Interview
Erscheinungsdatum: 06. Februar 2024

Jutta Allmendinger: „Wir müssen Ungleiches ungleich behandeln“

Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) fordert von Unternehmen mehr Weiterbildungsangebote. Die Politik müsse das entsprechend flankieren.

Eine von Ihnen geleitete Arbeitsgruppe zur „Zukunft der Arbeit“ hat eine Weiterbildungsversicherung ins Spiel gebracht. Warum braucht es solche neuen Ideen?

Weil wir es im Leben mit unterschiedlichen Zyklen von Bildung zu tun haben. Wir bräuchten zum einen ein flächendeckendes System von hochwertigen Kindertagesstätten, gefolgt von Ganztagsschulen, in denen die Kinder eine zielgenaue Unterstützung bekommen, die eben mit anderen Startchancen reinkommen. Das ist der Kern: Wir müssen Ungleiches ungleich behandeln und das mit voller Wucht. Die weiteren Bildungsetappen müsste man dann viel stärker in die Breite ausbauen.

Wie meinen Sie das?

Wir haben immer noch ein System, in dem sich eine Ausbildung durch den ganzen Lebenslauf zieht. Heute wird sich beklagt darüber, dass Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Erwerbstätige nicht „weiterbildungsaffin“ seien und Angst davor hätten. Diese Angst, die viele Personen mit niedriger, aber auch mittlerer Bildung haben und in Berufen arbeiten, die sich schnell verändern oder wegfallen, ist absolut verständlich. Wenn man schon in der Schule Misserfolgserlebnisse hatte, dann freut man sich nicht unbedingt auf eine Weiterbildung. Es geht auch um negative Stereotypisierungen, an die wir ranmüssen.

Zum Beispiel?

Ich habe bei der Bundesagentur für Arbeit gearbeitet, Umschulung galt da als eher negativ besetztes Wort und bezeichnete das Scheitern aller sonstigen Integrationsversuche in den Arbeitsmarkt. Es hieß: Schule die um, die sonst gar nichts auf die Reihe kriegen. Umschulung müsste aber positiv besetzt sein, da sie neue Optionen eröffnet. Nach einer ersten Berufsphase kann sie Möglichkeiten bieten, physisch und psychisch weniger belastende Tätigkeiten zu verrichten, gesünder zu bleiben, einen Arbeitsplatz zu sichern. In Zukunft müssen wir also auch eine zweite oder eine dritte Ausbildung ganz selbstverständlich anbieten. Dann würden wir auch einen anderen Kern des Fachkräftemangels treffen: Wir haben viel zu viele Menschen, die vorzeitig in Ruhestand gehen müssen. Die Unternehmen machen es sich bisher zu leicht.

Weshalb?

Sie klagen über Fachkräftemangel, sorgen aber nicht für entsprechende Weiterbildungsangebote. Natürlich müsste das auch flankiert werden von der Politik. Dort gibt es Initiativen, die aber immer wieder austrocknen. Herr Heil hatte im Aus- und Weiterbildungsgesetz eine bezahlte Bildungszeit geplant, sie aber nicht durchsetzen können. Dabei haben die Leute Lust: Wenn wir in Untersuchungen fragen, ob sie sich weiterbilden möchten, dann sehen wir positive Entwicklungen. Je besser ihre Erstausbildung war, desto mehr wollen sie. Dafür muss man Ihnen dann aber auch entsprechend was bieten.

Briefings wie Berlin.Table per E-Mail erhalten

Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

Anmelden

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

Teilen
Kopiert!