Sie kritisieren die Kindergrundsicherung in ihrer geplanten Form als möglichen „Scherbenhaufen mit Ansage“. Das haben Sie kürzlich an Olaf Scholz geschrieben – kam schon eine Antwort?
Nein. Wir werden sehen, ob ich überhaupt eine erhalte.
Sie haben sich zum Thema schon im Juni und November an die Bundesregierung gewandt. Gab es da eine Reaktion von Lisa Paus oder Hubertus Heil?
Nein, das ist auch keine Seltenheit. Es gab aber schon Ausnahmen, da hatten wir dann auf Staatssekretärsebene Kontakt.
Zuletzt sorgten vor allem die geplanten 5000 neuen Stellen für den „Familienservice“ für Streit. Damit es weniger werden, könnten Jobcenter-Mitarbeiter dorthin wechseln. Wäre das ein guter Kompromiss?
Nein. Wir fürchten aber, dass die Politik das trotzdem tut, obwohl die Jobcenter am Ende wahrscheinlich nicht weniger Arbeit haben werden. Viele Kolleginnen und Kollegen sind jetzt schon ausgebrannt. Ich sorge mich eh, dass sich viele unserer Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter auf Stellen im Familienservice bewerben werden, weil sie denken, dass man da eine ruhigere Kugel schieben kann. Aber auch wenn sie im Jobcenter bleiben wollen, können sie gegen ihren Willen abgezogen werden.
Wie das?
Die Beschäftigten sind wie gesagt de facto Leiharbeiter. Die Träger haben jederzeit die Möglichkeit, die Zuweisung von Personal in die gemeinsamen Einrichtungen, also die von Kommune und Arbeitsagentur organisierten Jobcentern zu beenden.
Aber dann fehlen doch Leute bei Ihnen?
Ja. Man hat als Jobcenter in so einem Fall eine Frist von drei Monaten, um sich damit abzufinden – und die Stelle neu auszuschreiben. Ob man jemanden findet, ist dann die andere Frage.
Stimmt es, dass es bei Ihnen Beschäftigte gibt, die selbst auf Bürgergeld angewiesen sind?
Früher gab es das insbesondere in Regionen mit hohen Unterkunftskosten tatsächlich. Dies betraf zum Beispiel Team- und Fachassistentinnen, die in der Poststelle, im Empfangsbereich oder im Backoffice der Leistungsgewährung arbeiten. In München gab es das etwa öfter, dass die Mitarbeiter dann gegenseitig ihre eigenen Fälle bearbeitet haben. Seit der Novellierung des Kinderzuschlags und des Wohngelds dürfte dies jedoch heute eine Ausnahme sein.
Wird das Jobcenter-Personal von der Politik genug gehört?
Als Personalräte haben wir uns inzwischen ein gewisses Standing verschafft. Mit dem BMAS, den kommunalen Spitzenverbänden – insbesondere dem Landkreistag – und den Fachpolitikern der Fraktion sind wir im regelmäßigen Austausch. Das fachliche Verständnis für unsere Arbeit und die rechtlichen Rahmenbedingungen ist aber durchaus ausbaufähig.
Was meinen Sie damit?
Es gibt rund 100 Jobcenter in kommunaler Trägerschaft und rund 300 in gemeinsamer Trägerschaft von den Agenturen für Arbeit und den Kommunen. Das ist organisatorisch alles nicht so ganz einfach und war ein politischer Kompromiss, für den das Grundgesetz geändert werden musste. Ich vertrete nur die Personalräte der gemeinsamen Einrichtungen, kurz gE. Mit denen ist niemand so ganz glücklich, wir sitzen da generell so ein bisschen zwischen allen Stühlen.
Warum?
Die gE haben kein eigenes Personal, sondern bekommen es von den Arbeitsagenturen und Kommunen zugewiesen. Die Beschäftigten sind gewissermaßen also Leiharbeiter von unterschiedlichen Stellen. Dadurch gelten unterschiedliche Tarifverträge, was dazu führt, dass die einen zum Teil 800 Euro mehr im Monat bekommen – für genau die gleiche Tätigkeit.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht verändern?
Wir als Personalräte haben schon vor fünf Jahren ein Papier über „Die Jobcenter der Zukunft“ veröffentlicht: Sie sollten eigene Bundesbehörden unter der direkten Aufsicht des BMAS sein, mit eigenem Tarifvertrag. Sie wären dann nicht mehr an unterschiedliche Weisungen von Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit gebunden, das würde vieles einfacher machen.
Was sind das für unterschiedliche Weisungen?
Das Zweite Sozialgesetzbuch, das SGB II, regelt, dass die Träger das Letztentscheidungsrecht über die Leistungen haben, für die sie zuständig sind. Danach müssen sich alle Jobcenter richten. Die Kommunen sind zum Beispiel für die Kosten der Unterkunft und das Bildungs- und Teilhabepaket zuständig. Die BA wiederum ist zuständig für die Regel- und mögliche Mehrbedarfe im Bürgergeld sowie für die Integrationsarbeit, also die Eingliederung in Arbeit.
Wie sieht der Alltag im Jobcenter aus? Man hört von Überlastung, Software-Problemen und häufigen Änderungen der Vorgaben.
Wir sind sowohl personell als auch finanziell unterausgestattet. Und das hat sich in der jüngeren Vergangenheit extrem verschärft. Es macht sich Resignation breit, die Beschäftigten kommen bei all den Anforderungen nicht mehr hinterher.
Warum reicht das Budget nicht?
2022 hatten wir Ausgaben von knapp 10 Milliarden Euro, für 2024 sind nur 550 Millionen Euro mehr veranschlagt. Und das vor dem Hintergrund von gestiegenen Preisen und Fallzahlen sowie der Einführung des Bürgergelds mit einem erweiterten Instrumentenkasten, Stichwort mehr Qualifizierung. Dazu kommt jetzt auch noch der „Jobturbo“, der eingeführt wurde, um Flüchtlinge schneller in Arbeit zu bringen.
Wie wirkt sich der aus?
Wir sollen die Leute aus den neun Hauptherkunftsländern nach Abschluss ihres Integrationskurses alle sechs Wochen zum Gespräch einladen. Dafür haben wir aber keinerlei weiteres Personal bekommen. Darunter leidet also die Beratung der anderen Leistungsberechtigten. Dazu kommt ein ausuferndes Qualitätsmanagement mit vielen Datenabfragen und Auswertungen.
Das heißt?
Manchmal entsteht der Eindruck, dass das Befüttern der IT mit Statistik wichtiger ist als unser eigentlicher Job, die Arbeitsmarktintegration. Das mit dem überbordenden Controlling kennen wir aus der Vergangenheit schon, das wollte die BA eigentlich auch ändern. Derzeit läuft es aber wieder in die gegenteilige Richtung.
Es gibt für jedes Jobcenter jährliche Zielvereinbarungen. Laut Koalitionsvertrag soll künftig die „Nachhaltigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt“ ins Zentrum gestellt werden. Eine gute Idee?
Ja, denn bisher geht es nur um die Zahlen. Da steht dann etwa: Das Ziel ist erreicht, wenn die absolute Zahl der Integrationen gegenüber dem Vorjahr gleich bleibt. Das hat schon immer nicht zu unserer Arbeit gepasst, mit der Einführung des Bürgergelds erst recht nicht. Da liegt der Fokus ja auf Aus- und Weiterbildung. Daher reicht es nicht, auf die reine Vermittlung zu schauen.
Haben Sie ein Beispiel?
Um es platt auszudrücken: Übernimmt jemand mit Doktortitel nur eine Helfertätigkeit? Schafft es eine Alleinerziehende mit Suchtproblematik immerhin, einen Abschluss nachzuholen? Das bildet die Integrationsquote nicht ab.
Wann wird sie reformiert?
Mein Eindruck ist, dass da nichts mehr kommen wird. Es sei zu aufwändig, das Ganze qualitativ zu erheben, höre ich. Es gab eine Arbeitsgruppe auf ministerieller Ebene – um die wurde es dann aber irgendwann still.