Interview
Erscheinungsdatum: 24. April 2024

Steinmeiers Döner-Aktion: „Wer sie nicht versteht, will sie vielleicht nicht verstehen“

Mit seinem 60 Kilo schweren Dönerspieß, den er mit in die Türkei genommen hat, hat Frank-Walter Steinmeier viel Spott auf sich gezogen. Im Interview erwidert Eberhard Seidel, Autor einer türkisch-deutschen Kulturgeschichte des Döners, die Kritik.

Die Geschichte mit dem Döner hat für große Aufregung gesorgt. Hat der Bundespräsident die Sache falsch eingeschätzt?

Dass der Döner ein Aufregerthema wird, war absehbar. Der Döner weckt Emotionen und Assoziationen der unterschiedlichsten Art. Ich denke, das war dem Bundespräsidialamt durchaus bewusst.

Sie haben dem Präsidenten vor der Reise zugeraten. Warum?

Weil der Döner, die Dönerunternehmer und die Branche sichtbarer Ausdruck sind, wie sich die deutsche Gesellschaft verändert hat. Bislang waren deutsch-türkische Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler, und Unternehmer Teil der deutsch-türkischen Diplomatie, nicht aber jene, die mit schweißtreibender Arbeit am Dönergrill das Land verändert haben.

Wofür steht der Döner?

Für mich ist der German Döner, sein gesellschaftspolitischer Stellenwert, die Tatsache, dass er das neue deutsche Nationalgericht ist, Ausdruck, dass durch die Einwanderung aus der Türkei ein neues Deutschland entstanden ist. Eines, das nicht nur die Biografien der Eingewanderten verändert hat, sondern auch die von uns Deutschen. Die Erfolgsgeschichte des Döners zeigt, dass die Integration der Deutschen in die Migrationsgesellschaft trotz Rassismus et al. gelungen ist, auch wenn die AfD das Rad gerne zurückdrehen möchte. Der Döner hat zur Integration der Eingewanderten, vor allem aber der Alteingesessenen, beigetragen.

Ein zentraler Vorwurf unter Deutsch-Türken lautet, Steinmeier reduziere sie auf einen Imbiss. Hätte man das verhindern können?

Das hätte man. Die Döner-Geschichte kam offensichtlich bei vielen Journalisten verkürzt als zwiespältiger PR-Gag an und nicht als Zeichen, wofür der German Döner steht. Nämlich als eine Geschichte der Emanzipation, der Selbstermächtigung einer gesellschaftlich und politisch an den Rand gedrängten Gruppe. Die – wegen Rassismus, Rückkehrpolitik und Arbeitslosigkeit der 70er und 80er Jahre – mit dem Rücken zur Wand etwas aus der Türkei aufgreift, nämlich den Döner. Ihn im Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft etwas weiter entwickelt und ihn zum beliebtesten Fastfood macht. Der Döner steht damit auch dafür, was die Migration mit den Deutschen gemacht hat. Das ist ein Aspekt, der häufig zu wenig beachtet wird. Und schließlich wurde dieser German Döner zur weltweiten Erfolgsgeschichte. In diesem Sinne war der Döner im Gepäck Steinmeiers eine Anerkennung der Lebensleistung der ersten Generation, die im Mittelpunkt der Reise stehen solle. Das drang leider in der Berichterstattung nur selten durch.

Andere sagen, die Aufregung zeige, wie viel bei der Integration schiefgelaufen sei. Sehen Sie das auch so?

Nein. Die Aufregung zeigt zum einen, dass die Vermittlung der Botschaft nicht ganz gelungen ist. Und sie sagt zum anderen, dass es noch ein starkes rechtes Lager gibt, das am Rad dreht, wenn Steinmeier den Döner ganz richtig als neues deutsches Nationalgericht bezeichnet.

Wenn ja: Bei wem ist da eigentlich was schiefgelaufen?

Wer den Charakter der Döner-Aktion nicht versteht, will sie vielleicht nicht verstehen. Und da gibt es sicherlich sehr viele, mitunter sehr unlautere Motive.

Welche?

Es gibt ja auch in deutschen und türkischen Kreisen eine elitäre Haltung, die den Döner immer noch als eine Sache in der Schmuddelecke sieht. Das ist Ausdruck von Klassismus einer selbsternannten Elite. Mit dem Verlauf der Migration ändert sich vieles. Und wenn der Döner jetzt Teil der Diplomatie ist, dann ist auch das ein emanzipatorischer Schritt, der althergebrachte Kleiderordnungen infrage stellt.

Der Bundespräsident hat auch Filmemacher, Schriftsteller und Politikerinnen mit deutsch-türkischen Wurzeln mitgenommen. Wie ist die Kritik da wahrgenommen worden?

In dieser Gruppe wurde die Döner-Aktion sehr positiv aufgenommen und die Kritik mit Unverständnis.

Es ist gut möglich, dass das Döner-Bild die Rezeption dieser Reise dominieren wird. Ist das gut oder schlecht?

Ich finde das gut. Wenn jemand meint, der Döner hätte zu viel Aufmerksamkeit erhalten, soll er eben über das diskutieren, was er für wichtiger hält.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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