Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 14. März 2024

Akademikerkinder, erkennt endlich euren blinden Fleck!

Der Populismus gefährdet die offene Gesellschaft. Mit der Serie „Hacking Populism“ will Table.Briefings Wege aufzeigen, wie dem Populismus begegnet werden kann. An den Schaltstellen der Macht herrschen monopolartig Akademikerkinder, die alles kennen, nur nicht ihren blinden Fleck – die Lebenswelt der Menschen, die nicht studiert in Parlament, Verwaltung, Gerichten und Medien sitzen. Die Lebensferne dieser Akademikerkinder treibt die Regulierten in den Wahnsinn oder extremen Parteien zu. Das zu ändern hilft allen und macht auch noch Freude, schreibt Sebastian Turner, Herausgeber von Table.Briefings und Akademikerkind.

Wenn Sie dies lesen, sind Sie wahrscheinlich auch ein Teil des Problems. Schlimmer noch: Wahrscheinlich halten Sie das Problem sogar für die Lösung und verschlimmern es damit. Dabei sind wirkliche Lösungen möglich, und damit anzufangen macht sogar Freude.

Nach über 30 Jahren Leben in Ostdeutschland – in Dresden, bei Eberswalde und in Berlin – halte ich es für vollkommen ausgeschlossen, dass ein Drittel der Ostdeutschen Nazis sind oder auch nur Nazi-Gedankengut nahestehen. Auch in Westdeutschland gibt es keine 20 Prozent Rechtsextreme. Das sind aber die Zustimmungswerte, die eine Partei in Umfragen erzielt und bei Kommunalwahlen sogar übertrifft, deren Führungspersonal offen rechtsextreme, völkische, verfassungsfeindliche Positionen vertritt. Wenn die Parteipositionen nicht rechtsextrem sind, dann sind sie immer noch von größtmöglichem Schaden für alle im Land – wie aus der Europäischen Union auszuscheiden oder für Teile ihrer Unterstützer, etwa für die Bauern, alle Agrarsubventionen zu streichen.

Die Zustimmung zu dieser Partei vollzieht sich in Wellen. Die Bankenkrise und die Euro-Schuldenkrise führten im inflationstraumatisierten Deutschland zu einer ersten Zustimmungswelle. Die Gründungsprotagonisten der Partei waren liberale Wirtschaftsprofessoren und konservative Publizisten mit demokratischem Ruf. Die zweite, deutlich ausgeprägtere und anhaltendere Welle folgte, nachdem Deutschland Flüchtlinge in so großer Zahl aufnahm, bis dies in nahezu allen Landesteilen spürbar wurde. Die aktuelle dritte Welle, die die rechtsextreme Partei zumindest in Teilen der Bundesrepublik zur stärksten Partei macht und auf kommunaler Ebene in die Nähe von absoluten Mehrheiten bringt, hat keinen einzelnen überragenden Anlass, sondern lässt sich auf ein Bündel von „Trigger“-Punkten (Steffen Mau) zurückführen. Es ist aber schwer vorstellbar, dass am Ende Einzelfragen wie Gendersprache, Heizungsverordnungen, Rundfunkabgaben oder Atomkraftabschaltung neue, opponierende Mehrheiten hervorbringen.

Was ist es dann?

Wer die einzelnen politischen Entscheidungen, die erwünschten und erlebten Folgen und die beteiligten gesellschaftlichen Gruppen näher betrachtet, stößt auf eine Entwicklung, auf die Deutschland – wie viele Länder – über Jahrzehnte mit großen Anstrengungen systematisch hingearbeitet hat: Die Akademisierung der Gesellschaft. Sie hat vor einem halben Jahrhundert Schwung aufgenommen und ist heute in der Breite in der zweiten Generation angekommen. Die zweite Generation Akademiker sitzt monopolartig an den Schaltstellen der Gesellschaft – und das könnte die Ursache unserer gesellschaftlichen Spannungen sein.

Die erste akademische Generation hat ihre nicht-akademischen Jugend- und Aufstiegserfahrungen einfach mitgenommen, auch in höchste Ämter. Der Vater war Bergmann oder Fleischer, die Mutter Fabrikarbeiterin oder Hausfrau, der Onkel war kriegsverwundet, die Tante hat geputzt. Das hat den Alltag der Kinder geprägt. Neben dem Studium wurde in nicht-akademischen Jobs gearbeitet. Diese Erlebnisse und Erfahrungen trugen die Generationen des Historikers Helmut Kohl und des Juristen Gerhard Schröder immer bei sich, in jeder Ministerialrunde und bei jedem Wahlkampfauftritt. Und nicht nur Bundeskanzler, auch Amtsrichterinnen, Behördenleiter, Parteitagsdelegierte und Referentinnen in Bundesbehörden, Forschungseinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen konnten aus den vielen Lebenswelten ihrer Elternhäuser schöpfen, aus denen sie hervorgegangen waren.

Ihre Kinder können das nicht. Sie wachsen nicht mehr mit dem Erleben oder auch nur den Erzählungen aus dem Handwerksbetrieb, dem Bauernhof oder der Fabrik auf. Sie kennen nur die Begleiterscheinungen des Büroalltags ihrer akademischen Eltern. Das Akademikerkind Florian Illies hat diese von nicht-akademischen Einflüssen abgeschirmten Second-Generation-Academics als Generation Golf beschrieben. Er hätte sie auch Generation Akademikerkind nennen können. Trotz seiner exzellenten Beobachtungsgabe kommt das Phänomen in seinem Buch nicht vor. Das Akademikerkind-Sein ist ein blinder Fleck in der Selbstwahrnehmung der Akademikerkinder.

Schon seit vielen Generationen gibt es die akademische Selbstreproduktion, ja regelrechte akademische Dynastien, ob sie Mommsen oder von Weizsäcker heißen. Das neue ist nicht, dass die Kinder von Akademikern eine ebenso gute Ausbildung wie ihre Eltern durchlaufen. Neu ist: die gesellschaftliche Führung in ihrer Breite, die regulierende Klasse, ist heute so homogen und umfassend von Akademikern der zweiten Generation geprägt, dass andere Lebenswirklichkeiten weitgehend oder vollständig abwesend sind, wenn über das Leben aller Menschen im Land beraten und entschieden wird.

Zu den Paradoxien dieser Entwicklung gehört, dass die Generation der Akademikerkinder die Vielfalt, das „Diversity-Management“, auf die gesellschaftliche Tagesordnung gesetzt hat. Wer je einen Diversity-Kongress besucht hat, entdeckt freilich als Schwerpunkte die ureigenen Interessen der Akademikerkinder. Akademikertöchter fordern die Spitzenjobs ihrer Brüder. Recht haben sie! Sie verhandeln berechtigte Geschlechterfragen und die überfällige Gleichberechtigung von Minderheiten. Kaum aber streiten sie um Mehrheitsfragen wie die Interessenvertretung der nicht-akademischen Welt, es sei denn, diese marschiert erst einmal den Weg der Akademisierung, um mitreden zu können.

Wohl kaum beabsichtigt, aber so gut wie unvermeidbar ist ein sich daraus ergebender Klassismus, ein Abschotten der oberen Schichten gegenüber den unteren. Wer das einmal erleben möchte, muss in einer ländlichen Grundschulklasse den Elternabend besuchen und dann den Lehrer:innen zuhören, wenn sie erzählen, was die Hortbetreuer*innen über die SchülerInnen zu sagen haben. Man braucht als Pflegschaftsvertreter:in kein/e Migrant:in mit Deutsch als zweiter Sprache zu sein, um kaum noch mitzukommen.

Der „closed shop“ der Akademikerkinder in so vielen gesellschaftlichen Fragen trägt bei zur Komplexität unseres Gemeinwesens, unter der alle leiden, an der weniger Gebildete aber verzweifeln. Sie empfinden die Komplexität als unfair, als Ausgrenzung, als Unrecht.

Wer dem Hochschulpräsidenten antwortet, seine Formulierung „die/der Stipendiengeber*in“ drücke einen Klassismus aus, dem Hochschulen besser aktiv entgegentreten sollten, kann ein sehr ernsthaftes, von viel Verantwortungsbewusstsein geprägtes Gespräch führen. Der Wunsch, keine Gruppe durch Sprache auszugrenzen, ist ehrenwert. Wenn aber die weniger Gebildeten dann immer weniger verstehen, ist der Preis hoch. Das Dilemma des Hochschullehrers zwischen sprachlicher Rücksicht auf sein energischstes Teilmilieu und breiter Akzeptanz in der nicht-akademischen Bevölkerung ist typisch für eine große Zahl gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse, die die Akademiker der zweiten Generation meist unter sich und für sich entscheiden – sehr konsequent und ohne schlechtes Gewissen, denn die Nebenwirkungen sind ein blinder Fleck in ihrer Wahrnehmung.

Der zentrale Wendepunkt in der Akzeptanz der Bundesregierung kann auf genau dieses Phänomen zurückgeführt werden. Im Sommer 2023 rissen mit der Diskussion über das Heizungsgesetz die Zustimmungswerte zur Bundesregierung ab. Im Wirtschafts- und Klimaministerium des Apothekersohns Robert Habeck hatte das Ministerialbeamtenkind Patrick Graichen gerade in kürzester Zeit die Energieversorgung ohne russisches Gas gesichert. Er griff schnell und beherzt durch und erwarb sich hohen Respekt für die Rettung in der Not auch bei den Unternehmen, denen er viel zumutete. Mit dem gleichen Werkzeugkasten wollte er dann die Wärmewende in den Wohnhäusern bewerkstelligen. Der Klimaschutz ist überlebensnotwendig für die Menschheit, was gab es da zu zögern. Das Gesetz war aber nicht nur so durchgreifend, sondern in seiner Umsetzung auch so weit weg von der Lebenswelt vieler Menschen, dass das Vertrauen in die Regierung erschüttert wurde.

Wer sich im Biotop umsieht, in dem das Heizungsgesetz entstand, entdeckt ein Bällebad für Akademikerkinder. Getragen wurde das Gesetz von der grünen Bundestagsfraktion. Unter ihren 118 Mitgliedern ist kein einziger Handwerker oder auch nur handwerksnah ausgebildeter Abgeordneter – im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen. Die Vorplanungen stammten aus der akademischen NGO- und Thinktank-Welt der Agoras, getragen von angesehenen Stiftungen und internationalen Verbindungen mit hohem intellektuellem Anspruch. Ein Musterfall der Akademikerdominanz wie sie Michael Zürn und Armin Schäfer auf dem Weg zur „demokratischen Regression“ beschrieben haben. Hätten die Akademikerkinder mal vorher einen Installateur gefragt, oder einen Hausbesitzer mit kleinem Einkommen, so hiess es später. Als der Juristensohn Friedrich Merz den Chef der Bundesregierung Olaf Scholz, Sohn eines Handelsvertreters und Geschäftsführers, als Klempner herabsetzen wollte, belegte er seinen blinden Fleck als Akademikerkind. Er hätte nicht falscher liegen können. Ein Klempner hätte so ein Gesetz niemals durchgehen lassen.

Auf einmal spürte das ganze Land am konkreten Beispiel, was sonst nur fragmentiert in vielen kleinen Teilbereichen erfahren wird. Ein Regulierungshandeln, das nicht mehr nachzuvollziehen ist und seinen Zweck aus den Augen verloren hat, aber unbeirrt durchgesetzt wird. Ganz andere Beispiele, gehört in den letzten Tagen: Wer Menschen mit schlechten Deutschkenntnisse pflegt und sich mit ihnen einfach verständigen möchte, darf dafür keine Übersetzungsapps nutzen. Datenschutz. Der Schutz der Daten ist wichtiger als die Hilfe für Menschen. Das muss sich jemand ausgedacht haben, der noch nie versucht hat, einem Menschen ohne gemeinsame Sprache zu helfen. Abstandsflächen rund um Weinberge sollen so stark ausgedehnt werden, dass ganze Weinregionen verschwinden würden. Auch das muss sich jemand ausgedacht haben, der noch nie bei einer Weinlese mitgearbeitet hat. Jede dieser Regelungen erregt immer nur eine kleine Gruppe, aber das überragende Gefühl der Regulierten ist: Ihr habt doch nicht die geringste Ahnung, wie frech und sinnlos ihr in unser Leben eingreift. Das Heizungsgesetz war der Anlass, der diese Verärgerung an einem Beispiel breitenwirksam erfahrbar werden ließ.

Was denkt das regulierte Volk?

Wir entziehen die Zustimmung, und wenn wir dann verunglimpft werden als Nazis oder rechtsradikale Trottel, dann sagt das mehr über euch als über uns. Es reicht. Wir wählen die Partei des maximalen Protestes, auch wenn wir deren Forderungen gar nicht unterstützen oder sie uns sogar schaden. Wir brauchen ein Ventil, ihr habt uns alle anderen genommen.

Große gesellschaftliche Trends haben das Abkapseln der Akademikerkinder massiv gefördert. Das Ende von Zivildienst und Wehrpflicht hat zwei große gesellschaftliche Mischmaschinen beseitigt. Der Boom der Privatschulen – oft Reaktion auf mangelhafte öffentliche Schulen – hat noch vor der Hochschule homogene Akademikerkinder-Aufenthaltsorte geschaffen.

Das gilt erst recht für die regulierende Spitze. Selbst unser Wahlrecht und eine Eigenheit der letzten Regierungsbildung befördern die Isolation der Akademiker der zweiten Generation an der Spitze des Gemeinwesens. Der Bundestag besteht immer aus 299 Abgeordneten, die ihr Mandat in einem Wahlkreis durch Volkswahl erworben haben. Sie besuchen am Wochenende Schützenvereine, Feuerwehrfeste und das THW, sehen Betriebe und Gewerkschaften und reden „mit die Leut“. Wer als Direktkandidat seinen Wahlkreis pflegt, kommt um Bodenhaftung nicht herum und weiß das Gehörte wuchtig und authentisch in die Hauptstadt mitzubringen. Die andere Gruppe – sie ist mindestens gleich groß, meist aber aufgrund von Ausgleichsmechanismen größer – wird innerhalb der Parteien bestimmt und kommt über die Listen in den Bundestag. Die Listenkandidaten brauchen die Zustimmung in ihren Parteigremien. Die Zersplitterung des Parteiensystems hat dank Ausgleichs- und Überhangmandaten so viele Listenkandidaten wie noch nie in den Bundestag gebracht. Und weil die Ampel-Koalition zudem von drei relativ kleinen Parteien getragen wird, kommt sie auf einer Listen-Lawine in den Bundestag. Während die letzte große Koalition ganz überwiegend von Direktkandidaten getragen wurde, ist die aktuelle Ampel-Regierung auf eine satte Zweidrittelmehrheit von Listenkandidaten angewiesen. Ihr Resonanzraum ist zuerst die Partei, dann das Volk. Wer den kulturellen Unterschied kennenlernen möchte, sollte sich zu einem vertraulichen Gespräch mit einem direkt gewählten Sozialdemokraten am besten aus Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen treffen. Bei den Grünen gibt es den Direktkandidaten selten, bei der FDP gar nicht.

Und noch ein Phänomen isoliert die Ampel-MdBs. Es sollte mehr Transparenz bringen und führt tatsächlich zu Abschottung. Weil es bei der Listenaufstellung bei Grünen und SPD gar nicht gut ankommt, wenn Einrichtungen wie Abgeordneten-Watch und Lobbycontrol intensiven Kontakt mit Verbänden und anderen Lobbyisten dokumentieren, lehnen viele Abgeordnete das Gespräch mit Interessenvertretern ab. Es soll ihre Unabhängigkeit schützen. Wie klug das war, konnte die Bundesregierung bei ihren Agrarkürzungen spüren. Ohne Gespür für die Wirkung wurden Beschlüsse gefasst und nach unerwartet heftigem Protest gleich wieder kassiert – bei größtmöglichem Vertrauensverlust. In diesem Klima von drei auf sich orientierten Listenkandidatsparteien ist nicht nur das Einigen schwer, auch die Rückkoppelung für die Akademikerkinderblase mit der Bevölkerung ist schwerer.

Neben diesem Sonderphänomen der Zusammensetzung der Ampel-Fraktionen stärken lang laufende institutionelle Entwicklungen das Machtmonopol der Akademiker der zweiten Generation. Viele Entscheidungen sind aus den Parlamenten in die akademisch besetzten Verwaltungen verlagert worden und was dort nicht entschieden wird, das haben studierte Richter geklärt. Die Medien bilden keine Ausnahme. Wer ein Volontariat ergattern möchte, legt – wenn schon keine Promotion – bitte sein Diplom ganz oben in die Bewerbungsmappe.

Wo kann nun eine Lösung liegen, wie kann die Selbstisolation der Second-Generation-Academics an den Schaltstellen der Macht überwunden werden?

Keine ernsthafte Lösung ist, die Akademisierung zurückzudrehen. Niemand kann Ärzte, Richter oder Abwasserplaner ohne akademische Ausbildung wollen. Dass ihre Kinder nicht studieren dürfen, wäre auch absurd, die schädlichen Folgen können in der Nachkriegs-DDR untersucht werden. Jede Änderung wäre zudem erst in Jahren oder Jahrzehnten wirksam. Das gilt auch für ein überfälliges bürgerschaftliches Pflichtjahr bei der Bundeswehr, in der Entwicklungshilfe oder in Altenheimen.

Schnell wirksame, praktische Möglichkeiten liefern Bereiche, die genauso von der Akademisierung der Angebotsseite betroffen sind, aber regelmäßig untergehen, wenn sie an der breiten Nachfrage vorbeiproduzieren. Diplomingenieure stellen ihren neuen Lkw-Prototyp Fernfahrern vor, ehe er in Produktion geht, und hören dann nach Jahren der Entwicklung, aber noch vor der Serienproduktion von Truckern: Wo ist denn der Platz für meine Tasche? Erste Ansätze gibt es mit den Bürgerforen und dem Bürgerratschlag. Dafür werden zufällig ausgewählte Menschen aus allen gesellschaftlichen Teilen eingeladen, um Regulierungen zu diskutieren. Auch das gewaltig polarisierende Bauprojekt Stuttgart 21 wurde so befriedet.

Marktnahe Konzerne verlangen von den Theoretikern in der Zentrale, dass sie wenigstens einen Tag im Jahr im Außendienst oder der Herstellung mitarbeiten. Zu den Ergebnissen der qualitativen Marktforschung kommt das persönliche Erleben. Warum arbeiten nicht alle Angehörigen des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung und des entsprechenden Bundestagsausschusses einen Tag im Jahr in der Land- oder Ernährungswirtschaft? Warum die Mitarbeiter von Lobbycontrol nicht einen Tag im Bauernverband?

Oft hilft schon, in Beratungen die Stimmen aufzurufen, die zumindest rudimentäre Zugänge zur betroffenen Lebenswelt haben. Noch besser ist, bei jedem Veränderungsprozess zuerst selbst direkt mit den betroffenen Menschen zu sprechen. Wer wie der Verfasser als Akademikerkind eine DDR-Babycreme oder einen defizitären Zeitungsverlag zum Erfolg führen wollte, profitiert vom Gespräch mit Hebammen und Zeitungsboten, Schwangeren und Anzeigenkunden, Supermarkt-Leiterinnen und Lesern. Am wertvollsten sind die Gespräche mit den Stellen, bei denen die Reklamationen eingehen. Jede Reklamation ist ein Stück Marktforschung, jeder zunächst übersehene und dann verbesserte Mangel ist ein Wettbewerbsvorteil. Auf diesem Weg neue Erkenntnisse zu gewinnen und neue Lösungen als erster aufzuspüren, macht schlicht Freude. Die Aha-Effekte hören gar nicht auf.

Wenn die hohe Zustimmung zu extremen Parteien zurückgedrängt werden soll, brauchen wir eine überfällige, gründliche Erneuerung und Vereinfachung des Staatswesens. Das ist weder schnell noch einfach zu erreichen. Dafür ist der erste Schritt umso einfacher: Die Akademikerkinder müssten ihren blinden Fleck wahrnehmen und sich dann daran machen, ihn mit dem Leben der anderen zu füllen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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