Seit Jahren können wir beobachten, wie sich die Mitglieder der sogenannten Alternative für Deutschland immer weiter radikalisieren und sich unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung dabei zunehmend offen und aggressiv entgegenstellen. Neuer trauriger Höhepunkt in dieser Entwicklung ist ein am 10. Januar bekanntgewordenes Geheimtreffen, bei dem Mitglieder der AfD mit anderen rechtsradikalen Akteuren die rassistische Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant haben.
Bereits seit 2021 ist die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft und wird daher in allen Bundesländern geheimdienstlich beobachtet. Gleichzeitig wurde der AfD-Landesverband Thüringen vom Landesverfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“, also als unzweifelhaft verfassungsfeindlich, eingestuft. Zum Ende des Jahres 2023 zogen die Verfassungsschutzbehörden der Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt nach und stuften die jeweiligen AfD-Landesverbände ebenfalls als gesichert rechtsextremistisch ein.
Die AfD als Partei denkt und handelt also mittlerweile klar rechtsextrem und verfassungsfeindlich – insbesondere in ihren starken und einflussreichen Landesverbänden in Mitteldeutschland.
Wir als SPD stellen uns dieser verfassungsfeindlichen AfD im Schulterschluss mit anderen demokratischen Parteien seit Jahren entgegen und werden dies auch weiterhin tun. Und uns ist bewusst, dass wir unsere Politik auch weiterhin so ausgestalten müssen, dass die Ressourcen und Chancen in diesem Land fair verteilt sind.
Aber auch wenn wir in Bremen in einem „Dorf der Glückseligen“ leben, in dem die AfD zurzeit politisch keine Rolle spielt, beobachten wir die bundesweite Entwicklung mit Sorge. Wir sehen in den Umfragen, dass die AfD sehr hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung erreicht. Ein AfD-Ministerpräsident ist damit nicht mehr unwahrscheinlich, ein weiteres Erstarken der AfD im Bund realistisch.
Wir sind daher an einem Punkt angelangt, an dem wir uns als Demokraten die Karten legen müssen: Schaffen wir es kurz- und mittelfristig, die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler dieser Partei für unsere Werte von Rechtsstaat und Demokratie zurückzugewinnen? Schaffen wir es, eine Partei inhaltlich zu „stellen“, die nicht mit Inhalten überzeugt, sondern mit Hass und Hetze? Können wir eine Partei „entzaubern“, die ihre Wahlergebnisse nicht ihrem Parteiprogramm verdankt, sondern der Angst vor Fremden und der Wut gegen „die da oben“?
Und besonders müssen wir uns die Frage stellen: Was passiert, wenn die verfassungsfeindliche AfD in einem Bundesland oder im Bund Teil einer Regierung wird oder gar die absolute Mehrheit erlangt? Welche demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen können von der AfD in vier oder fünf Jahren in einer Regierung zerstört werden, insbesondere auch bei unseren Geheimdiensten, bei Polizei und Bundeswehr? Wird es nach vier Jahren AfD-Bundesregierung überhaupt noch Wahlen geben?
Die Antwort auf diese Fragen ist klar, wir kennen sie aus unserer Geschichte: Die Machtübernahme der Nationalsozialisten war keine Revolution. Sie war auch kein Putsch. Sie war das Ergebnis einer schwachen Demokratie, die sich gegen ihre Feinde von rechts und links nicht zur Wehr setzen konnte. Sie war ein schleichender Prozess der Unterwanderung des Rechtsstaats, der Gewaltenteilung und der Demokratie. Und niemand wird ernsthaft behaupten wollen, dass Hitler hätte verhindert werden können, wenn die Demokraten der Weimarer Republik ihn nur besser inhaltlich „gestellt“ oder seine Politik „entzaubert“ hätten.
Unsere Mütter und Väter des Grundgesetzes haben aus dieser Erfahrung die richtigen Lehren gezogen und unseren demokratischen Rechtsstaat gegen Angriffe und Unterwanderungen von innen wehrhaft gemacht. Ein Pfeiler dieser wehrhaften Demokratie ist dabei die Möglichkeit eines Parteiverbots in einem rechtsstaatlichen Verfahren. Sie richtet sich gegen solche Parteien, die die freiheitlich demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen wollen, die eine aktiv kämpferische und aggressive Haltung gegenüber unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung haben und bei denen das Erreichen dieser Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint.
Laut aktuellen Wahlumfragen ist eine verfassungsfeindliche AfD-Regierung oder zumindest eine Regierung unter Beteiligung der AfD keinesfalls mehr aussichtslos. In Anbetracht dieser Entwicklung müssen wir uns als Demokraten eingestehen, dass es trotz aller Bemühungen nicht gelungen ist, die AfD politisch in die Schranken zu weisen. Eine Partei, die von Hass und Hetze lebt, profitiert – wie schon in der Weimarer Republik – in Krisenzeiten von der Unsicherheit in der Bevölkerung. Doch anders als damals kann sich unsere Demokratie heute effektiv zur Wehr setzen.
Es ist daher der Zeitpunkt gekommen, an dem unsere wehrhafte Demokratie die Selbstschutzmaßnahmen ergreifen muss, die den Demokraten der Weimarer Republik mit so tragischen Folgen verwehrt war. Es muss JETZT ein Parteiverbotsverfahren eingeleitet werden, um diese gesichert rechtsextremistische Partei und ihre Nachfolgeorganisationen zu verbieten! Es muss JETZT ein Parteiverbotsverfahren eingeleitet werden, bevor es für unsere Demokratie zu spät ist!
Der Antrag für ein solches Verbotsverfahren muss ohne Zweifel gut vorbereitet werden – umso wichtiger ist, dass wir umgehend damit beginnen. Und er muss bestenfalls im Schulterschluss aller demokratischen Parteien gestellt werden – denn bei allen inhaltlichen Differenzen eint uns doch unser gemeinsames Einstehen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dafür müssen wir nun gemeinsam kämpfen!
Mustafa Güngör, 45, ist seit August 2019 Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten in der Bremer Bürgerschaft.