Analyse
Erscheinungsdatum: 10. Dezember 2024

Zusammenlegung und Zielsteuerung: Welche Jobcenter-Reformen nicht vorankommen

Manche Jobcenter sind so klein, dass sie kaum sinnvoll wirtschaften können. Zusammenlegungen könnten helfen, sorgen aber für Konflikte – genau so wie die Frage, ob man die bisherigen Erwartungen an die Arbeitsvermittlung an die neuen Zielvorgaben für das Bürgergeld anpasst.

Von den 404 Jobcentern in Deutschland sind manche so klein, dass sie mit ihrem anteilig heruntergerechneten Budget nicht sinnvoll arbeiten können: Dieser Vorwurf ist selbst aus der Bundesagentur für Arbeit zu hören. Die aktuelle Verwaltungsratsvorsitzende Christina Ramb sagte im Interview mit Table.Briefings, die Strukturen seien so kleinteilig, „dass eine effiziente Verwaltung dauerhaft nicht möglich ist“. Ende 2023 empfahl auch der Bundesrechnungshof dem BMAS eine bedarfsgerechtere Verteilung der Mittel. Er kritisierte „die starren und schematischen Mechanismen“, derer sich das Ministerium bisher bediene. Derzeit berechnet es die Zuweisungen für jedes Jobcenter mithilfe eines Indikators für den jeweiligen „Problemdruck“. Dieser wird berechnet anhand des jeweiligen Anteils der Leistungsberechtigten an der örtlichen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter.

Aus Sicht des Linken Matthias Birkwald (MdB) ist das ein Problem, da kleinere Jobcenter in ländlichen Gegenden benachteiligt würden. Sie müssten oft Mittel, die eigentlich für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gedacht sind, in die Verwaltung umschichten – etwa wegen steigender Personalkosten durch Tarifabschlüsse. Birkwald fordert deshalb die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) auf, das System „im Interesse der betroffenen Langzeitarbeitslosen“ zu reformieren. Bestätigt sieht er sich durch die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage seiner Gruppe. Ende November verteidigte sie darin den Einsatz des „Problemdruckindikators“. Es sei zutreffend, dass er große Jobcenter begünstige. Unzutreffend sei dagegen die Behauptung, dass kleine Einrichtungen „systematisch zu wenig Mittel zugeteilt bekämen“.

Die meisten von ihnen sind in Bayern. Viele haben nicht mal 50 Mitarbeiter und sind nur für 2.000 bis 3.000 Personen zuständig. Zum Vergleich: Das bundesweit größte Jobcenter in Hamburg betreut gut 190.000 Menschen. Manche Fachleute fordern daher Fusionen, um Verwaltungskosten zu sparen und sich auf die Qualifizierung und Betreuung zu konzentrieren. Mancherorts ist das schon passiert. Haushaltskreise schätzen das Einsparpotenzial als relevant ein: Bei Personalkosten von durchschnittlich 80.000 bis 100.000 Euro pro Stelle würden zehn Stellen weniger rund eine Million Euro bringen. Dass sich Einrichtungen nicht zusammentun, liegt oft daran, dass die örtlichen Träger den Verlust von Personal und Kompetenzen oder auch eine verringerte Präsenz in der Fläche fürchten.

Umgekehrt gibt es in Bayern und Baden-Württemberg Fälle, in denen die Jobcenter von Stadt und Landkreis im gleichen Gebäude untergebracht sind – aber organisatorisch getrennt. Mittel untereinander umzuverteilen, ist ihnen untersagt. Das bayerische Sozialministerium (StMAS), das 2025 auch den Vorsitz der ASMK innehat, verweist auf die Kommunen und örtlichen Arbeitsagenturen. Eine Anweisung zur Zusammenlegung sei nicht möglich.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist offen für solche Zusammenlegungen. In der Regel könnten hier „positive Synergieeffekte und Effizienzgewinne erreicht werden“. Das StMAS sieht eine „systematische Unterfinanzierung“ der Jobcenter als grundsätzliches Problem. Durch die Art der Berechnung komme es zudem zu einer „systematischen Falschverteilung der Mittel“. Große Jobcenter bekämen Zuschläge, kleine dagegen Abschläge. Dadurch könnten sie Leistungsempfängern weniger bei der Jobsuche helfen. Moritz Duncker, Vorsitzender der Jobcenter-Personalräte ist gegen eine Zusammenlegung von Jobcentern. Neben rechtlichen Fragen sieht er zum Beispiel die Gefahr, dass Menschen weit pendeln müssen und dass die enge Verzahnung mit örtlichen Kooperationspartnern wie Ämtern und Unternehmen leidet. Über Kooperationen und Verwaltungsverbünde sollte aber nachgedacht werden, so Duncker. Gleichzeitig hält er es nicht für ausgemacht, dass größere Einrichtungen automatisch effizienter arbeiten. Umfangreiche Fusionen stehen jedenfalls erst mal nicht an.

Stillstand herrscht auch bei der Anpassung der sogenannten Zielsteuerung im Bürgergeld-System (SGB II). Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien vereinbart, die „Nachhaltigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt“ ins Zentrum zu stellen. Schließlich soll das der Kern des Bürgergelds sein: mehr Zeit für Qualifizierung, damit Betroffene nicht einfach in die nächstbeste Hilfstätigkeit gesteckt und kurz darauf wieder beim Jobcenter vorstellig werden. Bisher wird aber nicht systematisch erfasst, wie gut das gelingt. Stattdessen sind weiterhin drei Kennzahlen maßgeblich: wie viel Geld ausgegeben wird, wie viele Menschen in Arbeit kommen und wie viele Langzeitarbeitslose es gibt – also Menschen, die seit mindestens einem Jahr nichts gefunden haben. Um dieses System weiterzuentwickeln, nahm 2023 eine Projektgruppe aus BMAS, BA, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden die Arbeit auf. Schon länger gibt es außerdem eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Steuerung SGB II“, die sich mehrmals im Jahr trifft – das nächste Mal am 11. Dezember.

Ursprünglich waren für 2025 Änderungen geplant. Dass sich bisher nichts getan hat, liegt an Bayern – alle Länder müssten zustimmen. Grundsätzliche stehe man der Idee positiv gegenüber, heißt es im Sozialministerium in München. Derzeit sei das den Jobcentern – „insbesondere nach den noch fortdauernden Belastungen durch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges“ – aber nicht zumutbar. Veränderte Prozesse verursachten nur zusätzlichen Aufwand. Wichtiger seien mehr Mittel, um den vor allem flüchtlingsbedingt gestiegenen Fallzahlen und den inflationsbedingt gestiegenen Personalausgaben Rechnung tragen zu können.Stefan Graaf, Sprecher des Bundesnetzwerks Jobcenter, gibt zudem zu bedenken: Von den damaligen Ampel-Partnern genannte Parameter wie „soziale Stabilisierung“ und „Teilhabe“ seien nur bedingt messbar.

Die Jobcenter haben derzeit ohnehin andere Sorgen. Ihre finanziellen Probleme bleiben erst mal ungelöst, zumal der Bundeshaushalt wegen des Ampel-Aus erst mal auf Halde liegt. Daher sind auch die im Oktober vom BMAS veröffentlichten „Gemeinsamen Planungsgrundlagen der Zielsteuerung im SGB II“ für 2025 vorläufig Makulatur. Darin legen Bund, Länder, Kommunen und BA jährlich Schwerpunkte, Rahmenbedingungen und Zeitplan fest. Dazu kommen noch Zielvereinbarungen, die das BMAS jeweils mit der BA und den Ländern abschließt. BA und Länder schließen wiederum Vereinbarungen mit den einzelnen Jobcentern ab. Bis Ende Dezember wollte das BMAS im Einvernehmen mit dem BMF die sogenannte Eingliederungsmittel-Verordnung 2025 erlassen, damit jede Einrichtung weiß, was auf sie zukommt. Im August hatte das Ministerium schon Orientierungswerte verschickt. Wie die Haushaltsführung allgemein bleibt auch das jetzt erst einmal – vorläufig.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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