Lange schwieg der Kanzler zur möglichen Fusion von Unicredit und Commerzbank. Nun hat sich CDU-Chef Friedrich Merz öffentlich dagegen positioniert – und damit Finanzminister Lars Klingbeil zugestimmt. Dabei gäbe es durchaus gute Gründe für eine Fusion. Was spricht dafür, was dagegen?
Ein zentrales Argument für eine Fusion: Europäische Banken sind im internationalen Vergleich deutlich unterbewertet. JPMorgan Chase – die größte US‑Bank – hat aktuell eine Marktkapitalisierung von rund 745 Milliarden US-Dollar, während HSBC – Europas größte Bank – bei etwa 211 Milliarden US-Dollar liegt. Damit ist JPMorgan an der Börse etwa 3,5‑mal so hoch bewertet wie HSBC.
Auch beim Price-to-Book-Ratio, also dem Verhältnis von Börsenwert zum Buchwert, zeigt sich der Rückstand: US-Banken werden vom Markt seit Jahren deutlich höher bewertet. Investoren trauen ihnen mehr Wachstum und Profitabilität zu. US-amerikanische Banken gelten als effizienter – mit höheren Eigenkapitalrenditen und aggressiveren Strategien.
Hinzu kommt: Eine grenzüberschreitende Fusion – eine sogenannte Cross-Border Acquisition – könnte die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Banken stärken. Im Binnenmarkt gelten solche Zusammenschlüsse als strategisches Mittel, um Skaleneffekte zu erzielen und regulatorische Hürden abzubauen. Politisch ist dieses Ziel ausdrücklich gewünscht. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir treten für eine bessere Mobilisierung von privatem Kapital ein und gehen dazu Schritte hin zu einer echten Spar- und Investitionsunion (Kapitalmarkt- und Bankenunion).“
Das Problem: Die Kapitalmärkte in Europa sind stark fragmentiert. Und wenn es darauf ankommt, überwiegen oft nationale gegenüber europäischen Interessen. Verena Ross, Chefin der EU-Finanzaufsicht ESMA, bringt es auf den Punkt: „Wir müssen die Fragmentierung der Kapitalmärkte durchbrechen.“
Florian Heider, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung, kritisiert: „Aus Sicht der Bankenunion war die politische Stärkung der Commerzbank ein fatales Signal. Man kann nicht einerseits die Bankenunion befürworten und andererseits nationale über europäische Interessen stellen.“
Die Bundesregierung hält zwölf Prozent an der Commerzbank und lehnt eine Übernahme ebenso ab wie Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp. Merz nannte den Vorstoß von Unicredit „unfreundlich“ und betonte die Systemrelevanz der Bank. Es geht um Arbeitsplätze und Standortfragen.
Ökonomen und Bankenexperten warnen zudem vor einer Marktkonzentration. „Die beste Kontrolle von Marktmacht ist mehr Wettbewerb“, sagt Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim.
Auch Gunther Schnabl, Direktor des Vermögensverwalters Flossbach von Storch, warnt: Große Institute bergen ein höheres systemisches Risiko – sie gelten als „too big to fail“. Zudem seien größere Banken oft schwerfälliger. Der dezentrale deutsche Bankensektor habe lange gut funktioniert. „Wenn Unicredit und Commerzbank fusionieren, könnte sich die Frage stellen, welches Land einspringt, wenn die Bank in Schieflage gerät?“ Aus liberaler Sicht, so Schnabl weiter, sei Wettbewerb im Bankensektor ein zentraler Stabilitätsfaktor. Der deutsche Bankensektor sei über lange Zeit mit vielen kleinen Instituten erfolgreich gewesen. Größere Banken hingegen seien oft schwerfälliger und weniger effizient.
Burghof ergänzt: Bankgeschäfte haben auch eine lokale Ebene. „Es handelt sich um ein kulturelles Gut – und ich bin nicht sicher, ob die Italiener das weitertragen würden.“
Frühere Fusionen liefern gemischte Ergebnisse. „Wenn das Geschäftsmodell so gut funktionieren würde, hätte man mit der Fusion der Unicredit mit der HVB bereits eine große europäische Bank geschaffen“, sagt Burghof. „Das bloße Aufaddieren von Bilanzen geht nicht auf.“
Dem widerspricht Heider: „Die Italiener haben gezeigt, dass sie es können. Nach der Fusion mit der HVB steht die Bank gut da“. In der Tat schreibt die HVB inzwischen schwarze Zahlen. Mehr noch: Im ersten Quartal erzielte die Bank ihr bestes Quartalsergebnis seit zwölf Jahren.
Und der Markt? Seit dem Einstieg von Unicredit im September 2024 stieg der Commerzbank-Kurs um 78 Prozent. Die Aussicht auf eine mögliche Übernahme – auch wenn politisch umstritten – treibt die Aktie weiterhin. Während Unicredit-Chef Andrea Orcel den Kursanstieg der Commerzbank für übertrieben hält und den Preis drücken will, warf Orlopp ihrem Amtskollegen vor, den Aktienkurs durch gezielte Attacken zu manipulieren. Auf einer Bankenkonferenz von Goldman Sachs in Berlin sagte sie:
„Was wir nicht mögen und nicht akzeptieren, ist jeder Ansatz, der unseren Aktienkurs und unsere Strategie untergräbt.“
Wie geht es weiter? Das Bundeskartellamt und die EZB haben den Unicredit-Einstieg genehmigt. Bis 29,9 Prozent Beteiligung darf Unicredit agieren, ohne ein Pflichtangebot vorzulegen. Ab 30 Prozent wäre es gesetzlich vorgeschrieben.
Klar scheint nur eins: Die Auseinandersetzung um die Zukunft der Commerzbank ist noch lange nicht entschieden.