Die Bundesregierung plant erneut massive Einsparungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Eine Entwicklung, die uns allen große Sorgen bereiten sollte. Sollten die aktuellen Pläne durchgehen, wird Deutschlands Beitrag für die internationale Zusammenarbeit allein in dieser Legislaturperiode um 25 Prozent sinken. Diese Kürzungen gefährden nicht nur Deutschlands Rolle als Global Soft Power, sondern sie drohen auch, bereits erzielte Erfolge zunichtezumachen. Von den politischen und außenwirtschaftlichen Folgen ganz zu schweigen. Der Haushalt droht zur Achillesferse der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik zu werden.
Dabei ließe sich das mit relativ einfachen Mitteln vermeiden. Aber der Reihe nach. Trotz aller Kritik an Fahrradwegen in Peru – die Entwicklungszusammenarbeit ist viel besser als ihr Ruf. Sie hat nachweislich beachtliche Erfolge vorzuweisen: Durch weltweite Impfkampagnen wurde die Kinderlähmung, auch Polio genannt, nahezu komplett ausgerottet. Die Sterberaten von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Malaria sind drastisch zurückgegangen. Eine Erkrankung mit HIV/Aids war früher ein sicheres Todesurteil – in ärmeren Ländern noch viel länger als in reicheren, weil die Medikamente schlicht zu teuer und nicht den lokalen Gegebenheiten angepasst waren.
Mittlerweile sind entsprechende Medikamente bezahlbar und viele Menschen, insbesondere in Afrika, haben nun Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten. Dadurch ist sowohl die Zahl der Neuinfektionen als auch die Zahl der Todesfälle massiv gesunken. Nach der Ebola-Epidemie in Westafrika wurden mithilfe von Entwicklungsgeldern Marktanreize für die Entwicklung eines Impfstoffes gegen die tödliche Infektionskrankheit geschaffen – mit Erfolg. Schon beim nächsten Ebola-Ausbruch konnte ein neuer Impfstoff eingesetzt werden. Immer mehr Menschen haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die globale Kindersterblichkeit wurde halbiert. Viele Kinder besuchen zum ersten Mal eine Schule. Selbst viele Kinder, die in Regionen leben, die von Krieg oder bewaffneten Konflikten betroffen sind. Deutschland hat als einer der größten Geber einen starken Anteil an diesen Erfolgen.
Deutschland profitiert mittel- bis langfristig selbst an Entwicklungsinvestitionen. Durch Entwicklungszusammenarbeit kann Deutschland Märkte für seine Exporte erschließen. Investitionen in die Infrastruktur und die wirtschaftliche Entwicklung von Partnerländern schaffen neue Absatzmärkte für deutsche Produkte und Dienstleistungen. Dies stärkt die deutsche Wirtschaft und schafft Arbeitsplätze. Mit den richtigen Investitionen tragen wir dazu bei, Krisenregionen zu stabilisieren und Konflikte zu verhindern.
Dies fördert Sicherheit und Frieden in den betroffenen Regionen, was wiederum die globale Sicherheit erhöht und Fluchtursachen mindert. Außerdem: Jeder investierte Dollar in die globale Gesundheit, einer der Pfeiler der Entwicklungszusammenarbeit, bringt eine Rendite von 54 Dollar. Kein schlechtes Investment.Auch wenn Entwicklungspolitik nicht entlang geopolitischer Interessen ausgerichtet werden sollte, ist sie dennoch wichtig für die deutsche Außenpolitik.
Wer kluge Geopolitik betreiben will, darf auf das Instrument der Entwicklungszusammenarbeit nicht verzichten. Ehrliche und nachhaltige Entwicklungsinvestitionen stärken bilaterale Beziehungen, verschaffen Deutschland geopolitischen Einfluss und ermöglichen eine bessere Zusammenarbeit in internationalen Organisationen und Foren. In einer multipolaren Weltordnung ist dies wichtiger denn je. Angesichts der internationalen Ambitionen autokratischer Mächte wie Russland und China dürfen wir unsere Position nicht durch ausbleibende Investitionen und Angebote schwächen. Nehmen wir den weltweiten Ausbau von erneuerbaren Energien als Beispiel: Dieser birgt enorme Wachstumspotenziale in Wirtschaft, Beschäftigung und Nachhaltigkeit. Davon können sowohl die deutsche Politik als auch die deutsche Industrie, insbesondere der Mittelstand, profitieren.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine stellt uns zweifellos vor neue Herausforderungen. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz eingeläutete Zeitenwende sieht ausdrücklich deutliche Mehrausgaben für die Bundeswehr vor. Für diese Investitionen dürfen wir aber nicht unser außen- und entwicklungspolitisches Gewicht in anderen Bereichen aufs Spiel setzen. Diesen Gefallen sollten wir den Putins dieser Welt nicht machen. Im Krisenfall ist die Aussetzung der Schuldenbremse ausdrücklich vorgesehen. Dass der Krieg in der Ukraine eine Krise darstellt, würde auch der strengste Haushälter nicht bestreiten.
Im Angesicht der Notlage, den der Krieg auf europäischem Boden ohne Zweifel darstellt, sollten wir einen gesonderten Haushalt aufstellen, in dem alle Mittel zusammengefasst werden, die der Ukraine und ihrer Bevölkerung zugutekommen. Dazu gehören sowohl die Militär- und Wiederaufbauhilfen als auch die Kosten für die Unterbringung ukrainischer Geflüchteter in Deutschland. So kennen wir den genauen Mehrbedarf, den Putins Krieg uns kostet und könnten die Staatsfinanzen entsprechend aufstellen: ein konventioneller Haushalt, der alle Investitionen im Rahmen der Schuldenbremse abdeckt – und ein „Sonderhaushalt Ukraine“, der mit der dafür vorgesehenen Aussetzung der Schuldenbremse finanziert wird.
So stärken wir der Ukraine den Rücken und schaffen uns gleichzeitig mehr Spielraum für dringend notwendige Investitionen, zu denen auch die in eine gerechtere und friedlichere Welt gehören. Solide Haushaltsführung und internationale Verantwortung sind kein Widerspruch – im Gegenteil: Es könnte Deutschlands größte Stärke sein.
Stephan Exo-Kreischer leitet als Direktor das Europageschäft der Entwicklungsorganisation ONE, die sich für den Kampf gegen extreme Armut und vermeidbare Krankheiten einsetzt. Zudem ist er seit 2016 Direktor von ONE Deutschland.