Herr Fechner, 23 Wahlkreissieger sind nicht in den Bundestag gekommen. Das ist das Ergebnis der Wahlkreisreform der Ampel. War Ihr Reformansatz wirklich der richtige?
Das ist natürlich nicht schön für die Betroffenen, aber nur vier Wahlkreise haben jetzt gar keinen MdB. Wir haben den Bundestag verkleinert und gesichert, dass das Wahlergebnis sich genau in der Sitzverteilung widerspiegelt. Die Union hat keine konstruktiven Vorschläge gemacht, um beides zu erreichen. Und im Übrigen: Wahlkreissieger mit nur 30 Prozent der Erststimmen – und darum handelt es sich ja ganz überwiegend bei den Nicht-Gewählten – ist jetzt auch keine überragende Legitimation.
Werden Sie das Wahlrecht als schwarz-rote Koalition noch einmal anpacken?
Ja, ich gehe davon aus. Wir haben die mögliche Abweichung der Einwohnergröße eines Wahlkreises auf 15 Prozent des Durchschnitts festgelegt. Dem entsprechen viele Wahlkreise wegen der Bevölkerungswanderung in viele Wahlkreise nicht mehr. Vor allem die städtischen Wahlkreise sind gewachsen. Wir müssen viele Wahlkreis neu zuschneiden.
Dann könnten Sie doch auch gleich die Zahl der Wahlkreise reduzieren.
Das wäre theoretisch die einzig wirkliche Option, wenn die Erststimmensieger gesichert in den Bundestag einziehen und die Zweitstimmen die Sitzverteilung genau abbilden sollen. Dann könnten wir wieder mit Ausgleichs- und Überhangmandaten arbeiten und kämen auf etwa 650 Abgeordnete. Aber dann müßten wir die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 reduzieren, was riesige Wahlkreise produzieren würde und deshalb auf große Widerstände stößt.
Bayern hat ein Wahlrecht, auf das die CSU schwört, weil ein Direktmandat den Einzug in den Landtag garantiert und das die Zweitstimmenverhältnisse adäquat wiedergibt. Wäre das nicht ein Modell?
Wir haben uns das in der Wahlrechtskommission angeschaut. Es ist ein kompliziertes Wahlrecht und es bleibt das Problem der Ausgleichsmandate. Außerdem ist der bayrische Landtag mit derzeit 203 Abgeordneten sehr groß. Auf 66.000 Einwohner kommt in Bayern ein MdL, das umgerechnet auf den Bund ergäbe einen doppelt so großen Bundestag mit 1250 Abgeordneten.
Wird das Wahlrecht, zumal es ja umstritten ist, auch Teil der Koalitionsverhandlungen sein?
Das hat die Union angekündigt. Die Union muss dann aber einen konstruktiven Vorschlag machen, der einen zu großen Bundestag verhindert und die genaue Abbildung des Wahlergebnisses in der Sitzverteilung garantiert.
Wenn die Zahl der Wahlkreise reduziert und diese gleichzeitig alle neu geschnitten würden, wie muss man sich das vorstellen?
Das gäbe oft großen Unmut vor Ort. Neu geschnittene Wahlkreise sind immer heftig umstritten, weil sich immer irgendjemand benachteiligt fühlt. Aber die Wahlkreis-Kommission, die sich nach jeder Bundestagswahl über die Zahlen beugt, würde Vorschläge machen.
Wer gehört zur Wahlkreis-Kommission und bis wann müssen die Vorschläge vorliegen?
Die Kommission besteht aus dem Bundeswahlleiter, einem Richter des Bundesverwaltungsgerichts und Vertretern der Länder-Innenministerien, denn die Neuordnung findet ja immer innerhalb von Ländergrenzen statt. Sie muß innerhalb von 15 Monaten ab Beginn der Wahlperiode ihren Bericht zur Bevölkerungsentwicklung in den Wahlkreisen abgeben.
Ein großes Thema waren bei dieser Bundestagswahl auch die Auslandsdeutschen, von denen viele nicht wählen konnten. Was werden sie denen anbieten, um sich nicht wieder solchen Debatten aussetzen zu müssen?
Rund 85 Prozent der rund 3,5 Millionen Auslandsdeutschen wohnen in Nachbarländern, viele sogar im grenznahen Bereich. Von daher reduziert sich die Zahl der Betroffenen doch ziemlich. Bei dieser Wahl waren die knappen Fristen die Besonderheit, auf die ja vor allem die Union gedrängt hat. Wir hatten bekanntlich vor den Schwierigkeiten, die ja absehbar waren, gewarnt.
Und wenn Sie nach vorne schauen, worin könnte ein Ausweg bestehen?
Ich könnte mir vorstellen, dass wir im Ausland in den Botschaften und Konsulaten wahlkreisspezifische Wahlzettel mit Erst- und Zweitstimme ausdrucken, die man dann vor Ort ausfüllt und so erheblich Zeit einspart.
Eine ganze Anzahl von Auslandsdeutschen hat angekündigt, juristisch gegen die Wahl vorzugehen.
Ja, das Ergebnis wird angefochten werden. Aber die Zahl der Betroffenen ist zu gering, das wird aus meiner Sicht wegen fehlender Mandatsrelevanz, wie das fachtechnisch heißt, keinen Erfolg haben.
Aber so richtig befriedigend ist das Verfahren bisher nicht, das werden Sie einräumen. Türken oder Italiener im Ausland können einfacher wählen. Warum schaffen wir das bisher nicht?
Das stimmt. Aber der Auslandsaufenthalt ist ja in der Regel ein selbstgewählter. Und die allermeisten Auslandsdeutschen konnten problemlos ihre Stimme abgeben. Deshalb habe ich da kein großes Störgefühl. Und dennoch, es ist richtig: Wir sollten die Möglichkeit zu wählen für Auslandsdeutsche insbesondere bei verkürzten Fristen vereinfachen.