Der Fall, der Finanzminister Lars Klingbeil und Kollegin Katherina Reiche im Wirtschaftsministerium auf dem Tisch liegt, ist delikat. Aber er braucht eine Lösung. Und die eilt. Es geht um ein Milliarden-Unternehmen und um kritische Infrastruktur, es geht um Geld für den Bundeshaushalt, es geht um Länderinteressen – und es geht um Energie. Der verstaatlichte Uniper-Konzern, einer der größten Gasimporteure und Gashändler Deutschlands muss bis spätestens Ende 2028 zu 75 Prozent wieder in Privatbesitz übergehen. Unter dieser Bedingung hatte die EU-Kommission die staatliche Übernahme 2022 nach dem Beginn von Putins Ukraine-Feldzug genehmigt.
Uniper, 2022 nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine quasi zahlungsunfähig und deshalb durch den Bund vom finnischen Energiekonzern Fortum übernommen, erholte sich schnell: 2023 verbuchte das Unternehmen einen Reingewinn in Höhe von gut sechs Milliarden Euro, im vergangenen Jahr waren es dann allerdings netto nur noch 220 Millionen Euro.
Derzeit brütet die Regierung über zwei Optionen: Einen Verkauf größerer Pakete an zahlungskräftige Investoren oder einen Börsengang. Schon Finanzminister Christian Lindner hatte Investmentbanken beauftragt, nach Interessenten Ausschau zu halten und einen möglichen Verkauf einzufädeln. Kurzzeit-Nachfolger Jörg Kukies trieb den Prozess dann energisch voran. Sein Argument: Der Verkauf müsse zügig beginnen, um einen möglichst hohen Erlös zu erzielen. Der langjährige Ex-Investmentbanker Kukies, der die Marktpsychologie kennt, befürchtete einen sinkenden Verkaufswert, je mehr Zeit verstreiche und Investoren den Verkaufsdruck der Bundesregierung auszunutzen versuchten.
Und es gab durchaus Interessenten: Der tschechische Großinvestor Daniel Křetínský, der europaweit unterwegs ist und mit seiner EPH-Holding vor Jahren in der Lausitz die LEAG mit ihren Kraftwerken und Braunkohlevorkommen übernommen hat, erkundigte sich ebenso nach den Konditionen wie Scheichs aus Abu Dhabi oder der norwegische Staatskonzern Equinor.
Die Bundeskasse ist leer, und deshalb hat jeder Finanzminister zunächst einmal ein natürliches Interesse an einem maximalen Erlös beim Verkauf des Unternehmens. Der Börsenwert wird derzeit auf rund 17 Milliarden Euro geschätzt. Würde die Regierung das komplette Unternehmen abstoßen, wäre das ein warmer Regen für die klamme Kasse. Und selbst wenn sie 25 Prozent der Aktien behalten würde, bliebe ein zweistelliger Milliardenbetrag. Doch es gibt gewichtige Argumente gegen den Einstieg von Großinvestoren: Nicht nur dass die Bundesregierung kaum noch etwas zu sagen hätte mit ihren 25 Prozent: Ein einzelner Investor könnte das Unternehmen filettieren, weniger attraktive Teile abstoßen und sich auf renditeträchtige Sparten konzentrieren, wie den Betrieb moderner Gastkraftwerke, bayrischer Wasserkraftwerke oder von Gas- und Stromnetzen.
Anders wäre die Sache bei einem Börsengang. Der Preis pro Aktie wäre schwer kalkulierbar, die Einnahmeseite also ungewiss. Der Vorteil: Durch die mutmaßlich breite Streuung der Aktien bliebe der Bund als 25-Prozent-Gesellschafter einer der maßgeblichen Akteure bei strategischen Entscheidungen, also etwa auch bei Verkäufen. Genau darauf versuchen inzwischen insbesondere die Gewerkschaften hinzuarbeiten. Die Vorsitzenden von verdi und der IGBCE haben, mitgezeichnet vom Uniper-Betriebsratsvorsitzenden, an Finanz- und Wirtschaftsministerium geschrieben und plädieren eindringlich für einen Börsengang.
Dass die Sache sensibel ist, ist auch dem schwarz-roten Koalitionsvertrag zu entnehmen. Dort heißt es etwas wolkig, ohne dass Uniper genannt wird: „Die in der Gaskrise erworbenen Staatsbeteiligungen werden wir auf strategische Anteile des Bundes zurückführen.“ Was nur heißt, dass der Bund seine 25 Prozent behalten will. Ob im Rahmen breit gestreuter Aktien oder unter einem dominanten Mehrheitsaktionär, bleibt allerdings offen.
Klar positioniert ist die Belegschaft. Uniper habe eine Rolle im Sinne der kritischen Versorgungssicherheit, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Harald Seegatz. Und noch deutlicher: „Wir verstehen jeden erneuten Übernahmeversuch als feindlichen Akt gegen die Interessen der Beschäftigten und Gewerkschaften, dem wir uns vehement widersetzen werden.“ Schon jede Diskussion über eine mögliche Übernahme werde „als feindlicher Akt gegen die Interessen der Beschäftigten“ interpretiert.
Die Arbeitnehmervertreter haben die Übernahme durch den finnischen Energieversorger Fortum nicht vergessen, der 2018 bei Uniper eingestiegen war und sich nach und nach 70 Prozent Anteile sicherte. Für die Arbeitnehmer und Vorstand war es von Beginn an eine „feindliche Übernahme“. Ihr gemeinsamer Widerstand mit Verweis auf fehlende strategische Perspektiven fand jedoch kein Gehör. Fortum gab zwar Standortgarantien ab und versprach Betriebsvereinbarungen zu respektieren, doch das Verhältnis blieb frostig. 2022, nach dem Beginn von Putins Krieg und dem freien Fall von Uniper in tiefe Verlustsphären, stellte die Bundesregierung Milliardenhilfen bereit und drängte die Finnen aus dem Unternehmen.
Für einen Gang an die Börse wäre nun allerdings eine Novelle des Energiesicherheitsgesetzes nötig. Denn bisher darf Uniper keine Vorstandsboni und keine Dividenden ausschütten – was das Unternehmen für Aktionäre vorläufig uninteressant macht. Schon die Ampel wollte das Gesetz novellieren, der Gesetzentwurf lag auch vor, doch zu einer Verabschiedung kam es nicht mehr.
Noch hat das BMF keine Entscheidung getroffen. Noch werde gründlich geprüft, heißt es im Haus. Doch der Finanzminister hat eine Präferenz: „Auf Basis eingehender Analysen kommen wir zu dem Schluss, dass eine Veräußerung über den Kapitalmarkt die zentrale Handlungsoption des Bundes zur Reprivatisierung von Uniper ist“, heißt es im Ministerium. Im Klartext: Bevorzugt wäre ein Börsengang mit breiter Streuung, mit vermutlich weniger Einnahmen, dafür behielte der Bund eine gewisse Hoheit bei strategischen Entscheidungen. Allerdings, so lässt ein Ministeriumssprecher wissen, würden immer noch „auch außerbörsliche Veräußerungsoptionen in Abhängigkeit von ihrer Validität geprüft“.
Ein waches Auge werfen auch mindestens zwei Ministerpräsidenten auf den Vorgang. Hendrik Wüst (CDU) hat naturgemäß ein erhöhtes Interesse, dass Uniper seine Zentrale in Düsseldorf behält – und dort weiter Steuern bezahlt. Kollege Markus Söder (CSU) wiederum ist vor allem an den Wasserkraftwerken in Bayern interessiert, „sofern der Bund diese zum Verkauf anbietet“, wie es im bayrischen Koalitionsvertrag heißt. Durch das sogenannte „Heimfallrecht“ läuft die Konzession von Uniper für mehrere Dutzend Kraftwerke in Bayern in absehbarer Zeit aus, und der bayrische Staat könnte einsteigen – allerdings nur gegen Entschädigungszahlungen. Ein weiterer Aspekt: Die Landesregierung hat auch deshalb Interesse an einer Übernahme, weil sie dann den Hochwasserschutz über die Speicherbecken und Stauwehre besser koordinieren könnte.
Dass der Finanzminister die Sache sorgfältig abwägt, hat gute Gründe. Denn nicht immer hatte die Bundesregierung bei Börsengängen zuletzt ein glückliches Händchen. Als der Finanzminister im vergangenen Jahr seine Commerzbank-Anteile kapitalisieren wollte, kaufte die italienische Großbank UniCredit gleich doppelt ein: Direkt vom Bund, zugleich aber auch diskret am freien Markt. Mit dem Ergebnis, dass die Italiener plötzlich 28 Prozent der Aktien hielten und damit eine Sperrminorität in der Hand hatten. Einen Teil davon stießen sie danach wieder ab – aber noch einmal will sich die Bundesregierung beim Verkauf der Uniper-Anteile nicht überrumpeln lassen.