Interview
Erscheinungsdatum: 29. Mai 2025

Stichwahl in Polen: Auch für Deutschland steht viel auf dem Spiel

2019-11-07_203K
Wer wird neuer polnischer Präsident? Rafał Trzaskowski oder Karol Nawrocki? Kurz vor der Stichwahl am 1. Juli beschreibt Agnieszka Łada-Konefał, stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts, die deutsch-polnischen Beziehungen.

Am 1. Juni sind die Polen aufgerufen, in einer Stichwahl ihren neuen Präsidenten zu bestimmen. Was bedeutet die Wahl für Polen und Deutschland?

Für Polen ist diese Wahl eine Richtungswahl. Es geht um die Frage: Wird das Land in Zukunft europäisch progressiv sein, offen für Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern, darunter auch Deutschland, oder eher EU-Initiativen blockieren? Wenn der rechtspopulistische Karol Nawrocki von der PiS gewinnt, dann erlebt Polen – wie aktuell – eine Kohabitation. Das heißt, die Regierung und der Präsident kommen aus verschiedenen Lagern und der Präsident wird vermutlich Reformen der Regierung blockieren. Für Deutschland ist es von Interesse, dass Polen, ein wichtiges und großes Nachbarland, nicht im Chaos versinkt.

Ein Sieg des liberalen Kandidaten Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform PO wäre also eher im Interesse der Bundesrepublik?

Rafał Trzaskowski hat sich bereit erklärt, mit Deutschland konstruktiv zusammenzuarbeiten, das heißt nicht unbedingt spannungsfrei, aber in einer guten, offenen Atmosphäre. Nawrocki hingegen hat im Wahlkampf betont, dass man den Deutschen nicht trauen darf und er für Reparationszahlungen kämpfen will. Er hat explizit das Wort „kämpfen“ benutzt. Außerdem will Nawrocki die Unterstützung für die Ukraine reduzieren. Zu einem verlässlichen Partner für Deutschland macht ihn das nicht.

Aber die aktuellen Probleme zwischen den beiden Ländern werden bleiben, egal wer Präsident wird?

Inhaltlich gibt es zwischen Deutschland und Polen Meinungsverschiedenheiten. Das betrifft vor allem die Migrationspolitik, die Grenzkontrollen und die Zurückweisungen von Deutschland nach Polen. Damit sind die Polen nicht einverstanden. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Es ist zu erwarten, dass ein Präsident aus dem PiS-Lager diese Meinungsverschiedenheiten rhetorisch hochschaukeln wird. Trzaskowski hingegen wird nach einer inhaltlichen Lösung suchen.

Führt ein Sieg Nawrockis gewissermaßen zur Fortsetzung der Präsidentschaft von Andrzej Duda?

Andrzej Duda war in der Beziehung zu Deutschland nicht immer stabil. Zum einen äußerte er sich sehr kritisch gegenüber Deutschland, selbst als er gerade zu Besuch in Berlin war. Andererseits hat er nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 gezeigt, dass er mit der Bundesrepublik in einigen Bereichen zusammenarbeiten will. Duda kann man zwar nicht gerade als einen Motor der deutsch-polnischen Beziehungen bezeichnen, aber er war Politiker. Anders als Nawrocki. Der ist Wissenschaftler, der zwei Führungspositionen in historischen Einrichtungen hatte. Ihm fehlt jegliche politische Erfahrung. Es ist unklar, wer ihn beraten wird. Im Wahlkampf äußerte er sich scharf gegenüber Deutschland.

Was erwarten die Polen von dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz?

Die Hoffnungen sind groß, dass sich die Beziehungen verbessern – persönlich und inhaltlich. Friedrich Merz und Donald Tusk kennen sich, sie kommen aus derselben europäischen Parteienfamilie und so sind die Hoffnungen groß, dass sich die Kommunikation verbessert und die beiden einfach zum Telefon greifen, wenn Probleme gelöst werden müssen.

Und thematisch?

Zum einen geht es um Sicherheit. Die Polen wollen, dass beide Länder militärisch enger zusammenarbeiten, im Rahmen der EU gemeinsame Einkäufe planen und Munitionsfabriken eröffnen, um so eine glaubhafte Abschreckung gegenüber Russland zu schaffen. Außerdem sollen die Deutschen helfen, die Sicherheit an der polnischen Ostgrenze zu stärken. Über diese Grenze kommen die Migranten, die nach Deutschland weiterziehen und an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden. Sicherheit an der polnischen Ostgrenze ist also auch für Deutschland ein Vorteil. Zum anderen geht es um die Erinnerungskultur. Die Polen erwarten eine klare Geste, dass man die Millionen polnischen Opfer aus dem Zweiten Weltkrieg nicht vergessen hat. Die Tusk-Regierung spricht nicht von Reparationszahlungen, sondern von Entschädigungen oder Wiedergutmachung für die noch lebenden Opfer. Außerdem wünscht man sich ein Zeichen, dass sich die Deutschen mit ihrer Geschichte auseinandersetzen in Form eines Deutsch-Polnischen Hauses oder eines Begegnungs- oder Gedenkortes.

Anfang Mai besuchte Bundeskanzler Merz Warschau. War das aus polnischer Sicht ein guter Anfang?

Ja, das spürte man während der Pressekonferenz, die lange dauerte. Man merkte, dass sich Tusk und Merz gut verstehen und Probleme inhaltlich lösen wollen. Anders als in den deutschen Medien berichtet, sah ich keine scharfe Auseinandersetzung, sondern eine positive Dynamik. Jedenfalls war es kein Monolog, wie so oft zuvor. Und Merz hat mit seinem Hinweis auf einen Gedenkort für die polnischen Opfer in Berlin, gezeigt, dass er weiß, was für die polnische Seite wichtig ist.

Das klappte mit Ex-Kanzler Olaf Scholz nicht so gut. Wo lagen die Schwierigkeiten?

Es gab Unterschiede in der Kommunikationsform und dem Wesen der beiden. Der dynamische, offene und emotionale Tusk passt einfach von der Kommunikationsart nicht zu dem sehr zurückhaltenden Scholz. Und auch die Parteizugehörigkeit – hier ein Sozialdemokrat, dort ein Mitglied der europäischen Volkspartei – sorgte für Differenzen. Aber ich denke, viel wichtiger waren die polnischen Erwartungen, die Deutschland enttäuscht hat. Tusk hat auf deutsche Unterstützung bei der Sicherheit gehofft. Doch während des EU-Gipfels im Sommer 2024 hatte sich Scholz schnell, scharf und deutlich dagegen ausgesprochen. Da war Tusk persönlich verletzt. Während der darauffolgenden Regierungskonsultationen war das Vertrauen verloren und Deutschland hat in puncto Sicherheit oder Entschädigung aus der polnischen Perspektive zu wenig angeboten. Die deutschen Eliten, die sich so riesig gefreut haben nach dem Regierungswechsel in Polen 2023, haben nichtverstanden, dass man Polen heute anders als vor Jahren wahrnehmen soll – als einen Partner, der offen ist, aber auch Erwartungen hat.

Frau Łada-Konefał, Sie beschäftigen sich schon viele Jahre mit den deutsch-polnischen Beziehungen. Warum sind die so schwierig?

Für die Polen spielt die Geschichte immer noch eine Rolle. Viele Polen haben unter der deutschen Herrschaft gelitten, sind im Zweiten Weltkrieg gestorben oder ermordet worden. Das deutsch-polnische Barometer, also die repräsentative Umfrage, wie die Polen und die Deutschen sich wahrnehmen, zeigt, dass jede fünfte polnische Assoziation mit Deutschland mit dem Krieg verbunden ist. Das heißt, viele Polen sehen Deutschland durch diese historische Brille. Und deshalb ist es für Polen wichtig, dass die Deutschen Bewusstsein dafür zeigen, was Deutschland Polen angetan hat. Innerhalb Polens ist es einfach, mit diesen Emotionen zu spielen. Die Populisten nutzen das, um Schwarz-Weiß-Bilder zu malen. Die Deutschen waren mal für Polen böse, man kann ihnen nicht vertrauen. So wird jede Geste aus Deutschland, die in dieses Muster passt, von Populisten ausgenutzt, um negative Emotionen zu erzeugen. Und das verdirbt die Atmosphäre in den Beziehungen.

Vor dem Ukraine-Krieg gab es auch Ärger wegen der deutschen Energie-Politik – besonders wegen Nord Stream 2. Sind diese Probleme nach dem Ende der deutschen Abhängigkeit von russischem Gas vom Tisch?

Polen hat lange Jahre vor der Abhängigkeit Europas von russischem Gas gewarnt. Gleichzeitig hat Deutschland die Pipelines gebaut. Das war für die Polen ein Beweis, dass man ihnen nicht zuhört. Deutschland hat damals egoistisch beschlossen, ohne Rücksicht auf die Interessen der mittelosteuropäischen Länder mit Russland zusammenzuarbeiten. Heute ist die Sorge in Polen groß, dass es bald zu einer Wiederbelebung der Beziehungen mit Russland kommt – back to business as usual. Das thematisieren nicht nur Rechtspopulisten, sondern auch progressive Stimmen in Polen. Und in Deutschland hört man doch immer wieder Äußerungen über den Wunsch nach einer Verbesserung der Beziehungen zu Russland. Solche Aussagen sorgen in Polen für große Besorgnis. Auch hier kehren die schlechten Erfahrungen der Vergangenheit – sprich: der Hitler-Stalin-Pakt – in die Köpfe zurück. Es besteht Misstrauen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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