Rolf Mützenich, SPD-Fraktionschef: „Das schmerzt mich schon."
Herr Mützenich, die Sitten in Deutschland verrohen. Der Bundeswirtschaftsminister kann sein Schiff nicht verlassen, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt wird als „Verbrecher“ und „Lügner“ beschimpft. Was ist los in diesem Land?
Leider sind die jüngsten Fälle nur die Spitze des Eisbergs. Wöchentlich berichten Mitglieder meiner Fraktion von Sachbeschädigungen ihrer Büros, Pöbeleien und Drohungen im Netz. Protest gegen die Regierenden gehört zur Demokratie, aber einzelne Ereignisse überschreiten jedes Maß und jeden Anstand. Wir müssen dem gemeinsam begegnen. So kann es bei der Distanzierung durch den Bauernverband nicht allein bleiben. Sollten sich unter denen, die Minister Habeck derart angegangen sind, Mitglieder oder gar Funktionäre des Bauernverbandes befinden, müssen diese sofort ausgeschlossen werden, unabhängig von rechtlichen Maßnahmen.
Haben wir aus dem Mord an Walter Lübcke nicht gelernt?
Diesen Bezug würde ich bei den derzeitigen Protesten nicht vorschnell herstellen, aber manche sollten ihre Worte und Taten vorher sicher stärker bedenken. Vielleicht denken immer noch viele, das geht mich nichts an oder das sind Spinner und Einzeltäter. Diese Relativierung ist gefährlich, da solche Ereignisse immer in einem Umfeld stattfinden und zum Teil getragen werden.
In ganz Deutschland stehen inzwischen Galgen, an denen Ampeln baumeln. Ein legitimer Ausdruck von Protest?
Nein, das geht zu weit. Ich erwarte, dass in solchen Fällen die Anständigen und Demokraten vor Ort einschreiten.
Die Belastungen für die Bauern wurden überwiegend zurückgenommen. Und trotzdem eskalieren deren Proteste. Was läuft da aus dem Ruder?
Tatsächlich sind die Belastungen für die Landwirte deutlich reduziert worden. Sie sind jetzt im Rahmen dessen, was auch viele andere an Belastungen zugemutet werden. Man kann schon erwarten, dass Korrekturen auch zur Kenntnis genommen werden.
Das vergangene Jahr war für die Ampel nicht sehr erfolgreich. Warum wird das Jahr 2024 besser?
Ich kann nichts versprechen. Aber es liegt in unserer Hand. Das betrifft erstens die Kommunikation zwischen den drei Koalitionspartnern. Es geht zweitens darum, dass wir gut übereinander reden, sowohl öffentlich als auch im Hintergrund. Und drittens müssen wir uns klar darüber werden, dass die Konstellation, die wir 2021 eingegangen sind, ein wichtiges politisches Ziel hatte, nämlich das Land zu modernisieren. Kurzum: Alle drei Partner sollte die Idee einen, dass es sich lohnt, in dieser Konstellation zu regieren.
Kann man gut übereinander reden, wenn man permanent unterschiedlicher Meinung ist?
Man kann das trennen. Man muss akzeptieren, dass es unterschiedliche Antworten gibt. Man muss aber bereit sein zu akzeptieren, dass auch die Standpunkte der anderen gerechtfertigt sein können und sich in Kompromissen wiederfinden. Das gehört zum Wesen der Demokratie.
Die AfD liegt in mehreren Bundesländern in Umfragen in Führung. In welchem Zustand sehen Sie das Land?
Die Gesellschaft ist verunsichert, nicht nur wegen des AfD-Hochs, sondern auch wegen der Herausforderungen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Familien. Die Pandemie, Kriege in oder in der Nähe von Europa, die ökonomische Situation, die Energiepreise, die Inflation – all das trägt zur Verunsicherung bei. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht aufgeben. Alle die, die in den Nachbarländern wie etwa den Niederlanden oder Italien aufgeben, machen Populisten wie Geert Wilders, seine Partei und sogar Postfaschisten erst richtig groß.
Wie können politische Entscheidungsträger dieser Orientierungssuche begegnen?
Man muss erstens gut regieren. Dieses Regieren zweitens gut erklären und drittens deutlich machen, was die politischen Absichten der AfD sind. Man kann ja gut zeigen, dass die AfD die Erwartungen, die sie weckt, nirgendwo einlösen kann. Wir müssen denen, die rechtsnational wählen, zeigen, wie fahrlässig das ist. Absurderweise geschieht das häufig gegen die eigenen Interessen. Die AfD will die Schwächsten noch weiter schwächen, indem sie zum Beispiel den Mindestlohn abschaffen möchte. Sie hat ein Gesellschaftsbild, das Frauen ihrer mühsam erkämpften Gleichberechtigung berauben will. Sie will im Steuerrecht vor allem für die Reichen Entlastung schaffen. Sie will Europa und damit unsere politische und wirtschaftliche Grundlage zerstören. Das muss man sehr konkret machen.
Gut regieren und gut erklären – da hat diese Bundesregierung noch Luft nach oben?
Mit Sicherheit. Aber dazu können alle beitragen, insbesondere die, die auch eine gewisse Reichweite haben, wenn sie kommunizieren. Und es fällt ja nicht schwer, gut über die Regierung zu reden, wenn man berücksichtigt, was wir bereits alles erreicht haben: Wir konnten die Folgen der Pandemie weitgehend begrenzen, die drohenden Energieengpässe vermeiden, den Mindestlohn kräftig erhöhen und ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht auf den Weg bringen. Wir haben die Ziele bei der Klimawende teilweise übererfüllt und vieles andere mehr.
Sie haben vor Weihnachten eine konstruktivere Zusammenarbeit angemahnt. Das war offensichtlich auch an die Koalitionspartner adressiert. Haben die den Hinweis verstanden?
Ich hoffe das.
Keine Rückmeldung bekommen?
Es hat die eine oder andere Nachfrage oder auch Beschwerde gegeben. Aber das führe ich hier nicht aus.
Ist dieser Regierung und den Fraktionen denn klar, dass ihre Außendarstellung die AfD, Querdenker und andere maximal fördert?
Ich denke schon. Aber nicht alle sind bereit, eigene Mängel oder Fehler anzuerkennen und abzustellen. Ich nehme Kritik an, wenn ich zu Unstimmigkeiten beigetragen habe und versuche das zu ändern. Ja, es ist einiges verbesserungsfähig in der Koalition. Dazu will ich beitragen und erwarte das auch von anderen. Das heißt nicht, dass wir fundamentale politische Fragen unter den Teppich kehren müssen. Wenn man es richtig anstellt, dann können die unterschiedlichen Markenkerne insgesamt die Koalition stärken.
Die FDP hat sich gerade in einem Mitgliedervotum für den Verbleib in der Ampel ausgesprochen. Christian Lindner sieht darin den Auftrag, „weiter das liberale Profil zu schärfen“. Ist das eine Bereicherung oder eine Drohung?
Kommt darauf an. Erst mal war es eine innerparteiliche Entscheidung, die ich nicht zu kommentieren habe. Die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, werde ich mir aber schon genau anschauen. Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass die FDP ihr eigenes Profil in die Koalition einbringt; aber Profilbildung kann in einer Dreierkonstellation keine einseitige Angelegenheit sein. Auch die Partner müssen ihr Profil ausbilden können, allerdings am besten auf der Grundlage einer guten und erfolgreichen gemeinsamen Regierungsarbeit. Und immer im Rahmen einer gesamtpolitischen Verantwortung.
Sehnen Sie sich manchmal nach der Großen Koalition zurück?
Nein!
Wie schmerzhaft ist der Spagat, einerseits so nicht weiter machen und zugleich der Ampel nicht entfliehen zu können?
Das stört mich überhaupt nicht. Weil der Souverän dieser Koalition 2021 einen politischen Auftrag gegeben hat. Ich fand die Klammer, die wir gefunden haben, nämlich ein liberales Politikverständnis durch einen ökologisch orientierten Ansatz und bei uns durch ein eher an den Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern orientiertes Verständnis zu ergänzen, von Beginn an gut. Ich glaube immer noch, dass das ein gutes und Erfolg versprechendes Bündnis ist.
Bisher war diese Klammer nicht so richtig erkennbar.
Das bedaure ich sehr, will aber auch daran erinnern, dass einiges nicht voraussehbar war und zu einigen Turbulenzen beigetragen hat. Zeiten von Krieg sind keine normale Zeiten, und deshalb kann man auch nicht erwarten, dass das politische Geschäft jeden Tag reibungslos verläuft.
Die Regierung hat kurz vor Weihnachten noch einen Haushaltsentwurf für 2024 vorgelegt, der schon wieder korrigiert wurde. Werden auch die Fraktionen noch nachbessern?
Jeder weiß, dass am Ende der Deutsche Bundestag über den Haushalt entscheidet. Was die Bundesregierung an Vorarbeiten einbringt, nehmen wir mit Respekt entgegen – aber natürlich auch mit der Möglichkeit der Veränderung.
Sind sich die Haushälter der Fraktionen denn einig?
Es war nach dem Verfassungsgerichtsurteil nötig, den Haushalt anzupassen. Was mich stört, ist, dass nicht zuletzt diejenigen, die als Vertreter ihrer jeweiligen Parteien verhandelt haben, wenige Stunden danach die Kompromisse wieder in Frage gestellt haben. Das erschwert natürlich die Konsensfindung im Parlament. So oder so, die Einigung muss bis Anfang Februar erfolgen.
Politik scheint sich über selbst gegebene Rituale immer wieder selbst in Fesseln zu legen. Welche dieser Rituale sind überholt?
Es sind ja noch Rituale hinzugekommen – und das vor dem Hintergrund teils existenzieller Herausforderungen. Die müssen überdacht werden.
Welche Rituale meinen Sie?
Die unmittelbare tagespolitische Provokation zum Beispiel, aber auch die Kommunikation. Auch Akteure, die nicht Teil der Regierung sind, müssen wissen, was auf dem Spiel steht. Opposition hat ja immer den Anspruch, die nächste Regierung zu stellen. Sollte es so kommen, wird auch sie auf andere angewiesen sein, um durch womöglich ähnlich existenzielle Situationen zu steuern.
Muss man als Teil einer Regierung immer die gesamte Gesellschaft im Auge behalten?
Unbedingt, die Gesamtgesellschaft muss immer Orientierungspunkt sein. Aber ich gebe auch zu, dass man als Partei das Wohl der Gesellschaft immer mit Interessen für diejenigen verbindet, für die man sich besonders einsetzt. Die SPD zum Beispiel ist der festen Überzeugung, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und auch diejenigen, die in ihrer Not auf Hilfen des Staates angewiesen sind, am Ende zum Gesamtwohl beitragen. Auch die Schwächeren müssen teilhaben an einem gesellschaftlichen Erfolg, um der sozialen Konsensbildung willen und letztlich auch um wichtige politische Rahmenbedingungen wie den sozialen Frieden zu erhalten.
Wie sieht ein politischer Stil aus, der lösungsorientiert ist, ohne die Unterschiede zu verwischen?
Zu regieren ist in diesen Zeiten eine besondere Herausforderung. Aber man muss die Unterschiede nicht jeden Tag neu betonen. Zum Beispiel halte ich überhaupt nichts davon, nach einer Verständigung zwischen den Partnern aufzuzeigen, wo man sich weitgehend durchgesetzt hat. Alle wissen doch, dass es Unterschiede zwischen SPD, Grünen und FDP gibt. Gutes Regieren gelingt nur im Sowohl als auch.
Was bietet diese Koalition der gesellschaftlichen Mitte an, die sich ja in Teilen auch abgewandt hat, um sich mit den politischen Akteuren wieder zu versöhnen?
Ich weiß nicht, ob es gleich ein Versöhnen sein muss. Es geht darum deutlich zu machen, dass wir verantwortungsvoll gehandelt haben und genau diese Kreise im Blick hatten, als wir versucht haben, die Energiepreise abzufangen, die Energiefrage überhaupt zu klären, neue Lieferungen zu organisieren und dabei den sozialen Zusammenhalt im Blick zu behalten. Dass dies kaum beachtet und gewürdigt worden ist, schmerzt mich schon.
War die Kommunikation unzureichend?
Ganz sicher, aber auch die Verunsicherung ist so groß wie nie. Jeder weiß, dass er sich anders wird verhalten müssen, sozial, ökonomisch, kulturell, und dass er seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss. Wird es mit Europa gut gehen? Welche Wirkungen haben die Kriege? Und wie wird sich unsere Region entwickeln, mit allem, was wir erarbeitet haben, was uns teilweise aber auch zugefallen ist? Werden sich auch unsere Kinder und Enkel in diesem Europa behaupten können?
Die Ökonomin Isabell Weber hat gerade einen engen Zusammenhang zwischen rigider Sparpolitik und anwachsendem Rechtsradikalismus hergestellt. Wollen Sie trotzdem an der Schuldenbremse festhalten?
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Verteilungsfragen nicht zusätzlich befeuern sollten, indem man an politischen Postulaten festhält. Der Economist spricht bei der Schuldenbremse gar von einem deutsch Fetisch. Ich glaube, dass die Ausnahmeregel von der Schuldenbremse für die drei Bereiche Ukraine, Ahrtal und Hochwasser genutzt werden kann, dass wir darüber hinaus gleichzeitig intensiv die Frage stellen müssen, ob die 2007 erdachte Schuldenbremse noch den heutigen Herausforderungen gerecht wird. Das wird auch ein Thema der Fraktionsklausur in dieser Woche sein.
Was ist das Ziel Ihrer Überlegungen?
Wir müssen uns doch die Frage stellen, warum die Lohnentwicklung – außer in Italien – nirgendwo in den industrialisierten Ländern so schlecht ist wie in Deutschland. Das ist ein Punkt, gegen den die Bundesregierung durchaus vorgehen kann, zum Beispiel mit dem Tariftreuegesetz. Dass gute Löhne gezahlt werden, ist einerseits wichtig für den inneren Zusammenhalt, andererseits für die Stellung Deutschlands in der Welt.
Zur Außenpolitik: Was passiert, wenn im November Donald Trump alter neuer US-Präsident wird?
Es wird eine zusätzliche enorme Herausforderung für die internationale Politik sein, sicher auch für die Innenpolitik der USA. Einer, der bereit ist, mit diktatorischen Maßnahmen zu regieren, ist zuallererst eine massive Herausforderung für die USA selbst.
Was heißt das für uns in Europa?
Wir werden es mit einem unberechenbaren Präsidenten zu tun haben, der unverantwortlich die US-Rolle in der internationalen Politik definiert, der bereit ist, allein entlang kurzsichtiger nationaler Interessen zu handeln und damit auch die Entfremdung zwischen zwei wichtigen Erdteilen vorantreibt.
Wie bereiten wir uns darauf vor?
Indem wir einerseits möglichst geschlossen europäisch agieren. Indem wir andererseits versuchen, an den Dingen festzuhalten, mit denen wir die Welt bisher einigermaßen organisieren konnten. Also auch an der UN, dem Europarat, der OSZE, aber natürlich auch an der NATO und der Europäischen Union. Dass wir unsere sozialen Werte und das internationale Völkerrecht verteidigen.
Mehr Autonomie könnte auch dazu führen, dass wir unseren Nato-Beitrag erhöhen müssen.
Das will ich nicht in Zweifel ziehen, aber alle diejenigen, die einen noch höheren Beitrag fordern, sollten bedenken, dass wir auch Synergieeffekte innerhalb der Nato und der EU verbessern können und dass Sicherheitspolitik nicht allein aus dem militärischen Beitrag besteht.
Von Synergien ist bisher nicht viel zu sehen, wenn jedes größere Nato-Mitglied auf eigenen Panzern, Flugzeugen und anderen Waffensystemen besteht.
Das bedauere ich sehr, aber dafür ist nicht alleine das Parlament zuständig. Da sind andere viel mehr gefordert. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur aus nationalen und aus Partnerschaftsinteressen falsche Entscheidungen treffen.
Sondern eher aus einer europäischer Perspektive handeln?
In der Tat. Aber noch einmal: Sicherheitspolitik besteht nicht nur aus einem militärischen Beitrag und sich angesichts des russischen Überfalls neu aufzustellen. Wir sind genauso gefordert mit humanitären Beiträgen, in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und – das ist der wichtigste Aspekt – eine kluge Diplomatie zu organisieren, die möglicherweise auch neue Partner einbezieht; Partner, die dabei vielleicht auch einen anderen Blick auf die Welt haben.
Läuft uns in der Ukraine die Zeit davon?
Die Zeit ist eine an Brutalität nicht zu unterschätzende Dimension. Denn jeder weiß, was die Kämpfe derzeit bedeuten. Deshalb dürfen wir nicht nachlassen, die Ukraine weiter zu unterstützen und zugleich die zu fördern, die möglicherweise einen Einfluss haben, das Kampfgeschehen nicht weiter eskalieren zu lassen.
Wer könnte das sein?
Länder, die noch einen Draht nach Moskau haben, wie Brasilien, Indien oder natürlich auch China.
Wann ist der Zeitpunkt für Friedensverhandlungen?
Das hängt vom Verhalten des russischen Präsidenten ab. Vom ersten Tag eines Krieges muss aber auch immer an den Chancen gearbeitet werden, den Konflikt wieder zu beenden. Ich wundere mich schon, dass in Deutschland seit fast zwei Jahren mehr als anderswo eher über Kriegsverläufe, Strategien und Waffentechnik gesprochen wird, als darüber, wie man den Krieg beenden kann.
Alt-Bundepräsident Joachim Gauck hat gerade eine schnelle Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern angemahnt. Hat er recht?
Es ist schon höchst ungewöhnlich, wenn sich ein ehemaliges Staatsoberhaupt, das in seiner Amtszeit Zurückhaltung und Überparteilichkeit üben soll, dann im Ruhestand in höchst umstrittenen Fragen derart einlässt und positioniert. Deutschland gehört zu den verlässlichsten und größten Lieferländern von Waffen, die die Ukraine bei der Verteidigung gegen den russischen Aggressor unterstützen. Dabei haben der Bundeskanzler und die Regierung von Anfang an wirksame und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen.
Der Ukraine war es immer zu wenig.
Die Ukraine wurde in ihrem Recht auf Selbstverteidigung gestärkt, und die Absprache mit den wichtigsten Partnern funktioniert. Das Interesse, das Deutschland nicht unmittelbarer in den Krieg verwickelt werden darf, wurde genauso beachtet wie die Frage, welche weiteren Regierungen hilfreich sein können, damit Moskau nicht weiter eskaliert. Alles das gilt weiterhin und verdient Vertrauen und Unterstützung.
Was werfen Sie Joachim Gauck dann vor?
Wenn ehemalige Repräsentanten unseres Staates einerseits die Erosion der demokratischen Ordnung und ihrer Werte beklagen, aber andererseits ohne Kenntnis der Gründe Entscheidungen der staatlichen Institutionen öffentlich in Zweifel ziehen, dann müssen sie sich fragen lassen, ob sie damit nicht genau das befördern, was sie zurecht beklagen.
Welche Region hat die deutsche Außenpolitik im Moment zu wenig im Blick?
Wir müssen in alle drei Himmelsrichtungen – West, Ost und Süden – weiter schauen und uns klar darüber werden, dass uns nicht nur eine neue Arbeits- und Wirtschaftswelt herausfordert; sondern dass wir uns einer massiven Veränderung der internationalen Ordnung gegenüber sehen. Es ist noch stärker klar geworden, dass Länder, die die internationale Ordnung mittragen wollen, zwar Partner sein können, aber nicht alles gleich sehen wie wir und schon gar nicht bereit sind, ihre Sichtweise einer westlichen Brille unterzuordnen.
Müssen wir Erwartungen zurückschrauben, beziehungsweise sollen wir gar keine Bedingungen mehr formulieren?
Man kann klar formulieren, dass wir uns an internationalem Recht und am Völkerrecht orientieren, dass das zumindest unser Maßstab ist. Aber wir müssen akzeptieren, dass andere Länder möglicherweise andere Kriterien anlegen, dass sie Vorgänge anders betrachten, was nicht selten mit historischen Erfahrungen zu tun hat, die sie ihrerseits mit dem Westen gemacht haben.
Wie sollen wir diesen Ländern gegenüber auftreten? Weniger fordernd?
Zum einen mit mehr Respekt, aber auch mit einer gewissen Demut. Zum anderen nicht allein mit der Perspektive, wie unser Auftreten innenpolitisch wirkt.