zentralisierte Ausländerbehörden für Fachkräfteanwerbung übernommen würden.

Ein zentraler Baustein der Migrationspolitik der Ampel war das Einsetzen eines Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen. Es ist unklar, ob die kommende Bundesregierung diese Konstruktion fortführen wird. Gleichsam wird sie die migrationsbezogene Kooperation mit Drittstaaten – auch im Interesse einer verbesserten Kooperation bei der Rückübernahme von ausreisepflichtigen Personen – weiter ausweiten müssen. Ziel sollte ein differenzierter Interessenausgleich zwischen den jeweiligen Partnerländern und Deutschland sein, der durch den gezielten Ausbau der deutschen Außenstrukturen für die Arbeitskräfteanwerbung in Schwerpunktländern wie Indien begleitet werden sollte.

David Kipp ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er arbeitet dort in einem Forschungsprojekt zum Thema „Strategische Flucht- und Migrationspolitik“.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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