Table.Briefing: Bildung

KMK bespricht Omikron + Udo Beckmann im Interview + Helmut Holter

  • Omikron verunsichert Bildungsminister und Schulen
  • VBE-Chef Udo Beckmann: Schulen als systemrelevant wahrnehmen
  • Porträt des Thüringer Bildungsministers Helmut Holter
Liebe Leserin, lieber Leser,

von wegen friedliche Weihnacht und ein stiller, weil böllerfreier Wechsel ins neue Jahr! Die Schlingerfahrt der Kultusminister macht nicht nur Eltern, Schulleiter:innen und Lehrkräfte nervös. Sie könnte in Thüringen, wo Rot-Rot-Grün ohnehin keine eigene Mehrheit hat, zu einer veritablen Regierungskrise führen. Dort hat Bildungsminister Helmut Holter (Die Linke) nichts weniger als einen Gesetzesbruch in eine Schulverordnung geschrieben. Holter wollte, was das Bundesgesetz ihm nicht mehr erlaubt: flächendeckend Schulen schließen. 

In Thüringen reibt sich die Opposition die Augen. “Dieser Zickzack-Kurs stellt die Thüringer Familien erneut und völlig unnötig vor eine große Belastungsprobe”, sagte der stellvertretende Fraktionschef der CDU-Fraktion, Christian Tischner, Bildung.Table. “Hier handelt es sich um ein Kollektivversagen der Landesregierung. Offenbar ist niemand in der Thüringer Landesregierung in der Lage, Gesetze zu lesen.” Lesen Sie im Makerspace, was den – eigentlich – erfahrenen Polit-Profi Holter antreibt.

Die anderen Schulminister sehen sich heute indes vergleichsweise stoisch in Videokonferenzen, um über die aktuelle Lage zu beraten. Bildung.Table hat für Sie in Erfahrung gebracht, wie die Schuladministrationen in Nord, Süd, Ost und West mit Omikron umgehen wollen. 

Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch ins Jahr 2022. 

Ihr
Christian Füller
Bild von Christian  Füller

Analyse

Omikron verunsichert Bildungsminister und Schulen

Man sieht die neue KMK-Präsidentin Karin Prien
Karin Prien, Schulministerin Schleswig-Holsteins und neue Präsidentin der Kultusminister

Wenn sich die Bildungsminister:innen der SPD und das Präsidium der KMK heute virtuell zu Abstimmungen über die Omikron-Variante des Corona-Virus zusammenschalten, dürften sie zugleich gespannt nach Weimar schauen. Das dortige Oberverwaltungsgericht wird die erste erneute flächendeckende Schulschließungen wohl untersagen – weil sie gegen das Infektionsschutzgesetz des Bundes verstößt. In Thüringen war noch an Weihnachten gegen die Rechtsverordnung des glücklos agierenden Schulministers Helmut Holter eine einstweilige Anordnung beantragt worden. Aber Verwaltungsgericht hin, Infektionsschutzgesetz her: Omikron bedroht akut die Schulen wie die Einheit der Kultusminister. 

Denn die Haltung der Schulminister:innen scheint nur möglich, weil es derzeit keine verlässlichen Messungen von Inzidenzen gibt. Die Infektionszahlen sinken zwar formell, gleichzeitig baut sich aber nach Meinung von Experten im Hintergrund bereits die Omikron-Welle auf. Auch die Corona-Forscherin der KMK selbst hatte – wie berichtet – vor diesem aggressiven Virustyp gewarnt. Zuletzt waren deswegen die Bildungsminister wie Dominosteine umgekippt. Als Erstes schickte die scheidende Präsidentin der Kultusminister-Konferenz, Britta Ernst (SPD), in Brandenburg die Schüler früher in die Ferien; dann zog Sachsen-Anhalt nach, schließlich verkündete Helmut Holter in Thüringen noch vor Weihnachten eine zweiwöchige Schulschließung für 2022. 

Stark-Watzinger: Wechselunterricht vorbereiten, digitale Ausstattung verbessern

Selbst die der FDP zugehörige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger empfahl: “In dieser Situation dürfen wir jedoch nicht die Hände in den Schoß legen, sondern müssen Vorkehrungen auch für den Bildungsbereich treffen, falls Omikron schlimm wird”, sagte die Bildungsministerin. “Vorbereiten müssen wir uns auf die Gestaltung von Wechselunterricht, wenn er wieder erforderlich wird. Wir müssen die digitale Ausstattung der Schulen rasch verbessern und dafür sorgen, dass die Gelder des Digitalpakts schneller abfließen.”

Thüringens Bildungsminister Holter musste seine eigene Rechtsverordnung am Dienstagabend wieder kassieren. (Siehe Makerspace in dieser Ausgabe). Er forderte unterdessen, Schulschließungen per Infektionsschutzgesetz wieder möglich zu machen. “Die Lage hat sich einfach verändert und deswegen brauchen wir in der KMK auch eine neue Lagebewertung”, sagte Holter. “Alle wissen doch, dass die Omikron-Welle kommt. Im Moment ist mir das, was auf Bundesebene läuft, alles zu spät.” Das Verfahren der Kultusminister:innen bestätigte die Befürchtungen des Vorsitzenden des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann. “Es herrscht maximale Verwirrung – wieder einmal”, sagte Beckmann im Interview mit Bildung.Table. Die Kultusministerinnen und -minister verführen nach dem Motto, die Schulen werden das schon hinbekommen. “Ich erwarte aber von der Kultusministerkonferenz, dass sie handelt.” 

Bildungsminister mehr oder weniger gut auf Omikron vorbereitet

Eine Umfrage von Bildung.Table in den Ländern zeigte, dass die Ministerien sich mehr oder weniger gut auf die Omikron-Variante vorbereiten. Das Land Niedersachsen beispielsweise startet erst am 10. Januar wieder mit dem Schulbetrieb. Da werde es, so sagte ein Sprecher, zunächst eine Sicherheitswoche geben. Schüler würden dann öfter getestet, und auch die Grundschüler müssten Masken im Unterricht tragen. Niedersachsen hat den Vorteil, dass die Schulferien dort bis zum 7. Januar dauern. Der Kultusminister des Landes, Grant Hendrik Tonne (SPD), wird sich heute an der virtuellen Abstimmung der SPD-Länder beteiligen. Die Marschroute für Tonne: Präsenzunterricht hat Vorrang, Schulschließungen seien möglichst zu vermeiden. Allerdings gehört Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu jenen Landesfürsten, die deutliche Kritik daran geübt haben, dass das Infektionsschutzgesetz von der rot-grün-gelben Ampel-Koalition entkernt worden ist. 

Die B-Länder (CDU) teilten auf Anfrage mit, dass sie keiner gesonderten Abstimmung der Bildungsminister wegen Omikron bedürften. Die Linie ist klar, sagte ein Sprecher des Koordinators der CDU-geführten Länder, Alexander Lorz, zu Bildung.Table. “Wir versuchen, mit Präsenzunterricht ins neue Jahr zu starten.” Man halte nichts vom Thüringer Weg, Schulschließungen wieder möglich zu machen. “Aber es ist nichts in Stein gemeißelt, man muss die Infektionszahlen genau beobachten.” Auch in Hessen enden die Weihnachtsferien so, dass erst am 10. Januar wieder Unterricht stattfindet. Dann müssen alle Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur 13. Klasse Masken tragen. Auch geimpfte Schüler lässt Hessen dreimal pro Woche testen. 

KMK-Präsidentin Prien: Keine Rechtsgrundlage für Schulschließungen

“Unsere oberste Maxime bleibt der Präsenzunterricht”, sagte auch der Sprecher von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Es habe keine speziellen Anweisungen an die Schulleiter gegeben, Distanzunterricht vorzubereiten. “Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass das funktioniert”, hieß es aus dem Bundesland, bei dem zum Jahreswechsel 2020/21 tagelang die Server des Lernmanagementsystems (LMS) zusammenbrachen. “Mebis Bayern” gilt als das am besten gepflegte LMS in der ganzen Bundesrepublik, das über eine Million Nutzer verzeichnet – aber offenbar nur theoretisch alle auf einmal bedienen kann. 

Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU), bewies, dass sie liberal und zugleich strikt ist. “Die Pandemie lehrt Demut – auch bei Prognosen. Ich kann nur dazu sagen: Schulen sollten zuletzt geschlossen werden“, sagte Prien dem Handelsblatt. Direkt auf Schulschließungen angesprochen, betonte Schleswig-Holsteins Schulministerin, was ihr Kollege in Thüringen erst schmerzhaft lernen musste: Für eine “flächendeckende Schulschließung in allen Bundesländern gibt es aus meiner Sicht” keine Rechtsgrundlage. Prien sagte auch, es gebe keinen Anlass, Schulen zu schließen. Das allerdings ist nicht sicher. Denn Berichten zufolge breitet sich die hochansteckende Omikron-Variante in ihrem Bundesland besonders schnell aus.

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    “Allen Lehrer:innen ein Angebot zur Fortbildung machen”

    Kultusminister Lehrer Fortbildung
    Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung: “Die Kultusminister müssen handeln.”

    Herr Beckmann, wie hätten Sie die Schulen auf die Corona-Variante Omikron vorbereitet? 

    Erstens, hätte ich mir die neue Lage durch Omikron von Experten erläutern lassen. Was bedeutet die Mutation für das Infektionsgeschehen an Schulen? Zweitens hätte ich auf dieser Basis entschieden, wie die Schulen am 3. Januar beginnen sollen. Drittens, hätte ich dies so rechtzeitig getan, dass die Schulen die Möglichkeit gehabt hätten, sich wirklich darauf einzustellen. 

    Das ist nicht passiert.

    Ja, die Schulleiter erfahren wahrscheinlich erneut mitten in den Schulferien, dass sie ab 3. Januar noch in den Weihnachtsferien sind. Oder dass sie mit den Schülern digital arbeiten. Oder, dass es ganz normal weitergeht. Es herrscht maximale Verwirrung – wieder einmal. 

    Sind Sie zufrieden damit, wie die Kultusminister bisher für die Sicherheit von Lehrer:innen und Schüler:innen gesorgt sowie den digitalen Distanzunterricht vorbereitet haben? 

    Die Schulminister sind in der bisherigen Corona-Pandemie nach dem Motto verfahren: Es wird schon alles gut gehen, die Schulen werden das schon hinbekommen. Ich erwarte aber von der Kultusministerkonferenz, dass sie handelt. Sie sollte sich noch diese Woche kurzfristig zusammenschließen und sich abstimmen. Die Schulleiter müssen wissen, was bei bestimmten Infektionslagen zu geschehen hat. Die Politik hat die technischen Möglichkeiten in den zurückliegenden Monaten nicht ausgeschöpft: Es gibt nur an ganz wenigen Schulen die so wichtigen Luftfilteranlagen, die gerade bei den infektiöseren Corona-Varianten wie Delta und Omikron mehr Schutz geboten hätten. 

    Wie kommen die Rektorinnen und Rektoren damit zurecht? 

    Die Schulleiterinnen und Schulleiter melden uns zurück, dass sie sich alleingelassen fühlen. Die Informationen kommen in der Regel zu spät und zu kurzfristig aus den Ministerien – manchmal am späten Freitagabend. Die Gesundheitsämter wenden zudem sehr unterschiedliche Verfahren an, wenn es zu Infektionsgeschehen an Schulen kommt. Das macht die Schulleiterinnen und Schulleiter mürbe. Immer mehr dieser wichtigen KollegInnen wirken ausgebrannt. Eine Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung hat gezeigt, dass 20 Prozent der Schulleiterinnen und Schulleiter auf dem Absprung sind. Sie sagen: in zehn Jahren bin ich nicht mehr in diesem Job. 

    Was heißt das für die Schulen?

    Dass sie als systemrelevant wahrgenommen werden müssen! Die Politik macht sich gerade Sorgen, dass das Gesundheitssystem und andere kritische Infrastrukturen in der fünften Welle nicht mehr komplett aufrechtzuerhalten sind. Ich habe bisher noch nie gehört, dass die Politik das auch auf Schulleiter oder Lehrkräfte bezogen hätte. Ich erwarte aber, dass man diese Überlegungen auch für Schulen anstellt – wenn man denn schon in Sonntagsreden der Bildung so hohe Priorität einräumt.

    Wie könnte man den Schulleitern ganz konkret helfen? 

    Am besten dadurch, dass man rechtzeitig klare Hinweise gibt. Die Leiter müssen sich darauf verlassen können, dass der Dienstherr sich hinter sie stellt – und sich nicht hinter ihnen versteckt. Das gilt vor allem, wenn Schulleiter aufgrund der besonderen Situation vor Ort eigene Entscheidungen treffen. Wenn zum Beispiel die Gesundheitsämter Schulen nicht hinreichend unterstützen, dann sollten die Minister die Selbstverantwortung der Schulleiter stärken, ihnen vor allem aber auch die notwendige Leitungszeit zur Verfügung stellen. 

    Ohne digitale Bildung ist die Pandemie nicht zu bewältigen. Es gibt zum Teil Kritik an Lehrern, dass ihnen das Digitale noch fremd ist. 

    Wir haben durch Corona einen Ausstattungsschub an den Schulen erhalten, den es ohne Pandemie nicht gegeben hätte. Was jetzt erforderlich ist – und eigentlich längst hätte starten müssen – ist, dass die Politik die Lehrkräfte nicht kritisiert, sondern sie mitnimmt. Die Fortbildungsoffensive muss stattfinden, sodass noch mehr Lehrkräfte lernen, die digitalen Medien pädagogisch optimal einsetzen können. Hier gibt es noch viel Nachholbedarf. Die Länder gehen sehr unterschiedlich vor. Die Politik darf die Lehrkräfte jetzt nicht allein lassen. Das Motto scheint bisher zu lauten: “Hier ist die Technik, nun seht mal, wie ihr klarkommt”. So können keine pädagogischen Konzepte entstehen.

    Wie würde die Fortbildungsoffensive des Udo Beckmann aussehen?

    Ich würde allen Lehrkräften ein attraktives Angebot machen, wie sie digitale Tools noch besser verstehen können – und zwar während der Dienstzeit. Angesichts der enormen Belastung der Lehrkräfte geht das im Moment nicht anders. Alle Lehrerinnen und Lehrer müssen die Möglichkeit haben, an so einem Angebot teilzunehmen – zunächst niedrigschwellig und aber dann auch mit detaillierten Konzepten. Wenn das den Kultusministern so wichtig ist, wie sie sagen, müssen sie das auch tun. Wir brauchen keine Kompetenzzentren, die in zehn Jahren ins Laufen kommen. Die Kollegen müssen jetzt die Gelegenheit bekommen, in der Schule in internen Fortbildungen zu lernen und sich auf Konzepte zu verständigen, die zu ihrer jeweiligen Schule passen. Es rechnet sich – selbst wenn für die Fortbildungen mal zwei Tage Unterricht ausfällt. Interview: Christian Füller

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      Helmut Holter: Betoningenieur floppt als Bildungsminister

      Man sieht Helmut Holter, er floppt als Bildungsminister
      Helmut Holter, Minister für Jugend und Sport

      Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hatte sich 2017 eigentlich einen erfahrenen Politiker als Minister für Bildung und Jugend geholt. Das Bundesland erhielt turnusgemäß den Vorsitz in der Kultusministerkonferenz, da wollte Ramelow wohl einen ausgebufften Profi haben. Doch Helmut Holter, ein Architekt der rot-roten Regierung in Mecklenburg-Vorpommern, entwickelt sich als Bildungsminister immer mehr zum Problemfall. Dass er sich mit Bildungsfragen nicht gut auskennt, wurde rasch klar. Aber ausgerechnet auf dem Feld der politischen Steuerung stolpert Holter. Er legte sich mit Thüringens Datenschutzbeauftragten an, er entließ seine Staatssekretärin Julia Heesen auf eine entwürdigende Art – und hat sich nun beim Thema Schulschließungen vergaloppiert. Er verstand erst spät, was seine Staatssekretärin längst wusste. 

      Holter, geboren 1954, machte zunächst im Sozialismus Karriere. 1973 trat er in die SED ein, arbeitete im Volkseigenen Betrieb und studierte Anfang der Siebziger fünf Jahre an der Bauingenieurschule Moskau. Er schloss als Diplomingenieur für Betontechnologie ab. In den Achtzigern hängte er, ebenfalls in Moskau, ein weiteres Studium dran: Marxismus-Leninismus. Von 1982 bis 1985 war er dann Sekretär der Betriebsparteiorganisation der SED. 

      Erster Vize-Ministerpräsident der PDS

      Auch nach dem Mauerfall blieb Holter in der Politik. Er wurde Mecklenburg-Vorpommerns Landesvorsitzender der SED-Nachfolgerin PDS. Dort baute er früh Brücken zur SPD – ein Investment, das 1998 Früchte trug: Mit respektablen 22,7 Prozent wurde die PDS Koalitionspartner der SPD (34,2 Prozent) und Holter einer von drei Ministern der PDS im Kabinett von Harald Ringstorff. Holter war nun an der Spitze seiner politischen Karriere – als stellvertretender Ministerpräsident. Es war sowohl die erste Koalition aus SPD und PDS als auch die erste Ministerverantwortung der PDS nach der Wiedervereinigung. 

      Im Zuge der Harz-Reformen der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder zeigte sich Holter flexibel. “Ich finde die Reform falsch, torpediere sie aber nicht“, sagte er 2005. Ein Jahr später scheiterte die rot-rote Regierung in MV am schlechten Abschneiden der SPD. Im Landeswahlkampf 2016 machte die Linkspartei Holter noch einmal zum Spitzenkandidaten, holte aber nur knapp 13 Prozent. Holter wollte trotzdem Fraktionsvorsitzender bleiben – unterlag aber überraschend Simone Oldenburg. Die heutige Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern hatte ihre Kandidatur erst in der Fraktionssitzung bekannt gegeben. Holter bezeichnet seine Abwahl als “eine weitere Niederlage, ein Desaster.” Allerdings blieb er nicht lange im politischen Abseits: 2017 holte ihn Ramelow nach Thüringen und machte ihn zum Bildungsminister. Turnusmäßig übernahm er ein Jahr später die KMK-Präsidentschaft. Holter war wieder Pionier, diesmal als erster KMK-Präsident der Linkspartei. 

      Datenschutzbeauftragter eröffnet Verfahren gegen Holter

      Gerade in der Corona-Krise agierte das Ministerium Holter allerdings glücklos bis chaotisch. Im Januar 2021 stellte sich Holter den Fragen von Schülerinnen und Schülern bezüglich Homeschooling und Abschlussprüfungen. Allerdings machte Holter das in einem Livestream via Instagram, das zu Facebook gehört. Der Datenschutzbeauftragte Thüringens, Lutz Hasse, eröffnete daraufhin ein Verfahren gegen den Minister. Dem MDR gegenüber betonte Hasse, dass man das Bildungsministerium bereits im Vorfeld auf datenschutzrechtliche Bedenken hingewiesen habe, Schüler auf einen unsicheren Instagram-Account zum Gespräch zu bitten. Holter lieferte sich daraufhin einen öffentlichen Schlagabtausch mit Thüringens Datenschützer

      Noch mehr Verwirrung erzeugte Holter als Bildungsminister in diesem Monat. Am 11. Dezember twitterte der offizielle Account des Ministeriums zehn Gründe, warum Schulen offen bleiben sollten. Das war zunächst unspektakulär. Sowohl Ministerpräsident Ramelow als auch Minister Holter teilten die “Keine-Schulschließungen”-Haltung – und retweeteten beide die Tweets ihrer Bildungsstaatssekretärin Julia Heesen. Vier Tage später jedoch musste die Staatssekretärin ihren Hut nehmen – wegen der Tweets. Holter begründete die Freistellung seiner Staatssekretärin damit, dass ihr die “erforderliche Klarheit” und “notwendige Zurückhaltung” in der öffentlichen Kommunikation fehle. Auf Nachfrage von Bildung.Table, warum der Minister nicht zurücktrete, da er doch selbst unklar kommuniziert habe, ließ er ausrichten: “Retweets auf dem privaten Twitter-Account des Ministers sind laut Beschreibung keine Zustimmung.”

      Bildungsminister Holter ordnet Schulschließungen an – gegen das Gesetz

      Nur eine Woche nach dem Twitter-Vorgang ging die Unruhe weiter. Thüringen stellte die neuen Corona-Regeln für Schulen vor und es gab eine große Überraschung: Thüringens Schulen sollten im Januar für zwei Wochen flächendeckend geschlossen bleiben. Eine Kehrtwende, die Holters Haus gegenüber Bildung.Table so begründete: “Thüringen ist mit den höchsten Inzidenzen in Deutschland und einer vergleichsweise niedrigen Impfquote nicht in der Position, erst mal abwarten zu können, was andere Bundesländer tun.” Daher liege es nahe, weitere stringente Maßnahmen zu ergreifen. “Das Ziel der bereits getroffenen Entscheidungen ist es, sich auf den Januar 2022 vorbereiten zu können”, erklärte ein Sprecher am Dienstagnachmittag. 

      Aber schon am Dienstagabend war auch das Makulatur. Inzwischen hatte man im Ministerium nämlich gemerkt, dass es flächendeckende Schulschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz gar nicht mehr geben darf. Also ruderte der Minister erneut zurück und kassierte am späten Dienstag seine eigene Rechtsverordnung vom 23. Dezember. Holter tat das nicht freiwillig. Ein Normenkontrollantrag auf einstweilige Verfügung gegen seine komplette Schulschließung, eingereicht an Heiligabend, zwang ihn dazu. Am heutigen Donnerstag beginnt das Oberverwaltungsgericht Weimar, den Fall zu verhandeln.  

      Die bittere Ironie der jüngsten Kehrtwende: Anfang Dezember twitterte das Thüringer Bildungsministerium unter seinen zehn Gründen gegen Schulschließungen diesen: “Wir halten uns an das Infektionsschutzgesetz. Denn Paragraph 28a Absatz 7 IfSG verbietet den Ländern die Schließung aller ‘Gemeinschaftseinrichtungen nach Paragraph 33’, zu denen Schulen und Kindergärten gehören.” Autorin des Tweets war Dr. Julia Heesen. Die Staatsekretärin hatte recht. Hätte Holter auf sie gehört, statt sie zu entlassen, hätte er zehn Tage später nicht gegen dieses Infektionsschutzgesetz verstoßen. Robert Saar

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          von wegen friedliche Weihnacht und ein stiller, weil böllerfreier Wechsel ins neue Jahr! Die Schlingerfahrt der Kultusminister macht nicht nur Eltern, Schulleiter:innen und Lehrkräfte nervös. Sie könnte in Thüringen, wo Rot-Rot-Grün ohnehin keine eigene Mehrheit hat, zu einer veritablen Regierungskrise führen. Dort hat Bildungsminister Helmut Holter (Die Linke) nichts weniger als einen Gesetzesbruch in eine Schulverordnung geschrieben. Holter wollte, was das Bundesgesetz ihm nicht mehr erlaubt: flächendeckend Schulen schließen. 

          In Thüringen reibt sich die Opposition die Augen. “Dieser Zickzack-Kurs stellt die Thüringer Familien erneut und völlig unnötig vor eine große Belastungsprobe”, sagte der stellvertretende Fraktionschef der CDU-Fraktion, Christian Tischner, Bildung.Table. “Hier handelt es sich um ein Kollektivversagen der Landesregierung. Offenbar ist niemand in der Thüringer Landesregierung in der Lage, Gesetze zu lesen.” Lesen Sie im Makerspace, was den – eigentlich – erfahrenen Polit-Profi Holter antreibt.

          Die anderen Schulminister sehen sich heute indes vergleichsweise stoisch in Videokonferenzen, um über die aktuelle Lage zu beraten. Bildung.Table hat für Sie in Erfahrung gebracht, wie die Schuladministrationen in Nord, Süd, Ost und West mit Omikron umgehen wollen. 

          Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch ins Jahr 2022. 

          Ihr
          Christian Füller
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          Omikron verunsichert Bildungsminister und Schulen

          Man sieht die neue KMK-Präsidentin Karin Prien
          Karin Prien, Schulministerin Schleswig-Holsteins und neue Präsidentin der Kultusminister

          Wenn sich die Bildungsminister:innen der SPD und das Präsidium der KMK heute virtuell zu Abstimmungen über die Omikron-Variante des Corona-Virus zusammenschalten, dürften sie zugleich gespannt nach Weimar schauen. Das dortige Oberverwaltungsgericht wird die erste erneute flächendeckende Schulschließungen wohl untersagen – weil sie gegen das Infektionsschutzgesetz des Bundes verstößt. In Thüringen war noch an Weihnachten gegen die Rechtsverordnung des glücklos agierenden Schulministers Helmut Holter eine einstweilige Anordnung beantragt worden. Aber Verwaltungsgericht hin, Infektionsschutzgesetz her: Omikron bedroht akut die Schulen wie die Einheit der Kultusminister. 

          Denn die Haltung der Schulminister:innen scheint nur möglich, weil es derzeit keine verlässlichen Messungen von Inzidenzen gibt. Die Infektionszahlen sinken zwar formell, gleichzeitig baut sich aber nach Meinung von Experten im Hintergrund bereits die Omikron-Welle auf. Auch die Corona-Forscherin der KMK selbst hatte – wie berichtet – vor diesem aggressiven Virustyp gewarnt. Zuletzt waren deswegen die Bildungsminister wie Dominosteine umgekippt. Als Erstes schickte die scheidende Präsidentin der Kultusminister-Konferenz, Britta Ernst (SPD), in Brandenburg die Schüler früher in die Ferien; dann zog Sachsen-Anhalt nach, schließlich verkündete Helmut Holter in Thüringen noch vor Weihnachten eine zweiwöchige Schulschließung für 2022. 

          Stark-Watzinger: Wechselunterricht vorbereiten, digitale Ausstattung verbessern

          Selbst die der FDP zugehörige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger empfahl: “In dieser Situation dürfen wir jedoch nicht die Hände in den Schoß legen, sondern müssen Vorkehrungen auch für den Bildungsbereich treffen, falls Omikron schlimm wird”, sagte die Bildungsministerin. “Vorbereiten müssen wir uns auf die Gestaltung von Wechselunterricht, wenn er wieder erforderlich wird. Wir müssen die digitale Ausstattung der Schulen rasch verbessern und dafür sorgen, dass die Gelder des Digitalpakts schneller abfließen.”

          Thüringens Bildungsminister Holter musste seine eigene Rechtsverordnung am Dienstagabend wieder kassieren. (Siehe Makerspace in dieser Ausgabe). Er forderte unterdessen, Schulschließungen per Infektionsschutzgesetz wieder möglich zu machen. “Die Lage hat sich einfach verändert und deswegen brauchen wir in der KMK auch eine neue Lagebewertung”, sagte Holter. “Alle wissen doch, dass die Omikron-Welle kommt. Im Moment ist mir das, was auf Bundesebene läuft, alles zu spät.” Das Verfahren der Kultusminister:innen bestätigte die Befürchtungen des Vorsitzenden des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann. “Es herrscht maximale Verwirrung – wieder einmal”, sagte Beckmann im Interview mit Bildung.Table. Die Kultusministerinnen und -minister verführen nach dem Motto, die Schulen werden das schon hinbekommen. “Ich erwarte aber von der Kultusministerkonferenz, dass sie handelt.” 

          Bildungsminister mehr oder weniger gut auf Omikron vorbereitet

          Eine Umfrage von Bildung.Table in den Ländern zeigte, dass die Ministerien sich mehr oder weniger gut auf die Omikron-Variante vorbereiten. Das Land Niedersachsen beispielsweise startet erst am 10. Januar wieder mit dem Schulbetrieb. Da werde es, so sagte ein Sprecher, zunächst eine Sicherheitswoche geben. Schüler würden dann öfter getestet, und auch die Grundschüler müssten Masken im Unterricht tragen. Niedersachsen hat den Vorteil, dass die Schulferien dort bis zum 7. Januar dauern. Der Kultusminister des Landes, Grant Hendrik Tonne (SPD), wird sich heute an der virtuellen Abstimmung der SPD-Länder beteiligen. Die Marschroute für Tonne: Präsenzunterricht hat Vorrang, Schulschließungen seien möglichst zu vermeiden. Allerdings gehört Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu jenen Landesfürsten, die deutliche Kritik daran geübt haben, dass das Infektionsschutzgesetz von der rot-grün-gelben Ampel-Koalition entkernt worden ist. 

          Die B-Länder (CDU) teilten auf Anfrage mit, dass sie keiner gesonderten Abstimmung der Bildungsminister wegen Omikron bedürften. Die Linie ist klar, sagte ein Sprecher des Koordinators der CDU-geführten Länder, Alexander Lorz, zu Bildung.Table. “Wir versuchen, mit Präsenzunterricht ins neue Jahr zu starten.” Man halte nichts vom Thüringer Weg, Schulschließungen wieder möglich zu machen. “Aber es ist nichts in Stein gemeißelt, man muss die Infektionszahlen genau beobachten.” Auch in Hessen enden die Weihnachtsferien so, dass erst am 10. Januar wieder Unterricht stattfindet. Dann müssen alle Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur 13. Klasse Masken tragen. Auch geimpfte Schüler lässt Hessen dreimal pro Woche testen. 

          KMK-Präsidentin Prien: Keine Rechtsgrundlage für Schulschließungen

          “Unsere oberste Maxime bleibt der Präsenzunterricht”, sagte auch der Sprecher von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Es habe keine speziellen Anweisungen an die Schulleiter gegeben, Distanzunterricht vorzubereiten. “Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass das funktioniert”, hieß es aus dem Bundesland, bei dem zum Jahreswechsel 2020/21 tagelang die Server des Lernmanagementsystems (LMS) zusammenbrachen. “Mebis Bayern” gilt als das am besten gepflegte LMS in der ganzen Bundesrepublik, das über eine Million Nutzer verzeichnet – aber offenbar nur theoretisch alle auf einmal bedienen kann. 

          Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU), bewies, dass sie liberal und zugleich strikt ist. “Die Pandemie lehrt Demut – auch bei Prognosen. Ich kann nur dazu sagen: Schulen sollten zuletzt geschlossen werden“, sagte Prien dem Handelsblatt. Direkt auf Schulschließungen angesprochen, betonte Schleswig-Holsteins Schulministerin, was ihr Kollege in Thüringen erst schmerzhaft lernen musste: Für eine “flächendeckende Schulschließung in allen Bundesländern gibt es aus meiner Sicht” keine Rechtsgrundlage. Prien sagte auch, es gebe keinen Anlass, Schulen zu schließen. Das allerdings ist nicht sicher. Denn Berichten zufolge breitet sich die hochansteckende Omikron-Variante in ihrem Bundesland besonders schnell aus.

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            “Allen Lehrer:innen ein Angebot zur Fortbildung machen”

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            Herr Beckmann, wie hätten Sie die Schulen auf die Corona-Variante Omikron vorbereitet? 

            Erstens, hätte ich mir die neue Lage durch Omikron von Experten erläutern lassen. Was bedeutet die Mutation für das Infektionsgeschehen an Schulen? Zweitens hätte ich auf dieser Basis entschieden, wie die Schulen am 3. Januar beginnen sollen. Drittens, hätte ich dies so rechtzeitig getan, dass die Schulen die Möglichkeit gehabt hätten, sich wirklich darauf einzustellen. 

            Das ist nicht passiert.

            Ja, die Schulleiter erfahren wahrscheinlich erneut mitten in den Schulferien, dass sie ab 3. Januar noch in den Weihnachtsferien sind. Oder dass sie mit den Schülern digital arbeiten. Oder, dass es ganz normal weitergeht. Es herrscht maximale Verwirrung – wieder einmal. 

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            Die Schulminister sind in der bisherigen Corona-Pandemie nach dem Motto verfahren: Es wird schon alles gut gehen, die Schulen werden das schon hinbekommen. Ich erwarte aber von der Kultusministerkonferenz, dass sie handelt. Sie sollte sich noch diese Woche kurzfristig zusammenschließen und sich abstimmen. Die Schulleiter müssen wissen, was bei bestimmten Infektionslagen zu geschehen hat. Die Politik hat die technischen Möglichkeiten in den zurückliegenden Monaten nicht ausgeschöpft: Es gibt nur an ganz wenigen Schulen die so wichtigen Luftfilteranlagen, die gerade bei den infektiöseren Corona-Varianten wie Delta und Omikron mehr Schutz geboten hätten. 

            Wie kommen die Rektorinnen und Rektoren damit zurecht? 

            Die Schulleiterinnen und Schulleiter melden uns zurück, dass sie sich alleingelassen fühlen. Die Informationen kommen in der Regel zu spät und zu kurzfristig aus den Ministerien – manchmal am späten Freitagabend. Die Gesundheitsämter wenden zudem sehr unterschiedliche Verfahren an, wenn es zu Infektionsgeschehen an Schulen kommt. Das macht die Schulleiterinnen und Schulleiter mürbe. Immer mehr dieser wichtigen KollegInnen wirken ausgebrannt. Eine Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung hat gezeigt, dass 20 Prozent der Schulleiterinnen und Schulleiter auf dem Absprung sind. Sie sagen: in zehn Jahren bin ich nicht mehr in diesem Job. 

            Was heißt das für die Schulen?

            Dass sie als systemrelevant wahrgenommen werden müssen! Die Politik macht sich gerade Sorgen, dass das Gesundheitssystem und andere kritische Infrastrukturen in der fünften Welle nicht mehr komplett aufrechtzuerhalten sind. Ich habe bisher noch nie gehört, dass die Politik das auch auf Schulleiter oder Lehrkräfte bezogen hätte. Ich erwarte aber, dass man diese Überlegungen auch für Schulen anstellt – wenn man denn schon in Sonntagsreden der Bildung so hohe Priorität einräumt.

            Wie könnte man den Schulleitern ganz konkret helfen? 

            Am besten dadurch, dass man rechtzeitig klare Hinweise gibt. Die Leiter müssen sich darauf verlassen können, dass der Dienstherr sich hinter sie stellt – und sich nicht hinter ihnen versteckt. Das gilt vor allem, wenn Schulleiter aufgrund der besonderen Situation vor Ort eigene Entscheidungen treffen. Wenn zum Beispiel die Gesundheitsämter Schulen nicht hinreichend unterstützen, dann sollten die Minister die Selbstverantwortung der Schulleiter stärken, ihnen vor allem aber auch die notwendige Leitungszeit zur Verfügung stellen. 

            Ohne digitale Bildung ist die Pandemie nicht zu bewältigen. Es gibt zum Teil Kritik an Lehrern, dass ihnen das Digitale noch fremd ist. 

            Wir haben durch Corona einen Ausstattungsschub an den Schulen erhalten, den es ohne Pandemie nicht gegeben hätte. Was jetzt erforderlich ist – und eigentlich längst hätte starten müssen – ist, dass die Politik die Lehrkräfte nicht kritisiert, sondern sie mitnimmt. Die Fortbildungsoffensive muss stattfinden, sodass noch mehr Lehrkräfte lernen, die digitalen Medien pädagogisch optimal einsetzen können. Hier gibt es noch viel Nachholbedarf. Die Länder gehen sehr unterschiedlich vor. Die Politik darf die Lehrkräfte jetzt nicht allein lassen. Das Motto scheint bisher zu lauten: “Hier ist die Technik, nun seht mal, wie ihr klarkommt”. So können keine pädagogischen Konzepte entstehen.

            Wie würde die Fortbildungsoffensive des Udo Beckmann aussehen?

            Ich würde allen Lehrkräften ein attraktives Angebot machen, wie sie digitale Tools noch besser verstehen können – und zwar während der Dienstzeit. Angesichts der enormen Belastung der Lehrkräfte geht das im Moment nicht anders. Alle Lehrerinnen und Lehrer müssen die Möglichkeit haben, an so einem Angebot teilzunehmen – zunächst niedrigschwellig und aber dann auch mit detaillierten Konzepten. Wenn das den Kultusministern so wichtig ist, wie sie sagen, müssen sie das auch tun. Wir brauchen keine Kompetenzzentren, die in zehn Jahren ins Laufen kommen. Die Kollegen müssen jetzt die Gelegenheit bekommen, in der Schule in internen Fortbildungen zu lernen und sich auf Konzepte zu verständigen, die zu ihrer jeweiligen Schule passen. Es rechnet sich – selbst wenn für die Fortbildungen mal zwei Tage Unterricht ausfällt. Interview: Christian Füller

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              Helmut Holter: Betoningenieur floppt als Bildungsminister

              Man sieht Helmut Holter, er floppt als Bildungsminister
              Helmut Holter, Minister für Jugend und Sport

              Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hatte sich 2017 eigentlich einen erfahrenen Politiker als Minister für Bildung und Jugend geholt. Das Bundesland erhielt turnusgemäß den Vorsitz in der Kultusministerkonferenz, da wollte Ramelow wohl einen ausgebufften Profi haben. Doch Helmut Holter, ein Architekt der rot-roten Regierung in Mecklenburg-Vorpommern, entwickelt sich als Bildungsminister immer mehr zum Problemfall. Dass er sich mit Bildungsfragen nicht gut auskennt, wurde rasch klar. Aber ausgerechnet auf dem Feld der politischen Steuerung stolpert Holter. Er legte sich mit Thüringens Datenschutzbeauftragten an, er entließ seine Staatssekretärin Julia Heesen auf eine entwürdigende Art – und hat sich nun beim Thema Schulschließungen vergaloppiert. Er verstand erst spät, was seine Staatssekretärin längst wusste. 

              Holter, geboren 1954, machte zunächst im Sozialismus Karriere. 1973 trat er in die SED ein, arbeitete im Volkseigenen Betrieb und studierte Anfang der Siebziger fünf Jahre an der Bauingenieurschule Moskau. Er schloss als Diplomingenieur für Betontechnologie ab. In den Achtzigern hängte er, ebenfalls in Moskau, ein weiteres Studium dran: Marxismus-Leninismus. Von 1982 bis 1985 war er dann Sekretär der Betriebsparteiorganisation der SED. 

              Erster Vize-Ministerpräsident der PDS

              Auch nach dem Mauerfall blieb Holter in der Politik. Er wurde Mecklenburg-Vorpommerns Landesvorsitzender der SED-Nachfolgerin PDS. Dort baute er früh Brücken zur SPD – ein Investment, das 1998 Früchte trug: Mit respektablen 22,7 Prozent wurde die PDS Koalitionspartner der SPD (34,2 Prozent) und Holter einer von drei Ministern der PDS im Kabinett von Harald Ringstorff. Holter war nun an der Spitze seiner politischen Karriere – als stellvertretender Ministerpräsident. Es war sowohl die erste Koalition aus SPD und PDS als auch die erste Ministerverantwortung der PDS nach der Wiedervereinigung. 

              Im Zuge der Harz-Reformen der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder zeigte sich Holter flexibel. “Ich finde die Reform falsch, torpediere sie aber nicht“, sagte er 2005. Ein Jahr später scheiterte die rot-rote Regierung in MV am schlechten Abschneiden der SPD. Im Landeswahlkampf 2016 machte die Linkspartei Holter noch einmal zum Spitzenkandidaten, holte aber nur knapp 13 Prozent. Holter wollte trotzdem Fraktionsvorsitzender bleiben – unterlag aber überraschend Simone Oldenburg. Die heutige Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern hatte ihre Kandidatur erst in der Fraktionssitzung bekannt gegeben. Holter bezeichnet seine Abwahl als “eine weitere Niederlage, ein Desaster.” Allerdings blieb er nicht lange im politischen Abseits: 2017 holte ihn Ramelow nach Thüringen und machte ihn zum Bildungsminister. Turnusmäßig übernahm er ein Jahr später die KMK-Präsidentschaft. Holter war wieder Pionier, diesmal als erster KMK-Präsident der Linkspartei. 

              Datenschutzbeauftragter eröffnet Verfahren gegen Holter

              Gerade in der Corona-Krise agierte das Ministerium Holter allerdings glücklos bis chaotisch. Im Januar 2021 stellte sich Holter den Fragen von Schülerinnen und Schülern bezüglich Homeschooling und Abschlussprüfungen. Allerdings machte Holter das in einem Livestream via Instagram, das zu Facebook gehört. Der Datenschutzbeauftragte Thüringens, Lutz Hasse, eröffnete daraufhin ein Verfahren gegen den Minister. Dem MDR gegenüber betonte Hasse, dass man das Bildungsministerium bereits im Vorfeld auf datenschutzrechtliche Bedenken hingewiesen habe, Schüler auf einen unsicheren Instagram-Account zum Gespräch zu bitten. Holter lieferte sich daraufhin einen öffentlichen Schlagabtausch mit Thüringens Datenschützer

              Noch mehr Verwirrung erzeugte Holter als Bildungsminister in diesem Monat. Am 11. Dezember twitterte der offizielle Account des Ministeriums zehn Gründe, warum Schulen offen bleiben sollten. Das war zunächst unspektakulär. Sowohl Ministerpräsident Ramelow als auch Minister Holter teilten die “Keine-Schulschließungen”-Haltung – und retweeteten beide die Tweets ihrer Bildungsstaatssekretärin Julia Heesen. Vier Tage später jedoch musste die Staatssekretärin ihren Hut nehmen – wegen der Tweets. Holter begründete die Freistellung seiner Staatssekretärin damit, dass ihr die “erforderliche Klarheit” und “notwendige Zurückhaltung” in der öffentlichen Kommunikation fehle. Auf Nachfrage von Bildung.Table, warum der Minister nicht zurücktrete, da er doch selbst unklar kommuniziert habe, ließ er ausrichten: “Retweets auf dem privaten Twitter-Account des Ministers sind laut Beschreibung keine Zustimmung.”

              Bildungsminister Holter ordnet Schulschließungen an – gegen das Gesetz

              Nur eine Woche nach dem Twitter-Vorgang ging die Unruhe weiter. Thüringen stellte die neuen Corona-Regeln für Schulen vor und es gab eine große Überraschung: Thüringens Schulen sollten im Januar für zwei Wochen flächendeckend geschlossen bleiben. Eine Kehrtwende, die Holters Haus gegenüber Bildung.Table so begründete: “Thüringen ist mit den höchsten Inzidenzen in Deutschland und einer vergleichsweise niedrigen Impfquote nicht in der Position, erst mal abwarten zu können, was andere Bundesländer tun.” Daher liege es nahe, weitere stringente Maßnahmen zu ergreifen. “Das Ziel der bereits getroffenen Entscheidungen ist es, sich auf den Januar 2022 vorbereiten zu können”, erklärte ein Sprecher am Dienstagnachmittag. 

              Aber schon am Dienstagabend war auch das Makulatur. Inzwischen hatte man im Ministerium nämlich gemerkt, dass es flächendeckende Schulschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz gar nicht mehr geben darf. Also ruderte der Minister erneut zurück und kassierte am späten Dienstag seine eigene Rechtsverordnung vom 23. Dezember. Holter tat das nicht freiwillig. Ein Normenkontrollantrag auf einstweilige Verfügung gegen seine komplette Schulschließung, eingereicht an Heiligabend, zwang ihn dazu. Am heutigen Donnerstag beginnt das Oberverwaltungsgericht Weimar, den Fall zu verhandeln.  

              Die bittere Ironie der jüngsten Kehrtwende: Anfang Dezember twitterte das Thüringer Bildungsministerium unter seinen zehn Gründen gegen Schulschließungen diesen: “Wir halten uns an das Infektionsschutzgesetz. Denn Paragraph 28a Absatz 7 IfSG verbietet den Ländern die Schließung aller ‘Gemeinschaftseinrichtungen nach Paragraph 33’, zu denen Schulen und Kindergärten gehören.” Autorin des Tweets war Dr. Julia Heesen. Die Staatsekretärin hatte recht. Hätte Holter auf sie gehört, statt sie zu entlassen, hätte er zehn Tage später nicht gegen dieses Infektionsschutzgesetz verstoßen. Robert Saar

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