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Erscheinungsdatum: 14. Februar 2024

Atomwaffen für Europa: Warum die Debatte nur Trump in die Hände spielt

Herfried Münkler, Joschka Fischer, zuletzt Katarina Barley von der SPD – die Debatte über eine neue atomare Bewaffnung Europas wird immer lauter geführt. Boris Pistorius aber kritisiert die Diskussion. Und Roderich Kiesewetter hält sie sogar für gefährlich.

Neue Atomwaffen für Europa? Der Ruf danach wird immer lauter, seitdem eine Wiederwahl Donald Trumps wieder eine reale Möglichkeit geworden ist. Nach Herfried Münkler und Joschka Fischer hat auch die SPD-Spitzenkandidatin für Europa, Katarina Barley, die Forderung erhoben. Der deutsche Verteidigungsminister ist der Sozialdemokratin jetzt aber in die Parade gefahren. Boris Pistorius sagte in Brüssel, eine Diskussion über neue Atomwaffen sollte man „nicht mal eben lostreten“. Er halte „nichts von aufgeregten Debatten zur Unzeit und erst recht nichts davon, jedes Zitat aus dem amerikanischen Wahlkampf von jemandem, der Kandidat werden will, auf die Goldwaage zu legen“.

Pistorius betont, er sei froh, dass Europa in der Verteidigungspolitik endlich Fahrt aufnehme. „Das ist das Entscheidende.“ Umso ärgerlicher findet er die aktuelle Diskussion. „Die Nukleardebatte brauchen wir wirklich als Letztes.“ Auch Überlegungen, mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über sein Angebot eines europäischen Schutzschirms zu sprechen, lehnt Pistorius ab. Er sehe dazu keinen Bedarf, „weil wir den amerikanischen Schutzschirm halten und haben. Und wir sollten ihn nicht von uns aus leichtfertig aufgeben oder infrage stellen.“

Ob damit die Debatte beendet ist? Das lässt sich aktuell kaum sagen, zumal das Thema am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz jederzeit hochploppen kann. Zu groß ist die Sorge um eine geschwächte Ukraine und mögliche Folgen eines russischen Erfolgs. Unterstützung bekommt Pistorius aber auch von Roderich Kiesewetter. Der CDU-Verteidigungsexperte warnt sogar davor, darüber auch nur öffentlich zu spekulieren. „Die öffentliche Debatte darüber würde nur die Befürworter einer Abkopplung in den USA stärken und Putin und Co in die Hände spielen“, sagte Kiesewetter Table.Media. Am Ende hieße der einzige Profiteur Donald Trump.

Kiesewetter hält den US-Schutzschirm für unverzichtbar und rechnet vor, dass alle EU-Staaten für einen echten Ersatz fünf bis sechs Prozent ihres BIPs ausgeben müssten. Um die USA – egal unter welchem Präsidenten – für eine Fortsetzung des Schutzschirms zu gewinnen, sollte der deutsche Bundeskanzler laut Kiesewetter ein demonstratives Zeichen der Europäer für eine glaubwürdige Lastenteilung organisieren. Kiesewetter schlägt vor, Olaf Scholz solle vor dem nächsten Nato-Gipfel alle Staaten zu einem Treffen einladen, die wie Deutschland US-Atomwaffen stationiert haben. „Dabei könnten Italien, Großbritannien, die Niederlande und Belgien gemeinsam mit dem wichtigen Polen ein klares Versprechen für den Ausbau der konventionellen Verteidigung und einer stärkeren Lastenteilung abgeben“, so Kiesewetter. Seine Hoffnung: Auch die Isolationisten wenigstens an der Stelle wieder für Europa zu gewinnen.

Zumal die Potenziale Frankreichs und Großbritanniens keine echte Hoffnung auf Ersatz sind. Sie haben zwar eigene Atomwaffen. Deren Umfang und Zielsetzung bleibt aber weit hinter dem Arsenal der USA zurück. Beide Länder haben ihre Nuklearfähigkeiten als Zweitschlagswaffen auf den Schutz des eigenen Territoriums ausgelegt, es sind im Wesentlichen strategische Atomwaffen. Eine begrenzte Reaktion auf einen ebenso begrenzten russischen Nuklear-Einsatz können sie kaum liefern. Und wie in den USA liegt auch in Frankreich die Verfügung über die Waffen beim Präsidenten – oder im schlimmsten Fall in absehbarer Zeit bei einer Präsidentin Marine Le Pen, die kaum für einen europäischen Schutzschirm steht. Gleichwohl reist der französische Außenminister Stéphane Séjourné mit der Idee nach München, dass Europa eine „zweite Lebensversicherung“ zusätzlich zur erweiterten nuklearen Abschreckung Amerikas innerhalb der Nato gut gebrauchen könnte. So sagte er es im Gespräch mit der FAZ.

Noch geht es allerdings bei den beiden europäischen Atomstaaten darum, den eigenen Schutz zu gewährleisten, aber nicht den auch anderer europäischer Verbündeter. Vor allem aber: Eine koordinierte Politik der Nato zum Einsatz der Nuklearwaffen gibt es nur unter Einbeziehung des US-Arsenals, das zudem die ganze Bandbreite von den so genannten taktischen Gefechtsfeldwaffen bis zur Interkontinentalrakete abdeckt, von Land abgefeuert ebenso wie von Flugzeugen oder U-Booten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies deshalb noch am Mittwoch darauf hin, dass die Allianz ein funktionierendes System dafür eingerichtet habe. Das infrage zu stellen, so Stoltenberg, bedeute nichts anderes als die nukleare Abschreckungsfähigkeit der Nato zu untergraben.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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