Interview
Erscheinungsdatum: 10. Februar 2025

Silke Borgstedt: „Es herrscht das Gefühl vor, der Kanzler hat uns hängen lassen"

Gesellschaftsforscherin Silke Borgstedt über die Hoffnungslosigkeit jüngerer Generationen, vermeintliche politische Tabuthemen und warum auch die gesellschaftliche Mitte anfällig wird für rechtsextremes Gedankengut

Frau Borgstedt, es gab vor knapp zwei Wochen zum ersten Mal einen gemeinsamen Antrag von Union und AfD. Hat das der Union nicht geschadet?

Es scheint tatsächlich so. Grundsätzlich ist die Bevölkerung stark verunsichert. Wir haben zwar weiterhin stabile Parteipräferenzen in den jeweiligen Milieus. Ein großer Teil hat aber den Eindruck, in den letzten Jahren zu stark in den Maschinenraum des Politbetriebes hineingezogen worden zu sein. Gerade auch in der Mitte der Bevölkerung sagen viele Menschen von sich, ich interessiere mich doch gar nicht so für Politik. Vor vier Jahren hat man sich vielleicht noch ein bisschen als Hobbyvirologe eingearbeitet. Militärexperte war man dann schon ein bisschen weniger gern.…

Und die Ampelkonflikte haben die Menschen vollends erschöpft?

In die Binnenkonflikte der Ampel hineingezogen zu werden, bis jetzt zu einer gemeinsamen Union-AfD-Abstimmung – das überfordert die Leute in der Mitte. Das haben sie schon vorher nur schwer verstanden und gefragt: Hä, wieso dürfen bestimmte Themen nicht aufs Tableau, nur weil dabei Mehrheiten herauskommen könnten, die wir nicht gutheißen? Werden bestimmte Themen nun gar nicht mehr bearbeitet? Die Tabuisierung des Vorgangs hat sicher in verunsicherten Gruppen eher zu einem „Jetzt erst recht“-Denken geführt.

Das heißt, die Angst vor Rechtsextremismus oder vor jemandem wie Björn Höcke ist nicht dominant in dieser Auseinandersetzung?

Die ist stark vorhanden in den Leitmilieus, das heißt den ressourcenstärkeren Gruppen bezogen auf Einkommen und Bildung. Und auch in den progressiven Milieus, die sagen, wir brauchen gesellschaftlichen Wandel, wir müssen uns in irgendeiner Form in Richtung Nachhaltigkeit und Diversität bewegen.

Also in den eher politisierten Milieus?

Genau. Diese und die politikaffinen Gruppen können sich da sehr klar abgrenzen. Aber in den ressourcenschwachen Gruppen und eben seit einiger Zeit auch immer mehr in die Mitte hinein sehen wir, dass diese Abgrenzung in Teilen schwerfällt. Auch weil sich ein grundsätzliches Misstrauen in staatliches Handeln breitgemacht hat.

Warum gibt es so viele Unentschlossene kurz vor der Wahl, angeblich so viele wie nie. Können Sie das bestätigen?

Nicht unbedingt. In unseren Erhebungen sind wir aktuell etwa bei 30 Prozent, sodass jeder Dritte zwei Wochen vorher noch nicht weiß, was er oder sie wählen will. Aber das haben wir häufiger, übrigens auch 2021. Die Unsicherheit ist immer verbunden mit der Frage, welche Koalition kommt potenziell dabei heraus?

Und man weiß es nicht?

Genau. Die Unsicherheit ist aktuell auffallend hoch bei den unter 40-Jährigen, insbesondere bei den unter 30-Jährigen. Da sind wir bei gut 40 Prozent, die noch nicht wissen, wo sie ihr Kreuz machen. In diesen Gruppen ist tatsächlich noch Bewegung. Frauen wissen auch weniger, was sie wählen sollen.

Haben Sie eine Erklärung für die Verunsicherung bei den Jüngeren? Früher waren gerade die jungen Generationen besonders politisiert.

Das sind sie immer noch, aber vielleicht in einer anderen Weise. Das ist nicht mehr so parteienfokussiert. Auch für sie ist die Weltlage nur noch schwer einzuschätzen. Es ist nicht mehr die übliche Orientierung an den Eltern, die man kopiert oder provoziert. Es gibt nicht mehr diese klassisch sozialisierten Zugehörigkeiten, und zugleich entstehen neue Bindungen.

Welche?

Ich teile nicht die These, dass sich Parteiloyalitäten komplett aufgelöst haben. Die gibt es, reduziert zwar, immer noch, und zugleich stellen andere Parteien neue Formen sozialer Bindung zu ihren Wählerinnen und Wählern her, jenseits rationaler Parteiprogrammlogik. Zum Beispiel die AfD: Da sagen die Menschen ganz offen, nein, das Programm hab’ ich nicht gelesen, aber die sehen meine Sorgen. Die Sorgen werden bespielt, und oft haben sie ja auch einen berechtigten Kern, der von den anderen Parteien einfach nicht konstruktiv aufgegriffen wird.

Die etablierten Parteien haben den Alltag und die täglichen Herausforderungen der Menschen aus dem Blick verloren?

Politik sollte die Sorgen der Menschen immer ernst nehmen. Aktuell sehen wir aber, dass es oft nicht um Lösungen, sondern eher um ein Instrumentalisieren der Sorgen geht. Die einen sagen, es läuft alles in die falsche Richtung. Die anderen sagen, du bildest dir doch nur ein, dass wir ein Problem mit Migration haben. Die ganze Debatte ist für die Menschen sehr stark polarisiert, übrigens auch in den Medien. Das Thema wird ja auch dort selten aufgelöst. Die Menschen können sehr wohl zwischen Schutz im Rahmen des Asylrechts und Arbeitsmigration unterscheiden. Und sie sehen durchaus, was wir uns als wohlhabendes Land leisten können und müssen.

Jenseits von Ereignissen wie Aschaffenburg oder Magdeburg: Ist es wirklich das Migrationsthema, das zu Frust führt? Oder sind es nicht eher die täglichen Herausforderungen – die Kita ist geschlossen, der Bus fährt nicht, ich finde keinen Arzt?

Das kann man klar priorisieren. Natürlich gibt es milieuspezifische Sorgen, aber im Vordergrund steht die Verteuerung des eigenen Lebens. Die Verknappung von Ressourcen, sei es, weil Infrastrukturen weggefallen sind oder auch die Konkurrenz um Wohnraum: Das Wohnthema steht in allen Untersuchungen ganz weit oben. Die großen Krisen und geopolitischen Konflikte sind nicht weniger relevant, aber sie werden primär als Kostenfaktor für das eigene Leben eingepreist.

Der eigene Geldbeutel ist handlungsleitend?

Alles wird danach durchdekliniert, was das für mich bedeutet. Das führt dazu, dass man sich ganz stark auf ökonomische und soziale Mikrosicherheiten konzentriert. Und dann spielt die Migration da rein, als Ventilthema. Das heißt, wenn sich die Krisen besonders ballen, wird auch das Thema Migration relevanter. Weil es einerseits ein Aufregungscluster ist oder aber scheinbar ein Lösungscluster. Manche versprechen ja, wenn wir das mit der Migration geregelt haben, sind alle eure Sorgen weg. Davon bleibt einfach was hängen.

Der Ausländer als Katalysator – und damit als Prügelknabe?

In einzelnen Milieus, ja. Das Gefährliche ist, dass der Gedanke in Teilen der Mitte zu verfangen beginnt; dass nämlich, wenn wir dieses Problem lösen, die anderen Herausforderungen vermeintlich mit gelöst sind. Ist ja auch ein bisschen bequem so.

Ist es also eher ein gefühltes Problem?

Wenn man dann tiefer einsteigt, sehen wir, dass das eigentlich als genuines Thema im Alltag vor Ort gar nicht wichtig ist. Dann heißt es, das muss in Berlin entschieden werden. Hier bei uns ist das kein Problem – da sind wir eher froh, dass die Ausländer da sind. Natürlich gibt es Regionen, in denen vor Ort massive Ressourcenknappheiten dafür sorgen, dass zu Recht gefordert wird, hier mehr Regelungen umgesetzt zu bekommen. Aber insgesamt betrachten die Menschen das Thema vielfach differenzierter, als es in der Politik verhandelt wird.

Wird das Thema also politisch und medial überhöht?

So gesehen ja. Wichtiger als die Migration ist für die Menschen Klarheit, wie die wirtschaftliche Entwicklung läuft. Und in der Mitte ist zudem der Standortfaktor noch ganz wichtig – und das Ansehen im Ausland. Klingt banal, ist aber wichtig. Die Menschen kamen aus dem Italien-Urlaub zurück und erzählen, wie Angela Merkel oder Deutschland gelobt wurden: Bei euch funktioniert’s doch. Wenn das ausbleibt, und das Image hat natürlich Kratzer bekommen, wächst das Gefühl, dass etwas nicht funktioniert. Dieses positive Feedback fehlt inzwischen – gerade auch in der Mitte der Gesellschaft.

Wie ist es mit dem Thema Sicherheit? Wie sicher oder unsicher fühlen sich die Menschen im Alltag?

Das ist ein wichtiges Thema. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist so groß, dass das nicht nur für ein oder zwei Parteien oder nur im konservativen Bereich eine Rolle spielen sollte. Das war schon vor Aschaffenburg und Magdeburg so. Das sollten alle Parteien ernst nehmen. Wobei Sicherheit sehr unterschiedlich definiert wird.

Es geht um den öffentlichen Raum…..

Die Angst, abends allein durch die Gegend zu gehen, sehen wir eher dort, wo auch eine höhere AfD-Affinität vorherrscht. Das wird dann meist stark befeuert durch lokale Erzählungen. Wenn im Nahbereich etwas erlebt wurde oder verbreitet wird, ist das sofort präsent.

Der Klimawandel ist vollständig von der Tagesordnung verschwunden. Vor drei Jahren hat Fridays for Future Hunderttausende mobilisiert. Wo sind die klimaaffinen Gruppen geblieben?

Die gibt es weiterhin. Aus Sicht der Bevölkerung sollte das eigentlich in allen Parteien Thema sein. Besonders ausgeprägt haben wir es aber im postmateriellen Milieu, wo auch Werte wie Emanzipation, Aufklärung oder Wissenschaftlichkeit eine besondere Rolle spielen. Aber natürlich gibt es auch im konservativ gehobenen Bereich Menschen, denen das wichtig ist. Aber es gibt tatsächlich eine Veränderung gerade in den jüngeren progressiven Milieus. Die sind klimabewusst, sehen das aber auch als Kostenfaktor. Und zugleich schwingt inzwischen Hoffnungslosigkeit mit. Wir kommen in die Gruppen rein – und sehen eine große Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit.

Wie äußert sich das?

Die fragen, was sollen wir da jetzt diskutieren? Wir sagen das doch jetzt seit zehn Jahren. Und es passiert nichts, es geht doch eh nicht weiter.

Ok, das ist die Gruppe, die sich mit dem Thema ohnehin auseinandersetzt. Aber auch in der Gesamtbevölkerung ist das Thema ja weit nach unten gerutscht.

Ja, das war mal anders. Jetzt sagen viele, wir haben erst einmal andere Probleme. Aber vergessen dürfen wir es nicht, das müssen wir auch machen….

Welche Erwartungen haben die Deutschen an politische Führung, insbesondere an einen Kanzler? Man hat das Gefühl, dass Olaf Scholz inzwischen selbst erkannt hat, dass er zu wenig Führung an den Tag gelegt hat.

Ja, auch da hat sich etwas verändert. Vor zehn Jahren ging es bei Kandidaten eher um Fachkompetenz, Sympathie, Rückgrat zeigen, konkrete Lösungsansätze haben. Im Moment ist das Bedürfnis nach Führungsstärke, Durchsetzungsvermögen und klare Kante zeigen extrem wichtig. Übrigens auch in Gruppen, die 2021 eine Ampelpartei gewählt haben. Auch die sagen, wir brauchen irgendeine Form von Wechsel, damit sich das anders wieder zusammenrüttelt. Auch wenn sie vorher nie CDU gewählt haben.

Und da wird Friedrich Merz eine besondere Qualität zugeschrieben?

Wenn es etwas gibt, das man ihm milieuübergreifend zuschreibt, ist es Durchsetzungsstärke. Es ist den Menschen jetzt extrem wichtig, dass etwas voran geht. Und zugleich gibt es einen großen Wunsch nach Konsens und gemeinsamen Visionen. Begleitet von der Hoffnung, dass man sich bei bestimmten Sachthemen irgendwie einigen kann.

Da fällt einem Donald Trump ein, der mit maximal autoritärem Auftreten von Tag eins an Dekrete unterschreibt. Gibt es hier eine ähnliche Sehnsucht?

Nein, das ist zu stark, das möchte man nicht. Man möchte, dass bestimmte Dinge wieder von Experten verhandelt werden und sich nicht die Bevölkerung zu jeder Waffengattung eine Meinung bilden muss. Bei bestimmten Dingen gibt es eher die Erwartung an eine gewisse Fachkompetenz und dass dann auch entsprechend entschieden wird.

Welche Rolle spielen die Medien noch bei der Meinungsfindung?

Ein schwieriges Kapitel, über Medienstrukturen zum Beispiel ist vielfach gar kein Wissen vorhanden. Zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Information und Meinung, der Unterschied zwischen journalistisch kuratierten Medien und sozialen Plattformen oder wie überhaupt politische Willensbildung funktioniert.

Überfordern die sozialen Plattformen?

Wir sehen eine sich deutlich verändernde Meinungsbildung, auch in den Nutzungsformen von Medien. Zwar haben wir eine weiterhin hohe Nutzung der Öffentlich-Rechtlichen, es fällt aber auf, dass die Inhalte auch in der Mitte der Bevölkerung nicht automatisch Vertrauen erfahren, sondern dass es zunehmend häufiger auch hier heißt: Denen kann man nicht glauben. Oder: Warum muss ich Geld bezahlen, wenn ich doch die gleichen Informationen, vielleicht sogar besser, anderswo auch bekomme?

Ist das eine neue Entwicklung?

Vor zwei Jahren haben wir das so noch nicht so häufig gehört. Heute heißt es, ich gucke die Tagesschau vor allem, damit ich weiß, was man denken soll. Das ist nicht mehr verbunden mit einem „Ich kenn mich gerade nicht so aus“, sondern eher mit einem starken Selbstbewusstsein nach dem Motto, ich lasse mir nicht mehr von irgendeinem Medium sagen, wie es ist, ich kann mir selber eine Meinung bilden. Fast ein bisschen ein Gefühl von Empowerment. Auch das Narrativ der neuen vermeintlichen Meinungsfreiheit kommt zunehmend vor: In sozialen Medien kann man endlich sehen, wie es wirklich ist. Warum wer welche Inhalte zu Gesicht bekommt, wird dabei nicht reflektiert.

Das gilt für die Gesellschaft insgesamt?

Es geht immer weiter in die Mitte hinein, aber in den bildungshöheren Gruppen haben wir das nicht. Dort ist eher eine Gegenbewegung zu beobachten. Dort werden immer mehr Medien herangezogen, so dass es manchen eher zu viel wird. Sie sagen, ich möchte mich jetzt wirklich ernsthaft über Erneuerbare Energien informieren, legen 18 Medien nebeneinander – und wissen dann erst recht nicht, was richtig ist. Die sind am Ende eher frustriert, weil es sehr schwer geworden ist, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden.

Der SPD droht das historisch schlechteste Wahlergebnis. Hat die die Partei überhaupt noch Stammwähler?

Bei der SPD ist bemerkenswert, dass sie immer noch ein großes Potenzial an Wählerinnen und Wählern hat, das sie aber nicht mehr ausschöpfen kann. Die CDU schöpft ihr Potenzial sehr viel stärker aus, zu 70 bis 90 Prozent. Bei der Union wird alles, was in den Wählbarkeitsradius gerät, gerade aktiviert. Bei der SPD dagegen gibt es große Gruppen, die die Partei quasi im „relevant set“ haben. Nach dem Motto: Kann man auch wählen, ist auch okay, aber jetzt gerade eher nicht.

Und warum jetzt gerade nicht? Wegen des Kanzlers? Ist das Programm zu unattraktiv?

Aktuell schlägt vor allem die Unzufriedenheit mit der Regierung durch. Und ja, dem Bundeskanzler wird manches übel genommen. Ein bisschen herrscht das Gefühl vor, der hat uns hängen lassen. Der hat nicht zu uns gesprochen, als es wichtig war. Wenn er gesprochen hat, war es gut. Aber es war zu selten.

Dabei hat die Regierung ja enorm viel unternommen, hat Bafög, Wohngeld, Kindergeld, Mindestlohn, Familiengeld, Energiepreisbremse und anderes mehr eingeführt oder erhöht. Das wird nicht belohnt?

Das ist ein interessanter Effekt. Wir haben das schon einmal zusammen mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft untersucht, als es um die Hilfen im Umfeld von Corona und Inflationsausgleich ging. Dass das viel weniger honoriert wird, als es eigentlich sein müsste. Die Hilfen werden zwar anerkannt, aber gehen dann sofort im Strudel unter.

Es gibt keine Dankbarkeit unter Wählern?

Man kennt das doch: Wenn man mir was Kleines wegnimmt, merke ich das stärker, als wenn ich etwas Substanzielles dazu bekomme. Eine Erklärung ist, dass der Eindruck entsteht, es gehe immer zu sehr um Aktivitäten für einzelne Gruppen. Das wird ja auch medial gerne nach vorne gestellt. Deutschlandticket? Interessiert mich nicht, ich wohne auf dem Land. Wärmepumpe? Geht mich nichts an, ich hab’ kein Haus. Und so kann man die Themen durchgehen.

Mindestlohn? Ich bin Angestellter und hab’ sowieso mehr….

Genau. Cannabis rauche ich auch nicht und welches Geschlecht ich habe, weiß ich. Es sind immer wieder Themen, die medial überhöht werden, aber für die Meisten doch Nebenschauplätze sind. In unseren Befragungen war es ein häufiger Eindruck der Leute, dass hier Politik für Minderheiten gemacht und die wirklichen Probleme nicht angegangen würden.

Und trotzdem macht die SPD Wahlkampf mit dem Claim „Mehr für dich“. Das kann in dieser Logik ja gar nicht aufgehen.

Es ist vielleicht ein bisschen traurig, aber der Einfluss von Wahlplakaten ist ohnehin eher gering. Für die Meinungsbildung sind bei den politikaffinen Gruppen weiterhin der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk und die überregionale Presse relevant. Bei den politikfernen Gruppen, auch jenseits von Bildung und Einkommen, ist es viel mehr das Hörensagen, also die Rückkopplung im Bekanntenkreis. Was sagen die anderen, was man machen soll oder kann? Das ist sehr viel relevanter. Wahlplakate werden natürlich stark wahrgenommen, aber für die Entscheidungsfindung sind sie nicht wirklich relevant.

Die SPD war immer stolz auf ihre Präsenz in den Vorfeldorganisationen, in der Arbeiterwohlfahrt, in den Vereinen, in der Feuerwehr. Das ist Vergangenheit. Ist auch das ein Grund für ihren Niedergang?

Offensichtlich ist, dass dort, wo sich viele ehrenamtlich engagieren, auch die SPD-Affinität höher ist. Daraus entsteht ein generelles Gefühl von Zusammenhalt, und das wird dadurch gestärkt. Das gilt aber für alle Parteien. Gerade in Zeiten, in denen die Menschen nicht wissen, wie sie zwischen Fake News und echten News unterscheiden sollen, brauchen sie diesen Reality-Check. Der lässt sich am ehesten im Lokalbereich herstellen. Deswegen sind ja auch die Lokalzeitungen so wichtig und auch so wahnsinnig unterschätzt. Es gibt einen nachweisbaren Zusammenhang: Dort, wo ein unabhängiger Lokaljournalismus wegbricht, entstehen genau diese Unsicherheiten. Es ist offensichtlich, dass die Versteppung der Medienlandschaft, also die sterbenden Lokalzeitungen, Einfluss auf die Meinungsbildung hat.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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