Wolfgang Schäuble, 2023 verstorben, war seiner Zeit in manchen Dingen voraus. So auch beim Wahlrecht. Schon 2019 hatte er vorgeschlagen, die Zahl der Bundestagswahlkreise zu reduzieren, um den Bundestag nicht uferlos anwachsen zu lassen. Auf 270 wollte er die Zahl der Wahlkreise begrenzen. So weit wollte die Kommission damals nicht gehen. Die GroKo verständigte sich schließlich darauf, die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 zu reduzieren. Die Änderung sollte allerdings erst 2024 in Kraft treten – und wurde dann von der Ampel-Reform überholt, die inzwischen maximal 630 Abgeordnete festschreibt.
Jetzt, so scheint es, kommt der Vorschlag des damaligen Bundestagspräsidenten wieder auf die Tagesordnung. In der Union plädieren maßgebliche Abgeordnete für eine Reduktion der Wahlkreise, in der SPD schließt man nichts aus. Es gibt Genossen, die eine Absenkung der Zahl der Wahlkreise für durchaus denkbar halten, und Fraktionsvize Dirk Wiese erinnert vorab daran: „Wegen der zukünftig nur noch zulässigen Abweichung von 15 Prozent von der durchschnittlichen Bevölkerungsgröße pro Wahlkreis müssen viele Wahlkreise ohnehin angepasst werden.“
Am Ende des vorliegenden Koalitionsvertrags heißt es eher schwammig: Eine neue Kommission solle Vorschläge unterbreiten, „wie jeder Bewerber mit Erststimmenmehrheit in den Bundestag einziehen kann und der Bundestag unter Beachtung des Zweitstimmenergebnisses grundsätzlich bei der aktuellen Größe verbleiben kann“. Eine weitere Kommission? Das hat nicht alle überzeugt, in der Union war durchaus Geraune zu vernehmen, dass sich die Verhandler nicht direkt auf konkrete Änderungen verständigen konnten.
Für Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU) sollte für einen neuen Aufschlag die Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2020 die Grundlage sein. Sie wurde später auch vom Bundesverfassungsgericht legitimiert.Neben den 280 Wahlkreisen sollte es seinerzeit für bis zu drei Überhangmandate keine Ausgleichsmandate geben, wenn die Regelzahl von 598 Abgeordneten dadurch überschritten würde. „Eine solche Regelung würde den Bundestag spürbar verkleinern – möglicherweise auf unter 630 Abgeordnete“, so Lindholz. Ähnlich sieht es Julia Klöckner. „Ich halte es für wichtig, ein Wahlrecht zu finden, mit dem jeder Wahlkreisgewinner in den Bundestag einziehen kann und die Zahl der Sitze im Parlament dennoch nicht stark ansteigt“, sagte die Bundestagspräsidentin dem Handelsblatt. Was nur heißen kann: weniger Wahlkreise.
Dirk Wiese, Fraktionsvize der SPD und Wahlrechtsexperte, widerspricht. Auch eine deutliche Reduzierung der Wahlkreise stelle die aktuell fixe und planbare Größe des Bundestages infrage und führe zudem zu teilweise riesigen Wahlkreisen. Wiese: „Es ist am Ende die Quadratur des Kreises.“ Sein – allerdings wenig realistischer – Vorschlag: eine Listenverbindung von CDU und CSU bei der Bundestagswahl. Wiese: „Eine länderübergreifende Verrechnung würde zielgenauer wirken, Direktmandate sichern und die feste Größe von 630 beibehalten.“ SPD-Wahlrechtsexperte Johannes Fechner wiederum sagt: „Wenn man alle Direktmandate zuteilen will, ohne den Bundestag zu vergrößern, bleibt eigentlich nur eine Option: nämlich die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren.“ Und das benötige, „weil so gut wie jeder Wahlkreis und alle 16 Bundesländer betroffen wären, seine Zeit“.
Wie auch immer: Die Argumente sind ausgetauscht, neue nicht mehr zu erwarten. Mit und ohne neue Kommission spricht manches für eine deutliche Reduktion der Wahlkreise. Wenn sich die Kommission noch im Mai konstituiert, so glaubt Wiese, könne sie „nach ergebnisoffener Prüfung“ bis zum Herbst einen Bericht vorlegen. „Ziel müsste es sein, das Gesetz zeitnah im Jahr 2026 zu verabschieden“, erwartet auch Lindholz. Denn die Reduzierung und damit Neueinteilung der Wahlkreise sei ein aufwendiger Prozess, der Zeit brauche.