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Erscheinungsdatum: 17. März 2024

Jobcenter-Sprecher: „Reformen im Minutentakt sind kaum zu schultern“

Stefan Graaf, Geschäftsführer des Jobcenters StädteRegion Aachen, sieht im neuen Bürgergeld-Konzept der CDU gute Ansätze. Er fordert aber einen Fokus auf die Umsetzung geltender Vorgaben.

Nach der Reform ist vor der Reform – wenn es so bleibt, kann sich das System nicht entfalten. Die zweite Stufe des Bürgergeld-Gesetzes trat erst zum 1. Juli 2023 in Kraft. Ob da ein schon wieder neuer Name hilft, ist zweifelhaft. Stattdessen braucht es mehr Beständigkeit in der Umsetzung. Reformen im Minutentakt sind für die Jobcenter kaum noch zu schultern.

Die Eingliederungsvereinbarungen als verbindliche Verträge zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigten etwa wurden aus guten Gründen abgeschafft. Sie enthielten seitenweise komplizierte „Rechtsfolgenbelehrungen“. Im Interesse der Mitarbeiter und Leistungsberechtigten sollte da keine Rolle rückwärts erfolgen. Das würde den Gedanken der Entbürokratisierung konterkarieren. Vereinfachende Regelungen sind das Gebot der Stunde. Das bieten die mit dem Bürgergeld eingeführten Kooperationspläne. Die Schlichtungsverfahren, die bei Uneinigkeiten zwischen beiden Seiten helfen sollen, brauchte es bisher kaum.

Was Sanktionen angeht: Die Regierung plant bereits, sie zu verschärfen für Menschen, die ein passendes Arbeitsangebot ablehnen und zuvor bereits sanktioniert wurden. Bei weiteren Verschärfungen sind die Grenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2019 zu beachten. Es ist genau zu prüfen, ob sich die Vorschläge der CDU in diesem Rahmen bewegen.

Zu begrüßen ist der Gedanke, auf die Nichtwahrnehmung von Terminen mit spürbaren Leistungsminderungen zu antworten. Schon jetzt erfolgen die meisten Sanktionen wegen Meldeversäumnissen. Auch hier müssen sich Vorgaben allerdings im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen bewegen. Zentral ist, dass sie praxistauglich anwendbar sind, sonst verkommen sie zum Papiertiger. Das gilt auch für die Ampel. Ihr geplantes Gesetz sieht zum Beispiel vor, dass jemand durch nachträgliche Annahme einer Arbeit den vollständigen Leistungsentzug beenden kann. Aber wie lange ist ein Arbeitgeber bereit, eine Stelle freizuhalten?

Bei Änderungen in Sachen Schonvermögen gilt es, den damit verbundenen Verwaltungsaufwand gut abzuwägen. Dass die erlaubte Summe von der Zahl der Arbeitsjahre abhängig sein soll, hört sich nach aufwändigen Einzelprüfungen an. Ich nehme nicht wahr, dass die Karenzzeit – ein Jahr, in dem man das Ersparte bis zu einer bestimmten Höhe behalten darf – zu einer erhöhten Inanspruchnahme von Bürgergeld geführt hat.

Stattdessen hilft sie Menschen, sich zu Beginn des Leistungsbezugs auf ihre Integration in den Arbeitsmarkt zu konzentrieren. Dass in dem Zeitraum auch die tatsächlichen – statt die von regionalen Obergrenzen abhängenden „angemessenen“ – Mietkosten übernommen werden, sollte ebenfalls so bleiben. Es sorgt dafür, dass die Betroffenen nicht parallel noch günstigeren Wohnraum suchen müssen – den es ohnehin kaum gibt.

Um den Haushalt zu entlasten, fordert die CDU außerdem kommunale Beschäftigungsangebote. Arbeitslose Bürgergeld-Empfänger, die wiederholt Jobangebote ausschlagen, könnten demnach beispielsweise bei Grünflächenämtern arbeiten. Dafür bedürfte es bundesweit geeigneter Betreuungsstrukturen und einer engen Zusammenarbeit mit den Jobcentern. In den Neunzigerjahren habe ich sowas als Verantwortlicher im Sozialamt meiner Kommune selbst organisiert. Das war viel Aufwand und nicht so einfach umsetzbar, wie es die Partei darstellt.

Für einen gewissen Personenkreis ist es machbar, aber die Menschen sollten nicht dauerhaft in diesen Tätigkeiten verweilen, wenn sie noch realistische Arbeitsmarktchancen haben. Klar ist: Das Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen. Viele Beiträge in den öffentlichen Debatten zeichnen ein verengtes Bild. Entgegen anderslautender Behauptungen haben zum Beispiel nicht mehr Menschen gekündigt, um Sozialleistungen zu beziehen.

Die Vielschichtigkeit der Problemlagen von Betroffenen wird oft verkannt. Wichtig zu wissen ist etwa: Laut deutschem Recht gilt als erwerbsfähig bereits, wer täglich drei Stunden arbeiten kann. Im internationalen Vergleich ist das sehr wenig. Es führt dazu, dass wir eine Vielzahl von Menschen mit merklichen gesundheitlichen Einschränkungen im System haben. Diese können nicht einfach irgendwohin vermittelt werden.

Auch dass es trotz des Arbeitskräftemangels nicht ohne Weiteres klappt, Langzeitarbeitslose zu vermitteln, hat seinen Grund. Sie passen leider häufig nicht zu den ausgeschriebenen Profilen. Richtig ist der Ansatz, die Beratungsdichte zu erhöhen und die Zahl der Personen, für die ein Mitarbeiter zuständig ist, zu reduzieren. Das ist letztlich eine Ressourcenfrage. Wenn das dann auch noch um ein begleitendes Coaching nach Arbeitsaufnahme ergänzt wird, könnten wir einiges bewegen.

Dass die CDU Vorgänge vereinfachen möchte, ist gut. Ein komplizierter Antrag bleibt allerdings ein komplizierter Antrag, auch wenn er digital gestellt werden kann. Von daher muss der gesamte Prozess überdacht und mehr Datenaustausch ermöglicht werden. Aktuell hält der Staat an vielen Stellen zigfach die gleichen erhobenen Angaben vor. Das geht besser. Eine sinnvolle Zusammenfassung verschiedener Transfersysteme wie Bürgergeld und Wohngeld wäre ebenfalls begrüßenswert, ist jedoch ein herausforderndes Unterfangen. Sich dem zu widmen, ist allerdings sehr sinnvoll.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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