CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 09. Mai 2025

Bundeskanzler Merz kann auf Bosch-Chef Hartung bauen

Bundeskanzler Friedrich Merz will in der kommenden Woche eine Regierungserklärung abgeben. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat bereits im Vorfeld einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik proklamiert. Erwarten Sie von dem Kanzler eine neue Reformagenda, ähnlich wie sie Gerhard Schröder 2010 verkündet hat?

Deutschland befindet sich seit zwei Jahren in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Auch 2025 wird kein leichtes Jahr. Es gibt viele geopolitische Risiken und wir können noch nicht prognostizieren, wie sich die US-Zollpolitik auf die Weltwirtschaftskonjunktur auswirkt. Niemand weiß, wie Donald Trump weiter vorgehen wird. Aber ich sehe die neue Bundesregierung als große Chance, jetzt die richtigen Weichen für mehr Wachstum in Deutschland zu stellen. Ich glaube Union und SPD haben erkannt, dass sie handeln und Reformen umsetzen müssen.

Die da wären? Was würden Sie als CEO eines der größten deutschen Technologieunternehmen empfehlen?

Es ist nicht die Aufgabe von Unternehmen, politische Entscheidungen zu empfehlen. Wir können aber Probleme aufzeigen, mit denen wir zu kämpfen haben. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist in einigen Bereichen nicht mehr international wettbewerbsfähig. Die Energiekosten sind zu hoch, die überbordende Bürokratie belastet die Unternehmen und hemmt Innovationen. Der Fachkräftemangel muss bekämpft werden – am besten durch ein modernes Einwanderungsgesetz. Und die sozialen Sicherungssysteme müssen dringend reformiert werden, damit sie weiter funktionieren und die Lohnnebenkosten nicht noch weiter in die Höhe treiben. Aber das ist eigentlich alles schon bekannt.

Haben Sie mit Bundeskanzler Friedrich Merz darüber schon gesprochen?

Friedrich Merz ist erst am Dienstag zum Bundeskanzler gewählt worden. Seitdem habe ich ihn noch nicht gesprochen. Wir hatten aber bereits früher Kontakt, und das waren immer gute Gespräche. Ich bin sehr zuversichtlich, dass er die richtigen Schritte einleitet, damit der Standort Deutschland wieder attraktiver wird. Die Zeit drängt. Unternehmen investieren nur dort, wo sie profitabel wirtschaften können. Das gilt auch für Bosch und unsere vier Geschäftsbereiche Mobility, Industrial Technology, Consumer Goods sowie Energy and Building Technology.

Braucht Deutschland eine Kehrtwende hin zu mehr Technologieoffenheit?

Ja, und zwar dringend. Wir können nur zu neuen Erkenntnisprozessen kommen und den Industrie- und Wissenschaftsstandort Deutschland zur alten Stärke zurückführen, wenn die Politik Entscheidungen trifft, die unideologisch und technologieoffen sind. In der Forschung und Entwicklung können wir uns nicht wie zuletzt von der Welt abkoppeln. Das war ein Irrweg.

Was meinen Sie damit?

Wir stehen mit anderen Industrienationen im Wettbewerb und können uns nicht mehr auf das Erreichte verlassen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Gentechnologie, gegen die es in Deutschland und Europa große Vorbehalte gab. Das hatte zur Folge, dass sich Unternehmen in diesem wachstumsstarken Sektor dort ansiedelten, wo sie bessere Rahmenbedingungen gefunden haben. Als die Politik dann Jahre später in Deutschland erkannt hatte, dass uns wichtige Schlüsselindustrien verloren gegangen waren, wurden die Weichen zwar in die richtige Richtung gestellt. Wir sollten aufpassen, dass sich ähnliche Fehler, jetzt etwa bei der KI, nicht wiederholen.

Bei der KI? Hat Deutschland hier nicht schon den Anschluss verloren? Die USA sind doch hier schon Jahre voraus.

Deutschland und Europa haben das Rennen noch nicht verloren. Allein schon, weil wir hier die einzigartige Möglichkeit haben, umfassendes industrielles Domänenwissen mit dem Einsatz von KI zu verbinden. Die Politik muss nur die Grundlagen dafür legen, dass die deutschen und europäischen Unternehmen gute Voraussetzungen bekommen, um aufholen zu können. Dafür müssen wir vor allem deregulieren, sodass die Freiheit für Forschung und Entwicklung mit einem geringen Bürokratieaufwand ermöglicht wird. Das wird bei den Unternehmen zu einem Innovationsschub führen. Deshalb ist es richtig, dass die neue Bundesregierung sich in Brüssel jetzt für Deregulierung einsetzen will. Davon werden alle Mitgliedstaaten profitieren, weil Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU auch Konjunkturlokomotive ist. Aber das allein wird nicht reichen.

Sondern?

Der europäische Binnenmarkt ist noch nicht vollendet. Er ist in vielen Bereichen noch nicht homogen. Der Draghi-Report greift das auf und ist eine gute Grundlage für die nötigen Reformen. Wir brauchen eine einheitliche Umsetzung von Regulierung mit einer Angleichung der Rechtsvorschriften. Möglichst unkompliziert. Wenn es gleiche Marktbedingungen in allen EU-Mitgliedstaaten gibt, wird sich dies positiv auf das Wachstum auswirken und auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas vor allem in der Konkurrenz zu China und den USA. Dafür darf sich Deutschland aber nicht wie in den letzten Jahren immer mit dem sprichwörtlichen German Vote bei wichtigen Fragen in Brüssel enthalten. Das führt nur dazu, dass Länder mit völlig anderen Wirtschaftsstrukturen über die ökonomische Lage Deutschlands hinweg entscheiden und damit den Standort schwächen. Das ist kontraproduktiv für ganz Europa.

Spielen Sie auf das Verbrennerverbot ab 2035 an? Sollte sich die neue Bundesregierung dafür einsetzen, dass es aufgehoben wird und dann der Markt entscheidet, welche Antriebe sich durchsetzen?

Wir brauchen für die Zukunft der Mobilität in Europa einen klassischen ordnungspolitischen Rahmen. Das heißt, im Rahmen des Erlaubten gilt das freie Spiel der Kräfte – und der Kreation. Das war das Wirtschaftsmodell, auf das wir immer gesetzt haben und das auch zum Erfolg führt. Die EU hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Wie dies in den einzelnen Sektoren umgesetzt wird, sollte aber in der Verantwortung der Unternehmen liegen. Beim Auto ist es richtig, dass wir vor allem auf die Elektromobilität setzen. Dazu bekennen wir uns ausdrücklich bei Bosch. Aber die Transformation wird auf dem bisherigen eingeschränkten Technologiepfad bis 2035 nicht gelingen, und große Teile der Welt werden weiterhin auf den Verbrennungsmotor setzen. Deshalb ist ein harter, festgeschriebener Ausstieg und eine einseitige Festlegung auf nur eine Technologie nicht besonders klug, weil wir zur Erreichung der Klimaziele auch andere Technologien wie Wasserstoff und CO₂-freie Kraftstoffe brauchen werden. Hier ist – auch im Wettbewerb mit anderen Regionen – die Technologieoffenheit gefragt. Es wird sich weltweit in den kommenden zehn Jahren keine einheitliche Technologie durchsetzen. Aber wir forschen und entwickeln, damit Bosch technologisch weiter in der Spitze steht. Dafür stehen auch unsere knapp 90.000 Forscher und Entwickler.

Bosch ist in 60 Ländern aktiv, erwirtschaftet mehr als 90 Milliarden Euro Umsatz und hat weit über 490 Tochter- und Regionalgesellschaften. Wie können Sie von Deutschland aus dieses Multi-Unternehmen managen?

Gar nicht. Und das wollen wir auch nicht. Unsere Tochtergesellschaften kennen die regionalen Bedürfnisse und Anforderungen. Sie sind vor Ort. Niemand kann besser ein Produkt entwickeln und regionalisieren als unsere unternehmerischen Einheiten in den Regionen. Das ist ihre Aufgabe. Im Umkehrschluss: Über Produkte für die einzelnen Märkte können wir nicht in der Geschäftsführung entscheiden. Das würde uns viel zu langsam machen. Wir müssen viel schneller und daher dezentral agieren.

Als Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung sind Sie aber für die Performance des Unternehmens verantwortlich. Wie schaffen Sie das?

Das vor allem ist eine Frage der Führung durch Kommunikation. Man muss kontinuierlich einen strategischen Rahmen und klare Führungsprinzipien vorleben und vermitteln. Der Rest besteht in der Delegation von Verantwortung und Aufgaben. Man muss loslassen können und den Topführungskräften in den einzelnen Geschäftsbereichen und Regionen vertrauen. Das setzt Kreativität und Verantwortungsbewusstsein frei. Aber man muss auch klare Ziele setzen, an denen das Management gemessen wird. Wenn Sie versuchen, alles einzeln zu entscheiden oder sich überall einzumischen, dann kann das nicht gelingen. Wenn Sie alles einfach laufen lassen, funktioniert es natürlich auch nicht.

Das heißt?

Die Antwort liegt in der Mitte. Das geht am besten mit Führungskräften, die unternehmerisch denken und Verantwortung übernehmen. Für übergreifende Herausforderungen findet das Führungsteam dann im Dialog die besten Lösungen. Und wir setzen uns klare Ziele und bleiben konsequent in der Umsetzung. Betriebswirtschaftlich, indem wir in den kommenden Jahren durchschnittlich um sechs Prozent wachsen und 2026 eine Rendite von sieben Prozent erreichen wollen. Technologisch, indem wir weiter mit Milliardeninvestitionen Spitzenforschung für innovative Produkte betreiben. Wir können das aktuell volatile Umfeld nicht beeinflussen, aber wie wir uns darauf einstellen, liegt in unserer Hand.

Stefan Hartung ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH sowie Gesellschafter der Robert Bosch Industrietreuhand KG. Er trat 2004 in die Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH, München, ein. Zuvor war er bei der Fraunhofer-Gesellschaft und der Unternehmensberatung McKinsey Company in Düsseldorf tätig.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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