Analyse
Erscheinungsdatum: 26. Februar 2023

Was der Weltgemeinschaft möglich ist

Eleventh Emergency Special Session of the General Assembly 2nd day Results of the vote on resolution in support of Ukraine during General Assembly Emergency session on Russian aggression against Ukraine vote at UN Headquarters. Members of UN voted to approve resolution of withdrawal of Russian troops from Ukraine and a halt to fighting. Vote was 141 for, 7 against and 32 abstained, 13 countries did not vote. All amendments were voted down New York New York United States Copyright: LevxRadin
Die UN-Vollversammlung hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine noch einmal mit großer Mehrheit verurteilt. Das hat symbolisch durchaus eine Bedeutung. Durchsetzen können die UN davon zunächst aber wenig. Eine Analyse über die Möglichkeiten und die Grenzen der Vereinten Nationen – und die Rolle, die der Internationale Strafgerichtshof noch spielen kann.

Die Ereignisse in New York machen die Misere der Vereinten Nationen deutlich: Zwar hat die Generalversammlung, in der alle Mitgliedstaaten vertreten sind, Russland mit überwältigender Mehrheit aufgefordert, seine Streitkräfte sofort und bedingungslos aus der Ukraine zurückzuziehen. Durchsetzen kann sie das aber nicht. Dafür wäre gemäß der UN-Charta der Sicherheitsrat zuständig, in dem Russland als ständiges Mitglied jedoch ein Vetorecht hat. Er ist daher blockiert.

Dabei ist die Völkerrechtslage lehrbuchartig klar. Unter dem Eindruck der Weltkriege wollten die 1945 gegründeten Vereinten Nationen den Krieg ächten. Daher schrieben sie ein Gewaltverbot in ihre Charta. Artikel 2, Absatz 4 bestimmt: „Alle Mitglieder unterlassen (...) jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete (...) Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Davon macht die Charta nur zwei Ausnahmen: Die Staaten haben ein Recht auf Selbstverteidigung, wenn sie angegriffen werden. Und der Sicherheitsrat kann zur Gewalt greifen, um Weltfrieden und internationale Sicherheit zu bewahren oder wiederherzustellen.

Durch seinen Einmarsch in die Ukraine hat Russland die UN-Charta fundamental gebrochen. Dies hat die Generalversammlung mehrfach festgestellt und damit die Völkerrechtslage bekräftigt. Die Versuche Russlands, seinen Angriff zu rechtfertigen, werden von der Staatengemeinschaft als unhaltbar zurückgewiesen.

Russland behauptet, die ukrainische Regierung begehe im Osten des Landes einen Völkermord an den russischsprachigen Bürgern. Russland müsse daher eingreifen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag, das höchste Gericht der Weltgemeinschaft, hat jedoch bereits im März 2022 per Eilverfahren befunden, es lägen keine Beweise für die Völkermord-Behauptung Russlands vor. Der Gerichtshof verpflichtete Moskau vielmehr, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine unverzüglich einzustellen.

Das Putin-Regime behauptete weiterhin, es sei einem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Ukraine zuvorgekommen. Auch das ist völkerrechtlich unhaltbar. Die Gebiete im Osten der Ukraine, die sich mit russischer Hilfe seit 2014 illegal abgespalten haben und inzwischen von Russland rechtswidrig annektiert worden sind, gehören völkerrechtlich weiter zur Ukraine. Diese hat nach der UN-Charta das Recht, sie wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Dafür, dass die Ukraine einen Angriff auf russisches Territorium geplant hätte, gibt es keinerlei Beweise.

Moskau argumentierte zudem, die Ukraine forsche mit deutscher und US-amerikanischer Unterstützung an international geächteten Biowaffen. Selbst wenn dies zutreffen würde, würde es Russland noch nicht zu einem Angriff auf die Ukraine legitimieren. Aber die russische Regierung konnte auch keine Belege für ihre Vorwürfe vorlegen. Izumi Nakamitsu, die Hohe Repräsentantin der UN für Abrüstungsfragen, erklärte im Sicherheitsrat, die Vereinten Nationen hätten keine Hinweise auf Biowaffenprogramme in der Ukraine.

Bleibt die Behauptung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Ukraine habe nie eine ständige Tradition eigener Staatlichkeit gehabt. Darauf kommt es jedoch nicht an. Entscheidend ist, dass die Ukraine seit 1991, also nach dem Zerfall der Sowjetunion, ein international anerkannter souveräner Staat ist. Das hat Russland selbst bestätigt. So verpflichtete sich Moskau im Budapester Memorandum vom 5. Dezember 1994, die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Ukraine zu achten und auf Gewalt zu verzichten.

Russlands Angriff ist somit ein Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta. Der Ukraine steht daher ein Selbstverteidigungsrecht zu. Andere Staaten haben das Recht, Kiew dabei zu unterstützen. Die Vereinten Nationen wiederum haben sich in ihrer Charta dazu bekannt, „Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken“. Der Sicherheitsrat trägt dabei die Hauptverantwortung. Der Konstruktionsfehler ist nur, dass der Sicherheitsrat gelähmt ist, wenn eine Vetomacht den Frieden bricht.

Das ist fatal für die gesamte Friedensordnung, die die Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen haben. Der Kölner Völkerrechtsprofessor Claus Kreß sagte über den russischen Überfall auf die Ukraine: „Dies ist ein fundamentaler Angriff, nicht nur auf einen souveränen Staat, sondern auf die Völkerrechtsordnung insgesamt.“

Die Frage ist nun, wie diese Ordnung gegen den Angriff verteidigt werden kann. Kompromisse wie etwa Gebietszugeständnisse der Ukraine könnten Aggressoren als Ermutigung interpretieren, weitere Angriffskriege auch gegen andere Staaten zu führen. In der Weltgemeinschaft wird daher diskutiert, ob man Russland aus den UN oder zumindest dem Sicherheitsrat ausschließen könnte. Doch auch das würde Moskau per Veto verhindern. Bleibt die Frage, ob die UN-Generalversammlung einspringen kann, wenn der Sicherheitsrat gelähmt ist und damit seiner Verantwortung nicht gerecht wird.

Tatsächlich hat die Generalversammlung schon 1950 in ihrer Uniting-for-Peace-Resolution bestimmt, dass sie sich in solchen Fällen in einer Notstands-Sondersitzung selbst mit der Angelegenheit befassen und Empfehlungen für die Wiederherstellung des Friedens aussprechen kann. Das tat sie in der Folge immer wieder, etwa als sie am 2. November 1956 in der Suez-Krise die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen forderte. Auch die Sondersitzung der Generalversammlung am vergangenen Donnerstag erfolgte wieder auf Basis der Uniting-for-Peace-Resolution. Resolutionen der Generalversammlung sind für die Staaten jedoch völkerrechtlich nicht bindend. Sie können von den Vereinten Nationen nicht mit Gewalt durchgesetzt werden.

Diplomatischen, politischen und moralischen Druck erzeugen sie trotzdem. Und sie sind nicht das Einzige, was Staaten tun können, die die völkerrechtliche Friedensordnung verteidigen wollen. Ihre Hilfe für die Ukraine ist nach der UN-Charta nicht nur erlaubt, sondern geboten. Auch Sanktionen gegen Russland sind ein Mittel, das Völkerrecht zu verteidigen. Und dann gibt es noch einen weiteren Weg: das internationale Strafrecht.

Dabei geht es darum, Hauptverantwortliche für den Krieg persönlich zur Verantwortung zu ziehen, insbesondere Wladimir Putin und andere Führungsmitglieder in Moskau. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag führt bereits Ermittlungen zum Ukrainekrieg und sichert Beweise. Dies betrifft insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Zudem dürfte das Gericht prüfen, ob sich Putin und andere Exponenten seines Regimes eines Völkermordes an der Ukraine schuldig machen, ob sie also beabsichtigen, die Ukraine als Nation ganz oder teilweise zu zerstören. Dafür könnten die massiven Angriffe auf die Zivilbevölkerung und Kultureinrichtungen sowie die massenhafte Verschleppung ukrainischer Kinder sprechen.

Das Verbrechen des Angriffskriegs könnte das Tribunal in Den Haag nach seinen Staturen nur ahnden, wenn der UN-Sicherheitsrat es damit beauftragt. Das würde Russland per Veto verhindern. Politiker wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock schlagen daher vor, die Verantwortlichen für den Angriffskrieg vor einem Sondertribunal abzuurteilen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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