2024 hat für die Sachsen-SPD mit schlechten Neuigkeiten begonnen: 3 Prozent in der neuesten Umfrage. Sie machen die Ampel dafür verantwortlich. Trägt Sachsen gar keinen Anteil?
Abgesehen davon, wie ernst man eine Civey-Umfrage nehmen kann – die Kritik daran gibt es ja auch: Die Stimmung im Land wird schon maßgeblich von der Bundespolitik bestimmt. Das höre ich von allen Leuten, mit denen ich spreche. Aber es ist immer zu einfach, nur auf den Bund zu zeigen. Das mache ich auch nicht. Die Koalition in Berlin hat viel für den Osten gemacht, gerade mit dem Mindestlohn von 12 Euro, Milliardeninvestitionen in den Wirtschaftsstandort und Steuererleichterungen für kleine und mittlere Einkommen. Trotzdem sind sind viele Menschen verunsichert, und das liegt auch an der Ampel. Und das ärgert mich. Hier in Sachsen müssen wir uns aber auch fragen, welchen Anteil zum Beispiel der Kurs der CDU Sachsen hat, wenn sie ständig das Land schlechtredet und damit für miese Stimmung sorgt und damit auch von Problemen in der Landespolitik ablenkt.
Aber nochmal zur Umfrage: Von dem 19-Prozent-Potenzial der SPD in Sachsen, von dem Sie mit Blick auf das Bundestagswahl-Ergebnis 2021 gern sprechen, sind Sie denkbar weit entfernt.
Meine Aufgabe ist es, Vertrauen zurückzugewinnen. Darum geht es, nicht nur in den nächsten acht Monaten, sondern weit darüber hinaus. Viele Menschen wünschen sich sozialdemokratische Politik, trauen es nur der SPD gerade nicht zu. Der Kurs der sozialen Kälte mit Rentenkürzungen, längeren Arbeitszeiten und Sozialkürzungen, wie ihn die CDU vorschlägt, ist jedenfalls nicht das, was sich die Menschen hier wünschen.
Aber wie erklären Sie sich, dass die AfD so stark ist? Zuletzt waren es in der Civey-Umfrage 37 Prozent.
Für mich steckt hinter der starken AfD die Angst vor Veränderung. Wenn Sie Menschen in Ostdeutschland nach der Wende gefragt haben, was sich für sie verändert hat, antworteten sie: alles. In Westdeutschland antworteten die Leute: nichts. Die Menschen in Ostdeutschland sind sehr sensibel für Veränderungen, sie haben viele erlebt und waren selten Gewinner im Sinne einer schnellen Verbesserung der Lebenssituation.
Das heißt?
Ich schaffe es einmal im Leben, alles neu aufzubauen, mir ein Häuschen einzurichten. Jetzt soll sich wieder viel verändern, und das bis ins Private. Früher hat man mit Kohle geheizt, eine Gasheizung war da eine große Errungenschaft. Jetzt muss ich mir schon wieder etwas Neues einbauen. Menschen hier haben nicht die Rücklagen, sie haben das Erbe nicht. Sie müssen immer aus dem schöpfen, was sie sich erarbeiten. Sie haben Riesenangst davor, wieder zu verlieren, was sie sich erarbeitet haben.
Welche Veränderungen schneiden in Sachsen besonders ein?
Der Kohleausstieg ist mit großen Ängsten vor dem Verlust des Arbeitsplatzes verbunden.
Schürt die Ampel Ängste vor Veränderung?
Natürlich habe ich mich geärgert über die Kommunikation des „Heizungs-Hammers“. Es ärgert mich auch, wenn die Ampel eine Haushaltssperre verkündet und am gleichen Tag Minister im Ausland Finanzzusagen machen. Wir dürfen nicht den Eindruck vermitteln, dass wir woanders mehr für die Menschen tun als im eigenen Land. Außerdem hätte man sofort kommunizieren müssen, was jetzt mit dem Haushalt passiert, statt 14 Tagen lang Spekulationen in den Himmel schießen zu lassen. Aber ich muss die Ampel auch ein Stück weit in Schutz nehmen. Es hat noch nie so eine Krisenzeit gegeben wie jetzt, und es wird unterschätzt, wie viel Schaden die Bundesregierung durch die Energiepreisbremsen und weitere Erleichterungen von den Bürgern und Unternehmen abgehalten hat.
Würden Sie im Landtagswahlkampf lieber auf die Unterstützung aus Berlin verzichten, weil die Ampel so unbeliebt ist?
Ich werde mit Bundespolitikern Wahlkampf machen, weil ich will, dass sie ihre Politik erklären. Ich möchte Boris Pistorius erklären lassen, was in der Ukraine passiert und wie viele Militärausgaben eigentlich in humanitäre Hilfe fließen. In Sachsen glauben einige, dass man mit Putin nur mal ein bisschen verhandeln müsste. Boris Pistorius könnte dazu gut Antworten geben. Ich möchte auch Karl Lauterbach herholen. Ich will ihm sagen, was seine Reform für die Krankenhäuser in Sachsen bedeutet, wenn er unsere Einwürfe vernachlässigt. Genau diese Art Auseinandersetzung will ich. Ich will keine allgemeinen politischen Statements aus Berlin. Wer zu uns kommt, soll Berliner Politik mit dem zusammenbringen, was wir in Sachsen brauchen.
Welche Auseinandersetzungen haben Sie denn mit Karl Lauterbach?
Die Krankenhausreform müsste eher eine für den Westen sein. Im Osten haben wir in den 1990ern schon eine gemacht. Wir hatten mal 130 Krankenhäuser, jetzt sind es noch 76. Ich will, dass das im Reformgesetz berücksichtigt wird. Man kann Sachsen nicht gleichsetzen mit Ländern, die einfach ihre Krankenhäuser mit Geld zukippen und dabei die Versorgungslage der Zukunft vernachlässigen. Wir in Ostdeutschland sind nicht nichts. Wir sind 20 Prozent der Bevölkerung. Nur nach Berlin zu schießen wie Herr Kretschmer, halte ich aber für kontraproduktiv.
Befeuert Michael Kretschmer die Angst vor Veränderung?
Ich denke das, ja. Ich glaube, dass die Auseinandersetzung so nicht gut ist.
Manche aus Ihrer Partei bezeichnen Sie als Anti-Kretschmer. Empfinden Sie das als Kompliment?
Ja, ich nehme das so an. Weil ich zu meinen Dingen stehe und weil ich geradeaus bin. In Corona-Zeiten habe ich alleine vorne gestanden, wenn es neue Verordnungen zu verkünden gab, weil keiner dastehen wollte. Niemand wollte gerne Maßnahmen verkünden, die unschön für die Menschen sind. Aber ich habe sie verkündet, zu der Maßnahme gestanden, und ich habe sie erklärt. Das ist der Unterschied zu Kretschmer. Der geht auch zu ganz vielen Menschen hin. Aber er ist nicht geradlinig.
Sie hätten sich also generell mehr Solidarität Ihrer Kabinettsmitglieder gewünscht?
Ich kann mich an eine Kabinettssitzung erinnern, wo ich gesagt habe, ich gehe heute nicht alleine vor die Presse. Das sind so weitreichende Maßnahmen, da wünsche ich, dass das Kabinett dabei ist. Da ist mal das ganze Kabinett vorgegangen. Aber das hätte ich mir an vielen anderen Stellen auch gewünscht.
Dabei hatte man zu Corona-Zeiten das Gefühl, das Kenia-Kabinett Sachsens stünde zumindest etwas enger zusammen als danach, als Streit wieder offener ausbrach.
Die Koalition in Sachsen hat nicht so schlecht zusammengearbeitet. Manchmal geht es mir zu langsam, beim Haushalt zum Beispiel. Was könnten wir als das Bundesland mit der geringsten Pro-Kopf-Verschuldung alles tun, wenn wir wirklich noch mal richtig investieren würden in Schulen, in Kitas, Sozialarbeit? Sachsen könnte deutschlandweit ein Signal setzen. Ich finde es bedauerlich, dass wir nach der Krise keine Aufbruchsstimmung erzeugen.
Martin Dulig sprach davon, dass das Vertrauen in der Koalition aufgebraucht sei.
Wir müssen die Zeit nutzen, um das Vertrauen wieder aufzubauen. Wir werden nicht ohne die CDU regieren können, das ist völlig klar. Aber wir werden vielleicht stärker sein können. Wir haben viel mehr gemacht, als die 7,7 Prozent für die SPD bei der letzten Landtagswahl hergeben.
Wie wollen Sie sich von der CDU abgrenzen, während völlig klar ist, dass sie nicht ohne sie regieren werden - welche Botschaften will die SPD senden?
Wir wollen, dass die SPD ein ganz klares Programm hat. Die Menschen sehen als die größten Probleme Migration, Gesundheit und Lehrermangel. Um diese Probleme zu lösen, brauchen wir eine gute Wirtschaft. Um die Wirtschaft anzukurbeln, brauche ich Investitionen. Da schließt sich ein Kreis. Wenn wir das gut kommunizieren, wird den Menschen hoffentlich klar, dass sie eine stärkere SPD in der Regierung brauchen.
Vor dem Hintergrund wünschen Sie sich auch die Lockerung der Schuldenbremse.
Absolut. Wenn wir in den 1990er Jahren nicht so hohe Kredite aufgenommen hätten, wären wir bei weitem nicht so weit gekommen in den Dörfern, Städten, dem Bund. Wir sind eins der am geringsten verschuldeten Länder in Europa. Ich habe keine Angst, die Schuldenbremse zu reformieren. Zeigen wir den Leuten, dass es vorwärts geht, dass etwas aufgebaut wird. Dafür müssen wir investieren. Als Bürgermeisterin in den 1990er-Jahren konnte ich Unglaubliches erreichen. Das war für mich die beste politische Zeit, die es gegeben hat.
Sie und Martin Dulig gehören auf ähnlichem Level zu den populärsten Kabinettsmitgliedern in Sachsen. Warum keine Doppelspitze bei der Landtagswahl?
Ich arbeite mit Martin Dulig sehr, sehr gerne zusammen. Daran ändert sich nichts. Es ist eine Entscheidung der Partei, die ich respektiere und die nichts an unserer Zusammenarbeit im Wahlkampf ändert.
Der startet durch die Förderaffäre in Ihrem Haus allerdings durchaus belastet.
Ich würde es nicht Affäre nennen, das muss ich ganz klar sagen. Dass die AfD es so hochhängt, ist nicht verwunderlich. Der Bericht des Rechnungshofs sagt, dass wir nachbessern müssen, und das passiert jetzt. Wir haben vieles richtig gemacht, aber Verwaltungsrecht manchmal nicht richtig umgesetzt.
Und doch: Es könnte Ihnen im Wahljahr ein Untersuchungsausschuss drohen. Ist es nicht riskant, mit einer Spitzenkandidatin in den Wahlkampf zu gehen, die damit in Verbindung steht?
Ich glaube, die Menschen schätzen es, wenn Politiker souverän mit Fehlern umgehen. Wir haben hier offen, schnell und transparent gehandelt.
Ihre Realität als Sozialministerin hat sich durch Corona maximal anders entwickelt als die Erwartung, weil Gesundheit zu Ihren Ressorts gehört. Würden Sie nach 2024 gern das gleich Ministerium wieder besetzen?
Auf jeden Fall. Es ist viel liegen geblieben, wir haben trotzdem viel angeschoben, und das würde ich gerne in die Realität umsetzen.
Was bleibt liegen?
Von dem, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, gar nichts. Wir haben ein Integrationsgesetz auf den Weg gebracht, einen Kinder- und Jugendbeauftragten eingestellt, im Januar stellen wir jetzt einen Tierschutz-Beauftragten ein. Wir haben ein Landärzteprogramm aufgestellt. Ein großes Thema, an dem wir noch dran sind, ist die schnellere Anerkennung von Asylverfahren. Die Motivation der Menschen, die herkommen, ist in den ersten drei Monaten am größten. Das sollten wir nutzen. Da kann man noch nachsteuern.
Als Gesundheitsministerin avancierten Sie für viele während der Corona-Zeit zur Hassfigur. Wie gehen Sie damit um?
Wir erleben eine neue Zeit. Wir erleben Hass und Hetze in allen Bereichen bis runter zu Gemeinderäten. Und da muss es nicht mal um politische Entscheidungen gehen, es entzündet sich schon bei der Frage, wo ein neuer Funkmast hingestellt werden soll. Regionale Themen werden inzwischen politisch instrumentalisiert, auch hier im Landtag. Die Art der Auseinandersetzung macht mir große Sorgen.
Eine aufgeheizte Gruppe tauchte vor Ihrem Privathaus auf.
An dem Abend sitzt man da und fragt sich: Wie soll das hier weitergehen? Am nächsten Tag kommen viele Mails von Leuten, die sagen: Halte durch, du machst es richtig. Die Gegenreaktion von der Zivilgesellschaft und anderen politischen Funktionären war für mich wichtig und hat mich wieder positiver denken lassen.
Hatten Sie je Angst vor einem Burnout?
Wahrscheinlich hatte ich den schon drei Mal. Aber wenn Sie unter so einem Druck arbeiten, wie wir das gemacht haben, merken Sie die Überlastung nicht. Es sind viele anstrengende und meistens weitreichende Entscheidungen zu treffen. Sie arbeiten wie mechanisch. Sie wissen am Morgen: Es geht wieder los und es wird ein langer Tag.
Was war zu der Zeit das Belastende für Sie?
Die Entscheidungen selber. Es ist niemanden leicht gefallen, Maßnahmen zu ergreifen, die die Bevölkerung in allen Lebensbereichen derart einschränken. Sowas könnte auch einen Rechnungshof mal interessieren, dort vergisst man die Krisen dann gerne. Sachsen hatte mit 16.000 Corona-Toten prozentual die meisten in Deutschland, sogar in Europa. Du sitzt da und fragst dich: Sollen noch mehr sterben, weil ich Begegnungen, Sport, Kultur, Gaststätten-Besuche, das Kino zulasse?
Der Bundestagswahlkampf in Sachsen war 2021 oft hässlich, Gespräche wegen Geschrei und Trillerpfeifen von Corona-Leugnern bei Veranstaltungen oft kaum mehr möglich. Graut es Ihnen vor dem Wahlkampf 2024?
Dann hätte ich es nicht gemacht. Ich habe bei der Diskussion über den Bericht des Rechnungshof Solidarität aus allen anderen Parteien bekommen, auch aus der CDU. Die AfD steht da isoliert da. Wir müssen uns das für den Wahlkampf merken: Wir demokratischen Parteien müssen zusammenhalten.
Selbst wenn sie das tun: Dass Wahlkämpfe in Zeiten der rechtsextremen Mobilisierung mühsamer geworden sind, lässt sich schwer leugnen.
Es ist anders geworden. Ja, man muss sich viel extremer auseinandersetzen. Da gucke ich in die Geschichte der SPD: Gerade während der Weimarer Republik hatten wir es auch nicht leicht und haben trotzdem nie einen Rückzieher gemacht.
2019 haben Sie das Gegenteil von einem Rückzieher gemacht und versucht, mit Boris Pistorius Bundesvorsitzende der SPD zu werden. Pikst die Niederlage manchmal noch?
Überhaupt nicht. Ich habe mich damals überreden lassen.
Von Boris Pistorius?
Von Georg Maier aus Thüringen. Mir war wichtig, dass Ostdeutschland auch in westdeutschen Bundesländern ankommt.
Wer von Ihnen beiden hat jetzt den härteren Job – Sie oder Boris Pistorius?
Na ja, ich beneide Boris nicht ums Verteidigungsministerium – er muss in einer so schweren Zeit die Balance finden zwischen dem Wunsch nach Friedenspolitik in der SPD und der Notwendigkeit. Die Phase, wo wir uns nicht um Kriege kümmern müssen, ist vorbei. Ich bewundere sehr, wie er das macht.
Werden Sie auch diejenige, die sich gegen Sie durchgesetzt hat, nach Sachsen holen – Ihre Parteivorsitzende Saskia Esken?
Mit Saskia Essen habe ich eine sehr enge Verbindung. Handynummer, alles da. Ich schreibe ihr, wenn mir was nicht gefällt, oder auch, wenn ich was gut finde. Am Anfang waren viele sehr skeptisch. Aber sie tritt kämpferisch auf und vertritt ihre Positionen. Da sind wir uns sehr ähnlich.