Interview
Erscheinungsdatum: 08. September 2024

Sachsens Grünen-Fraktionschefin: „So etwas hat es unter Demokraten noch nicht gegeben“

Eine Woche nach der Landtagswahl analysiert die Fraktionsvorsitzende von Sachsens Grünen den Wahlkampf, an dessen Ende feststeht: nach fünf Jahren Regierungsverantwortung verdammen 5,1 Prozent die Grünen zurück in die Opposition. Schwere Vorwürfe erhebt Franziska Schubert gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer. Auch von ihrer eigenen Partei hätte sie mehr erwartet.

Die Landtagswahl vor einer Woche ist für Sachsens Grüne denkbar knapp ausgegangen. Wie geht es Ihnen inzwischen?

Ich bin müde und tiefenerschöpft, die Gesamtsituation beschäftigt mich ziemlich. Ich gucke auch noch sehr auf den Wahlkampf, dessen Zuspitzung, Atmosphäre und Stimmung auf so vielen Ebenen Grenzen gerissen hat. Diese 5,1 Prozent waren so furchtbar hart erkämpft.

Welche Grenzen meinen Sie?

Michael Kretschmer hat das Verhältnis der Demokraten zueinander unnötig beschädigt, indem er so auf uns eingedroschen hat. Es gab viele Verletzungen. Das Vertrauen ist kaputt gemacht worden. Es war wie ein republikanischer Wahlkampf, wie bei einem Donald Trump. Und was ist das Resultat? Das sogenannte Issue Ownership, die Themen der Rechten, wurden bedient, die gesamte Mitte destabilisiert. BSW greift nach einer Regierungsbeteiligung. Die CDU hat die wenigsten Direktmandate aller Zeiten geholt und das Risiko bewusst in Kauf genommen, dass wir raus fliegen. So etwas hat es unter Demokraten noch nicht gegeben. Mit Landesthemen kam man kaum durch, alles wurde von Krieg und Frieden, von taktischen Wahlentscheidungen überschattet - 52 Prozent der Leihstimmen sind entgegen der eigenen Überzeugung an die CDU gegangen. Und dann noch diese Materialschlacht im Wahlkampf, diese Anfeindungen, die Gewalt. Das ist ein andere Qualität als 2019.

Was für Spuren bleiben davon?

Was da passiert ist, wird man nicht so schnell vergessen. Irgendjemand muss den Ministerpräsidenten wählen, es werden auch zum Beispiel Verfassungsrichterwahlen anstehen - dazu ist bei uns gerade kaum jemand bereit. Die Suppe hat sich die CDU selbst eingebrockt.

Sehen Sie auch eigene Fehler?

Die Grünen auf Bundesebene hätten sich besser mit uns koordinieren können, das haben wir auch zurückgemeldet. Derjenige, der sich wirklich immer für uns interessiert hat, ist Robert Habeck. Annalena Baerbock auch. An Robert Habeck schätze ich, dass er sich mit uns, unserer Geschichte beschäftigt – und damit, was Bündnis 90 eigentlich bedeutet. Dementsprechend bereitet mir seine Kanzlerkandidatur Hoffnung.

Hat man den Wahlkampf auf Bundesebene also nicht ernst genug genommen?

Was sehr gut funktioniert hat, war die überwältigende Hilfe aus westlichen Landesverbänden. Schon nach dem Parteitag im November haben wir Partnerschaften geschlossen; diesen Sommer über kamen dann tatsächlich mehr Leute als jemals zuvor, um uns zu unterstützen. Die Basis hat uns sehr geholfen. Bundestagsabgeordnete auch.

Was würden Sie sich von der Bundesebene wünschen?

Mehr Ernsthaftigkeit und das Gespür, was hier los ist, das fehlt mir bei Einzelnen und das schmerzt. Alle Kraft muss jetzt zum Beispiel nach Brandenburg gehen.

Im Landtag werden Sie künftig wieder Opposition sein und nur noch sieben statt zwölf von 120 Abgeordneten stellen. Welche Perspektiven haben Sachsens Grüne?

Es wird noch dauern, bis wir das verarbeitet haben. Parallel werden wir aber schonmal die neue Fraktion konstituieren. Es wird eine große Herausforderung, beispielsweise unsere Bürostruktur im ganzen Land aufrecht zu erhalten. Und dann werden wir klären: Was machen wir mit unserer neuen Rolle in insgesamt instabilen Zeiten?

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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