Table.Briefing: Bildung

Neue Scoolio-App + Schulleiter-Qualifizierung + exklusive Umfrage zu ukrainischen Lehrkräften

  • Scoolio nach dem Datenskandal: Scoolio Pro 
  • Schulleitern fehlt Qualifizierung 
  • Umfrage zu ukrainischen Lehrkräften und Lernenden 
  • Studie: Besser lernen mit KI-Tutoren 
  • Benedict Kurz, der Knowunity-Gründer 
  • Didaktik & Tools: Lehrerin Petra Bydžovská über Orgpad
Liebe Leserin, lieber Leser,

undenkbar ist die erfolgreiche Führung eines Unternehmens ohne gutes Management. Im deutschen Schulsystem ist diese Notwendigkeit weitestgehend ausgeblendet. Kaum ein Monat vergeht, in dem keine Schreckensmeldung von fehlenden, demotivierten und überlasteten Schulleitungen die Öffentlichkeit erreicht. Dabei sind Schulen allein von der Zahl der Menschen, die in ihnen arbeiten und lernen, durchaus mit mittelständischen Unternehmen zu vergleichen. Sie benötigen Leadership, Management auf unterschiedlichsten Ebenen, inhaltliche, pädagogische und Personalkonzepte. Ihre Chefs, die Schulleitungen, sind mit Finanzierungsfragen genauso konfrontiert wie mit Baumanagement und Vertragsgestaltungen. Doch was lernen Lehrerinnen und Lehrer im Studium über all diese Dinge, wie werden sie auch im Berufsleben qualifiziert? Niklas Prenzel hat eine der größten Lücken im deutschen Schulsystem vermessen und mit Experten darüber gesprochen, wie das Amt der Schulleitung zu einer attraktiven Karriereposition werden kann.

Sie war eine der erfolgreichsten Jugend- und Schul-Apps, bis im vergangenen Jahr Datenschützer die Reißleine zogen. Nun ist Scoolio wieder da, mit der neuen “Scoolio Pro”. Christian Füller hat sich das Produkt näher angesehen, mit seinem Schöpfer, Danny Roller, über das Desaster der Vergangenheit und neue Pläne gesprochen.

Mit 300 000 und 400 000 Schülerinnen und Schülern, die aus der Ukraine geflüchtet sind und in Deutschland unterrichtet werden müssen, rechnet die KMK-Präsidentin Karin Prien. Ob das hiesige Schulsystem diese Leistung erbringen kann, ist noch vollkommen offen. Wir haben die Ostertage genutzt und das Meinungsforschungsinstitut Civey mit einer exklusiven Umfrage beauftragt. Die Mehrheit der Befragten findet, zunächst sollten die nach Deutschland geflüchteten Lehrkräfte zügig in den Schuldienst aufgenommen werden.

Eine interessante und hilfreiche Lektüre des aktuellen Bildung.Table wünscht Ihnen

Ihre
Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Analyse

Scoolio will datensicher werden

Man sieht das analoge Vorbild von der neuen App von Scoolio, sie soll den Datenschutz besser inkorporieren
So sah das analoge Vorbild von “Scoolio” aus: mit der Digitalisierung kamen die Fragen zum Datenschutz.

Danny Roller war einst der Star unter den Startups Sachsens. Seine Jugend-und-Schul-App “Scoolio” kletterte auf Platz acht der deutschen App-Charts. Dann der Absturz von Scoolio wegen mangelndem Datenschutz: Seine Anwendung für Stundenpläne und Hausaufgaben entpuppte sich als Datenschleuder. Die Presse zerriss die App. Nun ist der 34jährige Unternehmer zurück mit einem runderneuerten “Scoolio Pro”. Wie Phoenix aus der Asche will er den internationalen Markt erobern

“Das war ein Weckruf für uns”, bekennt Danny Roller heute zum niederschmetternden Urteil, das seine App im Oktober 2021 traf. “Wir haben uns die Kritik an Scoolio zunutze gemacht und das ganze nach vorne gewendet.” Roller sieht sich als Gründer und Anbieter einer Plattform für Jugendliche zu Unrecht am Pranger. Das Problem unsicherer Jugend-Apps bestehe ja nicht nur national, sondern international. “Deswegen bringen wir jetzt eine App für unter 16-Jährige auf den Markt, die wir auch außerhalb Deutschlands anbieten.” Roller nimmt für sich einen aufklärerischen Ansatz in Anspruch. “Die Idee hinter Scoolio Pro ist, dass wir die junge Zielgruppe an die digitale Welt heranführen – wenn auch ohne Chat und Interaktion”, sagt Roller. Allerdings läuft die neue saubere Pro-App für unter 16-Jährige nicht gut. 

Scoolio wollte Hausaufgabenheft und Karriereberater in einem sein

Dabei schien die Scoolio-Anwendung anfangs nicht zu bremsen. Roller modernisierte den analogen Stundenplaner “Futureplan“, den es seit 2010 gab. “Wir wollen Schülerinnen und Schülern dabei helfen, ihren Schulalltag zu digitalisieren“, hieß es damals. Aus Scoolio wurde eine digitale Version von Hausaufgabenheft, Klassenzimmer und eine Art Karriereberater. Scoolio bot regionalen Unternehmen die Möglichkeit, durch Aktionen und Wettbewerbe innerhalb der App Kontakt zu künftigen Beschäftigten zu knüpfen. Das habe 1,9 Millionen Nutzer angezogen, behauptet Scoolio. Die App landete unter den Top Ten der Kategorien Bildung und Lernen. 

Dann folgte die Enttarnung. Scoolio, so resümierte das Datenschutzkollektiv “Zerforschung”, sei “ein von vornherein und offensichtlich völlig kaputtes Geschäftsmodell.” Der Staat habe es mit Millionen unterstützt, aber niemand, nicht mal Sachsens Datenschutz, habe sich die App Scoolio genauer angeschaut. Nach diesem medialen Scherbengericht krempelte Scoolio sein Geschäftsmodell um: Es gibt nun ein – datensicheres – “Scoolio Pro” für unter 16-jährige ohne Chats, Tracking und Werbung; aber auch die Ü-16 App Scoolio sei sicherer geworden. Allerdings: die Kunden honorieren vor allem die “Scoolio Pro” App nicht. Und das interessiert, anders als die öffentliche Hinrichtung im vergangenen Jahr, die Presse kein bisschen. 

Roller ärgert sich über Doppelmoral der Gesellschaft

Das ärgert Danny Roller. Ihm stößt die Doppelmoral der Gesellschaft auf. Die liest er an den Verkaufszahlen seiner Apps ab. Die Scoolio-App war, während sich ganz Deutschland über schlechten Datenschutz ereiferte, nur kurzzeitig eingebrochen. Den Nutzerinnen und Nutzern – so die These von Roller – sei es herzlich egal gewesen, dass Daten an Werbepartner flossen oder so glitschige wie übergriffige Chat-Gruppen nur für Mädchen entstanden. Stolz zeigt Gründer Roller eine Grafik, auf der die Interaktionen in seiner App schon wenige Tage nach der gewaltigen öffentlichen Kritik wieder nach oben schnellten. Allerdings ist den Schaubildern nicht zu entnehmen, wie hoch die Nutzung wirklich ist. Während auf der Homepage von Scoolio unübersehbar die Zahl von 1,9 Millionen Nutzern prangt, ist auf dem Dashboard-Screenshot der Nutzungen nur ein kurzzeitiger Knick zu erkennen – aber keine Angabe, wie tief er war.

Und noch ein zweites Argument führt der junge Gründer an, um zu beweisen dass Datenschutz nicht sexy, sondern teuer und abschreckend ist. “Wir haben einen starken Use-Case-Rückgang aufgrund des Fehlens von Interaktionsmöglichkeiten zwischen Nutzern”, berichtet der studierte Ökonom über die Absatzentwicklung beim sicheren “Scoolio Pro”. Für Roller ein klarer Fall. “Die jungen Leute sind offenbar nicht bereit, eine im Funktionsumfang abgespeckte App zu nutzen, die zwar ihrer Schutzbedürftigkeit entspricht – aber dafür Geld kostet.” 

“Scoolio Pro” kostet 59 Cent: zu viel für Jugendliche

Der Grund für den Rückgang ist der Preis der App. Da in “Scoolio Pro” keine geldwerte Werbung auch in Form von Datenabfluss zu Unternehmen mehr enthalten ist, müssen die jungen Nutzer nun selbst für ihre Sicherheit bezahlen. Es sind zwar nur 59 Cent, die schrecken allerdings das junge Publikum ab. Hier tut sich eine Grundsatzfrage bei unter 16-Jährigen auf, die über den Fall Scoolio hinausweist. Wer Jugendlichen eine Chat-Funktion anbietet, muss diese gleichzeitig moderieren – und damit überwachen. Die dabei anfallenden personenbezogenen Daten gelten per Definition der Datenschutzgrundverordnung nach als schützenswert. Roller beschreibt das als Quadratur des Kreises. “Es gibt derzeitig keine technisch machbare Lösung, wie man Interaktion für unter 16-Jährige zulässt, das ganze moderiert und zugleich deren Daten schützt.” 

Danny Roller ist stolz auf die vielfältigen neuen Sicherungen, die Scoolio eingezogen habe. “Wir blockieren zum Beispiel jugendgefährdende Webseiten, damit die nicht in unsere Chats gepostet werden können“, sagt Roller. Wer indizierte Begriffe benutze, verliere seine Lese- und Schreibrechte. Er kann auch aus dem Netzwerk geworfen werden. Die hohen Schutzanforderungen freilich führten zu einer Kosten-Nutzen-Analyse, die nicht zu gewinnen sei: “Man muss abwägen zwischen dem Schutz des Nutzers, der technischen Machbarkeit sowie der Geschwindigkeit der Datenverarbeitung.” 

Datenschutz Sachsen: keine Auskunft zu laufenden Verfahren

Dennoch gibt es auch nach der Generalüberholung von Scoolio in Sachsen keine volle Transparenz. Ob es einen aufsichtsrechtlichen Disput zwischen Scoolio und Sachsens Datenschutzbehörde gebe, verneint Manager Roller vehement. Ja, er will nicht einmal den Namen der neuen Datenschutzbeauftragten des Landes kennen. Ihm sei es wichtiger, Lösungen zu schaffen und Innovationen voranbringen, als mit Juliane Hundert – so heißt die neue sächsische Datenschutzbeauftragte – Kaffee zu trinken. Dabei wäre das wohl ratsam. Denn worüber Scoolio und der Datenschutz streiten, darüber unkt der Sprecher der Behörde einerseits, gibt aber andererseits keine klare Auskunft. “Meine Behörde nimmt zu laufenden aufsichtlichen Verfahren keine Stellung”, teilt der Sprecher des Datenschutzes Sachsens mit. Zeit, dass Danny Roller und Juliane Hundert die Nutzer von Scoolio und Sachsens Bürger informieren.

  • Datenschutz
  • Sachsen
  • Schule

Schulleitern fehlt Qualifizierung 

An Universitäten in den USA gibt es hunderte Lehrstühle, die “Education Administration” oder “Education Leadership” heißen. In Deutschland braucht es nicht mal eine Hand, um die Professuren, die das Leiten von Schulen erforschen, aufzuzählen. Marcus Pietsch hat eine von ihnen inne und die Studie “Leadership in German Schools (LineS)” durchgeführt. Ein Ergebnis produzierte Schlagzeilen: Jede fünfte Schulleitung denkt in Deutschland darüber nach, das Handtuch zu schmeißen. 

Gemeinsam mit Kollegen startete er kürzlich den “Schulleitungsmonitor Deutschland“. Die Längsschnittstudie befragt Schulleitende in regelmäßigem Abstand zu ihrem Job. Man staunt: Aber vergleichbare Daten gibt es hierzulande bisher nicht. Erste Ergebnisse zeigen, dass viele Schulleitungen in der Pandemie überfordert gewesen sind und massiv Vertrauen in die Bildungsadministration verloren haben. “Sie haben häufig unklare Ansagen erhalten und sich wenig unterstützt gefühlt”, sagt Pietsch, der an der Lüneburger Leuphana Universität Heisenberg-Professor für Bildungsmanagement ist. 

Schulleiterin Wendler: wenig Gestalten, viel Bürokratie

Davon erzählt auch Alexandra Wendler. Die Lehrerin unterrichtete an einer Grundschule in Frankfurt am Main, wurde erst stellvertretende Schulleiterin, bis sie selbst an der Spitze stand. “Das Bildungssystem ist ein riesiger Öltanker, der wendet nicht so schnell”, sagt sie acht Monate nach ihrem Ausstieg. Sie versuchte, den Tanker zu wenden, trat mit großen Idealen an, wollte die Pädagogik und Schulkultur ändern. Doch verkrustete Strukturen und ein immenser Arbeitsaufwand hinderten sie daran. Oft war sie 60 Stunden pro Woche im Einsatz. 

Und dann kam Corona. “Ich war abends nur noch damit beschäftigt, irgendwelche Excel-Tabellen mit Pandemie-Daten zu befüllen.” Bürokratische Stolperfallen führten zu abstrusen Szenen. Der Schulträger durfte nur für die städtischen Angestellten, wie Hausmeister und Sekretärinnen, Masken in die Schule liefern. Also fuhr sie sonntags zum Schulamt, um Masken für die Lehrkräfte in ihren Kofferraum zu laden. Als Wendler nach der ersten Pandemie-Welle erfolgreich Microsoft Teams eingeführt hatte, erreichte sie ein Schreiben vom Ministerium. Aus Gründen des Datenschutzes dürfe ab sofort nur noch BigBlueButton verwendet werden. Es sind Geschichten wie diese, die sie zu dem Schritt bewogen, zu kündigen.

Der Mangel an und die Unzufriedenheit von Schulleitungen wird längst breit beklagt. Nach einer Datenerhebung der WELT aus dem vergangenen Jahr ist in Sachsen-Anhalt oder Nordrhein-Westfalen jede zehnte Leitungsstelle unbesetzt, in Bayern und Schleswig-Holstein nur ein Prozent. Besonders stark betroffen von fehlenden Bewerbungen sind Grundschulen

Die Aufgaben für Schulleitungen nehmen stetig zu. In Deutschland war der Direktor lange “Primus inter pares”. Er gehörte zum preußischen Gymnasium wie Goethes Faust in den Literaturkanon. Doch ist der “Erste unter Gleichen” vorwiegend einer, der als Pädagoge angesprochen ist, eine Lehrkraft mit besonderen Aufgaben. Es ist ein Modell, das ausläuft. Längst sollen Schulleitungen Personal- und Schulentwicklung genauso gut wie Teambuilding, soziale und fachliche Kompetenz beherrschen. 

Jede zweite Schulleitung ohne systematische Qualifikation

Zu diesem Ergebnis ist auch Marcus Pietsch gelangt: “Schulleitungen sind im deutschen Schulsystem lange nur als Vermittler gesehen worden, nicht als Führungspersönlichkeit”. Doch mit der neuen Steuerung im Bildungssystem brauche es ganz andere Qualitäten. In den USA, wo Schulleitungen in fast allen Bundesstaaten einen Master in Education Administration vorweisen müssen, würden sich die Principals stärker als “instructional leader” sehen und auf Schul- und Unterrichtsentwicklung konzentrieren. Sie sind Coach und Begleitung der Lehrkräfte, beraten bei der Wahl von Fortbildungen, damit sie das Schulprofil voranbringen. Für den Forscher ist dieses Rollenverständnis vorbildlich. In Deutschland würden die gelegentlichen Unterrichtsbesuche der Schulleitung immer noch vor allem als Kontrolle erlebt, sagt Pietsch. 

Seine Forschung zeigt, dass die Hälfte der Schulleitungen in Deutschland keine systematische Qualifizierung bekommen hat. Zudem zeigen die Daten eine Tendenz: dass die nicht systematisch Qualifizierten eher unglücklich mit ihrem Job sind. Zwar bieten fast alle Bundesländer mittlerweile verpflichtende Qualifizierungen für Schulleitende an, doch dauern diese nur zwischen wenigen Tagen bis maximal wenige Wochen. Die stolze Bildungsnation Deutschland hat über Jahre hinweg einen blinden Fleck, eine Leerstelle bei den obersten Lehrstellen produziert. 

Nun wird als Lösung für den Schulleitungsmangel auch gefordert, Gehälter zu erhöhen. Gerade in Grundschulen ist der Lohn im Vergleich zum Arbeitsaufwand und zum Lohn der Lehrkräfte oftmals gering. Zufriedenheit mit dem Gehalt führt zu Zufriedenheit mit dem Job. Aber noch wichtiger seien strukturelle Änderung. Schulleitung müsse als eigener Beruf und Profession anerkannt werden, so Pietsch. “Mit ihnen steht und fällt Schulentwicklung, Schülerleistung und alles andere auch.” 

Schulleitungsverband: Beruf endlich anerkennen

Dieses Bewusstsein setzt sich allmählich durch. Niedersachsen etwa nimmt sich vor, den Beruf der Schulleitung stärker zu professionalisieren. Dazu stellte Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) im Februar das “Berufsbild Schulleitung” vor. Eine 18-seitige Broschüre steckt die Handlungsfelder des Berufs ab (Lehren und Lernen, Personal, Kooperation, Qualitiätsentwicklung, Schulkultur, Organisation) und schlüsselt die drei Kernkompetenzen auf (Selbst-, Sozial- und Fachkompetenz). 

Für Pietsch ist das der richtige Ansatz. Ginge es nach ihm, würden schon Lehramtsstudierende Kurse zum Thema Schulleitung belegen müssen. Niedersachsen entwickelt in einem zweiten Schritt nun zusammen mit Schulleitungsverbänden die Eigenverantwortung von Schulen weiter und stellt die Qualifizierung neu auf, gibt das Bildungsministerium bekannt. 

Das Thema wird ernster genommen. So kommt langsam in der Bildungsrealität an, was auch der Allgemeine Deutsche Schulleitungsverband seit mehreren Jahren fordert. “Schulleitung muss als eigener Beruf anerkannt werden”, sagt die Vorsitzende Gudrun Wolters-Vogeler. Für mehr Zufriedenheit an der Spitze einer Schule sei es wichtig, viel Gestaltungsspielraum zu haben. In Hamburg hätten Schulleitende die größte Autonomie, trügen volle Personalverantwortung. Die Schule der Zukunft müsse von Schulleiterinnen und Schulleitern geführt werden, die weitreichende Entscheidungsbefugnisse auf allen Gebieten der Leitungstätigkeit hätten. Davon seien die Schulgesetze fast aller Bundesländer weit entfernt. Auch in Hessen hätten Schulleitungen sehr wenig Möglichkeiten, zu gestalten. 

Die Frankfurterin Alexandra Wendler gab ihren Schulleitungsposten auch deshalb auf. Trotz eines Masters im Schulmanagement wurde sie zwischen Alltagsaufgaben, die ihr kaum Zeit für Schulentwicklung ließen, zerrieben. Sie berät nun ehemalige Kolleginnen zu Qualitätsmanagement oder Schulkonzepten. Die Auftragslage sei gut. Ihre Entscheidung, Leitung und Lehrberuf aufzugeben, hat sie “noch keine Sekunde bereut”. 

News

Umfrage: Ukrainische Lehrkräfte anstellen

Lehrkräfte, die in den vergangenen Wochen aus der Ukraine geflüchtet sind und in Deutschland leben, sollten rasch in den deutschen Schuldienst übernommen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Bildung.Table. 67 Prozent der 5000 in den vergangenen Tagen repräsentativ Befragten sind dieser Auffassung. Die Kultusminister haben sich zwar zu diesem Schritt bekannt, um die wachsende Zahl ukrainischer Schülerinnen und Schüler, die vor dem Krieg geflüchtet sind, rasch unterrichten zu können. Allerdings handhaben die einzelnen Bundesländer die Anerkennung der ukrainischen Abschlüsse der Lehrkräfte sehr unterschiedlich, weshalb sich deren Anstellung teilweise erheblich verzögern dürfte. Die Anstellung wird laut Umfrage von Anhängern aller im Bundestag vertretenen Parteien mehrheitlich befürwortet. Lediglich Anhänger der AfD sind mehrheitlich dagegen.

Man sieht eine Grafik der Civey Umfrage zu der Frage wie geflüchtete Lernende aus der Ukraine unterricht werden sollen: Eine Option ist es ukrainische Lehrkräfte anzustellen

Uneins sind die Befragten in der Art und Weise, wie ukrainische Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden sollen. Lediglich 25 Prozent votieren für die Aufnahme in Willkommensklassen und 24 Prozent finden, dass die Lernenden in deutschsprachige Regelklassen übernommen werden sollen. 19 Prozent finden, die Schülerinnen und Schüler sollten vor Ort in ukrainischer Sprache unterrichtet werden und 15 Prozent halten ukrainischsprachigen Online-Unterricht für sinnvoll. asi

Studie: Besser lernen mit KI-Tutoren

Mit KI-Tutoren erzielen Lernende deutlich mehr Fortschritte als mit herkömmlichen Online-Lernplattformen. Das bedeutet, nicht reale Personen, sondern künstliche Intelligenz berät die Studierenden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team, bestehend aus Forschenden der Universität Bath, des Quebec Artificial Intelligence Institute (Mila) und der Firma Korbit, die den KI-Tutor anbietet. 

Für die Studie wurden über 200 Personen, von denen niemand Vorkenntnisse hatte, in drei Gruppen eingeteilt und erhielten einen Einführungskurs in Data Science. Das Ergebnis: Personen, die mit einem KI-Tutor lernten, verbrachten mehr Zeit mit Lernen und hatten 2- bis 2,5-mal höhere Lernzuwächse. Es beendeten mehr von ihnen den Einführungskurs erfolgreich. Der Lernzuwachs wurde durch Tests ermittelt, die vor Beginn und nach Ende des Kurses stattfanden. Die erste Gruppe hatte Zugang zu einer herkömmlichen Online-Lernplattform. Gruppe zwei bekam den Zugang zu der Plattform Korbit, die über einen KI-Tutor verfügt. Dieser Tutor personalisiert den Inhalt, der präsentiert wird, und passt die Schwierigkeit der Interaktionen an das Niveau des Lernenden an. In der dritten Gruppe lernten Probanden zwar auch auf Korbit, hatten jedoch keinen Zugriff auf den KI-Tutor.

Der Künstliche-Intelligenz-Tutor hilft mit pädagogischen Interventionen

Die Forschenden erklären sich die besseren Ergebnisse der Probanden, die einen KI-Tutor an der Seite hatten, durch das hoch personalisierte und interaktive Lernen, welches der Tutor bietet. Besonders spannend ist die Diskrepanz im Lernzuwachs zwischen denen, die Korbit mit und ohne KI-Tutor nutzten: Personen ohne Tutor schnitten bei verbrachter Zeit mit Lernen, Lernzuwachs und Beendigungsrate konstant schlechter ab, als diejenigen mit Tutor. Gab eine Probandin eine falsche Antwort, reagierte der Tutor mit “einer von Dutzenden pädagogischen Interventionen”, um den Weg zur richtigen Antwort zu weisen. Diese Interventionen können Tipps, Erklärungen oder Ausführungen sein. Das System von Korbit läuft vollautomatisch und passt sich dem Lernenden an – es lehrt und lernt. Dabei verwendet es Modelle des Machine Learnings, des Natural Language Processing und Reinforced Learning. 

Die Firma Korbit, die 2019 ihren ersten Machine Learning Kurs verfügbar machte, hat nach eigenen Angaben über 20.000 Lernende online mit Kursen versorgt. Das Unternehmen will einen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen leisten (genauer Ziel 4: Gute Bildung) und Bildung “demokratisieren”, wie es auf ihrer Website heißt. Mit dem KI-Tutor gäbe es eine echte Alternative zu persönlicher Betreuung durch Lehrkräfte, die weltweit Millionen von Schulkindern nicht gesichert zur Verfügung stehen. Mithilfe von KI könne auch diesen Kindern Zugang zu hochwertiger Bildung ermöglicht werden. Robert Saar 

Makerspace

Benedict Kurz, Knowunity-Gründer

Auf dem Fot ist Benedict Kurz zu sehen, Gründer der App Knowunity
Benedict Kurz, Gründer der Lern-App Knowunity.

Benedict Kurz ging noch zur Schule, als er mit Knowunity seine eigene Lern-App gründete. Sie ist heute mit nach eigenen Angaben mehr als zwei Millionen Nutzer:innen eine der erfolgreichsten auf dem deutschen Markt. Für ihn und seine vier Mitgründer, Yannik Prigl, Julian Prigl, Lucas Hild und Gregor Weber, kam die Idee nicht von ungefähr, schließlich war das Thema Schule für die jungen App-Entwickler noch sehr präsent. “Wir haben die App aus unseren eigenen Problemen heraus entwickelt”, sagt Kurz. Schüler seien den ganzen Tag in den sozialen Medien unterwegs. “Da gibt es Angebote für einfach alles. Aber es kann nicht sein, dass junge Menschen auf allen Ebenen mit digitalen Plattformen arbeiten, außer im Bildungsbereich.”

Vier Mitarbeiter prüfen die 140.000 Inhalte

Genau das soll die Besonderheit von Knowunity ausmachen: Sie verbindet die Aspekte einer Lern-App mit den Fähigkeiten eines sozialen Netzwerks. Die App gliedert sich in drei Bereiche: Sogenannte Knows bieten Wissen, Lernzettel und Karteikarten aus insgesamt 42 Fächern, von Klassikern wie Deutsch, Mathe und Englisch bis hin zu Psychologie, Gesundheit oder Darstellendes Spiel. Die Lerninhalte werden von den Nutzer:innen selbst erstellt, was sie zu sogenannten Knowern macht.

Vier Mitglieder des aktuell 45-köpfigen Knowunity-Teams prüfen diese dann mithilfe von digitaler Technologie auf ihre Richtigkeit. Dennoch: Bei über 140.000 Inhalten ist es schwer vorstellbar, wie ein solch kleines Team das schaffen kann. Bis zum Ende des Jahres will Knowunity sich auf 110 Mitarbeiter:innen vergrößern. Zusätzlich zu den Knows, gibt es einen Frage-Antwort-Bereich und eine digitale Nachhilfevermittlung. Bei beidem geht es darum, dass sich die Schüler:innen untereinander vernetzen und weiterhelfen. Je mehr man beiträgt, desto mehr Reichweite bekommt man – genau wie bei anderen sozialen Netzwerken. 

Knowunity soll globale Plattform werden

Der Entwicklungsprozess der App begann im April 2020. Das Wissen und die Skills dafür haben sich die Gründer größtenteils selbst angeeignet, über YouTube, Podcasts und “einfach von Leuten, die das können”, sagt Kurz. Nach einem guten Vierteljahr war die App veröffentlicht, das TikTok-Video eines Influencers weckte das Interesse der Zielgruppe – das bis heute anhält. Für Kurz und seine Mitgründer bedeutet das, dass die Arbeit hinter Knowunity zum Fulltimejob geworden ist. Zeit für ein Studium bleibt da nicht.

Mittlerweile ist Knowunity in insgesamt vier Ländern verfügbar: Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz. Wenn es nach Benedict Kurz geht, sollen es möglichst schnell noch mehr werden. Dieses Jahr sollen vier weitere Länder erschlossen werden, beginnend mit Polen und den USA. Ihm schwebt Knowunity als eine globale Plattform vor, die allen Schüler:innen kostenlos Zugang zu Lehrmaterial bietet, das Lernen vereinfachen und vor allem digitalisieren soll. Schließlich wirbt Knowunity mit dem Slogan Schule. Endlich einfach. Doch für ein digitalisiertes Schulsystem muss sich noch einiges ändern, findet Benedict Kurz: “Die Breite der Lehrer muss darauf anspringen, damit die Motivation direkt aus der Schule kommt. Vor allem aber muss der Bildungsplan revolutioniert werden, wir müssen uns die Frage stellen, was darin noch relevant ist.” 

Die Konkurrenz ist groß – teilweise sogar größer

2021 hat die Geschäftsidee zwei Millionen Euro Investitionen eingetrieben. Kurz und seine Mitgründer hoffen auf weitere Gelder aus EdTech-Funds. Allerdings ist Knowunity nicht die einzige App ihrer Art. Ob StudySmarter, die simpleclub-App, Duden Learnattack oder Abiunity: Die Konkurrenz ist groß und wenn man auf Download-Zahlen blickt teilweise sogar größer. Kurz betont die “einzigartigen Inhalte”, die seine App biete. Doch Inhalte stellen auch vergleichbare Angebote zuhauf zur Verfügung. So ist das Alleinstellungsmerkmal von Knowunity wohl ihr Anspruch, weltweite Bildungsplattform zu werden – und von Schülern gegründet worden zu sein. Anouk Melina Schlung

Didaktik & Tools

OrgPad: mit der digitalen Tafel Schüler aktivieren

Digitale Tafel Orgpad aktiviert Schüler
Sieht verwirrend aus, hilft Schülern aber, ihren Wortschatz und Ideen freier auszudrücken: digitale Orgpad-Seite von Petra Bydžovská

Was ist der pädagogische Vorteil von Orgpad?

Lernende lassen sich damit gut aktivieren. Die digitale Tafel Orgpad hat weder eine beschränkende Tabelle, noch ist es ein fertiger Lehrervortrag. Präsentationen konsumieren die Schüler oft nur – und fertig. Sie verstehen scheinbar alles, aber sie sagen nichts und sie machen nichts. Ich benutze Orgpad, um Wortschatz zu überprüfen, eher um ihn wachzurufen. Ich weise den Schülern Bilder oder Aufgaben als Themenfragen zu. Sie können sich auf der digitalen Mindmap eine neue Bubble öffnen und loslegen. Anders als bei anderen virtuellen Tafeln gibt es bei Orgpad keine räumliche Begrenzung und damit auch keine gedankliche. Ich unterrichte Menschen zwischen 15 und 20, die viele Jahre Englisch- oder Deutschunterricht hinter sich haben. Sie sind in der Lage, ganze Sätze zu bilden, um sich auch selbst Fragen zu stellen – und zu beantworten. Die offene Gestaltung von Orgpad regt sie an, freier zu agieren und mehr zu sprechen. Viele toben sich regelrecht aus. 

Welche technischen Voraussetzungen brauche ich für Orgpad?

Ich brauche meinen Kopf und meine Sprache. Jedes unserer Klassenzimmer hat WLan-Anschluss und einen Computer – das brauche ich hoffentlich nicht mehr zu erwähnen. Praktisch ist natürlich auch ein Messenger oder ein virtuelles Klassenzimmer wie MS Teams, um die Links zu teilen. 

Benutzt man Orgpad eher online oder im Klassenzimmer? 

Ich habe es beim Online-Unterricht entdeckt. Auch die tschechischen Schulen waren ja wegen der Pandemie fast sieben Monate lang online. Mit Orgpad haben offene Themenstellungen von Anfang sehr gut geklappt. Die Schülerinnen waren damit sehr zufrieden. Sie haben zum Teil auch zusammen an derselben Aufgabe gearbeitet. Sie können Orgpages aber als Schablone auch so zuteilen, dass jeder in seiner eigenen Mindmap-Seite für sich alleine arbeitet. Kurz: ich benutze heute Orgpad auch im Klassenzimmer mit allen Altersstufen.

Pro Tipp:

Ich mag die digitale Tafel Orgpad im normalen Unterricht, weil sie versteckte Schüler sichtbar macht, die sonst nicht sprechen. Eine Übung war etwa, den Englisch-Wortschatz im Zusammenhang mit Verbrechen zu testen. Die Schüler sollten alle Worte zusammentragen, die ihnen dazu einfallen. Das ist eine typische offene Aufgabe, für die Orgpad besonders geeignet ist. Jeder arbeitet dann nach seinen Möglichkeiten. Beim Thema Jobs and work (siehe Bild) schreibt der eine nur Berufe auf, die anderen gehen ins Detail. Wenn man einmal das strikt durchstrukturierte deutsche Lernmaterial erlebt hat, kann man hier erkennen, wie viel Spaß es Schülern macht, mal ins Wilde zu gehen. Sie können alle möglichen Formate in die Präsentation einbauen, Bilder oder Memes. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Schüler dieses einfach zu bedienende Mindmap vor komplexeren Tools wie Prezi oder PowerPoint bevorzugen. 

Kritik

Der einzige Nachteil im vergangenen Jahr war, dass man es bezahlen muss – allerdings fanden meine Schüler eine Möglichkeit, wie man es trotzdem gratis mit mehr Platz benutzen kann. Ich darf aber nicht öffentlich erklären, wie das funktioniert.

Petra Bydžovská ist Lehrerin für Deutsch und Englisch an der VOŠ, SPŠ automobilní a technická (der Berufschule für Fahrzeugtechnik und technische Berufe) in Budweis, Tschechien. OrgPad wird auch an deutschen Schulen genutzt und bietet ab sofort eine ukrainische Übersetzung für Geflüchtete.

Licenses:
    • Scoolio nach dem Datenskandal: Scoolio Pro 
    • Schulleitern fehlt Qualifizierung 
    • Umfrage zu ukrainischen Lehrkräften und Lernenden 
    • Studie: Besser lernen mit KI-Tutoren 
    • Benedict Kurz, der Knowunity-Gründer 
    • Didaktik & Tools: Lehrerin Petra Bydžovská über Orgpad
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    undenkbar ist die erfolgreiche Führung eines Unternehmens ohne gutes Management. Im deutschen Schulsystem ist diese Notwendigkeit weitestgehend ausgeblendet. Kaum ein Monat vergeht, in dem keine Schreckensmeldung von fehlenden, demotivierten und überlasteten Schulleitungen die Öffentlichkeit erreicht. Dabei sind Schulen allein von der Zahl der Menschen, die in ihnen arbeiten und lernen, durchaus mit mittelständischen Unternehmen zu vergleichen. Sie benötigen Leadership, Management auf unterschiedlichsten Ebenen, inhaltliche, pädagogische und Personalkonzepte. Ihre Chefs, die Schulleitungen, sind mit Finanzierungsfragen genauso konfrontiert wie mit Baumanagement und Vertragsgestaltungen. Doch was lernen Lehrerinnen und Lehrer im Studium über all diese Dinge, wie werden sie auch im Berufsleben qualifiziert? Niklas Prenzel hat eine der größten Lücken im deutschen Schulsystem vermessen und mit Experten darüber gesprochen, wie das Amt der Schulleitung zu einer attraktiven Karriereposition werden kann.

    Sie war eine der erfolgreichsten Jugend- und Schul-Apps, bis im vergangenen Jahr Datenschützer die Reißleine zogen. Nun ist Scoolio wieder da, mit der neuen “Scoolio Pro”. Christian Füller hat sich das Produkt näher angesehen, mit seinem Schöpfer, Danny Roller, über das Desaster der Vergangenheit und neue Pläne gesprochen.

    Mit 300 000 und 400 000 Schülerinnen und Schülern, die aus der Ukraine geflüchtet sind und in Deutschland unterrichtet werden müssen, rechnet die KMK-Präsidentin Karin Prien. Ob das hiesige Schulsystem diese Leistung erbringen kann, ist noch vollkommen offen. Wir haben die Ostertage genutzt und das Meinungsforschungsinstitut Civey mit einer exklusiven Umfrage beauftragt. Die Mehrheit der Befragten findet, zunächst sollten die nach Deutschland geflüchteten Lehrkräfte zügig in den Schuldienst aufgenommen werden.

    Eine interessante und hilfreiche Lektüre des aktuellen Bildung.Table wünscht Ihnen

    Ihre
    Antje Sirleschtov
    Bild von Antje  Sirleschtov

    Analyse

    Scoolio will datensicher werden

    Man sieht das analoge Vorbild von der neuen App von Scoolio, sie soll den Datenschutz besser inkorporieren
    So sah das analoge Vorbild von “Scoolio” aus: mit der Digitalisierung kamen die Fragen zum Datenschutz.

    Danny Roller war einst der Star unter den Startups Sachsens. Seine Jugend-und-Schul-App “Scoolio” kletterte auf Platz acht der deutschen App-Charts. Dann der Absturz von Scoolio wegen mangelndem Datenschutz: Seine Anwendung für Stundenpläne und Hausaufgaben entpuppte sich als Datenschleuder. Die Presse zerriss die App. Nun ist der 34jährige Unternehmer zurück mit einem runderneuerten “Scoolio Pro”. Wie Phoenix aus der Asche will er den internationalen Markt erobern

    “Das war ein Weckruf für uns”, bekennt Danny Roller heute zum niederschmetternden Urteil, das seine App im Oktober 2021 traf. “Wir haben uns die Kritik an Scoolio zunutze gemacht und das ganze nach vorne gewendet.” Roller sieht sich als Gründer und Anbieter einer Plattform für Jugendliche zu Unrecht am Pranger. Das Problem unsicherer Jugend-Apps bestehe ja nicht nur national, sondern international. “Deswegen bringen wir jetzt eine App für unter 16-Jährige auf den Markt, die wir auch außerhalb Deutschlands anbieten.” Roller nimmt für sich einen aufklärerischen Ansatz in Anspruch. “Die Idee hinter Scoolio Pro ist, dass wir die junge Zielgruppe an die digitale Welt heranführen – wenn auch ohne Chat und Interaktion”, sagt Roller. Allerdings läuft die neue saubere Pro-App für unter 16-Jährige nicht gut. 

    Scoolio wollte Hausaufgabenheft und Karriereberater in einem sein

    Dabei schien die Scoolio-Anwendung anfangs nicht zu bremsen. Roller modernisierte den analogen Stundenplaner “Futureplan“, den es seit 2010 gab. “Wir wollen Schülerinnen und Schülern dabei helfen, ihren Schulalltag zu digitalisieren“, hieß es damals. Aus Scoolio wurde eine digitale Version von Hausaufgabenheft, Klassenzimmer und eine Art Karriereberater. Scoolio bot regionalen Unternehmen die Möglichkeit, durch Aktionen und Wettbewerbe innerhalb der App Kontakt zu künftigen Beschäftigten zu knüpfen. Das habe 1,9 Millionen Nutzer angezogen, behauptet Scoolio. Die App landete unter den Top Ten der Kategorien Bildung und Lernen. 

    Dann folgte die Enttarnung. Scoolio, so resümierte das Datenschutzkollektiv “Zerforschung”, sei “ein von vornherein und offensichtlich völlig kaputtes Geschäftsmodell.” Der Staat habe es mit Millionen unterstützt, aber niemand, nicht mal Sachsens Datenschutz, habe sich die App Scoolio genauer angeschaut. Nach diesem medialen Scherbengericht krempelte Scoolio sein Geschäftsmodell um: Es gibt nun ein – datensicheres – “Scoolio Pro” für unter 16-jährige ohne Chats, Tracking und Werbung; aber auch die Ü-16 App Scoolio sei sicherer geworden. Allerdings: die Kunden honorieren vor allem die “Scoolio Pro” App nicht. Und das interessiert, anders als die öffentliche Hinrichtung im vergangenen Jahr, die Presse kein bisschen. 

    Roller ärgert sich über Doppelmoral der Gesellschaft

    Das ärgert Danny Roller. Ihm stößt die Doppelmoral der Gesellschaft auf. Die liest er an den Verkaufszahlen seiner Apps ab. Die Scoolio-App war, während sich ganz Deutschland über schlechten Datenschutz ereiferte, nur kurzzeitig eingebrochen. Den Nutzerinnen und Nutzern – so die These von Roller – sei es herzlich egal gewesen, dass Daten an Werbepartner flossen oder so glitschige wie übergriffige Chat-Gruppen nur für Mädchen entstanden. Stolz zeigt Gründer Roller eine Grafik, auf der die Interaktionen in seiner App schon wenige Tage nach der gewaltigen öffentlichen Kritik wieder nach oben schnellten. Allerdings ist den Schaubildern nicht zu entnehmen, wie hoch die Nutzung wirklich ist. Während auf der Homepage von Scoolio unübersehbar die Zahl von 1,9 Millionen Nutzern prangt, ist auf dem Dashboard-Screenshot der Nutzungen nur ein kurzzeitiger Knick zu erkennen – aber keine Angabe, wie tief er war.

    Und noch ein zweites Argument führt der junge Gründer an, um zu beweisen dass Datenschutz nicht sexy, sondern teuer und abschreckend ist. “Wir haben einen starken Use-Case-Rückgang aufgrund des Fehlens von Interaktionsmöglichkeiten zwischen Nutzern”, berichtet der studierte Ökonom über die Absatzentwicklung beim sicheren “Scoolio Pro”. Für Roller ein klarer Fall. “Die jungen Leute sind offenbar nicht bereit, eine im Funktionsumfang abgespeckte App zu nutzen, die zwar ihrer Schutzbedürftigkeit entspricht – aber dafür Geld kostet.” 

    “Scoolio Pro” kostet 59 Cent: zu viel für Jugendliche

    Der Grund für den Rückgang ist der Preis der App. Da in “Scoolio Pro” keine geldwerte Werbung auch in Form von Datenabfluss zu Unternehmen mehr enthalten ist, müssen die jungen Nutzer nun selbst für ihre Sicherheit bezahlen. Es sind zwar nur 59 Cent, die schrecken allerdings das junge Publikum ab. Hier tut sich eine Grundsatzfrage bei unter 16-Jährigen auf, die über den Fall Scoolio hinausweist. Wer Jugendlichen eine Chat-Funktion anbietet, muss diese gleichzeitig moderieren – und damit überwachen. Die dabei anfallenden personenbezogenen Daten gelten per Definition der Datenschutzgrundverordnung nach als schützenswert. Roller beschreibt das als Quadratur des Kreises. “Es gibt derzeitig keine technisch machbare Lösung, wie man Interaktion für unter 16-Jährige zulässt, das ganze moderiert und zugleich deren Daten schützt.” 

    Danny Roller ist stolz auf die vielfältigen neuen Sicherungen, die Scoolio eingezogen habe. “Wir blockieren zum Beispiel jugendgefährdende Webseiten, damit die nicht in unsere Chats gepostet werden können“, sagt Roller. Wer indizierte Begriffe benutze, verliere seine Lese- und Schreibrechte. Er kann auch aus dem Netzwerk geworfen werden. Die hohen Schutzanforderungen freilich führten zu einer Kosten-Nutzen-Analyse, die nicht zu gewinnen sei: “Man muss abwägen zwischen dem Schutz des Nutzers, der technischen Machbarkeit sowie der Geschwindigkeit der Datenverarbeitung.” 

    Datenschutz Sachsen: keine Auskunft zu laufenden Verfahren

    Dennoch gibt es auch nach der Generalüberholung von Scoolio in Sachsen keine volle Transparenz. Ob es einen aufsichtsrechtlichen Disput zwischen Scoolio und Sachsens Datenschutzbehörde gebe, verneint Manager Roller vehement. Ja, er will nicht einmal den Namen der neuen Datenschutzbeauftragten des Landes kennen. Ihm sei es wichtiger, Lösungen zu schaffen und Innovationen voranbringen, als mit Juliane Hundert – so heißt die neue sächsische Datenschutzbeauftragte – Kaffee zu trinken. Dabei wäre das wohl ratsam. Denn worüber Scoolio und der Datenschutz streiten, darüber unkt der Sprecher der Behörde einerseits, gibt aber andererseits keine klare Auskunft. “Meine Behörde nimmt zu laufenden aufsichtlichen Verfahren keine Stellung”, teilt der Sprecher des Datenschutzes Sachsens mit. Zeit, dass Danny Roller und Juliane Hundert die Nutzer von Scoolio und Sachsens Bürger informieren.

    • Datenschutz
    • Sachsen
    • Schule

    Schulleitern fehlt Qualifizierung 

    An Universitäten in den USA gibt es hunderte Lehrstühle, die “Education Administration” oder “Education Leadership” heißen. In Deutschland braucht es nicht mal eine Hand, um die Professuren, die das Leiten von Schulen erforschen, aufzuzählen. Marcus Pietsch hat eine von ihnen inne und die Studie “Leadership in German Schools (LineS)” durchgeführt. Ein Ergebnis produzierte Schlagzeilen: Jede fünfte Schulleitung denkt in Deutschland darüber nach, das Handtuch zu schmeißen. 

    Gemeinsam mit Kollegen startete er kürzlich den “Schulleitungsmonitor Deutschland“. Die Längsschnittstudie befragt Schulleitende in regelmäßigem Abstand zu ihrem Job. Man staunt: Aber vergleichbare Daten gibt es hierzulande bisher nicht. Erste Ergebnisse zeigen, dass viele Schulleitungen in der Pandemie überfordert gewesen sind und massiv Vertrauen in die Bildungsadministration verloren haben. “Sie haben häufig unklare Ansagen erhalten und sich wenig unterstützt gefühlt”, sagt Pietsch, der an der Lüneburger Leuphana Universität Heisenberg-Professor für Bildungsmanagement ist. 

    Schulleiterin Wendler: wenig Gestalten, viel Bürokratie

    Davon erzählt auch Alexandra Wendler. Die Lehrerin unterrichtete an einer Grundschule in Frankfurt am Main, wurde erst stellvertretende Schulleiterin, bis sie selbst an der Spitze stand. “Das Bildungssystem ist ein riesiger Öltanker, der wendet nicht so schnell”, sagt sie acht Monate nach ihrem Ausstieg. Sie versuchte, den Tanker zu wenden, trat mit großen Idealen an, wollte die Pädagogik und Schulkultur ändern. Doch verkrustete Strukturen und ein immenser Arbeitsaufwand hinderten sie daran. Oft war sie 60 Stunden pro Woche im Einsatz. 

    Und dann kam Corona. “Ich war abends nur noch damit beschäftigt, irgendwelche Excel-Tabellen mit Pandemie-Daten zu befüllen.” Bürokratische Stolperfallen führten zu abstrusen Szenen. Der Schulträger durfte nur für die städtischen Angestellten, wie Hausmeister und Sekretärinnen, Masken in die Schule liefern. Also fuhr sie sonntags zum Schulamt, um Masken für die Lehrkräfte in ihren Kofferraum zu laden. Als Wendler nach der ersten Pandemie-Welle erfolgreich Microsoft Teams eingeführt hatte, erreichte sie ein Schreiben vom Ministerium. Aus Gründen des Datenschutzes dürfe ab sofort nur noch BigBlueButton verwendet werden. Es sind Geschichten wie diese, die sie zu dem Schritt bewogen, zu kündigen.

    Der Mangel an und die Unzufriedenheit von Schulleitungen wird längst breit beklagt. Nach einer Datenerhebung der WELT aus dem vergangenen Jahr ist in Sachsen-Anhalt oder Nordrhein-Westfalen jede zehnte Leitungsstelle unbesetzt, in Bayern und Schleswig-Holstein nur ein Prozent. Besonders stark betroffen von fehlenden Bewerbungen sind Grundschulen

    Die Aufgaben für Schulleitungen nehmen stetig zu. In Deutschland war der Direktor lange “Primus inter pares”. Er gehörte zum preußischen Gymnasium wie Goethes Faust in den Literaturkanon. Doch ist der “Erste unter Gleichen” vorwiegend einer, der als Pädagoge angesprochen ist, eine Lehrkraft mit besonderen Aufgaben. Es ist ein Modell, das ausläuft. Längst sollen Schulleitungen Personal- und Schulentwicklung genauso gut wie Teambuilding, soziale und fachliche Kompetenz beherrschen. 

    Jede zweite Schulleitung ohne systematische Qualifikation

    Zu diesem Ergebnis ist auch Marcus Pietsch gelangt: “Schulleitungen sind im deutschen Schulsystem lange nur als Vermittler gesehen worden, nicht als Führungspersönlichkeit”. Doch mit der neuen Steuerung im Bildungssystem brauche es ganz andere Qualitäten. In den USA, wo Schulleitungen in fast allen Bundesstaaten einen Master in Education Administration vorweisen müssen, würden sich die Principals stärker als “instructional leader” sehen und auf Schul- und Unterrichtsentwicklung konzentrieren. Sie sind Coach und Begleitung der Lehrkräfte, beraten bei der Wahl von Fortbildungen, damit sie das Schulprofil voranbringen. Für den Forscher ist dieses Rollenverständnis vorbildlich. In Deutschland würden die gelegentlichen Unterrichtsbesuche der Schulleitung immer noch vor allem als Kontrolle erlebt, sagt Pietsch. 

    Seine Forschung zeigt, dass die Hälfte der Schulleitungen in Deutschland keine systematische Qualifizierung bekommen hat. Zudem zeigen die Daten eine Tendenz: dass die nicht systematisch Qualifizierten eher unglücklich mit ihrem Job sind. Zwar bieten fast alle Bundesländer mittlerweile verpflichtende Qualifizierungen für Schulleitende an, doch dauern diese nur zwischen wenigen Tagen bis maximal wenige Wochen. Die stolze Bildungsnation Deutschland hat über Jahre hinweg einen blinden Fleck, eine Leerstelle bei den obersten Lehrstellen produziert. 

    Nun wird als Lösung für den Schulleitungsmangel auch gefordert, Gehälter zu erhöhen. Gerade in Grundschulen ist der Lohn im Vergleich zum Arbeitsaufwand und zum Lohn der Lehrkräfte oftmals gering. Zufriedenheit mit dem Gehalt führt zu Zufriedenheit mit dem Job. Aber noch wichtiger seien strukturelle Änderung. Schulleitung müsse als eigener Beruf und Profession anerkannt werden, so Pietsch. “Mit ihnen steht und fällt Schulentwicklung, Schülerleistung und alles andere auch.” 

    Schulleitungsverband: Beruf endlich anerkennen

    Dieses Bewusstsein setzt sich allmählich durch. Niedersachsen etwa nimmt sich vor, den Beruf der Schulleitung stärker zu professionalisieren. Dazu stellte Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) im Februar das “Berufsbild Schulleitung” vor. Eine 18-seitige Broschüre steckt die Handlungsfelder des Berufs ab (Lehren und Lernen, Personal, Kooperation, Qualitiätsentwicklung, Schulkultur, Organisation) und schlüsselt die drei Kernkompetenzen auf (Selbst-, Sozial- und Fachkompetenz). 

    Für Pietsch ist das der richtige Ansatz. Ginge es nach ihm, würden schon Lehramtsstudierende Kurse zum Thema Schulleitung belegen müssen. Niedersachsen entwickelt in einem zweiten Schritt nun zusammen mit Schulleitungsverbänden die Eigenverantwortung von Schulen weiter und stellt die Qualifizierung neu auf, gibt das Bildungsministerium bekannt. 

    Das Thema wird ernster genommen. So kommt langsam in der Bildungsrealität an, was auch der Allgemeine Deutsche Schulleitungsverband seit mehreren Jahren fordert. “Schulleitung muss als eigener Beruf anerkannt werden”, sagt die Vorsitzende Gudrun Wolters-Vogeler. Für mehr Zufriedenheit an der Spitze einer Schule sei es wichtig, viel Gestaltungsspielraum zu haben. In Hamburg hätten Schulleitende die größte Autonomie, trügen volle Personalverantwortung. Die Schule der Zukunft müsse von Schulleiterinnen und Schulleitern geführt werden, die weitreichende Entscheidungsbefugnisse auf allen Gebieten der Leitungstätigkeit hätten. Davon seien die Schulgesetze fast aller Bundesländer weit entfernt. Auch in Hessen hätten Schulleitungen sehr wenig Möglichkeiten, zu gestalten. 

    Die Frankfurterin Alexandra Wendler gab ihren Schulleitungsposten auch deshalb auf. Trotz eines Masters im Schulmanagement wurde sie zwischen Alltagsaufgaben, die ihr kaum Zeit für Schulentwicklung ließen, zerrieben. Sie berät nun ehemalige Kolleginnen zu Qualitätsmanagement oder Schulkonzepten. Die Auftragslage sei gut. Ihre Entscheidung, Leitung und Lehrberuf aufzugeben, hat sie “noch keine Sekunde bereut”. 

    News

    Umfrage: Ukrainische Lehrkräfte anstellen

    Lehrkräfte, die in den vergangenen Wochen aus der Ukraine geflüchtet sind und in Deutschland leben, sollten rasch in den deutschen Schuldienst übernommen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Bildung.Table. 67 Prozent der 5000 in den vergangenen Tagen repräsentativ Befragten sind dieser Auffassung. Die Kultusminister haben sich zwar zu diesem Schritt bekannt, um die wachsende Zahl ukrainischer Schülerinnen und Schüler, die vor dem Krieg geflüchtet sind, rasch unterrichten zu können. Allerdings handhaben die einzelnen Bundesländer die Anerkennung der ukrainischen Abschlüsse der Lehrkräfte sehr unterschiedlich, weshalb sich deren Anstellung teilweise erheblich verzögern dürfte. Die Anstellung wird laut Umfrage von Anhängern aller im Bundestag vertretenen Parteien mehrheitlich befürwortet. Lediglich Anhänger der AfD sind mehrheitlich dagegen.

    Man sieht eine Grafik der Civey Umfrage zu der Frage wie geflüchtete Lernende aus der Ukraine unterricht werden sollen: Eine Option ist es ukrainische Lehrkräfte anzustellen

    Uneins sind die Befragten in der Art und Weise, wie ukrainische Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden sollen. Lediglich 25 Prozent votieren für die Aufnahme in Willkommensklassen und 24 Prozent finden, dass die Lernenden in deutschsprachige Regelklassen übernommen werden sollen. 19 Prozent finden, die Schülerinnen und Schüler sollten vor Ort in ukrainischer Sprache unterrichtet werden und 15 Prozent halten ukrainischsprachigen Online-Unterricht für sinnvoll. asi

    Studie: Besser lernen mit KI-Tutoren

    Mit KI-Tutoren erzielen Lernende deutlich mehr Fortschritte als mit herkömmlichen Online-Lernplattformen. Das bedeutet, nicht reale Personen, sondern künstliche Intelligenz berät die Studierenden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team, bestehend aus Forschenden der Universität Bath, des Quebec Artificial Intelligence Institute (Mila) und der Firma Korbit, die den KI-Tutor anbietet. 

    Für die Studie wurden über 200 Personen, von denen niemand Vorkenntnisse hatte, in drei Gruppen eingeteilt und erhielten einen Einführungskurs in Data Science. Das Ergebnis: Personen, die mit einem KI-Tutor lernten, verbrachten mehr Zeit mit Lernen und hatten 2- bis 2,5-mal höhere Lernzuwächse. Es beendeten mehr von ihnen den Einführungskurs erfolgreich. Der Lernzuwachs wurde durch Tests ermittelt, die vor Beginn und nach Ende des Kurses stattfanden. Die erste Gruppe hatte Zugang zu einer herkömmlichen Online-Lernplattform. Gruppe zwei bekam den Zugang zu der Plattform Korbit, die über einen KI-Tutor verfügt. Dieser Tutor personalisiert den Inhalt, der präsentiert wird, und passt die Schwierigkeit der Interaktionen an das Niveau des Lernenden an. In der dritten Gruppe lernten Probanden zwar auch auf Korbit, hatten jedoch keinen Zugriff auf den KI-Tutor.

    Der Künstliche-Intelligenz-Tutor hilft mit pädagogischen Interventionen

    Die Forschenden erklären sich die besseren Ergebnisse der Probanden, die einen KI-Tutor an der Seite hatten, durch das hoch personalisierte und interaktive Lernen, welches der Tutor bietet. Besonders spannend ist die Diskrepanz im Lernzuwachs zwischen denen, die Korbit mit und ohne KI-Tutor nutzten: Personen ohne Tutor schnitten bei verbrachter Zeit mit Lernen, Lernzuwachs und Beendigungsrate konstant schlechter ab, als diejenigen mit Tutor. Gab eine Probandin eine falsche Antwort, reagierte der Tutor mit “einer von Dutzenden pädagogischen Interventionen”, um den Weg zur richtigen Antwort zu weisen. Diese Interventionen können Tipps, Erklärungen oder Ausführungen sein. Das System von Korbit läuft vollautomatisch und passt sich dem Lernenden an – es lehrt und lernt. Dabei verwendet es Modelle des Machine Learnings, des Natural Language Processing und Reinforced Learning. 

    Die Firma Korbit, die 2019 ihren ersten Machine Learning Kurs verfügbar machte, hat nach eigenen Angaben über 20.000 Lernende online mit Kursen versorgt. Das Unternehmen will einen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen leisten (genauer Ziel 4: Gute Bildung) und Bildung “demokratisieren”, wie es auf ihrer Website heißt. Mit dem KI-Tutor gäbe es eine echte Alternative zu persönlicher Betreuung durch Lehrkräfte, die weltweit Millionen von Schulkindern nicht gesichert zur Verfügung stehen. Mithilfe von KI könne auch diesen Kindern Zugang zu hochwertiger Bildung ermöglicht werden. Robert Saar 

    Makerspace

    Benedict Kurz, Knowunity-Gründer

    Auf dem Fot ist Benedict Kurz zu sehen, Gründer der App Knowunity
    Benedict Kurz, Gründer der Lern-App Knowunity.

    Benedict Kurz ging noch zur Schule, als er mit Knowunity seine eigene Lern-App gründete. Sie ist heute mit nach eigenen Angaben mehr als zwei Millionen Nutzer:innen eine der erfolgreichsten auf dem deutschen Markt. Für ihn und seine vier Mitgründer, Yannik Prigl, Julian Prigl, Lucas Hild und Gregor Weber, kam die Idee nicht von ungefähr, schließlich war das Thema Schule für die jungen App-Entwickler noch sehr präsent. “Wir haben die App aus unseren eigenen Problemen heraus entwickelt”, sagt Kurz. Schüler seien den ganzen Tag in den sozialen Medien unterwegs. “Da gibt es Angebote für einfach alles. Aber es kann nicht sein, dass junge Menschen auf allen Ebenen mit digitalen Plattformen arbeiten, außer im Bildungsbereich.”

    Vier Mitarbeiter prüfen die 140.000 Inhalte

    Genau das soll die Besonderheit von Knowunity ausmachen: Sie verbindet die Aspekte einer Lern-App mit den Fähigkeiten eines sozialen Netzwerks. Die App gliedert sich in drei Bereiche: Sogenannte Knows bieten Wissen, Lernzettel und Karteikarten aus insgesamt 42 Fächern, von Klassikern wie Deutsch, Mathe und Englisch bis hin zu Psychologie, Gesundheit oder Darstellendes Spiel. Die Lerninhalte werden von den Nutzer:innen selbst erstellt, was sie zu sogenannten Knowern macht.

    Vier Mitglieder des aktuell 45-köpfigen Knowunity-Teams prüfen diese dann mithilfe von digitaler Technologie auf ihre Richtigkeit. Dennoch: Bei über 140.000 Inhalten ist es schwer vorstellbar, wie ein solch kleines Team das schaffen kann. Bis zum Ende des Jahres will Knowunity sich auf 110 Mitarbeiter:innen vergrößern. Zusätzlich zu den Knows, gibt es einen Frage-Antwort-Bereich und eine digitale Nachhilfevermittlung. Bei beidem geht es darum, dass sich die Schüler:innen untereinander vernetzen und weiterhelfen. Je mehr man beiträgt, desto mehr Reichweite bekommt man – genau wie bei anderen sozialen Netzwerken. 

    Knowunity soll globale Plattform werden

    Der Entwicklungsprozess der App begann im April 2020. Das Wissen und die Skills dafür haben sich die Gründer größtenteils selbst angeeignet, über YouTube, Podcasts und “einfach von Leuten, die das können”, sagt Kurz. Nach einem guten Vierteljahr war die App veröffentlicht, das TikTok-Video eines Influencers weckte das Interesse der Zielgruppe – das bis heute anhält. Für Kurz und seine Mitgründer bedeutet das, dass die Arbeit hinter Knowunity zum Fulltimejob geworden ist. Zeit für ein Studium bleibt da nicht.

    Mittlerweile ist Knowunity in insgesamt vier Ländern verfügbar: Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz. Wenn es nach Benedict Kurz geht, sollen es möglichst schnell noch mehr werden. Dieses Jahr sollen vier weitere Länder erschlossen werden, beginnend mit Polen und den USA. Ihm schwebt Knowunity als eine globale Plattform vor, die allen Schüler:innen kostenlos Zugang zu Lehrmaterial bietet, das Lernen vereinfachen und vor allem digitalisieren soll. Schließlich wirbt Knowunity mit dem Slogan Schule. Endlich einfach. Doch für ein digitalisiertes Schulsystem muss sich noch einiges ändern, findet Benedict Kurz: “Die Breite der Lehrer muss darauf anspringen, damit die Motivation direkt aus der Schule kommt. Vor allem aber muss der Bildungsplan revolutioniert werden, wir müssen uns die Frage stellen, was darin noch relevant ist.” 

    Die Konkurrenz ist groß – teilweise sogar größer

    2021 hat die Geschäftsidee zwei Millionen Euro Investitionen eingetrieben. Kurz und seine Mitgründer hoffen auf weitere Gelder aus EdTech-Funds. Allerdings ist Knowunity nicht die einzige App ihrer Art. Ob StudySmarter, die simpleclub-App, Duden Learnattack oder Abiunity: Die Konkurrenz ist groß und wenn man auf Download-Zahlen blickt teilweise sogar größer. Kurz betont die “einzigartigen Inhalte”, die seine App biete. Doch Inhalte stellen auch vergleichbare Angebote zuhauf zur Verfügung. So ist das Alleinstellungsmerkmal von Knowunity wohl ihr Anspruch, weltweite Bildungsplattform zu werden – und von Schülern gegründet worden zu sein. Anouk Melina Schlung

    Didaktik & Tools

    OrgPad: mit der digitalen Tafel Schüler aktivieren

    Digitale Tafel Orgpad aktiviert Schüler
    Sieht verwirrend aus, hilft Schülern aber, ihren Wortschatz und Ideen freier auszudrücken: digitale Orgpad-Seite von Petra Bydžovská

    Was ist der pädagogische Vorteil von Orgpad?

    Lernende lassen sich damit gut aktivieren. Die digitale Tafel Orgpad hat weder eine beschränkende Tabelle, noch ist es ein fertiger Lehrervortrag. Präsentationen konsumieren die Schüler oft nur – und fertig. Sie verstehen scheinbar alles, aber sie sagen nichts und sie machen nichts. Ich benutze Orgpad, um Wortschatz zu überprüfen, eher um ihn wachzurufen. Ich weise den Schülern Bilder oder Aufgaben als Themenfragen zu. Sie können sich auf der digitalen Mindmap eine neue Bubble öffnen und loslegen. Anders als bei anderen virtuellen Tafeln gibt es bei Orgpad keine räumliche Begrenzung und damit auch keine gedankliche. Ich unterrichte Menschen zwischen 15 und 20, die viele Jahre Englisch- oder Deutschunterricht hinter sich haben. Sie sind in der Lage, ganze Sätze zu bilden, um sich auch selbst Fragen zu stellen – und zu beantworten. Die offene Gestaltung von Orgpad regt sie an, freier zu agieren und mehr zu sprechen. Viele toben sich regelrecht aus. 

    Welche technischen Voraussetzungen brauche ich für Orgpad?

    Ich brauche meinen Kopf und meine Sprache. Jedes unserer Klassenzimmer hat WLan-Anschluss und einen Computer – das brauche ich hoffentlich nicht mehr zu erwähnen. Praktisch ist natürlich auch ein Messenger oder ein virtuelles Klassenzimmer wie MS Teams, um die Links zu teilen. 

    Benutzt man Orgpad eher online oder im Klassenzimmer? 

    Ich habe es beim Online-Unterricht entdeckt. Auch die tschechischen Schulen waren ja wegen der Pandemie fast sieben Monate lang online. Mit Orgpad haben offene Themenstellungen von Anfang sehr gut geklappt. Die Schülerinnen waren damit sehr zufrieden. Sie haben zum Teil auch zusammen an derselben Aufgabe gearbeitet. Sie können Orgpages aber als Schablone auch so zuteilen, dass jeder in seiner eigenen Mindmap-Seite für sich alleine arbeitet. Kurz: ich benutze heute Orgpad auch im Klassenzimmer mit allen Altersstufen.

    Pro Tipp:

    Ich mag die digitale Tafel Orgpad im normalen Unterricht, weil sie versteckte Schüler sichtbar macht, die sonst nicht sprechen. Eine Übung war etwa, den Englisch-Wortschatz im Zusammenhang mit Verbrechen zu testen. Die Schüler sollten alle Worte zusammentragen, die ihnen dazu einfallen. Das ist eine typische offene Aufgabe, für die Orgpad besonders geeignet ist. Jeder arbeitet dann nach seinen Möglichkeiten. Beim Thema Jobs and work (siehe Bild) schreibt der eine nur Berufe auf, die anderen gehen ins Detail. Wenn man einmal das strikt durchstrukturierte deutsche Lernmaterial erlebt hat, kann man hier erkennen, wie viel Spaß es Schülern macht, mal ins Wilde zu gehen. Sie können alle möglichen Formate in die Präsentation einbauen, Bilder oder Memes. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Schüler dieses einfach zu bedienende Mindmap vor komplexeren Tools wie Prezi oder PowerPoint bevorzugen. 

    Kritik

    Der einzige Nachteil im vergangenen Jahr war, dass man es bezahlen muss – allerdings fanden meine Schüler eine Möglichkeit, wie man es trotzdem gratis mit mehr Platz benutzen kann. Ich darf aber nicht öffentlich erklären, wie das funktioniert.

    Petra Bydžovská ist Lehrerin für Deutsch und Englisch an der VOŠ, SPŠ automobilní a technická (der Berufschule für Fahrzeugtechnik und technische Berufe) in Budweis, Tschechien. OrgPad wird auch an deutschen Schulen genutzt und bietet ab sofort eine ukrainische Übersetzung für Geflüchtete.

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen