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Erscheinungsdatum: 16. April 2025

Ex-Regierungssprecher: „Nur das Verwertbare zählt, nicht die Absicht"

Christoph Steegmans, Ex-FDP-Regierungssprecher unter Angela Merkel, plädiert für ein neues Verständnis von Regieren. Sein Rat: Nur rascher Nutzwert, schnellere Prozesse und eine andere Fehlerkultur könnten neues Vertrauen schaffen.

Die deutsche Politik kennt den Begriff des „Narrativs“ seit den Neunzigerjahren. Er ist das Schlagwort für eine sinnstiftende Erzählung, die politische Handlungen und Maßnahmen in größeren Zusammenhängen kontextualisiert und zu einer Verheißung verdichtet. Helmut Kohls „blühende Landschaften“ sind dafür ein Beispiel, Angela Merkels „wir schaffen das“ genauso. Beides mit bekanntem Ausgang. Auch die Überschriften, die die Regierungsbündnisse der letzten 15 Jahre ihren Koalitionsvereinbarungen gegeben haben, sind eher magere Vorbilder für den Nutzwert von Narrativen. 2025 ist es Zeit, daraus endlich zu lernen.

Für ein Narrativ darf der Reality-Check nicht zum Reality-Schock werden. Was jetzt zählt, ist „auf’m Platz“, nur das Verwertbare, nicht die Absicht. Eine passende Überschrift für die neue Legislaturperiode wäre deshalb die Adaptierung eines alten Baumarkt-Slogans: „Weil’s gut werden muss!“ Und damit es gut werden kann, fünf goldene Regeln:

Regel Nr. 1: Ergebnis vor Erlebnis. Die kommende Bundesregierung hat mit dem Mega-Kreditrahmen für Sicherheit und Infrastruktur zunächst nur ihr eigenes Problem gelöst und noch kein einziges Problem der Bürgerinnen und Bürger. Nur ein rascher Nutzwert dieses Finanzrahmens dank schneller Fertigstellungen wird den Optimismus erzeugen, den wir dringend brauchen. Spatenstiche und Grundsteinlegungen sind hochgejazzte Siege über Planfeststellungsverfahren und Ausschreibungen. Wer das groß feiert, hat sich innerlich schon damit abgefunden, die Inbetriebnahme definitiv nicht mehr im Amt zu erleben. Also: kein fröhlicher Fototermin, bevor etwas fertig ist. Arbeitet erst, feiert später.

Regel Nr. 2: Erfolgsspielräume schaffen. Keine Kommunikation der Welt rettet, was durch mangelhafte Arbeitsprozesse in den Ministerien und Bundesbehörden verhindert, verzögert oder versemmelt wird. Wenn ich mir vorstelle, wir müssten die Wirtschafts- und Währungsunion von 1990 mit der heutigen Bundesverwaltung noch einmal innerhalb eines guten halben Jahres bewerkstelligen – WTF. Deutschland braucht massive Änderungen in der Entscheidungsfindung und Arbeitsweise von Politik und Verwaltung. Macht Schluss mit dem Prinzip „Verwaltung funktioniert notfalls auch ohne Menschen.“ Verschafft dem Sinn einer Regelung Vorrang vor ihren Buchstaben. Erlaubt mehr Ermessen und belohnt Entscheidungsfreude und Verantwortungsübernahme statt Angst und Verantwortungsdiffusion. Holt mehr raus aus den Ministerien und Ämtern, denn es steckt deutlich mehr drin.

Regel Nr. 3: „Transparency national.“ Neben dem, was tatsächlich „geliefert“ wird, ist mehr Transparenz dessen, wofür die Steuergelder und Kredite ausgegeben werden, ein ganz wesentlicher Schlüsselfaktor für neuen Optimismus. Der deutsche Staat wird von zu vielen nämlich nicht nur als zu langsam und zu umständlich, sondern genauso als zu teuer empfunden. Zeit, damit aufzuräumen. Transparenz ist etwas anderes als PR. Transparenz muss dazu führen, dass die Exekutive nützlichen Druck verspürt, in ihren Entscheidungen und Fortschritten praktisch in Echtzeit beobachtet werden zu können und schnelle, gute Wirkungen erzielen zu müssen.

Die Exekutive sollte endlich das Eigeninteresse daran erkennen, durch umfassende, selbst aktiv hergestellte Transparenz das destruktive Geraune über Mauschelei und „Staatsversagen“ wirkungsvoll zu widerlegen. Es überzeugt nicht, dass es ein für jedermann online zugängliches „Lobbyregister“ gibt über Menschen und Organisationen, die sich um Kontakte zu Mitgliedern des Deutschen Bundestages bemühen, aber keine ähnliche zentrale und maschinenlesbare Datensammlung für alle, die wissen möchten „wer bekommt eigentlich aus dem Bundeshaushalt wieviel Geld für was?“.

Idealerweise sollten über einen zentralen Zugang alle wesentlichen Daten und Dokumente aller Bereiche und Programme, in denen der Bund Gelder vergibt, leicht, übersichtlich und weiterverarbeitungsfähig für jedermann recherchierbar sein. Gesetzlich schutzwürdige Daten sollen natürlich geschützt bleiben. Aber mit einem solchen leicht realisierbaren zentralen Datenzugang würde das oft sehr negativ geframte Frage- und Antwortspiel via Parlament, Medien oder Informationsfreiheitsgesetz deutlich aufregungsärmer. Das würde neues Vertrauen schaffen und ganz nebenbei massive Verwaltungsressourcen freisetzen.

Regel Nr. 4: Zu seinen Fehlern stehen und daraus lernen. Natürlich werden auch in der kommenden Regierung viele Fehler passieren. Auch dafür braucht es eine neue Art der Kommunikation – ehrlicher und floskelfreier. Wenn etwas nicht oder schlecht geklappt hat, sollte die vorderste Antwort von Regierungsseite sein: „Entschuldigung, an folgenden Dingen hat es gelegen, und das nicht früh genug gemerkt und abgestellt zu haben ist unsere Verantwortung, und deshalb werden wir Folgendes künftig anders machen.“ Wer so redet, braucht in vielen Fällen übrigens auch nicht zurückzutreten, weil es viel überzeugender ist, jemanden wirklich Verantwortungsbewussten mit seiner harten Erfahrung weiterhin für künftig bessere Ergebnisse zu nutzen, als ihn zu entlassen, bloß damit der nächste Unerfahrene als neuer Kopf gegen dieselbe alte Wand rennt.

Daran anknüpfend Regel Nr. 5: „Jetzt müssen wir als Koalitionspartner nur noch lernen, gut voneinander zu sprechen.“ Sagte mir Ulrich Wilhelm, als ich 2009 sein Stellvertreter als Regierungssprecher wurde. Ja, wir haben das damals nicht geschafft. Andere Regierungen danach auch nicht. Trotzdem bleibt es richtig – und entscheidend.

Das Narrativ – nein: die täglich zu beweisende Denk- und Arbeitsweise der kommenden Bundesregierung muss sein: Wir reden weniger, machen mehr, weil wir wissen, dass es diesmal gut werden muss. Ich bin überzeugt, viele Menschen würden es ihr danken, mit neuem Optimismus für Deutschland – und ganz nebenbei mit Wählerstimmen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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