Interview
Erscheinungsdatum: 12. März 2025

Svenja Schulze: „Man muss aufpassen, dass man nicht zynisch wird"

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) über die weltweiten Folgen nach dem jähen Stopp der US-Hilfszusagen, die Verantwortung Europas und die eigenen Ambitionen in der neuen Regierung

Frau Schulze, die US-Hilfsagentur USAID hat ihre Mittel weitgehend eingefroren und Hilfslieferungen gestoppt. Welche Folgen hat das für die internationale Entwicklungszusammenarbeit?

Das hat drastische Folgen, weil die USA über Jahrzehnte das multilaterale System mit aufgebaut und die Hilfen maßgeblich mitfinanziert haben. Deshalb hat dieser Stopp überall auf der Welt Konsequenzen.

Haben Sie konkrete Beispiele?

Ich war neulich im Flüchtlingscamp Zaatari in Jordanien mit über 200.000 Flüchtlingen, überwiegend aus Syrien. Jordanien hat ein riesiges Wasserproblem, die Reserven schwinden. Jetzt soll eine große Meerwasserentsalzungsanlage gebaut werden, woran die USA beteiligt sind. Wenn nun die Anlage nicht mehr gebaut werden könnte – woher bekommen Jordanien und die Flüchtlinge dann noch Wasser? Oder die Mittel für den Weltbevölkerungsfonds, bei dem es um Geburtenkontrolle und medizinische Versorgung geht: Der Fonds wurde größtenteils von den USA finanziert. Viele Gesundheitsstationen etwa im Tschad, Niger oder im Sudan werden jetzt schließen müssen.

Ist vor allem Afrika betroffen?

Nicht nur, aber in besonderem Maße. Die HIV-Medikamente, die USAID bei amerikanischen Unternehmen gekauft und auf der Welt verteilt hat, gab es vom einen Tag auf den anderen nicht mehr. Das bedeutet Schätzungen zufolge nur für Südafrika und nur durch diese Entscheidung etwa 500.000 Aids-Tote in den nächsten zehn Jahren, wenn kein anderer einspringt. Oder das Flüchtlingscamp Kakuma im Norden Kenias: Dort leben über 200.000 Menschen, die komplett abhängig sind von Hilfe. Jetzt wird die Ernährungslage prekär, weil die Hilfe ausbleibt. In Uganda wurden 370 Millionen US-Dollar gestrichen, so dass Frauen in Krisengebieten keine medizinische Hilfe mehr bekommen. Auch das wird zu höherer Sterblichkeit führen. In Äthiopien waren die Lebensmittel schon geliefert, konnten aber nicht mehr verteilt werden, weil die Mitarbeiter entlassen wurden.

Auch in der Ukraine war USAID einer der größten Geber.

In der Tat. Da haben die USA vor allem das im Winter überlebenswichtige Wärmesystem mitfinanziert. Ohne diese Versorgung kann man auch keine Krankenhäuser und Schulen betreiben. Und dann werden womöglich noch mehr Menschen zur Flucht gezwungen, nicht zuletzt nach Deutschland.

Aus dem UN-Fonds für Klimaschäden wollen sich die USA ebenfalls zurückziehen.

Und aus vielen weiteren Initiativen auch. Es gab in den letzten Wochen zwar auch Lerneffekte wie beim Ebola-Ausbruch in Uganda, wo sie auch schon die Mittel für das Gesundheitssystem gestoppt hatten. Dann haben sie gemerkt, dass Ebola in die USA eingeschleppt werden könnte und haben wieder finanziert. Aber bei den Klimafonds gehen wir davon aus, dass die USA ihre Finanzierung komplett einstellen. Nicht sehr glaubwürdig, nachdem der globale Norden zugesagt hatte, den besonders betroffenen Ländern zu helfen.

100 Milliarden Dollar pro Jahr waren zugesagt.

Richtig – und diese Summe soll weiter steigen, so hat es die letzte Weltklimakonferenz in Baku vereinbart. Da werden die USA zumindest in den nächsten Jahren eine große Lücke reißen. Man muss aufpassen, dass man nicht zynisch wird, wenn man zugleich sieht, dass die Milliardäre dieser Welt immer reicher werden, gerade auch in den USA.

Europa kann nicht einspringen?

Nein, so schnell nicht. Und nicht in dieser Größenordnung. Wir müssen befürchten, dass andere Länder wie China oder Russland in die Lücken springen. Deshalb diskutieren wir in Brüssel gerade intensiv, wo wir einsteigen und Mittel anders konzentrieren können, um den Menschen zu helfen, gleichzeitig aber auch unsere Interessen verfolgen.

Ist sich die EU denn einigermaßen einig?

Beim Treffen der Entwicklungsminister im Februar war die Einigkeit groß. Auch darin, dass wir strategischer hinschauen müssen, wo Lücken entstehen, die dann auch uns betreffen. Wir wissen, dass die nächste Pandemie kommen wird, die Frage ist nur wann. Internationale Zusammenarbeit und der Aufbau von Gesundheitssystem können dann helfen, das Schlimmste zu verhindern. Wenn die Welt aber auf die nächste Pandemie so schlecht vorbereitet ist wie 2020, wird es sehr, sehr teuer – und zwar um Dimensionen teurer als gute Prävention heute kosten würde

Warum kann Europa die Lücke nicht annähernd füllen?

Viele Länder haben mit knappen Haushalten zu kämpfen. Aber Deutschland sollte sich dafür einsetzen, so viele lebensrettende Strukturen wie möglich zu erhalten. Nicht nur aus Solidarität, sondern auch, weil wir ein Interesse an einer stabilen Nachbarschaft haben. Wenn Frauen die Unterstützung verlieren und nicht mehr selbst entscheiden können, wie viele Kinder sie bekommen, dann hat das massive Folgen für Bevölkerungswachstum und Stabilität von Gesellschaften. Sicherheit ist weit mehr als nur Militär und Diplomatie. Auch die Entwicklungspolitik ist ein unverzichtbares Instrument für Sicherheit und Stabilität. Wir brauchen den Dreiklang – sonst gibt es auch keine integrierte Sicherheit.

Hat sich die EU schon auf Maßnahmen verständigt?

Es gibt schon viele gemeinsame Aktivitäten als Team Europe, aber das muss noch mehr werden. Auch unsere Partnerregierungen spielen dabei natürlich eine wichtige Rolle. Europa sollte jetzt mit seinem Nachbarkontinent Afrika gemeinsame Prioritäten definieren und neue Formen der Zusammenarbeit suchen, die das veraltete Geber-Nehmer-Muster hinter sich lassen.

Aber Sie stehen unter ziemlichem Zeitdruck?

Absolut. Es ist auch allen klar, dass wir unsere Hilfe besser koordinieren müssen.

Wie sieht das die EU-Kommission?

Die Kommission sieht auch, dass auf Europa Fragen zukommen, wie wir helfen können, Stabilität in der Welt zu schaffen. Momentan ist das Thema Migration auf europäischer Ebene sehr virulent. Europa wird aber nur dann nachhaltig erfolgreich irreguläre Migration begrenzen können, wenn es auch die Fluchtursachen in seiner Nachbarschaft in den Blick nimmt und etwas dagegen tut. Höhere Zäune allein werden nicht helfen. Die Menschen fliehen doch nicht freiwillig.

Haben Sie auch schon geografische Schwerpunkte definiert, zum Beispiel den Sahel?

Für uns in Deutschland ist der Sahel einer der Schwerpunkte, die Region ist eines der Epizentren des Terrorismus. Dort ist Entwicklungspolitik gefragt, um den Terrorgruppen den Nährboden zu entziehen. Denn wenn Menschen keine Perspektive und kein Einkommen haben, dann können Terrorgruppen sie leichter rekrutieren.

Was heißt das für Deutschland?

Wenn wir für Deutschland mehr Sicherheit wollen, sind wir gut beraten, auch mehr in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Wir wissen aus der Flüchtlingskrise 2015, dass vieles hätte verhindert werden können, wenn man mehr in Prävention investiert hätte, wenn man die Menschen vorher unterstützt hätte. Wir sehen das doch gerade in Syrien: Deutschland ist gut beraten, zu helfen, damit sich das Land stabilisiert. Damit Menschen überhaupt eine Chance haben, zurückzukehren und nicht weiter fliehen müssen.

Die Realität sieht aber anders aus. Auch Ihr Etat wurde zweimal zurückgefahren, und der Haushalt steht ja weiter unter Druck.

Das muss trotzdem nicht richtig sein. Gerade für Syrien haben wir vom Haushaltsausschuss ja zusätzliches Geld bekommen, so dass wir die Klinikpartnerschaften starten können, in Schulen investieren….

Es sind bescheidene Beträge…

Immerhin sind die zusätzlichen Mittel in einem parteiübergreifenden Konsens genehmigt worden. Und das ist erst einmal ein gutes Zeichen.

Syrien ist ein einzelnes Land, betroffen sind ganze Kontinente.

Stimmt. Wir sind aber immer noch einer der weltweit verlässlichsten Geber. Und es wäre absolut sinnvoll, das weiterzuführen. Deutschland hat eben ein besonders starkes Interesse an stabilen internationalen Beziehungen, weil wir ja auch wirtschaftlich sehr stark vom Export abhängen. Jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland hängt daran. Also sind wir gut beraten, Partnerschaften in der Welt aufzubauen, und das tun wir auch. Zum Beispiel in Namibia mit dem Wasserstoff, in Südafrika im Energiebereich. Diese Zusammenarbeit fortzuführen und sogar auszubauen, ist in unserem ureigenen Interesse.

In den Sondierungsverhandlungen spielten Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe überhaupt keine Rolle. Warum nicht?

In den Sondierungsteams wurden ja erst einmal die großen Konfliktlagen diskutiert, aber diese Fragen werden in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen. Ich bin eigentlich ganz froh, dass das nicht eines der großen Streitthemen ist, die vor die Klammer gezogen werden mussten.

An welcher Stelle werden Sie sich einbringen?

Ich werde die Verhandlungsgruppe für die SPD leiten, die Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik mit der Union bespricht. Das ist genau der richtige Ansatz für integrierte Sicherheit. Ich wünsche mir, dass die künftige Bundesregierung zu einem guten Zusammenspiel aller Instrumente findet: Dass wir schnell und nachhaltig verteidigungsfähig werden. Dass es endlich wieder mehr um Diplomatie geht. Und dass wir unsere Partnerschaften mit den Ländern des globalen Südens pflegen und ausbauen können. Denn die Verbindungen mit der Welt machen Deutschland stärker. Womöglich waren wir nie stärker als jetzt auf vielfältige Partnerschaften in der Welt angewiesen.

Welche Bilanz ziehen Sie für sich nach drei Jahren im BMZ?

Der Beginn war sehr davon geprägt, die Folgen von Corona abzufedern. Wir haben uns in Deutschland ja relativ schnell davon erholt, das ist in den Ländern des Südens weitaus schwieriger. Die haben viel mehr damit zu kämpfen, was in der Coronazeit kaputt gegangen ist: Kinder, die nicht in die Schule gehen konnten, soziale Folgen, wirtschaftliche Folgen. Da hat es in vielen Ländern, mit denen wir auf einem guten Weg waren, ziemliche Rückschläge gegeben.

Auch die Globalen Entwicklungsziele sind ja nicht näher gerückt.

Wenn wir die Ziele für 2030, die wir uns gegeben haben, noch erreichen wollen, muss es eine rasante Aufholjagd geben. Entwicklungspolitisch haben wir einige Weichen dafür stellen können: Zum Beispiel mit der HSC, der Hamburger Nachhaltigkeitskonferenz, die ganz konkret und zusammen mit der Wirtschaft in die Umsetzung geht. Oder der Umbau der Weltbank: Mehr Einfluss darauf zu nehmen, wie die großen Finanzströme der Welt für nachhaltige Entwicklung genutzt werden können. Da ist bei der Weltbank viel gelungen, was wir im nächsten Schritt auf weitere Entwicklungsbanken übertragen können. Mit politischem Engagement und dem Blick für Strukturen kann man so einiges mehr aus dem vorhandenen Geld machen.

Der Klimabereich kommt in Ihrer Aufzählung nicht vor.

Klima und andere globale Herausforderungen waren der Kernbestandteil der von mir angestoßenen Weltbankreform. Aber auch darüber hinaus haben wir viele konkrete Fortschritte in der Zusammenarbeit mit den Partnern in Afrika, Asien und Lateinamerika erreicht. Viele Entwicklungsländer sind noch stärker als wir vom Klimawandel betroffen, weil sie oft nicht die Möglichkeiten haben, sich anzupassen und die Schäden sozial abzufedern. Wir sehen doch, wie stark sich durch Dürren und Überflutungen der Anbau von Lebensmitteln verändern muss. In Pakistan zum Beispiel folgten auf drei Fluten ein Dürrejahr und dann eine vierte Überschwemmung. Das sind Herausforderungen, die können wir uns kaum vorstellen.

Auf Fluten und Dürren haben wir keinen Einfluss.

Wir können mit konsequentem Klimaschutz verhindern, dass es noch schlimmer wird. Aber darüber hinaus müssen Gesellschaften sich wappnen, mit den Dürren und Fluten umgehen zu können. Da gibt es bereits gute Lösungen, von klimaangepasster Landwirtschaft über Frühwarnsysteme aufs Handy bis zur Versicherung, die einspringt, wenn die Ernte ausfällt. Diese Klimaanpassungsstrategien müssen wir stärken. Denn sonst bleibt den Menschen nur eine letzte Anpassungsstrategie: nämlich, ihre Heimat zu verlassen. Was unbedingt auch zur Bilanz gehört: Es war gut und richtig, Frauen und Mädchen in den Fokus zu nehmen. Denn das tut der Entwicklung ganzer Gesellschaften gut.

Aber dafür gibt es aus den USA jetzt kein Geld mehr.

Stimmt, über gender, inclusion, equality oder diversity darf nach Meinung der neuen US-Regierung nicht mehr gesprochen werden. Es gibt Organisationen, die schon anfangen, ihre Sprache zu verändern. Aber wie sollen UN-Women oder der UN-Bevölkerungsfonds Frauen aus ihren Zielen rausnehmen? Da müssen wir standhaft bleiben für die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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