In diesem Jahr feiern wir den 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes, die Wahlen zum Europäischen Parlament stehen vor der Tür und in drei Bundesländern werden die Landesparlamente gewählt. Gleichzeitig ist die Sicherheit unseres Landes und unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung wie selten zuvor unter Druck.
Unsere innenpolitische Lage ist dabei von Kriegen und Auseinandersetzungen in anderen Regionen der Welt beeinflusst, vor allem in der Ukraine und in Nahost. Daraus entsteht eine Dynamik, die uns – Politik und Gesellschaft – herausfordert und zum Teil zu einer komplexen politischen Fragmentierung unserer Gesellschaft führt.
Antidemokratische Kräfte sind auf dem Vormarsch. Die Umfragewerte zeigen, dass immer mehr Menschen offenbar Schwierigkeiten haben, den bewährten demokratischen Parteien ihr Vertrauen zu schenken. Die politischen Ränder wachsen. Von dieser Politikverdrossenheit und Demokratieskepsis, gepaart mit Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten profitieren Populisten, Radikale und Extremisten.
Antidemokratische Kräfte greifen mit einem Klima der Angst unsere freiheitliche Demokratie an. Auf einen immer aggressiveren, teils hasserfüllten Diskurs folgen nun immer häufiger Taten: in Thüringen brennen Häuser von Politikern, in Sachsen marodieren gewaltbereite Schlägerbanden und ein Politiker wird krankenhausreif geschlagen.
Die Grundlage dafür hat eine populistische Politik gelegt, die es versteht, die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche unserer Zeit für sich zu instrumentalisieren. Wie konnte das funktionieren?
Laut Bundeszentrale für politische Bildung idealisiert Populismus das Volk und baut Feindschaft zu einer Elite auf: Die Geschichte des Volkes, das von der Elite betrogen wurde. Populisten gerieren sich als Fürsprecher der einfachen Leute, die sie von den Machenschaften korrupter Eliten schützen wollen.
Der Begriff „Elite“ hat bei der Alternative für Deutschland (AfD) eine Renaissance erlebt, ist sie doch seit Beginn elitenfeindlich. Es ist die die Rede von „globaler Eliten“ eine EU-Elite, eine migrationspolitische Elite oder eine Elite in der Coronapolitik: Populismus ist thematisch eben flexibel und anpassungsfähig.
Schaut man sich die Entwicklung der AfD an, dann ist die Geschichte seit ihrer Gründung im Jahre 2013 als europaskeptische Partei auch eine Geschichte vom Populismus zum Extremismus: Zuschreibungen werden zum Teil aus Unkenntnis, zum Teil aber auch aus reiner politischer Motivation heraus als Synonyme verwendet, obgleich die inhaltlichen Unterschiede immens, die Grenzen jedoch fließend sind.
Mit der Fokussierung auf die Themen Migration und Asyl in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 und der damit einhergehenden Radikalisierung verließen immer mehr Konservative die Partei und der extremistische Flügel gewann zunehmend an Einfluss. Dieser Grundkonflikt spitzte sich immer mehr zu und führte zu mehreren Führungswechseln, von den nationalliberalen Kräften der Gründungszeit hin zu Vertretern mit autoritären, teils extremen Grundhaltungen.
Die bis heute anhaltenden innerparteilichen Streitigkeiten um das richtige Maß an Nähe und Abgrenzung zu Rechtextremen und zu autokratischen Staaten wie Russland und China können die extremistischen Kräfte in der Partei meist für sich entscheiden. Der zunehmende Einfluss der Rechtsextremisten auf die Gesamtpartei sowie der wachsende Rückhalt in der Partei für extremistische Positionen führte nur acht Jahre später zur Einstufung als extremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Viele verfassungsfeindliche Positionen in der AfD fußen auf dem Volksbegriff, das „richtige“ deutsche Volk drohe durch den Zuzug von Ausländern unterzugehen und sei in seiner Existenz gefährdet. Es wird auf den völkischen Nationalismus rekurriert, der klar zwischen autochthonen und migrierten Bevölkerungsteilen unterscheidet, einhergehend mit einer Überhöhung der eigenen, ethnisch-biologischen Nation und Abwertung anderer Nationen beziehungsweise Ethnien. Systematisch werden Menschen mit Zuwanderungsgeschichte pauschal diffamiert und verächtlich gemacht, um damit zu zementieren, dass die Achtung der Menschenwürde diesen Minderheiten nicht zuteilwerden darf. Es ist die Rede von einer bedrohlichen „Hochrisikogruppe" bzw. „Parasiten”, für die es einer wirksamen Abschreckung bedarf.
Diese Vorstellung vom Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnisch-kulturellen Bestand findet einen Resonanzboden in der gesamten Partei. Der innenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion sprach 2019 von „EU-Romantiker und Globalisten, die künstliche Vielfalt beschwören, im Gegensatz zur Einheit unseres Vaterlandes.“ Deutlicher wird der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl Maximilian Krah, der linientreu eine ethnisch-kulturelle Homogenität als Voraussetzung für einen gemeinsamen Willen des Volkes sieht: Parolen, die der deutschen Geschichte leider nicht unbekannt sind.
Die Partei inszeniert sich als Vertreter des „einzig richtigen Volkswillens“. Populistische Zuspitzungen sowie radikale Aussagen zeigen sich zunehmend in Kombination mit verfassungsfeindlichen Äußerungen.
Die Absurdität liegt jedoch auf der Hand, denn wie kann man den „einzig richtigen Volkswillen“ gegen „die da oben“ verteidigen, wenn doch gleichzeitig AfD-Abgeordnete mutmaßliche aus dem Ausland gesteuerte Spione beschäftigen gegen die Interessen des eigenen „Vaterlandes“?
Der Übergang von populistischer Zuspitzung in das Extremistische zeigt sich auch in der Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern. Diese werden als „psychisch gestörte und moralisch deformierte Totalversager”, „Volksfeinde und Vernichter Deutschlands” bezeichnet. Björn Höcke spricht 2018 unverblümt vom „Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie”. Der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban bestätigt im selben Jahr, dass das derzeitige Regime mit Hilfe der vernünftig denkenden Menschen zum Einsturz zu bringen ist.
Insgesamt wird von der Partei das Bild eines Landes gezeichnet, in dem demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien erodieren oder bereits durch diktatorische Prinzipien überlagert sind. Es geht also längst nicht mehr um eine Auseinandersetzung in der Sache, wie es vielleicht noch in der Anfangszeit der Partei mit Blick auf die Europolitik der Fall war. Mittlerweile geht es vielmehr darum, das Vertrauen der Bevölkerung in die verfassungsmäßige Ordnung von Grund auf zu erschüttern.
Fast ironisch wirkt in diesem Zusammenhang der fortwährende Vergleich der heutigen Politik in der Bundesrepublik mit autokratischen, diktatorischen oder gar totalitären Regimen, folgen ihre Abgeordnete doch immer wieder der Einladung autokratischer Regime. Insbesondere dürfte die AfD für Wladimir Putin ein wahrer Glücksfall darstellen, teilt er doch das Ziel westliche Demokratien zu destabilisieren.
Wie innig die Freundschaft der AfD zu Russland ist, zeigen die vielen, öffentlichen inszenierten Reisen von AfD-Vertretern nach Russland und Teilnahmen an völkerrechtlich umstrittenen Wahlbeobachtungskommissionen.
Es wächst eben zusammen, was zusammenpasst!
Natürlich drängt sich die Frage auf, ob man nicht die AfD verbieten müsste. Unabhängig von den keineswegs einfachen Rechtsfragen – wir erinnern uns, dass das Bundesverfassungsgericht ein Parteiverbot als das schwerste Schwert unseres demokratischen Rechtsstaates bezeichnet – würde sicherlich die Mehrheit dieses Landes diese Frage mit „Ja” beantworten, würde man damit das „Problem” lösen.
Das Problem ist aber nicht die Partei, sondern es geht um die Menschen, die sich inzwischen nicht mehr von den demokratischen Parteien repräsentiert fühlen. Das ist der entscheidende Punkt, an dem die demokratischen Parteien bzw. der gesamte politische Diskurs ansetzen müssen. Teilweise vermittelt die Politik jedoch einen gelähmten Eindruck: wie das Kaninchen vor der Schlange. Die Debatte über den Umgang mit der AfD lenkt von der eigenen politischen Schwäche ab und verkennt, dass ein Parteiverbot zwar die Rechte und Organisationsform ändert, aber nicht die vertretenen Positionen, geschweige denn seine Anhänger und Unterstützer.
Ja, wir dürfen niemals zulassen, dass in Deutschland wieder die Herkunft, die Hautfarbe, die Religion oder irgendein anderes Kriterium über den Wert eines Menschen entscheidet. Nie wieder darf antisemitisches oder rassistisches Gedankengut oder eine sonstige Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit unser Land beherrschen. Das erreichen wir aber nicht mit einem Verbot, auch wenn die AfD eine in Teilen extreme, antidemokratische Partei ist, für die die Würde einiger Menschen antastbar ist. Wenn der Ehrenvorsitzende Gauland den Landesvorsitzenden in Thüringen Björn Höcke als „die Mitte der Partei“ bezeichnet, müssen alle alarmiert sein, propagiert letzterer doch die Überlegenheit deutscher Kultur und gleichzeitig den drohenden Untergang des deutschen Volkes, der eine ausgrenzende Identitätspolitik nötig macht.
Populistische, radikale und extremistische Kräfte wollen unsere offene Gesellschaft, unseren Wohlstand und unsere Zukunft zerstören. Wir müssen uns mit aller Kraft dagegenstellen, indem wir für die Demokratie einstehen – die Demonstrationen für die Demokratie sind hier ein wichtiges Signal. Wir leben in einer der liberalsten Demokratien der Welt, eben, weil wir verschiedene Auffassungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft wertschätzen. Dies zu schützen ist vornehmste Aufgabe aller Demokraten.
Ja, Demokratien sind zerbrechlich, aber zum 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes können wir voller Überzeugung sagen: Unsere Demokratie ist nach 75 Jahren resilienter als der gesellschaftliche Diskurs zu zeitigen glaubt. Sorgen wir doch alle gemeinsam dafür, dass sie es auch in Zukunft bleibt.
Dr. Felor Badenberg ist Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz in Berlin. Zuvor war die Juristin viele Jahre beim Bundesamt für Verfassungsschutz tätig, zuletzt als Vizepräsidentin.
Lesen Sie hier alle bislang erschienen Beiträge der Serie „Hacking Populism“.