Konkreter hätte sich der Riss kaum zeigen können. Ausgerechnet an Aschermittwoch demonstrierte n Markus Söder und Friedrich Merz, wie unterschiedlich sie über eine mögliche Zusammenarbeit mit den Grünen denken. Keiner von beiden hat darauf aktuell besondere Lust. Aber während Söder die Klima- und Umweltschutzpartei seit Monaten mit brachialer Rhetorik als Partner grundsätzlich ausschließt, hat Merz keinerlei Interesse daran, sich durch ein voreiliges Kommt-Nicht-Infrage die Koalitionsoptionen nach der nächsten Wahl einzuschränken. Söder also lästerte in Passau mit Härte und Garstigkeit gegen die Öko-Partei – und nur wenige Stunden später erklärte Merz vor durchaus kritischem Publikum im thüringischen Apolda, er werde sich durch solche Äußerungen doch nicht den eigenen Handlungsspielraum beschneiden lassen.
Der Kontrast könnte noch lange nachwirken. Zum einen, weil Söder bis jetzt offenbar keinerlei Rücksicht darauf nimmt, dass solche Abgrenzungen früher üblich und normal gewesen sein mögen, in Zeiten aggressiver Populisten und mittlerweile auch körperlich gefährlicher Protestaktionen gegen die Grünen aber nicht mehr unschuldig wirken. Quasi zur gleichen Zeit, als der CSU-Chef in Passau gegen sie wetterte, wurden prominente Grüne im schwäbischen Biberach von ihrer Veranstaltung auch mit Gewalt abgehalten. In solchen Umständen kann eine früher übliche politische Attacke in ganz anderem Licht erscheinen.
Zum anderen gibt es in der CDU einen grundsätzlich pragmatischeren Blick auf die Grünen. Nach wie vor gibt es mehrere Ministerpräsidenten und Landesverbände, die selbstverständlich mit ihnen zusammen regieren. Und zwar nicht dauernd im Clinch, sondern in Düsseldorf und Kiel nahezu geräuschlos und vertrauensvoll. Sie konterkarieren offen, was Söder mit seinem Habitus behauptet: dass das nicht möglich sein und deshalb ausgeschlossen werden müsse.
CDU-Chef Merz hat in dieser Frage eine kleine, aber wesentliche Wandlung hinter sich. In der Hochphase des Streits um das Gebäudeenergiegesetz hatte auch er die Grünen in verkürzter Form zum großen Gegner erklärt. Inzwischen aber hat er, in seiner Partei deutlich stabilisiert, solch garstige und vor allem ausgrenzende Worte nicht mehr nötig. Im Gegenteil: Je näher die Chance auf eine Kanzlerkandidatur rückt, desto staatstragender will er sich präsentieren. Nicht ohne Schärfe, aber ohne den Versuch, die demokratische Konkurrenz zu diffamieren. Zumal Merz immer wieder betont, dass sein persönlicher Kontakt zu den meisten grünen Führungspersönlichkeit ausgesprochen fair und gut sei.
CSU-Chef Markus Söder hat dagegen ganz andere Interessen. Söder war noch nie der politische Stratege, der in langen Linien denkt. Sondern immer der Taktiker, der den tagespolitischen Erfolg im Auge hat. Und in der aktuellen Lage macht es für Söder keinen Sinn, Entspannungssignale an die Grünen zu senden, ganz im Gegenteil. Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch hält aus Söders Sicht sogar für „töricht“, wenn vor der Europawahl seinen harten Anti-Grün-Kurs ändern würde. Denn davon würden in Bayern nur die Freien Wähler von Hubert Aiwanger profitieren.
Aiwanger betreibt ein noch brachialeres Grünen-Bashing als Söder und könnte Söder und die CSU als unsichere Kantonisten hinstellen, falls sie plötzlich eine moderatere Tonlage gegenüber den Grünen anschlagen würden. Vor dieser Masche Aiwangers hatte die CSU schon im bayerischen Landtagswahlkampf Angst, weswegen Söder bei jeder Gelegenheit eine schwarz-grüne Koalition kategorisch ausgeschlossen hatte. Münch glaubt deshalb, dass Söder einen Kurswechsel gegenüber den Grünen „solange wie möglich hinauszögern“ werde.
Söders Verhalten hat allerdings nicht nur wahltaktische Gründe. Er muss auch auf die Gemütslage seiner eigenen Partei Rücksicht nehmen. Als nach der Bundestagswahl 2017 wochenlang über eine Jamaika-Koalition verhandelt worden ist, scheiterten die Gespräche am Ende wegen FDP-Chef Christian Lindner und nicht wegen einer Grünen-Phobie bei der CSU. Selbst beim der konfliktträchtigen Flüchtlingspolitik sollen damals die Gräben zwischen Grünen und CSU nicht unüberwindbar gewesen sein. Und als Anfang 2021 Söders eigene Kanzlerambitionen immer konkreter wurden, hat er regelrecht von einer schwarz-grünen Zusammenarbeit geschwärmt. Eine grüne Außenministerin Annalena Baerbock konnte sich Söder damals gut vorstellen, natürlich unter ihm selbst als Kanzler.
Das hat sich fundamental geändert. Vor allem das Heizungsgesetz von Robert Habeck hat an der CSU-Basis verheerende Wirkungen gehabt. Es sind damit alte Aversionen gegen die Grünen nicht nur wiederbelebt, sondern massiv verstärkt worden. Habeck und Baerbock gelten in der CSU in der CSU inzwischen als regelrechte Hassfiguren. Eine Koalition mit den Grünen wäre mittlerweile nicht nur für den konservativen Flügel der CSU undenkbar, sondern auch für die liberaleren, städtischen Teile der Partei. Vor allem die Positionen der Grünen beim Thema Migration gelten als Ausschlusskriterium. „Wenn die in der Migrationsfrage alles blockieren, kommen die als Partner doch gar nicht in Frage“, sagt einer, der selbst zum liberalen Flügel der Partei zählt.
Parteichef Söder hat die Grünen-Aversion freilich auch nach Kräften angeheizt und tut das auch weiterhin. Das hat sich zuletzt bei Söders Entgleisung beim Politischen Aschermittwoch gezeigt, als die Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke als „grüne Margot Honecker“ bezeichnet hatte. Söders Verhalten habe eine Spirale ausgelöst, die kaum zu durchbrechen sei, sagt einer der Nachdenklichen in der CSU. „Das Anti-Grün ist in die DNA der CSU eingeimpft worden“.
Doch es gibt auch andere Stimmen in der CSU. Dabei mischen sich strategische und grundsätzliche Einwände. Strategisch läuft Söder in den Augen seiner Kritiker Gefahr, den gleichen Fehler zu wiederholen wie bei der Landtagswahl, als er sich früh auf die Freien Wähler als einzig möglichen Koalitionspartner festgelegt hatt. Ein schwerer politischer Fehler, wie inzwischen auch in der CSU viele finden. Weil eine schwarz-gelbe Koalition angesichts der aktuellen Umfragewerte ein unrealistischer Wunschtraum des FDP-Generalsekretärs ist, wäre die Union bei einer kategorischen Absage an die Grünen allein auf die SPD als möglichen Partner angewiesen. „Das treibt den Preis nach oben“, heißt es in der Partei.
Neben den strategischen Erwägungen gibt es aber auch ganz grundsätzliche Bedenken gegen Söders aktuellen Kurs. Seit dem Treffen in Potsdam, bei dem Rechtsextreme gemeinsam mit AfD-Vertretern über Deportationspläne gesprochen haben, ist etwas ins Rutschen geraten. Auf der einen Seite protestieren Hunderttausende gegen die AfD und den wachsenden Rechtsextremismus, auf der anderen Seite geraten die Proteste aufgebrachter Bauern immer wieder außer Kontrolle. Wie zuletzt in Biberach, wo die Aschermittwochsveranstaltung der Grünen abgesagt werden musste. Müssten sich in dieser Lage die demokratischen Parteien nicht unterhaken, statt sich gegenseitig der Unfähigkeit zu bezichtigen? Einer, der das so sieht, ist der ehemalige CSU-Chef Horst Seehofer. „In dieser aufgeheizten Situation müssen Demokraten zusammenwirken, ohne dass wir die Unterschiede verschleiern“, sagte Seehofer zu Table.Media.
Dass Söder sich Zeit lassen kann mit einem Kurswechsel in Sachen Grüne, hat auch mit seiner vergleichsweise komfortablen persönlichen Lage zu tun. In der CSU gibt es niemanden, der eine Diskussion über seinen politischen Kurs anzetteln könnte. Und wenn Söder die Europawahl ohne weitere Schrammen übersteht, hat er erst einmal Ruhe. Friedrich Merz muss dagegen nach der Europawahl noch drei schwierige Landtagswahlen im Osten hinter sich bringen. Ursula Münch glaubt deshalb, dass sich Söder erst nach diesen Landtagswahlen neu sortieren werde. Und wer weiß, ob Friedrich Merz dann noch genauso stark dasteht wie im Moment.
Dabei könnte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer eine zentrale Rolle spielen. In der CDU gilt er als fester Unterstützer von Merz; im Umgang mit seinen grünen Koalitionspartnern aber klingt er wie Söder. Kretschmer stellt intern wie bei öffentlichen Auftritten regelmäßig klar, wie gerne er ohne den grünen Koalitionspartner regieren würde. Er wirft den Grünen Ideologie vor, verkündet auf Konferenzen seiner Partei das Wahlziel, wieder ohne „diese Leute“ zu regieren. Während die CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Daniel Günther eher die Erfolge ihrer Regierungsbündnisse mit den Grünen präsentieren, stellt man in Sachsen die Gräben ins Schaufenster; auch aus Angst, Wählerinnen und Wähler zu vergraulen, denen die Partei als Inbegriff der „red flag“ gelten.
Ranghohe Funktionäre der Sachsen-CDU sagten zu Table.Media, dass Kritik an der Ampel und allen voran den Grünen im Bund eine zentrale Säule im sächsischen Landtags-Wahlkampf sein werde. Die CDU malt von den Grünen das Bild einer Partei der Übergriffigkeit, die mit Vorhaben wie dem Heizungsgesetz eine Grenze in den Privatraum der Menschen überschritten habe. Gerade bei Wählerinnen und Wählern mit DDR-Erfahrungen ist die Sensibilität gegenüber Eingriffen durch die Politik ins Private tatsächlich besonders groß; Reminiszenzen drängen sich schnell auf, alte Ängste vor Bevormundung und dem Verlust eigener Ohnmacht werden aktiviert.
Einige einflussreiche Christdemokraten in Sachsen trommeln deshalb schon länger für die Option einer Minderheitsregierung aus CDU und SPD nach der kommenden Landtagswahl. Sie betonen, es sei schon 2019 ein Fehler gewesen, mit den Grünen überhaupt je eine Koalition einzugehen. So gerne Kretschmer allerdings ohne die Grünen regieren würde – wie schwer das werden könnte, hat er zuletzt selbst formulieren müssen. Mit Leih-Stimmen aus dem Lager links der SPD kann der Ministerpräsident nicht in relevantem Maß rechnen, zu viele Verletzungen haben sich gerade seit 2019 aufgebaut. Und eine Abhängigkeit von der AfD, um Mehrheiten zu generieren, kann sich spätestens mit dem Blick nach Thüringen kein CDU-Chef wünschen.
Beim Stand heute sieht deshalb vieles danach aus, dass sich Söder mit seiner harten Linie eher keinen Gefallen tut, jedenfalls wenn er doch noch Kanzlerkandidat werden möchte. Auch wenn es in den Reihen der CDU, vor allem im Osten, natürlich mehr Christdemokraten gibt, die seine harsche und dadurch besonders entschlossene Art mögen und seine taktisch-strategischen Überlegungen teilen. Aber die Zahl derer, die sich den Söder'schen Habitus als Vorbild für die nächste Bundestagswahl wünschen, hat in den letzten Monaten trotzdem abgenommen.
Dabei geht es zum Einen um die Frage, wer am Ende Kanzlerkandidat wird. Hinter wem sich also vor allem die CDU am Ende versammeln wird. Söder hat bis heute nicht verwunden, dass er 2021 Armin Laschet den Vortritt lassen musste – und hat mit seinen ständigen Sticheleien anschließend zur Niederlage der Union beigetragen. Er würde also am liebsten noch immer Kandidat und Kanzler werden. Trotzdem setzt er schon wieder auf Spaltung statt auf ein Miteinander. Als ob er Merz in dieser Frage bezwingen müsste. Dass das erfolgreich sein könnte, halten viele für unwahrscheinlich. Und zwar gemessen an Merz persönlich, aber auch an der Stimmungslage insgesamt.
Hinzu kommt etwas zweites, jenseits der Personen. Im Wahlkampf 2005 musste CSU-Chef Edmund Stoiber, der das Kanzleramt drei Jahre zuvor nur um Haaresbreite verfehlt hatte, Angela Merkel den Vortritt lassen. Doch statt sich mit ihr eng zu verbünden, lehnte Stoiber es damals ab, in Merkels Kompetenzteam eine feste Rolle zu übernehmen. Die Konsequenzen waren vielleich tnicht sofort zu erahnen, aber sie zeigten sich anschließend mit voller Wucht. Merkel musste sich für ihr Team eine Alternative suchen, weil auch Merz seine Teilnahme ohne absolut eindeutiges Bekenntnis von Stoiber ablehnte.
Und so holte Merkel damals den Verfassungsrechtler Paul Kirchhof in ihr Team. Der wirkte sehr kurz als Boost und wurde dann zur Katastrophe. Mit seinen hochtheoretischen und arrogant vorgetragenen Steuerplänen lieferte er der SPD und ihrem Kanzler Gerhard Schröder genau jene Wahlkampfmunition, mit der Schröder die Union als kalt und herzlos angreifen konnte. Mit seiner Kampagne gegen den „Professor aus Heidelberg“ hätte Schröder die Wahl fast noch gewonnen.
Merz und Söder müssen deshalb nicht nur die K-Frage klären, sondern sich auch auf eine gemeinsame Strategie einigen, die sie beide mit Überzeugung vertreten. Die Frage, ob die Union die Grünen als zwar schwierigen, im Augenblick sogar sehr schwierigen Vielleicht-Partner betrachten oder sie als ultimativen Gegner, am besten mit Unvereinbarkeitserklärung bekämpfen, gehört zweifellos zu einer solchen Strategie dazu.