Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 02. Juni 2024

So könnte die EM Deutschland aus der Krise bringen

In zehn Tagen startet die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Und trotz der Niederlage der Borussia aus Dortmund am Samstag im Finale der Champions League ist die Stimmung gut. Nach den Siegen gegen Frankreich und die Niederlande sind die Erwartungen gestiegen. Was ist drin für Deutschland? Unser neuer Table-Kolumnist Michael Horeni wird für Sie in den kommenden sechs Wochen die Lage analysieren. Bis zur EM hören Sie Fußballexperte Horeni im Podcast und lesen seine Texte im Berlin.Table immer montags. Während des Turniers dann täglich.

Über Fußball-Deutschland scheint wieder die Sonne. Das neue Hoch hat sich vollkommen unerwartet ausgebreitet. Es ist genauso überraschend gekommen wie das schier endlose Tief, in dem sich die Nationalelf und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seit dem Absturz bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland bis zuletzt befunden haben. Pünktlich zur Europameisterschaft im eigenen Land hat sich die Lage aufgehellt, ein neues Sommermärchen ist damit aber längst nicht gewiss. Noch weniger ein starker und moderner DFB, der die Kraft hat, den deutschen Fußball in eine nachhaltig gute Zukunft zu führen.

Doch der Reihe nach – und die erfreulichsten Entwicklungen zuerst: Die Wiederbelebung der Nationalelf, die sich im März in gerade einmal 180 Minuten mit zwei überzeugenden Siegen in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) vollzogen hat. So ein Identifikationsangebot hat es seit dem WM-Erfolg 2014 nicht mehr gegeben. Auch die mediale und emotionale Frische, mit der die Nationalmannschaft zuletzt ihren vorläufigen EM-Kader über verschiedene Kanäle unters Fußballvolk gebracht hat, steht einem krisengeschüttelten Verband gut zu Gesicht. Zudem hat der lange herausragende Auftritt von Borussia Dortmund am Samstag im Finale der Champions League die aktuelle internationale Stärke der Bundesliga beispielhaft belegt, auch wenn Real Madrid am Ende gegen einen lange besseren BVB 2:0 gewann. Mit Rüdiger und Rückkehrer Kroos, der mit seiner Vorarbeit zum 1:0 die Wende in Wembley einleitete, stehen nun trotzdem zwei Europapokalsieger im deutschen EM-Team.

Kein Zweifel, das Momentum ist mit den Deutschen. Doch für ein erfolgreiches Turnier sowie eine vielversprechende Zukunft für den DFB reicht das nicht. Zum Sportlichen: Die Entscheidung des Bundestrainers, sein Team auf den letzten Drücker rundzuerneuern, war goldrichtig. Der atemberaubende Aufstieg von Leverkusen und Stuttgart hat Nagelsmann natürlich in die Hände gespielt hat, doch er diese Chance beherzt genutzt. Die eingespielte Achse Tah-Andrich-Wirtz ist nun auch in der Nationalelf gesetzt, zudem stehen fünf junge Stuttgarter im Kader – daraus lässt sich mit den Stars aus Madrid, München und Dortmund weit mehr machen, als bei den letzten Turnieren herauskam. Das ist auch nicht schwer: bei den letzten Weltmeisterschaften war zweimal in der Vorrunde Schluss, bei der EM 2021 im Achtelfinale.

Bei den letzten Tests gegen die Ukraine und Griechenland geht es nun darum, die neue Formation zu festigen – und damit auch den Stimmungsaufschwung im Land bis zum Turnierstart. Ein Selbstläufer wird die EM selbst dann keineswegs. Die neue Mannschaft besitzt keine Konstanz, woher soll sie auch kommen? Doch nach Jahren des Trübsinns macht sie wieder Mut und Freude. Und das EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland kann ungeahnte Kräfte freisetzen, bei der Mannschaft und den Fans.

Größere Zweifel sind allerdings angebracht, was den DFB betrifft. Immerhin herrscht dort Ruhe. Und es gibt Rudi Völler. Die Social-Media-Kampagne zum pinken Shirt zeugt wie die clevere Kaderbekanntgabe zudem vom Wunsch, neue Wege zu gehen. Dass dafür zum einen die Kreativität des Ausrüsters entscheidend war und zum anderen auf das Nominierungsvorbild des US-Frauenteams zurückgegriffen wurde – geschenkt. Es hat funktioniert. Doch auf seinem eigentlichen Feld, wo die Kompetenz des DFB liegen sollte und der Verband nicht auf fremde Hilfe zurückgreifen kann, zeigen sich weiter altbekannte Schwächen: in der internationalen Sportpolitik.

In der Vorwoche erhielt Frankfurt das Finale der Europa League (2027), Leipzig das Finale der Conference League (2026). Stuttgart wiederum wollte das Finale der Champions League der Frauen, stand am Ende aber mit leeren Händen da. Der Grund: Die UEFA richtet nicht zwei Endspiele in einer Saison in einem Land aus. Der DFB wusste das nicht, ein Anfängerfehler.

Eine empfindliche Niederlage hat der Verband vor zwei Wochen bei der Vergabe der Frauen-WM 2027 hinnehmen müssen. Deutschland hatte sich zusammen mit Belgien und den Niederlanden beworben, doch die WM wird in Brasilien stattfinden. Zunächst hatten auch die Vereinigten Staaten und Mexiko eine gemeinsame Bewerbung für 2027 abgegeben, diese dann aber kurzfristig zurückgezogen – und hoben stattdessen den Finger für die WM 2031. Der DFB meinte, dass sich damit seine Chance verbessert hätten. Eine grobe Fehleinschätzung. Der DFB wurde vielmehr doppelt ausgetrickst, von der FIFA und seinem Präsidenten Infantino. Dort stehen Europa und Deutschland ohnehin nicht hoch im Kurs steht, auch die One-Love-Binde wirkt nach. Nun ist nicht nur die Frauen-WM 2027 weg, sondern ziemlich sicher auch die WM 2031, die an die Vereinigten Staaten und Mexiko gehen dürfte. Der DFB steht gleich zweimal mit leeren Händen da.

Die EM 2024 bleibt damit das größte Fußballereignis, das hierzulande bis weit in das kommende Jahrzehnt stattfinden wird, mindestens. Grund genug, diesen deutschen Fußballsommer zu genießen. Er kommt so schnell nicht wieder.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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