Schon 1992 erklärten die Vereinten Nationen Bildung zu einer zentralen Stellschraube, um den Klimawandel zu bremsen, Umweltzerstörung und die Ausbeutung von Rohstoffen zu beenden. Dennoch sickerten BNE-Inhalte (Bildung für nachhaltige Entwicklung) nur langsam in die Lehrpläne – bis heute. Nun brodelt parallel eine neue Debatte: Muss BNE politischer werden? Einige Didaktiker sträuben sich dagegen.
Es ist eine lange Tradition, dass die politische Bildung Themen wie ‚Nachhaltigkeit‘, ‚Umweltschutz‘ oder ‚Globales Lernen‘ mit Skepsis begegnet. Zu groß ist die Angst, gegen den heiligen Gral des neutralen Politikunterrichts zu verstoßen. Bloß nicht parteiisch werden, auch wenn es um die Klimakatastrophe geht. So ließe sich, folgt man den kritischen Stimmen, der Politikunterricht an vielen (nicht allen!) Schulen wohl zusammenfassen. Wer nur erklärt, wie viele Abgeordnete im Bundestag sitzen und welche Aufgaben der Bundeskanzler hat, muss sich nicht auf dünnes Eis begeben. Klimawandel ist dagegen längst ein Thema geworden, bei dem die Gemüter heiß laufen.
BNE ist politisches Ziel – zumindest auf dem Papier
Der Politikdidaktiker Bernd Overwien, Seniorprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, nennt das „mehr als skurril“. „In der politischen Bildung gibt es eine panische Angst vor Überwältigung“, sagt er im Gespräch mit Bildung.Table. Gemeint ist einer der Grundsätze des Beutelsbacher Konsens, wonach es Lehrern untersagt ist, Schülern eine bestimmte Meinung aufzuzwingen. Nichts fürchten Politiklehrer mehr als Indoktrination – eine Lehre aus der NS-Zeit.
Aus dieser Tradition heraus hat die politische Bildung ihre Probleme mit der BNE-Agenda, die seit einigen Jahren von oberster politischer Ebene, zumindest auf dem Papier, vorangetrieben wird. Seit 2015 koordiniert das Bundesbildungsministerium die Umsetzung der UNESCO-Programme und verabschiedete 2017 den Nationalen Aktionsplan. Ergänzend hat die Kultusministerkonferenz 2016 einen Orientierungsrahmen „Globale Entwicklung“ verabschiedet. Das ist das Fundament, doch im Schulunterricht ist BNE noch längst nicht flächendeckend angekommen.
Eine Riege junger Wissenschaftler an den Universitäten und engagierte Lehrkräfte wollen die politische Bildung stärker für die BNE öffnen. Auf Einladung der Stiftung Bildung kamen Ende Mai viele von ihnen zur Konferenz #zukunftbilden in Berlin zusammen, um neue Ideen und Ansätze zu entwickeln. Blöd nur, dass bei 200 Teilnehmenden die Bildungsverwaltung, die an den Lehrplänen bastelt, kaum vertreten war. Am Ende war es doch wieder eine Blase, die dort diskutierte.
BNE fokussiert individuelles Konsumverhalten
Ein zentraler Kritikpunkt, der sich durch das Programm zog: Die Bildung für nachhaltige Entwicklung sei bislang zu sehr auf das Individuum fokussiert – einen problematischen „instrumentellen Ansatz“ nennen das die Didaktiker. Gemeint ist, dass Lehrer den Schülern zwar erklären, wie sie Energie einsparen, nachhaltig einkaufen und den Müll richtig trennen. Doch oft blieben die dahinter liegenden politischen (Macht-)Strukturen, globale wirtschaftliche Prozesse und gesellschaftliche Zusammenhänge auf der Strecke.
„Hier fehlt den Verantwortlichen in Ministerien und Verwaltungen der Kompass“, kritisiert Thomas Hohn aus dem Bildungsteam von Greenpeace. „BNE zielt auf viel mehr ab, als nur ein individuelles Umweltverhalten. Das Bildungskonzept BNE ist ohne politische Bildung nicht denkbar“, betont Hohn.
In der Bildungspraxis bliebe die BNE oft beim individuellen Konsumverhalten stehen, analysiert auch Bernd Overwien, der im Forum ,Schule‘ der Nationalen Plattform BNE sitzt. Befragungen hätten offenbart, dass Schüler bei nachhaltiger Entwicklung zuerst an fairen Einkauf und Spendenprojekte denken. „Das reicht nicht“, betont der emeritierte Didaktiker, der die politische Dimension vermisst. Stattdessen, sagt er, geistert das „Phantasma des Neutralen“ durch die Schulen. Dabei ist Klimaschutz klarer Verfassungsauftrag, wie das Bundesverfassungsgericht erst 2021 urteilte (Art. 20a GG).
Einen neuen Weg, den die BNE einschlagen könnte
BNE ist keinem einzelnen Fach zugeordnet. In vielen Ländern ist es ein fächerübergreifendes Bildungsziel, das sich vom Biologie- bis zum Politikunterricht erstreckt. Dabei, so die Kritik, könne es aber nicht nur um reines Wissen gehen. Was es brauche, sei Urteils- und Handlungskompetenz. Auf dem #zukunftbilden-Kongress war daher häufig von einem neuen, „emanzipatorisch-befähigenden“ Ansatz die Rede. Es wäre ein neuer Weg, den die BNE einschlagen würde. Im Abschlussbericht heißt es: „Wenn Zukunftsbildung als transformative Bildung gesehen wird, wird eine kritische, auch machtkritische Perspektive auf die notwendigen gesellschaftlichen Transformationen benötigt.“
In diesem Sinne schreitet unter anderem Berlin voran: Unter der Überschrift „Lernen in globalen Zusammenhängen“ beschreibt die Senatsverwaltung in einer Broschüre, wie Lehrer BNE und politische Bildung im Unterricht verbinden können. „Immer mehr Kinder und Jugendliche verstehen Klimabildung eng mit Fragen politischer Partizipation verknüpft“, erklärt Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse darin. Es ist ein Satz, den Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter wohl mit Freude unterschreiben würden.
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