Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 09. Oktober 2024

Der gescheiterte Versuch der Grünen zur Volkspartei zu werden

Jahrelang wähnten sich die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei. Doch der Höhenflug ist seit 2023 Geschichte. Forsa-Chef Manfred Güllner zeigt auf, wie die zwischenzeitlich gewonnen Anhänger aus der Mitte der Gesellschaft wieder verloren gegangen sind.

Von Prof. Manfred Güllner

Bevor Annalena Baerbock und Robert Habeck das Führungsduo der Grünen wurden, wurden sie bei allen Wahlen seit 1979 maximal von 7 von 100 Wahlberechtigten gewählt. Doch mit dem vom neuen Führungsduo praktiziertem eher pragmatisch-rationalen Politikstil konnten sie über ihre Kernklientel hinaus neue Wähler aus der politischen und gesellschaftlichen Mitte gewinnen und wurden bei der Europawahl 2019 von 12,5 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt – ihr bisher höchster Anteil bei einer bundesweiten Wahl.

Nach der Nominierung von Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten der Union lagen sie dann 2021 in den Umfragen kurze Zeit sogar nicht nur vor der SPD, sondern auch vor der Union. Doch nach Baerbocks Fehlern im Wahlkampf wählten sie bei der Wahl im September 2021 mit 11 Prozent aller Wahlberechtigten (bzw. 14,8 Prozent der Wähler) schon wieder weniger als bei der Europawahl 2019.

Nach Bildung der „Fortschritts-Koalition“ aus SPD, Grünen und FDP profitierte die grüne Partei dann noch einige Zeit von positivem Image Baerbocks und Habecks („modern“, „neuer Politikstil“, etc.) und lag mit Umfragewerten von bis zu 25 Prozent klar vor der SPD, 14 Prozentpunkte vor den Werten der AfD und fast gleichauf mit der Union.

Doch durch ihr Regierungshandeln verloren beide grüne Hoffnungsträger zunehmend Vertrauen und ihre Arbeit im Kabinett wurde immer negativer bewertet. Insgesamt überwog im Alltag wieder das Bild einer überwiegend mit Verboten und Bevormundungen agierenden Partei, die nur noch Zustimmung von ihrer Kernklientel erhielt – den oberen Bildungs- und Einkommensschichten meist im Umfeld des öffentlichen Dienstes, der Medien und von Bildungseinrichtungen überwiegend in den urbanen Metropolen des Westens. Verloren gingen wieder die zwischenzeitlich gewonnen Anhänger und Wähler aus der Mitte der Gesellschaft. Im Herbst 2024 verortet sich von den Grünen noch verbliebenen Stammwählern nur ein Viertel, von den im Laufe der Regierungszeit der „Ampel“ wieder Abgewanderten jedoch fast die Hälfte in der politischen Mitte.

Entsprechend sanken die Umfragewerte der Grünen bis aktuell auf 10 bis 11 Prozent. Seit Mai 2023 liegen die Werte der Grünen zumal auch deutlich unter denen der AfD. Und bei der Europawahl im Juni des Jahres fielen die Grünen wieder auf ihren früheren „Normalwert“ von etwas mehr als 7 Prozent aller Wahlberechtigten zurück.

Die Abwanderer von den Grünen würden heute zu einem beachtlichen Teil eine eher „rechte“ Partei (Union, FDP oder einige sogar die AfD) und keine Partei am linken Rand (Linke oder BSW) wählen. Sie sind zudem – wie gerade wieder die Wahlen in den drei ostdeutschen Ländern gezeigt haben – auch nicht (wie bei einer Volkspartei vonnöten) im ländlichen Raum verankert.

Und dass die Grünen mit einem Kanzlerkandidaten Robert Habeck wieder – wie bei den Wahlen 2019 und 2021 oder kurze Zeit nach Bildung der „Ampel“-Koalition – Wähler aus der politischen Mitte gewinnen könnten, glaubt nur eine Minderheit vom 17 Prozent aller Wahlberechtigten. Zu groß ist inzwischen der Anteil derer, die mit Habecks Arbeit als Wirtschaftsminister nicht zufrieden sind. Habecks Chancen, für die Grünen wieder über ihre heutige Kernklientel neue Wähler zu gewinnen, sind somit nicht sonderlich groß. Der Weg in die Mitte der Wählerschaft ist verbaut und somit dürfte der grüne Traum von einer Volkspartei ausgeträumt sein.

Prof. Manfred Güllner ist Geschäftsführer und Gründer des Meinungsforschungsinstituts Forsa.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!