Interview
Erscheinungsdatum: 26. September 2024

Ökonom aus Wien: „Die NEOS haben Christian Lindner als Vorbild“

Der deutsche Ökonom leitet das Institut für Höhere Studien (IHS) und spricht über den möglichen Wahlsieg der FPÖ in Österreich. Er hält es für wahrscheinlich, dass sie trotzdem nicht mitregiert.

In Umfragen liegt die FPÖ vorne und könnte mit der konservativen ÖVP koalieren.

Das ist nicht unbedingt die wahrscheinlichste Koalition. Ich halte eine aus ÖVP, SPÖ und den liberalen NEOS für wahrscheinlicher.

Was wäre von einem solchen Bündnis zu erwarten?

Die müsste sich ganz schön zusammenraufen – und hätte eine ähnliche Aufgabe wie die Ampel-Koalition. Die hat es am Anfang ja geschafft, eine Aufbruchstimmung zu schaffen nach dem Motto: Das Land wird modernisiert. In Deutschland hieß das „Fortschrittskoalition“, die NEOS sprechen von „Reform-Regierung“.

Kann das funktionieren?

Es würde erst mal knirschen, wie es auch in der aktuellen Koalition aus ÖVP und Grünen der Fall war. Das Ganze könnte aber funktionieren, wenn die NEOS als Brücke fungieren – so, wie sie sich gerade präsentieren.

Wie meinen Sie das?

Sie sagen, dass sie versuchen wollen, die schlechten Ideen der beiden anderen Parteien einzuhegen. Die SPÖ steht unter dem jetzigen Parteichef Andreas Babler sehr links – es ist daher unklar, ob er die Führungsposition bei so einer Konstellation beibehalten würde. Auch die ÖVP, die mit Bundeskanzler Karl Nehammer eher rechts steht, müsste sich dann anpassen und stärker in die Mitte rücken. Die NEOS möchten Moderator sein und haben auf eine Weise Christian Lindner als Vorbild.

Inwiefern?

Sie wollen mit Parteichefin Beate Meinl-Reisinger das Finanzministerium als Schaltstelle. Was nicht funktionieren würde – das hat man in Deutschland gesehen – ist, eine Vetopolitik zu fahren: zu allem nein! zu rufen. Aber wenn man das als moderierende Rolle interpretiert, könnte es etwas werden. So könnten die Ideen aus dem linken und konservativen Spektrum zu so etwas wie einer liberalen Mitte zusammenkommen.

Welche Schwerpunkte haben die NEOS?

Zwei Themen finden sie besonders wichtig. Das eine ist effizientes Haushalten – sie sind zum Beispiel die einzigen, die bei der Rente sparen wollen. Und das zweite Thema, bei dem es auch in Deutschland massiv hakt, ist Bildung. Die ist zentral für die gesellschaftliche Transformation: Wenn wir vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, sinkender Produktivität und weniger Wettbewerbsfähigkeit vorankommen wollen, dann wird das nur funktionieren über kluge Köpfe. Und das gilt letztlich für ganz Europa, nicht nur für Österreich und Deutschland. Wobei die Bildungssysteme dieser beiden Länder etwas gemein haben.

Und zwar?

Sie sind sozial extrem selektiv. Es ist für Kinder, die aus bildungsfernen Haushalten kommen, unglaublich schwierig, den Bildungsaufstieg zu schaffen. Die einzige Partei, die mit dem Thema wirklich Wahlkampf bestreitet, sind im Moment interessanterweise die NEOS. Diese politische Leerstelle muss jedenfalls unbedingt besetzt werden, auch in Deutschland. Dort ist es aber viel schwieriger, weil der Föderalismus zuschlägt. Das geht in Österreich besser, weil der Bund hier mehr Möglichkeiten hat.

Welche Rolle spielt die Migrationspolitik?

Es gibt jetzt schon unter Schwarz-Grün einen harten Kurs im Vergleich zu Deutschland. Man muss aber aufpassen: Wenn wir über Migrationspolitik sprechen – das gilt für beide Länder – dann geht es in der Regel um die Fluchtmigration. Dabei gibt es zum Beispiel auch die Fachkräfteeinwanderung. Für Österreich ist die EU-Binnenmigration sehr wichtig, die ja gar nicht steuerbar ist.

Sie meinen die Nähe zu den osteuropäischen Mitgliedsländern?

Ja, von Wien aus sind es jeweils nur rund 50 Kilometer nach Tschechien, Ungarn und in die Slowakei. Da müssen Leute nicht einwandern, die pendeln einfach rein – etwa als Pflegefachkräfte. Alle Projektionen gehen davon aus, dass Österreich 2050 mehr als zehn Millionen Einwohner hat, also eine Million mehr als heute. Der Großteil davon kommt über die Arbeitskräftezuwanderung. Österreich hat mit der „Rot-Weiß-Rot-Karte“ auch etwas Ähnliches gemacht wie Deutschland mit der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes: eine Möglichkeit, relativ unbürokratisch für die Arbeit in sogenannten Mangelberufen einzuwandern.

Wie klappt das?

Die strukturellen Voraussetzungen, um Leute aus Drittstaaten zu gewinnen, sind in beiden Ländern schwierig. Deutsch ist beispielsweise keine international übliche Sprache. Die Erfolglosigkeit in diesem Bereich hat also nur wenig mit den gesetzlichen Regularien zu tun. Deutschland ist im internationalen Vergleich mit am weitesten offen für die Zuwanderung von Fachkräften, aber es gelingt einfach nicht gut. Man darf nicht so tun, als ob es gar nicht klappt – aber es generiert keine großen Zahlen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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