Interview
Erscheinungsdatum: 21. Februar 2024

Wirtschafts-Staatssekretär fordert neue Methoden zum Bürokratieabbau

Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, will praxis- und vollzugstaugliche Gesetze schaffen, um vor allem in der Bürokratie einige Hürden abzubauen. Dazu gehört etwa eine Reform des Vergaberechts.

Die Ampel-Koalition hat einen umfassenden Bürokratieabbau versprochen, doch im betrieblichen Alltag ist davon kaum zu sehen. Die Wirtschaft stöhnt unter den Regulierungen und Dokumentationspflichten. Nun will das Wirtschaftsministerium neue Wege gehen und 140 Informationspflichten streichen, wie der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner im Interview erklärt.

Herr Kellner, die Koalition plant das vierte Bürokratieabbaugesetz, die Wirtschaft stöhnt trotzdem wie nie zuvor. Warum funktioniert es bisher nicht?

Wir haben in den letzten Jahren vor allem auf den Normenkontrollrat gesetzt, darauf, dass die Bürokratiekosten-Bremse „One-in, one-out“ ihre Wirkung entfaltet und dass ein Bürokratieentlastungsgesetz pro Legislaturperiode die Wirtschaft befriedigen wird.

Das hat wenig geklappt.

Bürokratieabbau geht nicht par ordre du mufti. Wir denken hier neu. Das Problem ist das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Regelungen auf verschiedenen Ebenen. Das gilt es erst einmal zu entwirren. Hierfür brauchen wir den Austausch mit den Branchen und den Behörden auf Landes- und Kommunalebene, in dem die tatsächlichen Hemm- und Hindernisse – all das, was die Menschen im Arbeitsleben unnötig aufreibt, klar benannt werden: Wo gibt es Doppel-Regelungen, welche sind unnötig geworden? Was behindert Bauplanungen, neue Jobs, Kreativität oder eben die Nachfolgeregelung in Unternehmen? Das müssen wir mit den Menschen vor Ort klären. Deshalb gehen wir mit den Praxischecks jetzt einen anderen Weg und spielen konkrete Fälle für Unternehmen verschiedener Branchen vor Ort durch. Anhand von Praxischecks bauen wir Vorschriften ab oder vereinfachen deren Umsetzung. So entwirren wir ganze Themenkomplexe.

Nennen Sie mal ein Beispiel.

Ein Unternehmen oder ein Privathaushalt möchten auf ihrem Dach eine Photovoltaik-Anlage installieren. Hier schauen wir uns systematisch an, wie die vielen Vorschriften zusammenspielen und wodurch letztlich die Umsetzung verlangsamt oder sogar unmöglich wird. So haben wir in unserem ersten Praxischeck „Errichtung und Betrieb von PV-Anlagen im Einzelhandel“ über 50 Hindernisse identifiziert, die einem beschleunigten PV-Ausbau entgegenstehen. Zu diesem Ergebnis wären wir nicht gekommen, hätten wir uns – wie bisher üblich – vor allem auf den Erfüllungsaufwand einzelner Paragrafen konzentriert. Das ist zwar wichtig, reicht aber nicht für spürbare Entlastungen, wie die Ergebnisse des Praxischecks zeigen. Im Ergebnis finden sich jetzt im Solarpaket und anderen Gesetzgebungspaketen Maßnahmen, mit denen wir die im Praxischeck identifizierten Hemmnisse aus dem Weg räumen. So geht Bürokratieabbau, der sowohl von Unternehmen als auch Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird und ohne diese Vereinfachungen hätten wir sicher nicht einen solchen Boom bei Solaranlagen im letzten Jahr erreicht.

Im Solarbereich hat der Bund etwas getan. Aber wie lassen sich die unterschiedlichen Ebenen einbinden?

Unsere Praxischecks stoßen auf großes Interesse bei einer Reihe von Bundesländern. Mit Baden-Württemberg haben wir jüngst ein Projekt zur Genehmigung von Windenergieanlagen abgeschlossen. Im Ergebnis haben wir gemeinsam 34 Maßnahmen erarbeitet, die Bund, Land, aber auch die Kommunalebene umsetzen können, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen. Das Besondere an diesem Projekt: wir haben aktiv die Mitarbeitenden der Landratsämter gefragt, wo der Schuh drückt. Das haben wir bisher viel zu selten getan.

Praxischecks klingen nach mühseliger und fallspezifischer Detailarbeit.

Ja, so ist es. Und der Aufwand lohnt sich. Der aktuelle Solarboom zeigt das. Hier helfen die einfacheren Regeln. Noch zwei Beispiele: Wer eine Balkon-PV-Anlage hat, muss sich nicht mehr beim Netzbetreiber anmelden, die Weitergabe von PV-Strom in Mietshäusern ist jetzt deutlich leichter. Also leiern wir nun weitere Praxischecks an, etwa zu Unternehmensgründungen, zum Beauftragtenwesen und zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Darüber hinaus haben wir systematisch alle Informationspflichten im BMWK durchforstet. Wir wollen, wenn möglich, 140 Pflichten streichen. Jede gestrichene, jede vereinfachte Berichtspflicht hilft den Unternehmen konkret. So was müssen die anderen Häuser jetzt auch tun. Wir haben im Bundesrecht über 10.000 Pflichten. Und die meisten liegen nicht im BMWK, sondern im Bundesfinanz- und -justizministerium.

Die Wirtschaft hatte der Regierung doch 470 Vorschläge zu Maßnahmen genannt, die abgeschafft werden könnten. Die Koalition nimmt jetzt rund 60 in Angriff. Das klingt nicht ambitioniert?

Das ist unbefriedigend, ja. Bürokratieabbau ist mühsam und kleinteilig. Ich kann die Kritik der Unternehmen verstehen. Um die Wirtschaft stärker zu entlasten, sind weitere Maßnahmen erforderlich. Wir haben konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, die noch in den Referentenentwurf zum BEG IV aufgenommen werden könnten. Dazu zählen die weitere Verkürzung der handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen auf fünf Jahre, die Einführung einer Bagatellgrenze bei der Belegausgabepflicht, die Zulassung der Textform zum Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen oder auch die Streichung notarieller Beurkundungspflichten, z.B. bei Veräußerung und Übertragung von Gesellschaftsanteilen. Da müssen wir jetzt ran.

Wir brauchen eine andere Auseinandersetzung mit den vielen Vorschlägen der Verbände. So hat uns bspw. das Handwerk 44 Vorschläge vorgelegt. Wir werden deshalb Anfang März das Handwerk und die zuständigen Ministerien (insgesamt neun!) an einen Tisch bringen, und die Probleme zu besprechen und die Vorschläge möglichst noch im BEG umzusetzen. Außerdem arbeiten wir an einer Reform des Vergaberechts, da entschlacken wir Vorgaben. Wir nehmen nun das Basisregister für Unternehmen in Betrieb, das allen Behörden zugänglich sein soll und die Unternehmen dann nicht ständig die gleichen Daten an unterschiedlichen Stellen eingeben müssen. Außerdem gehen wir Verfahrensbeschleunigungen bei der Exportkontrolle und im Außenwirtschaftsrecht an. Zudem konzentrieren wir uns darauf, Planungs- und Genehmigungsverfahren zum Aufbau von Wind- und Solarkraft, bei den Stromnetzen und beim Wasserstoffkernnetz zu vereinfachen. Hier sind wir schon weit gekommen. Die Ausbauzahlen und der Zubau der Stromnetze nehmen deutlich an Fahrt auf. Gerade bereiten wir auch einfachere Regeln für die Geothermie vor. Hier ist die letzten Jahre einfach gar nichts passiert.

Sind das nicht vor allem grüne Vorgaben und Regulierungen, etwa beim Datenschutz oder Umweltrecht, die zu Bürokratie führen?

Unser Ziel lautet: praxis- und vollzugstaugliche Gesetze. Ich habe doch auch keine Lust Regeln schön zu reden, die ich selber nicht nachvollziehen kann. Als Mittelstandsbeauftragter begegnen mir ständig solche Vorschriften. Wo eine Regelung übertrieben oder zu komplex wird, haken wir nach und korrigieren. Gerade das Bundeswirtschaftsministerium hat in den letzten beiden Jahren enorm dazu gelernt. Die Praxischecks zeigen es: wir stellen den Bürokratieabbau vom Kopf auf die Füße. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Wirtschaft macht es sich manchmal selbst sehr schwer, mit eigenen Verbandsnormen und dem Wunsch nach kleinteiligen Ausnahmen zum Beispiel. Das aktuelle Bürokratie-Dickicht ist nicht zuletzt ein Ergebnis zu vieler Lobbyinteressen.

Was meinen Sie damit?

Im Solarpaket ging es an einer Stelle um besonders große Solaranlagen, die zweimal zertifiziert werden. Wir haben Tage gebraucht, um herauszufinden, warum. Es war am Ende ein Normungsausschuss der deutschen Industrie, der die Vorgabe eingebracht hatte. Ich erlebe viele Gespräche mit Wirtschaftsvertretern, in denen ich aufgefordert werde, Bürokratie abzubauen, aber zugleich soll ich für diese oder jene Branche spezielle Regelungen finden. Da muss sich jeder auch mal an die eigene Nase fassen. Was die Grünen betrifft: Bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren haben wir sehr pragmatisch agiert.

Ist ihre Initiative Konsens in der Koalition?

Ich rechne damit, dass die Methode auch in anderen Ministerien Schule macht. Nicht nur im Bund, sondern auch auf Landesebene. Die Methode der Praxischecks funktioniert, das spricht sich rum. Als Nächstes wird das Bundeslandwirtschaftsministerium einen Praxischeck machen. Hier werden die Vorgaben im Lebensmitteleinzelhandel im Fokus stehen - auch ein Ergebnis der Bauernproteste. Wir sollten uns also weniger öffentliche Briefe schreiben und endlich die Probleme lösen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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