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Erscheinungsdatum: 14. Januar 2025

Wie ist der ordnungspolitische Neustart Deutschlands möglich?

Die Union scheut sich, eine klare Koalitionsaussage zu machen. Denn sowohl Schwarz-Rot als auch Schwarz-Grün versprechen lediglich die Fortführung altbekannter Konflikte. Stefan Kolev, Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft, über die Vorteile einer Koalitionsaussage für Schwarz-Gelb.

Von Stefan Kolev

Wahlkämpfe sind Imaginationsräume. Und es gibt eine erfreuliche Nachricht zur Dynamik dieses Raumes hierzulande: Die politische Mitte hat sich nach vielen Jahren wieder enthomogenisiert und besteht nunmehr aus einer Mitte-Rechts- und einer Mitte-Links-Hälfte. In der Wirtschaftspolitik ist die Zuordnung recht eindeutig: hier Union und FDP, dort SPD und Grüne.

Die Ampel zerbrach an der Unvereinbarkeit dieser zwei wirtschaftspolitischen Doktrinen. SPD und Grüne setzten auf eine industriepolitische Agenda, die milliardenschwere Privilegien für einige wenige wie VW oder Intel versprach. Die FDP hingegen beharrte auf einer ordnungspolitischen Agenda, bei der die fiskalischen Ressourcen für bessere Rahmenbedingungen zu verwenden sind, die möglichst allen zugutekommen.

Die Arithmetik der aktuellen Umfragen ergeben noch keine Möglichkeit für eine Koalition aus Union und FDP. Aber Wahlkämpfe sind eben Imaginationsräume, in denen die nächsten Umfragen vom heutigen Mut und Glaubwürdigkeit der beteiligten Akteure abhängen.

Die Union wird seit Wochen von Journalisten mit der Frage konfrontiert, ob sie nach der Wahl lieber Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün hätte. Beide Optionen sind für diejenigen, die auf einen Neustart im Sinne der Ordnungspolitik hoffen, entmutigend. Die Gefahr ist nämlich groß, dass eine solche Koalition in interne Konflikte wie die Blockaden der Ampel gerät, die das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Mitte bereits stark beschädigt haben.

Wie wäre es stattdessen mit einer klaren Aussage beider Parteien zugunsten von Schwarz-Gelb? Und zwar nicht aus Mitleid mit der FDP, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse der Union, die in den Umfragen seit Monaten eine gläserne Decke von etwas über 30 Prozent nicht durchbrechen kann?

Beide Parteien zeigen in ihren Wahlprogrammen erheblichen ordnungspolitischen Ehrgeiz. Steuern, Bürokratie, Migration, Arbeitsmarkt oder Energie: Die inhaltlichen Überschneidungen und der Mut sind da. Jedoch schleppten beide ein eigenes historisches Glaubwürdigkeitsproblem mit sich, weswegen einige ihnen den Ehrgeiz nicht abnehmen. Bei der Union ist es das wirtschaftspolitische Erbe der Kanzlerschaft Angela Merkels, bei der FDP dasjenige der Ampel. Viele ehemalige Wähler, die sich als Nichtwähler oder als AfD-Wähler aus der Mitte verabschiedet haben, hadern mit den früheren ordnungspolitischen Versäumnissen.

Kann man diese Wähler für die Wirtschaftspolitik einer neuen schwarz-gelben Koalition gewinnen? Ja, das kann man. Indem man glaubhaft und dauerhaft für das Versäumte Buße tut. Und in den verbleibenden Wahlkampfwochen den ordnungspolitischen Ehrgeiz einer Wunschkoalition beider Partner gemeinsam herausarbeitet.

Aber was genau wäre die Arbeitsteilung, wenn eine solche Koalition tatsächlich zustande käme? Was wäre die Rolle der Liberalen als der deutlich kleinere Partner? Die Union ist ein schwerer Tanker, der viel inhaltliche Heterogenität mitbringt – wie sich das für eine Volkspartei gehört. Demgegenüber könnte die FDP als agiles Lotsenboot agieren, und zwar in zwei Richtungen: mit einem wirtschaftspolitisch radikaleren und gesellschaftspolitisch progressiveren Kurs als die Union.

Radikaler Fokus auf Ordnungspolitik wird auch in einer schwarz-gelben Koalition nicht einfach sein. Das deutet sich bereits an der Unwilligkeit der Union an, das Renteneintrittsalter neu zu ordnen, an die Stimmen, welche die Schuldenbremse infrage stellen, und an die jüngsten Äußerungen aus der CSU zur Mütterrente. Das Lotsenboot FDP hätte hier die Aufgabe, nicht nur auf die Prinzipien der Ordnungspolitik zu pochen, sondern dies vor allem als Anwalt der jungen Generation zu tun. Denn die Interessen dieser Generation werden von beiden Volksparteien immer wieder zugunsten der eigenen, im Durchschnitt älteren Wählerschaft übergangen.

Progressiv kann Unterschiedliches bedeuten – und doch gehört der Fortschritt zur DNA des Liberalismus. Der Unterschied zu linken Progressiven ist, dass Liberale nicht „den Fortschritt“ im Singular erkannt zu haben meinen, sondern „die Fortschritte“ der Einzelnen im Plural ermöglichen wollen. Hierzu ein Beispiel. Deutschland hat ein Integrationsproblem gerade bei jüngeren Migranten. Das Lotsenboot FDP kann diesen Mitbürgern ein neues Integrationsangebot unterbreiten: Liberalität bedeutet, die eigene Identität behalten zu dürfen, aber auch eine echte Schnittstelle zur deutschen Gesellschaft zu meißeln. Dafür nutzt jeder auf ganz individuelle Art die Chancen der Marktwirtschaft und baut so eine Zukunft für sich und die eigene Familie selbstbestimmt auf.

Helmut Kohl wollte bekanntlich Wahlen und nicht den Ludwig-Erhard-Preis gewinnen. Die momentane Dringlichkeit eines ordnungspolitischen Neustarts bedeutet allerdings, dass man die Bundestagswahl gerade durch Politik im Sinne des Ludwig-Erhard-Preises gewinnen kann. Hoffentlich signalisieren Union und FDP im Wahlkampf glaubhaft den Ehrgeiz, gemeinsam mehr Ludwig Erhard zu wagen.

Der Verfasser leitet das Ludwig-Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin und ist Mitglied der FDP. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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