CEO.Economics
Erscheinungsdatum: 03. Januar 2025

Verlassen wir die Nebenschauplätze!

von Veronika Grimm

Seit dem Ampel-Aus wird eine Sau nach der anderen durchs Dorf getrieben. Zuerst wird die Schuld am Scheitern der Koalition diskutiert, dann folgt wieder die Debatte über das vermeintliche Wundermittel einer Schuldenbremsenreform. Es wird sich über Referenzen auf Elon Musk und Javier Milei echauffiert, ohne dass der grundlegende Unterschied zwischen beiden verstanden wird. Zuletzt erhitzt sich das ganze Land darüber, dass Elon Musk für die AfD wirbt und das auch noch in einer deutschen Tageszeitung begründen darf – wobei vor allem klar wird, dass er die Partei nicht wirklich kennt. Geht es uns noch (zu) gut?

Die wirtschaftlichen Zahlen machen die Herausforderungen allzu deutlich. Deutschland hat 2024 gerade einmal das BIP von 2019 wieder erreicht – fünf Jahre ohne Wachstum. Während die EU in dieser Zeit um 4 Prozent und die USA um 12 Prozent gewachsen sind, dümpelt die deutsche Wirtschaft vor sich hin. Und die Aussichten sind düster: Der Renteneintritt der Babyboomer reduziert das verfügbare Arbeitsvolumen und damit das Wachstumspotenzial, Investitionen gehen zurück, und die Auslastung in der Industrie ist historisch niedrig. Zwar halten Unternehmen aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels oft noch ihre Belegschaften, unterstützt durch Kurzarbeitergeld. Dadurch sinkt aber die Arbeitsproduktivität – ein weiterer Schlag für die Wettbewerbsfähigkeit, die ohnehin unter den hohen Energiekosten leidet.

Auch die deutschen Exporte, einst Wachstumstreiber, haben sich nicht erholt. Während das Wachstum der Weltwirtschaft fast wieder auf Vor-Corona-Niveau ist, bleiben die deutschen Exportzahlen schwach. Mit Trumps Rückkehr sind neue Zölle zu erwarten und China drängt bei Fahrzeugen, CleanTech und digitalen Produkten aggressiv auf die Weltmärkte – und verdrängt deutsche Anbieter. Von selbst dürfte sich die Lage kaum verbessern.

Wer jetzt ein größeres staatliches Engagement fordert, sollte genau hinschauen: Die Staatsquote ist von 44 Prozent im Jahr 2019 auf fast 50 Prozent gestiegen, und der Schuldenstand liegt deutlich über 60 Prozent. Angesichts der schwachen Wachstumsperspektiven ist das Verschuldungspotenzial ohnehin begrenzt, wenn der Schuldenstand nicht weiter ansteigen soll. Gleichzeitig steigen die Sozialausgaben in einer alternden Gesellschaft, Verteidigungsausgaben müssen erhöht werden, und Investitionen in Bildung sowie Infrastruktur sind unverzichtbar, um die Grundlagen für künftigen Wohlstand zu sichern.

Mit ein paar kleinen Reformen oder zusätzlichen Spielräumen wird sich das Problem nicht lösen lassen. Es braucht drastische Vorschläge – und die Bereitschaft, diese ernsthaft zu diskutieren. Die Entbürokratisierung darf nicht bei der Reduzierung von Erfüllungsaufwand stehen bleiben. Eine Deregulierungskommission müsste Gesetze und Behörden auf den Prüfstand stellen und überflüssige Regelungen konsequent abbauen (wie die Taxonomie oder die Lieferkettengesetze). In der Energiepolitik brauchen wir mehr Markt und pragmatische Ansätze: Strompreiszonen, blauer Wasserstoff, CCS – all das muss Teil der Lösung sein. Die Sozialsysteme müssen sich an das Wachstumspotenzial anpassen, mit wirksamen Rentenreformen und mehr Anreizen für Erwerbstätigkeit. Der Staat sollte Subventionen auf den Prüfstand stellen und Mittel für Zukunftsausgaben wie Bildung und Verteidigung freimachen. Infrastrukturaufgaben könnten teilweise in eine eigenständig verschuldungsfähige Infrastrukturgesellschaft auslagert werden. Und die Steuerbelastung der Unternehmen muss sinken.

Das ist alles unbequem und kontrovers. Aber genau darum sollten wir jetzt streiten. Wenn es nicht gelingt, das Ruder herumzureißen, könnten die demokratischen Parteien der Mitte das Vertrauen der Wählen 2029 verspielt haben.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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