Schneider Electric ist ein globaler Konzern aus Frankreich mit Angeboten in den Segmenten Digitalisierung, Energiemanagement und Automatisierung. Im Jahr 2024 erwirtschaftete das Unternehmen einen Gewinn von mehr als vier Milliarden Euro bei einem Umsatz von rund 38 Milliarden Euro. Seit über 20 Jahren setzt das Unternehmen nach eigenen Angaben intensiv auf Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil.
Frau Frei, auf dem Tag der Industrie (TDI) wurde die Frage nach der Stimmung in der Wirtschaft wiederholt gestellt. Sehen Sie da in den letzten Wochen einen spürbaren Wandel?
Frei: Es gibt die Hoffnung, dass jetzt mehr Planungssicherheit entstehen könnte, verbunden mit der Erwartung, dass besser zugehört wird. Das Thema Bürokratie als Geschwindigkeitsbremse für Innovation und Wachstum ist wieder sehr präsent – das diskutieren wir schon zu lange. Die neue EU-Batterieverordnung ist ein Beispiel, dass wir in puncto Pragmatismus versus Bürokratie noch viel Potenzial haben.
Was mir etwas Sorge bereitet: Es wird zu stark darauf gepocht, dass in den nächsten zwei Jahren „alles“ passieren muss. Unternehmen brauchen langfristige Planungssicherheit für grundlegende Investitionen, nicht nur den Horizont einer Legislaturperiode.
Herr Hughes, glauben Sie, dass die deutsche Bundesregierung mit ihren Plänen erfolgreich sein wird?
Hughes: Ich bin optimistisch. Deutschland hat alles, was es braucht: Unternehmer, technisches Know-how, Forschung und Entwicklung, Kapital und einen großen Markt. Die Voraussetzungen sind also vorhanden.
Entscheidend ist jetzt das Thema Selbstbewusstsein. Das, was Deutschland in den letzten 20 oder 30 Jahren erfolgreich gemacht hat – der Exportmarkt und die Hyperglobalisierung –, ist vorbei. Deutschland wird, ob die Regierung es will oder nicht, gezwungen sein, ein neues Geschäftsmodell zu finden. Und ich traue den deutschen Unternehmern und der Wirtschaft zu, dass sie das schaffen.
Bundeskanzler Merz hat beim TDI gefordert, dass wir in Europa mutiger werden und uns stärker am Haftungsprinzip orientieren sollten. Ist die vorgeschlagene Senkung der Körperschaftsteuer ausreichend, oder braucht die Industrie darüber hinaus ganz andere Impulse?
Frei: Steuersenkungen werden von der Industrie natürlich immer begrüßt. Was aber wirklich fehlt, ist die Förderung der Digitalisierung. Ich habe in Tschechien gelebt, dort war 2008 schon alles digital – selbst Scheidungen liefen digital ab. Und ab 2010 auch in Italien, wo die Infrastruktur sehr ausbaufähig war, aber man daran gearbeitet hat.
In Deutschland mache ich die Erfahrung, dass ich bei vielen Formalitäten persönlich Papier in einem Amt in die Hand nehmen muss und das oft nicht digital erledigen kann. Das ist für mich eine digitale Wüste. Daran hat sich bis heute leider wenig geändert.
Sehen Sie die fehlende praktische Digitalisierung auch in Frankreich?
Frei: Ja, das betrifft generell die großen europäischen Länder. Skandinavien oder auch Tschechien und viele osteuropäische Länder sind da viel weiter. In Ländern wie Frankreich scheint es einen gewissen kulturellen Ballast oder eine Zurückhaltung zu geben, wenn es darum geht, Steuergelder in Digitalisierung zu investieren.
Bundeskanzler Merz hat über vieles gesprochen, aber China nicht ein einziges Mal erwähnt. Warum, denken Sie, taucht dieses Thema so selten im Diskurs auf?
Frei: China ist neben der EU der wichtigste Handelspartner für Deutschland. Vor 30 Jahren sind deutsche Unternehmen nach China gegangen und haben dort mit Know-how aus Bereichen wie Metallverarbeitung und Chemie maßgeblich zur industriellen Entwicklung beigetragen.
Jetzt erleben wir eine neue Phase: Heute kommt China nach Deutschland, etwa mit Unternehmen wie CATL, die hier Batterien produzieren. Das eröffnet auch für uns Chancen, zu lernen und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Ich glaube, dieses Potenzial wird oft noch unterschätzt. Übrigens: Jedes Jahr schreiben sich etwa 20.000 bis 25.000 Chinesen in Deutschland für ein Ingenieurstudium ein.
Wo sehen Sie die größten Chancen für eine Zusammenarbeit oder neue Geschäftsmodelle mit chinesischen Partnern?
Hughes: Wenn ich mir das rückblickend anschaue, sehe ich drei Phasen. In der ersten Phase vor etwa 30 Jahren ging es vor allem darum, Waren nach China zu exportieren. Das hat auch eine lange Zeit hervorragend funktioniert. Jetzt sind wir an einem Punkt, den ich als eine Art „Neutralland“ bezeichnen würde. Jeder hat mittlerweile verstanden, dass diese reine Exportorientierung nach China vorbei ist.
Das Spannende ist nun die dritte Phase: Wie können wir das Modell umdrehen? Wie können wir das Beste aus China übernehmen und für den deutschen oder europäischen Markt nutzen – effizienter werden, erfolgreichere Geschäfte machen?
Ein gutes Beispiel dafür ist die Solarbranche. Deutschland war vor 20 Jahren technologisch führend, aber dann kam China mit riesigen Stückzahlen und günstigeren Preisen, insbesondere bei monokristallinen Modulen. Die Chinesen haben die Technologie weiterentwickelt, und der Markt hat sich komplett gedreht. Heute nutzt jeder chinesische Solarmodule, um günstigere Energie zu bekommen. Damit wurde die sogenannte Netzparität erreicht – ein Meilenstein, bei dem Strom aus erneuerbaren Energien genauso viel oder sogar weniger kostet als Strom aus fossilen Quellen.
Bundeskanzler Merz hat sich zu anderen Themen geäußert. Der NVIDIA-Chef Jensen Huang habe scherzhaft zu ihm gesagt, die Deutschen seien zwar hervorragend in Hardware, aber eher schwach in Software. Siemens-CEO Roland Busch hat dem widersprochen und betont: Das stimmt so nicht – gerade im Bereich industrieller Software gibt es viele Möglichkeiten und großes Potenzial. Teilen Sie diese Einschätzung?
Frei: Manchmal könnte man fast meinen, die Politik will das nicht sehen – aber Software ist der Schlüssel. Ich glaube, das eigentliche Problem ist, dass viele Technologieführer in Deutschland in der breiten Öffentlichkeit nicht so bekannt sind für ihre Software. Aber gerade im B2B-Bereich, speziell bei industrieller Software und KI, gibt es enormes Potenzial.
Wir als Industrie müssen wieder lernen, gezielter über das zu sprechen, was wir wirklich schon tun für die digitale Transformation und welchen Beitrag wir konkret durch den Einsatz von Software leisten. Da haben andere Branchen deutlich bessere Arbeit geleistet. Die zentrale Frage ist: Wie bringen wir unsere Botschaften als Industrie in die Gesellschaft?
Industrial Automation gilt als Herzstück der Produktion. Was wird aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren der entscheidende Faktor in diesem Bereich sein?
Frei: Ich bin überzeugt, der nächste große Schritt wird eine „human-centric“- Automatisierung. Das hat man in der Vergangenheit oft unterschätzt. Es geht darum, wie Menschen mit den Produktionslinien zusammenarbeiten. Dieser „human-centric“-Ansatz wird deutlich wichtiger werden. Früher hat man sehr technisch gedacht: Lohnt sich Automatisierung bei einem bestimmten Stundenlohn? Heute wissen wir – nicht zuletzt durch Covid –, dass Automatisierung selbst bei niedrigen Lohnkosten Vorteile bringt.
Wo sehen Sie aktuell die spannendsten Chancen für deutsch-französische oder europäische Partnerschaften?
Frei: Ich bin überzeugt, dass es enorm hilfreich wäre, wenn Frankreich und Deutschland sich zusammensetzen und für viele Bereiche die gleichen Gesetze oder Standards festlegen würden. Wir sind in beiden Ländern aktiv und erleben immer wieder, wie oft wir das Rad doppelt erfinden.
Hughes: Es sollte viel einfacher sein, grenzüberschreitend zu agieren. Das führt uns auch wieder zum Thema Skalierung: Warum kommen so viele erfolgreiche Start-ups aus kleinen Ländern wie den baltischen Staaten? Sie profitieren von offenen Grenzen und flexiblen Märkten.
Was wünschen Sie sich konkret von der Europäischen Union?
Frei und Hughes: Ein zentraler Punkt bleibt der digitale Binnenmarkt – den gibt es in Europa immer noch nicht in letzter Konsequenz. Zwischen den Ländern bestehen weiterhin unterschiedliche Regulatorien und Gesetze, die es erschweren, Synergien zu nutzen. Solche Hürden müssen endlich abgebaut werden.
Die EU ist nach wie vor stark exportabhängig. Stattdessen sollten wir das sogenannte „Productivity Gap“ im internationalen Wettbewerb auch innerhalb Europas schließen. Auch das Wettbewerbsrecht gehört überarbeitet, damit die Staaten gezielt und umfassend fördern können – und zwar mit weniger Auflagen.
Derzeit verhindern die wettbewerbsrechtlichen Vorgaben der EU gezielte Förderungen. Der aktuelle Investitionsbooster fördert zum Beispiel ausschließlich CAPEX-Investitionen, nicht aber OPEX. Unsere zentrale Botschaft an die Politik: Auf dem Weg zur intelligenten Produktion mehr an OPEX denken, weniger an CAPEX. Wir müssen digitalisieren und elektrifizieren – das ist der schnellste und effektivste Weg zurück zu Wachstum.
Das Motto des TDI 2025 lautet „Neue Zeiten, neue Antworten“. Halten Sie dieses Mindset für angemessen, oder wird das Thema Neustart vielleicht überschätzt?
Frei: Die große Frage aktuell ist die danach, wie die geopolitische Situation unser Geschäft beeinflusst und wie unsere zukünftige Rolle im Export aussieht. Wir müssen uns meines Erachtens mehr Gedanken über die Ansiedelung von Schlüsseltechnologien in Deutschland machen, denn die Bedeutung dieser Schlüsseltechnologien für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist enorm.
Dieses Umdenken ist aus meiner Sicht notwendig. Wenn ich beispielsweise nach China und Korea schaue, dort stehen Schlüsseltechnologien ganz oben auf der politischen Agenda. Ein weiterer Aspekt ist die Motivation der nächsten Generationen für Ingenieurberufe der Zukunft und das Bestreben, das Land effizienter und digitaler zu machen. Das müsste im gesellschaftspolitischen Diskurs viel mehr gestärkt und in den Vordergrund gerückt werden.
Hughes: Ich glaube, der Fokus wird wieder stärker auf den Binnenmarkt zurückkehren. Wir sprechen über 400 Millionen Menschen, es mangelt weder an Kapital noch an Technologie oder Fähigkeiten. Vielleicht waren wir in den letzten 30 Jahren einfach zu sehr damit beschäftigt, andere Märkte wie China kennenzulernen – und haben dabei das Wachstumspotenzial im eigenen Markt unterschätzt. Dieses Umdenken, Technologie ins eigene Land zu holen und gezielt einzusetzen, muss jetzt stattfinden.